BGH: Verjährungshemmung mittels Mahnbescheids ohne hinreichende Individualisierung der Forderung im anwaltlichen Mahnantrag und anwaltliche Pflichtverletzung
BGH, Urteil vom 24.7.2025 – IX ZR 92/24
ECLI:DE:BGH:2025:240725UIXZR92.24.0
Volltext: BB-Online BBL2025-2114-1
unter www.betriebs-berater.de
Amtlicher Leitsatz
Soll mittels eines Mahnbescheids die Verjährung einer Forderung gehemmt werden, individualisiert der anwaltliche Mahnantrag die Forderung des Mandanten aber nicht hinreichend, besteht zwischen einer diesem Umstand zugrunde liegenden anwaltlichen Pflichtverletzung und der Kostenlast des Mandanten infolge der späteren Rücknahme des Mahnantrags durch dessen neuen Prozessbevollmächtigten kein Zurechnungszusammenhang, wenn eine tatsächliche Verjährung der anderweitig verfolgten Forderung nicht festgestellt ist.
BGB § 204 Abs. 1 Nr. 3, § 280 Abs. 1; ZPO § 690 Abs. 1 Nr. 3
Sachverhalt
1 Die Gesellschafter der Beklagten M. H. und H. W. (fortan: Gesellschafter) beschlossen in einer Gesellschafterversammlung am 24. September 2019 unter anderem, gegen ihre Mitgesellschafterin C. W. (fortan: Mitgesellschafterin) Schadensersatzansprüche wegen Untreue- und Schädigungshandlungen geltend zu machen. Die Mitgesellschafterin erhob noch im Jahr 2019 Anfechtungsklage gegen den Gesellschafterbeschluss.
2 Die Gesellschafter und damaligen Geschäftsführer der Beklagten suchten am 22. Dezember 2020 die Klägerin auf und führten mit dem Sozius der Klägerin, dem Drittwiderbeklagten, ein Mandatsgespräch. Die Einzelheiten dieses Gesprächs sind streitig. Die Gesellschafter teilten insbesondere mit, dass es im Jahr 2016 zu einem tiefgreifenden Zerwürfnis der Gesellschafter der Beklagten gekommen sei. Sie behaupteten, dass sich die Mitgesellschafterin während ihrer Tätigkeit als Geschäftsführerin der Beklagten über Jahre in erheblichem Umfang am Gesellschaftsvermögen bereichert habe. Sie habe dabei mit ihrer bei der Beklagten in der Buchhaltung beschäftigten Mutter zusammengewirkt. Sie wollten daher auf der Grundlage ihrer Ermittlungen Schadensersatzansprüche gegen die Mitgesellschafterin und deren Mutter geltend machen. Hierzu beauftragte die Beklagte die Klägerin mit ihrer Vertretung. Im Anschluss an dieses Gespräch übersandte die Beklagte der Klägerin am 30. Dezember 2020 eine E-Mail mit einer Tabelle zu den von ihr behaupteten, zahlreichen Einzelforderungen gegen die Mitgesellschafterin und deren Mutter.
3 Noch am 30. Dezember 2020 beantragte die Klägerin auf der Grundlage der mitgeteilten Zahlen den Erlass von zwei Mahnbescheiden, und zwar gegen die Mitgesellschafterin in Höhe von 1.363.880,80 € sowie gegen diese und deren Mutter als Gesamtschuldner in Höhe von 1.122.601,33 €. Die Mahnbescheide wurden nachfolgend erlassen und zugestellt. Die Mitgesellschafterin und ihre Mutter legten jeweils Widerspruch ein. Eine Abgabe der Verfahren an das im Mahnbescheid benannte Gericht unterblieb. Anspruchsbegründungen erfolgten nicht. Mit E-Mail vom 16. Februar 2021 kündigte die Beklagte das der Klägerin erteilte Mandat und beauftragte einen anderen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung ihrer Interessen.
4 Der neue Prozessbevollmächtigte der Beklagten wusste von den Mahnbescheiden. Er erhob wegen der behaupteten Schadensersatzansprüche in dem von der Mitgesellschafterin anhängig gemachten Beschlussanfechtungsrechtsstreit ab dem 22. Februar 2021 sukzessiv erweiterte Widerklagen gegen diese und Drittwiderklagen gegen deren Mutter. Nachdem die Mitgesellschafterin und ihre Mutter eine anderweitige Rechtshängigkeit aufgrund der Mahnbescheide geltend gemacht hatten, nahm der neue Prozessbevollmächtigte der Beklagten die Mahnanträge am 13. April 2023 zurück. Auf Antrag der Mitgesellschafterin und deren Mutter erlegte das Mahngericht der Beklagten mit Beschlüssen vom 12. Juli und 19. Juli 2023 die Kosten der Mahnverfahren auf.
5 Die Klägerin verlangt - soweit noch von Interesse - die Zahlung von Rechtsanwaltsgebühren für die beiden Mahnverfahren in Höhe von insgesamt 12.894,56 € von der Beklagten. Mit ihrer Widerklage und Drittwiderklage begehrt die Beklagte von der Klägerin und dem Drittwiderbeklagten die Zahlung der von ihr in den beiden Mahnverfahren aufgewendeten Gerichtskosten sowie der an die Mitgesellschafterin und deren Mutter für deren anwaltliche Vertretung in diesen Verfahren erstatteten Rechtsanwaltsgebühren von in der Summe 15.657,62 € als Schadensersatz.
6 Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und die Widerklage sowie die Drittwiderklage abgewiesen. Die Berufung der Beklagten hat - soweit noch von Interesse - zur Abweisung der Klage und zum Erfolg von Widerklage und Drittwiderklage geführt. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision erstreben die Klägerin und der Drittwiderbeklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils und die Abweisung der in zweiter Instanz erweiterten Widerklage und Drittwiderklage.
Aus den Gründen
7 Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
8 I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Beklagte könne dem Gebührenanspruch der Klägerin gemäß § 242 BGB einen Schadensersatzanspruch wegen anwaltlicher Pflichtverletzung gemäß § 280 Abs. 1 BGB entgegenhalten. Wegen der Pflichtverletzung von Klägerin und Drittwiderbeklagtem sei auch die Widerklage begründet. Die Pflichtverletzung liege in der unterbliebenen Aufklärung der Beklagten über die Aussichtslosigkeit der in Aussicht genommenen Rechtsverfolgung. Die Aussichtslosigkeit folge daraus, dass die Schadensersatzansprüche gegen die Mitgesellschafterin und deren Mutter in den beiden Mahnanträgen nicht hinreichend individualisiert worden seien und demzufolge nicht mit verjährungshemmender Wirkung hätten geltend gemacht werden können. Die Angabe in den Anträgen, dass Schadensersatz aus "Delikt/Organhaftung ab/vom 01.01.2000" verlangt werde, sei ungenügend. Eine Bezugnahme auf ein erläuterndes vorprozessuales Anspruchsschreiben oder den Gesellschafterbeschluss vom 24. September 2019 sei darin nicht erfolgt. Abgesehen davon lasse sich weder dem Parteivorbringen noch den vorgelegten Unterlagen entnehmen, dass der Gesellschafterbeschluss die notwendige Individualisierung enthalte. Kostenauslösende Mahnanträge ohne belastbare Grundlage ins Blaue hinein hätten auch nicht dem Gebot des sichersten Weges entsprochen. Vielmehr sei eine Beratung dahingehend geboten gewesen, dass zwar die Ansprüche zum 31. Dezember 2020 verjähren könnten, soweit sie nicht ohnehin bereits verjährt gewesen seien, hinsichtlich der einzelnen Ansprüche aber eine Beurteilung der Verjährungsfrage und die für die Hemmung notwendige Individualisierung nach den von der Beklagten gemachten, unzulänglichen Angaben nicht möglich seien und daher von einer Mahnantragstellung zum Ende des Jahres abgesehen werden sollte. Unter Zugrundelegung der Vermutung beratungsgemäßen Verhaltens sei weiter anzunehmen, dass die Beklagte diesem Rat auch gefolgt wäre und den Auftrag zur Einreichung der Mahnanträge nicht erteilt hätte. In diesem Fall wären weder die Gebührenansprüche der Klägerin für die Beantragung der beiden Mahnbescheide entstanden noch die mit der Widerklage als Schadensersatz geltend gemachten Gerichtskosten für das Mahnverfahren und die von der Beklagten erstatteten Anwaltskosten der Mitgesellschafterin und deren Mutter. Die Rücknahme der Mahnanträge durch den neuen Prozessbevollmächtigten der Beklagten und die von diesem erhobene Widerklage im Beschlussanfechtungsrechtsstreit habe auch nicht den Zurechnungszusammenhang unterbrochen. Vielmehr sei die Entscheidung für die Geltendmachung der Schadensersatzansprüche gegen die weitere Mitgesellschafterin und deren Mutter im Wege der (Dritt-)Widerklage durch prozesstaktische Erwägungen gerechtfertigt gewesen.
9 II. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung in wesentlichen Punkten nicht stand.
10 1. Aufgrund der Revisionszulassung allein zugunsten der Klägerin und des Drittwiderbeklagten steht für das Revisionsverfahren fest, dass der Klägerin - wie das Berufungsgericht angenommen hat - aufgrund der Vertretung der Beklagten in den Mahnverfahren ein Anspruch auf gesetzliche Gebühren in Höhe von insgesamt 12.894,56 € zusteht.
11 2. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen kann die Beklagte dem Zahlungsanspruch der Klägerin nicht deshalb eine dolo-agit-Einrede entgegenhalten, weil die Klägerin einen nicht ausreichend individualisierten Mahnbescheidsantrag erhoben und die Beklagte über die Voraussetzungen für eine Verjährungshemmung durch einen Mahnbescheid nicht ausreichend aufgeklärt hat. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann ein Zurechnungszusammenhang zwischen einer unterstellten anwaltlichen Pflichtverletzung der Klägerin bei der Beratung der Beklagten und dem durch die Mahnanträge und die Rücknahme der Mahnanträge entstandenen Kostenschaden nicht bejaht werden.
12 a) Das Berufungsgericht hat angenommen, die Klägerin habe pflichtgemäß von der Beantragung der beiden Mahnbescheide abraten müssen, weil die Rechtsverfolgung durch Mahnantrag aussichtslos gewesen sei. Dies ergebe sich daraus, dass die Schadensersatzansprüche mit Blick auf eine wegen fehlender Informationen von Seiten der Beklagten nicht mögliche Individualisierung der einzelnen Forderungen nicht mit verjährungshemmender Wirkung hätten geltend gemacht werden können. Das Berufungsgericht hat aber nicht festgestellt, dass Ansprüche der Beklagten gegen ihre Mitgesellschafterin und deren Mutter in der in den Mahnbescheiden geltend gemachten Höhe nicht bestehen, insbesondere nicht, dass diese Ansprüche zu irgendeinem Zeitpunkt tatsächlich ganz oder teilweise verjährt waren. Für die revisionsgerichtliche Prüfung ist deshalb zugrunde zu legen, dass die Ansprüche bestehen und nicht verjährt sind. Auszugehen ist ferner davon, dass die Beklagte ihre angeblichen Forderungen gegen die Mitgesellschafterin und deren Mutter in voller Höhe gerichtlich durchsetzen wollte.
13 b) Auf dieser Grundlage kann die Beklagte den behaupteten Kostenschaden nicht wegen der von dem Berufungsgericht angenommenen Pflichtwidrigkeit von der Klägerin erstattet verlangen. Denn es fehlt an dem erforderlichen Zusammenhang zwischen dem Schutzzweck der - unterstellt - verletzten Norm und den im Mahnverfahren entstandenen Kosten.
14 aa) Grundsätzlich haftet derjenige, der für ein schädigendes Ereignis verantwortlich ist, dem Geschädigten für alle dadurch ausgelösten rechtlichen und wirtschaftlichen Nachteile. Jedoch darf dem Anspruchsgegner nur der Schaden zugerechnet werden, der innerhalb des Schutzbereichs der verletzten Norm eingetreten ist. Dieser Grundsatz gilt auch im Vertragsrecht. Der Rechtsanwalt hat daher nur für solche Nachteile einzustehen, zu deren Abwendung er die aus dem Mandat folgenden Pflichten übernommen hat (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 1997 - IX ZR 233/96, NJW 1997, 2946, 2947; vom 16. Juni 2005 - IX ZR 27/04, BGHZ 163, 223, 230; vom 18. Januar 2007 - IX ZR 122/04, WM 2007, 567 Rn. 8).
15 bb) Nach den getroffenen Feststellungen ging es in dem Beratungsgespräch vom 22. Dezember 2020 darum, eine - aus der Sicht ex ante eventuell - drohende Verjährung von Forderungen der Beklagten zu vermeiden und dieses Ziel durch die Beantragung der beiden Mahnbescheide und die damit verbundene Hemmung der Verjährung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB, § 167 ZPO zu erreichen. Dieses Ziel bedingte die Notwendigkeit einer genügenden, nach der Annahme des Berufungsgerichts jedoch im Streitfall wegen des Fehlens hinreichender Informationen nicht möglichen und auch nicht erfolgten Individualisierung der mit den Mahnanträgen zu verfolgenden Forderungen im Sinne von § 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO sowie eine Aufklärung der Beklagten über die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung insoweit gestellten Anforderungen.
16 Der Zweck dieser anwaltlichen Beratungspflicht bestand mithin in der Abwehr von solchen Schäden des Mandanten, die aus der Verjährung seiner Forderung resultieren können, wenn insbesondere nämlich eine hinreichende Individualisierung pflichtwidrig unterbleibt und der Ablauf der Verjährungsfrist deshalb nicht gehemmt wird. Darum geht es im Streitfall mit Blick auf die Kosten des Mahnverfahrens jedoch nicht.
17 (1) Die Belastung der Beklagten mit den Anwaltsgebühren für die Tätigkeit der Klägerin im Mahnverfahren sowie mit den Gerichtsgebühren und den Anwaltskosten der Gegenseite im Mahnverfahren steht mit der gegebenenfalls verletzten anwaltlichen Beratungspflicht - Empfehlung der Beantragung von Mahnbescheiden trotz fehlender Individualisierung der Forderungen - nicht im Zusammenhang. Es handelt sich vielmehr um Kosten, die im Rahmen der von der Beklagten bis heute in vollem Umfang gewünschten Durchsetzung ihrer behaupteten und nach den (fehlenden) Feststellungen nicht verjährten Forderungen gegen die Mitgesellschafterin und deren Mutter so oder so entstanden wären, insbesondere, weil sie auf die Kosten eines nachfolgenden Klageverfahrens anzurechnen sind (Nr. 3305 Satz 2 und Nr. 3307 Satz 2 VV RVG, Nr. 1210 Abs. 1 Halbsatz 2 KV GKG).
18 Die Beantragung der Mahnbescheide hat nach den bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts keine Mehrkosten gegenüber einer Klage verursacht. Ebensowenig genügen die Feststellungen des Berufungsgerichts, um eine Kostenhaftung der Klägerin deshalb zu bejahen, weil die erlassenen Mahnbescheide für die Beklagte von vornherein nutzlos gewesen sind oder die mit den Mahnbescheiden beabsichtigte Rechtsverfolgung ganz oder teilweise ohne Aussicht auf Erfolg gewesen ist. Dass die Mahnbescheide - wie das Berufungsgericht annimmt - nicht geeignet waren, die Verjährung der mit den Mahnbescheiden verfolgten Ansprüche zu hemmen, ist für sich genommen kein ausreichender Grund für eine Haftung auf den Kostenschaden.
19 (2) Die Kostentragung der Beklagten im Mahnverfahren beruht vielmehr allein auf ihrer Entscheidung, der Klägerin das Mandat zu entziehen, ihren neuen Prozessbevollmächtigten zu beauftragen, die in Frage stehenden Forderungen im Wege der Widerklage im Beschlussanfechtungsrechtsstreit statt im Wege der Beantragung des streitigen Verfahrens und einer nachfolgenden Anspruchsbegründung (§ 696 Abs. 1, § 697 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 ZPO) geltend zu machen und sodann die Mahnanträge zurückzunehmen. Dieser Schaden beruht weder auf der unzureichenden Individualisierung der Mahnanträge noch auf einer Verjährung von Ansprüchen. Die Gefahr, die in der Beantragung von nicht genügend individualisierten Mahnanträgen liegt, die mögliche Verjährung von Forderungen wegen unterbliebener Hemmung der Verjährungsfrist, hat sich mithin nicht verwirklicht.
20 cc) Da es bereits am notwendigen Zurechnungszusammenhang fehlt, kommt es nicht darauf an, ob die Erhebung der Widerklagen im Beschlussanfechtungsstreit und die spätere Rücknahme der Mahnanträge durch den neuen Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu einer Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs geführt haben.
21 3. Im Zusammenhang mit der Bejahung einer schadensursächlichen Pflichtverletzung der Klägerin und des für sie handelnden Drittwiderbeklagten hat das Berufungsgericht ferner die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Anwaltshaftungsprozess rechtsfehlerhaft nicht beachtet. Diesbezüglich geht es im Streitfall um die Frage, ob sich die gebotene Individualisierung der Forderungen der Beklagten im Sinne von § 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO womöglich aus dem Gesellschafterbeschluss der Beklagten vom 24. September 2019 ergibt. Das Landgericht ist davon noch ausgegangen. Das Berufungsgericht hat demgegenüber maßgeblich darauf abgestellt, dass sich weder dem Parteivorbringen noch den vorgelegten Unterlagen entnehmen lasse, dass der Beschluss die notwendige Individualisierung aufweise.
22 a) Die Darlegungs- und Beweislast für die anwaltliche Pflichtverletzung liegt bei dem Schadensersatz gemäß § 280 Abs. 1 BGB begehrenden Mandanten (vgl. BGH, Urteil vom 25. September 2014 - IX ZR 199/13, WM 2014, 2274 Rn. 16; vom 14. Juli 2016 - IX ZR 291/14, ZIP 2016, 1834 Rn. 15; zur sekundären Darlegungslast des Rechtsanwalts in Bezug auf den Inhalt des Beratungsgesprächs vgl. BGH, Urteil vom 1. März 2007 - IX ZR 261/03, BGHZ 171, 261 Rn. 12 mwN). Für eine abweichende Beurteilung im Streitfall besteht schon deshalb kein Anlass, weil der Gesellschafterbeschluss der Sphäre der Beklagten zuzurechnen ist und ihr eine Vorlage unschwer möglich sein sollte.
23 b) Ist der Inhalt des Gesellschafterbeschlusses mangels Vorlage im Rechtsstreit und wegen fehlenden Vortrags zu seinem konkreten Inhalt entsprechend der Annahme des Berufungsgerichts als offen anzusehen, kann sich das nach den vorgegebenen Maßstäben nicht zu Lasten der Klägerin auswirken. Vielmehr könnte dann im Zweifel - trotz der Bejahung einer Pflichtverletzung der Klägerin im Beratungsgespräch - von einer im Ergebnis dennoch genügenden Individualisierung der Forderungen der Beklagten in diesem Beschluss auszugehen sein.
24 c) Auch die weitere Erwägung des Berufungsgerichts in diesem Kontext, es fehle zudem an einer Bezugnahme auf den Gesellschafterbeschluss in den Mahnbescheiden, trägt aus Rechtsgründen nicht. Für die Frage einer genügenden Individualisierung eines Mahnbescheids ist auf den Erkenntnishorizont des Schuldners abzustellen. Wann den Anforderungen genüge getan ist, kann zwar nicht allgemein und abstrakt festgelegt werden, vielmehr hängen Art und Umfang der erforderlichen Angaben im Einzelfall von dem zwischen den Parteien bestehenden Rechtsverhältnis und der Art des Anspruchs ab (vgl. BGH, Urteil vom 16. Oktober 2008 - IX ZR 135/07, WM 2008, 2307 Rn. 19; vom 14. Juli 2022 - VII ZR 255/21, ZIP 2022, 2250 Rn. 27; jeweils mwN). Allgemein können zur Individualisierung des Anspruchs ausreichende Kenntnisse des Schuldners aber auch auf solchen Informationen beruhen, auf die im Mahnbescheid nicht hingewiesen wird, die dem Schuldner aber zur Verfügung stehen (vgl. BGH, Urteil vom 12. April 2007 - VII ZR 236/05, BGHZ 172, 42 Rn. 48; vom 16. Oktober 2008, aaO). Von Letzterem ist im Streitfall jedenfalls in der Person der Mitgesellschafterin auszugehen, die den Gesellschafterbeschluss schon vor der Zustellung der Mahnbescheide im Wege der Klage angefochten hatte.
25 4. Die Zulassung der Erweiterung der Widerklage in der Berufungsinstanz ist durch das Revisionsgericht entgegen der Revision nicht zu überprüfen. Eine solche Zulassung ist ebenso wie die Zulassung neuen Sachvortrags durch das Berufungsgericht unanfechtbar. Nach dem Zweck des Berufungsrechts dient die Berufungsinstanz in erster Linie der Fehlerkontrolle der erstinstanzlichen Entscheidung. § 533 ZPO verhindert deshalb, dass sich das Berufungsgericht im Rahmen neuer Streitgegenstände mit neuem Streitstoff befassen und hierzu eine Sachentscheidung treffen muss. Dieser Zweck kann nicht mehr erreicht werden, wenn das Berufungsgericht eine Widerklage oder die Klageerweiterung zugelassen und hierüber sachlich entschieden hat (BGH, Urteil vom 25. Oktober 2007 - VII ZR 27/06, NZBau 2008, 175 Rn. 9; vgl. auch BGH, Urteil vom 18. November 2020 - VIII ZR 123/20, NZM 2021, 88 Rn. 18 mwN). Der Senat ist an die Bejahung der Sachdienlichkeit durch das Berufungsgericht gebunden.
26 III. Das Urteil ist danach aufzuheben und die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 ZPO). Eine eigene Sachentscheidung kann der Senat nicht treffen, weil die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Das Berufungsgericht wird zu prüfen haben, ob sich eine Haftung der Klägerin für die mit dem Mahnverfahren ausgelösten Kosten aus anderen von der Beklagten geltend gemachten Gründen ergeben kann.