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Wirtschaftsrecht
15.06.2023
Wirtschaftsrecht
EuGH: Verhältnis der Widerklage auf Erklärung der Nichtigkeit einer Unionsmarke zur Verletzungsklage

EuGH, Urteil vom 8.6.2023 – C-654/21 LM gegen KP

ECLI:EU:C:2023:462

Volltext: BB-Online BBL2023-1409-1

unter www.betriebs-berater.de

Tenor

Art. 124 Buchst. d in Verbindung mit Art. 128 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke ist dahin auszulegen, dass eine Widerklage auf Erklärung der Nichtigkeit einer Unionsmarke sämtliche Rechte betreffen kann, die der Inhaber dieser Marke aus ihrer Eintragung ableitet, ohne dass die Widerklage in ihrem Gegenstand durch den Rahmen begrenzt wird, der durch die Verletzungsklage abgesteckt wird.

 

Aus den Gründen

1          Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 124 Buchst. d in Verbindung mit Art. 128 Abs. 1 und Art. 129 Abs. 3 der Verordnung (EU) 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke (ABl. 2017, L 145, S. 1).

 

2          Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen LM und KP aufgrund einer Klage wegen Verletzung einer Unionswortmarke und einer Widerklage auf Erklärung der Nichtigkeit dieser Marke.

 

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

 

3          In den Erwägungsgründen 4 und 32 der Verordnung 2017/1001 heißt es:

„(4) … [Es] ist ein Markensystem der [Europäischen] Union erforderlich, das den Unternehmen ermöglicht, in einem einzigen Verfahren Unionsmarken zu erwerben, die einen einheitlichen Schutz genießen und im gesamten Gebiet der [Europäischen] Union wirksam sind. Der hier aufgestellte Grundsatz der Einheitlichkeit der Unionsmarke sollte gelten, sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist.

(32)      Es ist entscheidend, dass sich Entscheidungen über die Gültigkeit und die Verletzung der Unionsmarke wirksam auf das gesamte Gebiet der Union erstrecken, da nur so widersprüchliche Entscheidungen der Gerichte und des [Amts der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO)] und eine Beeinträchtigung des einheitlichen Charakters der Unionsmarke vermieden werden können. Die Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates [vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1)] sollten für alle gerichtlichen Klagen im Zusammenhang mit den Unionsmarken gelten, es sei denn, dass die vorliegende Verordnung davon abweicht.“

 

4          Art. 1 („Unionsmarke“) Abs. 2 der Verordnung 2017/1001 bestimmt:

„Die Unionsmarke ist einheitlich. Sie hat einheitliche Wirkung für die gesamte Union: sie kann nur für dieses gesamte Gebiet eingetragen oder übertragen werden oder Gegenstand eines Verzichts oder einer Entscheidung über den Verfall der Rechte des Inhabers oder die Nichtigkeit sein, und ihre Benutzung kann nur für die gesamte Union untersagt werden. Dieser Grundsatz gilt, sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist.“

 

5          Nach Art. 6 („Erwerb der Unionsmarke“) dieser Verordnung wird die Unionsmarke durch Eintragung erworben.

 

6          Art. 7 („Absolute Eintragungshindernisse“) Abs. 1 und 2 der Verordnung bestimmt:

„(1)       Von der Eintragung ausgeschlossen sind

b)         Marken, die keine Unterscheidungskraft haben;

c)         Marken, die ausschließlich aus Zeichen oder Angaben bestehen, welche im Verkehr zur Bezeichnung der Art, der Beschaffenheit, der Menge, der Bestimmung, des Wertes, der geografischen Herkunft oder der Zeit der Herstellung der Ware oder der Erbringung der Dienstleistung oder zur Bezeichnung sonstiger Merkmale der Ware oder Dienstleistung dienen können;

d)         Marken, die ausschließlich aus Zeichen oder Angaben zur Bezeichnung der Ware oder Dienstleistung bestehen, die im allgemeinen Sprachgebrauch oder in den redlichen und ständigen Verkehrsgepflogenheiten üblich geworden sind;

e)         Zeichen, die ausschließlich bestehen aus

i)          der Form oder einem anderen charakteristischen Merkmal, die bzw. das durch die Art der Ware selbst bedingt ist;

ii)         der Form oder einem anderen charakteristischen Merkmal der Ware, die bzw. das zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich ist;

iii)         der Form oder einem anderen charakteristischen Merkmal, die bzw. das der Ware einen wesentlichen Wert verleiht;

f)          Marken, die gegen die öffentliche Ordnung oder gegen die guten Sitten verstoßen;

g)         Marken, die geeignet sind, das Publikum zum Beispiel über die Art, die Beschaffenheit oder die geografische Herkunft der Ware oder Dienstleistung zu täuschen;

j)          Marken, die nach Maßgabe von Unionsvorschriften, von nationalem Recht oder von internationalen Übereinkünften, denen die Union oder der betreffende Mitgliedstaat angehört, und die Ursprungsbezeichnungen und geografische Angaben schützen, von der Eintragung ausgeschlossen sind;

k)         Marken, die nach Maßgabe von Unionsvorschriften oder von internationalen Übereinkünften, denen die Union angehört, und die dem Schutz von traditionellen Bezeichnungen für Weine dienen, von der Eintragung ausgeschlossen sind;

l)          Marken, die nach Maßgabe von Unionsvorschriften oder von internationalen Übereinkünften, denen die Union angehört, und die dem Schutz von garantiert traditionellen Spezialitäten dienen, von der Eintragung ausgeschlossen sind;

m)        Marken, die aus einer im Einklang mit den Unionsvorschriften oder nationalem Recht oder internationalen Übereinkünften, denen die Union oder der betreffende Mitgliedstaat angehört, zu Sortenschutzrechten eingetragenen früheren Sortenbezeichnung bestehen oder diese in ihren wesentlichen Elementen wiedergeben und die sich auf Pflanzensorten derselben Art oder eng verwandter Arten beziehen.

(2)        Die Vorschriften des Absatzes 1 finden auch dann Anwendung, wenn die Eintragungshindernisse nur in einem Teil der Union vorliegen.“

 

7          Art. 59 („Absolute Nichtigkeitsgründe“) der Verordnung 2017/1001 sieht vor:

„(1)       Die Unionsmarke wird auf Antrag beim [EUIPO] oder auf Widerklage im Verletzungsverfahren für nichtig erklärt,

a)         wenn sie entgegen den Vorschriften des Artikels 7 eingetragen worden ist;

b)         wenn der Anmelder bei der Anmeldung der Marke bösgläubig war.

(2)        Ist die Unionsmarke entgegen Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe b, c oder d eingetragen worden, kann sie nicht für nichtig erklärt werden, wenn sie durch Benutzung im Verkehr Unterscheidungskraft für die Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen ist, erlangt hat.

(3) Liegt ein Nichtigkeitsgrund nur für einen Teil der Waren oder Dienstleistungen vor, für die die Unionsmarke eingetragen ist, so kann sie nur für diese Waren oder Dienstleistungen für nichtig erklärt werden.“

 

8          Art. 63 („Antrag auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit“) dieser Verordnung bestimmt in den Abs. 1 und 3:

„(1)       Ein Antrag auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit der Unionsmarke kann beim [EUIPO] gestellt werden:

a)         in den Fällen der Artikel 58 und 59 von jeder natürlichen oder juristischen Person sowie jedem Interessenverband von Herstellern, Erzeugern, Dienstleistungsunternehmen, Händlern oder Verbrauchern, der nach dem für ihn maßgebenden Recht prozessfähig ist;

(3)        Der Antrag auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit ist unzulässig, wenn entweder das [EUIPO] oder das in Artikel 123 genannte Unionsmarkengericht über einen Antrag wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien in der Hauptsache bereits entschieden hat und diese Entscheidung unanfechtbar geworden ist.“

 

9          Art. 123 („Unionsmarkengerichte“) Abs. 1 der Verordnung 2017/1001 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten benennen für ihr Gebiet eine möglichst geringe Anzahl nationaler Gerichte erster und zweiter Instanz, die die ihnen durch diese Verordnung zugewiesenen Aufgaben wahrnehmen.“

 

10        In Art. 124 („Zuständigkeit für Klagen betreffend Verletzung und Rechtsgültigkeit“) dieser Verordnung heißt es:

„Die Unionsmarkengerichte sind ausschließlich zuständig

a)         für alle Klagen wegen Verletzung und – falls das nationale Recht dies zulässt – wegen drohender Verletzung einer Unionsmarke;

d)         für die in Artikel 128 genannten Widerklagen auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit der Unionsmarke.“

 

11        Art. 127 („Vermutung der Rechtsgültigkeit; Einreden“) sieht in Abs. 1 vor:

„Die Unionsmarkengerichte haben von der Rechtsgültigkeit der Unionsmarke auszugehen, sofern diese nicht durch den Beklagten mit einer Widerklage auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit angefochten wird.“

 

12        In Art. 128 („Widerklage“) dieser Verordnung heißt es:

„(1)       Die Widerklage auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit kann nur auf die in dieser Verordnung geregelten Verfalls- oder Nichtigkeitsgründe gestützt werden.

(2)        Ein Unionsmarkengericht weist eine Widerklage auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit ab, wenn das [EUIPO] über einen Antrag wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien bereits eine unanfechtbar gewordene Entscheidung erlassen hat.

(4)        Das Unionsmarkengericht, bei dem Widerklage auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit einer Unionsmarke erhoben worden ist, nimmt die Prüfung der Widerklage erst dann vor, wenn entweder die betroffene Partei oder das Gericht dem [EUIPO] den Tag der Erhebung der Widerklage mitgeteilt hat. Das [EUIPO] vermerkt diese Information im Register. War beim [EUIPO] ein Antrag auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit der Unionsmarke bereits eingereicht worden, bevor die Widerklage erhoben wurde, wird das Gericht vom [EUIPO] hiervon unterrichtet; das Gericht setzt in diesem Fall das Verfahren gemäß Artikel 132 Absatz 1 so lange aus, bis abschließend über den Antrag entschieden wurde oder der Antrag zurückgezogen wird.

(6)        Ist die Entscheidung eines Unionsmarkengerichts über eine Widerklage auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit einer Unionsmarke unanfechtbar geworden, so wird eine Ausfertigung dieser Entscheidung dem [EUIPO] entweder durch das Gericht oder eine der Parteien des nationalen Verfahrens unverzüglich zugestellt. Das [EUIPO] oder jede andere betroffene Partei kann dazu nähere Auskünfte anfordern. Das [EUIPO] trägt einen Hinweis auf die Entscheidung im Register ein und trifft die erforderlichen Maßnahmen zur Umsetzung des Tenors der Entscheidung.

(7)        Das mit einer Widerklage auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit befasste Unionsmarkengericht kann auf Antrag des Inhabers der Unionsmarke nach Anhörung der anderen Parteien das Verfahren aussetzen und den Beklagten auffordern, innerhalb einer zu bestimmenden Frist beim [EUIPO] die Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit zu beantragen. Wird der Antrag nicht innerhalb der Frist gestellt, wird das Verfahren fortgesetzt; die Widerklage gilt als zurückgenommen. Die Vorschriften des Artikels 132 Absatz 3 sind anzuwenden.“

 

13        Art. 129 („Anwendbares Recht“) dieser Verordnung bestimmt:

„(1)       Die Unionsmarkengerichte wenden die Vorschriften dieser Verordnung an.

(2)        In allen Markenfragen, die nicht durch diese Verordnung erfasst werden, wendet das betreffende Unionsmarkengericht das geltende nationale Recht an.

(3)        Soweit in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, wendet das Unionsmarkengericht die Verfahrensvorschriften an, die in dem Mitgliedstaat, in dem es seinen Sitz hat, auf gleichartige Verfahren betreffend nationale Marken anwendbar sind.“

 

14        Art. 132 („Besondere Vorschriften über im Zusammenhang stehende Verfahren“) Abs. 1 dieser Verordnung bestimmt:

„Ist vor einem Unionsmarkengericht eine Klage im Sinne des Artikels 124 – mit Ausnahme einer Klage auf Feststellung der Nichtverletzung – erhoben worden, so setzt es das Verfahren, soweit keine besonderen Gründe für dessen Fortsetzung bestehen, von Amts wegen nach Anhörung der Parteien oder auf Antrag einer Partei nach Anhörung der anderen Parteien aus, wenn die Rechtsgültigkeit der Unionsmarke bereits vor einem anderen Unionsmarkengericht im Wege der Widerklage angefochten worden ist oder wenn beim [EUIPO] bereits ein Antrag auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit gestellt worden ist.“

 

Polnisches Recht

15        Art. 204 der Ustawa – Kodeks postępowania cywilnego (Gesetz über die Zivilprozessordnung) vom 17. November 1964 (Dz. U. 1964, Nr. 43, Pos. 296) in ihrer auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: Zivilprozessordnung) bestimmt:

„§ 1.     Eine Widerklage ist zulässig, wenn der Gegenanspruch im Zusammenhang mit dem Anspruch des Klägers steht oder aufrechnungsfähig ist. Die Widerklage muss spätestens mit der Klageerwiderung erhoben werden und falls keine Erwiderung erfolgt ist, mit dem Einspruch gegen das Versäumnisurteil oder bei Eröffnung der ersten Sitzung, über die benachrichtigt oder zu der geladen wurde.

§ 2.      Die Widerklage wird beim Gericht der Hauptklage erhoben. Ist für die Widerklage jedoch ein Regionalgericht zuständig, während das Verfahren vor einem Rayongericht eingeleitet wurde, verweist dieses Gericht das gesamte Verfahren an das für die Widerklage zuständige Gericht.

§ 3.      Die Vorschriften über die Klage gelten entsprechend für die Widerklage.“

 

16        Art. 479122 der Zivilprozessordnung wurde in diese eingefügt durch die Ustawa o zmianie ustawy – Kodeks postępowania cywilnego oraz niektórych innych ustaw (Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Zivilprozessordnung und bestimmter anderer Gesetze) vom 13. Februar 2020 (Dz. U. 2020, Pos. 288), die am 1. Juli 2020 in Kraft getreten ist. Dieser Artikel sieht vor:

„§ 1.     Eine Widerklage in Verfahren wegen einer Verletzung eines Rechts an einer Marke oder einem Geschmacksmuster ist zulässig, wenn sie auf die Nichtigerklärung oder die Feststellung des Erlöschens des Schutzrechts an der Marke oder die Nichtigerklärung des Rechts aus der Eintragung des Geschmacksmusters gerichtet ist. Art. 204 findet entsprechende Anwendung.

§ 2.      § 1 findet entsprechende Anwendung auf den Antrag auf Nichtigerklärung oder Feststellung des Erlöschens eines Schutzrechts an einer Kollektivmarke, eines gemeinsamen Schutzrechts an einer Marke, eines Schutzrechts an einer Garantiemarke, der Anerkennung des Schutzes für eine internationale Marke in der Republik Polen sowie den Antrag auf Aberkennung des Schutzes für ein internationales Geschmacksmuster in der Republik Polen.“

 

17        Art. 22 Abs. 2 dieses Gesetzes sah jedoch Folgendes vor:

„In Verfahren, die vor dem Inkrafttreten des vorliegenden Gesetzes in der betreffenden Instanz bzw. vor dem Sąd Najwyższy [(Oberstes Gericht)] eingeleitet und nicht beendet wurden und die nach den Verfahrensvorschriften über Rechtsstreitigkeiten auf dem Gebiet des geistigen Eigentums zu entscheiden gewesen wären, finden die Bestimmungen über dieses Verfahren keine Anwendung. Für die Entscheidung über den Rechtsstreit bleibt das nach den bisherigen Vorschriften zuständige Gericht zuständig.“

 

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

18        LM ist Inhaber der Unionswortmarke Multiselect (im Folgenden: angegriffene Marke), die am 5. Juni 2018 für Waren und Dienstleistungen der Klassen 9, 41 und 42 des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung eingetragen wurde. Zu diesen Waren und Dienstleistungen gehören u. a. Berufsberatung, Bildungsberatung, das Installieren von Computerprogrammen und die Wartung von Computersoftware oder die Herausgabe von Texten und das Online-Bereitstellen von elektronischen Publikationen.

 

19        KP bietet seit 2009 im Rahmen der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit sowohl in gedruckter als auch digitaler Form einen Ratgeber für Bewerber für den Polizeidienst an, um sie für die von der angegriffenen Marke erfassten psychologischen Tests vorzubereiten, die eine der Stufen dieses Bewerbungsverfahrens darstellen. KP wirbt auf verschiedenen Websites für seinen Ratgeber.

 

20        Am 26. Februar 2020 erhob LM beim Sąd Okręgowy w Warszawie (Regionalgericht Warschau, Polen), dem vorlegenden Gericht, eine Klage wegen Verletzung der angegriffenen Marke und beantragte, KP aufzugeben, es zu unterlassen, Waren und Dienstleistungen, die er anbiete, mit dieser Marke zu kennzeichnen, und die Kennzeichnung jedweder Art mit dieser Marke zu unterlassen, die im Zusammenhang mit dem Inverkehrbringen dieser Waren und Dienstleistungen stehe.

 

21        Im Rahmen dieses Verfahrens erhob KP am 30. Juli 2020 gemäß Art. 59 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 Buchst. b bis d und Abs. 2 der Verordnung 2017/1001 Widerklage auf Erklärung der Nichtigkeit der angegriffenen Marke für einen Teil der Waren und Dienstleistungen, für die sie eingetragen worden war.

 

22        Mit Urteil vom 7. Oktober 2021 wies das vorlegende Gericht die Verletzungsklage im Ganzen ab.

 

23        In Bezug auf die Widerklage fragt sich das vorlegende Gericht, inwieweit es über die Widerklage zu befinden hat, wenn ihr Gegenstand, wie im Ausgangsverfahren, über ein „Verteidigungsmittel“ gegen die Verletzungsklage hinausgeht.

 

24        Während sich nämlich im vorliegenden Fall die Klageforderung im Hauptverfahren nur auf die Dienstleistungen und Waren bezogen habe, die KP in den Verkehr gebracht habe, sei der Umfang der Widerklage erheblich größer, da KP die Nichtigkeit der angegriffenen Marke nicht nur hinsichtlich der von der Hauptklage erfassten Waren und Dienstleistungen, sondern auch in Bezug auf andere Waren und Dienstleistungen geltend mache.

 

25        Das vorlegende Gericht stellt sich daher die Frage, ob jeder Antrag auf Nichtigerklärung der angegriffenen Marke unabhängig davon, ob ein tatsächlicher Zusammenhang mit dem Verletzungsverfahren besteht, unter den Begriff „Widerklage auf Erklärung der Nichtigkeit“ im Sinne von Art. 124 Buchst. d und Art. 128 Abs. 1 der Verordnung 2017/1001 fällt oder ob dieser Begriff dahin auszulegen ist, dass er nur Anträge erfasst, die einen „tatsächlichen Zusammenhang“ mit dem Verletzungsverfahren aufweisen, d. h. solche, die sich in den „durch die Verletzungsklage abgesteckten Rahmen“ einfügen.

 

26        Ließe man zu, dass eine Widerklage keinen „tatsächlichen Zusammenhang“ mit dem Verletzungsverfahren aufzuweisen brauche, bestünde nach Ansicht des vorlegenden Gerichts die Gefahr, dass das Hauptverfahren hinter die Widerklage „zurückträte“ und die Widerklage ihre Eigenschaft als Mittel der Verteidigung gegen die Forderungen, die mit der Hauptklage geltend gemacht würden, einbüßen würde. Das vorlegende Gericht zieht eine Auslegung des Begriffs „Widerklage“ in dem Sinne vor, dass dieser nur diejenigen Forderungen umfassen kann, die in einem tatsächlichen Zusammenhang mit dem Verletzungsverfahren stehen, einem Zusammenhang, der weder „durch den Inhalt des Rechts an der [angegriffenen Marke] noch durch den Umfang der Tätigkeit, die der Beklagte betreibt, sondern durch den Inhalt des Klagebegehrens im [Verletzungsverfahren] bestimmt [wird]“.

 

27        Dafür sprächen zum einen der Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten und Art. 129 Abs. 3 der Verordnung 2017/1001 sowie zum anderen die Vorschriften über die Zuständigkeit des EUIPO und der Unionsmarkengerichte, aus denen sich ergebe, dass die Zuständigkeit der Unionsmarkengerichte eine Ausnahme in Bezug auf die Nichtigerklärung einer Unionsmarke darstelle.

 

28        Schließlich erläutert das vorlegende Gericht, dass das polnische Recht zum Zeitpunkt der Erhebung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verletzungsklage nicht die Möglichkeit für Beklagte in Verletzungsverfahren, die von Inhabern von in Polen eingetragenen Marken angestrengt worden seien, vorgesehen habe, eine Widerklage auf Erklärung der Nichtigkeit zu erheben, da Art. 479122 der Zivilprozessordnung in der Fassung des Gesetzes vom 13. Februar 2020 zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Kraft getreten sei. Das Gericht hat daher Zweifel, ob diese Bestimmungen für die Zwecke des Ausgangsverfahrens als „Verfahrensvorschriften …, die … auf gleichartige Verfahren betreffend nationale Marken anwendbar sind“, im Sinne von Art. 129 Abs. 3 der Verordnung 2017/1001 angesehen werden können.

 

29        Unter diesen Umständen hat der Sąd Okręgowy w Warszawie (Regionalgericht Warschau) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

 

1.         Ist Art. 124 Buchst. d in Verbindung mit Art. 128 Abs. 1 der Verordnung 2017/1001 dahin auszulegen, dass der in diesen Bestimmungen verwendete Ausdruck „Widerklage auf Erklärung der Nichtigkeit“ den Antrag auf Nichtigerklärung nur insoweit erfasst, als er im Zusammenhang mit der Forderung des Klägers wegen der Verletzung einer Unionsmarke steht, was zur Folge hat, dass das nationale Gericht über Widerklagen auf Erklärung der Nichtigkeit nicht entscheiden muss, soweit sie darüber hinaus gehen und nicht im Zusammenhang mit der Forderung des Klägers wegen der Verletzung stehen?

 

2.         Ist Art. 129 Abs. 3 der Verordnung 2017/1001 dahin auszulegen, dass die angeführte Bestimmung – die „Verfahrensvorschriften …, die … auf gleichartige Verfahren betreffend nationale Marken anwendbar sind“, zum Gegenstand hat – sich auf nationale Verfahrensvorschriften bezieht, die in dem konkreten Verfahren wegen der Verletzung eines Rechts an einer Unionsmarke (sowie im Widerklageverfahren auf Nichtigerklärung) Anwendung fänden, oder bezieht sie sich allgemein auf die nationalen Verfahrensvorschriften in der Rechtsordnung des Mitgliedstaats, wobei diese Frage dann bedeutsam wird, wenn es zum Zeitpunkt der Einleitung des konkreten Verfahrens wegen einer Verletzung eines Rechts an einer Unionsmarke in der nationalen Rechtsordnung des Mitgliedstaats keine Verfahrensvorschriften über eine Widerklage auf Erklärung der Nichtigkeit einer Marke, die sich auf nationale Marken beziehen, gab?

 

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

30        Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 124 Buchst. d in Verbindung mit Art. 128 Abs. 1 der Verordnung 2017/1001 dahin auszulegen ist, dass eine Widerklage auf Erklärung der Nichtigkeit einer Unionsmarke sämtliche Rechte betreffen kann, die der Inhaber dieser Marke aus ihrer Eintragung ableitet, ohne dass diese Widerklage in ihrem Gegenstand durch den Rahmen begrenzt wird, der durch die Verletzungsklage abgesteckt wird.

 

31        Mangels einer Definition des Begriffs „Widerklage“ in der Verordnung 2017/1001 ist festzustellen, dass darunter grundsätzlich eine Gegenklage zu verstehen ist, die der Beklagte in einem vom Kläger gegen ihn betriebenen Verfahren vor demselben Gericht erhebt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Oktober 2022, Gemeinde Bodman-Ludwigshafen, C‑256/21, EU:C:2022:786, Rn. 36).

 

32        Insoweit geht aus der Rechtsprechung hervor, dass eine Widerklage nicht mit einem bloßen Verteidigungsmittel zu verwechseln ist. Obwohl sie im Rahmen eines mittels eines anderen Rechtsbehelfs eingeleiteten Verfahrens eingelegt wird, handelt es sich bei ihr um einen gesonderten und eigenständigen Antrag, dessen prozessuale Behandlung von der Klage unabhängig ist und der somit auch dann weiterverfolgt werden kann, wenn die Klage des Klägers abgewiesen wird (Urteil vom 13. Oktober 2022, Gemeinde Bodman-Ludwigshafen, C‑256/21, EU:C:2022:786, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

33        Somit ist der Begriff „Widerklage“ im Sinne der Verordnung 2017/1001 zwar als Rechtsbehelf zu verstehen, der die Erhebung einer Verletzungsklage voraussetzt und daher mit dieser in Zusammenhang steht, doch zielt dieser Rechtsbehelf darauf ab, den Streitgegenstand zu erweitern und die Anerkennung eines von der Klage gesonderten und selbständigen Anspruchs zu erreichen, insbesondere um die betreffende Marke für nichtig erklären zu lassen (Urteil vom 13. Oktober 2022, Gemeinde Bodman-Ludwigshafen, C‑256/21, EU:C:2022:786, Rn. 39).

 

34        Daher erlangt die Widerklage dadurch, dass sie die Erweiterung des Streitgegenstands impliziert, trotz ihres Zusammenhangs mit der Klage Eigenständigkeit. Die Widerklage unterscheidet sich mithin von einem bloßen Verteidigungsmittel, und ihr Schicksal hängt nicht von demjenigen der Verletzungsklage ab, aus deren Anlass sie erhoben wurde (Urteil vom 13. Oktober 2022, Gemeinde Bodman-Ludwigshafen, C‑256/21, EU:C:2022:786, Rn. 40).

 

35        In Anbetracht des eigenständigen Charakters der in Art. 128 der Verordnung 2017/1001 vorgesehenen Widerklage kann ihr Gegenstand somit nicht durch den Inhalt des Verletzungsverfahrens, in dessen Rahmen die Widerklage erhoben wird, begrenzt werden.

 

36        Diese Schlussfolgerung wird erstens durch die Bestimmungen dieser Verordnung über die Nichtigkeitsgründe untermauert, die zur Stützung einer gemäß Art. 128 der Verordnung erhobenen Widerklage auf Erklärung der Nichtigkeit geltend gemacht werden können.

 

37        Zwar unterscheidet sich die Widerklage von einem beim EUIPO gestellten Antrag auf Nichtigerklärung aus der Sicht der Personen, die die Widerklage erheben und den Antrag stellen können. Nach Art. 63 Abs. 1 dieser Verordnung kann nämlich in den Fällen der Art. 58 und 59 der Verordnung ein Antrag auf Erklärung der Nichtigkeit „von jeder natürlichen oder juristischen Person“ sowie jedem Interessenverband von Herstellern, Erzeugern, Dienstleistungsunternehmen, Händlern oder Verbrauchern, der nach dem für ihn maßgebenden Recht prozessfähig ist, gestellt werden. Dagegen ist die einzige natürliche oder juristische Person, die eine Widerklage im Sinne von Art. 128 der Verordnung 2017/1001 erheben kann, der Beklagte im Rahmen des betreffenden Verletzungsverfahrens. Diese Beschränkung hinsichtlich der Personen, die eine Widerklage erheben können, bedeutet jedoch keineswegs, dass der Gegenstand dieser Klage beschränkt werden müsste, um nur zu erfassen, was zu den eigenen Interessen des Klägers gehört.

 

38        Insoweit ist daran zu erinnern, dass nach Art. 128 Abs. 1 dieser Verordnung „[d]ie Widerklage auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit … nur auf die in dieser Verordnung geregelten Verfalls- oder Nichtigkeitsgründe gestützt werden [kann]“. Aus dieser Bestimmung ergibt sich, dass eine Widerklage auf Erklärung der Nichtigkeit im Sinne der Verordnung 2017/1001, auch wenn sie nur auf die in dieser Verordnung ausdrücklich genannten Nichtigkeitsgründe gestützt werden kann, gleichwohl auf jeden in der Verordnung vorgesehenen Grund gestützt werden kann.

 

39        Art. 59 („Absolute Nichtigkeitsgründe“) Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 2017/1001 sieht vor, dass eine Unionsmarke auf Antrag beim EUIPO oder auf Widerklage im Verletzungsverfahren für nichtig erklärt wird, „wenn sie entgegen den Vorschriften des Artikels 7 [dieser Verordnung] eingetragen worden ist“. Somit setzt die Verordnung 2017/1001 den beim EUIPO gestellten Antrag auf Nichtigerklärung mit der Widerklage auf Erklärung der Nichtigkeit, die im Rahmen eines vor einem Unionsmarkengericht anhängigen Verletzungsverfahrens erhoben wird, hinsichtlich ihrer Tragweite gleich.

 

40        Zum einen haben nämlich nach der Rechtsprechung die absoluten Eintragungshindernisse den Schutz des ihnen zugrunde liegenden Allgemeininteresses zum Ziel und können daher nicht zwangsläufig an tatsächliche oder potenzielle wirtschaftliche Interessen an der Löschung der angegriffenen Marke gebunden sein (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Februar 2010, Lancôme/HABM, C‑408/08 P, EU:C:2010:92, Rn. 40 und 43).

 

41        Zum anderen ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 7 Abs. 1 der Verordnung 2017/1001, dass einige der unter den Buchst. a bis m dieser Bestimmung genannten Nichtigkeitsgründe, auf die ein Hauptantrag oder eine Widerklage auf Erklärung der Nichtigkeit einer Unionsmarke gestützt werden kann, ihrer Art nach alle von der Eintragung dieser Marke erfassten Waren oder Dienstleistungen betreffen können.

 

42        Dies gilt insbesondere für den unter Buchst. f genannten Nichtigkeitsgrund, der „Marken, die gegen die öffentliche Ordnung oder gegen die guten Sitten verstoßen“, betrifft, für den unter Buchst. g genannten Nichtigkeitsgrund, der „Marken, die geeignet sind, das Publikum zum Beispiel über die Art, die Beschaffenheit oder die geografische Herkunft der Ware oder Dienstleistung zu täuschen“, betrifft, oder auch für die unter den Buchstaben j, k, l und m genannten Nichtigkeitsgründe, die sich auf den Schutz von Ursprungsbezeichnungen und geografischen Angaben, traditionellen Bezeichnungen für Weine, garantiert traditionellen Spezialitäten und Sortenschutzrechten beziehen.

 

43        Ebenso kann der in Art. 59 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 genannte absolute Nichtigkeitsgrund, nämlich die Bösgläubigkeit des Anmelders bei der Anmeldung der Marke, sämtliche Rechte betreffen, die der Inhaber einer Unionsmarke aus deren Eintragung ableitet.

 

44        Es wäre aber mit dem Grundsatz der Prozessökonomie, der eines der mit der Widerklage verfolgten Ziele ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Oktober 2022, Gemeinde Bodman-Ludwigshafen, C‑256/21, EU:C:2022:786, Rn. 56), unvereinbar, davon auszugehen, dass eine solche auf einen der in den Rn. 42 und 43 des vorliegenden Urteils genannten Nichtigkeitsgründe gestützte Widerklage nur zur teilweisen Nichtigerklärung der Marke führen kann, auf die sich das betreffende Verletzungsverfahren stützt.

 

45        Art. 59 Abs. 3 dieser Verordnung, wonach eine Unionsmarke nur für den Teil der Waren oder Dienstleistungen für nichtig erklärt werden kann, für den der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund vorliegt, stellt nämlich die einzige Beschränkung dar, die in dieser Verordnung hinsichtlich der Tragweite eines Antrags auf Nichtigerklärung und der Entscheidung über diesen – und damit über eine Widerklage auf Erklärung der Nichtigkeit – vorgesehen ist.

 

46        Daraus folgt, dass sich eine gemäß Art. 128 der Verordnung 2017/1001 erhobene Widerklage auf Erklärung der Nichtigkeit einer Unionsmarke ihrer Natur nach auf sämtliche Rechte beziehen kann, die der Inhaber dieser Marke aus ihrer Eintragung ableitet.

 

47        Zweitens bestätigen die Regeln, die für die Wirkungen einer Widerklage gelten, die Schlussfolgerung in Rn. 35 des vorliegenden Urteils, da diese Wirkungen dieselben sind wie diejenigen, die einer am Ende eines beim EUIPO eingeleiteten Verfahrens ausgesprochenen Verfalls- oder Nichtigerklärung einer Unionsmarke vorbehalten sind.

 

48        Wie aus dem 32. Erwägungsgrund der Verordnung 2017/1001 hervorgeht, haben die Entscheidungen über die Gültigkeit einer Unionsmarke sowohl dann, wenn sie vom EUIPO stammen, als auch dann, wenn sie auf eine vor einem Unionsmarkengericht erhobene Widerklage hin erlassen werden, in der gesamten Union Wirkung erga omnes (Urteil vom 13. Oktober 2022, Gemeinde Bodman-Ludwigshafen, C‑256/21, EU:C:2022:786, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

49        Diese Wirkung erga omnes wird in Art. 128 Abs. 6 dieser Verordnung bestätigt, wonach ein Unionsmarkengericht eine Ausfertigung der unanfechtbar gewordenen Entscheidung über eine Widerklage auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit einer Unionsmarke dem EUIPO zuzustellen hat, das diese Entscheidung im Register eintragen und die erforderlichen Maßnahmen zur Umsetzung des Tenors der Entscheidung treffen muss (Urteil vom 13. Oktober 2022, Gemeinde Bodman-Ludwigshafen, C‑256/21, EU:C:2022:786, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

50        Die vorstehenden Erwägungen können schließlich nicht durch das mit dieser Verordnung eingeführte System der Zuständigkeitsverteilung zwischen dem EUIPO und den Unionsmarkengerichten in Frage gestellt werden.

 

51        Zwar behält die Verordnung 2017/1001 dem EUIPO eine Alleinzuständigkeit für die Gewährung oder Ablehnung der Eintragung von Unionsmarken vor. Dies gilt jedoch nicht für die Gültigkeit solcher Marken. Zwar stellt diese Verordnung den Grundsatz der Zentralisierung der Bearbeitung von Anträgen auf Erklärung der Nichtigkeit und des Verfalls beim EUIPO auf; dieser Grundsatz gilt jedoch nicht uneingeschränkt, da die Zuständigkeit für die Erklärung der Nichtigkeit oder des Verfalls einer Unionsmarke gemäß den Art. 63 und 124 dieser Verordnung den von den Mitgliedstaaten nach Art. 123 Abs. 1 dieser Verordnung benannten Unionsmarkengerichten und dem EUIPO gemeinsam übertragen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Oktober 2022, Gemeinde Bodman-Ludwigshafen, C‑256/21, EU:C:2022:786, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

52        Die diesen Gerichten so übertragene Zuständigkeit stellt die unmittelbare Anwendung einer in der Verordnung 2017/1001 vorgesehenen Zuständigkeitsregel dar und kann nicht als „Ausnahme“ von der Zuständigkeit des EUIPO in diesem Bereich angesehen werden (Urteil vom 13. Oktober 2022, Gemeinde Bodman-Ludwigshafen, C‑256/21, EU:C:2022:786, Rn. 43).

 

53        Außerdem werden die fraglichen Zuständigkeiten nach dem Grundsatz der Priorität der mit der Sache befassten Instanz ausgeübt. Nach Art. 132 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 dieser Verordnung und „[s]oweit keine besonderen Gründe für [die] Fortsetzung [des Verfahrens] bestehen“, liegt nämlich die Zuständigkeit bei der Instanz, die als Erste mit einem Rechtsstreit über die Gültigkeit einer Unionsmarke befasst wird (Urteil vom 13. Oktober 2022, Gemeinde Bodman-Ludwigshafen, C‑256/21, EU:C:2022:786, Rn. 44).

 

54        Somit ist in Anbetracht des in den Rn. 51 bis 53 des vorliegenden Urteils beschriebenen Systems der Zuständigkeitsverteilung festzustellen, dass im Rahmen der Regelung, die durch diese Verordnung, die gemäß ihrem vierten Erwägungsgrund und ihrem Art. 1 Abs. 2 die Einheitlichkeit der Unionsmarke festschreibt, geschaffen wurde, der Unionsgesetzgeber genau wie dem EUIPO auch den Unionsmarkengerichten im Rahmen ihrer Entscheidungen über Widerklagen eine Zuständigkeit für die Prüfung der Gültigkeit von Unionsmarken übertragen wollte (Urteil vom 13. Oktober 2022, Gemeinde Bodman-Ludwigshafen, C‑256/21, EU:C:2022:786, Rn. 47).

 

55        Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 124 Buchst. d in Verbindung mit Art. 128 Abs. 1 der Verordnung 2017/1001 dahin auszulegen ist, dass eine Widerklage auf Erklärung der Nichtigkeit einer Unionsmarke sämtliche Rechte betreffen kann, die der Inhaber dieser Marke aus ihrer Eintragung ableitet, ohne dass die Widerklage in ihrem Gegenstand durch den Rahmen begrenzt wird, der durch die Verletzungsklage abgesteckt wird.

 

Zur zweiten Frage

56        Mit der Europäischen Kommission ist festzustellen, dass die zweite Frage sich auf die Prämisse stützt, dass die Frage der Tragweite einer Widerklage wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht unter das Unionsrecht fällt. So möchte das vorlegende Gericht in Ermangelung spezifischer nationaler Vorschriften für Widerklagen auf Erklärung der Nichtigkeit nationaler Marken wissen, ob unter „Verfahrensvorschriften [im Sinne von Art. 129 Abs. 3 der Verordnung 2017/1001], die … auf gleichartige Verfahren … anwendbar sind“, allgemein anwendbare nationale Verfahrensvorschriften verstanden werden können, die die Tragweite von Widerklagen bei anderen Arten von Streitsachen präzisieren.

 

57        In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage ist die zweite Frage jedoch nicht zu beantworten.

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