BGH: Vergütungseinforderung eines RA auch nach Ausscheiden aus Anwaltschaft
BGH, Versäumnisurteil vom 16.2.2023 – IX ZR 189/21
ECLI:DE:BGH:2023:160223UIXZR189.21.0
Volltext: BB-Online BBL2023-898-1
unter www.betriebs-berater.de
Amtlicher Leitsatz
Ein Rechtsanwalt ist auch nach seinem Ausscheiden aus der Anwaltschaft berechtigt und verpflichtet, zur Einforderung seiner Vergütung außerhalb eines Kostenfestsetzungsverfahrens entsprechende Berechnungen zu unterzeichnen und den Auftraggebern mitzuteilen, wenn ein Abwickler nicht bestellt oder der bestellte Abwickler insoweit nicht tätig geworden ist (Fortführung von BGH, Urteil vom 6. Mai 2004 – IX ZR 85/03, WM 2004, 2222, 2223).
RVG § 10 Abs. 1 Satz 1
Sachverhalt
Der Beklagte ist ein Gesellschafter der L. GbR (im Folgenden: L. GbR), welche den Kläger im Jahr 2013 mit Rechtsanwaltsleistungen beauftragt hatte. Der seit dem 9. Juni 2015 nicht mehr als Rechtsanwalt zugelassene Kläger erstellte für seine der L. GbR erbrachten Leistungen am 28. Dezember 2015 zwei Rechnungen und am 27. Dezember 2016 weitere 17 Rechnungen. Den Unterschriften des Klägers auf den Rechnungen vom 28. Dezember 2015 ist anders als auf den Rechnungen vom 27. Dezember 2016 maschinenschriftlich der Zusatz "Rechtsanwalt" angefügt.
Der Kläger hat am 31. Dezember 2015 Mahnbescheide bezüglich der Rechnungen aus dem Jahr 2015 allein gegen die L. GbR und am 31. Dezember 2016 bezüglich der übrigen Rechnungen beantragt und die L. GbR sowie gesamtschuldnerisch unter anderem den Beklagten in Anspruch genommen. Das Amtsgericht hat die Mahnbescheide erlassen und der L. GbR zugestellt.
Der Kläger verlangt mit seiner Klage die der L. GbR in Rechnung gestellten Honorare und Auslagen in Höhe von insgesamt 95.406,89 €. Die Klage hat in den Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Forderungen weiter.
Aus den Gründen
4 Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die Entscheidung hat infolge der Säumnis des Beklagten durch Versäumnisurteil zu ergehen, beruht aber inhaltlich auf einer Sachprüfung (vgl. BGH, Urteil vom 4. April 1962 - V ZR 110/60, BGHZ 37, 79, 81 f).
I.
5 Das Berufungsgericht hat unter Bezugnahme auf seinen Hinweisbeschluss angenommen, dem Kläger stehe der geltend gemachte Honoraranspruch gegen den Beklagten nicht zu, weil er seiner Mandantschaft keine ordnungsgemäße Abrechnung der Vergütung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 RVG vorgelegt habe und damit die streitigen Vergütungsansprüche schon nicht einforderbar seien. Die mit der Unterzeichnung der Gebührenrechnungen bezweckte Übernahme der strafrechtlichen, zivilrechtlichen und standesrechtlichen Verantwortung erfordere es, dass der Unterzeichner zur Rechtsanwaltschaft zugelassen sei. Infolge der Beendigung seiner Zulassung sei der Kläger nicht mehr zur wirksamen Unterzeichnung der hier interessierenden Gebührenrechnungen als Rechtsanwalt in der Lage gewesen.
II.
6 Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten rechtlicher Prüfung nicht stand.
7 1. Der Senat hat zu § 18 Abs. 1 Satz 1 BRAGO entschieden, dass der ehemalige Rechtsanwalt als Gläubiger seiner Vergütungsansprüche auch nach dem Ausscheiden aus der Anwaltschaft berechtigt und verpflichtet ist, zur Einforderung dieser Ansprüche außerhalb eines Kostenfestsetzungsverfahrens entsprechende Berechnungen zu unterzeichnen und den Auftraggebern mitzuteilen, wenn der bestellte Abwickler insoweit nicht tätig geworden ist (BGH, Urteil vom 6. Mai 2004 - IX ZR 85/03, WM 2004, 2222, 2223; ebenso Bischof in Bischof/Jungbauer/Bräuer/Hellstab/Klipstein/Klüsener/Kerber, RVG, 9. Aufl., § 10 Rn. 17; Mayer/Kroiß, RVG, 8. Aufl., § 10 Rn. 10; Toussaint, Kostenrecht, 52. Aufl., § 10 RVG Rn. 11; Weyland/Nöker, BRAO, 10. Aufl., § 55 Rn. 45b; Vill/D. Fischer in Handbuch der Anwaltshaftung, 5. Aufl., § 2 Rn. 418). Ob vorliegend überhaupt ein Abwickler bestellt worden war, haben die Vorinstanzen nicht festgestellt, allerdings ist in Bezug auf die hier eingeforderten Gebühren allein der Kläger tätig geworden.
8 2. An dieser Rechtslage hat sich durch Inkrafttreten des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes gemäß Art. 3, 8 Satz 1 des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts vom 5. Mai 2004 (Kostenrechtsmodernisierungsgesetz, BGBl. I S. 718) nichts geändert; denn § 10 Abs. 1 Satz 1 RVG stimmt mit § 18 Abs. 1 Satz 1 BRAGO wörtlich überein. Auch die Gesetzesmaterialien zu § 10 RVG halten fest, dass die Vorschrift über die Form der Rechnung § 18 BRAGO entspricht (BT-Drucks. 15/1971, S. 188). Schließlich ist kein sachlicher Grund ersichtlich, einem ehemaligen Rechtsanwalt die Geltendmachung seiner Gebühren in formaler Sicht dadurch zu erschweren, dass allein für die Unterzeichnung der Berechnung ein Abwickler bestellt oder sonstwie ein zugelassener Rechtsanwalt beauftragt werden müsste.
9 3. Die Erwägungen des Berufungsgerichts zur Funktion der Unterzeichnung greifen zu kurz. Die standesrechtliche Verantwortung scheidet aus, wenn der Vergütungsgläubiger nicht mehr Rechtsanwalt ist. Die strafrechtliche Verantwortlichkeit eines ehemals anwaltlichen Vergütungsgläubigers endet nicht damit, dass er nicht mehr nach dem leichteren Amtsdelikt des § 352 StGB (zur Privilegierung vgl. BGH, Urteil vom 6. September 2006 - 5 StR 64/06, NJW 2006, 3219, 3221 Rn. 18) zu bestrafen ist, sondern allgemeine Straftatbestände, insbesondere derjenige des Betruges (§ 263 StGB), eingreifen können. Zivilrechtlich bleibt der Beauftragte aus dem Anwaltsdienstvertrag nachwirkend verpflichtet, obwohl seine Zulassung zur Anwaltschaft erloschen ist. Das gilt gerade auch für die richtige und billige Einforderung noch offener Vergütungen und die dazu gehörige Mitteilung der Berechnung (BGH, Urteil vom 6. Mai 2004, aaO).
III.
10 Der angefochtene Beschluss erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO). Das Berufungsgericht hat - vor dem Hintergrund der von ihm vertretenen Rechtsauffassung folgerichtig - die vom Landgericht bejahte Frage der Verjährung (§ 214 Abs. 1 BGB) offen gelassen. Auf der Grundlage des revisionsrechtlich zu unterstellenden Sachvortrags des Klägers ist keine Verjährung eingetreten.
11 1. Das Landgericht hat außer Acht gelassen, dass § 129 Abs. 1 HGB sinngemäß für die Gesellschaft bürgerlichen Rechts gilt (BGH, Urteil vom 22. März 2011 - II ZR 249/09, WM 2011, 1036 Rn. 9 mwN). Nimmt ein Gläubiger - hier der Kläger - wegen einer Verbindlichkeit der Gesellschaft einen Gesellschafter - hier den Beklagten - entsprechend § 128 HGB in Anspruch, so kann dieser Einwendungen und Einreden gegen die Gesellschaftsschuld nicht mehr erheben, wenn sie der Gesellschaft nicht mehr zustehen. Insbesondere wirkt eine Hemmung der Verjährung der Gesellschaftsschuld zu Lasten des Gesellschafters (BGH, Urteil vom 12. September 2019 - IX ZR 262/18, WM 2019, 2019, 2021 Rn. 34 mwN).
12 2. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts liegen der Klage behauptete anwaltliche Tätigkeiten in der zweiten Hälfte des Jahres 2013 zugrunde, für welche die Vergütungsansprüche laut den Feststellungen des Landgerichts noch im selben Jahr fällig im Sinne von § 8 Abs. 1 RVG wurden, so dass die Verjährungsfrist von drei Jahren ohne Rücksicht auf die Mitteilung der Berechnung (§ 10 Abs. 1 Satz 2 RVG) gemäß §§ 195, 199 BGB mit dem Schluss des Jahres 2013 begann und mit Ablauf des 31. Dezember 2016 vollendet gewesen wäre. Die am 31. Dezember 2015 hinsichtlich der Rechnungen aus dem Jahr 2015 und am 31. Dezember 2016 auch bezüglich der übrigen Rechnungen eingegangenen Mahnanträge des Klägers gegen die L. GbR haben die Verjährung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB rechtzeitig gehemmt, da die Zustellungen an die L. GbR am 9. Januar 2016 und am 7. Januar 2017 und damit demnächst im Sinne von § 167 ZPO erfolgt sind.
13 3. Da es insoweit an Feststellungen der Vorinstanzen fehlt, ist revisionsrechtlich auf Grund des Vorbringens des Klägers in der Berufungsbegründung zu unterstellen, dass das Mahngericht den Kläger am 22. Januar 2016 von der Zustellung in Bezug auf die Rechnungen aus dem Jahr 2015 in Kenntnis gesetzt hat, die Verjährung damit gemäß § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB bis zum Ablauf des 22. Juli 2016 gehemmt geblieben und bis zum 22. Juli 2017 weitergelaufen ist. Durch die gemäß § 167 ZPO auf den Zeitpunkt der Einreichung des Antrags am 10. Juli 2017 zurückwirkende Zustellung des weiteren Mahnbescheids gegen den Beklagten am 22. Juli 2017 ist die Verjährung gegenüber dem Beklagten rechtzeitig erneut gehemmt worden. Im Übrigen ist zu beachten, dass der Schuldner die Beweislast dafür trägt, dass die eingetretene Hemmung infolge Verfahrensstillstandes beendet worden ist (MünchKomm-BGB/Grothe, 9. Aufl., § 204 Rn. 88; Grüneberg/Ellenberger, BGB, 82. Aufl., § 204 Rn. 55; vgl. auch BGH, Urteil vom 22. Juli 2010 - VII ZR 77/08, NJW-RR 2010, 1604, 1608 Rn. 28). Ein Schriftsatz des Beklagten ist indessen im Berufungsverfahren nicht zu den Akten gelangt.
14 4. Ebenso ist hinsichtlich des die Rechnungen aus dem Jahr 2016 betreffenden Mahnantrags vom 31. Dezember 2016 in der Revisionsinstanz zu unterstellen, dass die Verjährung infolge des Eingangs der Zustellungsnachricht beim Kläger am 19. Januar 2017 gemäß § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB bis zum Ablauf des 19. Juli 2017 gehemmt war und noch innerhalb dieser Frist die auf den 10. Juli 2017 zurückwirkende Zustellung an den Beklagten als zweiten Antragsgegner am 18. Juli 2017 bewirkt worden war.
IV.
15 Der angefochtene Beschluss ist danach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO). Sollte auf Grund der im wiedereröffneten zweiten Rechtszug nachzuholenden Feststellungen keine Verjährung eingetreten sein, wird das Berufungsgericht nunmehr in die weitere Prüfung der Gebührenforderungen des Klägers einzutreten haben.