BGH: Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters
BGH, Beschluss vom 17.10.2019 – IX ZB 5/18
ECLI:DE:BGH:2019:171019BIXZB5.18.0
Volltext: BB-Online BBL2019-2945-5
Amtlicher Leitsatz
Für die Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters gilt § 3 InsVV entsprechend (§ 10 InsVV), auch wenn der Festsetzung die durch das Gesetz vom 15. Juli 2013 (BGBl. I S. 2379) geänderten Normen zugrunde zu legen sind.
InsO § 63 Abs. 3; InsVV §§ 3, 10, 11
Sachverhalt
I.
Die Schuldnerin beantragte am 29. Dezember 2016 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Am 3. Januar 2017 ordnete das Insolvenzgericht die vorläufige Verwaltung des Vermögens der Schuldnerin an und bestellte die weitere Beteiligte zur vorläufigen Insolvenzverwalterin. Diese sicherte im Eröffnungsverfahren die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs der Schuldnerin, die 29 Mitarbeiter beschäftigte und einen Jahresumsatz von etwa 3.000.000 € auswies. Die weitere Beteiligte erreichte die Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes durch ein Kreditinstitut mit Zustimmung der Agentur für Arbeit. Am 28. Februar 2017 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und die weitere Beteiligte zur Insolvenzverwalterin bestellt.
Die weitere Beteiligte hat für ihre Tätigkeit als vorläufige Insolvenzverwalterin die Festsetzung einer Vergütung von 58.440,54 € beantragt. Sie ist ausgegangen von einer Berechnungsgrundlage von 637.904,11 €, einem Ausgangssatz der Vergütung von 25 vom Hundert der Vergütung des Insolvenzverwalters und Zuschlägen von 95 vom Hundert, die sich zusammensetzen aus 35 vom Hundert für die Unternehmensfortführung, 25 vom Hundert für Insolvenzgeldangelegenheiten/Insolvenzgeldvorfinanzierung, 25 vom Hundert für Sanierungsbemühungen und 10 vom Hundert wegen eines obstruktiven Geschäftsführers. Das Insolvenzgericht hat unter Berücksichtigung eines Gesamtzuschlags von 75 vom Hundert den vollen Regelsatz der Vergütung für angemessen gehalten, die Vergütung auf 48.799,62 € festgesetzt und den weitergehenden Antrag zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde der weiteren Beteiligten hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die weitere Beteiligte ihren Vergütungsantrag weiter.
Aus den Gründen
II.
3 Die zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
4 1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, das Insolvenzgericht habe die Vergütung der vorläufigen Insolvenzverwalterin mit Recht auf nicht mehr als 48.799,62 € festgesetzt. Die Vergütung der vorläufigen Verwalterin ergebe sich aus einem Zusammenspiel von § 63 Abs. 3 InsO und § 11 InsVV. Für den vorläufigen Insolvenzverwalter seien keine regelmäßigen Zuschläge über § 3 Abs. 1 InsVV festzusetzen, weil der neu gefasste § 63 Abs. 3 InsO auf die Zuschläge gestattende Regelung des § 63 Abs. 1 InsO nicht Bezug nehme. Erhöhungen durch die Gewährung von Zuschlägen fänden daher nur über eine Variierung des Regelsatzes von 25 vom Hundert statt. Die von der weiteren Beteiligten vorgetragenen Tätigkeiten rechtfertigten keine Erhöhung der Regelvergütung von 25 vom Hundert auf den beantragten Satz von 120 vom Hundert.
5 Die Unternehmensfortführung gehöre nicht zu den Regelaufgaben eines vorläufigen Insolvenzverwalters und könne einen Zuschlag rechtfertigen, wenn der konkrete Aufwand dargelegt sei. Gleichzeitig sei zu prüfen, ob die besondere Tätigkeit nicht schon mittelbar abgegolten sei durch den Überschuss, der aus der Fortführung erzielt wurde. Bei großen Massen ab 500.000 € sei weiterhin zu prüfen, ob entsprechend des degressiven Vergütungssystems der Satz von 25 vom Hundert herabzusetzen sei.
6 Nach diesem Maßstab sei die vom Insolvenzgericht festgesetzte Vergütung nicht zu erhöhen. Den vorgetragenen, durch die Unternehmensfortführung notwendigen Tätigkeiten der weiteren Beteiligten sei durch die hohe Berechnungsgrundlage von 637.904,11 € Rechnung getragen. Dennoch habe das Insolvenzgericht schon für die Unternehmensfortführung einen Zuschlag von 35 vom Hundert gewährt. Zwar erscheine eine Erhöhung des Regelsatzes angemessen. Das Verfahren liege über dem Normalfall, weil der Jahresumsatz über 1.500.000 €, die Zahl der Mitarbeiter über 20 und die Verfahrensdauer über vier bis sechs Wochen liege. Jedoch sei eine noch weitere Erhöhung der Vergütung, als sie das Insolvenzgericht schon zugesprochen habe, nicht angemessen. Die eher geringe Abweichung vom Normalfall rechtfertige keine Steigerung der Vergütung um mehr als 75 vom Hundert. Eine Kürzung der festgesetzten Vergütung komme wegen des Verbots der Schlechterstellung nicht in Betracht.
7 2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand.
8 a) Zwar hat das Beschwerdegericht rechtsfehlerhaft die Vorschrift des § 3 InsVV über Zu- und Abschläge für unanwendbar gehalten. Auf diesem Rechtsfehler beruht die angefochtene Entscheidung aber nicht.
9 aa) Der Senat hat § 3 InsVV stets entsprechend auf den vorläufigen Insolvenzverwalter angewandt (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2003 - IX ZB 50/03, WM 2004, 585, 587; vom 13. April 2006 - IX ZB 158/05, ZIP 2006, 1008 Rn. 7; vom 1. März 2007 - IX ZB 278/05, ZInsO 2007, 370 Rn. 7; vom 12. September 2019 - IX ZB 28/18, WM 2019, 1890 Rn. 22; vom 12. September 2019 - IX ZB 65/18, zVb Rn. 18 ff). Das entspricht der herrschenden Ansicht im Schrifttum (für alle: Prasser/Stoffler in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2013, § 11 InsVV Rn. 55 ff; Schmidt/Vuia, InsO, 19. Aufl., § 63 Rn. 42).
10 Entgegen einer vereinzelt vertretenen Auffassung (Haarmeyer/Mock, InsVV, 5. Aufl., § 11 Rn. 43, 105; vgl. Uhlenbruck/Mock, InsO, 15. Aufl., § 63 Rn. 103), der das Beschwerdegericht gefolgt ist, gilt § 3 InsVV für den vorläufigen Insolvenzverwalter auch weiterhin entsprechend (§ 10 InsVV), nachdem das Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15. Juli 2013 (BGBl. I S. 2379) die Vorschriften des § 11 Abs. 1 Satz 1 bis 3 InsVV aF als § 63 Abs. 3 Satz 1 bis 3 in die Insolvenzordnung übernommen hat. Mit dieser Neuregelung wollte der Gesetzgeber eine Frage klären, welche die Berechnungsgrundlage betrifft (vgl. BGH, Beschluss vom 12. September 2019 - IX ZB 28/18, aaO Rn. 10 ff). Ein Wille des Gesetzgebers, Zu- und Abschläge abweichend von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der herrschenden Lehre neu zu regeln, ist nicht erkennbar.
11 bb) Der Rechtsfehler hat sich auf das Ergebnis der Beschwerdeentscheidung nicht ausgewirkt.
12 § 3 InsVV benennt Regelbeispiele für Zu- und Abschläge. Die weitere Beteiligte hat Umstände angeführt, die geeignet sind, die Regelbeispiele der Unternehmensfortführung (§ 3 Abs. 1 lit. b InsVV) und der Insolvenzgeldangelegenheiten (§ 3 Abs. 1 lit. d InsVV) auszufüllen. Das Beschwerdegericht hat zwar § 3 InsVV für unanwendbar gehalten, ist aber gleichwohl - mit der Rechtsprechung des Senats - davon ausgegangen, dass die Unternehmensfortführung nicht zu den Regelaufgaben eines vorläufigen Insolvenzverwalters gehört und deshalb einen Zuschlag rechtfertigen kann (BGH, Beschluss vom 11. März 2010 - IX ZB 122/08, ZIP 2010, 1909 Rn. 5; vom 12. September 2019 - IX ZB 65/18, zVb Rn. 15). Das gilt auch für die Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes, wenn mehr als 20 Arbeitnehmer betroffen sind (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2007 - IX ZB 120/06, WM 2007, 953 Rn. 9; vom 12. September 2019 - IX ZB 65/18, zVb Rn. 27).
13 Das Beschwerdegericht hat dies nicht außer Acht gelassen. Es hat die durch die Beschwerdeführerin vorgetragenen Tätigkeiten allesamt unter dem Gesichtspunkt der Unternehmensfortführung betrachtet. Zu diesen Tätigkeiten gehörte neben den sonstigen Sanierungsbemühungen auch die Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes, mit der allein sich die Beschwerdebegründung der weiteren Beteiligten beschäftigte. Aus Rechtsgründen ist nicht zu beanstanden, wenn das Beschwerdegericht keinen rechnerisch gesondert ausgewiesenen Zuschlag für die Insolvenzgeldvorfinanzierung und andere Insolvenzgeldangelegenheiten festgesetzt hat. Das Beschwerdegericht hat sich rechtsfehlerfrei entschlossen, diese Umstände im Rahmen der Frage zu prüfen, in welcher Höhe ein Zuschlag für die Unternehmensfortführung gerechtfertigt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 12. September 2019 - IX ZB 65/18, zVb Rn. 16, 18).
14 b) Die Erhöhung des Vergütungssatzes von 25 vom Hundert um einen Gesamtzuschlag von 75 vom Hundert ist rechtsfehlerfrei.
15 aa) Die Bemessung von Zu- und Abschlägen bei der Vergütung des Insolvenzverwalters ist grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters. Es genügt, wenn der Tatrichter die möglichen Zu- und Abschlagstatbestände dem Grunde nach prüft und anschließend in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung von Überschneidungen und einer auf das Ganze bezogenen Angemessenheitsbetrachtung den Gesamtzuschlag oder Gesamtabschlag bestimmt (BGH, Beschluss vom 12. Januar 2006 - IX ZB 127/04, WM 2006, 1492 Rn. 10; vom 12. September 2019 - IX ZB 1/17, zVb Rn. 6). Für die Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters gilt nichts Anderes (vgl. BGH, Beschluss vom 12. September 2019 - IX ZB 65/18, zVb Rn. 17). Der vorläufige Insolvenzverwalter hat wie der Insolvenzverwalter Anspruch, für seine Tätigkeit angemessen vergütet zu werden (§ 63 Abs. 1, Abs. 3 InsO). Die Vergütung ist grundsätzlich in der Weise zu berechnen, dass besondere Umstände, welche die Tätigkeit erleichtern oder erschweren, unmittelbar den für den vorläufigen Insolvenzverwalter maßgeblichen Bruchteil verringern oder erhöhen. Dabei muss das Leistungsbild der entfalteten Verwaltertätigkeit - losgelöst von der Tätigkeit des späteren Verwalters - im Einzelfall gewürdigt und zum Grundsatz einer im Ganzen leistungsangemessenen Vergütung in Beziehung gesetzt werden (BGH, Beschluss vom 5. Juli 2018 - IX ZB 63/17, ZIP 2018, 1553 Rn. 5 f mwN).
16 bb) Die Bemessung von Zu- und Abschlägen ist in der Rechtsbeschwerdeinstanz nur darauf zu überprüfen, ob sie die Gefahr der Verschiebung von Maßstäben mit sich bringt (BGH, Beschluss vom 26. Februar 2015 - IX ZB 34/13, ZInsO 2015, 765 Rn. 6; vom 12. September 2019 - IX ZB 1/17, zVb Rn. 6; vom 12. September 2019 - IX ZB 28/18, WM 2019, 1890 Rn. 17). Diese Gefahr besteht hier nicht.
17 Das Beschwerdegericht ist davon ausgegangen, dass Erhöhungen durch die Gewährung von Zuschlägen nur über eine Variierung des Regelsatzes von 25 vom Hundert stattfinden. Es hat sodann die von der weiteren Beteiligten vorgetragenen Tätigkeiten daraufhin untersucht, ob diese in ihrer Gesamtheit den beantragten Gesamtzuschlag von 95 vom Hundert rechtfertigen. Mit Recht hat das Beschwerdegericht dabei auch berücksichtigt, ob die besondere Tätigkeit schon mittelbar durch den Überschuss abgegolten ist, der aus der Fortführung erzielt wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2003 - IX ZB 50/03, WM 2004, 585, 587 f; vom 24. Januar 2008 - IX ZB 120/07, WM 2008, 488 Rn. 7; vom 12. September 2019 - IX ZB 65/18, zVb Rn. 20 ff).
18 Das Beschwerdegericht hat im Ergebnis die Entscheidung des Insolvenzgerichts bestätigt. Es hat dabei maßgeblich - und rechtlich zutreffend - auf eine Gesamtschau der von der weiteren Beteiligten entfalteten Tätigkeit abgestellt und diese unter Berücksichtigung der Verhältnisse bei der Schuldnerin mit einem Zuschlag von insgesamt 75 vom Hundert für angemessen vergütet erachtet. Eine weitere Steigerung hat es im Hinblick auf die eher geringe Abweichung vom Normalfall nicht für angemessen gehalten.
19 Das enthält - auch im Hinblick auf den von der weiteren Beteiligten mit der Rechtsbeschwerde verfolgten höheren Zuschlag für eine Insolvenzgeldvorfinanzierung - weder eine Maßstabverschiebung noch einen Verstoß gegen deren Anspruch auf rechtliches Gehör.