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Wirtschaftsrecht
14.10.2021
Wirtschaftsrecht
BGH: Vergütung des Insolvenzverwalters in Insolvenzverfahren über das Vermögen juristischer Personen

BGH, Beschluss vom 22.7.2021 – IX ZB 4/21

ECLI:DE:BGH:2021:220721BIXZB4.21.0

Volltext:BB-ONLINE BBL2021-2434-1

Leitsatz

Die Bestimmungen über die Erhöhung der Mindestvergütung entsprechend der Anzahl der Gläubiger, die ihre Forderungen angemeldet haben, sind auf die Vergütung des Insolvenzverwalters in Insolvenzverfahren über das Vermögen einer juristischen Person nicht anwendbar.

InsVV § 2 Abs. 2 Satz 2 und 3

Sachverhalt

I. Die U. GmbH & Co. KG (fortan: Schuldnerin) war eines von mehreren Unternehmen der zuletzt unter der Bezeichnung "C. " agierenden Gruppe, die verschiedene Leistungen im Energiebereich anbot. Am 2. März 2017 beantragte die Schuldnerin die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Das Insolvenzgericht bestellte den weiteren Beteiligten mit Beschluss vom 6. März 2017 zum vorläufigen Insolvenzverwalter. Mit Beschluss vom 15. Oktober 2018 eröffnete das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin und bestellte den weiteren Beteiligten zum Insolvenzverwalter. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens meldeten 55.919 Gläubiger Forderungen zur Insolvenztabelle an.

Der weitere Beteiligte hat mit Schreiben vom 8. August 2019 beantragt, seine Vergütung als vorläufiger Insolvenzverwalter festzusetzen. Er hat geltend gemacht, dass die Vergütung im Hinblick auf bislang eingegangene Forderungsanmeldungen von 55.919 Gläubigern aufgrund von § 2 Abs. 2 InsVV mindestens 1.119.400 € betrage. Zuzüglich einer Auslagenpauschale und Umsatzsteuer hat er beantragt, die Vergütung für seine Tätigkeit als vorläufiger Insolvenzverwalter auf 1.338.036 € festzusetzen.

Das Insolvenzgericht hat den Vergütungsantrag zurückgewiesen. Mit seiner sofortigen Beschwerde hat der weitere Beteiligte einen Gesamtabschlag von 50 % angenommen und seinen Vergütungsantrag in Höhe von 559.700 € zuzüglich Auslagenpauschale und Umsatzsteuer, insgesamt 671.993 € weiterverfolgt. Das Landgericht Einzelrichter hat die Beschwerde zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgt der weitere Beteiligte seinen Vergütungsantrag weiter.

Aus den Gründen

4          II. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

5          1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, eine Festsetzung der Vergütung scheide aus, weil der weitere Beteiligte keine Angaben zur Berechnungsgrundlage gemacht habe. Zwischen § 2 Abs. 1 InsVV und § 2 Abs. 2 InsVV bestehe ein Regel-Ausnahme-Verhältnis. Es sei dem Verordnungsgeber nicht darum gegangen, dem Insolvenzverwalter ein Wahlrecht zwischen Regel- und Mindestvergütung zuzubilligen. § 2 Abs. 2 InsVV ziele darauf, bei der Abwicklung masseloser Kleininsolvenzen dem Insolvenzverwalter eine angemessene Vergütung zu ermöglichen. Sofern bereits die nach § 2 Abs. 1 InsVV ermittelte Staffelvergütung die Mindestvergütung von 1.000 € übersteige, sei allein § 2 Abs. 1 InsVV anwendbar. Die vom vorläufigen Verwalter für eine differenzierte Betrachtung zugrunde gelegten Tätigkeiten beträfen hauptsächlich solche, die erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens anstünden, nicht aber im vorläufigen Insolvenzverfahren.

6          2. Dies hält rechtlicher Überprüfung schon deshalb nicht stand, weil der originäre Einzelrichter entschieden hat.

7          Entscheidet der originäre Einzelrichter - wie hier - in einer Sache, der er rechtsgrundsätzliche Bedeutung beimisst, über die Beschwerde und lässt er die Rechtsbeschwerde zu, so ist die Zulassung wirksam. Auf die Rechtsbeschwerde unterliegt die Entscheidung jedoch wegen der fehlerhaften Besetzung des Beschwerdegerichts der Aufhebung von Amts wegen, weil der Einzelrichter über die Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) nicht selbst entscheiden durfte, sondern das Verfahren gemäß § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO der mit drei Richtern besetzten Kammer hätte übertragen müssen. Dem originären Einzelrichter nach § 568 ZPO ist die Entscheidung von Rechtssachen grundsätzlicher Bedeutung schlechthin versagt (BGH, Beschluss vom 16. Mai 2012 I ZB 65/11, NJW 2012, 3518 Rn. 4 mwN). Bejaht er mit der Zulassungsentscheidung zugleich die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, ist seine Entscheidung objektiv willkürlich und verstößt gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (BGH, Beschluss vom 13. März 2003 IX ZB 134/02, BGHZ 154, 200, 201 ff; vom 28. Juni 2012 IX ZB 298/11, ZInsO 2012, 1439 Rn. 3; vom 20. November 2014 IX ZB 56/13, ZInsO 2015, 108 Rn. 4; vom 16. April 2015 IX ZB 93/12, ZInsO 2015, 1103 Rn. 4; vom 18. Februar 2021 IX ZB 6/20, ZIP 2021, 642 Rn. 4 mwN).

8          3. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:

9          a) Eine Erhöhung der Mindestvergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters wegen der Anzahl der Gläubiger nach § 2 Abs. 2 Satz 2 und 3 InsVV kommt im Streitfall nicht in Betracht. Im Hinblick auf die Vergütung des Insolvenzverwalters in Insolvenzverfahren über das Vermögen juristischer Personen ist eine teleologische Reduktion geboten.

10        aa) § 2 Abs. 2 InsVV enthält zwei Bestimmungen. § 2 Abs. 2 Satz 1 InsVV regelt die unabhängig von einer Mindestzahl von Gläubigern vorgesehene Mindestvergütung. § 2 Abs. 2 Satz 2 und 3 InsVV regeln eine Erhöhung der Mindestvergütung entsprechend der Zahl der Gläubiger, die ihre Forderungen angemeldet haben. Diese Vorschriften dienen in erster Linie dazu, eine Mindestvergütung in masselosen Insolvenzverfahren sicherzustellen (vgl. BGH, Beschluss vom 6. April 2017 IX ZB 48/16, WM 2017, 825 Rn. 15 zu § 2 Abs. 2 Satz 1 InsVV mwN). Sie berücksichtigen zudem fiskalische Interessen, soweit die Staatskasse für die Vergütung des Insolvenzverwalters aufzukommen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 6. April 2017, aaO). Die Mindestvergütung stellt sicher, dass auch in Verfahren mit minimaler Masse die Leistung des Verwalters finanzierbar bleibt (Graf-Schlicker/Steh, InsO, 5. Aufl., § 2 InsVV Rn. 6).

11        Der Verordnungsgeber hatte in erster Linie massearme Verfahren im Blick (Vill, ZInsO 2020, 974, 976; ders., Festschrift Kayser, 2019, S. 1043, 1049). Dies ergibt sich aus der Begründung zur Verordnung (abgedruckt unter anderem in ZIP 2004, 1927 ff). Die vom Verordnungsgeber herangezogenen rechtstatsächlichen Untersuchungen bezogen sich ausschließlich auf masselose Insolvenzverfahren (vgl. Wimmer, ZInsO 2004, 1006, 1007 f). Allerdings hat der Verordnungsgeber die Festlegung einer Mindestvergütung allgemein und nicht nur in Stundungsfällen für geboten gehalten (vgl. ZIP 2004, 1927, 1928). Hierbei hat der Verordnungsgeber Verfahren mit geringer Masse einbezogen und insoweit angenommen, dass die Mindestvergütung festlege, wie werthaltig die Insolvenzmasse sein müsse, damit die Kosten gedeckt seien und somit ein Insolvenzverfahren überhaupt eröffnet werden könne (vgl. ZIP 2004, 1927, 1928). Dabei wollte der Verordnungsgeber verhindern, dass die Höhe der Mindestvergütung in masselosen Verfahren zu Friktionen mit der Vergütung in Verfahren mit geringer Masse führt (vgl. ZIP 2004, 1927, 1928). Der Verordnungsgeber ist dabei davon ausgegangen, dass bislang im allgemeinen eine Masse von 3.000 € zur Kostendeckung als erforderlich angesehen werde (ZIP 2004, 1927, 1928) und hat gesehen, dass sich diese Grenze bei höheren Gläubigerzahlen künftig erhöhen werde, die Auswirkungen auf die Quoten der Insolvenzgläubiger jedoch für nicht messbar gehalten, weil bei diesen geringen Massen häufig Masseunzulänglichkeit eintreten werde, so dass die Insolvenzgläubiger ohnehin leer ausgingen (ZIP 2004, 1927, 1929).

12        In die gleiche Richtung gehen die Überlegungen des Verordnungsgebers zur Staffelung der Vergütung anhand der Zahl der Gläubiger. Die Anzahl der beteiligten Gläubiger dient als Korrektiv und soll gewährleisten, dass auch Insolvenzverwalter, die überwiegend mit Kleininsolvenzen befasst sind, eine auskömmliche Vergütung erzielen können (ZIP 2004, 1927, 1930 zu § 2 Abs. 2 InsVV-E). Eine Festsetzung der Mindestvergütung zusätzlich mit unbestimmten Rechtsbegriffen zu verknüpfen, hielt der Verordnungsgeber im Interesse der Verfahrensökonomie für entbehrlich und verzichtete auf ein Abweichen in besonders einfach gelagerten Sachverhalten vor dem Hintergrund, dass eine auskömmliche Mindestvergütung bereits aus dem Durchschnitt der masselosen Verfahren zu erzielen sein müsse (ZIP 2004, 1927, 1930 zu § 2 Abs. 2 InsVV-E).

13        bb) Diese Erwägungen sind auf Insolvenzverfahren über das Vermögen einer natürlichen Person zugeschnitten. Hintergrund der Regelung sind die bei natürlichen Personen häufig anzutreffenden masselosen Insolvenzverfahren und Insolvenzverfahren mit einer absolut betrachtet geringen Insolvenzmasse. Insolvenzverfahren über das Vermögen einer juristischen Person weisen in mehreren Punkten erhebliche Unterschiede auf. Daher scheidet eine Berechnung nach § 2 Abs. 2 Satz 2 und 3 InsVV für die Vergütung eines Insolvenzverwalters in Insolvenzverfahren über das Vermögen einer juristischen Person aus. Soweit der weitere Beteiligte für seine Tätigkeit als vorläufiger Insolvenzverwalter eine höhere als die Mindestvergütung nach § 2 Abs. 2 Satz 1 InsVV begehrt, ist diese allein nach § 2 Abs. 1 InsVV zu berechnen.

14        (1) Der Bundesgerichtshof hat bislang nicht entschieden, ob eine Erhöhung der Mindestvergütung nach § 2 Abs. 2 Satz 2 und 3 InsVV stets allein entsprechend der Anzahl der Gläubiger erfolgt oder ob diese von weiteren Voraussetzungen abhängt. Die bisherigen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zu § 2 Abs. 2 InsVV betrafen masselose oder massearme Insolvenzverfahren über das Vermögen einer natürlichen Person.

15        Nach überwiegender Meinung setzen diese Regelungen weder ein masseloses Verfahren noch Massearmut voraus (Stoffler in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2018, § 2 InsVV Rn. 21 ff; Vill, ZInsO 2020, 974, 976; ders., Festschrift Kayser, 2019, 1043, 1048; aA Haarmeyer/Mock, InsVV, 6. Aufl., § 2 Rn. 54; Mock, ZInsO 2019, 643 f). Weiter entspricht es überwiegender Meinung, dass es keine Obergrenze hinsichtlich der zu berücksichtigenden Gläubigerzahl gibt (Graeber/Graeber, InsVV, 3. Aufl., § 2 Rn. 52; Zimmer, InsVV, § 2 Rn. 74; Vill, ZInsO 2020, 974, 976 f; ders., Festschrift Kayser, 2019, 1043, 1050; wohl auch Keller, Vergütung und Kosten im Insolvenzverfahren, 5. Aufl., § 4 Rn. 130; ders., NZI 2005, 23, 26) und dies auch für die Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters gilt (Keller, aaO Rn. 131; Vill, aaO S. 979; aA Mock, ZInsO 2019, 643). Schließlich hält die Literatur die gegebenenfalls erhöhte Mindestvergütung nach § 2 Abs. 2 InsVV in allen Verfahren für anwendbar, insbesondere sowohl in Privatinsolvenzen als auch in Unternehmensinsolvenzen (vgl. Graeber/Graeber, aaO Rn. 53; HmbKomm-InsO/Büttner, 7. Aufl., § 2 InsVV Rn. 67; FK-InsO/ Lorenz, 9. Aufl., § 2 InsVV Rn. 33; Keller, aaO Rn. 112 ff; ders., NZI 2005, 23, 25). Ein "Telos", dass die Regelung in § 2 Abs. 2 InsVV nur für massearme Kleinverfahren bestimmt und vom Regelungsziel her auf das betreffende Großverfahren gar nicht anwendbar sei, existiere nicht (Blersch, NZI 2019, 529, 530).

16        (2) Dies trägt den Besonderheiten für die Tätigkeit des Insolvenzverwalters in Insolvenzverfahren über das Vermögen einer juristischen Person nicht hinreichend Rechnung. Vielmehr entspricht in diesen Fällen eine Erhöhung der Mindestvergütung nach der Anzahl der Gläubiger, die eine Forderung anmelden oder anmelden könnten, weder der Zielrichtung noch der Wertungsgrundlage des § 2 Abs. 2 Satz 2 und 3 InsVV.

17        (a) Die Neuregelung der Mindestvergütung durch die Verordnung zur Änderung der Insolvenzrechtlichen Vergütungsverordnung vom 4. Oktober 2004 (BGBl. I, S. 2569) erfolgte in Reaktion auf die Beschlüsse des Bundesgerichtshofs vom 15. Januar 2004, dass die bisherige Mindestvergütung in massearmen Regelinsolvenzverfahren (IX ZB 96/03, BGHZ 157, 282 ff) und in massearmen Verbraucherinsolvenzverfahren (IX ZB 46/03, ZIP 2004, 424 ff) nicht auskömmlich und als unverhältnismäßiger Eingriff in die Berufsfreiheit verfassungswidrig sei. Dabei hat der Verordnungsgeber allein Insolvenzverfahren über das Vermögen natürlicher Personen im Blick gehabt. Die Begründung enthält keine Anhaltspunkte dafür, dass der Verordnungsgeber Insolvenzverfahren über das Vermögen juristischer Personen in seine Erwägungen einbezogen hätte.

18        (b) Der Verordnungsgeber hat die Auswirkungen von extrem hohen Gläubigerzahlen in Insolvenzverfahren über das Vermögen einer juristischen Person ersichtlich nicht berücksichtigt (vgl. FK-InsO/Lorenz, 9. Aufl., § 2 InsVV Rn. 38; Lorenz/Klanke/Lorenz, InsVV, 3. Aufl., § 2 Rn. 39; Heyrath, ZInsO 2004, 1132, 1133; aA Vill, ZInsO 2020, 974, 976). Er hat sich bei der Regelung vielmehr an Stundensätzen und durchschnittlichen Gläubigerzahlen in masselosen Regelinsolvenzverfahren orientiert (FK-InsO/Lorenz, aaO). Zwar hat der Verordnungsgeber den sich aus einer Erhebung ergebenden durchschnittlichen zeitlichen Aufwand in Insolvenzverfahren über das Vermögen natürlicher Personen mit 41 und mehr Gläubigern zumindest teilweise darauf zurückgeführt, dass hier Verfahren mit extrem hohen Gläubigerzahlen eingeflossen seien (vgl. ZIP 2004, 1927, 1928). Dies bietet jedoch keine tragfähige Grundlage dafür, dass eine Mindestvergütung in Insolvenzverfahren über das Vermögen einer juristischen Person sich ebenfalls nach der Zahl der Gläubiger richten müsse. Weder lässt sich dem entnehmen, dass damit bei Unternehmensinsolvenzen juristischer Personen öfter auftretende extrem und exorbitant hohe Gläubigerzahlen hingenommen worden sind, noch enthält die Begründung zur Verordnung überhaupt einen Hinweis darauf, bei welcher Zahl die Anzahl der Gläubiger extrem hoch sei.

19        Vielmehr liegt ein wesentlicher Grundgedanke der Neuregelung darin, dass nicht in jedem einzelnen Verfahren eine auskömmliche Vergütung erzielt werden muss. Es ist ausreichend, wenn innerhalb der massearmen Verfahren ein wirtschaftlicher Ausgleich gewährleistet ist (vgl. ZIP 2004, 1927, 1930; Wimmer, ZInsO 2004, 1006, 1010). Dieser Gedanke ist weiter für den Verzicht auf Regelungen zu einer Abweichung in besonders einfach gelagerten Fällen maßgeblich (vgl. ZIP 2004, 1927, 1930; Wimmer, aaO).

20        (c) Dies gilt erst recht für die Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters. Die Regelung über die Erhöhung der Mindestvergütung entsprechend der Anzahl der Gläubiger nach § 2 Abs. 2 Satz 2 und 3 InsVV ist auf das eröffnete Insolvenzverfahren zugeschnitten. Der Verordnungsgeber hat die Frage, welche Bedeutung die Zahl der Gläubiger für die Tätigkeit des vorläufigen Insolvenzverwalters hat, nicht in seine Erwägungen einbezogen.

21        In erster Linie standen dem Verordnungsgeber Insolvenzverfahren über das Vermögen einer natürlichen Person und Fälle masseloser Kleinverfahren vor Augen. In diesen Fällen ist es häufig nicht nötig, einen vorläufigen Insolvenzverwalter zu bestellen. Demgegenüber kommt der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters in Insolvenzverfahren über das Vermögen einer juristischen Person eine ungleich größere Bedeutung zu.

22        Einer Anwendung von § 2 Abs. 2 Satz 2 und 3 InsVV auf die Mindestvergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters in Insolvenzverfahren über das Vermögen einer juristischen Person steht weiter entgegen, dass die hierfür ausschlaggebende Zahl der Gläubiger auch nur derer, bei denen mit einer Forderungsanmeldung zu rechnen ist keine belastbare Aussagekraft für den Aufwand des vorläufigen Insolvenzverwalters hat. Die Tätigkeiten, welche aufgrund der Zahl der Gläubiger entstehen und die Grundlage für die Erhöhungen bilden, fallen regelmäßig erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens an (vgl. Haarmeyer/ Mock, InsVV, 6. Aufl., § 2 Rn. 54a). Mangels eines typisierten Aufwands aufgrund der Zahl der Gläubiger im Eröffnungsverfahren kann diese Regelung die Besonderheiten des im Eröffnungsverfahren entstehenden Aufwands nicht erfassen. Mithin ist die Erhöhung nach § 2 Abs. 2 Satz 2 und 3 InsVV regelmäßig nicht geeignet, einen tauglichen Anhaltspunkt für die Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters in Insolvenzverfahren über das Vermögen einer juristischen Person zu bilden. Deshalb scheidet in diesen Fällen ebenso eine Anpassung auf einen Bruchteil der Gläubiger-Pauschalen nach § 2 Abs. 2 Satz 2 und 3 InsVV (so Haarmeyer/Mock, aaO) oder eine Kürzung dieser Pauschalen entsprechend § 63 Abs. 3 Satz 2 InsO auf 25 % für den vorläufigen Insolvenzverwalter (dies erwägend Vill, ZInsO 2020, 974, 979) aus.

23        Schließlich liegen Forderungsanmeldungen (§ 174 InsO) im Eröffnungsverfahren noch nicht vor und ist die Zahl der anmeldenden Gläubiger im Insolvenzverfahren bei Beantragung der Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters regelmäßig nicht bekannt (BGH, Beschluss vom 13. Juli 2006 IX ZB 104/05, BGHZ 168, 321 Rn. 41; vom 4. Februar 2010 IX ZB 129/08, ZIP 2010, 486 Rn. 6; vgl. Stoffler in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 2 InsVV Rn. 26; Vill, ZInsO 2020, 974, 981 f; Mock, ZInsO 2019, 643). Demgemäß hat der Senat für masselose Insolvenzverfahren über das Vermögen natürlicher Personen entschieden, dass sich die Mindestvergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters nach der Zahl der im Eröffnungsverfahren beteiligten Gläubiger richte (BGH, Beschluss vom 13. Juli 2006, aaO; vom 4. Februar 2010, aaO Rn. 7). Dabei hat der Senat auch insoweit darauf abgestellt, dass die Bestimmung darauf abziele, im Durchschnitt der massearmen Verfahren eine leistungsgerechte Vergütung zu erreichen, so dass die tatsächliche Belastung des Verwalters im Interesse einer praktikablen Handhabung der Vergütungsfestsetzung nicht ermittelt zu werden braucht (BGH, Beschluss vom 4. Februar 2010, aaO Rn. 8). Jedenfalls für die Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters bei einer juristischen Person ist eine solche Anpassung des § 2 Abs. 2 Satz 2 und 3 InsVV weder geeignet noch geboten.

24        (d) In Insolvenzverfahren über das Vermögen einer juristischen Person besteht kein Bedarf, die Mindestvergütung nach § 2 Abs. 2 Satz 1 InsVV entsprechend den Vorgaben des § 2 Abs. 2 Satz 2 und 3 InsVV nach der Anzahl der Gläubiger zu erhöhen, die eine Forderung angemeldet haben. Die Gründe, die für eine solche Regelung bei der Vergütung des Insolvenzverwalters in Insolvenzverfahren über das Vermögen natürlicher Personen sprechen, treffen überwiegend nicht zu. Dem mit einer hohen Anzahl von Gläubigern verbundenen Aufwand kann in Insolvenzverfahren über das Vermögen einer juristischen Person stets mit einem entsprechenden Zuschlag zur Regelvergütung Rechnung getragen werden.

25        In Insolvenzverfahren über das Vermögen einer juristischen Person ist die Höhe der Vergütung des Insolvenzverwalters vorbehaltlich einer Haftung nach § 26a Abs. 2 Satz 2 InsO faktisch auf die verfügbare Masse beschränkt. Eine Kostenstundung gemäß § 4a InsO scheidet aus. Demgemäß gibt es in diesen Fällen keinen Anspruch des Insolvenzverwalters aus § 63 Abs. 2 InsO gegen die Staatskasse. Handelt es sich um eine juristische Person, liegt daher das volle Kostenerstattungsrisiko beim Insolvenzverwalter (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Februar 2013 IX ZB 75/12, WM 2013, 519 Rn. 14). Die Zielsetzung des § 2 Abs. 2 Satz 2 und 3 InsVV, ein auskömmliches Mindestniveau der Vergütung gerade bei Kleininsolvenzen zu erreichen (vgl. ZIP 2004, 1927, 1930 zu § 2 Abs. 2 InsVV-E), ist in Insolvenzverfahren über das Vermögen einer juristischen Person nur im Rahmen der verfügbaren Masse möglich.

26        Dieses Risiko ist tragbar, weil in diesen Fällen masselose Insolvenzverfahren hinsichtlich der Vergütung keine Probleme aufwerfen. Wird das Vermögen des Schuldners voraussichtlich nicht ausreichen, um die Kosten des Verfahrens zu decken, weist das Insolvenzgericht den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ab (§ 26 Abs. 1 Satz 1 InsO). Stellt sich nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens heraus, dass die Insolvenzmasse nicht ausreicht, um die Kosten des Verfahrens zu decken, stellt das Insolvenzgericht das Verfahren ein (§ 207 Abs. 1 Satz 1 InsO). In Insolvenzverfahren über das Vermögen einer juristischen Person unterbleibt dies nur, wenn ein ausreichender Geldbetrag vorgeschossen wird (§ 26 Abs. 1 Satz 2, § 207 Abs. 1 Satz 2 InsO). Allerdings hat der Verordnungsgeber das Risiko gesehen, dass die Mindestvergütung in anderen als Stundungsfällen dazu führen kann, dass eine Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt wird. Der Blickwinkel bezog sich jedoch auch hier allein auf Verfahren mit einer absolut betrachtet geringen Insolvenzmasse (vgl. Wimmer, ZInsO 2004, 1006, 1009).

27        In Insolvenzverfahren über das Vermögen einer juristischen Person besteht auch ohne die Regelung in § 2 Abs. 2 Satz 2 und 3 InsVV eine ausreichende Möglichkeit, die sich aus der Staffelvergütung nach § 2 Abs. 1 InsVV ergebende Vergütung des Insolvenzverwalters nach Maßgabe des aus einer hohen oder auch exorbitant hohen Zahl von Gläubigern folgenden Mehraufwands dem jeweiligen Einzelfall angemessen anzupassen. Es entspricht allgemeiner Meinung, dass eine hohe Gläubigerzahl einen Zuschlag nach § 3 Abs. 1 InsVV rechtfertigen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juni 2017 IX ZB 65/15, NZI 2017, 732 Rn. 11 mwN; vom 29. April 2021 IX ZB 58/19, ZIP 2021, 1284 Rn. 19). Führt die große Zahl der eine Forderung anmeldenden Gläubiger zu einem Mehraufwand, kann der Tatrichter dies bei der Bemessung der Zuschläge angemessen berücksichtigen. Es entspricht der Praxis in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung, für hohe Gläubigerzahlen je nach den Umständen einen Zuschlag auf die Staffelvergütung festzusetzen (vgl. die Nachweise etwa bei Zimmer, InsVV, § 3 Rn. 142 mwN; Graeber/Graeber, InsVV, 3. Aufl., § 3 Rn. 183 mwN). Maßgebend für die Höhe des Zuschlags ist, ob die Bearbeitung den Insolvenzverwalter stärker oder schwächer als in entsprechenden Insolvenzverfahren allgemein üblich in Anspruch genommen hat, also der real gestiegene oder gefallene Arbeitsaufwand (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 6. April 2017 IX ZB 48/16, NZI 2017, 459 Rn. 8 mwN; vom 22. Juni 2017 IX ZB 65/15, ZInsO 2017, 1694 Rn. 7 mwN; vom 14. Februar 2019 IX ZB 25/17, WM 2019, 548 Rn. 14; vom 12. September 2019 IX ZB 1/17, ZIP 2019, 2016 Rn. 6).

28        Insbesondere kann in diesen Fällen bei exorbitant hohen Gläubigerzahlen berücksichtigt werden, inwieweit dies tatsächlich zu einem Mehraufwand für den Insolvenzverwalter geführt hat. Gerade bei sehr hohen Gläubigerzahlen kann sich die Bearbeitung der Forderungsanmeldungen vereinfachen, wenn im Wesentlichen gleich gelagerte Forderungen angemeldet werden, die vereinfacht nach dem stets gleichen Muster geprüft werden können (vgl. Vill, ZInsO 2020, 974, 977). Dies gilt insbesondere, wenn das Unternehmen in der Rechtsform einer juristischen Person geführt wird, über eine ordnungsgemäße Buchhaltung verfügt und die Bearbeitung der Forderungsanmeldungen auf der Grundlage der Buchhaltung in erheblichem Umfang durch Mitarbeiter des Unternehmens erfolgt und vorbereitet wird. Insoweit kann im Rahmen der Bemessung des Zuschlags anders als bei der Mindestvergütung nach § 2 Abs. 2 Satz 2 und 3 InsVV angemessen berücksichtigt werden, in welchem Umfang der Insolvenzverwalter die Erfassung der Gläubiger delegieren kann (vgl. auch Haarmeyer/Mock, InsVV, 6. Aufl., § 2 Rn. 54b).

29        Ebenso wenig stellt sich in Insolvenzverfahren über das Vermögen einer juristischen Person die verfassungsrechtliche Frage einer ausreichenden Mindestvergütung. Bei Fällen, in denen eine extrem hohe Gläubigerzahl zu einer über einen Zuschlag entsprechend erhöhten Vergütung führt, spielen verfassungsrechtliche Aspekte keine Rolle (ähnlich Vill, Festschrift Kayser, 2019, S. 1043, 1069 im Hinblick auf die Mindestvergütung). Wegen des Grundsatzes der Querfinanzierung muss die Vergütung nicht in jedem Einzelfall kostendeckend sein (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 15. Januar 2004 IX ZB 96/03, BGHZ 157, 282, 288 ff; vom 14. Dezember 2017 IX ZB 101/15, WM 2018, 242 Rn. 14; vom 12. März 2020 IX ZB 33/18, WM 2020, 980 Rn. 10). Demgemäß ist es in Insolvenzverfahren über das Vermögen einer juristischen Person bei einer Anzahl der Gläubiger, die unterhalb der Schwelle bleibt, ab der ein Zuschlag zu gewähren ist, nicht zwingend erforderlich, dass der hierdurch verursachte Mehraufwand in jedem Einzelfall kostendeckend bei der Vergütung abgebildet wird.

30        b) Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass das Insolvenzgericht zu prüfen haben wird, ob das Insolvenzverfahren gemäß § 207 Abs. 1 Satz 1 InsO einzustellen ist.

 

 

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