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Wirtschaftsrecht
10.06.2020
Wirtschaftsrecht
EuGH: Verbraucherkredit – Kontrolle der Missbräuchlichkeit von Vertragsklauseln – Umfang der von Amts wegen wahrzunehmenden richterlichen Befugnisse

EuGH, Urteil vom 4.6.2020 – C-495/19, Kancelaria Medius SA gegen RN

ECLI:EU:C:2020:431

Volltext: BB-Online BBL2020-1345-1

Tenor

Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen ist dahin auszulegen, dass er der Auslegung einer nationalen Vorschrift entgegensteht, die ein Gericht, das mit einer in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallenden Klage eines Gewerbetreibenden gegen einen Verbraucher befasst ist und ein Versäumnisurteil erlässt, wenn der Verbraucher trotz Ladung nicht zur Verhandlung erscheint, daran hindert, die notwendigen Untersuchungsmaßnahmen durchzuführen, um die Missbräuchlichkeit der Vertragsklauseln, auf die der Gewerbetreibende sein Begehren gestützt hat, von Amts wegen zu prüfen, wenn das Gericht Zweifel daran hat, ob die Klauseln missbräuchlich im Sinne der Richtlinie sind.

Aus den Gründen

1          Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29).

2          Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Kancelaria Medius SA und RN wegen einer gegen RN aufgrund eines Verbraucherkreditvertrags erhobenen Forderung.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3          Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 lautet:

„Zweck dieser Richtlinie ist die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über missbräuchliche Klauseln in Verträgen zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern.“

4          In Art. 2 Buchst. b und c der Richtlinie werden die Begriffe „Verbraucher“ und „Gewerbetreibender“ wie folgt definiert:

„b)      ‚Verbraucher‘: eine natürliche Person, die bei Verträgen, die unter diese Richtlinie fallen, zu einem Zweck handelt, der nicht ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann;

c)      ‚Gewerbetreibender‘: eine natürliche oder juristische Person, die bei Verträgen, die unter diese Richtlinie fallen, im Rahmen ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit handelt, auch wenn diese dem öffentlich-rechtlichen Bereich zuzurechnen ist“.

5          Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie bestimmt:

„Eine Vertragsklausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde, ist als missbräuchlich anzusehen, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht.“

6          In Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie heißt es:

„Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass missbräuchliche Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, für den Verbraucher unverbindlich sind, und legen die Bedingungen hierfür in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften fest; sie sehen ferner vor, dass der Vertrag für beide Parteien auf derselben Grundlage bindend bleibt, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann.“

7          Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass im Interesse der Verbraucher und der gewerbetreibenden Wettbewerber angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in den Verträgen, die er mit Verbrauchern schließt, ein Ende gesetzt wird.“

Polnisches Recht

8          Art. 339 des Kodeks postępowania cywilnego (Zivilprozessordnung) legt fest:

„(1)      Erscheint der Beklagte in der für eine Verhandlung anberaumten Sitzung nicht oder beteiligt er sich trotz des Erscheinens nicht an der Verhandlung, so erlässt das Gericht ein Versäumnisurteil.

(2)      In diesem Fall werden die Ausführungen des Klägers zum Sachverhalt in der Klageschrift oder in den dem Beklagten vor der Verhandlung zugestellten Schriftsätzen als wahr angesehen, es sei denn, sie wecken berechtigte Zweifel oder wurden mit dem Zweck angeführt, das Gesetz zu umgehen.“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

9          Kancelaria Medius, ein Unternehmen mit Sitz in Krakau (Polen), das Dienstleistungen der Einziehung von Forderungen anbietet, erhob beim Sąd Rejonowy w Trzciance (Rayongericht Trzcianka, Polen) Klage gegen RN auf Zahlung von 1 231 polnischen Zloty (ca. 272 Euro) zuzüglich Zinsen. Sie trug vor, RN habe mit der Kreditech Polska Spółka z ograniczoną odpowiedzialnością (Gesellschaft mit beschränkter Haftung), einer Bank mit Sitz in Warschau (Polen) und Rechtsvorgängerin von Kancelaria Medius, einen Verbraucherkreditvertrag geschlossen.

10        Zur Stützung ihrer Klage übermittelte Kancelaria Medius die Kopie eines von RN nicht unterschriebenen Rahmenvertrags sowie Unterlagen zum Nachweis des Abschlusses eines Vertrags über den Forderungsübergang mit ihrer Rechtsvorgängerin.

11        Das Sąd Rejonowy w Trzciance (Rayongericht Trzcianka) stellte fest, dass die von Kancelaria Medius vorgelegten Unterlagen und Beweise das Bestehen der fraglichen Forderung nicht belegten. Obwohl RN nicht erschienen war, wies dieses Gericht die Klage durch Versäumnisurteil ab.

12        Kancelaria Medius legte beim Sąd Okręgowy w Poznaniu (Bezirksgericht Posen, Polen) Berufung gegen das Urteil des Sąd Rejonowy w Trzciance (Rayongericht Trzcianka) ein und machte geltend, dieses Gericht hätte sich gemäß Art. 339 Abs. 2 der Zivilprozessordnung ausschließlich auf die von ihr übermittelten Unterlagen stützen dürfen.

13        Das vorlegende Gericht, bei dem diese Berufung anhängig ist, stellt zum einen fest, dass die polnischen Verfahrensvorschriften für Versäumnisurteile auch auf Streitigkeiten anwendbar seien, in denen Unternehmer gegen Verbraucher klagten.

14        Zum anderen seien im vorliegenden Fall gemäß Art. 339 der Zivilprozessordnung die Voraussetzungen für ein Versäumnisurteil erfüllt gewesen, da sich der Beklagte nach der ordnungsgemäßen Zustellung der Klageschrift nicht verteidigt habe, wobei gemäß Art. 139 der Zivilprozessordnung eine „Ersatzzustellung“ vorliege, wenn die Partei das an sie gerichtete Schreiben des Gerichts nicht abhole, obwohl sie dazu in der Lage gewesen wäre.

15        Unter diesen Umständen hegt das vorlegende Gericht Zweifel an der Vereinbarkeit einer nationalen Vorschrift wie Art. 339 Abs. 2 der Zivilprozessordnung mit dem von der Richtlinie 93/13 geforderten Verbraucherschutzstandard, insbesondere im Hinblick auf die Pflicht des Gerichts, die mögliche Missbräuchlichkeit der Klauseln in Verbraucherverträgen von Amts wegen zu prüfen.

16        Nach Art. 339 Abs. 2 der Zivilprozessordnung müsse ein Gericht nämlich gegen einen Verbraucher ein Versäumnisurteil erlassen, dessen tatsächliche Grundlage nur die Ausführungen des Klägers, hier eines Gewerbetreibenden, bildeten und die als wahr angesehen würden, sofern sie keine „berechtigten Zweifel“ weckten oder das Gericht zu der Überzeugung gelange, dass sie mit dem Zweck angeführt worden seien, „das Gesetz zu umgehen“. Daraus folge aber, dass die Wahrscheinlichkeit für „berechtigte Zweifel“ umso geringer sei, desto spärlicher die vom Gewerbetreibenden vorgelegten Informationen seien.

17        Das vorlegende Gericht verweist auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs, insbesondere die Urteile vom 13. September 2018, Profi Credit Polska (C‑176/17, EU:C:2018:711, Rn. 40 und 57), sowie vom 3. April 2019, Aqua Med (C‑266/18, EU:C:2019:282, Rn. 47), wonach nationale Rechtsvorschriften im Einklang mit dem Grundsatz der Äquivalenz sowie dem in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerten Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf des Verbrauchers stehen müssten. Falls die Bestimmungen des Art. 339 Abs. 2 der Zivilprozessordnung, der auf alle nationalen Zivilverfahren Anwendung finde, mit dem Grundsatz der Äquivalenz im Einklang stünden, sei zweifelhaft, ob das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf gewahrt werde, wenn das nationale Gericht nicht die Möglichkeit habe, die Missbräuchlichkeit der Vertragsklauseln von Amts wegen zu prüfen.

18        Dies sei hier der Fall, denn im erstinstanzlichen Urteil hätte gemäß Art. 339 Abs. 2 der Zivilprozessordnung dem Antrag der Klägerin stattgegeben werden müssen, ohne dass das Gericht hätte prüfen können, ob ein Vertrag bestehe und welchen Inhalt er gegebenenfalls habe.

19        Unter diesen Umständen hat das Sąd Okręgowy w Poznaniu (Bezirksgericht Posen) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen, dass er Verfahrensvorschriften entgegensteht, nach denen das Gericht ein Versäumnisurteil erlassen kann, das sich allein auf die Ausführungen des Klägers in der Klageschrift stützt, die das Gericht als wahr ansehen muss, wenn der Beklagte – ein Verbraucher, der ordnungsgemäß über den Gerichtstermin informiert wurde – nicht erscheint und sich nicht verteidigt?

Zur Vorlagefrage

20        Vorab ist zur Zulässigkeit des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens darauf hinzuweisen, dass die polnische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen ausgeführt hat, der Nachweis für das Bestehen einer Forderung falle entgegen der Auslegung des vorlegenden Gerichts nicht unter die Richtlinie 93/13, und dieses Gericht, das mit der Berufung befasst sei, habe zu entscheiden, ohne die Vorschriften über Versäumnisurteile anwenden zu müssen, so dass die Entscheidung im Ausgangsverfahren nicht von der Beantwortung der – mithin unerheblichen – Vorlagefrage abhänge.

21        Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs im Rahmen der durch Art. 267 AEUV geschaffenen Zusammenarbeit zwischen ihm und den nationalen Gerichten allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, ist, anhand der Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn diese die Auslegung des Unionsrechts betreffen (Urteil vom 20. September 2017, Andriciuc u. a., C‑186/16, EU:C:2017:703, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).

22        Daraus folgt, dass eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen des nationalen Gerichts spricht, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und tatsächlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festlegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Der Gerichtshof kann das Ersuchen eines nationalen Gerichts nur dann zurückweisen, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn er nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 19. September 2019, Lovasné Tóth, C‑34/18, EU:C:2019:764, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

23        Im vorliegenden Fall geht aus der dem Gerichtshof vorgelegten Akte nicht in offensichtlicher Weise hervor, dass hier eine dieser Fallgruppen vorliegt. Insbesondere ergibt sich aus der Vorlageentscheidung, dass das Berufungsgericht zu prüfen hat, ob das erstinstanzliche Gericht einen Rechtsfehler begangen hat, als es die Klage des Gewerbetreibenden mit der Begründung abwies, anhand der ihm vorliegenden Unterlagen könne es nicht feststellen, ob die Forderung auf missbräuchlichen Klauseln im Sinne der Richtlinie 93/13 beruhe.

24        Im Übrigen gilt die Richtlinie 93/13 gemäß ihren Art. 1 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 für Klauseln in den zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher geschlossenen Verträgen, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurden (Urteil vom 7. November 2019, Profi Credit Polska, C‑419/18 und C‑483/18, EU:C:2019:930, Rn. 51 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

25        Da sich im Ausgangsrechtsstreit nach den Angaben des vorlegenden Gerichts ein Gewerbetreibender und ein Verbraucher wegen eines Anspruchs, der eine Forderung aus einem Verbraucherkreditvertrag mit standardisierten Formulierungen betrifft, gegenüberstehen, kann ein solcher Rechtsstreit in den Anwendungsbereich der Richtlinie 93/13 fallen.

26        Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen ist somit zulässig.

27        Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen ist, dass er der Auslegung einer nationalen Vorschrift entgegensteht, die ein Gericht, das mit einer in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallenden Klage eines Gewerbetreibenden gegen einen Verbraucher befasst ist und ein Versäumnisurteil erlässt, wenn der Verbraucher trotz Ladung nicht zur Verhandlung erscheint, daran hindert, die notwendigen Untersuchungsmaßnahmen durchzuführen, um die Missbräuchlichkeit der Vertragsklauseln, auf die der Gewerbetreibende sein Begehren gestützt hat, von Amts wegen zu prüfen, wenn das Gericht Zweifel daran hat, ob die Klauseln missbräuchlich im Sinne der Richtlinie sind, und die das Gericht dazu verpflichtet, auf der Grundlage der Ausführungen des Gewerbetreibenden zu entscheiden, die es als wahr ansehen muss.

28        Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass gemäß Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 93/13 der Begriff „Verbraucher“ im Sinne dieser Richtlinie als „eine natürliche Person, die bei Verträgen, die unter diese Richtlinie fallen, zu einem Zweck handelt, der nicht ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann“, zu verstehen ist. Der Begriff „Gewerbetreibender“ wird in Art. 2 Buchst. c definiert als „eine natürliche oder juristische Person, die bei Verträgen, die unter diese Richtlinie fallen, im Rahmen ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit handelt, auch wenn diese dem öffentlich-rechtlichen Bereich zuzurechnen ist“.

29        Ferner sieht Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 vor, dass die Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass im Interesse der Verbraucher und der gewerbetreibenden Wettbewerber angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in den Verträgen, die er mit Verbrauchern schließt, ein Ende gesetzt wird.

30        Der Gerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung die Art und die Bedeutung des öffentlichen Interesses hervorgehoben, auf dem der Schutz beruht, der den Verbrauchern gewährt wird, weil sie sich gegenüber den Gewerbetreibenden in einer schwächeren Verhandlungsposition befinden und einen geringeren Informationsstand besitzen, was dazu führt, dass sie den vom Gewerbetreibenden vorformulierten Bedingungen zustimmen, ohne auf deren Inhalt Einfluss nehmen zu können (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 3. April 2019, Aqua Med, C‑266/18, EU:C:2019:282, Rn. 27 und 43, sowie vom 11. März 2020, Lintner, C‑511/17, EU:C:2020:188, Rn. 23).

31        Dabei hat der Gerichtshof klargestellt, dass sich der den Verbrauchern durch die Richtlinie 93/13 gewährte Schutz auf alle Fälle erstreckt, in denen sich ein Verbraucher, der mit einem Gewerbetreibenden einen Vertrag geschlossen hat, der eine missbräuchliche Klausel enthält, nicht darauf beruft, dass der Vertrag in den Anwendungsbereich der Richtlinie fällt und dass die fragliche Klausel missbräuchlich ist, weil er entweder seine Rechte nicht kennt oder durch die Kosten, die eine Klage verursachen würde, von der Geltendmachung seiner Rechte abgeschreckt wird (Urteil vom 17. Mai 2018, Karel de Grote – Hogeschool Katholieke Hogeschool Antwerpen, C‑147/16, EU:C:2018:320, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

32        Auch wenn der Gerichtshof somit bereits mehrfach und unter Berücksichtigung der Anforderungen von Art. 6 Abs. 1 und von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 dargelegt hat, wie das nationale Gericht den Schutz der den Verbrauchern nach der Richtlinie zustehenden Rechte sicherstellen muss, ändert dies nichts daran, dass die Verfahren zur Prüfung der Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel grundsätzlich nicht unionsrechtlich harmonisiert und damit Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der Mitgliedstaaten sind, vorausgesetzt allerdings, dass sie nicht ungünstiger sind als diejenigen, die gleichartige Sachverhalte regeln, die dem innerstaatlichen Recht unterliegen (Äquivalenzgrundsatz), und dass sie einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz im Sinne von Art. 47 der Charta der Grundrechte vorsehen (Urteile vom 31. Mai 2018, Sziber, C‑483/16, EU:C:2018:367, Rn. 35, sowie vom 3. April 2019, Aqua Med, C‑266/18, EU:C:2019:282, Rn. 47).

33        Zum Äquivalenzgrundsatz ist festzustellen, dass der Gerichtshof über keinerlei Anhaltspunkte verfügt, die Zweifel an der Vereinbarkeit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung mit ihm hervorrufen könnten.

34        Zum effektiven gerichtlichen Rechtsschutz ist festzustellen, dass jeder Fall, in dem sich die Frage stellt, ob eine nationale Verfahrensvorschrift die Anwendung des Unionsrechts unmöglich macht oder übermäßig erschwert, unter Berücksichtigung der Stellung dieser Vorschrift im gesamten Verfahren, des Verfahrensablaufs und der Besonderheiten des Verfahrens vor den verschiedenen nationalen Stellen zu prüfen ist. Gleichwohl dürfen die spezifischen Merkmale der Verfahren keinen Faktor darstellen, der den Rechtsschutz, den die Verbraucher nach der Richtlinie 93/13 erhalten müssen, beeinträchtigen könnte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. April 2016, Radlinger und Radlingerová, C‑377/14, EU:C:2016:283, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).

35        Der Gerichtshof hat hierzu festgestellt, dass ohne eine wirksame Überprüfung der potenziellen Missbräuchlichkeit der in dem betreffenden Vertrag enthaltenen Klauseln die Einhaltung der durch die Richtlinie 93/13 verliehenen Rechte nicht garantiert werden kann (Urteil vom 13. September 2018, Profi Credit Polska, C‑176/17, EU:C:2018:711, Rn. 62 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36        Um den durch die Richtlinie angestrebten Schutz zu gewährleisten, hat der Gerichtshof nämlich in einer Rechtssache, die ebenfalls ein Versäumnisverfahren betraf, hervorgehoben, dass die zwischen Verbraucher und Gewerbetreibendem bestehende Ungleichheit nur durch ein positives Eingreifen von dritter, von den Vertragsparteien unabhängiger Seite ausgeglichen werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Mai 2018, Karel de Grote – Hogeschool Katholieke Hogeschool Antwerpen, C‑147/16, EU:C:2018:320, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

37        Daher muss das nationale Gericht erstens nach ständiger Rechtsprechung, sobald es über die hierzu erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen verfügt, die Missbräuchlichkeit einer in den Anwendungsbereich der Richtlinie 93/13 fallenden Vertragsklausel von Amts wegen prüfen und damit dem Ungleichgewicht zwischen dem Verbraucher und dem Gewerbetreibenden abhelfen (Urteil vom 11. März 2020, Lintner, C‑511/17, EU:C:2020:188, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38        Zweitens muss es dem mit einem Rechtsstreit zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher befassten nationalen Gericht, wenn es nicht über diese rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen verfügt, möglich sein, die notwendigen Untersuchungsmaßnahmen von Amts wegen durchzuführen, um festzustellen, ob eine Klausel des streitigen Vertrags in den Anwendungsbereich der Richtlinie 93/13 fällt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. März 2020, Lintner, C‑511/17, EU:C:2020:188, Rn. 36 und 37 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

39        Im vorliegenden Fall geht aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten hervor, dass das von der Klägerin angerufene Gericht in dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Versäumnisverfahren, wenn der Beklagte nicht erscheint, auf der Grundlage des Tatsachenvortrags der Klägerin entscheiden muss, der als wahr angesehen wird, soweit er keine berechtigten Zweifel weckt oder angeführt wird, um das Gesetz zu umgehen.

40        Hierzu ergibt sich aus der in den Rn. 36 bis 38 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung, dass es dem mit einem Rechtsstreit über einen Verbraucherkreditvertrag befassten Gericht, auch wenn der Verbraucher nicht erscheint, möglich sein muss, die notwendigen Untersuchungsmaßnahmen durchzuführen, um die potenzielle Missbräuchlichkeit der in den Anwendungsbereich der Richtlinie 93/13 fallenden Klauseln zu prüfen, damit der Schutz der Verbraucherrechte, die sich aus der Richtlinie ergeben, gewährleistet wird.

41        Der Gerichtshof hat zwar klargestellt, dass der Dispositionsgrundsatz, auf den sich auch die ungarische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen beruft, sowie der Grundsatz ne ultra petita verletzt werden könnten, wenn die nationalen Gerichte aufgrund der Richtlinie 93/13 die durch die Anträge und die Gründe der Parteien festgelegten Grenzen des Streitgegenstands außer Acht lassen oder überschreiten müssten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. März 2020, Lintner, C‑511/17, EU:C:2020:188, Rn. 31).

42        Im vorliegenden Fall geht es jedoch nicht darum, andere Vertragsklauseln zu prüfen als die, auf die der Gewerbetreibende, der das Gerichtsverfahren angestrengt hat, seinen Anspruch gestützt hat und die folglich Gegenstand des Rechtsstreits sind.

43        Das vorlegende Gericht weist nämlich darauf hin, dass ihm der Vertrag, der die Grundlage der streitigen Forderung darstelle und von beiden Vertragsparteien unterzeichnet worden sei, nicht vorliege, sondern nur eine Kopie des vom Beklagten nicht unterschriebenen Rahmenvertrags.

44        Nach ihrem Art. 3 Abs. 1 gilt die Richtlinie 93/13 zwar für Klauseln, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurden, was insbesondere Standardverträge erfasst, doch kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein Gericht, dem nur eine Kopie des vom Gewerbetreibenden verwendeten Rahmenvertrages vorliegt, nicht aber das Schriftstück, das den zwischen den Parteien des bei ihm anhängigen Rechtsstreits geschlossenen Vertrag enthält, im Sinne der oben angeführten Rechtsprechung „über die erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen verfügt“ (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. November 2019, Profi Credit Polska, C‑419/18 und C‑483/18, EU:C:2019:930, Rn. 64).

45        Folglich hindern der Dispositionsgrundsatz und der Grundsatz ne ultra petita ein nationales Gericht nicht daran, von der Klägerin zu verlangen, dass sie den Inhalt des Dokuments oder der Dokumente vorlegt, die ihrer Klage zugrunde liegen, da eine solche Aufforderung nur darauf abzielt, den Beweisrahmen des Verfahrens zu sichern (Urteil vom 7. November 2019, Profi Credit Polska, C‑419/18 und C‑483/18, EU:C:2019:930, Rn. 68).

46        Daraus folgt, dass ein effektiver gerichtlicher Rechtsschutz nicht gewährleistet werden kann, wenn das nationale Gericht, das mit einem in den Anwendungsbereich der Richtlinie 93/13 fallenden Rechtsstreit zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher befasst ist, nicht die Möglichkeit hat, auch dann, wenn der Verbraucher nicht erscheint, zu prüfen, ob die Vertragsklauseln, auf die der Gewerbetreibende seinen Antrag stützt, missbräuchlich sind. Wäre dieses Gericht nach einer nationalen Vorschrift verpflichtet, den Tatsachenvortrag des Gewerbetreibenden als wahr anzusehen, würde das nach der Richtlinie 93/13 bei Verträgen, die in ihren Anwendungsbereich fallen, erforderliche positive Eingreifen des Gerichts unterbunden.

47        Die nationalen Gerichte müssen das innerstaatliche Recht aber bei seiner Anwendung so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie 93/13 auslegen, um das mit ihr angestrebte Ergebnis zu erreichen (Urteil vom 17. Mai 2018, Karel de Grote – Hogeschool Katholieke Hogeschool Antwerpen, C‑147/16, EU:C:2018:320, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

48        Stellt das vorlegende Gericht fest, dass eine nationale Vorschrift wie Art. 339 Abs. 2 der Zivilprozessordnung ein Gericht, das auf Antrag eines Gewerbetreibenden ein Versäumnisurteil erlässt, daran hindert, Untersuchungsmaßnahmen durchzuführen, die es ihm ermöglichen, die Klauseln, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen und Gegenstand des Rechtsstreits sind, von Amts wegen zu überprüfen, muss es folglich klären, ob mittels Ausnahmen wie den in Art. 339 Abs. 2 vorgesehenen „berechtigten Zweifeln“ oder der „Umgehung des Gesetzes“ eine unionsrechtskonforme Auslegung in Betracht kommt, die es dem durch Versäumnisurteil entscheidenden Gericht ermöglichen würde, die notwendigen Untersuchungsmaßnahmen durchzuführen.

49        Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass es den nationalen Gerichten obliegt, unter Berücksichtigung sämtlicher nationaler Rechtsnormen und in Anwendung der im nationalen Recht anerkannten Auslegungsmethoden zu entscheiden, ob und inwieweit eine nationale Rechtsvorschrift wie Art. 339 der Zivilprozessordnung im Einklang mit der Richtlinie 93/13 ausgelegt werden kann, ohne dass sie contra legem ausgelegt wird (vgl. entsprechend Urteil vom 17. April 2018, Egenberger, C‑414/16, EU:C:2018:257, Rn. 71 und die dort angeführte Rechtsprechung).

50        Der Gerichtshof hat überdies entschieden, dass das Erfordernis einer unionsrechtskonformen Auslegung die Verpflichtung der nationalen Gerichte umfasst, eine gefestigte Rechtsprechung gegebenenfalls abzuändern, wenn sie auf einer Auslegung des nationalen Rechts beruht, die mit den Zielen einer Richtlinie unvereinbar ist (Urteil vom 17. April 2018, Egenberger, C‑414/16, EU:C:2018:257, Rn. 72 und die dort angeführte Rechtsprechung).

51        Können die nationalen Gerichte die nationale Regelung nicht in einer mit den Anforderungen der Richtlinie 93/13 zu vereinbarenden Weise auslegen und anwenden, müssen sie von Amts wegen prüfen, ob die zwischen den Parteien vereinbarten Klauseln missbräuchlich sind, die dafür notwendigen Untersuchungsmaßnahmen durchführen und erforderlichenfalls jede einer solchen Prüfung entgegenstehende nationale Bestimmung oder Rechtsprechung unangewendet lassen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. November 2019, Profi Credit Polska, C‑419/18 und C‑483/18, EU:C:2019:930, Rn. 76 und die dort angeführte Rechtsprechung).

52        Nach alledem ist Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen, dass er der Auslegung einer nationalen Vorschrift entgegensteht, die ein Gericht, das mit einer in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallenden Klage eines Gewerbetreibenden gegen einen Verbraucher befasst ist und ein Versäumnisurteil erlässt, wenn der Verbraucher trotz Ladung nicht zur Verhandlung erscheint, daran hindert, die notwendigen Untersuchungsmaßnahmen durchzuführen, um die Missbräuchlichkeit der Vertragsklauseln, auf die der Gewerbetreibende sein Begehren gestützt hat, von Amts wegen zu prüfen, wenn das Gericht Zweifel daran hat, ob die Klauseln missbräuchlich im Sinne der Richtlinie sind.

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