BGH: Verbraucherdarlehensvertrag – Zielrichtung eines Feststellungsantrags nach Widerruf
BGH, Beschluss vom 19.9.2023 – XI ZR 58/23
Volltext: BB-Online BBL2023-2434-3
Amtlicher Leitsatz
Der Feststellungsantrag des Darlehensnehmers, aufgrund des Widerrufs seiner Vertragserklärung nicht mehr zur Zahlung von Zins- und Tilgungsleistungen aus dem Darlehensvertrag verpflichtet zu sein, zielt allein auf die vertraglichen Erfüllungsansprüche aus dem Darlehensvertrag gemäß § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB.
Aus den Gründen
1 I. Die Parteien streiten um die Wirksamkeit des Widerrufs der auf Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrags gerichteten Willenserklärung des Klägers.
2 Der Kläger erwarb im November 2019 einen Gebrauchtwagen BMW M550d zum Kaufpreis von 40.980 €. Zur Finanzierung des über die Anzahlung von 3.500 € hinausgehenden Kaufpreises schlossen die Parteien mit Datum vom 12. November 2019 einen Darlehensvertrag über 37.480 €. Das Darlehen sollte in 59 Monatsraten zu je 400,04 € und einer im November 2024 fälligen Schlussrate von 18.000 € zurückgezahlt werden. Neben einer Information über ein Widerrufsrecht und weitere Pflichtangaben enthält der Darlehensvertrag folgende Angabe über die Verzugsfolgen:
"Für ausbleibende Zahlungen werden die gesetzlichen Verzugszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz pro Jahr … berechnet. Der Basiszinssatz wird jeweils zum 1. Januar und 1. Juli eines Jahres ermittelt und von der Deutschen Bundesbank im Bundesanzeiger bekannt gegeben."
3 Mit Schreiben vom 18. Mai 2020 erklärte der Kläger den Widerruf seiner auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärung. Die Beklagte wies den Widerruf als verfristet zurück. Mit Anwaltsschreiben vom 30. Juni 2020 forderte der Kläger die Beklagte zur Rückabwicklung von Darlehens- und Kaufvertrag auf und bot ihr die Übergabe des finanzierten Fahrzeugs an.
4 Eine zunächst vom Kläger gegen die Beklagte erhobene Schadensersatzklage wegen einer angeblichen Abgasmanipulation hatte keinen Erfolg. Mit der vorliegenden Klage hat der Kläger die Feststellung begehrt, dass er (primär: wegen des erklärten Widerrufs vom 18. Mai 2020) nicht zur Zahlung von Zinsen und zur Erbringung von Tilgungsleistungen gemäß Darlehensvertrag vom 12. November 2019 verpflichtet sei, hilfsweise, dass er hierzu wegen des erklärten Widerrufs vom 18. Mai 2020 nicht verpflichtet sei, und hilfs-hilfsweise, dass er nicht zur Zahlung von Zinsen und zur Erbringung von Tilgungsleistungen auf den mit der Beklagten geschlossenen Darlehensvertrag vom 12. November 2019 verpflichtet sei.
5 Das Landgericht hat der Klage mit dem Hauptantrag stattgegeben. Dagegen hat die Beklagte Berufung eingelegt, weil sie insbesondere die Ausübung des Widerrufsrechts für rechtsmissbräuchlich hält. Im Laufe des Berufungsverfahrens gab der Kläger das Fahrzeug im Juni 2022 an die Beklagte zurück, wobei zu diesem Zeitpunkt nach einem Gutachten der T. GmbH der Händlereinkaufspreis des Fahrzeugs 23.109,24 € betragen haben soll, woraus die Beklagte einen erlittenen Wertverlust von 17.870,76 € errechnete. Unter hilfsweise erklärter Aufrechnung gegen die vom Kläger auf das Darlehen geleisteten Zins- und Tilgungszahlungen von insgesamt 14.573,56 € hält sie einen Wertersatzanspruch von noch 3.297,20 € für gegeben, den sie nebst Zinsen gegen den Kläger im Wege der Hilfswiderklage geltend macht. Der Kläger begehrt hilfsweise im Wege einer Wider-Widerklage die Zahlung von 14.573,56 € nebst Zinsen.
6 Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen und dies im Wesentlichen wie folgt begründet:
7 Die auf negative Feststellung gerichteten Haupt- und Hilfsanträge des Klägers seien im Kern identisch und auch zulässig, indes aber unbegründet. Der Kläger habe zwar seine auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichtete Willenserklärung wirksam widerrufen. Der Widerruf sei nicht verfristet, weil die dem Kläger erteilte Pflichtangabe über den Verzugszins fehlerhaft gewesen sei. Die Ausübung des Widerrufsrechts durch den Kläger sei auch nicht nach § 242 BGB rechtsmissbräuchlich. Eine unzulässige Rechtsausübung sei nach umfassender Bewertung der gesamten Fallumstände zu verneinen. Die nach Widerruf gezahlten Darlehensraten habe der Kläger nur unter Vorbehalt geleistet. Gegen seine grundsätzliche Verpflichtung zur Zahlung von Wertersatz habe er sich nicht gewendet. Ihm sei nicht zumutbar gewesen, auf die weitere Nutzung des Fahrzeugs zu verzichten. Schließlich habe er das Fahrzeug im Juni 2022 an die Beklagte übergeben.
8 Gleichwohl sei der Feststellungsantrag unbegründet, weil der Kläger der Beklagten aufgrund des Widerrufs gemäß § 358 Abs. 4 Satz 1, § 357a Abs. 3 Satz 1 BGB aF zur Zahlung der vereinbarten Sollzinsen für den Zeitraum zwischen Auszahlung und Rückzahlung des Darlehens verpflichtet sei. Dieser Anspruch sei zwischen den Parteien ausweislich der Widerrufsinformation vereinbart gewesen. Eine Rückzahlung des Darlehens sei im Zeitpunkt des Widerrufs nicht erfolgt. Etwas anderes ergebe sich im Hinblick auf § 358 Abs. 4 Satz 4 BGB auch nicht daraus, dass der Darlehensvertrag mit einem Kaufvertrag verbunden sei.
9 Dagegen wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde.
10 II. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO i.V.m. § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Die Begründung, mit der das Berufungsgericht den Feststellungsantrag des Klägers als unbegründet angesehen hat, kann keinen Bestand haben. Insoweit rügt der Kläger zu Recht, dass das Berufungsgericht seinen Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt habe.
11 1. Art. 103 Abs. 1 GG vermittelt allen an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten einen Anspruch darauf, sich zu dem in Rede stehenden Sachverhalt sowie zur Rechtslage zu äußern sowie Anträge zu stellen und Ausführungen zu machen. Dem entspricht die Pflicht des Gerichts, Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfGE 98, 218, 263; BVerfG, NJW 2017, 3218 Rn. 47 mwN). Die genügende Gewährung rechtlichen Gehörs setzt ferner voraus, dass die Verfahrensbeteiligten zu erkennen vermögen, auf welchen Tatsachenvortrag es für die Entscheidung ankommen kann. Den Gerichten obliegt in diesem Zusammenhang die Pflicht, von sich aus den Beteiligten alles für das Verfahren Wesentliche mitzuteilen; es bedarf keines Antrags und es besteht in der Regel keine Erkundigungspflicht des Grundrechtsträgers (vgl. BVerfG, NJW 2017, 3218 Rn. 49 mwN). Art. 103 Abs. 1 GG normiert andererseits aber auch keine umfassende Frage-, Aufklärungs- und Informationspflicht des Gerichts. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die nähere Ausgestaltung des rechtlichen Gehörs den einzelnen Verfahrensordnungen überlassen bleiben muss und nicht schon jeder Verstoß gegen die einfachgesetzlichen Hinweispflichten eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG darstellt. Verfassungsfest ist an den Hinweispflichten der Verfahrensordnungen vielmehr nur ein engerer Kern. Nur sofern gegen ihn verstoßen wird, liegt eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG vor (vgl. BVerfG, NJW 2017, 3218 Rn. 50 mwN). Ein solcher Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt bei einer verbotenen Überraschungsentscheidung vor, wenn sich eine Entscheidung ohne vorherigen richterlichen Hinweis auf einen Gesichtspunkt stützt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht zu rechnen brauchte (vgl. BVerfGE 84, 188, 190; 86, 133, 144 f.; 98, 218, 263; BGH, Beschlüsse vom 13. Januar 2011 - VII ZR 22/10, NJW-RR 2011, 487 Rn. 6 und vom 24. September 2019 - VI ZR 418/18, NJW-RR 2020, 188 Rn. 8).
12 2. Nach diesen Maßgaben ist Art. 103 Abs. 1 GG hier verletzt.
13 a) Die Nichtzulassungsbeschwerde beanstandet zu Recht, das Berufungsgericht habe gehörswidrig sein Urteil ohne den gebotenen richterlichen Hinweis nach § 139 Abs. 2 ZPO auf einen rechtlichen Gesichtspunkt gestützt, auf den es den Kläger nicht zuvor hingewiesen hat und der auch nicht Gegenstand des Vorbingens der Beklagten gewesen ist. Die negative Feststellungsklage hatte in erster Instanz Erfolg. Dem mit der Berufung von der Beklagten dagegen vorgebrachten Einwand, die Ausübung des Widerrufsrechts durch den Kläger sei rechtsmissbräuchlich gewesen, ist das Berufungsgericht nicht gefolgt. Stattdessen hat es die Feststellungsklage mit einer anderen, von keiner der Parteien zuvor erörterten rechtlichen Erwägung für unbegründet gehalten. Darauf musste es zuvor den - in erster Instanz noch obsiegenden - Kläger gemäß § 139 Abs. 2 ZPO hinweisen und ihm ausreichende Gelegenheit einräumen, dazu Stellung zu nehmen. Ein solcher Hinweis ist in den Akten nicht dokumentiert (§ 139 Abs. 4 Satz 2 ZPO). Auch aus den gewechselten Schriftsätzen ergibt sich nicht, dass diese Frage Gegenstand der Erörterungen im Verhandlungstermin gewesen ist.
14 b) Dieser Verfahrensverstoß kann erheblich sein. Der Kläger hatte keine Gelegenheit, zu dem entscheidungserheblichen Gesichtspunkt vorzutragen. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht unter Berücksichtigung des Vorbringens in der Nichtzulassungsbeschwerde anders entschieden hätte. Ganz im Gegenteil hätte es - auf der Grundlage seiner Feststellungen und seiner keinen revisionsrechtlich relevanten Rechtsfehler aufweisenden Würdigung zur Wirksamkeit der Widerrufserklärung des Klägers - anders entscheiden müssen.
15 Der Feststellungsantrag des Klägers, den der Senat als Prozesserklärung selbst auslegen kann, zielt allein auf die vertraglichen Erfüllungsansprüche aus dem Darlehensvertrag gemäß § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB (vgl. Senatsurteile vom 16. Mai 2017 - XI ZR 586/15, WM 2017, 1258 Rn. 13 und vom 19. Februar 2019 - XI ZR 225/17, juris Rn. 12). Die Auslegung des Klageantrags in diesem Sinne ist auch nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig und entspricht der wohlverstandenen Interessenlage. Wäre der Antrag des Klägers dagegen dahin zu verstehen, er leugne nicht (nur) Ansprüche der Beklagten aus § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB, sondern einen Anspruch der Beklagten aus dem nach Widerruf entstandenen Rückgewährschuldverhältnis gemäß § 358 Abs. 4 Satz 1, § 357a Abs. 3 Satz 1 BGB in der bis zum 27. Mai 2022 geltenden Fassung (künftig: aF), fehlte insoweit das erforderliche Feststellungsinteresse. Bei einer negativen Feststellungsklage entsteht das Feststellungsinteresse des Klägers regelmäßig aus einer vom Beklagten (nicht notwendig ausdrücklich) aufgestellten Bestandsbehauptung ("Berühmen") der vom Kläger verneinten Rechtslage (vgl. Senatsurteil vom 16. Mai 2017 aaO mwN). Da die Beklagte die Wirksamkeit des Widerrufs und damit das Zustandekommen eines Rückgewährschuldverhältnisses bestreitet, berühmt sie sich keines Anspruchs aus § 358 Abs. 4 Satz 1, § 357a Abs. 3 Satz 1 BGB aF.
16 Der Feststellungsantrag ist auch nicht unzulässig geworden, weil der Kläger das Fahrzeug an die Beklagte übergeben hat. Dabei handelt es sich auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts um einen rein tatsächlichen Vorgang. Dem Vorbringen der Parteien lässt sich nicht entnehmen, dass sie zugleich den Darlehensvertrag beendet hätten oder die Beklagte den Widerruf als wirksam akzeptiert hätte. Vielmehr berühmt sie sich weiterhin der Erfüllungsansprüche aus dem Darlehensvertrag.