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Wirtschaftsrecht
16.11.2023
Wirtschaftsrecht
EuGH: Verbraucherdarlehensvertrag – Missbräuchliche Klausel

EuGH, Urteil vom 9.11.2023 – C-598/21, SP, CI gegen Všeobecná úverová banka a.s.

ECLI:EU:C:2023:845

Volltext: BB-Online BBL2023-2690-1

unter www.betriebs-berater.de

Tenor

Art. 3 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen sind im Licht der Art. 7 und 38 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach bei der gerichtlichen Kontrolle der Missbräuchlichkeit einer in einem Verbraucherkreditvertrag enthaltenen Klausel über die vorzeitige Fälligstellung nicht berücksichtigt wird, ob die dem Gewerbetreibenden eingeräumte Möglichkeit, das ihm aus dieser Klausel erwachsende Recht auszuüben, im Hinblick auf Kriterien verhältnismäßig ist, die insbesondere mit der Schwere des Verstoßes des Verbrauchers gegen seine Vertragspflichten, wie dem Betrag der Raten, die im Verhältnis zu dem Gesamtbetrag des Kredits und der Laufzeit des Vertrags nicht gezahlt wurden, sowie mit der Möglichkeit zusammenhängen, dass die Anwendung dieser Klausel dazu führt, dass der Gewerbetreibende die aufgrund der Klausel geschuldeten Beträge durch den Verkauf der Familienwohnung des Verbrauchers ohne jegliches gerichtliches Verfahren einziehen kann.

 

Aus den Gründen

1          Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) in Verbindung mit ihren Art. 7 und 38, der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29), von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) (ABl. 2005, L 149, S. 22, berichtigt in ABl. 2009, L 253, S. 18), von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (ABl. 2008, L 133, S. 66, berichtigt in ABl. 2011, L 234, S. 46) in der durch die Richtlinie 2011/90/EU der Kommission vom 14. November 2011 (ABl. 2011, L 296, S. 35) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2008/48) sowie des Effektivitätsgrundsatzes.

 

2          Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen SP und CI auf der einen und der Všeobecná úverová banka a.s. (im Folgenden: VÚB), einem Kreditinstitut, auf der anderen Seite über die Aussetzung der außergerichtlichen Verwertung des Grundpfandrechts an ihrer Wohnung, das den zwischen diesen Parteien geschlossenen Kreditvertrag sichert.

 

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 93/13

 

3          In den Erwägungsgründen 13 und 16 der Richtlinie 93/13 heißt es:

„Bei Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, in denen direkt oder indirekt die Klauseln für Verbraucherverträge festgelegt werden, wird davon ausgegangen, dass sie keine missbräuchlichen Klauseln enthalten. Daher sind Klauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften oder auf Grundsätzen oder Bestimmungen internationaler Übereinkommen beruhen, bei denen die Mitgliedstaaten oder die Gemeinschaft Vertragsparteien sind, nicht dieser Richtlinie zu unterwerfen; der Begriff ‚bindende Rechtsvorschriften‘ in Artikel 1 Absatz 2 umfasst auch Regeln, die nach dem Gesetz zwischen den Vertragsparteien gelten, wenn nichts anderes vereinbart wurde.

...

Die nach den generell festgelegten Kriterien erfolgende Beurteilung der Missbräuchlichkeit von Klauseln, insbesondere bei beruflichen Tätigkeiten des öffentlich-rechtlichen Bereichs, die ausgehend von einer Solidargemeinschaft der Dienstleistungsnehmer kollektive Dienste erbringen, muss durch die Möglichkeit einer globalen Bewertung der Interessenlagen der Parteien ergänzt werden. Diese stellt das Gebot von Treu und Glauben dar. Bei der Beurteilung von Treu und Glauben ist besonders zu berücksichtigen, welches Kräfteverhältnis zwischen den Verhandlungspositionen der Parteien bestand, ob auf den Verbraucher in irgendeiner Weise eingewirkt wurde, seine Zustimmung zu der Klausel zu geben, und ob die Güter oder Dienstleistungen auf eine Sonderbestellung des Verbrauchers hin verkauft bzw. erbracht wurden. Dem Gebot von Treu und Glauben kann durch den Gewerbetreibenden Genüge getan werden, indem er sich gegenüber der anderen Partei, deren berechtigten Interessen er Rechnung tragen muss, loyal und billig verhält.“

 

4          Art. 1 der Richtlinie 93/13 lautet:

„(1)       Zweck dieser Richtlinie ist die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über missbräuchliche Klauseln in Verträgen zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern.

(2)        Vertragsklauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften oder auf Bestimmungen oder Grundsätzen internationaler Übereinkommen beruhen, bei denen die Mitgliedstaaten oder die Gemeinschaft – insbesondere im Verkehrsbereich – Vertragsparteien sind, unterliegen nicht den Bestimmungen dieser Richtlinie.“

 

5          Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 lautet:

„Eine Vertragsklausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde, ist als missbräuchlich anzusehen, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht.“

 

6          Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 sieht vor:

„Die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel wird unbeschadet des Artikels 7 unter Berücksichtigung der Art der Güter oder Dienstleistungen, die Gegenstand des Vertrages sind, aller den Vertragsabschluss begleitenden Umstände sowie aller anderen Klauseln desselben Vertrages oder eines anderen Vertrages, von dem die Klausel abhängt, zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses beurteilt.“

 

7            Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass missbräuchliche Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, für den Verbraucher unverbindlich sind, und legen die Bedingungen hierfür in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften fest; sie sehen ferner vor, dass der Vertrag für beide Parteien auf derselben Grundlage bindend bleibt, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann.“

 

8            Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass im Interesse der Verbraucher und der gewerbetreibenden Wettbewerber angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in den Verträgen, die er mit Verbrauchern schließt, ein Ende gesetzt wird.“

 

Richtlinie 2005/29

9            Art. 3 („Anwendungsbereich“) Abs. 1 der Richtlinie 2005/29 sieht vor:

„Diese Richtlinie gilt für unlautere Geschäftspraktiken im Sinne des Artikels 5 von Unternehmen gegenüber Verbrauchern vor, während und nach Abschluss eines auf ein Produkt bezogenen Handelsgeschäfts.“

 

Richtlinie 2008/48

10        Im zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/48 heißt es:

„Mit den Begriffsbestimmungen dieser Richtlinie wird der Bereich der Harmonisierung festgelegt. Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Umsetzung der Bestimmungen dieser Richtlinie sollte sich daher nur auf den durch diese Begriffsbestimmungen festgelegten Bereich erstrecken. Diese Richtlinie sollte die Mitgliedstaaten jedoch nicht daran hindern, nach Maßgabe des Gemeinschaftsrechts die Bestimmungen dieser Richtlinie auch auf Bereiche anzuwenden, die nicht in deren Geltungsbereich fallen. …“

 

11        Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2008/48 lautet:

„Diese Richtlinie gilt nicht für:

a)         Kreditverträge, die entweder durch eine Hypothek oder eine vergleichbare Sicherheit, die in einem Mitgliedstaat gewöhnlich für unbewegliches Vermögen genutzt wird, oder durch ein Recht an unbeweglichem Vermögen gesichert sind“.

 

Slowakisches Recht

Bürgerliches Gesetzbuch

12        § 53 des Zákon č. 40/1964 Zb. Občiansky zákonník (Gesetz Nr. 40/1964, Bürgerliches Gesetzbuch) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: Bürgerliches Gesetzbuch) regelt missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen. § 53 Abs. 9 sieht vor:

„Im Fall einer Leistung, die auf einem Verbrauchervertrag beruht und ratenweise zu erbringen ist, kann der Gewerbetreibende das Recht aus § 565 frühestens nach Ablauf von drei Monaten ab dem Eintritt des Zahlungsverzugs mit einer Rate ausüben, sofern er dem Verbraucher die Ausübung dieses Rechts unter Einhaltung einer zumindest 15-tägigen Frist angekündigt hat.“

 

13        § 54 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestimmt:

„Die Klauseln eines Verbrauchervertrags dürfen nicht zum Nachteil des Verbrauchers von diesem Gesetz abweichen. Insbesondere kann der Verbraucher nicht im Voraus auf die ihm durch dieses Gesetz oder durch besondere Verbraucherschutzvorschriften eingeräumten Rechte verzichten oder seine Vertragsposition auf andere Weise verschlechtern.“

 

14        § 151j Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs lautet:

„Wird die durch ein Pfandrecht gesicherte Forderung nicht ordnungsgemäß und rechtzeitig erfüllt, kann der Pfandgläubiger die Verwertung des Pfandrechts betreiben. Soweit dieses Gesetz oder ein besonderes Gesetz nicht etwas anderes bestimmt, kann sich der Pfandgläubiger im Rahmen der Verwertung des Pfandrechts in der vertraglich bestimmten Weise oder durch Verkauf des Pfandes im Wege der Versteigerung nach einem besonderen Gesetz … befriedigen oder Befriedigung durch Verkauf des Pfandes nach besonderen gesetzlichen Vorschriften … verlangen.“

 

15        Aus dem Vorabentscheidungsersuchen geht hervor, dass diese Bestimmung eine erste Fußnote enthält, die nach den Worten „nach einem besonderen Gesetz“ eingefügt ist und auf den Zákon č. 527/2002 Z. z. o dobrovoľných dražbách a o doplnení zákona Slovenskej národnej rady č. 323/1992 Zb. o notároch a notárskej činnosti (Notársky poriadok) v znení neskorších predpisov (Gesetz Nr. 527/2002 über freiwillige Versteigerungen und zur Ergänzung des Gesetzes Nr. 323/1992 des slowakischen Nationalrats über die Notare und die Notartätigkeit [Notariatsordnung] in geänderter Fassung, im Folgenden: Gesetz über freiwillige Versteigerungen) verweist, und eine zweite Fußnote, die nach den Worten „besonderen gesetzlichen Vorschriften“ steht und auf den Zákon č. 160/2015 Z. z. Civilný sporový poriadok (Gesetz Nr. 160/2015, Zivilprozessordnung) und auf den Zákon č. 233/1995 Z. z. Exekučný poriadok (Gesetz Nr. 233/1995, Vollstreckungsordnung, im Folgenden: Vollstreckungsordnung) verweist.

 

16        § 151m des Bürgerlichen Gesetzbuchs sieht vor:

„(1)       Soweit ein besonderes Gesetz nicht etwas anderes bestimmt, kann der Pfandgläubiger das Pfand frühestens nach Ablauf von 30 Tagen seit dem Tag, an dem er dem Verpfänder und, falls der Schuldner nicht mit dem Verpfänder identisch ist, dem Schuldner die Einleitung der Verwertung des Pfandrechts angezeigt hat, in der im Vertrag über die Bestellung des Pfandrechts bestimmten Weise oder im Wege der Versteigerung verkaufen. Ist das Pfandrecht im Pfandregister eingetragen und liegt der Tag der Eintragung der Einleitung der Verwertung des Pfandrechts im Pfandregister nach dem Tag der Anzeige der Einleitung der Verwertung des Pfandrechts an den Verpfänder und den Schuldner und ist die Person des Schuldners nicht mit der Person des Verpfänders identisch, so beginnt die 30-tägige Frist ab dem Tag der Eintragung der Einleitung der Verwertung des Pfandrechts im Pfandregister.

(2)        Der Verpfänder und der Pfandgläubiger können nach der Anzeige der Einleitung der Pfandrechtsverwertung vereinbaren, dass der Pfandgläubiger berechtigt ist, das Pfand auch vor Ablauf der Frist nach Abs. 1 in der im Vertrag über die Bestellung des Pfandrechts vereinbarten Weise oder im Wege der Versteigerung zu verkaufen.

(3)        Der Pfandgläubiger, der die Verwertung des Pfandrechts eingeleitet hat, um seine Forderung in der im Vertrag über die Bestellung des Pfandrechts vereinbarten Weise zu befriedigen, kann während der Verwertung des Pfandrechts jederzeit die Art der Pfandrechtsverwertung ändern und das Pfand versteigern oder die Befriedigung durch Verkauf des Pfandes nach besonderen gesetzlichen Vorschriften verlangen. Der Pfandgläubiger ist verpflichtet, den Verpfänder von der Änderung der Art der Pfandrechtsverwertung zu unterrichten.“

 

17        § 565 des Bürgerlichen Gesetzbuchs lautet:

„Im Fall einer Leistung, die ratenweise zu erbringen ist, kann der Gläubiger die Zahlung der gesamten Forderung wegen Nichtzahlung einer der Raten nur dann verlangen, wenn dies vereinbart oder in einer Entscheidung bestimmt ist. Der Gläubiger kann dieses Recht jedoch nur bis zur Fälligkeit der nachfolgenden Rate ausüben.“

 

Vollstreckungsordnung

18        § 63 Abs. 3 der Vollstreckungsordnung bestimmt, dass die Zwangsversteigerung einer unbeweglichen Sache nur ausnahmsweise und nach gerichtlicher Genehmigung erfolgen darf, wenn gegen die betreffende Person mehrere Vollstreckungsverfahren wegen Forderungen anhängig sind, deren Gesamtbetrag 2 000 Euro übersteigt, und der Gerichtsvollzieher nachweist, dass die Geldforderung nicht auf andere Weise beigetrieben werden kann.

 

Gesetz über freiwillige Versteigerungen

19        § 16 Abs. 1 des Gesetzes über freiwillige Versteigerungen sieht vor, dass eine Versteigerung nur auf der Grundlage einer schriftlichen Vereinbarung zwischen der die Versteigerung beantragenden Person und dem Versteigerer erfolgen darf.

 

20        Nach § 17 des Gesetzes über freiwillige Versteigerungen hat der Versteigerer den Verkauf durch Veröffentlichung einer Versteigerungsanzeige bekannt zu machen. Handelt es sich bei dem Versteigerungsobjekt um eine Wohnung, ein Haus oder eine sonstige Immobilie, ein Unternehmen oder einen Unternehmensteil oder übersteigt das Mindestgebot 16 550 Euro, veröffentlicht der Versteigerer die Versteigerungsanzeige mindestens 30 Tage vor Beginn der Versteigerung im Versteigerungsregister. Außerdem übermittelt der Versteigerer die Versteigerungsanzeige unverzüglich an das zuständige Ministerium zur Veröffentlichung im Handelsblatt sowie an die die Versteigerung beantragende Person, den Schuldner des Pfandgläubigers und den Eigentümer des Versteigerungsobjekts, sofern es sich nicht um den Schuldner handelt.

 

21        § 21 Abs. 2 des Gesetzes über freiwillige Versteigerungen sieht vor:

„Im Fall der Anfechtung der Gültigkeit des Pfandvertrags oder eines Verstoßes gegen die Bestimmungen dieses Gesetzes kann eine Person, die eine aufgrund dieses Verstoßes eingetretene Verletzung ihrer Rechte geltend macht, bei Gericht beantragen, die Versteigerung für nichtig zu erklären. Das Recht, bei Gericht die Nichtigerklärung der Versteigerung zu beantragen, erlischt, wenn es nicht innerhalb von drei Monaten nach der Zuschlagserteilung ausgeübt wird, es sei denn, die Gründe für die Nichtigerklärung der Versteigerung stehen in Zusammenhang mit der Begehung einer Straftat und die Versteigerung betrifft ein Haus oder eine Wohnung, in dem bzw. der der bisherige Eigentümer des Versteigerungsobjekts zum Zeitpunkt der Zuschlagserteilung seinen gemeldeten Wohnsitz nach einer besonderen Vorschrift hat; in diesem Fall kann die Nichtigerklärung der Versteigerung auch nach Ablauf dieser Frist beantragt werden. …“

 

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

22        Am 9. Februar 2012 gewährte VÚB den Klägern des Ausgangsverfahrens, SP und CI, einen über einen Zeitraum von 20 Jahren zu tilgenden Verbraucherkredit, der durch ein Grundpfandrecht gesichert war, und zwar an dem Familienhaus, das den Wohnsitz der Kläger des Ausgangsverfahrens und anderer Personen bildete (im Folgenden: in Rede stehender Kreditvertrag).

 

23        Vor diesem Zeitpunkt hatten die Kläger des Ausgangsverfahrens seit 2004 mehrere andere Verbraucherkredite bei der Consumer Finance Holding a.s. (im Folgenden: CFH) aufgenommen, mit der VÚB damals wirtschaftlich verbunden war. Aus dem Vorabentscheidungsersuchen ergibt sich, dass VÚB nahezu den gesamten Betrag, der SP und CI aufgrund des in Rede stehenden Kreditvertrags gewährt wurde, zur Tilgung der von CFH gewährten Kredite verwendete, die sie nicht mehr zurückzahlen konnten. Ferner soll VÚB ihnen ebenfalls noch vor Abschluss des in Rede stehenden Kreditvertrags eine Reihe von Verbraucherkrediten gewährt haben, deren Höhe VÚB einseitig festgelegt und die sie ebenfalls zum großen Teil für die Begleichung der Forderungen und Kosten verwendet haben soll, die sich aus den Krediten ergeben hätten, die SP und CI zuvor entweder von VÚB selbst oder von CFH gewährt worden seien.

 

24        Im Januar 2013, weniger als ein Jahr nach Abschluss des in Rede stehenden Kreditvertrags, verlangte VÚB in Anbetracht dessen, dass die Kläger des Ausgangsverfahrens in Zahlungsverzug geraten waren, auf der Grundlage einer in diesem Vertrag enthaltenen Klausel über die vorzeitige Fälligstellung (im Folgenden: Klausel über die vorzeitige Fälligstellung) die Rückzahlung aller aufgrund dieses Vertrags geschuldeten Beträge. Im April 2013 wurde SP und CI von VÚB deren Entscheidung mitgeteilt, ihre Sicherheit im Wege der „freiwilligen“ Versteigerung der verpfändeten Immobilie, d. h. einer außergerichtlichen Versteigerung, zu verwerten.

 

25        Diese Art der außergerichtlichen Versteigerung wird dem Vorabentscheidungsersuchen zufolge von Privatpersonen durchgeführt. Nachdem der Gläubiger einseitig die Höhe der Forderung festgesetzt hat, verkauft ein Versteigerer die betreffende Immobilie ohne jegliches gerichtliches Verfahren und ohne dass ein Gericht zuvor die Richtigkeit der Höhe der Forderung oder die Verhältnismäßigkeit des Verkaufs im Vergleich zur Höhe der Forderung hätte prüfen können. Das Gesetz bezeichnet diese Versteigerung trotz des fehlenden Einverständnisses der Verbraucher als „freiwillig“. Der Gläubiger kann das Verfahren der freiwilligen Versteigerung 30 Tage nach der Anzeige der Verwertung der Sicherheit einleiten.

 

26        Die Kläger des Ausgangsverfahrens erhoben beim Okresný súd Prešov (Bezirksgericht Prešov, Slowakei) Klage auf Aussetzung dieser Versteigerung des Familienhauses. Dieses erstinstanzliche Gericht wies ihre Klage mit einem ersten Urteil ab, das es sodann trotz der Aufhebung des Urteils durch den Krajský súd v Prešove (Regionalgericht Prešov, Slowakei) nach Zurückverweisung bestätigte. Nach Ansicht des erstinstanzlichen Gerichts ergibt sich aus der Rechtsprechung des Najvyšší súd Slovenskej republiky (Oberstes Gericht der Slowakischen Republik), dass aus dem Urteil vom 10. September 2014, Kušionová (C‑34/13, EU:C:2014:2189), nicht abgeleitet werden könne, dass die Bestimmungen der Richtlinie 93/13 der slowakischen Regelung entgegenstünden, die die außergerichtliche Verwertung eines Pfandrechts an der vom Verbraucher als Sicherheit gestellten Immobilie im Wege einer freiwilligen Versteigerung erlaube, auch wenn es sich um seine Wohnung handele und die gesicherte Forderung auf einem Vertrag beruhe, der missbräuchliche Klauseln enthalte.

 

27        Die Kläger des Ausgangsverfahrens legten gegen dieses zweite Urteil beim Krajský súd v Prešove (Regionalgericht Prešov), dem vorlegenden Gericht, Berufung ein, mit der sie erneut die Aussetzung des außergerichtlichen Verkaufs ihrer Wohnung beantragten und u. a. eine Verletzung ihrer Verbraucherrechte geltend machten.

 

28        Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass der Schutz vor unverhältnismäßigen Eingriffen in die Rechte der Verbraucher einschließlich ihres Rechts auf eine Wohnung bereits vor der Durchführung des Verkaufs besonders wichtig sei. Das slowakische materielle Recht sehe keine andere Möglichkeit eines Ex-ante-Schutzes vor, so dass den Verbrauchern im Fall einer freiwilligen Versteigerung ihrer Wohnung nur der Weg bleibe, eine Klage auf Aussetzung dieser Versteigerung zu erheben.

 

29        Im vorliegenden Fall habe der in Rede stehende Kreditvertrag eine Laufzeit von 20 Jahren, und VÚB habe die Klausel über die vorzeitige Fälligstellung weniger als ein Jahr nach Abschluss dieses Vertrags wegen eines Zahlungsverzugs von 1 106,50 Euro angewandt. Der Wert des Familienhauses, das außergerichtlich verkauft werde, liege mindestens 30-mal höher als der Betrag, für den VÚB die vorzeitige Fälligstellung erklärt und die Verwertung ihrer Sicherheit veranlasst habe.

 

30        Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass nach slowakischem Recht die Anwendung einer Klausel über die vorzeitige Fälligstellung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nur von einer einzigen Voraussetzung, nämlich einem Zahlungsverzug in Höhe von drei Monatsraten, und der Einhaltung einer zusätzlichen Benachrichtigungsfrist von 15 Tagen durch den Kreditgeber abhänge.

 

31        Diese Regelung sowie die in Rn. 26 des vorliegenden Urteils angeführte Rechtsprechung des Najvyšší súd Slovenskej republiky (Oberstes Gericht der Slowakischen Republik) könnten daher gegen das Unionsrecht und insbesondere gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen, da sie den Verkauf der Immobilie, in der der Verbraucher wohne, auch im Fall eines geringfügigen Vertragsverstoßes erlaubten.

 

32        Ferner messe die nationale Regelung über die Verwertung eines Grundpfandrechts im Wege der freiwilligen Versteigerung einer die Wohnung der Verbraucher bildenden Immobilie in ihrer Auslegung durch den Najvyšší súd Slovenskej republiky (Oberstes Gericht der Slowakischen Republik) ungeachtet des durch die Art. 7, 38 und 47 der Charta, die Richtlinien 93/13 und 2005/29 sowie den Effektivitätsgrundsatz gewährten Schutzes dem Schutz der Familienwohnung keine hinreichende Bedeutung bei und berücksichtige nicht die Möglichkeit anderer Mittel zur Verwertung der Sicherheit. Wie die Praxis zeige, habe die Vergabe von Krediten an Verbraucher für diese und ihre Familien sehr nachteilige Folgen.

 

33        Zur Anwendung der Richtlinie 2005/29 vertritt das vorlegende Gericht die Ansicht, dass die Praxis der Vergabe eines Kredits zur Begleichung von Verbindlichkeiten aus einem oder mehreren früheren Krediten nicht von der anhand dieser Richtlinie vorzunehmenden gerichtlichen Kontrolle ausgenommen werden könne. Die Umstände, unter denen der in Rede stehende Kreditvertrag geschlossen worden sei, stellten unlautere Geschäftspraktiken dar, die in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen müssten. Außerdem hätten unlautere Geschäftspraktiken ungeachtet dessen, dass sie den in Rede stehenden Rechtsakt nicht unmittelbar nichtig machten, Auswirkungen auf die Beurteilung der Missbräuchlichkeit der Vertragsklauseln.

 

34        Zur Anwendung der Richtlinie 2008/48 vertritt das vorlegende Gericht die Ansicht, dass ein Kredit, der zur Begleichung von Verbindlichkeiten aus früheren Krediten gewährt werde, weder ihrem Zweck noch dem Zweck der ihr vorausgegangenen Richtlinie entspreche.

 

35        Im Übrigen seien Kreditverträge, die durch eine Hypothek oder ein Recht an unbeweglichem Vermögen gesichert seien, zwar vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/48 ausgenommen, im vorliegenden Fall lege der in Rede stehende Kreditvertrag jedoch nicht den Zweck des Kredits fest und erfülle die für Verbraucherkreditverträge geltenden Anforderungen. Dieser Kreditvertrag sei weder durch eine Hypothek gesichert noch zur Finanzierung des Erwerbs einer Immobilie bestimmt, sondern habe dazu gedient, die Tilgung früherer Verbraucherkredite sicherzustellen. Unter diesen Umständen bestehe ein enger Zusammenhang zwischen dem Kreditvertrag und diesen zuvor von SP und CI geschlossenen Verbraucherkreditverträgen, so dass sich das vorlegende Gericht fragt, ob eine solche Situation in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/48 fällt.

 

36        Schließlich möchte das vorlegende Gericht zum Zweck der Bestimmung des genauen Betrags der Schuld der Kläger des Ausgangsverfahrens wissen, ob der vom Gerichtshof im Urteil vom 21. April 2016, Radlinger und Radlingerová (C‑377/14, EU:C:2016:283), gewählte Ansatz auf den vorliegenden Fall anwendbar ist.

 

37        Unter diesen Umständen hat das Krajský súd v Prešove (Regionalgericht Prešov) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.         Stehen Art. 47 in Verbindung mit den Art. 7 und 38 der Charta, die Richtlinie 93/13, die Richtlinie 2005/29 sowie der Grundsatz der Effektivität des Rechts der Europäischen Union einer nationalen Regelung wie § 53 Abs. 9 und § 565 des Bürgerlichen Gesetzbuchs entgegen, wonach bei vorzeitiger Fälligstellung die Verhältnismäßigkeit dieser Handlung nicht berücksichtigt wird, insbesondere die Schwere der Pflichtverletzung der Verbraucher im Verhältnis zur Höhe des Kredits und zum Tilgungszeitraum?

Für den Fall, dass die erste Frage verneint wird:

2.         a)         Stehen Art. 47 in Verbindung mit den Art. 7 und 38 der Charta, die Richtlinie 93/13, die Richtlinie 2005/29 sowie der Grundsatz der Effektivität des Rechts der Europäischen Union einer Rechtsprechung entgegen, die die Verwertung eines Pfandrechts durch eine private Versteigerung einer Immobilie, in der die Verbraucher bzw. andere Personen wohnen, in der Sache nicht aussetzt und zugleich die Schwere der Pflichtverletzung des Verbrauchers im Verhältnis zur Höhe des Kredits und zum Tilgungszeitraum nicht berücksichtigt, auch wenn die Forderung des Kreditgebers auf andere Art und Weise im Wege der gerichtlichen Zwangsvollstreckung befriedigt werden kann, in deren Rahmen der Verkauf der mit dem Pfandrecht belasteten Wohnung nicht vorrangig ist?

b)         Ist Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29 dahin auszulegen, dass sich der Schutz der Verbraucher vor unlauteren Geschäftspraktiken bei der Vergabe von Verbraucherkrediten auf alle Arten der Befriedigung der Forderung des Kreditgebers erstreckt, einschließlich der Aufnahme eines neuen Kredits, der zur Tilgung von Verbindlichkeiten aus einem vorausgegangenen Kredit vereinbart wurde?

c)         Ist die Richtlinie 2005/29 dahin auszulegen, dass als unlautere Geschäftspraxis auch das Verhalten eines Kreditgebers anzusehen ist, der wiederholt Kredite an einen Verbraucher, der nicht in der Lage ist, die Kredite zurückzuzahlen, in der Weise gewährt, dass daraus eine Kette von Krediten entsteht, die der Kreditgeber nicht tatsächlich an den Verbraucher auszahlt, sondern zur Tilgung vorausgegangener Kredite und der Gesamtkosten der Kredite einbehält?

d)         Ist Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2008/48 in Verbindung mit ihrem zehnten Erwägungsgrund dahin auszulegen, dass er die Anwendung dieser Richtlinie auch dann nicht ausschließt, wenn es sich um einen Kredit handelt, der alle Merkmale eines Verbraucherkredits aufweist, der Zweck des Kredits nicht vereinbart wurde und der gesamte Kredit, von einem geringfügigen Teil abgesehen, vom Kreditgeber zur Tilgung früherer Verbraucherkredite einbehalten wurde, aber als Sicherheit ein Pfandrecht an einer Immobilie vereinbart wurde?

e)         Ist das Urteil vom 21. April 2016, Radlinger und Radlingerová (C‑377/14, EU:C:2016:283), dahin auszulegen, dass es auch auf einen Vertrag über die Gewährung eines Kredits an einen Verbraucher anwendbar ist, wenn durch diesen Vertrag ein Teil des gewährten Kredits zur Begleichung der Kosten des Kreditgebers bestimmt worden ist?

 

Verfahren vor dem Gerichtshof

38        Mit am 22. Februar 2023 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangenem Schriftsatz hat VÚB beantragt, dass der Gerichtshof gemäß Art. 100 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs feststellt, dass er nicht mehr für eine Entscheidung in der Sache zuständig ist, da der Ausgangsrechtsstreit gegenstandslos geworden ist. Hilfsweise hat VÚB die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens gemäß Art. 83 der Verfahrensordnung beantragt.

 

39        Mit am 9. August 2023 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangenem Schriftsatz hat VÚB erneut die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens beantragt.

 

40        Was als Erstes den Hauptantrag in dem am 22. Februar 2023 eingegangenen Schriftsatz betrifft, erklärt VÚB nämlich, dass sie mit Wirkung zum 14. Februar 2023 auf das den in Rede stehenden Kreditvertrag sichernde Grundpfandrecht verzichtet habe, so dass der Ausgangsrechtsstreit gegenstandslos geworden sei und über das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen nicht mehr zu entscheiden sei.

 

41        Ferner hat VÚB dem Gerichtshof mit am 21. April 2023 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangenem Schreiben mitgeteilt, dass sie einer Übernahme der Schuld der Kläger des Ausgangsverfahrens durch einen Dritten zugestimmt habe, der diese Schuld in der Zwischenzeit getilgt habe. Auch aus diesem Grund sei der Ausgangsrechtsstreit gegenstandslos geworden.

 

42        Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs spricht eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen des nationalen Gerichts, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festlegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Es entspricht jedoch auch ständiger Rechtsprechung, dass das durch Art. 267 AEUV geschaffene Verfahren ein Instrument der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten ist, mit dem der Gerichtshof diesen Gerichten Hinweise zur Auslegung gibt, die sie zur Entscheidung des bei ihnen anhängigen Rechtsstreits benötigen. Die Rechtfertigung eines Vorabentscheidungsersuchens liegt nicht in der Abgabe von Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen, sondern darin, dass das Ersuchen für die tatsächliche Entscheidung eines Rechtsstreits erforderlich ist. Stellt sich heraus, dass der Ausgangsrechtsstreit gegenstandslos geworden ist, so dass die vorgelegten Fragen für die in diesem Rechtsstreit zu treffende Entscheidung offensichtlich nicht mehr erheblich sind, muss der Gerichtshof daher feststellen, dass er keine Entscheidung treffen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. November 2022, Banco Cetelem, C‑302/21, EU:C:2022:919, Rn. 26, 27, 31 und 32 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

 

43        In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof am 14. März 2023 und am 26. Mai 2023 an das vorlegende Gericht ein Ersuchen um Klarstellung gerichtet, ob die von VÚB angeführten Umstände den Ausgangsrechtsstreit tatsächlich beenden und ob die Antworten auf die dem Gerichtshof vorgelegten Fragen für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits noch erforderlich sind und gegebenenfalls aus welchen Gründen.

 

44        Mit Schreiben vom 5. April 2023 und vom 12. Juni 2023 hat das vorlegende Gericht darauf hingewiesen, dass weder der Verzicht auf das Grundpfandrecht noch die Übernahme der Schuld zur Folge gehabt hätten, dass der Ausgangsrechtsstreit gegenstandslos geworden sei, da die hierfür im nationalen Recht vorgesehenen Gültigkeitsvoraussetzungen nicht erfüllt worden seien. Zum einen hat es ausgeführt, dass es den einseitigen Verzicht von VÚB auf das Pfandrecht nicht gebilligt gehabt habe, da für das Erlöschen eines solchen Pfandrechts durch Verzicht eine Einigung mit den Schuldnern unerlässlich sei. Zum anderen hat es darauf hingewiesen, dass nach nationalem Recht alle Rechte der Kläger des Ausgangsverfahrens als Verbraucher gewahrt geblieben wären, wenn die Forderung von VÚB abgetreten worden wäre.

 

45        In Anbetracht der Erläuterungen des vorlegenden Gerichts ist davon auszugehen, dass der Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits fortbesteht und daher die Vorlagefragen für dessen Entscheidung weiterhin erheblich sind. Folglich ist über das Vorabentscheidungsersuchen zu entscheiden.

 

46        Was als Zweites den Antrag auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens betrifft, macht VÚB in ihrem am 22. Februar 2023 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangenen Hilfsantrag im Wesentlichen geltend, dass sie mit den Schlussanträgen der Generalanwältin in bestimmten Punkten nicht einverstanden sei, die auf unzutreffenden Gesichtspunkten beruhten, so dass der tatsächliche und/oder rechtliche Kontext der Vorlagefragen geklärt werden müsse. Ferner beanstandet VÚB in mehrfacher Hinsicht, wie die Generalanwältin in ihren Schlussanträgen die in diesen Fragen genannten Richtlinien ausgelegt hat.

 

47        Mit am 9. August 2023 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangenem Schriftsatz hat VÚB dem Gerichtshof zur Stützung ihres Antrags auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens zum einen mitgeteilt, dass sie am selben Tag beim Ústavný súd Slovenskej republiky (Verfassungsgericht der Slowakischen Republik) einen Rechtsbehelf gegen die Entscheidung des vorlegenden Gerichts vom 12. Juni 2023 eingelegt habe, mit der dieses entschieden habe, den Antrag auf Rücknahme des Vorabentscheidungsersuchens trotz der in Rn. 44 des vorliegenden Urteils genannten Umstände – Verzicht von VÚB auf das Grundpfandrecht und Übernahme der Schuld – zurückzuweisen. VÚB habe beim vorlegenden Gericht nämlich nicht beantragt, sein Vorabentscheidungsersuchen wegen dieser Handlungen zurückzunehmen, sondern den Gerichtshof gemäß Art. 100 Abs. 2 der Verfahrensordnung über alle Umstände zu unterrichten, die sich auf die Fortsetzung des Vorabentscheidungsverfahrens auswirken könnten. Dieser Verzicht und diese Schuldübernahme stellten aber solche Gesichtspunkte dar.

 

48        Zum anderen ist VÚB im Wesentlichen der Ansicht, dass für den Fall, dass der Gerichtshof aufgrund der Informationen, über die er in Bezug auf die Übernahme und den Verzicht verfüge, nicht imstande sei, über das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen auf der Grundlage von Art. 100 Abs. 2 der Verfahrensordnung zu entscheiden, das mündliche Verfahren wieder eröffnet werden müsse, um die Gesichtspunkte zu klären, die er insoweit für relevant halte.

 

49        Der Gerichtshof kann gemäß Art. 83 seiner Verfahrensordnung jederzeit nach Anhörung des Generalanwalts die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens beschließen, insbesondere wenn er sich für unzureichend unterrichtet hält, wenn eine Partei nach Abschluss des mündlichen Verfahrens eine neue Tatsache unterbreitet hat, die von entscheidender Bedeutung für die Entscheidung des Gerichtshofs ist, oder wenn ein zwischen den Parteien oder den in Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union bezeichneten Beteiligten nicht erörtertes Vorbringen entscheidungserheblich ist.

 

50        Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung der Umstand, dass eine Partei des Ausgangsrechtsstreits oder ein Beteiligter nicht mit den Schlussanträgen des Generalanwalts einverstanden ist, für sich genommen kein Grund sein kann, der die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens rechtfertigt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Februar 2023, Gallaher, C‑707/20, EU:C:2023:101, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

51        Daraus folgt, dass der Umstand, dass VÚB mit den Schlussanträgen der Generalanwältin nicht einverstanden ist, für sich genommen nicht die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens rechtfertigen kann.

 

52        Ferner ist der Gerichtshof nach Anhörung der Generalanwältin der Auffassung, dass er nach dem schriftlichen Verfahren und der vor ihm abgehaltenen mündlichen Verhandlung über alle für die Entscheidung über das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen erforderlichen Informationen verfügt.

 

53        Denn die Parteien des Ausgangsverfahrens sowie die am vorliegenden Verfahren Beteiligten – insbesondere VÚB – konnten sowohl im schriftlichen als auch im mündlichen Verfahren die rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte darlegen, die sie für erheblich halten, um dem Gerichtshof die Beantwortung der Fragen des vorlegenden Gerichts zu ermöglichen. Außerdem hat VÚB ungeachtet dessen, dass der Gerichtshof ausdrücklich gebeten hatte, in der mündlichen Verhandlung zu den Antworten des vorlegenden Gerichts auf ein ihm am 7. Juni 2022 übermitteltes erstes Klarstellungsersuchen, das u. a. den rechtlichen und tatsächlichen Rahmen der Vorlagefragen betraf, Stellung zu nehmen, beschlossen, an der mündlichen Verhandlung nicht teilzunehmen. Ferner ist in Bezug auf den Verzicht auf das Grundpfandrecht und die Übernahme der Schuld sowie ihre Folgen für die Anwendung von Art. 100 Abs. 2 der Verfahrensordnung festzustellen, dass diese Gesichtspunkte angesichts der Ausführungen in den Rn. 40 bis 45 des vorliegenden Urteils keinen Einfluss auf die Entscheidung haben können, die der Gerichtshof zu erlassen hat.

 

54        Schließlich lassen die von VÚB gestellten Anträge auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens keine neuen Tatsachen erkennen, die für die vom Gerichtshof zu erlassende Entscheidung von Bedeutung wären.

 

55        Unter diesen Umständen besteht keine Veranlassung, die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens anzuordnen.

 

Zur Beantwortung der Fragen

Zur Zulässigkeit

56        VÚB macht im Wesentlichen geltend, dass die Vorlagefragen zur Auslegung der Richtlinie 93/13 unzulässig seien, da sie für die Entscheidung des Rechtsstreits keinen Nutzen hätten und hypothetisch seien, weil sie in keinem Zusammenhang mit dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits stünden. Hierzu trägt VÚB im Wesentlichen vor, dass die Kläger des Ausgangsverfahrens systematisch und erheblich gegen ihre Vertragspflichten verstoßen hätten, so dass die Verwertung der Sicherheit jedenfalls im Einklang mit der Verhältnismäßigkeitsprüfung anhand der Kriterien des Urteils vom 14. März 2013, Aziz (C‑415/11, EU:C:2013:164, Rn. 73), stehe.

 

57        Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs spricht eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen des nationalen Gerichts, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festlegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Der Gerichtshof kann die Entscheidung über eine von einem nationalen Gericht gemäß Art. 267 AEUV zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage nur dann ablehnen, wenn etwa die in Art. 94 der Verfahrensordnung aufgeführten Anforderungen an den Inhalt eines Vorabentscheidungsersuchens nicht erfüllt sind oder offensichtlich ist, dass die Auslegung oder die Beurteilung der Gültigkeit einer Unionsvorschrift, um die das vorlegende Gericht ersucht, in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht oder wenn das Problem hypothetischer Natur ist (Urteil vom 20. Oktober 2022, Koalitsia „Demokratichna Bulgaria – Obedinenie“, C‑306/21, EU:C:2022:813, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

58        Ein solcher fehlender Zusammenhang oder der hypothetische Charakter der Vorlagefragen kann jedoch nicht allein auf der Grundlage des Vorbringens von VÚB dargetan werden, dass die Verwertung der Sicherheit im vorliegenden Fall verhältnismäßig sei. Wie die Generalanwältin in Nr. 49 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, zielen die Fragen zur Auslegung der Richtlinie 93/13 nämlich nicht auf die Feststellung ab, ob dies vorliegend der Fall ist, sondern darauf, ob das Gericht zu prüfen hat, ob die dem Gläubiger durch die Klausel über die vorzeitige Fälligstellung gebotene Möglichkeit verhältnismäßig ist, wenn es weder durch das nationale Recht noch durch die nationale Rechtsprechung dazu verpflichtet ist.

 

59        Somit erscheint die erbetene Auslegung der Bestimmungen der Richtlinie 93/13 für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits erforderlich und sind die Vorlagefragen nicht hypothetischer Natur. Folglich sind diese Fragen zulässig.

 

60        Dagegen ist festzustellen, dass das vorlegende Gericht, wie die slowakische Regierung und die Europäische Kommission geltend machen, nicht die rechtlichen und tatsächlichen Informationen zur Verfügung stellt, die den Zusammenhang zwischen den vorgelegten Fragen und der Richtlinie 2005/29 verdeutlichen würden. So erläutert das vorlegende Gericht nicht den Zusammenhang, der zwischen der Anwendung der Klausel über die vorzeitige Fälligstellung einerseits und dem Vorliegen unlauterer Geschäftspraktiken andererseits bestehen soll. Ebenso wenig erläutert es, inwieweit die Verwertung des Grundpfandrechts im Wege einer freiwilligen Versteigerung eine unlautere Geschäftspraxis darstellen könnte oder warum die Auslegung dieser Richtlinie in diesem Zusammenhang für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits erforderlich sein soll.

 

61        Daher ist davon auszugehen, dass die Anforderungen von Art. 94 Buchst. c der Verfahrensordnung nicht erfüllt sind und die Vorlagefragen nach der in Rn. 57 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung unzulässig sind, soweit sie die Auslegung der Richtlinie 2005/29 betreffen.

 

Zur ersten Frage

62        Da die erste Frage im Wesentlichen den Umfang der gerichtlichen Kontrolle der dem Gläubiger durch eine Klausel über die vorzeitige Fälligstellung eingeräumten Möglichkeit, das gesamte Darlehen fällig zu stellen, betrifft, ist zunächst zu prüfen, ob im vorliegenden Fall die Klausel über die vorzeitige Fälligstellung in den Anwendungsbereich der Richtlinie 93/13 fällt. Denn nach ihrem Art. 1 Abs. 2 unterliegen Vertragsklauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften beruhen, nicht den Bestimmungen der Richtlinie.

 

63        Diese Ausnahme von der Geltung der Regelung der Richtlinie 93/13, die sich auf die Bestimmungen des nationalen Rechts erstreckt, die das Verhältnis zwischen den Vertragsparteien unabhängig von ihrer Wahl regeln oder die von Gesetzes wegen greifen, wenn sie nicht abbedungen wurden, ist dadurch gerechtfertigt, dass grundsätzlich die Annahme zulässig ist, dass der nationale Gesetzgeber eine ausgewogene Regelung aller Rechte und Pflichten der Parteien bestimmter Verträge getroffen hat, eine Ausgewogenheit, die der Unionsgesetzgeber ausdrücklich wahren wollte (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. Juni 2021, Prima banka Slovensko, C‑192/20, EU:C:2021:480, Rn. 32, und vom 5. Mai 2022, Zagrebačka banka, C‑567/20, EU:C:2022:352, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

64        Die genannte Ausnahme hängt vom Vorliegen zweier Voraussetzungen ab: Erstens muss die Vertragsklausel auf einer Rechtsvorschrift beruhen, und zweitens muss diese Rechtsvorschrift bindend sein (Urteile vom 10. September 2014, Kušionová, C‑34/13, EU:C:2014:2189, Rn. 78, und vom 3. März 2020, Gómez del Moral Guasch, C‑125/18, EU:C:2020:138, Rn. 31).

 

65        Zur Feststellung, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, hat der Gerichtshof entschieden, dass das nationale Gericht zu prüfen hat, ob die fragliche Vertragsklausel auf unabdingbaren Bestimmungen des nationalen Rechts beruht, die zwischen den Vertragsparteien unabhängig von ihrer Wahl gelten, oder auf abdingbaren Bestimmungen, die in Ermangelung einer insoweit anderen Vereinbarung zwischen den Parteien von Gesetzes wegen gelten (Urteile vom 10. September 2014, Kušionová, C‑34/13, EU:C:2014:2189, Rn. 79, vom 3. März 2020, Gómez del Moral Guasch, C‑125/18, EU:C:2020:138, Rn. 32, und vom 5. Mai 2022, Zagrebačka banka, C‑567/20, EU:C:2022:352, Rn. 55).

 

66        Insoweit ist es Sache des nationalen Gerichts, anhand der vom Gerichtshof festgelegten Kriterien, d. h. unter Berücksichtigung der Natur, der allgemeinen Systematik und der Bestimmungen der betreffenden Darlehensverträge sowie des rechtlichen und tatsächlichen Kontexts dieser Verträge, zu prüfen, ob eine solche Klausel unter Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 fällt, wobei zu beachten ist, dass in Anbetracht des mit dieser Richtlinie verfolgten Ziels des Verbraucherschutzes die in Art. 1 Abs. 2 vorgesehene Ausnahme eng auszulegen ist (vgl. Urteil vom 5. Mai 2022, Zagrebačka banka, C‑567/20, EU:C:2022:352, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

67        Im vorliegenden Fall zeigt sich vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht, dass die Bestimmungen des nationalen Rechts, die Gegenstand der ersten Frage sind, nämlich § 53 Abs. 9 und § 565 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, in einer Klausel des in Rede stehenden Kreditvertrags, nämlich der Klausel über die vorzeitige Fälligstellung, widergespiegelt werden. Das vorlegende Gericht weist insoweit darauf hin, dass diese Klausel diese Bestimmungen „im Wesentlichen kopiert“.

 

68        Nach § 53 Abs. 9 des Bürgerlichen Gesetzbuchs kann der Gläubiger im Fall eines in Raten rückzahlbaren Verbraucherkreditvertrags gemäß § 565 des Bürgerlichen Gesetzbuchs die Zahlung des gesamten Kredits verlangen, wenn dies zwischen den Parteien vereinbart ist. Der Gläubiger kann dieses Recht frühestens drei Monate nach Zahlungsverzug mit einer Rate und erst dann ausüben, nachdem er den Verbraucher mindestens 15 Tage im Voraus davon unterrichtet hat.

 

69        In seiner Antwort auf das diesbezügliche Ersuchen des Gerichtshofs um Klarstellung hat das vorlegende Gericht ausgeführt, dass die genannten Bestimmungen nicht automatisch oder standardmäßig zur Anwendung kämen, wenn die Parteien insoweit keine entsprechende Wahl getroffen hätten. Außerdem hätten die Parteien im Kreditvertrag zwar vereinbart, dass der Gläubiger die vorzeitige Rückzahlung des Darlehensbetrags verlangen könne, doch sei er nicht verpflichtet, dieses Recht auszuüben. Zudem verleihe § 54 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, der im Wesentlichen vorsehe, dass in einem Verbrauchervertrag enthaltene Vertragsklauseln nicht zum Nachteil des Verbrauchers von den Bestimmungen dieses Gesetzbuchs abweichen dürften, § 53 Abs. 9 dieses Gesetzbuchs deswegen keinen zwingenden Charakter, da die erstgenannte Bestimmung es den Parteien gestatte, von der zweitgenannten Bestimmung abzuweichen, sofern dies zugunsten des Verbrauchers gehe.

 

70        Somit ist vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht, das allein für die Auslegung der Bestimmungen seines nationalen Rechts zuständig ist, festzustellen, dass die Klausel über die vorzeitige Fälligstellung, die es dem Gläubiger im Fall eines Verstoßes des Schuldners gegen seine Vertragspflichten ermöglicht, vorzeitig die Rückzahlung des gesamten noch ausstehenden Betrags zu verlangen, offensichtlich nicht als „Klausel, die auf bindenden Rechtsvorschriften beruht“, im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 einzustufen ist, da sie zwar die in Rn. 68 des vorliegenden Urteils angeführten nationalen Bestimmungen übernimmt, diese Bestimmungen aber nicht bindend sind und daher nicht die zweite Voraussetzung erfüllen, die nach Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie für die Anwendung der dort vorgesehenen Ausnahme erforderlich ist.

 

71        In diesem Fall unterliegt eine solche Klausel folglich den Bestimmungen der Richtlinie 93/13 in ihrer Auslegung durch den Gerichtshof.

 

72        Was die inhaltliche Prüfung der Frage anbelangt, ist es nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen des durch Art. 267 AEUV geschaffenen Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof Aufgabe des Gerichtshofs, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben. Hierzu hat er die ihm vorgelegten Fragen umzuformulieren und alle Bestimmungen des Unionsrechts auszulegen, die die nationalen Gerichte benötigen, um die bei ihnen anhängigen Rechtsstreitigkeiten zu entscheiden, auch wenn diese Bestimmungen in den dem Gerichtshof von diesen Gerichten vorgelegten Fragen nicht ausdrücklich genannt sind (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 4. Oktober 2018, Kamenova, C‑105/17, EU:C:2018:808, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

73        Insoweit ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner ersten Frage im Wesentlichen wissen möchte, ob Art. 3 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 im Licht der Art. 7 und 38 der Charta dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach bei der gerichtlichen Kontrolle der Missbräuchlichkeit einer in einem Verbraucherkreditvertrag enthaltenen Klausel über die vorzeitige Fälligstellung nicht berücksichtigt wird, ob die dem Gewerbetreibenden eingeräumte Möglichkeit, das ihm aus dieser Klausel erwachsende Recht auszuüben, im Hinblick auf Kriterien verhältnismäßig ist, die insbesondere mit der Schwere des Verstoßes des Verbrauchers gegen seine Vertragspflichten, wie dem Betrag der Raten, die im Verhältnis zu dem Gesamtbetrag des Kredits und der Laufzeit des Vertrags nicht gezahlt wurden, sowie mit der Möglichkeit zusammenhängen, dass die Anwendung dieser Klausel dazu führt, dass der Gewerbetreibende die aufgrund der Klausel geschuldeten Beträge durch den Verkauf der Familienwohnung des Verbrauchers ohne jegliches gerichtliches Verfahren einziehen kann.

 

74        Als Erstes ist darauf hinzuweisen, dass Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 angesichts dessen, dass sich der Verbraucher gegenüber dem Gewerbetreibenden in einer schwächeren Verhandlungsposition befindet und einen geringeren Informationsstand besitzt, vorsieht, dass missbräuchliche Klauseln für den Verbraucher unverbindlich sind. In diesem Zusammenhang muss das nationale Gericht zur Gewährleistung des in Art. 38 der Charta genannten hohen Verbraucherschutzniveaus die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie 93/13 fällt, auch von Amts wegen prüfen und damit dem Ungleichgewicht zwischen dem Verbraucher und dem Gewerbetreibenden abhelfen, sobald es über die hierzu erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen verfügt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. Dezember 2019, Bondora, C‑453/18 und C‑494/18, EU:C:2019:1118, Rn. 40, und vom 17. Mai 2022, Ibercaja Banco, C‑600/19, EU:C:2022:394, Rn. 35 bis 37).

 

75        Was als Zweites die Kriterien betrifft, anhand deren eine solche gerichtliche Kontrolle vorzunehmen ist, ist darauf hinzuweisen, dass Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 in ihrer Gesamtheit die allgemeinen Kriterien festlegen, anhand deren die Missbräuchlichkeit der unter die Bestimmungen der Richtlinie fallenden Vertragsklauseln beurteilt werden kann (Urteil vom 3. Juni 2010, Caja de Ahorros y Monte de Piedad de Madrid, C‑484/08, EU:C:2010:309, Rn. 33).

 

76        So definiert Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 mit der Bezugnahme auf die Begriffe „Treu und Glauben“ und „erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis“ der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner zum Nachteil des Verbrauchers nur abstrakt die Faktoren, die einer nicht im Einzelnen ausgehandelten Vertragsklausel missbräuchlichen Charakter verleihen (Urteil vom 26. Januar 2017, Banco Primus, C‑421/14, EU:C:2017:60, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

77        Bei der Frage, ob eine Klausel ein „erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis“ der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner zum Nachteil des Verbrauchers verursacht, sind insbesondere diejenigen Vorschriften zu berücksichtigen, die im nationalen Recht anwendbar sind, wenn die Parteien in dem betreffenden Punkt keine Vereinbarung getroffen haben. Anhand dieser vergleichenden Betrachtung kann das nationale Gericht bewerten, ob – und gegebenenfalls inwieweit – der Vertrag für den Verbraucher eine weniger günstige Rechtslage schafft, als sie das geltende nationale Recht vorsieht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. März 2013, Aziz, С‑415/11, EU:C:2013:164, Rn. 68).

 

78        Hinsichtlich der Frage, unter welchen Umständen ein solches Missverhältnis „entgegen dem Gebot von Treu und Glauben“ verursacht wird, muss das nationale Gericht unter Berücksichtigung des 16. Erwägungsgrundes der Richtlinie 93/13 zu diesem Zweck prüfen, ob der Gewerbetreibende bei loyalem und billigem Verhalten gegenüber dem Verbraucher vernünftigerweise erwarten durfte, dass der Verbraucher sich nach individuellen Verhandlungen auf eine solche Klausel einlässt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. März 2013, Aziz, C‑415/11, EU:C:2013:164, Rn. 69, und vom 10. Juni 2021, BNP Paribas Personal Finance, C‑609/19, EU:C:2021:469, Rn. 66).

 

79        Ferner ist nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel unter Berücksichtigung der Art der Güter oder Dienstleistungen, die Gegenstand des Vertrags sind, aller den Vertragsabschluss begleitenden Umstände sowie aller anderen Klauseln desselben Vertrags oder eines anderen Vertrags, von dem die Klausel abhängt, zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zu beurteilen.

 

80        Speziell in Bezug auf eine in einem Hypothekendarlehensvertrag mit langer Laufzeit enthaltene Klausel, die – wie die Klausel über die vorzeitige Fälligstellung – die Voraussetzungen festlegt, unter denen der Gläubiger die vorzeitige Rückzahlung verlangen kann, hat der Gerichtshof – wie die Generalanwältin in Nr. 74 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat – ebenfalls bereits Kriterien aufgestellt, anhand deren das nationale Gericht ihre etwaige Missbräuchlichkeit feststellen kann.

 

81        So hat der Gerichtshof wiederholt entschieden, dass für die Feststellung, ob eine Vertragsklausel über die vorzeitige Fälligstellung eines Hypothekenkredits ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis zum Nachteil des Verbrauchers verursacht, insbesondere die Frage von wesentlicher Bedeutung ist, ob die dem Gewerbetreibenden eingeräumte Möglichkeit, das gesamte Darlehen fällig zu stellen, davon abhängt, dass der Verbraucher eine Verpflichtung nicht erfüllt hat, die im Rahmen der fraglichen vertraglichen Beziehungen wesentlich ist, ob diese Möglichkeit für Konstellationen vorgesehen ist, in denen eine solche Nichterfüllung im Verhältnis zur Laufzeit und zur Höhe des Darlehens hinreichend schwerwiegend ist, ob die genannte Möglichkeit von den auf diesem Gebiet in Ermangelung spezifischer vertraglicher Bestimmungen anwendbaren allgemeinen Vorschriften abweicht und ob das nationale Recht angemessene und wirksame Mittel vorsieht, die es dem Verbraucher, dem gegenüber eine derartige Klausel zur Anwendung kommt, ermöglichen, die Wirkungen der Fälligstellung des Darlehens wieder zu beseitigen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Januar 2017, Banco Primus, C‑421/14, EU:C:2017:60, Rn. 66 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

82        Folglich muss das nationale Gericht dann, wenn es die etwaige Missbräuchlichkeit dieser Klausel beurteilt, insbesondere prüfen, ob die dem Gläubiger eingeräumte Möglichkeit, auf der Grundlage dieser Klausel den gesamten geschuldeten Betrag zu verlangen, verhältnismäßig ist, was bedeutet, dass es insbesondere das Ausmaß berücksichtigen muss, in dem der Verbraucher gegen seine Vertragspflichten verstößt, wie der Betrag der Raten, die im Verhältnis zu dem Gesamtbetrag des Kredits und der Laufzeit des Vertrags nicht gezahlt wurden.

 

83        Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die im Urteil vom 26. Januar 2017, Banco Primus (C‑421/14, EU:C:2017:60), genannten Kriterien für die Beurteilung der Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel über die vorzeitige Fälligstellung wegen Pflichtverletzungen des Schuldners in einem begrenzten Zeitraum weder kumulativ noch alternativ erfüllt sein müssen noch abschließend sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Dezember 2022, Caisse régionale de Crédit mutuel de Loire-Atlantique et du Centre Ouest, C‑600/21, EU:C:2022:970, Rn. 30 und 31).

 

84        Folglich ist die gerichtliche Kontrolle der Verhältnismäßigkeit dieser Klausel gegebenenfalls anhand zusätzlicher Kriterien vorzunehmen. Somit hat das nationale Gericht in Anbetracht der Wirkungen, die eine Klausel über die vorzeitige Fälligstellung haben kann, die in einen durch eine Familienwohnung gesicherten Verbraucherkreditvertrag wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden eingefügt ist, im Rahmen der Beurteilung der Missbräuchlichkeit der dem Gläubiger durch diese Klausel eröffneten Möglichkeit bei seiner Prüfung des etwaigen durch diese Klausel geschaffenen vertraglichen Ungleichgewichts den Umstand zu berücksichtigen, dass die Anwendung dieser Klausel gegebenenfalls dazu führen kann, dass der Gläubiger die aufgrund dieser Klausel geschuldeten Beträge durch den Verkauf dieser Wohnung ohne jegliches gerichtliches Verfahren einzieht.

 

85        Insoweit hat das nationale Gericht bei seiner Beurteilung der Mittel, die es dem Verbraucher ermöglichen, die Wirkungen der Fälligstellung der Gesamtheit der aufgrund des Darlehensvertrags geschuldeten Beträge wieder zu beseitigen, die Folgen zu berücksichtigen, die mit der Zwangsräumung der dem Verbraucher und seiner Familie als Hauptwohnsitz dienenden Wohnung verbunden sind. Die Achtung der Wohnung ist nämlich ein durch Art. 7 der Charta geschütztes Grundrecht, das das nationale Gericht bei der Anwendung der Richtlinie 93/13 zu berücksichtigen hat. Der Gerichtshof hat insoweit betont, wie wichtig es für das nationale Gericht ist, vorläufige Maßnahmen zur Aussetzung oder Verhinderung eines unzulässigen Hypothekenvollstreckungsverfahrens treffen zu können, wenn der Erlass solcher Maßnahmen erforderlich ist, um die Wirksamkeit des durch die Richtlinie 93/13 gewollten Schutzes zu gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. September 2014, Kušionová, C‑34/13, EU:C:2014:2189, Rn. 63 bis 66).

 

86        Sollte das vorlegende Gericht auf der Grundlage der oben genannten Kriterien im Rahmen seiner Beurteilung der Missbräuchlichkeit der Klausel über die vorzeitige Fälligstellung feststellen, dass im vorliegenden Fall das zugunsten von VÚB vereinbarte Recht, die vorzeitige Rückzahlung des Restbetrags zu verlangen, der aufgrund des in Rede stehenden und durch die Familienwohnung der Kläger des Ausgangsverfahrens gesicherten Kreditvertrags geschuldet wird, es diesem Gewerbetreibenden ermöglicht, dieses Recht auszuüben, ohne die Schwere des Verstoßes der Verbraucher im Verhältnis zu dem Darlehensbetrag und der Darlehenslaufzeit berücksichtigen zu müssen, könnte es aufgrund dieser Feststellung diese Klausel als missbräuchlich anzusehen haben, da sie unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände, unter denen der Vertrag geschlossen wurde und von denen der Gewerbetreibende zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses Kenntnis haben konnte, entgegen dem Gebot von Treu und Glauben ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis zum Nachteil der Verbraucher verursachen würde.

 

87        Wird die Klausel am Ende dieser Prüfung für missbräuchlich erklärt, hat das vorlegende Gericht sie für unanwendbar zu erklären, damit sie den Verbraucher nicht bindet, sofern der Verbraucher dem nicht widerspricht (Urteil vom 16. Juli 2020, Caixabank und Banco Bilbao Vizcaya Argentaria, C‑224/19 und C‑259/19, EU:C:2020:578, Rn. 50).

 

88        Insoweit dürfen die von den nationalen Rechtsordnungen aufgestellten Voraussetzungen, auf die Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 verweist, das Recht, an eine missbräuchliche Klausel nicht gebunden zu sein, das den Verbrauchern nach dieser Bestimmung zuerkannt wird, nicht in seinem Wesensgehalt beeinträchtigen (Urteil vom 26. Januar 2017, Banco Primus, C‑421/14, EU:C:2017:60, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

89        Denn der Schutz der Verbraucher würde sich ohne eine entsprechende Kontrolle als unvollständig und unzureichend erweisen und wäre entgegen Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 weder ein angemessenes noch ein wirksames Mittel, um der Verwendung von Klauseln dieser Art ein Ende zu setzen (Urteil vom 26. Januar 2017, Banco Primus, C‑421/14, EU:C:2017:60, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

90        Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 3 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 im Licht der Art. 7 und 38 der Charta dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach bei der gerichtlichen Kontrolle der Missbräuchlichkeit einer in einem Verbraucherkreditvertrag enthaltenen Klausel über die vorzeitige Fälligstellung nicht berücksichtigt wird, ob die dem Gewerbetreibenden eingeräumte Möglichkeit, das ihm aus dieser Klausel erwachsende Recht auszuüben, im Hinblick auf Kriterien verhältnismäßig ist, die insbesondere mit der Schwere des Verstoßes des Verbrauchers gegen seine Vertragspflichten, wie dem Betrag der Raten, die im Verhältnis zu dem Gesamtbetrag des Kredits und der Laufzeit des Vertrags nicht gezahlt wurden, sowie mit der Möglichkeit zusammenhängen, dass die Anwendung dieser Klausel dazu führt, dass der Gewerbetreibende die aufgrund der Klausel geschuldeten Beträge durch den Verkauf der Familienwohnung des Verbrauchers ohne jegliches gerichtliches Verfahren einziehen kann.

 

Zur zweiten Frage

91        In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage braucht die zweite Frage nicht beantwortet zu werden.

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