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Wirtschaftsrecht
10.11.2011
Wirtschaftsrecht
BGH: Verbotene Diskriminierung nach § 20 Abs. 1 GWB nur bei benachteiligter Wettbewerbsposition - Grossistenkündigung

BGH, Urteil vom 24.10.2011 - KZR 7/10

leitsatz

Eine nach § 20 Abs. 1 GWB verbotene Diskriminierung liegt nur vor, wenn sich die beanstandete Ungleichbehandlung nachteilig auf die Wettbewerbsposition des anspruchstellenden Unternehmens auswirkt.

GWB § 20 Abs. 1

sachverhalt

Die Klägerin, ein sogenannter Pressegrossist, verlangt von der beklagten Vertriebsgesellschaft der Bauer Media Group weiterhin mit Presseerzeugnissen des Bauer-Konzerns, eines der führenden deutschen und europäischen Zeit-schriftenverlage, beliefert zu werden.

In Deutschland werden nahezu alle Zeitungen und Zeitschriften, die über den stationären Einzelhandel mit Ausnahme des Bahnhofsbuchhandels ver-kauft werden, auf Großhandelsebene von insgesamt 73 Pressegrossisten ver-trieben. Neben 15 Grossisten mit unterschiedlicher Verlagsbeteiligung gibt es 58 verlagsunabhängige Grossisten, zu denen auch die Klägerin zählt. Grund-sätzlich versorgt jeweils nur ein einziger Grossist ein bestimmtes Gebiet mit den Publikationen sämtlicher Verlage. Lediglich in Hamburg und Berlin besteht ein sogenanntes Doppel-Grosso mit Objekttrennung, wobei zwei Grossisten jeweils die Produkte bestimmter Verlage ausschließlich vertreiben. Einer der beiden Grossisten in Hamburg ist die Pressevertrieb Nord KG (PVN), ein hundertpro-zentiges Konzernunternehmen der Bauer Media Group.

Die Grossisten kaufen die Zeitungen und Zeitschriften von den Verlagen und verkaufen sie zu gebundenen Preisen an die Einzelhändler in ihrem Gebiet weiter. Nicht verkaufte Exemplare werden von den Verlagen rückvergütet (Re-missionsrecht). Die Handelsspannen der Grossisten werden zwischen ihnen und den Verlagen jeweils für mehrere Jahre vereinbart. Für die verlagsunab-hängigen Grossisten werden diese Verhandlungen vom Bundesverband Deut-scher Buch-, Zeitungs- und Zeitschriften-Grossisten e.V. (BVPG) geführt.

Am 19. August 2004 unterzeichneten der Verband Deutscher Zeitschrif-tenverleger (VDZ), dessen Mitglied die Bauer Media Group ist, der Bundesver-band Deutscher Zeitungsverleger (BDZ) und der BVPG eine "Gemeinsame Er-klärung", in der es auszugsweise heißt:

Verlage und Grossisten bekennen sich einmütig zum bewährten Grosso-Vertriebssystem zugunsten der Überallerhältlichkeit und Vielfalt des Pressean-gebots in Deutschland. Dies beinhaltet auch die Akzeptanz der gegenwärtigen Grosso-Struktur, die aus einer Mischung von mittelständischen Grossisten (ca. 85% Umsatz-Anteil) und Grossisten mit vielfältigen Verlagsbeteiligungen be-steht. Eine Ausweitung der Grosso-Betriebe mit Verlagsbeteiligung ist nicht ge-plant. ...

Einhergehend mit diesem Bekenntnis für eine partnerschaftliche und langfristige Zusammenarbeit sehen Grossisten und Verlage keine Notwendigkeit, das Grosso-System gesetzlich zu sichern. Die Geschäftsbeziehungen sollen, unter Berücksichtigung der Essentials, marktwirtschaftlichen Bedingungen unterlie-gen.

Zwischen der Klägerin und dem Bauer-Verlag wurden mit Vertrag vom 12./17. November 1965 Allgemeine Lieferungs- und Zahlungsbedingungen ver-einbart, die wesentliche Regelungen des Grosso-Vertriebs enthalten, die Ver-einbarungen der Parteien allerdings nicht vollständig wiedergeben.

Mit Schreiben vom 30. Mai 2008 wies die Beklagte die Klägerin darauf hin, dass die geltende Handelsspannenvereinbarung zum 28. Februar 2009 auslaufe und sich nicht automatisch verlängere; die Beklagte kündigte deshalb "vorsorglich und zur Klarstellung die bestehenden Regelungen" zu diesem Termin. Mit Schreiben vom 20. Oktober 2008 teilte sie der Klägerin mit, dass ihr Grosso-Vertrag wegen der ausdrücklichen Befristung und Kündigung der Han-delsspannen zum 28. Februar 2009 ende, und kündigte den Grosso-Vertrag zudem vorsorglich zu diesem Datum. Zum 1. März 2009 beauftragte die Be-klagte die PVN mit dem Vertrieb der Zeitungen und Zeitschriften der Bauer Me-dia Group im Gebiet der Klägerin. Ebenso verfuhr sie gegenüber zwei anderen Grossisten in der Nähe von Hamburg.

Die Klägerin meint, sie habe einen vertraglichen Anspruch auf Weiterbe-lieferung, da die Beklagte im Hinblick auf die Gemeinsame Erklärung nicht zur Kündigung berechtigt gewesen sei. Außerdem behandele die Beklagte sie ohne rechtfertigenden Grund gegenüber den übrigen Presse-Grossisten, mit denen die Beklagte die Grosso-Verträge fortsetze, ungleich und behindere dabei nicht nur sie, sondern auch andere Verlage und den Einzelhandel.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ausschließlich die Klägerin im Vertriebsgebiet der Klägerin mit sämtlichen Presseerzeugnissen der Beklagten zur Abgabe an den stationären Einzelhandel mit Ausnahme des Bahnhofsbuchhandels zu den Be-dingungen zu beliefern, die die Beklagte am 13. Mai 2009 mit dem Bundesver-band Presse-Grosso vereinbart hat;

hilfsweise,

die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin zu den Bedingungen des bisherigen Presse-Grosso-Vertriebsvertrags im Vertriebsgebiet der Klägerin mit sämtlichen Presseerzeugnissen der Beklagten zur Abgabe an den stationären Einzelhandel mit Ausnahme des Bahnhofsbuchhandels zu beliefern.

Das Landgericht hat der Klage mit dem Hauptantrag stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagte begehrt.

aus den gründen

10        A. Das Berufungsgericht hat die Klage für unbegründet gehalten und da-zu ausgeführt:

11        Es könne dahingestellt bleiben, ob der zwischen den Parteien abge-schlossene Grosso-Vertrag nach § 34 GWB in der bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Fassung (§ 34 GWB aF) formnichtig sei. Jedenfalls sei er durch das Schreiben der Beklagten vom 20. Oktober 2008 mit einer Frist von sechs Mona-ten zum 30. April 2009 wirksam gekündigt worden, ohne dass es dafür beson-derer Kündigungsgründe bedurft habe.

12            Vertragliche Vereinbarungen stünden der Wirksamkeit der Kündigung nicht entgegen. Die Gemeinsame Erklärung sei nicht Bestandteil des zwischen den Parteien geschlossenen Vertriebsvertrags geworden. Für eine vertragliche Bindung der Beklagten reiche nicht aus, dass ihre Konzernmuttergesellschaft Mitglied im VDZ sei. Aus der Gemeinsamen Erklärung könnten sich auch keine einklagbaren Pflichten unter dem Aspekt einer Branchenübung ergeben, weil es sich dabei lediglich um eine branchenpolitische Absichtserklärung handele.

13        Die Klage sei auch nicht aus § 20 Abs. 1 GWB begründet. Kartellrecht greife im Streitfall schon nicht ein, weil durch die Tätigkeit der PVN im bisheri-gen Monopolgebiet der Klägerin überhaupt erst ein gewisser Wettbewerb eröff-net werde. Allerdings sei die Beklagte Normadressat in einem Geschäftsver-kehr, der gleichartigen Unternehmen üblicherweise zugänglich sei. Eine unbilli-ge Behinderung oder ungerechtfertigt unterschiedliche Behandlung der Klägerin auf dem insoweit relevanten Markt sei aber nicht zu erkennen. Sachlich rele-vanter Markt sei der Zeitschriften-Vertriebsmarkt, während räumlich relevant nur das Gebiet sei, in dem die Klägerin (bislang ausschließlich) tätig gewesen sei. Unter dem im Rahmen des GWB allein maßgeblichen wettbewerblichen Aspekt sei nicht zu beanstanden, wenn in dem bisherigen Monopolgebiet nun der Wettbewerb (zunächst) zweier Vertriebsorganisationen um die Verlage, deren Produkte sie vertreiben, angestoßen werde. Auch eine sachlich ungerechtferti-ge Ungleichbehandlung liege nicht vor. Der Übergang zur Eigenversorgung nach angemessener Frist sei mit § 20 Abs. 1 GWB vereinbar. Die Klägerin habe keinen Anspruch darauf, dass das bisherige Monopolsystem perpetuiert werde. Auch im Hinblick auf Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG und bei allem - durchaus nach-vollziehbaren - Gemeinwohlinteresse an der Aufrechterhaltung des bisherigen Presse-Grosso-Systems ergebe sich keine Bindung der Beklagten hinsichtlich der Wahl ihres Vertriebspartners.

14        B. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Revision der Klägerin hat kei-nen Erfolg. Der Grosso-Vertrag der Parteien konnte von der Beklagten or-dentlich gekündigt werden, ohne dass es dazu der Darlegung eines sachlichen Grundes bedurfte. Eine Verpflichtung der Beklagten, neben der PVN auch die Klägerin weiter mit den Presseerzeugnissen der Bauer Media Group zu belie-fern, besteht ebenfalls nicht.

15        I. Dahinstehen kann, ob der Vertrag dem Schriftformerfordernis des § 34 GWB aF nicht genügte, weil er die Vereinbarungen der Parteien nicht vollstän-dig wiedergab, und ob es der Beklagten gegebenenfalls nach § 242 BGB ver-wehrt war, sich auf einen etwaigen Mangel der Schriftform zu berufen (vgl. BGH, Urteil vom 20. Mai 2003 - KZR 29/02, WRP 2003, 1448, 1450 - Apollo-Optik; Bornkamm in Langen/Bunte, Kartellrecht, 11. Aufl., Anh. zu § 34a GWB Rn. 40 ff.; Kefferpütz, WRP 1999, 784, 790 f.). Denn die Beklagte hat den Grosso-Vertrag jedenfalls wirksam gekündigt. Auf unbestimmte Zeit abge-schlossene Dauerverträge können grundsätzlich auch ohne ausdrückliche Re-gelung mit angemessener Kündigungsfrist ordentlich beendet werden. Unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände des Streitfalls gilt dies auch im Verhältnis der Parteien. Insbesondere ergibt sich aus der Gemeinsamen Erklä-rung vom 19. August 2004 nichts anderes.

16        1. Ob und gegebenenfalls mit welchem Inhalt die Gemeinsame Erklärung rechtliche Bindungen der beteiligten Berufsverbände begründet hat, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung. Jedenfalls entfaltet sie keine Rechtswirkungen gegenüber den einzelnen Verlagen. Dafür wäre es erforderlich gewesen, dass der einzelne Verlag entweder individuell der Gemeinsamen Erklärung beigetre-ten wäre oder deren Inhalt im Wege der Änderung seines jeweiligen Grossis-ten-Vertrags als verbindlich anerkannt hätte. Beides ist - jedenfalls seitens der Bauer Media Group - nicht geschehen.

17        a) Der Kläger hat nicht dargelegt, dass der VDZ aufgrund allgemeiner oder gesonderter Vollmacht berechtigt war, in der Gemeinsamen Erklärung als Vertreter Rechtswirkungen für die ihm angeschlossenen Verlage oder jedenfalls für die Bauer Media Group zu begründen. Die Bauer Media Group ist der Ge-meinsamen Erklärung auch weder ausdrücklich beigetreten, noch hat sie ihren Inhalt in den Vertrag mit der Klägerin übernommen. Der Vertrag wurde vielmehr nach der Gemeinsamen Erklärung unverändert fortgeführt.

18        b) Zwar lässt sich dem Schlusssatz der Gemeinsamen Erklärung wie auch verschiedenen von der Klägerin vorgelegten Dokumenten entnehmen, dass die Gemeinsame Erklärung der branchenweiten Selbstregulierung zur Vermeidung gesetzgeberischer Eingriffe dienen sollte und von der Bundesre-gierung angeregt worden war (vgl. etwa Schreiben der Beauftragten der Bun-desregierung für Kultur und Medien, Staatsministerin Dr. Christina Weiss, vom 21. September 2004, die Antworten des Parl. Staatssekretärs Dr. Ditmar Staffelt vom 1. Dezember 2004 - Deutscher Bundestag, 15. Wahlperiode, 144. Sitzung, S. 13407 - und des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Staatsminister Bernd Neumann vom 5. September 2006 - BT-Drucks. 16/2552, S. 1 -, jeweils auf Anfragen des Abgeordneten Hans-Joachim Otto, sowie Medi-en- und Kommunikationsbericht der Bundesregierung 2008, S. 163).

19            Politische Appelle, Erwartungen und Bewertungen sind aber als solche ungeeignet, unmittelbar rechtsverbindliche Pflichten einzelner Bürger oder Un-ternehmen zu begründen. Sie können auch im Streitfall keine Verbindlichkeit der Gemeinsamen Erklärung für die Verlage herbeiführen. Etwas anderes ergibt sich hier auch nicht aus der verbandspolitischen Entscheidung der Pressegros-sisten, im Hinblick auf die Gemeinsame Erklärung davon Abstand zu nehmen, auf eine in ihrem Vorfeld erwogene gesetzliche Absicherung des Presse-Grosso hinzuwirken.

20        2. Die Beklagte ist an der ordentlichen Kündigung des Grosso-Vertrags nicht durch eine Branchenübung gehindert. Die Klägerin hat dazu lediglich aus-geführt, in den letzten 40 Jahren sei es zu keinen Kündigungen von Grossisten gekommen. Das kann indes auf ganz unterschiedlichen Umständen und Moti-ven beruhen. Der Umstand, dass Grossistenverträge über einen längeren Zeit-raum nicht gekündigt worden sind, lässt deshalb nicht den Schluss zu, dass eine ordentliche Kündigung solcher Verträge kraft Branchenübung ausge-schlossen wäre.

21        3. Die ordentliche Kündigung des Grosso-Vertrags mit der Klägerin ohne Nachweis eines sachlich gerechtfertigten Grundes ist auch kein mit § 242 BGB unvereinbares, widersprüchliches und daher unbeachtliches Verhalten der Be-klagten.

22        Der Umstand, dass die Bauer Media Group von den Verhandlungen, die zu der Gemeinsamen Erklärung führten, Kenntnis haben musste und ein Wi-derspruch von ihr weder festgestellt noch vorgetragen ist, reicht nicht aus, zu-gunsten der Klägerin einen rechtlich beachtlichen Vertrauenstatbestand zu schaffen, dass die Beklagte den Grosso-Vertrag nicht ohne sachlich gerechtfer-tigten Grund kündigen werde. Soweit aus dem Verhalten der Bauer Media Group geschlossen werden könnte, dass sie dem Inhalt der Gemeinsamen Er-klärung bei deren Abschluss zustimmte, wäre sie mangels für sie rechtsverbind-licher Bindungen grundsätzlich nicht gehindert gewesen, ihre Haltung später zu ändern. Die Klägerin hatte keine Grundlage darauf zu vertrauen, dass eine sol-che Änderung der Haltung nicht erfolgen werde. Insbesondere hatte die Beklag-te gegenüber der Klägerin insoweit weder ein vertrauensbegründendes Verhalten gezeigt noch entsprechende Erklärungen abgegeben. Sie hat der Beklagten nicht zugesagt, ihr Kündigungsrecht nur aus sachlichem Grund auszuüben (vgl. OLG München, NJW-RR 1992, 1038).

23        Es ist auch weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die Klägerin im Hinblick auf die Gemeinsame Erklärung auf den Fortbestand ihres Vertrags vertraut und in diesem Vertrauen besondere Dispositionen getroffen hat. Die verbandspolitische Entscheidung des BVPG, sich nicht um eine gesetzliche Absicherung des Presse-Grosso zu bemühen, stellt keine für § 242 BGB rele-vante Vertrauensbetätigung der Klägerin dar.

24        II. Die Klägerin kann ihren Hauptantrag auch nicht auf § 20 Abs. 1 GWB stützen.

25        1. § 20 Abs. 1 GWB käme von vornherein nicht als Anspruchsgrundlage in Betracht, wenn der von der Klägerin hauptsächlich verfolgte ausschließliche Belieferungsanspruch auf die Aufrechterhaltung eines kartellrechtlich unzuläs-sigen Gebietsmonopols gerichtet wäre. Denn ein kartellrechtlich unzulässiges Verhalten verdient im Rahmen des § 20 Abs. 1 GWB keinen Schutz. Bei der gebietsbezogenen Alleinauslieferung, die Grundlage des Grosso-Systems ist, handelt es sich um eine Wettbewerbsbeschränkung, die nur zulässig ist, wenn sie die Freistellungsvoraussetzungen des § 2 Abs. 1 GWB erfüllt.

26        2. Es bedarf im Streitfall aber keiner Entscheidung, ob das System des Presse-Grosso nach § 2 Abs. 1 GWB freigestellt ist. Denn selbst wenn die Frei-stellung zugunsten der Klägerin unterstellt wird, scheidet ein Anspruch nach § 20 Abs. 1 GWB bereits aus anderen Gründen aus.

27        a) Die Beklagte ist allerdings Normadressat des § 20 Abs. 1 GWB. Als Tochtergesellschaft der Bauer Media Group, deren Verlage die Preise ihrer Zeitschriften binden, ist auch die Beklagte als preisbindendes Unternehmen im Sinne von § 30 Abs. 1 Satz 1 GWB anzusehen. Die Klägerin kann sich, auch wenn sie selbst in das Preisbindungssystem der Beklagten einbezogen war, auf diese Normadressateneigenschaft berufen (vgl. BGH, Urteil vom 9. November 1967, WuW/E BGH 886, 888 f. - Jägermeister; BKartA, WuW/E BKartA 1441, 1442 - Bürsten).

28        b) Die Klägerin begehrt Zugang zu einem gleichartigen Unternehmen üb-licherweise zugänglichen Geschäftsverkehr. Maßgeblicher Geschäftsverkehr im Sinne dieses Tatbestandsmerkmals, das nach ständiger Rechtsprechung nur einer verhältnismäßig groben Sichtung dient (BGH, Urteil vom 8. Mai 2007 KZR 9/06, WuW/E DE-R 1983 - Autoruf-Genossenschaft II, Rn. 11, mwN), ist hier der Großhandel mit Presseerzeugnissen.

29        Dieser Geschäftsverkehr ist üblicherweise zugänglich, weil mit der Kläge-rin gleichartige Unternehmen, nämlich die anderen deutschen Pressegrossis-ten, in ihrem jeweiligen Gebiet Zugang zum Großhandelsvertrieb für das ge-samte in Deutschland angebotene Zeitungs- und Zeitschriftensortiment haben. Dass bei der gebietsbezogenen Alleinauslieferung regelmäßig nur ein Grossist für ein bestimmtes Gebiet zugelassen wird, steht der Zugänglichkeit des Ge-schäftsverkehrs nicht entgegen. Denn üblicherweise zugänglich ist ein Ge-schäftsverkehr auch dann, wenn der Zugang quantitativ begrenzt ist und in be-stimmten Gebieten nur wenige oder sogar nur ein Anbieter tätig sind (vgl. BGH, Urteil vom 7. März 1989 - KZR 15/87, BGHZ 107, 273, 278 - Lotterie-bezirksstelle; Urteil vom 14. Juli 1998 - KZR 1/97, WuW DE-R 201, 203 - Schilderpräger im Landratsamt; Nothdurft in Langen/Bunte, GWB, 11. Aufl., § 20 Rn. 104 aE, 106 aE; Lübbert in Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 2. Aufl., § 27 Rn. 4 aE). Andernfalls würde das Diskriminierungsverbot des § 20 Abs. 1 GWB regelmäßig nicht gegenüber Unternehmen gelten, die ihre Erzeug-nisse über gebietsexklusive Alleinvertriebshändler absetzen, was mit der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des GWB nicht vereinbar wä-re (vgl. Sommerlad, WRP 1980, 269).

30        c) Eine Ungleichbehandlung der Klägerin gegenüber gleichartigen Unter-nehmen im Sinne des § 20 Abs. 1 GWB liegt jedoch nicht vor.

31        aa) Die Klägerin kann sich unter dem Aspekt der Ungleichbehandlung nicht darauf berufen, dass die Beklagte sie nicht mehr beliefert, wohl aber die PVN. Die PVN bildet als Konzernunternehmen der Bauer Media Group mit der Beklagten eine wirtschaftliche Einheit. Sie kann deshalb gegenüber der Kläge-rin nicht als gleichartiges Unternehmen angesehen werden (vgl. BGH, Urteil vom 24. September 2002 - KZR 4/01, WuW/E DE-R 1003, 1004 - Kommunaler Schilderprägebetrieb; Urteil vom 10. Februar 1987 - KZR 6/86, WuW/E BGH 2360, 2365 - Freundschaftswerbung).

32        bb) Aber auch in Bezug auf die anderen Grossisten fehlt es an einer nach § 20 Abs. 1 GWB unzulässigen Ungleichbehandlung. Die Klägerin vertreibt zwar ihre Presseerzeugnisse in weiten Teilen des Bundesgebiets weiter über verlagsunabhängige Pressegrossisten mit Gebietsmonopol. Das Diskriminie-rungsverbot des § 20 Abs. 1 GWB richtet sich aber nicht gegen jede Ungleich-behandlung als solche, sondern gegen die sich hieraus ergebende Beeinträch-tigung der wettbewerblichen Chancengleichheit gleichartiger Unternehmen. Der Normzweck ist auf den Schutz der Wettbewerbsmöglichkeiten anderer Unter-nehmen vor Beeinträchtigungen durch den Normadressaten gerichtet. Eine als Ungleichbehandlung beanstandete Bevorzugung muss sich daher nachteilig auf die Wettbewerbsposition des anspruchstellenden Unternehmens auswirken (vgl. Markert in Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, § 20 Rn. 121; MünchKomm.GWB/K. Westermann, § 20 Rn. 72; Benisch in Gemeinschafts-kommentar zum GWB, 4. Aufl., § 26 Abs. 2 und 3 Rn. 83).

33        Das ist im Streitfall jedoch nicht der Fall. Die Belieferung der anderen Pressegrossisten in ihren jeweiligen Alleinauslieferungsgebieten beeinträchtigt nicht die wettbewerblichen Chancen der nicht mehr belieferten Klägerin. Auf-grund der Gebietsmonopole im Grosso-System steht sie mit ihnen nicht im Wettbewerb. Wirkt sich die Besserstellung der anderen Grossisten aber nicht nachteilig auf die Wettbewerbsstellung der Klägerin aus, so kann diese sich auf kein schutzwürdiges Interesse an der Beseitigung der unterschiedlichen Be-handlung berufen (vgl. BGH, Urteil vom 19. Juni 1975, KZR 10/74, WuW/E BGH 1405, 1410 - Grenzmengenabkommen).

34        Diese Beurteilung steht nicht in Widerspruch zu der Regelung der Preis-spaltung in § 19 Abs. 4 Nr. 3 GWB. Nach dieser Vorschrift kann zwar die Un-gleichbehandlung eines Abnehmers gegenüber gleichartigen Abnehmern auch auf anderen räumlichen Märkten den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung begründen. § 19 Abs. 4 Nr. 3 GWB ist aber ein besonders geregelter Fall des Ausbeutungsmissbrauchs und erfüllt damit eine andere Funktion als das Diskriminierungsverbot des § 20 Abs. 1 GWB. Zweck des in § 19 Abs. 4 Nr. 3 GWB vorgesehenen Preisvergleichs ist es, eine Ausbeutung der Abneh-mer im beherrschten Gebiet durch Preisspaltung aufzudecken und insoweit missbräuchliche Marktergebnisse allein wegen der unangemessenen preisli-chen Belastung der Marktgegenseite zu verhindern (vgl. Wiedemann in Wiede-mann, Handbuch des Kartellrechts, 2. Aufl., § 23 Rn. 51).

35        d) Auch eine unbillige Behinderung im Sinne von § 20 Abs. 1 GWB ist nicht gegeben.

36        Die Klägerin wird zwar dadurch objektiv behindert, dass sie von der Be-klagten nicht mehr beliefert wird. Diese Behinderung ist jedoch nicht unbillig.

37        Ob eine Behinderung unbillig ist, bestimmt sich anhand einer Gesamt-würdigung und Abwägung aller beteiligten Interessen unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des Gesetzes, die auf die Sicherung des Leistungswettbewerbs und insbesondere die Offenheit der Marktzugänge gerichtet ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 12. März 1991 KZR 26/89, WuW/E BGH 2707, 2716 - Krankentransportunternehmen II; Urteil vom 24. Juni 2003 - KZR 32/01, WuW DE-R 1144, 1146 - Schülertransporte, mwN). Danach kommt ein Anspruch der Klägerin auf ausschließliche Beliefe-rung mit den Presseerzeugnissen der Beklagten nicht in Betracht.

38        aa) Ausgangspunkt der im Rahmen des § 20 GWB vorzunehmenden Abwägung ist der in ständiger Rechtsprechung des Senats hervorgehobene, aus der unternehmerischen Handlungsfreiheit abzuleitende Grundsatz, dass das Behinderungsverbot des § 20 Abs. 1 GWB den Normadressaten grundsätz-lich nicht daran hindert, seine geschäftliche Tätigkeit und sein Absatzsystem nach eigenem Ermessen so zu gestalten, wie er dies für wirtschaftlich sinnvoll und richtig erachtet. Das umfasst das Recht des Normadressaten, seine Waren statt wie bisher über unabhängige Absatzmittler künftig über Tochtergesell-schaften zu vertreiben. Da die mit der Beklagten als Normadressaten verbun-dene PVN im Hinblick auf die bestehende wirtschaftliche Einheit nicht als mit der Klägerin gleichartiges Unternehmen anzusehen ist, ist ihre Bevorzugung durch die Beklagte für sich genommen nicht unbillig (vgl. BGH, WuW/E DE-R 1003, 1005 - Kommunaler Schilderprägebetrieb; BGH, Urteil vom 13. Juli 2004 KZR 17/03, WuW DE-R 1377, 1378 f. - Sparberaterin I).

39        bb) Gegen den von der Klägerin geltend gemachten Alleinbelieferungs-anspruch spricht vor allem auch von vornherein, dass die auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichtete Zielsetzung des Gesetzes gegen Wettbewerbs-beschränkungen grundsätzlich einem System der Alleinauslieferung entgegen-steht, das jeden Wettbewerb auf Großhandelsebene ausschließt. Es erscheint deshalb schwer vorstellbar, der auf die Kontrolle von Marktmacht durch Förde-rung von Wettbewerb zielenden Vorschrift des § 20 Abs. 1 GWB die Verpflich-tung eines Verlages zu entnehmen, sämtliche Presseerzeugnisse über einen einzigen, auch von seinen Wettbewerbern beauftragten etablierten Gebiets-grossisten zu vertreiben, auf dessen Auswahl er praktisch keinen Einfluss hat.

40        cc) Eine Unbilligkeit der Beauftragung der PVN mit dem Vertrieb der Presseerzeugnisse der Beklagten könnte sich daher allenfalls aufgrund beson-derer Umstände ergeben. Solche Umstände hat die Klägerin, die dafür die Dar-legungs- und Beweislast trägt (BGH, Urteil vom 12. November 1991, WuW/E BGH 2762, 2767 f. - Amtsanzeiger mwN), jedoch nicht aufzuzeigen vermocht.

41        (1) Das Interesse der Klägerin, ihren Status als Alleinauslieferer für Pres-seerzeugnisse auf Großhandelsebene in ihrem Gebiet zu behalten, ist als sol-ches im Rahmen des § 20 Abs. 1 GWB nicht geschützt.

42        (2) Die Klägerin hat nicht dargelegt, dass es auf unsachlichen Erwägun-gen der Beklagten beruhte, das an Hamburg angrenzende Vertriebsgebiet der Klägerin für die Ausdehnung der Geschäftstätigkeit der PVN auszuwählen. Ohne entsprechenden, substantiierten Vortrag ist das nicht anzunehmen, weil aus Sicht der Beklagten logistische Gründe dafür sprechen konnten, ihrer bis-her allein in Hamburg tätigen Schwestergesellschaft PVN zunächst nur den Vertrieb im Hamburger Umland zusätzlich zu übertragen. Die Klägerin behaup-tet auch nicht, dass ihr Grosso-Vertrag gekündigt wurde, weil sie Forderungen nach einer Bevorzugung der Presseerzeugnisse der Beklagten nicht nachge-kommen sei. Die abstrakte Möglichkeit, dass künftig marktstarke Verlage ihr ordentliches Kündigungsrecht zu einem solchen Zweck als Druckmittel miss-brauchen könnten, kann eine präventive Beschränkung des Kündigungsrechts der nach dem festgestellten Sachverhalt insoweit bisher unverdächtigen Be-klagten nicht begründen.

43        dd) Ist somit davon auszugehen, dass die Beklagte die für die Ausdeh-nung des Tätigkeitsgebiets der PVN bestimmten Gebiete nicht mit wettbe-werbswidriger Zielsetzung sondern kaufmännisch nachvollziehbar ausgewählt hat, kann sich das Interesse der Klägerin an einer ausschließlichen Belieferung gegenüber dem Interesse der Beklagten an der autonomen Gestaltung des ei-genen Vertriebs nicht als vorrangig erweisen. Eine Beeinträchtigung weiterer abwägungsrelevanter Interessen, die diesem Interesse der Beklagten entge-genstehen, ist im Streitfall nicht erkennbar.

44        (1) Allerdings ist im Rahmen der nach § 20 GWB erforderlichen Abwä-gung zu berücksichtigen, dass die Tätigkeit der Pressegrossisten nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1988 in den Schutzbereich der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) einbezogen ist (BVerfGE 77, 346, 354 f). Das Presse-Grosso ist deshalb kartellrechtlich jedenfalls inso-weit privilegiert, als die dort seit langem praktizierte vertragliche Bindung der Grossisten und Einzelhändler an den vom Verlag vorgegebenen Verkaufspreis vom Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen freigestellt ist (§ 30 GWB). Machen die Verlage von dieser Möglichkeit Gebrauch, sind sie den Bin-dungen des § 20 GWB unterworfen. Aus diesem Zusammenhang der Normen folgt, dass der gesetzliche Freistellungszweck der Preisbindung, der maßgeb-lich in der Gewährleistung der Pressefreiheit zu sehen ist (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung zu einem Gesetz zur Regelung der Preisbindung bei Verlagserzeugnissen, BT-Drucks. 14/9196, S. 14, zu dem im Wesentlichen inhalts-gleichen § 15 GWB 1999), bei der Abwägung im Rahmen des § 20 GWB zu berücksichtigen ist (Markert, aaO, § 20 Rn. 147). Gleiches gilt für die Interessen des Einzelhandels mit Zeitungen und Zeitschriften, soweit sie mit dem Ziel, die Pressefreiheit zu fördern, gleichgerichtet sind.

45        Der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, dass die Preisbindung für Zei-tungen und Zeitschriften im Rahmen des historisch gewachsenen Grosso-Systems dazu geeignet ist, die Überallerhältlichkeit dieser Presseerzeugnisse sicherzustellen, die die Voraussetzung dafür ist, dass sich die Bürger in allen Teilen des Landes unter den gleichen Voraussetzungen eine eigene Meinung bilden können (BT-Drucks. 14/9196 S. 14). Er konnte dabei auf die Rechtspre-chung des Bundesverfassungsgerichts Bezug nehmen, das die Bedeutung des Grosso-Systems insbesondere für neue, finanzschwache und minderheitenori-entierte Presseunternehmen hervorgehoben hat, die zum Aufbau eines eigenen Vertriebsnetzes außerstande sind und ihr Publikum allein durch Grossisten zu erreichen vermögen (BVerfG, aaO). Soweit die Gesetzesbegründung des Buchpreisbindungsgesetzes im Zusammenhang mit der Beibehaltung der ver-traglichen Preisbindung für Zeitungen und Zeitschriften auf das "historisch ge-wachsene zeitungs- und zeitschriftenspezifische Vertriebssystem" Bezug nimmt (BT-Drucks. 14/9196 S. 14), schließt dies allerdings das in Hamburg und Berlin schon zu dieser Zeit praktizierte Doppel-Grosso mit Objekttrennung ein. Dieser Aussage kann deshalb keine Festlegung des Gesetzgebers auf eine gebietsbe-zogene Alleinauslieferung entnommen werden.

46        (2) Auch unter Berücksichtigung der Pressefreiheit und der vom Gesetz-geber zu ihrer Förderung erlaubten Preisbindung für Zeitungen und Zeitschrif-ten kann aus § 20 GWB aber keine Verpflichtung der Beklagten abgeleitet werden, die Klägerin als (bisherigen) Alleingrossisten weiterhin mit der alleinigen Auslieferung ihrer Presseerzeugnisse zu beauftragen.

47        Die Preisbindung, die der Staat zum Schutz der Pressefreiheit erlaubt, wird weder unmöglich gemacht noch unzumutbar erschwert, wenn nicht alle Verleger denselben Grossisten beauftragen. Ein notwendiger Zusammenhang zwischen gebietsbezogener Alleinauslieferung und Preisbindung ist weder vor-getragen noch ersichtlich.

48        Es ist auch nicht erkennbar, dass sich der von der Beklagten beabsichtig-te Übergang zum Doppel-Grosso im Gebiet der Klägerin in relevanter Weise nachteilig auf die Erhältlichkeit von sowie den Wettbewerb zwischen Presseer-zeugnissen auswirken könnte. Zwar ist nicht gänzlich auszuschließen, dass einige Einzelhändler (zur Berücksichtigung der Interessen der Einzelhändler im Zusammenhang mit dem Übergang von Wettbewerb im Großhandel zum Sys-tem der Alleingebietsgrossisten vgl. Urteil vom 10. Oktober 1978 - KZR 10/77, WuW/E BGH 1527, 1529 - Zeitschriften-Grossisten) sich im Interesse der Rati-onalisierung und einer einfachen Remission für die Belieferung nur durch einen Grossisten entscheiden und dadurch der unmittelbare Wettbewerb zwischen Presseerzeugnissen in den einzelnen Verkaufsstellen beeinträchtigt würde. Es ist aber zu erwarten, dass zumindest ein erheblicher Teil der Einzelhändler sich im Interesse eines vollständigen Sortiments von beiden Grossisten beliefern lassen wird, so dass weiterhin für die Bevölkerung alle Presseerzeugnisse leicht erreichbar blieben.

49            Dementsprechend ist auch weder festgestellt noch vorgetragen, dass in den Städten Hamburg und Berlin, in denen ein System des Doppel-Grosso mit Objekttrennung besteht, die Zeitschriftenversorgung schlechter als im sonstigen Bundesgebiet ist. Auch wenn sich dies bei einem Doppel-Grosso im ländlichen Raum nicht zwangsläufig ebenso verhalten muss, liegen jedenfalls im Streitfall auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts und des Vortrags der Klägerin keine Anhaltspunkte dafür vor, dass es bereits zu relevanten Be-einträchtigungen des Wettbewerbs zwischen den Presseerzeugnissen oder der Versorgungsmöglichkeiten der Verbraucher im Gebiet der Klägerin gekommen ist oder noch dazu kommen könnte.

50        Eine abweichende Beurteilung ist auch nicht deshalb geboten, weil das Grosso-System geeignet ist, die Vertriebskanäle für auflagenschwache Presse-erzeugnisse offen zu halten und ihnen den Marktzutritt zu erleichtern. Die Of-fenhaltung der Märkte entspricht zwar dem Zweck des Gesetzes gegen Wett-bewerbsbeschränkungen. Es ist aber nicht zu erwarten, dass der Marktzugang auflagenschwacher Presseerzeugnisse und kleiner Zeitschriftenverlage infolge der Kündigung des Grosso-Vertrags der Klägerin erschwert wird. Denn die Klä-gerin bleibt beim Vertrieb von Presseerzeugnissen in ihrem Gebiet marktbe-herrschend. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts entfielen im Ge-schäftsjahr 2007 nur 12,6% ihres Umsatzes auf die von der Beklagten bezoge-nen Produkte. Es ist nichts dafür vorgetragen oder ersichtlich, dass sich dieser Anteil zwischenzeitlich erheblich verändert haben könnte. Die Klägerin ist dann grundsätzlich weiterhin nach § 20 Abs. 1 GWB verpflichtet, allen Presseerzeug-nissen in ihrem Gebiet Marktzugang zu gewähren.

51        ee) Soweit die Klägerin geltend macht, die PVN verletze bei ihrer Tätig-keit Neutralitätspflichten, etwa weil sie bei Einzelhändlern auf eine bevorzugte Platzierung von Bauer-Zeitschriften dränge, verschiedene Titel in stark über-höhten Mengen liefere oder Remissionen nur schleppend abwickele, hat das Berufungsgericht diesen Vortrag zu Recht als im Rahmen des § 20 Abs. 1 GWB unerheblich angesehen. Es obliegt den Kunden der PVN sowie den Wettbe-werbern der Bauer Media Group, deren Interessen gegebenenfalls durch solche Verhaltensweisen beeinträchtigt werden, dagegen vorzugehen. Dabei handelt es sich aber um keine im Rahmen des § 20 Abs. 1 GWB abwägungsrelevanten Interessen. Denn diese Verhaltensweisen sind weder zwangsläufig mit der Kündigung des Grosso-Vertrags der Klägerin verbunden noch auch nur deren wahrscheinliche Folge. Deshalb vermag auch das Spannungsverhältnis, das grundsätzlich zwischen der Neutralitätsverpflichtung auf Grosso-Ebene und der (teilweisen) Übernahme der Grosso-Funktion durch verlagsabhängige Grossis-ten bestehen mag, für sich allein ohne gesetzliche oder vertragliche Bindungen die Absatzgestaltungsfreiheit der Zeitschriftenverlage nicht zu beschränken.

52        III. Der Hilfsantrag der Klägerin auf nicht ausschließliche Belieferung mit den Presseerzeugnissen der Beklagten ist ebenfalls abzuweisen. Die Klägerin wird weder ohne sachlich gerechtfertigten Grund gegenüber gleichartigen Un-ternehmen ungleich behandelt noch unbillig behindert, wenn sie in ihrem Gebiet anders als die PVN die Zeitschriften der Beklagten nicht vertreiben kann.

53        1. Die PVN, eine Tochtergesellschaft der Beklagten, ist kein mit der Klä-gerin gleichartiges Unternehmen (vgl. BGH, WuW/E DE-R 1003, 1005 - Kom-munaler Schilderprägebetrieb). Auch darin, dass die Beklagte in weiten Teilen des Bundesgebiets weiterhin die Pressegrossisten beliefert, liegt keine für § 20 Abs. 1 GWB relevante Ungleichbehandlung der Klägerin (vgl. o. Rn. 33).

54        2. Die Klägerin kann ferner nicht geltend machen, von den Verlagser-zeugnissen der Beklagten in der Weise sortimentsbedingt abhängig zu sein, dass ohne den Vertrieb dieser Produkte ihre weitere erfolgreiche Teilnahme am Wettbewerb gefährdet wäre. Denn solange die Klägerin weiterhin in ihrem Ge-biet alleiniger Grossist für alle übrigen oder jedenfalls sehr viele Presseerzeug-nisse bleibt, kann zumindest ein erheblicher Teil der Einzelhändler in diesem Gebiet nicht auf eine Belieferung durch sie verzichten. Solange PVN bei weitem nicht alle Zeitschriften vertreiben kann, ist die Klägerin mit ihrem nunmehr be-schränkteren Angebot auch nicht dem Wettbewerb eines Vollsortimenters ausgesetzt.

55        3. Die Klägerin kann sich für das Begehren, neben der PVN mit den Zei-tungen und Zeitschriften der Beklagten beliefert zu werden, auch sonst auf kei-ne abwägungsrelevanten Interessen berufen, die das berechtigte Interesse der Beklagten an autonomer Gestaltung ihres Vertriebs überwiegen.

56        Die nicht ausschließliche Weiterbelieferung der Klägerin hätte aus Sicht der Zeitschrifteneinzelhändler zwar den Vorteil, eine Bezugsalternative für die Zeitschriften der Beklagten und die Möglichkeit zum Bezug aller Zeitschriften von einem Lieferanten, nämlich der Klägerin, zu eröffnen. Entscheidendes Ge-wicht kann diesem Umstand aber nicht beigemessen werden. Die Praktikabilität der Remission wird durch einen Übergang zum Doppel-Grosso nicht in Frage gestellt. Scheidet eine Gefährdung des Remissionsrechts und damit der Funkti-onsfähigkeit des Grosso-Systems insgesamt aus, kann die Schaffung einer Be-zugsalternative für die nachgeordnete Marktstufe aber jedenfalls in der vorlie-genden Konstellation nicht als für die Prüfung der Unbilligkeit in § 20 Abs. 1 GWB erheblicher Gesichtspunkt angesehen werden. Andernfalls wäre es Norm-adressaten des § 20 Abs. 1 GWB von vornherein unmöglich, einen Direktver-trieb ihrer Produkte aufzunehmen oder beizubehalten. Das aber wäre eine durch den nur gegen unbillige Behinderungen gerichteten Zweck des § 20 Abs. 1 GWB nicht gerechtfertigte Beschränkung der unternehmerischen Hand-lungsfreiheit der Normadressaten. Im vorliegenden Fall gilt das umso mehr, als die Beklagte die Wettbewerbsmöglichkeiten ihrer auf ein Teilsortiment be-schränkten Tochtergesellschaft PVN erheblich beeinträchtigen würde, wenn die Klägerin dieser als Vollsortimenter gegenübertreten könnte. Wie oben Rn. 48 f. dargelegt, werden auch die Interessen der Einzelhändler nicht in abwägungsrelevanter Weise beeinträchtigt, wenn sie künftig von zwei statt bisher von einem Lieferanten beziehen müssen.

57        4. Im Übrigen gelten die Ausführungen zur mangelnden Unbilligkeit beim Hauptantrag (oben Rn. 37 f. und Rn. 40 ff.) für den Hilfsantrag entsprechend.

58        C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

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