VG Stuttgart: Verbot eines Late-Night-Shoppings als notwendige Schutzmaßnahme gegen die Ausbreitung des COVID-19-Virus
VG Stuttgart, Beschluss vom 14.3.2020 – 16 K 1466/20
Volltext: BB-Online BBL2020-834-1
Amtliche Leitsätze
Das Verbot eines Late-Night-Shoppings stellt eine notwendige Schutzmaßnahme dar, um die rasche Ausbreitung des Covid-19-Virus zu verhindern.
Aufgrund der bestehenden hohen Infektionsgefahr und der Vielzahl der zu erwartenden Besucher aus einem großen Einzugsgebiet ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine infizierte Person unter den Besuchern befinden könnte, sehr groß, sodass bei einer solchen Veranstaltung von einer hohen Ansteckungsgefahr auszugehen ist.
Late-Night-Shopping als besonderes, zeitlich begrenztes Event mit seiner großen Anziehungskraft für einen großen Kundenkreis unterscheidet sich insoweit vom klassischen Einzelhandel, für den bislang keine Einschränkungen vorgesehen sind.
Aus den Gründen
Der am 13.03.2020 gestellte Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen eine Verfügung der Antragsgegnerin vom 13.03.2020, den das Gericht sachdienlich nach § 122 Abs. 1 iVm § 88 VwGO dahingehend auslegt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen diese Verfügung anzuordnen, ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zulässig. Zwar hat die Antragsgegnerin die sofortige Vollziehung des Bescheides nicht besonders angeordnet, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen das auf § 28 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 IfSG gestützte Veranstaltungsverbot entfällt jedoch kraft bundesgesetzlicher Regelung nach § 28 Abs. 3 iVm § 16 Abs. 8 IfSG (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO).
In der Sache bleibt der Antrag aber ohne Erfolg. Die im Eilverfahren zu treffende Entscheidung beruht auf einer durch das Gericht vorzunehmenden Interessenabwägung. Abzuwägen sind das Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs (Suspensiveffekt) gegen das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts (Vollziehungsinteresse). Das Gewicht dieser gegenläufigen Interessen wird entweder vornehmlich durch die summarisch zu prüfenden Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache oder - insbesondere wenn die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs offen erscheinen - durch eine Folgenabwägung bestimmt. Ist der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig, überwiegt das Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung; ist er offensichtlich rechtmäßig, hat regelmäßig das - unabhängig davon zu belegende - öffentliche Interesse an der Vollziehung Vorrang. Im Rahmen der Folgenabwägung sind die voraussichtlichen Folgen des Suspensiveffekts einerseits und der sofortigen Vollziehung andererseits zu gewichten. Maßgebend sind insoweit nicht nur die Dringlichkeit des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung sowie Natur und Schwere der mit dem Eingriff für den Antragsteller verbundenen Belastungen, sondern auch die Möglichkeit, die jeweiligen Folgen der Maßnahme rückgängig zu machen.
Gemessen daran ist der Antrag unbegründet. Die Kammer geht nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung davon aus, dass der Widerspruch keine Aussicht auf Erfolg hat (1). Selbst wenn man von offen Erfolgsaussichten ausgeht, führt die erforderliche Abwägung der gegenläufigen Interessen zu einem Vorrang der öffentlichen Interessen (2).
1. Die angefochtene Maßnahme dürfte voraussichtlich formell rechtmäßig sein. Der Antragstellerin wurde mit E-Mail vom 12.03.2020 Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Damit ist eine ordnungsgemäße Anhörung erfolgt. Im Übrigen darf von der Anhörung nach § 28 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 LVwVfG abgesehen werden, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist, weil eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug - wie hier - notwendig erscheint.
Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden oder sich ergibt, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. Unter den Voraussetzungen von Satz 1 kann die zuständige Behörde u.a. Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen einer größeren Anzahl von Menschen beschränken oder verbieten (§ 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG).
Daran gemessen dürfte die Antragsgegnerin das angefochtene Verbot aller Voraussicht nach zu Recht ausgesprochen haben, da nicht nur im M.-T.- Kreis, sondern auch am 12.03.2020 in der Stadt W. die erste mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 (sog. Covid-19-Virus) infizierte Person gemeldet wurde.
Das Verbot des Late-Night-Shoppings im Einkaufszentrum ... am heutigen Samstag in der Zeit von 20.00 Uhr bis 23.00 Uhr dürfte eine notwendige Schutzmaßnahme darstellen, um die rasche Ausbreitung des Covid-19-Virus zu verhindern. Dabei dürfte es unerheblich sein, ob es sich bei dem Late-Night-Shopping um eine sog. Großveranstaltung iSd der Handlungsempfehlungen des Robert-Koch-Instituts handelt. Denn die genannte Vorschrift bezieht sich ausdrücklich auf das Verbot oder die Beschränkung von Veranstaltungen und sonstigen Ansammlungen mit einer größeren Anzahl von Menschen, zu denen das Late-Night-Shopping dazugehören dürfte. Das Late-Night-Shopping zielt gerade darauf ab, durch entsprechende Werbung und zusätzliche Angebote sowie speziell für den Zeitraum ab 20:00 Uhr geltende Rabatte einen Eventcharakter zu schaffen. Es soll somit für einen außergewöhnlich hohen Besuch und damit für eine Menschenansammlung auf begrenztem Raum, insbesondere auch in den Räumen der Ladenlokale, sorgen. Der Einwand der Antragstellerin, das ... sei kein geschlossenes Einkaufszentrum, sondern eine offene Fußgängerzone unter freiem Himmel mit kleinen Ladeneinheiten, dürfte dem nicht entgegenstehen. Denn Anordnungen nach § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG setzen gerade nicht voraus, dass die Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen in geschlossenen Räumen stattfinden. Die angefochtene Maßnahme dürfte auch erforderlich iSd § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG sein, weil entgegen der Auffassung der Antragstellerin eine Interaktion der Kunden und das damit verbundene Infektionsrisiko auch in einem Zeitraum von nur drei Stunden, beispielsweise im Kassenbereich, in kleineren Ladeneinheiten und in Restaurationsbetrieben, voraussichtlich nicht ausgeschlossen werden kann.
Die Antragsgegnerin hat bei summarischer Prüfung das ihr zustehende Ermessen voraussichtlich auch rechtsfehlerfrei ausgeübt. Denn aufgrund der bestehenden hohen Infektionsgefahr und der Vielzahl der zu erwartenden Besucher aus einem großen Einzugsgebiet ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine infizierte Person unter den Besuchern befinden könnte, sehr groß, sodass von einer hohen Ansteckungsgefahr auszugehen ist. Demgegenüber dürfte es nicht darauf ankommen, dass die Antragstellerin keine Besucher aus bekannten Risikogebieten oder hochbetagte Menschen mit respiratorischen Beschwerden erwartet, weil das Covid-19-Virus sich nicht auf Personen aus Risikogebieten beschränkt. Außerdem soll mit der angegriffenen Maßnahme gerade verhindert werden, dass junge und gesunde Kunden, die von dem Late-Night-Shopping-Event angesprochen werden, sich in ... infizieren und anschließend selbst hochbetagte Menschen und Vorerkrankte anstecken.
Soweit die Antragstellerin geltend macht, dass die Absage des Late-Night-Shoppings deutlich zu spät komme und die Kunden bereits angereist seien oder im Laufe des Tages in jedem Fall anreisen würden, ist dem entgegenzuhalten, dass die angefochtene Maßnahme deshalb nicht unverhältnismäßig ist. Denn auch mit einer kurzfristigen Absage dürfte die Besucherfrequenz verringert werden können.
Soweit die Antragstellerin rügt, mit der angegriffenen Maßnahme bewege sich die Antragsgegnerin außerhalb der üblichen Verwaltungspraxis in Baden-Württemberg zur Eindämmung der Corona-Pandemie, die an keiner Stelle Einschränkungen des Einzelhandels vorsehe, ist dem entgegenzuhalten, dass sich das Late-Night-Shopping als besonderes, zeitlich begrenztes Event mit seiner großen Anziehungskraft für einen großen Kundenkreis vom klassischen Einzelhandel unterscheiden dürfte.
2. Selbst wenn man den Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache als offen ansehen sollte, führt das überragend wichtige Interesse am Schutz von Leben und Gesundheit der Bevölkerung zu einem Vorrang des öffentlichen Interesses vor den privaten wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerin.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 54 Abs. 1 GKG.