EuGH: VW-Abgasskandal – Geschädigte können Ansprüche aus unerlaubter Handlung im Heimatland geltend machen
EuGH, Urteil vom 9.7.2020 – C-343/19, Verein für Konsumenteninformation gegen Volkswagen AG
ECLI:EU:C:2020:534
BB-Online BBL2020-1601-1
Tenor
Art. 7 Nr. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass sich der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs in einem Fall, in dem Fahrzeuge von ihrem Hersteller in einem Mitgliedstaat rechtswidrig mit einer Software ausgerüstet worden sind, die die Daten über den Abgasausstoß manipuliert, und danach bei einem Dritten in einem anderen Mitgliedstaat erworben werden, in diesem letztgenannten Mitgliedstaat befindet
Aus den Gründen
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1).
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Verein für Konsumenteninformation, einer gemeinnützigen Verbraucherorganisation mit Sitz in Wien (Österreich) (im Folgenden: VKI), und der Volkswagen AG, einem Kraftfahrzeughersteller in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft des deutschen Rechts mit Sitz in Wolfsburg (Deutschland), über die Haftung von Volkswagen für Schäden, die sich aus dem Einbau einer die Daten über den Abgasausstoß manipulierenden Software in die von österreichischen Verbrauchern gekauften Fahrzeuge ergeben haben.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Verordnung Nr. 1215/2012
3 In den Erwägungsgründen 15 und 16 der Verordnung Nr. 1215/2012 heißt es:
„(15) Die Zuständigkeitsvorschriften sollten in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten. Diese Zuständigkeit sollte stets gegeben sein außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist. Der Sitz juristischer Personen muss in der Verordnung selbst definiert sein, um die Transparenz der gemeinsamen Vorschriften zu stärken und Kompetenzkonflikte zu vermeiden.
(16) Der Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten sollte durch alternative Gerichtsstände ergänzt werden, die entweder aufgrund der engen Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege zuzulassen sind. Das Erfordernis der engen Verbindung soll Rechtssicherheit schaffen und verhindern, dass die Gegenpartei vor einem Gericht eines Mitgliedstaats verklagt werden kann, mit dem sie vernünftigerweise nicht rechnen konnte. Dies ist besonders wichtig bei Rechtsstreitigkeiten, die außervertragliche Schuldverhältnisse infolge der Verletzung der Privatsphäre oder der Persönlichkeitsrechte einschließlich Verleumdung betreffen.“
4 Kapitel II („Zuständigkeit“) der Verordnung Nr. 1215/2012 enthält u. a. einen Abschnitt 1 („Allgemeine Bestimmungen“) und einen Abschnitt 2 („Besondere Zuständigkeiten“). Art. 4 Abs. 1 dieser Verordnung, der sich in dem genannten Abschnitt 1 befindet, sieht vor:
„Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen.“
5 Art. 7 der Verordnung Nr. 1215/2012, der in deren Kapitel II Abschnitt 2 enthalten ist, bestimmt:
„Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden:
…
2. wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht;
…“
Die Rom‑II-Verordnung
6 Art. 6 („Unlauterer Wettbewerb und den freien Wettbewerb einschränkende Handlungen“) der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) (ABl. 2007, L 199, S. 40, im Folgenden: Rom‑II-Verordnung) sieht in seinem Abs. 1 vor:
„Auf außervertragliche Schuldverhältnisse aus unlauterem Wettbewerbsverhalten ist das Recht des Staates anzuwenden, in dessen Gebiet die Wettbewerbsbeziehungen oder die kollektiven Interessen der Verbraucher beeinträchtigt worden sind oder wahrscheinlich beeinträchtigt werden.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
7 Der VKI, dessen satzungsmäßiger Zweck die Aufgabe umfasst, die ihm von Verbrauchern zum Zweck der gerichtlichen Klage abgetretenen Ansprüche gerichtlich geltend zu machen, erhob am 6. September 2018 Klage beim Landesgericht Klagenfurt (Österreich) mit dem Antrag, Volkswagen zur Zahlung von 3 611 806 Euro samt Anhang zu verurteilen und für alle noch nicht bezifferbaren und/oder künftig eintretenden Schäden haftbar zu machen.
8 Der VKI stützte seine Klage auf die deliktische und quasideliktische Haftung von Volkswagen und machte geltend, dass die 574 Verbraucher, die ihre Rechte im Hinblick auf die Klage des Ausgangsverfahrens an ihn abgetreten hätten, in Österreich neue oder gebrauchte Fahrzeuge mit einem Motor EA 189 erworben hätten, bevor die von Volkswagen vorgenommene Manipulation der Abgasdaten dieser Fahrzeuge am 18. September 2015 öffentlich bekannt geworden sei. Diese Motoren seien mit einer „Abschalteinrichtung“ versehen gewesen, was gemäß der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl. 2007, L 171, S. 1) rechtswidrig sei. Es handele sich um eine Software, die am Prüfstand einen Abgasausstoß anzeigen lassen könne, der die vorgeschriebenen Höchstwerte einhalte, während unter realistischen Bedingungen, d. h. bei Benutzung der betreffenden Fahrzeuge auf der Straße, die tatsächlich emittierten Schadstoffe Anteile erreichten, die die vorgeschriebenen Obergrenzen um ein Vielfaches überschritten. Nur durch diese Manipulationssoftware sei es Volkswagen möglich gewesen, für Fahrzeuge mit dem Motor EA 189 die Typgenehmigung gemäß den Rechtsvorschriften der Union zu erhalten.
9 Nach Auffassung des VKI besteht der Schaden für die Eigentümer dieser Fahrzeuge darin, dass sie die Fahrzeuge bei Kenntnis der in Rede stehenden Manipulation entweder gar nicht oder zu einem mindestens um 30 % geminderten Kaufpreis erworben hätten. Da die fraglichen Fahrzeuge von Anfang an einen Mangel aufgewiesen hätten, seien ihr Marktwert und damit ihr Kaufpreis deutlich niedriger als der tatsächlich gezahlte Preis. Der Unterschiedsbetrag stelle einen ersatzfähigen Schaden dar.
10 Zur Begründung der internationalen Zuständigkeit des vorlegenden Gerichts beruft sich der Kläger auf Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012. Der Abschluss des Kaufvertrags, die Zahlung des Kaufpreises und die Übergabe oder Auslieferung der Fahrzeuge seien jeweils im Sprengel dieses Gerichts erfolgt. Es handle sich hier nicht um einen bloßen Folgeschaden des Erwerbs der Fahrzeuge, sondern einen die Zuständigkeit dieses Gerichts begründenden Primärschaden. Dieser bestehe in einer Minderung des Vermögens jedes betroffenen Verbrauchers, die frühestens zum Zeitpunkt des Kaufs und der Übergabe der fraglichen Fahrzeuge am Übergabeort und damit im Sprengel des vorlegenden Gerichts eingetreten sei. An diesem Ort hätten sich die Handlungen von Volkswagen, die ihre Haftung aus unerlaubter Handlung begründen könnten, erstmals ausgewirkt und die betroffenen Verbraucher direkt geschädigt.
11 Volkswagen beantragt die Abweisung der Klage des VKI und hält die internationale Zuständigkeit des vorlegenden Gerichts gemäß Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 für nicht gegeben.
12 Das vorlegende Gericht hat Zweifel, ob im vorliegenden Fall der bloße Kauf der in Rede stehenden Fahrzeuge bei in Österreich niedergelassenen Kraftfahrzeughändlern und die Auslieferung dieser Fahrzeuge in Österreich für sich genommen ausreichen, um die Zuständigkeit der österreichischen Gerichte im Hinblick auf diese Bestimmung zu begründen. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, insbesondere aus dem Urteil vom 19. September 1995, Marinari (C‑364/93, EU:C:1995:289, Rn. 14 und 15), zieht es den Schluss, dass der Gerichtsstand für Klagen aus unerlaubter Handlung oder einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, den unmittelbar Geschädigten nur insoweit zusteht, als sie einen Primärschaden geltend machen und nicht bloße Folgeschäden.
13 Das vorlegende Gericht ist nämlich der Ansicht, dass die Software, mit der die Daten über den Abgasausstoß der betreffenden Fahrzeuge manipuliert werden könnten, einen Primärschaden verursacht habe, während der vom VKI geltend gemachte Schaden, der in einer Wertminderung dieser Fahrzeuge bestehe, einen Folgeschaden darstelle, der sich daraus ergebe, dass die Fahrzeuge mit einem Sachmangel behaftet seien.
14 Außerdem stellt sich das vorlegende Gericht die Frage, ob für reine Vermögensschäden aus einer deliktischen Handlung eine Zuständigkeit nach Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 begründet werden könne.
15 Im Licht des Urteils vom 16. Juni 2016, Universal Music International Holding (C‑12/15, EU:C:2016:449), spräche im Ausgangsverfahren einiges für eine Verortung des in Rede stehenden Schadenserfolgs in Deutschland. Auch wenn sich dieser Schaden nach der Auffassung des VKI dadurch konkretisiert habe, dass die mit einer Software zur Manipulation der Daten über den Abgasausstoß ausgerüsteten Fahrzeuge in Österreich gekauft und ausgeliefert worden seien, beträfen alle Schadensersatzklagen auf der Tatsachenebene immer das Gleiche, nämlich die Volkswagen vorgeworfenen deliktischen Handlungen am Sitz dieses Unternehmens, also in Deutschland. Aus Gesichtspunkten einer sachgerechten Prozessgestaltung, insbesondere wegen der Nähe zum Streitgegenstand und der leichteren Beweisaufnahme, wären daher die deutschen Gerichte objektiv besser geeignet, die Verantwortung für die behaupteten Schäden zu klären. Darüber hinaus entspreche die Zuständigkeit der Gerichte am Ort des Kaufs und der Auslieferung der in Rede stehenden Fahrzeuge an die Letztabnehmer, darunter auch Gebrauchtwagenkäufer, nicht ohne Weiteres dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit des Gerichtsstands.
16 Das vorlegende Gericht fragt sich schließlich, ob die Bejahung der internationalen Zuständigkeit der österreichischen Gerichte mit der nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs gebotenen engen Auslegung der besonderen Zuständigkeitsregeln der Verordnung Nr. 1215/2012 vereinbar wäre.
17 Unter diesen Umständen hat das Landesgericht Klagenfurt (Österreich) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen, dass unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens als „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, der Ort in einem Mitgliedstaat angesehen werden kann, an dem der Schaden eingetreten ist, wenn dieser Schaden ausschließlich in einem finanziellen Verlust besteht, der die unmittelbare Folge einer unerlaubten Handlung ist, die sich in einem anderen Mitgliedstaat ereignet hat?
Zur Zulässigkeit
18 In seinen schriftlichen Erklärungen macht der VKI geltend, dass das Vorabentscheidungsersuchen unzulässig sei, da die Vorlagefrage sowohl unerheblich als auch hypothetisch sei.
19 Nach ständiger Rechtsprechung spricht jedoch eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen des nationalen Gerichts, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festgelegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Die Zurückweisung des Ersuchens eines nationalen Gerichts ist dem Gerichtshof nur möglich, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (vgl. u. a. Urteil vom 7. Mai 2020, Rina, C‑641/18, EU:C:2020:349, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).
20 Im vorliegenden Fall ist das Vorabentscheidungsersuchen für zulässig zu erklären, da aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, dass die erbetene Auslegung von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 erforderlich ist, um festzustellen, ob das vorlegende Gericht nach dieser Bestimmung für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits zuständig ist.
Zur Vorlagefrage
21 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen ist, dass sich der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs in einem Fall, in dem Fahrzeuge von ihrem Hersteller in einem Mitgliedstaat rechtswidrig mit einer Software ausgerüstet worden sind, die die Daten über den Abgasausstoß manipuliert, und danach bei einem Dritten in einem anderen Mitgliedstaat erworben werden, in diesem letztgenannten Mitgliedstaat befindet.
22 Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass, da die Verordnung Nr. 1215/2012 gemäß ihrem 34. Erwägungsgrund die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1) aufhebt und ersetzt, die ihrerseits das Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32) in der Fassung der aufeinanderfolgenden Übereinkommen über den Beitritt der neuen Mitgliedstaaten zu diesem Übereinkommen (im Folgenden: Brüsseler Übereinkommen) ersetzt hat, die vom Gerichtshof vorgenommene Auslegung der Bestimmungen der letztgenannten Rechtsinstrumente nach ständiger Rechtsprechung auch für die Verordnung Nr. 1215/2012 gilt, soweit die betreffenden Bestimmungen als „gleichwertig“ angesehen werden können (Urteil vom 29. Juli 2019, Tibor-Trans, C‑451/18, EU:C:2019:635, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dies ist bei Art. 5 Abs. 3 des Brüsseler Übereinkommens und der Verordnung Nr. 44/2001 einerseits und Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 andererseits der Fall (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 31. Mai 2018, Nothartová, C‑306/17, EU:C:2018:360, Rn. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung).
23 Wie der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung zu diesen Bestimmungen wiederholt entschieden hat, ist mit dem Ausdruck „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“ sowohl der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs als auch der Ort des für den Schaden ursächlichen Geschehens gemeint, so dass der Beklagte nach Wahl des Klägers vor dem Gericht eines dieser beiden Orte verklagt werden kann (Urteile vom 16. Juli 2009, Zuid-Chemie, C‑189/08, EU:C:2009:475, Rn. 23, sowie vom 29. Juli 2019, Tibor-Trans, C‑451/18, EU:C:2019:635, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).
24 Im vorliegenden Fall ergibt sich zum einen aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten, dass sich der Ort des ursächlichen Geschehens in dem Mitgliedstaat befindet, in dessen Hoheitsgebiet die fraglichen Kraftfahrzeuge mit einer Software ausgerüstet wurden, die die Daten über den Abgasausstoß manipuliert, d. h. in Deutschland.
25 Was zum anderen den Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs betrifft, ist zu bestimmen, wo sich dieser Ort unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens befindet, d. h., wenn die Schadensfolgen erst nach dem Erwerb der fraglichen Fahrzeuge und in einem anderen Mitgliedstaat, im vorliegenden Fall in Österreich, eingetreten sind.
26 Insoweit weist das vorlegende Gericht zutreffend darauf hin, dass nach ständiger Rechtsprechung der Begriff „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“ nicht so weit ausgelegt werden darf, dass er jeden Ort erfasst, an dem die schädlichen Folgen eines Ereignisses spürbar werden können, das bereits einen Schaden verursacht hat, der tatsächlich an einem anderen Ort entstanden ist. Folglich kann dieser Begriff nicht so ausgelegt werden, dass er den Ort einschließt, an dem der Geschädigte einen Vermögensschaden in der Folge eines in einem anderen Vertragsstaat entstandenen und dort von ihm erlittenen Erstschadens erlitten zu haben behauptet (Urteile vom 19. September 1995, Marinari, C‑364/93, EU:C:1995:289, Rn. 14 und 15, sowie vom 29. Juli 2019, Tibor-Trans, C‑451/18, EU:C:2019:635, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).
27 Der Gerichtshof hat außerdem zu Art. 5 Nr. 3 des Brüsseler Übereinkommens festgestellt, dass ein Schaden, der nur die mittelbare Folge des ursprünglich von anderen Rechtssubjekten unmittelbar erlittenen Schadens ist, dessen Erfolg sich an einem anderen als dem Ort verwirklicht hat, an dem anschließend der mittelbar Betroffene einen Schaden erlitten hat, keine gerichtliche Zuständigkeit nach dieser Vorschrift begründen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Januar 1990, Dumez France und Tracoba, C‑220/88, EU:C:1990:8‚ Rn. 14 und 22).
28 Ferner hat der Gerichtshof entschieden, dass spätere nachteilige Folgen keine Zuständigkeitszuweisung auf der Grundlage von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 begründen können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. Juli 2019, Tibor-Trans, C‑451/18, EU:C:2019:635, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).
29 Im Ausgangsverfahren ergibt sich jedoch – vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Würdigung des Sachverhalts – aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten, dass der vom VKI geltend gemachte Schaden in einer Wertminderung der fraglichen Fahrzeuge besteht, die sich aus der Differenz zwischen dem Preis, den der Erwerber für ein solches Fahrzeug gezahlt hat, und dessen tatsächlichem Wert aufgrund des Einbaus einer Software, in der die Daten über den Abgasausstoß manipuliert werden, ergibt.
30 Folglich ist, obwohl diese Fahrzeuge bereits beim Einbau dieser Software mit einem Mangel behaftet waren, davon auszugehen, dass sich der geltend gemachte Schaden erst zum Zeitpunkt des Erwerbs dieser Fahrzeuge durch ihren Erwerb zu einem Preis, der über ihrem tatsächlichen Wert lag, verwirklicht hat.
31 Ein solcher Schaden, der vor dem Kauf des Fahrzeugs durch den sich als geschädigt ansehenden Endabnehmer nicht bestand, stellt einen Primärschaden im Sinne der in Rn. 26 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung dar und keine mittelbare Folge des ursprünglich von anderen Personen erlittenen Schadens im Sinne der in Rn. 27 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung.
32 Im Übrigen stellt dieser Schaden entgegen der Auffassung des vorlegenden Gerichts auch keinen reinen Vermögensschaden dar.
33 Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Schadensersatzklage zielt zwar ab auf einen Ausgleich für die auf 30 % ihres Kaufpreises geschätzte Wertminderung der fraglichen Fahrzeuge, d. h. auf einen bezifferbaren finanziellen Ausgleich. Wie die Europäische Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen ausgeführt hat, bedeutet jedoch der Umstand, dass der Schadensersatzantrag in Euro ausgedrückt wird, nicht, dass es sich um einen reinen Vermögensschaden handelt. Anders als in den Rechtssachen, in denen die Urteile vom 10. Juni 2004, Kronhofer (C‑168/02, EU:C:2004:364), vom 28. Januar 2015, Kolassa (C‑375/13, EU:C:2015:37), und vom 12. September 2018, Löber (C‑304/17, EU:C:2018:701), ergangen sind, in denen finanzielle Investitionen zu einer Verringerung der finanziellen Vermögenswerte der betreffenden Personen ohne jeden Bezug zu Sachgütern geführt hatten, geht es im Ausgangsverfahren um einen Mangel, der Fahrzeuge, also Sachgüter, betrifft.
34 Somit handelt es sich im vorliegenden Fall nicht um einen reinen Vermögensschaden, sondern um einen materiellen Schaden, der zu einem Wertverlust jedes betroffenen Fahrzeugs führt und sich daraus ergibt, dass mit der Aufdeckung des Einbaus der Software zur Manipulation der Abgasdaten die Gegenleistung der für den Erwerb eines solchen Fahrzeugs geleisteten Zahlung ein Fahrzeug ist, das mit einem Mangel behaftet ist und daher einen geringeren Wert hat.
35 Somit ist festzustellen, dass im Fall des Vertriebs von Fahrzeugen, die von ihrem Hersteller mit einer Software ausgerüstet sind, die die Daten über den Abgasausstoß manipuliert, der Schaden des Letzterwerbers weder ein mittelbarer Schaden noch ein reiner Vermögensschaden ist und beim Erwerb eines solchen Fahrzeugs von einem Dritten eintritt.
36 Unter Umständen wie den in den Rn. 34 und 35 des vorliegenden Urteils genannten wahrt eine solche Auslegung von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 das im 15. Erwägungsgrund dieser Verordnung erwähnte Ziel der Vorhersehbarkeit der Zuständigkeitsvorschriften, da ein in einem Mitgliedstaat niedergelassener Automobilhersteller, der unzulässige Manipulationen an in anderen Mitgliedstaaten in den Verkehr gebrachten Fahrzeugen vornimmt, vernünftigerweise erwarten kann, dass er vor den Gerichten dieser Staaten verklagt wird (vgl. entsprechend Urteile vom 28. Januar 2015, Kolassa, C‑375/13, EU:C:2015:37, Rn. 56, und vom 12. September 2018, Löber, C‑304/17, EU:C:2018:701, Rn. 35).
37 Denn wenn ein solcher Hersteller wissentlich gegen die für ihn geltenden gesetzlichen Vorschriften verstößt, muss er damit rechnen, dass der Schaden an dem Ort eintritt, an dem das fragliche Fahrzeug von einer Person erworben wurde, die berechtigterweise annehmen durfte, dass das Fahrzeug diesen Vorschriften entspricht, und die anschließend feststellt, dass sie über eine mangelhafte Sache mit geringerem Wert verfügt.
38 Diese Auslegung steht auch im Einklang mit den im 16. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1215/2012 genannten Zielen der räumlichen Nähe und einer geordneten Rechtspflege, da sich das nationale Gericht bei der Bestimmung der Höhe des entstandenen Schadens veranlasst sehen kann, die Marktbedingungen in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet das Fahrzeug erworben wurde, zu bewerten. Die Gerichte dieses Mitgliedstaats dürften den leichtesten Zugang zu den zur Durchführung dieser Bewertungen erforderlichen Beweismitteln haben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. Juli 2019, Tibor-Trans, C‑451/18, EU:C:2019:635, Rn. 34).
39 Schließlich steht diese Auslegung im Einklang mit den im siebten Erwägungsgrund der Rom‑II-Verordnung vorgesehenen Kohärenzerfordernissen, da nach Art. 6 Abs. 1 der Rom‑II-Verordnung der Ort des Schadenseintritts im Bereich des unlauteren Wettbewerbs der Ort ist, an dem „die Wettbewerbsbeziehungen oder die kollektiven Interessen der Verbraucher beeinträchtigt worden sind oder beeinträchtigt zu werden drohen“. Eine Handlungsweise wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die ein unlauteres Wettbewerbsverhalten darstellt, da sie die kollektiven Interessen der Verbraucher als Gruppe beeinträchtigen kann (Urteil vom 28. Juli 2016, Verein für Konsumenteninformation, C‑191/15, EU:C:2016:612, Rn. 42), kann diese Interessen in jedem Mitgliedstaat beeinträchtigen, in dessen Hoheitsgebiet das mangelhafte Produkt von den Verbrauchern gekauft wird. Der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs ist somit gemäß der Rom‑II-Verordnung der Ort, an dem ein solches Produkt gekauft wird (vgl. entsprechend Urteil vom 29. Juli 2019, Tibor-Trans, C‑451/18, EU:C:2019:635, Rn. 35).
40 Nach alledem ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, dass Art. 7 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen ist, dass sich der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs in einem Fall, in dem Fahrzeuge von ihrem Hersteller in einem Mitgliedstaat rechtswidrig mit einer Software ausgerüstet worden sind, die die Daten über den Abgasausstoß manipuliert, und danach bei einem Dritten in einem anderen Mitgliedstaat erworben werden, in diesem letztgenannten Mitgliedstaat befindet.