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Wirtschaftsrecht
17.11.2011
Wirtschaftsrecht
BGH: Unwirksamkeit eines im Voraus vereinbarten Ausschlusses der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung - HEROS II

BGH, Beschluss vom 21.9.2011 - IV ZR 38/09

leitsatz

Ein im Voraus vertraglich vereinbarter Ausschluss der Anfechtung wegen arg-listiger Täuschung ist mit dem von § 123 BGB bezweckten Schutz der freien Selbstbestimmung unvereinbar und deshalb unwirksam, wenn die Täuschung von dem Geschäftspartner selbst oder von einer Person verübt wird, die nicht Dritter i.S. des § 123 Abs. 2 BGB ist. Das gilt auch im Verhältnis des Erklä-renden zu durch die Vertragserklärung begünstigten Dritten (HEROS II, Fort-führung von BGH, Urteil vom 17. Januar 2007 VIII ZR 37/06, VersR 2007, 1084).

BGB § 123

sachverhalt

I. Die Klägerin begehrt aus eigenem und von vier Schwestergesell-schaften abgetretenem Recht von der Beklagten als führendem Versi-cherer anteilige Versicherungsleistungen aus einer von Unternehmen der HEROS-Gruppe (im Folgenden: HEROS-Gruppe) mit mehreren Versiche-rungsunternehmen abgeschlossenen "Valorenversicherung". Deren Ver

sicherungsbedingungen (im Folgenden: VB) lauten - nach der zuletzt ausgestellten Police Nr. 7509 - auszugsweise wie folgt:

"11. BESTIMMUNGEN FÜR DEN SCHADENFALL

...

11.3.1 Schadenzahlungen können mit befreiender Wirkung nur direkt an die Auftraggeber der Versicherungsneh-merin für die vom Schaden betroffenen Transporte er-folgen. Das Aufrechnungsrecht des Versicherers ge-mäß § 35b VVG ist insoweit ausgeschlossen.

...

...

13. OBLIEGENHEITEN

...

13.4 Verstöße gegen Obliegenheiten, sonstige Rechts-pflichten und Sicherheitsauflagen durch die Versiche-rungsnehmerin beeinträchtigen den Versicherungs-schutz nicht. Diese Vereinbarung gilt ausschließlich zugunsten der jeweiligen Auftraggeber.

...

15. SCHLUSSBESTIMMUNGEN

...

15.3 Mitversicherung

...

Alle der Führenden gegenüber und von dieser abge-gebenen Meldungen, Anzeigen und Erklärungen sowie mit der Versicherungsnehmerin getroffene Vereinba-rungen ... sind in jeder Weise auch für die beteiligten Gesellschaften verbindlich.

..."

Die Klägerin und ihre Schwestergesellschaften sind Versicherte dieses Vertrages. Sie behaupten Schäden aus Bargeldentsorgungen aus der Zeit vom 14. bis zum 17. Februar 2006. Hiermit war die HEROS Transport GmbH aufgrund von mit der Klägerin und ihren Schwesterge-sellschaften geschlossenen Rahmenverträgen beauftragt.

Die Versicherer der Police Nr. 7509 übersandten den jeweiligen Versicherten eine "Versicherungsbestätigung", welcher der Abschluss der Versicherung für die HEROS-Gruppe, ferner unter anderem die ver-sicherten Interessen, die Haftungshöchstsummen sowie Umfang und Gegenstand der Versicherung zu entnehmen waren.

Im Februar 2006 kam es zum Zusammenbruch der HEROS-Gruppe. Zahlreichen Auftraggebern, darunter nach ihrer Behauptung auch der Klägerin und ihren Schwestergesellschaften, wurde den HEROS-Gesellschaften Mitte Februar zur Entsorgung überlassenes Bar-geld nicht mehr (vollständig) auf ihren Konten gutgeschrieben. Nachdem im April 2006 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der HEROS-Gruppe eröffnet worden war, focht die Beklagte den Versicherungsver-trag im Januar 2007 wegen arglistiger Täuschung an.

Die Parteien streiten insbesondere darüber, ob diese Anfechtung wirksam und die Beklagte schon daher leistungsfrei ist, ferner darüber, ob die HEROS Transport GmbH im Umgang mit dem ihr anvertrauten Bargeld gegen vertragliche Verpflichtungen verstoßen und dadurch einen Versicherungsfall ausgelöst hat.

Das Landgericht hat der Klage zum Teil stattgegeben. Auf die Be-rufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die zuletzt auf Zahlung von 468.552,53 € nebst Zinsen sowie Feststellung der Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache in Höhe von 32.745,46 € gerichtete Kla-ge abgewiesen, da der Versicherungsvertrag wirksam wegen arglistiger Täuschung angefochten sei. Die Revision wurde nicht zugelassen. Da-gegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde.

aus den gründen

7          II. Das Rechtsmittel führt zur Zulassung der Revision unter gleich-zeitiger Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht gemäß § 544 Abs. 7 ZPO. Dieses hat den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt, weil es deren Antrag auf Vernehmung zweier Zeugen übergangen hat.

8          1. Die Anfechtung einer Willenserklärung nach § 123 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass der Erklärende zu ihrer Abgabe durch eine arglistige Täuschung bestimmt worden ist. Das ist dann der Fall, wenn diese Täu-schung einen Irrtum des Erklärenden hervorgerufen und dadurch dessen Entschluss zur Willenserklärung beeinflusst hat (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 2005 - X ZR 123/03, MMR 2005, 447 unter 1 a). Einen sol-chen vom Erklärenden, hier der Beklagten, darzulegenden und gegebe-nenfalls zu beweisenden Irrtum (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 1987 - V ZR 152/86, NJW-RR 1987, 1415 unter II 3) hat das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft festgestellt.

9          a) Es geht davon aus, bei der HEROS-Gruppe hätten spätestens seit Mitte der 1990er Jahre erhebliche finanzielle Schwierigkeiten be-standen. Unter anderem um Liquiditätsengpässe auszugleichen, seien laufend die im Zuge von Transportaufträgen entgegengenommenen Gel-der nicht sogleich den Konten der jeweiligen Auftraggeber gutgebracht, sondern zu Teilen zur Befriedigung anderweitig offen stehender Forde-rungen verwendet worden. Der Ausgleich für die dadurch zunächst geschädigten Auftraggeber sei zeitverzögert durch einen entsprechenden Zugriff auf spätere Geldtransporte erfolgt. Daraus habe sich eine vielfach als "Schneeballsystem" bezeichnete Dynamik wachsender Finanzie-rungslücken entwickelt. Von all dem habe die Beklagte bei Abschluss der Police Nr. 7509 jedoch noch keine konkrete Kenntnis gehabt.

10        Das stützt sich unter anderem auf folgende Erwägungen: Die HEROS-Verantwortlichen hätten ihr Geschäftsgebaren bei Vertrags-schluss nicht offengelegt. Selbst wenn der Beklagten einzelne Unregel-mäßigkeiten aus den 1990er Jahren und seit dem Jahre 2000 bekannt gewesen wären, folge daraus nicht, dass sie in den Jahren 2000 und 2001 bereits aktuelles und positives Wissen über die erheblichen Fehlbe-träge und die Insolvenzreife der HEROS-Gruppe gehabt habe. Bloße Verdachtsmomente genügten für eine solche Kenntnis nicht. Es komme hinzu, dass einzelne möglicherweise zunächst aufgetretene Probleme von HEROS stets "beseitigt" worden und deshalb weitgehend keine Ver-sicherungsfälle abzuwickeln gewesen seien. Bis in die Spätphase habe das Schneeballsystem noch funktioniert. Auch die Klägerin habe vorge-bracht, es sei bei ihr abgesehen von wenigen, nicht regelmäßigen Ver-zögerungen zu keinen Auffälligkeiten gekommen. Weiter hätten auch eine im Jahre 1993 ausgesprochene Kündigung, Schadenfälle aus den Jahren 1997 und 2001 und Prämienrückstände in der Zeit von 1998 bis 2000 noch keine ausreichenden Rückschlüsse auf den wirtschaftlichen Zustand der HEROS-Gruppe bei Abschluss der Police Nr. 7509 zugelas-sen.

11        Allein aus der Freundschaft zwischen dem HEROS-Geschäftsführer W. und dem Mitarbeiter der Beklagten Harald S. könne ebenfalls nicht gefolgert werden, die Beklagte sei konkret in das Schneeballsystem eingeweiht gewesen und habe Kenntnis von der wirt-schaftlichen Lage der HEROS-Gruppe gehabt. Dagegen sprächen die Angaben des Zeugen W. anlässlich seiner polizeilichen Vernehmung im März 2006, wonach die Versicherer bis ins Jahr 2004 nicht gewusst hätten, dass die von HEROS geschuldeten Einzahlungen nicht fristge-recht und taggleich erfolgt seien.

12        b) Damit hat das Berufungsgericht das Recht der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt.

13        Es durfte einen Irrtum der hier für darlegungs- und beweispflichti-gen Beklagten nicht feststellen, ohne zuvor den von der Klägerin bean-tragten Beweis über die dieser Feststellung entgegenstehende Behaup-tung zu erheben, der Mitarbeiter der Beklagten S. , der zahlreiche Zuwendungen von Verantwortlichen der HEROS-Gruppe erhalten habe, sei über sämtliche Vorgänge bei HEROS unterrichtet gewesen und habe insbesondere gewusst, dass der Lebensstil des HEROS-Geschäftsführers W. aus Unterschlagungen und Veruntreuungen fi-nanziert worden sei.

14        aa) Von der Vernehmung der dafür benannten Zeugen S. und W. durfte das Berufungsgericht nicht deshalb absehen, weil die unter Beweis gestellten Tatsachen so ungenau bezeichnet gewesen wären, dass ihre Erheblichkeit nicht hätte beurteilt werden können (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 1. Juni 2005 - XII ZR 275/02, NJW 2005, 2710 un-ter II 2 a). Das Vorbringen der Klägerin war vielmehr hinreichend sub-stantiiert, zumal sie selbst keine unmittelbare Kenntnis von internen Vor-gängen bei der Beklagten hat, was ihr die Darlegung und Beweisführung erschwert. In einem solchen Fall darf eine Partei auch Tatsachen, deren Vorliegen sie lediglich vermutet, als feststehend behaupten und unter Beweis stellen, wenn wie hier - für die Richtigkeit ihres Vorbringens hinreichende Anhaltspunkte bestehen. Zu einem unzulässigen Ausfor-schungsbeweis wird eine solche Beweisführung erst bei offensichtlicher Willkür oder Rechtsmissbrauch der vortragenden Partei (vgl. BGH, Urtei-le vom 5. April 2001 IX ZR 276/98, NJW 2001, 2327 unter III 1 a und vom 11. Juli 1996 IX ZR 226/94, NJW 1996, 3147 unter II 5 d). Dafür ist hier angesichts zahlreicher - weitgehend unstreitiger und vom Beru-fungsgericht unterstellter - Anhaltspunkte, die für eine besondere Nähe zwischen den Zeugen S. und W. sprechen, nichts ersichtlich.

15        bb) Die Beweiserhebung war auch nicht deshalb entbehrlich, weil die benannten Zeugen S. und W. ungeeignete oder unerreichbare Beweismittel oder ihre Vernehmungen unzulässig gewesen wären.

16        Ihre auf § 384 Nr. 2 ZPO gestützte, umfassende Aussageverweige-rung in einem anderen Rechtsstreit aus dem HEROS-Komplex (vgl. dazu das Zwischenurteil des OLG Celle vom 14. Juni 2010 - 8 U 21/09, juris, betreffend den Zeugen W. ) führt nicht dazu, die beiden Zeugen im vor-liegenden Rechtsstreit als völlig ungeeignete oder unerreichbare Be-weismittel i.S. des § 244 Abs. 2 Satz 2 StPO (vgl. zur Bedeutung dieser Vorschrift auch im Zivilprozess: BGH, Urteil vom 17. Februar 1970 III ZR 139/67, BGHZ 53, 245, 258; Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl. § 284 Rn. 8b; Laumen in Prütting/Gehrlein, ZPO § 284 Rn. 35) anzusehen oder die beantragte Beweiserhebung für unzulässig zu erachten. Vielmehr gelten für eine solche Annahme strenge Maßstäbe (vgl. etwa BGH, Urteil vom 3. Mai 2006 XII ZR 195/03, NJW 2006, 3416 Rn. 25; BGH, Urteil vom 22. Dezember 1981 5 StR 662/81, NStZ 1982, 126 unter I 1).

17        Eine solche Prüfung hat das Berufungsgericht nicht vorgenommen.

18        Es kommt hinzu, dass der Tatrichter im Falle einer Zeugnisverwei-gerung nach § 384 Nr. 2 ZPO - anders als in den Fällen des § 383 Abs. 1 Nr. 1 3 ZPO - nicht gehindert ist, diese im Rahmen seiner freien Über-zeugungsbildung zu würdigen (vgl. BGH, Urteil vom 18. Oktober 1993 - II ZR 255/92, NJW 1994, 197 unter I 2 a; OLG München NJW 2011, 80, 81; MünchKomm-ZPO/Damrau, 3. Aufl. § 384 Rn. 4). Sollten die beiden Zeugen berechtigterweise an ihrer Zeugnisverweigerung festhalten, wird das Berufungsgericht zu prüfen haben, ob und inwieweit diese Weige-rung bei der Gesamtbewertung aller Fallumstände Hinweise darauf gibt, welche Kenntnisse der Zeuge S. vom Geschäftsgebaren der HEROS-Gruppe hatte.

19        2. Der dargelegte Gehörsverstoß ist auch entscheidungserheblich, denn die übrigen Einwände der Klägerin gegen die Wirksamkeit der von der Beklagten erklärten Arglistanfechtung greifen nicht durch.

20        a) Gegen die Annahme des Berufungsgerichts, bei der Police Nr. 7509 handele es sich um den Abschluss eines neuen, zum 1. De-zember 2001 in Kraft getretenen Versicherungsvertrages und nicht ledig-lich um eine Änderung der zuvor bestehenden Police Nr. 7265, ist revisi-onsrechtlich nichts zu erinnern.

21        aa) Ein neuer Vertrag liegt vor, wenn der aus den gesamten Fall-umständen zu ermittelnde Wille der Vertragsparteien darauf gerichtet war, die vertraglichen Beziehungen auf eine selbständige neue Grundla-ge zu stellen und sich nicht damit zu begnügen, einzelne Regelungen des bestehenden Vertrages zu modifizieren. Für einen neuen Vertrag spricht die Veränderung wesentlicher Vertragsinhalte, z.B. des versicher-ten Risikos, des versicherten Objekts, der Vertragsdauer, der Vertrags-parteien und der Gesamtversicherungssumme (vgl. Senatsurteil vom 19. Oktober 1988 - IVa ZR 111/87, r+s 1989, 22, 23; OLG Saarbrücken VersR 2007, 1681, 1682; OLG Köln VersR 2002, 1225; BK/Riedler, VVG § 38 Rn. 9; Knappmann in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl. § 37 Rn. 5; Rö-mer in Römer/Langheid, VVG 2. Aufl. § 38 Rn. 6).

22        bb) Unter Beachtung dieser Maßstäbe und Heranziehung der den Einzelfall prägenden Umstände ist das Berufungsgericht ohne durchgrei-fenden Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangt, die Police Nr. 7509 sei als neuer, zum 1. Dezember 2001 in Kraft getretener Vertrag anzusehen. Entscheidungserheblichen Vortrag oder relevante Beweisangebote der Klägerin hat es - entgegen der Auffassung der Beschwerde - nicht über-gangen. Die Angriffe der Revision erschöpfen sich im Wesentlichen in dem revisionsrechtlich unbehelflichen Versuch, die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts unter abweichender Bewertung einzelner Indizien durch eine vermeintlich bessere eigene Würdigung zu ersetzen.

23        Auf der Grundlage der vom Berufungsgericht vorgenommenen Ge-samtschau zahlreicher Umstände, die sich insbesondere auch nicht als willkürlich i.S. von Art. 3 Abs. 1 GG erweist, schließt der Senat weiter aus, dass einzelne von der Revision herausgegriffene Aspekte das Beru-fungsgericht zu einer anderen Entscheidung veranlasst hätten, mögen sie auch für sich betrachtet auf eine Verlängerung der früheren Police hindeuten.

24        (1) Das gilt auch, soweit das Berufungsgericht übersehen hat, dass Werttransporte von und zu einer Bank in Dänemark bereits seit 1996 auf der Grundlage einer Zusatzvereinbarung von der Police Nr. 7265 umfasst waren, weshalb seine Annahme, die in Ziffer 4.1.11 der Police Nr. 7509 getroffene "Sondervereinbarung Dänemark" enthalte ei-ne Neuregelung, nicht zutrifft. Der Senat schließt aus, dass das Beru-fungsgericht, hätte es dies erkannt, zu einer anderen Bewertung der Po-lice Nr. 7509 gelangt wäre.

25        (2) Ohne Erfolg rügt die Beschwerde in diesem Zusammenhang, es sei angebotener Zeugenbeweis übergangen worden. Von einer nähe-ren Begründung sieht der Senat insoweit nach § 564 Satz 1 ZPO ab.

26        b) Ziffer 13.4 VB enthält, selbst wenn man den Wortlaut der Klau-sel auch auf eine vorvertragliche arglistige Täuschung des Versiche-rungsnehmers beziehen wollte, keinen wirksamen Ausschluss der Arg-listanfechtung.

27        aa) Ein im Voraus vereinbarter Ausschluss des Anfechtungsrechts aus § 123 Abs. 1 BGB ist nach allgemeiner Auffassung unwirksam, wenn die Täuschung vom Geschäftspartner selbst oder von einer Person ver-übt wird, die nicht Dritter i.S. des § 123 Abs. 2 BGB ist (vgl. BGH, Urteil vom 17. Januar 2007 - VIII ZR 37/06, VersR 2007, 1084 Rn. 18).

28        § 123 BGB schützt die rechtsgeschäftliche Entschließungsfreiheit (BGH, Urteil vom 24. Oktober 1968 - II ZR 214/66, BGHZ 51, 141, 147; RGZ 134, 43, 55), indem die Vorschrift gewährleistet, dass eine Willens-erklärung, die nicht als Ausdruck freier rechtsgeschäftlicher Selbstbe-stimmung angesehen werden kann, weil die Willensbildung des Erklä-renden von Täuschung oder Drohung beeinflusst ist, der Anfechtung unterliegt (vgl. dazu nur MünchKomm-BGB/Kramer, 5. Aufl. § 123 Rn. 1). Wird diese im Voraus ausgeschlossen, liefert sich der Erklärende der Willkür des Vertragspartners aus und gibt seine freie Selbstbestimmung vollständig auf. Dem Täuschenden wird ermöglicht, Vorteile aus seiner Täuschung zu ziehen, ohne eine Rückabwicklung des Vertrages befürch-ten zu müssen. Dafür verdient der arglistig Täuschende nicht den Schutz der Rechtsordnung (vgl. BGH, Urteil vom 17. Januar 2007 aaO).

29        Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Willenserklärung einer juristischen oder natürlichen Person in Rede steht. Das aus Art. 2 Abs. 1 GG abgeleitete Recht auf freie Willensbildung steht, da es korporativ be-tätigt werden kann (Art. 19 Abs. 3 GG; vgl. BVerfGE 106, 28, 42 ff.), ju-ristischen und privaten Personen gleichermaßen zu (vgl. Erman/Palm, BGB 12. Aufl. § 123 Rn. 44).

30        bb) Für das Verhältnis zwischen der Beklagten als Versicherer und der Klägerin und ihren Schwestergesellschaften als von Ziff. 13.4 VB be-günstigte Versicherte gilt nichts anders.

31        Auch wenn den Versicherern die Berufung auf eine Arglistanfech-tung lediglich gegenüber den Versicherten verwehrt bliebe, wären Erste-re der Willkür der täuschenden Versicherungsnehmerin ausgeliefert und ihrer freien rechtsgeschäftlichen Selbstbestimmung beraubt. Da Versi-cherungsleistungen nach Ziffer 11.3.1 Abs. 1 Satz 1 VB an die Versicher-ten zu erbringen sind, liefe der Schutz des § 123 BGB gerade dann ins Leere, wenn die durch Täuschung geschaffene Verpflichtung gegenüber den Versicherten bestehen bliebe.

32        cc) § 334 BGB steht der Geltendmachung der Anfechtungsfolgen gegenüber der Klägerin und ihren Schwestergesellschaften ebenfalls nicht entgegen. Als Versicherte des zwischen der HEROS-Gruppe und den beteiligten Versicherern geschlossenen Vertrages können sie Rech-te nur so erwerben, wie die Versicherungsnehmerin sie gestaltet hat (vgl. BGH, Urteil vom 19. Januar 1967 - II ZR 37/64, VersR 1967, 343 un-ter IV; BK/Hübsch, VVG § 75 Rn. 4). Ihnen stehen nach § 334 BGB alle Einwendungen entgegen, die dem Versicherer aus dem Vertrag oder auch dessen Nichtigkeit erwachsen. Dazu zählt der Einwand der Anfech-tung (vgl. nur BK/Hübsch, VVG § 74 Rn. 27).

33        dd) Auch aus den Versicherungsbestätigungen, die die Beklagte den Versicherten übersandt hat, erwachsen Letzteren in Bezug auf die Arglistanfechtung keine weitergehenden Rechte. Das Berufungsgericht hat diese Bestätigungen zu Recht als lediglich deklaratorische Informati-onsschreiben angesehen, die dazu dienten, die Versicherten über den Abschluss einer Versicherung zwischen der Beklagten und der HEROS-Gruppe zu unterrichten und den Inhalt dieses Vertrages zusammenzu-fassen. Eine gesonderte Begründung, Stärkung und Sicherung von Rechten der Versicherten folgt daraus nicht (vgl. Senatsurteil vom 6. Dezember 2000 - IV ZR 28/00, VersR 2001, 235 unter II 2 a). Die Be-klagte hat mit den Bestätigungen keinen über die Regelungen des Versi-cherungsvertrages hinausgehenden Sicherungszweck verfolgt (anders bei in einem Kfz-Sicherungsschein: Senatsurteil vom 15. November 1978 - IV ZR 183/77, VersR 1979, 176 unter 1; BGH, Urteil vom 25. November 1963 - II ZR 54/61, BGHZ 40, 297, 302 f.; vgl. Brand in Bruck/Möller, VVG 9. Aufl. § 44 Rn. 30, 32). Sie war deshalb auch nicht gehalten, die-se Bestätigungen gesondert anzufechten.

34        c) Zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Fra-ge, ob die Klägerin und ihre Schwestergesellschaften den Anfechtungs-grund kannten, für die Wirksamkeit der Anfechtung ohne Bedeutung ist, weil § 123 Abs. 2 BGB hier nicht anzuwenden ist. Sowohl § 123 Abs. 2 S. 1 als auch Abs. 2 S. 2 BGB setzen voraus, dass die Täuschung von einem Dritten ausgeht, und können mithin nicht eingreifen, wenn allein eine Täuschung durch den Erklärungsgegner - hier die HEROS-Gruppe als Versicherungsnehmerin - in Rede steht (vgl. BGH, Urteil vom 8. Dezember 1959 - VIII ZR 134/58, BGHZ 31, 321, 327 f.).

35        d) Ohne Rechtsfehler nimmt das Berufungsgericht an, die HEROS-Gruppe habe der Beklagten bei Abschluss der Police Nr. 7509 ihr bis da-hin praktiziertes Geschäftsverhalten (vgl. zum Schneeballsystem un-ter II 1 a) offenbaren müssen.

36        aa) Die tatsächlichen Grundlagen, aus denen dies hergeleitet wird, hat das Berufungsgericht unter Bezugnahme auf die strafrechtliche Ver-urteilung der Geschäftsführer von Unternehmen der HEROS-Gruppe durch das Landgericht Hildesheim und in Übereinstimmung mit der dazu ergangenen Revisionsentscheidung des 3. Strafsenats des Bundesge-richtshofes (Beschluss vom 1. April 2008 - 3 StR 493/07, wistra 2008, 427) in rechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt und dabei die für seine Überzeugungsbildung wesentlichen Gesichtspunkte nach-vollziehbar darlegt (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 16. März 2005 - IV ZR 140/04, NJW-RR 2005, 1024 unter 1 und 2; BGH, Urteil vom 22. Januar 1991 - VI ZR 97/90, NJW 1991, 1894 unter II 1).

37        bb) Das Berufungsgericht durfte die HEROS-Gruppe in diesem Zu-sammenhang auch als Verbund von Unternehmen ansehen, bei dem es entbehrlich war, das Maß der gebotenen Sachaufklärung nach den ein-zelnen HEROS-Unternehmen zu differenzieren. Vor allem gesteuert durch K. W. als ihr zumindest faktischer Geschäftsführer (vgl. schon BGH, Beschluss vom 1. April 2008 - 3 StR 493/07, wistra 2008, 427 unter II 2 a bb) wirkten die Unternehmen der HEROS-Gruppe zur Aufrechterhaltung des Schneeballsystems arbeitsteilig zusammen.

38        (1) Zwar muss ein Vertragspartner im Allgemeinen nicht über alle Umstände aufgeklärt werden, die für seine Entscheidung von Bedeutung sein können. Anderes gilt aber dann, wenn eine solche Mitteilung auf-grund der konkreten Gegebenheiten nach der Verkehrsauffassung erwar-tet werden darf (vgl. nur BGH, Urteil vom 12. Juli 2001 - IX ZR 360/00, NJW 2001, 3331 unter II 1 b). So liegt der Fall hier. Angesichts der un-lauteren Geschäftspraktiken der HEROS-Gruppe drohten bereits zur Zeit des Vertragsschlusses jederzeit die Entdeckung und der Zusammen-bruch des Schneeballsystems mit der Folge, dass die Unternehmen der HEROS-Gruppe insolvent werden und zahlreiche Auftraggeber in diesem Fall die den HEROS-Unternehmen zum Transport übergebenen Gelder beziehungsweise deren Gegenwert verlieren konnten. Losgelöst von der Frage, ob die so entstehenden Ausfälle in jedem Fall einen Versiche-rungsfall dargestellt hätten, stand für die Verantwortlichen der HEROS-Gruppe jedenfalls zu erwarten, dass die Versicherer im Falle der Entde-ckung des Schneeballsystems und dem dann unvermeidlichen Zusam-menbruch der Geschäfte durch zahlreiche Versicherte in Anspruch ge-nommen würden. Daher lag allein im Betreiben dieses Schneeballsys-tems bereits eine anzeigepflichtige unmittelbare Gefährdung des Ver-tragszwecks der Versicherung (vgl. Senatsurteil vom 8. Februar 1989 - IVa ZR 197/87, VersR 1989, 465 unter II 3; BGH, Urteil vom 4. März 1998 - VIII ZR 378/96, NJW-RR 1998, 1406 unter II 1). Durch Verschweigen der geschilderten Gefahren verlagerte die HEROS-Gruppe ihr eigenes wirtschaftliches Wagnis zum Teil auf die Versicherer und belas-tete diese bewusst mit einem Risiko, das über die mit dem Abschluss ei-ner Valoren-Transport-Versicherung normalerweise verbundenen Gefah-ren erheblich hinausging (vgl. BGH, Urteil vom 11. Februar 1999 - IX ZR 352/97, NJW 1999, 2032 unter II 3 a).

39        (2) Dabei ist es hier unerheblich, dass sich die Verantwortlichen der HEROS-Gruppe bei Offenbarung ihrer Geschäftspraktiken gegenüber den Versicherern unerlaubter Handlungen hätten bezichtigen müssen (vgl. dazu BGH, Urteil vom 8. Dezember 1997 - II ZR 236/96, NJW 1998, 1315 unter II 1 b). Aus dem strafprozessualen Privileg, sich nicht selbst einer Straftat bezichtigen zu müssen, erwächst kein Anspruch darauf, ungeachtet des Verschweigens solcher Umstände dennoch private Rech-te voll durchzusetzen (vgl. dazu BVerfG NStZ 1995, 599, 600) oder sich gar versicherungsvertragliche Vorteile zu erschleichen.

40        Dem steht das Senatsurteil vom 24. September 1986 (IVa ZR 229/84, VersR 1986, 1089 unter 2) nicht entgegen. In jenem Verfahren stand zur Entscheidung, ob der Versicherungsnehmer einer Feuerversi-cherung bei Vertragsschluss unaufgefordert mitteilen müsse, dass er sich in der Vergangenheit erkannt oder unerkannt einmal strafbar ge-macht habe. In diesem Zusammenhang hat der Senat dem Versiche-rungsnehmer, der vom Versicherer nach einer solchen strafrechtlichen Vergangenheit nicht ausdrücklich gefragt worden war, ein "Recht auf (Ver-)Schweigen" zugestanden, da ein Teilnehmer am allgemeinen rechtsgeschäftlichen Verkehr nicht erwarten könne, dass sich jemand bei zivilrechtlichen Vertragsverhandlungen unaufgefordert durch Selbstbe-zichtigung (auch) einer strafrechtlichen Verfolgung erst aussetzen werde.

41        Um eine solche, allein die allgemeine persönliche Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit des Versicherungsnehmers betreffende Offenba-rung früheren strafbaren Verhaltens geht es hier aber nicht. Vielmehr be-trafen die verschwiegenen Geschäftspraktiken unmittelbar das zu versi-chernde Risiko. Sie stellten, wie das Berufungsgericht zu Recht hervor-gehoben hat, auch keinen in der Vergangenheit abgeschlossenen Vor-gang dar, sondern dauerten fort und setzten die Versicherungsnehmerin der Gefahr der Insolvenz und die Versicherer einem deutlich erhöhten Risiko der Inanspruchnahme aus.

42        e) Die Anfechtungserklärung der Beklagten vom 8. Januar 2007 leidet an keinem ihre Wirksamkeit ausschließenden Mangel.

Sie ist an den Insolvenzverwalter der HEROS-Gruppe gerichtet, auf die Police Nr. 7509 bezogen, wurde ausdrücklich im Namen aller Mit-versicherer abgegeben und war geeignet, nicht nur den mit der Beklag-ten im Rahmen einer offenen Mitversicherung geschlossenen Vertrag, sondern den Versicherungsvertrag als Ganzes zu erfassen.

43aa) Die Anschlussklausel in Ziffer 15.3 VB verleiht - für einen durchschnittlichen, juristisch nicht vorgebildeten Versicherungsnehmer einer Transportversicherung ohne weiteres erkennbar (vgl. dazu Senats-urteil vom 25. Mai 2011 - IV ZR 117/09, VersR 2011, 918 Rn. 22) - der Beklagten als führendem Versicherer die Befugnis, Willenserklärungen im Namen der übrigen Mitversicherer abzugeben und diese aktiv zu ver-treten (vgl. dazu MünchKomm-VVG/Halbach, § 77 Rn. 14; Römer in Rö-mer/Langheid, VVG 2. Aufl. § 58 Rn. 6; Thume in Thume/de la Mot-te/Ehlers, Transportversicherungsrecht 2. Aufl. VVG § 77 Rn. 246; Kret-schmer, VersR 2008, 33, 34; Lange/Dreher, VersR 2008, 289, 291; 2005, 717, 724). Sie wird dadurch auf der Seite der Versicherer mit der umfas-senden Wahrnehmung aller aus dem Vertragsverhältnis erwachsenden Aufgaben betraut. Dies umfasst auch Erklärungen, die sich auf den Be-stand des Vertrages auswirken können. Angesichts dieser bereits im Versicherungsvertrag erteilten Bevollmächtigung war für eine Zurückwei-sung der Anfechtung nach § 174 Satz 1 BGB durch den Insolvenzverwal-ter kein Raum.

44        bb) Einer zusätzlichen Anfechtungserklärung gegenüber den Ver-sicherten bedurfte es nicht. Bei der hier genommenen Versicherung für fremde Rechnung sind grundsätzlich alle Erklärungen, die den Vertrag als solchen und nicht lediglich Pflichten der Versicherten oder deren Rechtsausübung betreffen (vgl. BK/Hübsch, VVG § 75 Rn. 3; Brand in Bruck/Möller, VVG 9. Aufl. § 44 Rn. 8), gegenüber dem Versicherungs-nehmer abzugeben. Es verbleibt insofern bei der Regel des § 143 Abs. 2, 1. Halbsatz BGB (vgl. BK/Voit, VVG § 22 Rn. 37; Prölss/Klimke in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl. § 45 Rn. 3). Auf die Wirksamkeit der von der Beklagten dennoch auch gegenüber Versicherten abgegebenen An-fechtungserklärungen kommt es deshalb nicht an.

45        f) Ob einerseits die Anfechtungsfrist des § 124 Abs. 1 BGB einge-halten und andererseits der Versicherungsvertrag möglicherweise gemäß § 144 BGB bestätigt wurde, kann abschließend erst entschieden werden, wenn geklärt ist, in welchem Umfang und ab welchem Zeitpunkt die Be-klagte oder ein ihr möglicherweise gleichstehender Wissensvertreter Kenntnis von denjenigen Tatsachen hatte, über die sie nach ihrer Be-hauptung getäuscht worden ist.

46        aa) Die Jahresfrist des § 124 Abs. 1 BGB beginnt mit der Entde-ckung der Täuschung durch den Anfechtungsberechtigten zu laufen, also mit der Entdeckung des Irrtums und des Umstandes, dass dieser durch eine Täuschung veranlasst worden ist. Nicht ausreichend ist ein bloßes Kennenmüssen; auch ein bloßer Verdacht, getäuscht worden zu sein, genügt nicht (vgl. MünchKomm-BGB/Kramer, 5. Aufl. § 124 Rn. 2; Stau-dinger/Singer/von Finckenstein, BGB [2004] § 124 Rn. 4).

47        Das hat das Berufungsgericht seinen Überlegungen zutreffend zu-grunde gelegt. Seine weiteren, im Übrigen rechtsfehlerfreien Ausführun-gen zur Wahrung der Anfechtungsfrist gehen allerdings von der fehler-haft getroffenen Feststellung aus, die Beklagte habe sich bei Abgabe ih-rer Vertragserklärung in einem Irrtum über die Geschäftspraktiken der HEROS-Gruppe befunden. Da dieser Punkt weiterer Aufklärung bedarf, kann noch nicht abschließend entschieden werden, ob und gegebenen-falls wann die Anfechtungsfrist zu laufen begonnen hat.

48        bb) Ähnliches gilt für die Frage einer Bestätigung des Versiche-rungsvertrages nach § 144 BGB. Sie setzt voraus, dass der ursprünglich Anfechtungsberechtigte eindeutig zum Ausdruck bringt, den Vertrag endgültig als wirksam gelten zu lassen (vgl. Staudinger/Roth, BGB [2010] § 144 Rn. 1), und dies zu einem Zeitpunkt äußert, zu dem er be-reits weiß oder mindestens mit der Möglichkeit rechnet, dass der Gegner ihn bewusst getäuscht hat. Außerdem muss er wissen, dass sich daraus für ihn ein Anfechtungsrecht ergibt (vgl. BGH, Urteil vom 14. März 1990 - VIII ZR 18/89, NJW-RR 1990, 817 unter III 3; RGZ 128, 116, 119; Stau-dinger/Roth, BGB [2010] § 144 Rn. 7).

49        Zwar hat das Berufungsgericht diese Voraussetzungen auf der Grundlage seiner bisherigen Feststellungen ohne Rechtsfehler verneint. Auch insoweit bedarf die Sache aber neuer Verhandlung und Entschei-dung, weil neu geprüft werden muss, ob und gegebenenfalls ab welchem Zeitpunkt die Beklagte Kenntnis von dem von der HEROS-Gruppe prakti-zierten Schneeballsystem hatte.

50        Erst danach kann auch entschieden werden, inwieweit rechtsge-schäftlichen Äußerungen der Beklagten nach Vertragsschluss möglich-erweise ein Bestätigungswille entnommen werden kann.

51        III. Der Senat weist für das weitere Verfahren auf Folgendes hin:

52        Greift die Anfechtung bezüglich der Police Nr. 7509 nach § 123 Abs. 1 BGB durch, wird neu zu prüfen sein, ob sie auch die einvernehm-liche Aufhebung der Vorgänger-Police Nr. 7265 erfasst und im Ergebnis zu deren Wiederaufleben führt.

53        Soweit das Berufungsgericht dies bisher verneint hat, begegnet die Begründung des Berufungsurteils rechtlichen Bedenken.

54        1. Ist der Teil eines Rechtsgeschäfts nichtig, wird davon gemäß § 139 BGB das gesamte Rechtsgeschäft erfasst, es sei denn die Fallum-stände rechtfertigen die Annahme, der nicht unmittelbar von der Nichtig-keit betroffene Teil des Rechtsgeschäftes wäre auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen worden. § 139 BGB erfordert damit zunächst eine Klärung der Frage, ob ein einheitliches Rechtsgeschäft vorliegt, welches lediglich teilweise der Anfechtung unterliegt, oder ob zwei selbständige Rechtsgeschäfte abgeschlossen worden sind, auf die § 139 BGB keine Anwendung findet.

55        2. Ein einheitliches Rechtsgeschäft i.S. von § 139 BGB liegt vor, wenn der Wille der Parteien dahin geht, dass die möglicherweise äußer-lich getrennten Rechtsgeschäfte miteinander stehen und fallen sollten, mithin das eine nicht ohne das andere von den Parteien gewollt war (vgl. dazu BGH, Urteil vom 24. Oktober 2006 - XI ZR 216/05, NJW-RR 2007, 395 Rn. 17 m.w.N.; OLG Saarbrücken VersR 2007, 1681, 1682 f.).

56        Dafür spricht hier, dass nach den Feststellungen des Berufungsge-richts mit dem Abschluss der zum 1. Dezember 2001 in Kraft tretenden Police Nr. 7509 zugleich die vorzeitige Aufhebung der anderenfalls noch bis einschließlich Dezember 2001 geltenden Police Nr. 7265 einherge-hen sollte. Insoweit liegen nicht einmal äußerlich getrennte Vertragser-klärungen vor, sondern die vorwiegend die neue Police betreffenden Er-klärungen erfassten zugleich stillschweigend die Vorgänger-Police.

57            Dennoch hat das Berufungsgericht ein einheitliches Rechtsge-schäft mit der Erwägung verneint, es habe im Falle einer erfolgreichen Arglistanfechtung nicht dem Willen der Parteien entsprochen, auch den Aufhebungsvertrag betreffend die Police Nr. 7265 zu vernichten und letz-terer auf diese Weise wieder Geltung zu verschaffen. Für die Versiche-rungsnehmerin sei vielmehr offensichtlich gewesen, dass die Beklagte bei Kenntnis der ihr verschwiegenen Gefahrumstände den alten Versi-cherungsvertrag jederzeit hätte kündigen können.

58        3. Das ist nicht frei von Rechtsfehlern, denn bei der Ermittlung des für die Einheitlichkeit maßgeblichen Parteiwillens ist auf den Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts abzustellen (Palandt/Ellenberger, BGB 70. Aufl. § 139 Rn. 5) und nicht danach zu fragen, welche Parteiin-teressen bei Erklärung der Arglistanfechtung bestanden. Für die Annah-me eines einheitlichen Rechtsgeschäfts kann im Übrigen der diesbezüg-liche Wille einer der Vertragsparteien genügen, wenn er für die andere Partei erkennbar war und von ihr gebilligt oder jedenfalls hingenommen wurde (BGH, Urteil vom 9. Juli 1992 IX ZR 209/91, NJW 1992, 3238 un-ter I 1 b m.w.N.).

59        Das Berufungsgericht hat insoweit nicht geprüft, ob die Aufhebung des bestehenden Versicherungsvertrages (Police Nr. 7265) bei den Ver-handlungen über die Police Nr. 7509 zumindest von der Versicherungs-nehmerin nicht ohne den gleichzeitigen Neuabschluss gewollt war und ob dies für die Annahme eines einheitlichen Rechtsgeschäfts deshalb ausreichte, weil die Beklagte bei Abschluss der Police Nr. 7509 erkannt und akzeptiert hat, dass beide Rechtsgeschäfte jedenfalls für die Versi-cherungsnehmerin miteinander stehen und fallen sollten. Demgegenüber kommt es auf die Frage, ob die Beklagte bei Kenntnis der Ge-schäftspraktiken der HEROS-Gruppe berechtigt gewesen wäre, die Poli-ce Nr. 7265 jederzeit fristlos oder ordentlich zu kündigen, nicht an. Maß-geblich ist allein, ob der ursprüngliche Versicherungsvertrag nach der Vorstellung der Parteien auch ohne den Neuabschluss hätte aufgehobenwerden sollen. Das ist ohne Berücksichtigung des später erkannten An-fechtungsgrundes und nicht allein anhand der Interessen der Beklagten zu beurteilen.

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