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Wirtschaftsrecht
03.05.2012
Wirtschaftsrecht
BGH: Unwirksame Haftungsfreistellungsklausel in AGB eines Autovermietungsunternehmens

BGH, Urteil vom 14.3.2012 - XII ZR 44/10


Leitsätze


a) Die in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Autovermietungsunterneh-mens enthaltene Klausel, wonach die gegen Zahlung eines zusätzlichen Entgelts gewährte Haftungsfreistellung uneingeschränkt entfällt, wenn der Mieter gegen die ebenfalls in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltene Verpflichtung, bei einem Unfall die Polizei hinzuzuziehen, verstößt, ist nach § 307 BGB unwirksam (im Anschluss an Senatsurteile vom 2. Dezember 2009 - XII ZR 117/08 - NJW-RR 2010, 480 ff. und vom 10. Juni 2009 XII ZR 19/08 - NJW 2009, 3229 f.).


b) Die durch die Unwirksamkeit der Klausel entstehende Vertragslücke kann durch die Heranziehung von § 28 Abs. 2 und 3 VVG geschlossen werden (im Anschluss an BGH Urteil vom 11. Oktober 2011 - VI ZR 46/10 - VersR 2011, 1524 ff.).


BGB §§ 307 Bb, Cl, 306 Abs. 2; VVG § 28 Abs. 2, 3


Sachverhalt


Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von AGB-Klauseln des Klä-gers, wonach die bei Anmietung eines Kraftfahrzeugs vereinbarte Haftungsbe-schränkung unter bestimmten Voraussetzungen entfällt.


Der Kläger, der ein gewerbliches Autovermietungsunternehmen betreibt, vermietete mit Vertrag vom 25. Juni 2008 ein Fahrzeug an den Beklagten. Die Parteien vereinbarten gegen Entgelt eine Beschränkung der Haftung des Be-klagten auf 550 €. Im Vertrag heißt es nach der Vereinbarung über die Haf-tungsbeschränkung:


"Ich akzeptiere diesen Mietvertrag, die Zustandsbeschreibung des Fahrzeugs sowie die ausliegenden Geschäfts- und Vertragsbedin-gungen. Jegliche Haftungsreduzierung entfällt bei vorsätzlichen, grob fahrlässigen oder alkoholbedingten Beschädigungen oder Unfällen, dem Nichthinzuziehen der Polizei bei Schadensfällen oder Grenzüberschreitungen."


In den AGB des Klägers ist u.a. Folgendes bestimmt:


"F. Schäden am Mietwagen


...


II. Schäden durch Unfall


1. Unfallschäden im Sinne dieser Bestimmungen ist jedes Ereig-nis im öffentlichen und privaten Straßenverkehr, das mit des-sen Gefahren im ursächlichen Zusammenhang steht und ei-nen Sachschaden am Mietwagen zur Folge hat, ob an dem Unfall ein anderer Verkehrsteilnehmer beteiligt ist oder nicht.


2. Bei jedem Unfallschaden hat der Mieter:


a) sofort die Polizei zu verständigen und an der Unfallstelle zu verbleiben, bis zum Eintreffen der benachrichtigten Polizei


...


4. Der Mieter ist verpflichtet, den Vermieter sofort telefonisch, notfalls telegrafisch, von einem Unfall zu verständigen.


G. Unbeschränkte Haftung des Mieters bei Überlassung an nichtberechtigten Lenker


...


II. Vertraglich vereinbarte Haftungsbeschränkung des Mieters und berechtigten Lenkers


Durch den Abschluss einer gesonderten Vereinbarung kann die Selbstbeteiligung an Schäden durch den Mieter und be-rechtigten Lenker beschränkt werden.


...


III. Unbeschränkte Haftung des Mieters und berechtigten Lenkers trotz vertraglicher Haftungsbeschränkung bei Unfällen, Dieb-stahl, Vandalismus etc.


Mieter und Lenker haften ungeachtet der unter G. I. und II. vereinbarten Haftungsbeschränkung dem Vermieter in voller Höhe als Gesamtschuldner auf Schadensersatz:


a) In allen Fällen, in denen im Rahmen eines Vollkaskoversiche-rungsvertrages die jeweilige Vollkaskoversicherung (Vermie-ter) gegenüber ihrem Versicherungsnehmer (Mieter) den Ver-sicherungsschutz gemäß § 61 Versicherungsvertragsgesetz entziehen darf sowie darüber hinaus


b) ...


c) bei Verstoß gegen die in F. I. und II. übernommenen Verpflich-tungen durch den Mieter, insbesondere bei vertragswidrigem Verlassen der Unfallstelle bzw. bei vertragswidrigem Nichthin-zuziehen der Polizei (vgl. F. II. 2. a), auch wenn andere Per-sonen oder Fahrzeuge an dem Unfall nicht beteiligt waren bzw. kein Fremdschaden, sondern lediglich Schaden am Mietwagen entstanden ist


..."


Der Beklagte beschädigte während der Mietzeit das Fahrzeug, weil er beim Abbiegen gegen einen Pfosten fuhr.


Im vorliegenden Verfahren macht der Kläger unter Anrechnung der be-reits vom Beklagten erbrachten Selbstbeteiligung Ansprüche auf Ersatz von Reparatur- und Gutachterkosten sowie wegen Wertminderung in Höhe von ins-gesamt 3.778,43 € geltend. Der Beklagte hat Widerklage erhoben, mit der er Zahlung von vorgerichtlichen Anwaltskosten verlangt.


Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage stattge-geben. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Dagegen wendet sich der Kläger mit der zugelassenen Revision.


Aus den Gründen


7          Die Revision hat Erfolg.


8          I. Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in ZMR 2010, 606 veröffent-licht ist, hat ausgeführt, der Beklagte sei zwar grundsätzlich gemäß §§ 535, 280 Abs. 1 BGB zur Leistung von Schadensersatz verpflichtet. Die Parteien hätten jedoch eine Haftungsreduzierung vereinbart. Da der Beklagte die vereinbarte Selbstbeteiligung beglichen habe, könne der Kläger weiteren Schadensersatz nicht verlangen. Die Klauseln in seinen AGB benachteiligten den Mieter unan-gemessen und seien daher gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam.


9          Zwar habe der Kläger als Vermieter grundsätzlich ein berechtigtes Inte-resse an der Einschaltung der Polizei, weshalb die streitgegenständliche Klau-sel nach alter Rechtslage (Geltungsbereich altes VVG) wirksam gewesen sei. Jedoch erachte die Kammer im vorliegenden Fall, der sich im Jahr 2008 und damit im Geltungszeitraum des neuen Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) ereignet habe, die streitgegenständliche Klausel für unwirksam.


10        Die Kammer schließe sich der höchstrichterlichen Rechtsprechung grundsätzlich an, wonach der Vermieter gehalten sei, die Haftungsbefreiung nach dem Leitbild der Kaskoversicherung auszugestalten. Daher sei in der Ver-einbarung, dass bei jedem Unfall die Polizei hinzuzuziehen sei, eine Obliegen-heit des Mieters zu sehen, die sich in das Leitbild der Kaskoversicherung einfü-ge. Allerdings habe sich die Freistellungszusage auch hinsichtlich der Rechts-folgen am Leitbild der Kaskoversicherung zu orientieren.


11        Vor dem Hintergrund der Regelungen des neuen VVG bestünden jedoch erhebliche Zweifel an der Wirksamkeit einer uneingeschränkten Versagung der individuell vereinbarten Haftungsbeschränkung. Zwar sei im Rahmen der Prü-fung der Angemessenheit der Klausel eine Abwägung der beiderseitigen Inte-ressen vorzunehmen. Danach habe der Vermieter grundsätzlich auch bei Unfäl-len ohne Personenschaden ein Interesse an der vollständigen Aufklärung des Unfallgeschehens, und dabei sei er auf die Mithilfe der Polizei angewiesen. Je-doch habe nach alter Rechtslage (§ 6 VVG a.F.) eine Vorsatzvermutung bestanden, die der Versicherungsnehmer zu entkräften gehabt habe. Eine Kausa-lität sei bei vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung grundsätzlich nicht notwendig gewesen. Nach der neuen Rechtslage werde dagegen nur noch grobe Fahrläs-sigkeit vermutet. Zudem sehe § 28 VVG nicht grundsätzlich eine vollständige Leistungsfreiheit vor. Denn auch im Falle einer vorsätzlichen Obliegenheitsver-letzung sei der Versicherer gemäß § 28 Abs. 3 VVG zur Leistung verpflichtet, soweit die Verletzung der Obliegenheit weder für den Eintritt oder die Feststel-lung des Versicherungsfalles noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich sei. Von den Vorschriften des § 28 Abs. 1 bis 4 VVG dürfe gemäß § 32 VVG nicht zum Nachteil des Versiche-rungsnehmers abgewichen werden.


12        Zwar werde die Nichthinzuziehung der Polizei in vielen Fällen vorsätzlich geschehen. Es seien allerdings auch Konstellationen denkbar, in denen das Nichthinzuziehen nur grob fahrlässig sei. In diesen Fällen komme nach dem Leitbild der Kaskoversicherung (§ 28 Abs. 2 VVG) grundsätzlich nicht mehr eine vollständige Leistungsfreiheit in Betracht, vielmehr wäre der Versicherer be-rechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versiche-rungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Derartige Rechtsfolgen sehe die hier betroffene Klausel jedoch nicht vor.


13        Vor dem Hintergrund, dass sich die Rechtsfolgen an dem Leitbild der Kaskoversicherung zu orientieren hätten, müsste unter Berücksichtigung der Regelungen des § 28 VVG in die Klausel zu viel hinein interpretiert werden; so müsste zwischen Vorsatz und grober Fahrlässigkeit sowie vollständigem Weg-fall der Haftungsbeschränkung und eventuellen Kürzungen des Wegfalls der vereinbarten Haftungsfreistellung unterschieden werden. Diese Vorgehenswei-se widerspräche dem Verbot der geltungserhaltenden Reduktion.


14        II. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht in vollem Umfang stand.


15        1. Zutreffend geht das Berufungsgericht zunächst davon aus, dass die Regelung G. III. c) der AGB des Klägers unwirksam ist, weil nach ihr die ver-traglich vereinbarte Haftungsbeschränkung ohne Rücksicht auf das Verschul-den des Mieters und die Relevanz der Obliegenheitsverletzung für die Interes-sen des Klägers entfällt.


16        a) Zwar wird nach der Rechtsprechung des Senats der Mieter eines Kraftfahrzeuges nicht unangemessen benachteiligt, wenn in allgemeinen Ge-schäftsbedingungen die gegen Zahlung eines zusätzlichen Entgelts gewährte Haftungsfreistellung davon abhängig gemacht wird, dass er bei Unfällen die Polizei hinzuzieht. Eine solche Klausel ist vielmehr wirksam. Die Vereinbarung, dass bei jedem Unfall die Polizei hinzugezogen werden muss, begründet - in Begriffe der Kaskoversicherung umgesetzt - eine Obliegenheit des Mieters. Diese fügt sich in das Leitbild der Kaskoversicherung ein. Der Mieter hat es in der Hand, entweder die Obliegenheit zu erfüllen, oder sich über sie hinwegzu-setzen, dann aber seine Haftungsfreiheit einzubüßen. Die Obliegenheit hat auch nicht eine Verpflichtung zum Gegenstand, sich selbst bei der Polizei an-zuzeigen. Der Mieter hat lediglich bei Unfällen die Polizei hinzuzuziehen, um an Ort und Stelle die erforderlichen Feststellungen treffen zu lassen. Er ist weder verpflichtet, sich selbst zu belasten, noch wird sein Recht, in einem Ermittlungs-verfahren die Aussage zu verweigern, berührt (Senatsurteile vom 10. Juni 2009 XII ZR 19/08 - NJW 2009, 3229 Rn. 18 und vom 2. Dezember 2009 XII ZR 117/08 - NJW-RR 2010, 480 Rn. 12 f.).


17        b) Der Mieter wird jedoch dadurch unangemessen benachteiligt, dass die Klausel G. III. c) bei einem Verstoß gegen die Verpflichtung, bei einem Unfall die Polizei zu verständigen, uneingeschränkt einen völligen Wegfall der Haf-tungsfreistellung vorsieht.


18        aa) Nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB sind Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwen-ders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteili-gen. Eine Klausel ist unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, wenn der Verwender die Vertragsgestaltung einseitig für sich in Anspruch nimmt und eigene Interessen missbräuchlich auf Kosten des Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein die Interessen seines Partners hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzu-gestehen (Senatsurteil vom 19. Dezember 2007 - XII ZR 61/05 - NJW-RR 2008, 818 Rn. 17). Im Zweifel ist eine unangemessene Benachteiligung anzunehmen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Re-gelung, von der abgewichen werden soll, nicht zu vereinbaren ist (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB).


19        bb) Vereinbaren die Parteien eines gewerblichen Kraftfahrzeugmietver-trages gegen Entgelt eine Haftungsreduzierung für den Mieter nach Art der Vollkaskoversicherung mit Selbstbeteiligung, so darf dieser - gleichsam als Quasi-Versicherungsnehmer - darauf vertrauen, dass die Reichweite des miet-vertraglich vereinbarten Schutzes im Wesentlichen dem Schutz entspricht, den er als Eigentümer des Kraftfahrzeuges und als Versicherungsnehmer in der Fahrzeugvollversicherung genießen würde. Nur bei Einräumung dieses Schut-zes genügt der gewerbliche Vermieter von Kraftfahrzeugen seiner aus dem Grundsatz von Treu und Glauben erwachsenen Verpflichtung, schon bei der Festlegung seiner Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Interessen künftiger Vertragspartner angemessen zu berücksichtigen (Senatsurteil vom 19. Januar 2005 - XII ZR 107/01 - NJW 2005, 1183; BGH Urteile vom 11. Oktober 2011 VI ZR 46/10 - VersR 2011, 1524 Rn. 11; vom 17. Dezember 1980 VIII ZR 316/79 - NJW 1981, 1211; vom 16. Dezember 1981 VIII ZR 1/81 - NJW 1982, 987 f. und vom 19. Juni 1985 VIII ZR 250/84 - NJW-RR 1986, 51).


20        cc) Diesen Anforderungen wird die Klausel G. III. c) der Allgemeinen Ge-schäfts- und Vertragsbedingungen des Klägers nicht gerecht.


21        Auch hinsichtlich der Rechtsfolge der Obliegenheitsverletzung hat sich die Freistellungszusage am Leitbild der Kaskoversicherung zu orientieren. Für diese war jedoch bereits vor der Reform des Gesetzes über den Versiche-rungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz - VVG) vom 23. November 2007 (BGBl. I S. 2631) anerkannt, dass die Leistungsfreiheit bei nachträglichen Obliegenheitsverletzungen sowohl von der Intensität des Verschuldens des Versicherungsnehmers als auch von der Relevanz für die Gefährdung der Inte-ressen des Versicherers abhängt (Senatsurteile vom 10. Juni 2009 XII ZR 19/08 - NJW 2009, 3229 Rn. 19 und vom 2. Dezember 2009 XII ZR 117/08 - NJW-RR 2010, 480 Rn. 13; BGH Urteil vom 11. November 1981 - VIII ZR 271/80 - NJW 1982, 167). An diese von der Rechtsprechung entwickelten Ausnahmen von dem in § 6 VVG a.F. enthaltenen Alles-oder-Nichts-Prinzip lehnt sich die Neufassung des § 28 Abs. 2 und 3 VVG an (vgl. BT-Drucks. 16/3945, S. 69; BGH Urteil vom 11. Januar 2012 IV ZR 251/10 - EBE/BGH 2012, 58 Rn. 10; MünchKommVVG/Wandt 1. Aufl. § 28 Rn. 14; Loo-schelders in Looschelders/Pohlmann VVG 2. Aufl. Vorbemerkung A. Rn. 25). Nach § 28 Abs. 2 VVG wird der Versicherer bei Verletzung einer vom Versiche-rungsnehmer zu erfüllenden vertraglichen Obliegenheit nur dann von der Leis-tung frei, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich gehandelt hat. Bei einer grob fahrlässigen Verletzung der Obliegenheit, für deren Nichtvorliegen der Versicherungsnehmer die Beweislast trägt, ist der Versicherer lediglich berech-tigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versiche-rungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Gemäß § 28 Abs. 3 Satz 1 VVG bleibt der Versicherer jedoch auch in diesen Fällen zur Leistung verpflichtet, soweit die Verletzung der Obliegenheit weder für den Eintritt noch für die Feststellung des Versicherungsfalles oder für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich ist. Eine Vertragsbe-stimmung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Versicherers, nach der eine grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers grundsätzlich zur Leistungsfreiheit des Versicherers führt, verstieße gegen das Leitbild des § 28 Abs. 2 Satz 2 VVG und wäre deshalb gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam (vgl. BGH Urteil vom 11. Oktober 2011 - VI ZR 46/10 - VersR 2011, 1524 Rn. 13; Prölss in Prölss/Martin VVG 28. Aufl. § 28 Rn. 164; Pohlmann in Looschelders/Pohlmann VVG 2. Aufl. Vor-bemerkung B. Rn. 59). Gleiches gilt für eine vorformulierte Vertragsbestim-mung, die bei einer Obliegenheitsverletzung, durch die die Interessen des Ver-mieters nicht beeinträchtigt werden, zu einem vollständigen Wegfall der Haf-tungsreduzierung führen würde.


22        Diese nunmehr gesetzlich vorgesehene Abkehr von dem nach früherem Recht maßgeblichen "Alles-oder-Nichts-Prinzip" (vgl. auch § 6 Abs. 1, 3 Satz 1 VVG a.F.) in der Fahrzeugvollversicherung ist auch bei der Ausgestaltung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines gewerblichen Mietwagenunterneh-mens zu berücksichtigen. Da sich die Ausgestaltung einer vertraglich vereinbar-ten Haftungsfreistellung am Leitbild der Kaskoversicherung zu orientieren hat, kann durch eine Regelung in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines gewerblichen Kfz-Mietvertrages nicht zu dem nach früherem Recht geltenden "Alles-oder-Nichts-Prinzip" zurückgekehrt werden (vgl. BGH Urteil vom 11. Oktober 2011 - VI ZR 46/10 - VersR 2011, 1524 Rn. 13). Die vollständige Leistungsfreiheit des Vermieters bei einer lediglich grob fahrlässigen Obliegen-heitsverletzung oder einer Obliegenheitsverletzung, durch die seine Interessen nicht beeinträchtigt werden, ist mit wesentlichen Grundgedanken des § 28 Abs. 2 und 3 VVG nicht zu vereinbaren. Eine solche Klausel benachteiligt den Mieter unangemessen (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB) und ist daher gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.


23        dd) Entgegen der Auffassung der Revision ist insoweit unerheblich, dass die vom Kläger verwendeten Allgemeinen Geschäfts- und Vertragsbedingungen möglicherweise bereits vor dem Inkrafttreten des reformierten Versicherungs-vertragsgesetzes zum 1. Januar 2008 erstellt worden sind. Maßgeblich für die Prüfung, ob eine Regelung der Allgemeinen Geschäfts- und Vertragsbedingun-gen des Klägers der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB stand hält, ist nicht der Zeitpunkt, zu dem die vorformulierten Vertragsbedingungen erstellt worden sind, sondern allein der Zeitpunkt des Vertragsschlusses (vgl. hierzu auch BGH Urteil vom 11. Oktober 2011 - VI ZR 46/10 - VersR 2011, 1524 Rn. 14; Looschelders/Paffenholz JR 2010, 290, 293).


24        2. Nicht gefolgt werden kann dagegen dem Berufungsgericht, soweit es die Auffassung vertritt, dass wegen der Unwirksamkeit der Klausel dem Beklag-ten die Haftungsfreistellung uneingeschränkt erhalten bleibt.


25        a) Ist eine Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht Vertrags-bestandteil geworden oder unwirksam, sind vorrangig die gesetzlichen Vor-schriften als eine konkrete Ersatzregelung in Betracht zu ziehen (vgl. § 306 Abs. 2 BGB). Nur wenn solche nicht zur Verfügung stehen, stellt sich die Frage, ob der ersatzlose Wegfall einer unwirksamen Klausel eine sachgerechte Lö-sung darstellt. Scheiden beide Möglichkeiten aus, ist zu prüfen, ob durch eine ergänzende Vertragsauslegung eine interessengerechte Lösung gefunden werden kann (vgl. BGH Urteile vom 11. Oktober 2011 - VI ZR 46/10 - VersR 2011, 1524 Rn. 17 und vom 12. Oktober 2005 - IV ZR 162/03 - NJW 2005, 3559, 3564).


26        Ist eine Allgemeine Versicherungsbedingung nicht Vertragsbestandteil geworden, so treten an ihre Stelle die Regelungen des Versicherungsvertrags-gesetzes (BGH Urteil vom 11. Oktober 2011 - VI ZR 46/10 - VersR 2011, 1524 Rn. 15; MünchKommBGB/Basedow, 5. Aufl., § 306 Rn. 21). Das gilt entspre-chend für die Haftungsfreistellung bei der gewerblichen Kraftfahrzeugvermie-tung, die sich am Leitbild der Fahrzeugversicherung zu orientieren hat (vgl. Se-natsurteile vom 10. Juni 2009 - XII ZR 19/08 - VersR 2010, 260 Rn. 18 f. und vom 2. Dezember 2009 - XII ZR 117/08 - NJW-RR 2010, 480 Rn. 14).


27        b) Im vorliegenden Fall kann die durch die Unwirksamkeit der Klausel G. III. c) entstandene Lücke durch einen Rückgriff auf § 28 Abs. 2 und 3 VVG geschlossen werden. Zwar findet diese Vorschrift auf das Vertragsverhältnis zwischen einem gewerblichen Kfz-Vermieter und seinem Kunden keine unmit-telbare Anwendung. Da eine vertraglich vereinbarte Haftungsfreistellung in ei-nem Kfz-Mietvertrag jedoch nach den Grundsätzen der Kaskoversicherung auszugestalten ist, ist der Vermieter, der eine unwirksame Klausel verwendet, dem Versicherer gleichzustellen. Daher ist es sachgerecht, auf die Vorschriften des Versicherungsvertragsgesetzes zurückzugreifen, um die Lücke zu schlie-ßen, die durch die Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Klausel entstan-den ist.


28        Die in den Allgemeinen Vertrags- und Geschäftsbedingungen des Klä-gers enthaltene Vereinbarung, dass bei jedem Unfall die Polizei hinzugezogen werden muss, begründet - in die Begriffe der Kaskoversicherung umgesetzt - eine Obliegenheit des Mieters (Senatsurteil vom 2. Dezember 2009 XII ZR 117/08 - NJW-RR 2010, 480 Rn. 13). § 28 VVG bestimmt die Rechts-folgen einer Obliegenheitsverletzung nach Eintritt des Versicherungsfalls und bietet einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen des Vermieters an einer vollständigen Aufklärung des Unfallgeschehens und den Folgen, die sich für den Mieter ergeben, wenn er diese vertragliche Verpflichtung nicht er-füllt.


29        c) Ein Rückgriff auf § 28 Abs. 2 und 3 VVG, um die durch die Unwirk-samkeit der streitgegenständlichen Vertragsbestimmung entstandene Lücke zu schließen, führt entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht zu einer un-zulässigen geltungserhaltenden Reduktion (vgl. auch Rogler r+s 2010, 1, 4 f. hinsichtlich eines Rückgriffs auf § 28 VVG für unwirksame Klauseln über Oblie-genheitsverletzungen).


30        Das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion verbietet bei einer vor-formulierten Vertragsbestimmung, durch die der Kunde des Verwenders unan-gemessen benachteiligt wird, eine Auslegung, die der Klausel gerade noch zur Wirksamkeit verhilft. Dadurch soll vermieden werden, dass ein Klauselverwen-der risikolos seine Allgemeinen Geschäftsbedingungen einseitig in seinem Inte-resse ausgestalten und dabei davon ausgehen kann, dass eine Klausel, die der Inhaltskontrolle nach den §§ 307 ff. BGB nicht stand hält, zumindest teilweise erhalten bleibt (BGH Urteil vom 11. Oktober 2011 - VI ZR 46/10 - VersR 2011, 1524 Rn. 20). Dies würde dem Zweck des Rechts der Allgemeinen Geschäfts-bedingungen, den Vertragspartner des Verwenders vor ungültigen Klauseln zu schützen, den Rechtsverkehr von unwirksamen Allgemeinen Geschäftsbedin-gungen freizuhalten und auf einen den Interessen beider Seiten gerecht wer-denden Inhalt Allgemeiner Geschäftsbedingungen hinzuwirken, zuwiderlaufen (BGH Urteil vom 11. Oktober 2011 - VI ZR 46/10 - VersR 2011, 1524 Rn. 20; BGHZ 84, 109, 114 ff.; 96, 18, 25 f.).


31        Das Verbot der geltungserhaltenden Reduktionen wird erst relevant, wenn die durch die Unwirksamkeit einer Klausel entstandene Vertragslücke nicht - wie im vorliegenden Fall - gemäß § 306 Abs. 2 BGB durch den Rückgriff auf gesetzliche Regelungen geschlossen werden kann, sondern es einer (er-gänzenden) Vertragsauslegung bedarf (vgl. BGH Urteil vom 11. Oktober 2011 VI ZR 46/10 - VersR 2011, 1524 Rn. 20; BGHZ 96, 18, 26).


32        3. Danach kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben. Das Beru-fungsgericht hat - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellun-gen dazu getroffen, ob der Beklagte grob fahrlässig oder vorsätzlich gegen die Pflicht, die Polizei bei einem Unfall beizuziehen, verstoßen und der Pflichten-verstoß sich auf die Interessen des Klägers ausgewirkt hat. So würde die Haf-tungsfreistellung etwa dann entfallen, wenn - was der Mieter gegebenenfalls zu beweisen hat - die Polizei auch bei Benachrichtigung nicht erschienen wäre (Senatsurteil vom 2. Dezember 2009 - XII ZR 117/08 - NJW-RR 2010, 480 Rn. 21) oder die Feststellung des Schadensumfangs bzw. die Verantwortlichkeit des Mieters für den entstandenen Schaden zwischen den Parteien unstreitig ist.


33        4. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, weil es noch wei-terer tatrichterlicher Feststellungen bedarf (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Sa-che ist deshalb an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

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