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Wirtschaftsrecht
21.01.2010
Wirtschaftsrecht
OLG Jena: Unwirksame Bürgschaftsklausel und Folgen für die Sicherungsabrede

OLG Jena, Beschluss vom 17.11.2009 - 4 W 485/09

Sachverhalt

I. Der Antragsteller erbrachte für die Antragsgegnerin zu 2. Werkleistungen. Grundlage der vertraglichen Leistungen war der in Kopie vorgelegte Generalunternehmervertrag zwischen den genannten Parteien. Die in diesem Vertrag enthaltenen Klauseln sind von der Antragsgegnerin zu 2. vorgegeben worden. Ferner ist von der Antragsgegnerin zu 2. dem Antragsteller als Muster der Inhalt einer gegebenenfalls zu stellenden Gewährleistungsbürgschaft vorgegeben worden (Blatt 46 d.A.).

Nach Abnahme der Werkleistungen kam es zwischen den genannten Parteien darüber zum Streit, ob ein massiver Wassereintritt im Objekt auf einen Werkmangel zurückzuführen sei, für den der Antragsteller einzustehen habe.

Da der Antragsteller auf dem Standpunkt steht, für den Mangel nicht verantwortlich zu zeichnen, wandte sich der Antragsgegner zu 1. für die Antragsgegnerin zu 2. mit Schreiben vom 24.08.2009 (Blatt 47 f d.A.) an die VHV A. V. AG (künftig: VHV). Diese hatte entsprechend dem vorgegebenen Muster für die vertragsgemäße Leistung des Antragstellers der Antragsgegnerin zu 2. eine Bürgschaft mit einem Gesamtwert von € 31.930,53 zur Verfügung gestellt.

Der Antragsteller wurde seitens der VHV mit Schreiben vom 28.08.2009 (Blatt 49 d.A.) aufgefordert, bis zum 10.09.2009 umgehend geeignete Maßnahmen zur Abwendung der Inanspruchnahme zu ergreifen und/oder berechtigte und nachvollziehbare Einwendungen oder Einreden gegen die Inanspruchnahme mitzuteilen. Der Antragsteller forderte sodann mit Schreiben seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 04.09.2009 die Antragsgegner auf, die Inanspruchnahme der VHV aus der Bürgschaft zu unterlassen. Der Antragsgegner zu 1. reagierte nicht, die Antragsgegnerin zu 2. teilte unter dem 07.09.2009 mit, an der Inanspruchnahme werde festgehalten.

Der Antragsteller meint, die Antragsgegner seien nicht berechtigt, die VHV wegen eines Kostenvorschusses in Anspruch zunehmen. Dem Antragsgegner zu 1. stehe dies schon deshalb nicht zu, weil die Bürgschaft nicht zu seinen Gunsten ausgestellt sei. Aber auch die Antragsgegnerin zu 2. könne nicht rechtlich zulässig die Bürgschaft in Anspruch nehmen, weil die Bürgschaftsverpflichtung unwirksam sei. Denn die laut Musterformular erstellte Bürgschaftserklärung verstoße gegen §§ 305 ff BGB. Der hierin enthaltene Verzicht auf die Einrede der Vorausklage, der Anfechtung sowie Aufrechnung führe zur Unwirksamkeit der Bürgschaftserklärung. Erst jüngst habe die höchstrichterliche Rechtsprechung klargestellt, dass eine Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Auftraggebers, die vorsehe, dass dieser einen Sicherheitseinbehalt nur gegen Stellung einer Bürgschaft einlösen könne, die den Verzicht auf sämtliche Einreden des § 768 BGB enthalte, unangemessen i.S.d. § 307 Absatz 1 Satz 1 BGB und damit nichtig sei (BGH WM 2009, 1643 ff, zitiert nach juris).

Wegen der Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Bürgschaft sei ein Verfügungsanspruch und wegen der Weigerung, die Inanspruchnahme der VHV aus der Bürgschaft zu unterlassen, ein Verfügungsgrund gegeben.

Unter Heranziehung der Schutzschrift der Antragsgegnerin zu 2. und nach Einholung der Stellungnahme der Antragsgegner hat das Landgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mit Beschluss vom 24.09.2009 zurückgewiesen. Hinsichtlich des Begründungsgangs wird auf Blatt 74 ff d.A. verwiesen.

Gegen diesen, ihr am 07.10.2009 zugestellten, Beschluss wendet sich der Antragsteller mit seiner am 21.10.2009 eingegangenen sofortigen Beschwerde vom selben Tag. Der Antragsteller trägt zu seiner Rechtsauffassung vertiefend vor. Zum Vortrag im Einzelnen wird auf Blatt 88 ff d.A. verwiesen. Mit weiteren Schriftsätzen wird das Vorbringen ergänzt.

Nach erneuter Äußerung durch die Antragsgegner hat das Landgericht mit Beschluss vom 02.11.2009 der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen, sondern die Sache dem Thüringer Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Aus den Gründen

II. Die gemäß § 567 Absatz 1 Nummer 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist teilweise begründet. Denn die Unwirksamkeit des in dem Generalunternehmervertrag beigefügten Bürgschaftsexemplar vorformulierten Verzichts auf die Einrede der Aufrechenbarkeit gemäß § 770 Absatz 2 BGB führt zur Gesamtnichtigkeit der Sicherungsabrede nach § 306 Absatz 3 BGB. Da akut die Inanspruchnahme der VHV droht, kann die Antragsgegnerin zu 2. hieran auch durch den Erlass einer einstweiligen Verfügung gehindert werden. Gegen den Antragsgegner zu 1. bestehen Unterlassungsansprüche nicht, da dieser (lediglich) für die Antragsgegnerin zu 2. tätig geworden ist.

Bei der in dem Bürgschaftsexemplar enthaltenen Bestimmung, wonach der Bürge auf die Einreden der Anfechtung, der Aufrechnung und Vorausklage gemäß §§ 770, 771 BGB verzichtet, ist als Allgemeine Geschäftsbedingung einzuordnen, denn das dem Generalunternehmervertrag beigefügte Exemplar ist gekennzeichnet als DeutschlandMusterverträge Saller UnternehmensgruppeBauMuster Gewährleistungsbürgschaft.doc.

Der Verzicht auf die Einrede der Aufrechenbarkeit gemäß § 770 Absatz 2 BGB ist gemäß § 307 Absatz 1 und 2 Nummer 1 BGB jedenfalls dann unwirksam, wenn der Ausschluss auch für den Fall gilt, dass die Gegenforderung des Hauptschuldners unbestritten oder rechtskräftig festgestellt ist. Er benachteiligt den Bürgen entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen und ist mit wesentlichen Grundgedanken der §§ 765 ff BGB nicht zu vereinbaren. Die Einrede der Aufrechenbarkeit gemäß § 770 Absatz 2 BGB ist eine Ausprägung des Subsidiaritätsgrundsatzes. Der meist uneigennützig handelnde Bürge soll grundsätzlich erst dann in Anspruch genommen werden können, wenn sich der Gläubiger nicht durch Inanspruchnahme des Hauptschuldners, etwa durch Aufrechnung, befriedigen kann (BGH NJW 2003, 1521 ff, zitiert nach juris).

Genau wie in dem Fall, in dem eine Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Werkbestellers vorsieht, dass der Werkunternehmer einen Sicherheitseinbehalt von 5 % Schlussabrechnungssumme nur gegen Stellung einer Bürgschaft ablösen kann, die u.a. den Verzicht auf sämtliche Einreden des § 768 BGB enthält, hat die unangemessene Benachteiligung des Werkunternehmers durch eine Klausel, die den Verzicht auf die Einrede der Aufrechenbarkeit gemäß § 770 Absatz 2 BGB enthält, zur Folge, dass die Klausel insgesamt unwirksam ist. Denn eine formularmäßige Vereinbarung zur Sicherung von Gewährleistungsansprüchen bildet mit der Ablösungsmöglichkeit durch eine Gewährleistungsbürgschaft eine untrennbare Einheit.

Für die Teilbarkeit einer solchen Klausel kommt es darauf an, ob die Sicherungsvereinbarung, mit der eine selbstschuldnerische Bürgschaft unter Verzicht des Bürgen auf die Einrede der Aufrechenbarkeit nach § 770 Absatz 2 BGB gefordert wird, als konzeptionelle Einheit zu verstehen ist, was zu einer einheitlichen, die wirtschaftlichen Interessen der Vertragsparteien berücksichtigenden Gesamtbeurteilung des Regelungsgefüges zwingt. Eine solche Gesamtbeurteilung stellt eine Vereinbarung zur Sicherung von Gewährleistungsansprüchen mit der Ablösungsmöglichkeit durch eine Gewährleistungsbürgschaft dar. Der unauflösbare wechselseitige Bezug dieser Teile der Klausel wird dadurch deutlich, dass die Ablösungsbefugnis durch eine Bürgschaft für sich genommen den Auftragnehmer nicht belastet. Ein Nachteil entsteht vielmehr erst dadurch, dass die Ablösungsbefugnis mit einem Einbehalt von Entgelt verknüpft wird und der Auftragnehmer nunmehr die vereinbarte Sicherheit stellen muss, um den davon betroffenen Teil des Werklohns zu erhalten. Die unangemessene Benachteiligung des Hauptschuldners ergibt sich mithin erst aus dem Zusammenwirken zwischen Sicherungseinbehalt und vereinbarter Ablösungsmöglichkeit (BGH WM 2009, 1643 ff, zitiert nach juris).

Die Antragsgegnerin zu 2. wendet hiergegen ein, anders als in dem Fall, in dem der Werkbesteller durch seine Allgemeinen Geschäftsbedingungen vom Werkunternehmer die Stellung einer Bürgschaft unter Ausschluss und Verzicht auf alle Einreden des § 768 BGB verlange, werde der Werkunternehmer durch eine Bürgschaft, wie von der Antragsgegnerin zu 2. verlangt, nicht rechtlos gestellt. Er könne nach wie vor gemäß § 774 BGB gegenüber dem Bürgen den Einwand erheben, der Bürge sei auf Grund der Mangelfreiheit nicht zur Zahlung verpflichtet.

Dieses Argument greift zu kurz, denn es übersieht die für die Nichtigkeit der Klausel wesentliche Bedingung des Zusammenwirkens zwischen Sicherungseinbehalt und vereinbarter Ablösungsmöglichkeit.

Anerkannt ist, dass ein in einem Vertrag über Bauleistungen formularmäßig vereinbarter Sicherungseinbehalt von 5 % der Auftragssumme nur dann nicht zu einer unangemessenen Benachteiligung des Werkunternehmers führt, wenn ein fairer Ausgleich dafür vorgesehen ist, dass er den Werklohn nicht sofort ausgezahlt erhält, das Bonitätsrisiko des Bestellers für die Dauer der Gewährleistungsfrist tragen muss und ihm die Verzinsung des Werklohns vorenthalten wird. Ausreichend ist es danach, dem Werkunternehmer das Recht einzuräumen, den Einbehalt durch Stellung einer selbstschuldnerischen, unbefristeten Bürgschaft abzulösen (BGH a.a.O. wie vor).

Wie oben schon ausgeführt, ist der in einem Bürgschaftsformular vorformulierte Verzicht auf die Einrede der Aufrechenbarkeit gemäß § 770 Absatz 2 BGB nach § 307 Absatz 1 und 2 Nummer 1 BGB unwirksam, weil er mit dem wesentlichen Grundgedanken der Subsidiarität der Bürgschaft nicht zu vereinbaren ist und den Bürgen entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Der Auftraggeber kann von dem Auftragnehmer aber nicht verlangen, dass dieser ihm eine Bürgschaft mit einem unzulässigen Regelungsinhalt verschafft (so auch OLG Düsseldorf IBR 2008, 462, zitiert nach juris). Dies führt auch zur Gesamtnichtigkeit der Sicherungsabrede nach § 306 Absatz 3 BGB, denn ein Verzicht auf die Einrede der Aufrechenbarkeit gemäß § 770 Absatz 2 BGB stellt im Rahmen der beizubringenden Bürgschaft keinen von der Sicherungsvereinbarung im Übrigen abtrennbaren Teil dar (anders OLG Düsseldorf a.a.O. wie vor). Die Bestimmung über den Verzicht auf die Einrede der Aufrechenbarkeit stellt nicht nur einen Einzelaspekt der im Rahmen der Sicherungsabrede zu stellenden Bürgschaft dar, die inhaltlich sowohl von den übrigen Bürgschaftsbedingungen als auch von der Sicherungsabrede zu trennen wäre. 

In der Inanspruchnahme der VHV als Bürgin liegt auch eine unzulässige Rechtsausübung. Denn diese ist unter dem 24.08.2009 seitens der Antragsgegnerin zu 2. zur Zahlung bis zum 02.09.2009 aufgefordert worden. Im Falle der Zahlung würde der Anspruch auf Unterlassen des Vorgehens aus der unberechtigt erhaltenen Bürgschaft dauerhaft vereitelt.

Kommt nämlich der Bürge, der den Hauptschuldner über eine drohende Inanspruchnahme unterrichtet und sich erkundigt hat, ob er Einreden oder Einwendungen geltend macht, mit rechtlich vertretbaren Gründen zu dem Ergebnis, dass dem vom Gläubiger erhobenen Anspruch keine beachtlichen Einwände entgegengesetzt werden können, kann er zahlen. Ihm steht anschließend neben einem etwaigen Forderungsübergang gemäß § 774 Absatz 1 BGB ein Aufwendungsersatzanspruch gegen den Hauptschuldner (§§ 675, 670) zu. Dies gilt selbst dann, wenn sich später herausstellt, dass der Gläubiger mit der Anforderung der Bürgschaftsvaluta seine Pflichten aus der Sicherungsabrede verletzt hat (Ingenstau/Korbion, VOB, 16. Auflage, § 17 Nummer 4 VOB/B, Rn. 102).

  Das bedeutet, dass der Antragsteller seinen Vermögensschaden in einem weiteren Prozess gegen den Auftraggeber aus § 812 BGB geltend machen müsste mit der Folge einer Beweislastumkehr zu Lasten des Antragstellers. Denn der Bereicherungsgläubiger hat die Voraussetzungen des Anspruchs zu beweisen (Palandt-Sprau, BGB, 67. Auflage, § 812 Rn. 103). Da die Antragsgegnerin aber nach Abnahme das Vorliegen eines Mangels behauptet, trägt sie - ohne Inanspruchnahmemöglichkeit der Bürgin - die Darlegungs- und Beweislast. Die unzulässige Rechtsausübung führt also zu einer zweifachen schweren Beeinträchtigung der Rechte des Antragstellers.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO. Die Festsetzung des Streitwertes erfolgte gemäß § 3 ZPO.

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