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Wirtschaftsrecht
18.03.2021
Wirtschaftsrecht
OLG Hamm: Unverhältnismäßigkeit der Aufwendungen für eine Naturalrestitution

OLG Hamm, Urteil vom 19.2.2021 – 9 U 128/20

ECLI:DE:OLGHAM:2021:0219.9U128.20.00

Volltext: BB-Online BBL2021-706-1

Amtliche Leitsätze

1. Die Unverhältnismäßigkeit der Aufwendungen für eine Naturalrestitution ergibt sich bei reinen Vermögensschäden aus einem Wertvergleich zwischen den Kosten, die zur Herstellung erforderlich sind, und dem Wert des beschädigten Gegenstands.

2. Die Grenze zur Unverhältnismäßigkeit ist dann überschritten, wenn ein "krasses Missverhältnis" zwischen dem Herstellungsaufwand und dem zu ersetzenden Schaden besteht.

3. Einen fixen Zahlenwert für die Unverhältnismäßigkeit gibt es nicht. Die von der Rechtsprechung entwickelte 130% Grenze im Bereich der Regulierung von Kraftfahrzeugschäden kann nicht schablonenhaft auf Schadensersatzregulierungen außerhalb der Krafthaftpflicht übertragen werden.

 

Sachverhalt

I.

Die Klägerin verlangt von der Beklagten Schadensersatz für die Beschädigung von 7 Bürostühlen des Herstellers X durch den Hund der Beklagten während eines Beratungsgesprächs in den Räumen der Klägerin. Die Klägerin macht Reparaturkosten iHv 7.072,17 € brutto  geltend, auf die die Beklagte 1.600,- € geleistet hat. Das Landgericht hat - da die Stühle noch nicht repariert worden waren - deren Wiederbeschaffungswert auf 4.832,50 € geschätzt und der Klägerin 3.232,50 € zugesprochen. Mit ihrer Berufung verlangt die Klägerin nach inzwischen durchgeführter Reparatur der Stühle weitere 2.239,67 €.

Aus den Gründen

II.

Die Berufung der Klägerin hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Mit der Terminsladung vom 08.12.2020 hat der Senat den Parteien den nachstehenden Hinweis erteilt:

"Nach § 251 Abs. 2 Abs. S. 1 BGB steht es dem Schädiger ausnahmsweise frei, die Naturalrestitution zu verweigern und stattdessen Entschädigung in Geld zu leisten, wenn die Naturalrestitution zwar möglich ist, aber unverhältnismäßige Aufwendungen erfordert.

Die Unverhältnismäßigkeit der Aufwendungen für eine Naturalrestitution ergibt sich bei reinen Vermögensschäden aus einem Wertvergleich zwischen den Kosten, die zur Herstellung erforderlich sind, und dem Wert des beschädigten Gegenstands. Einen fixen Zahlenwert für die Unverhältnismäßigkeit gibt es nicht. Die von der Rechtsprechung entwickelte 130% Grenze im Bereich der Regulierung von Kraftfahrzeugschäden kann nicht schablonenhaft auf Schadensersatzregulierungen außerhalb der Krafthaftpflicht übertragen werden. Die Regulierung von Kraftfahrzeugschäden stellt ein Massengeschäft dar, das in der Praxis einer einheitlichen und übersichtlichen Handhabung zugänglich sein muss. In anderen Fällen kommt es vielmehr auf eine Interessenabwägung im Einzelfall an. Rechtsprechung und Schrifttum haben sich diesbezüglich in einer häufig verwendeten Formulierung darauf festgelegt, dass die Grenze zur Unverhältnismäßigkeit dann überschritten ist, wenn ein „krasses Missverhältnis“ zwischen dem Herstellungsaufwand und dem zu ersetzenden Schaden besteht, vgl. BGH v. 04.04.2014 – V ZR 275/12 – juris; Beck BGB OGK § 251 Rn. 37. Die Qualifikation des notwendigen Missverhältnisses als „krass“ bringt zum Ausdruck, dass § 251 Abs. 2 S. 1 BGB als Ausnahmevorschrift zu verstehen ist.

Hiervon ausgehend kann die Klägerin nicht allein deshalb auf die Beschaffung gleichwertiger gebrauchter Stühle verwiesen werden, weil die Instandsetzungskosten ca. 140% einer Ersatzbeschaffung betragen. Der Senat hat bei seiner Entscheidung bedacht, dass – so hat der Senat den Klagevortrag verstanden - die beschädigten Stühle von der Klägerin als Neuartikel erworben und seit ihrer Anschaffung zum festen Inventar des von ihr betriebenen Büros über einen Zeitraum von 16 Jahren gehört haben. Die Stühle waren im Übrigen intakt und unbeschädigt. Die Ersatzbeschaffung gebrauchter Stühle war zwar möglich. Die Recherchen der Parteien haben nach Einsichtnahme in die überreichten Internetauszüge aber gezeigt, dass die angebotenen Stühle nicht durchweg in der Farbe der beschädigten Stühle ausgeführt waren. Hinzu kommt, dass unter keiner der ausgewiesenen Adressen die benötigten sieben Stühle in den benötigten drei Ausführungen angeboten wurden. Der Klägerin wäre daher nichts anderes übrig geblieben, als quer durch die Republik den Gebrauchthandelmarkt zu beobachten und sukzessive die benötigten sieben Stühle zu beschaffen, die zuvor noch auf ihren Zustand hin zu untersuchen waren. Angesichts dessen ist es der Beklagten mit Blick auch auf ein zu wahrendes einheitliches Erscheinungsbild des Inventars zumutbar, die höheren Kosten der Reparatur der vorhandenen Stühle zu übernehmen.

Die Klägerin muss allerdings hinsichtlich der Zinsforderung und der vorgerichtlichen Anwaltskosten Abstriche hinnehmen. Vorgerichtliche Kosten sind nur nach einem Gegenstandswert von 4.832,50 € abzgl. der im Zeitpunkt der Beauftragung bereits gezahlt gewesenen 1.600,- € angefallen. Das ergibt den vom Landgericht ausgeurteilten Betrag von 413,64 €.

Zinsen auf die jetzt noch zuzuerkennenden 2.239,67 € kann die Klägerin nur unter Rechtshängigkeitsgesichtspunkten seit dem 19.09.2020 verlangen. Denn erst mit der Durchführung der Reparatur sind die höheren Instandsetzungskosten berechtigt geltend gemacht worden."

Diesen fortgeltenden Ausführungen ist nichts hinzuzufügen.

Der von dem Senat auf dieser Grundlage vorgeschlagene Vergleich scheiterte lediglich deshalb, weil die Beklagte abweichend vom Vergleichsvorschlag des Senats eine Kostenaufhebung für die Kosten des Vergleichs wünschte.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

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