OLG Stuttgart: Unmutsäußerungen des Richters kein Hinweis für dessen Befangenheit
OLG Stuttgart, Beschluss vom 29.3.2012 - 14 W 2/12
Leitsatz
Unmutsäußerungen auch salopper bis derber Art, mit welchen ein Richter seiner Enttäuschung darüber Ausdruck verleiht, dass der Geschäftsführer einer beklagten GmbH trotz Anordnung des persönlichen Erscheinens nicht zum Verhandlungstermin erschienen ist, sind für sich genommen grundsätzlich nicht geeignet, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters in dem zwischen den Parteien zu entscheidenden Rechtsstreit zu begründen.
Sachverhalt
A. I. 1. Die Beklagte ist eine GmbH mit Sitz in O., deren Geschäftsanteile je zur Hälfte vom Kläger und dessen Bruder H.-M. S. gehalten werden. Letzterer ist zugleich alleiniger Geschäftsführer der Beklagten.
Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass der in der Gesellschafterversammlung vom 19. April 2011 zur Beschlussfassung gestellte Antrag über die Auflösung der Zweigniederlassung P. der Beklagten aufgrund des Abstimmungsergebnisses nicht angenommen worden sei (vgl. GA 2).
Mit Verfügung vom 4. August 2011 (hier: Ziff. I. und IV.; GA 19) hatte der abgelehnte Vorsitzende Richter am Landgericht ... das persönliche Erscheinen der Parteien zur Aufklärung des Sachverhalts und für einen Güteversuch zum Termin vom 24. November 2011 angeordnet. Nachdem der Geschäftsführer der Beklagten nicht zum Termin erschienen und sein Fernbleiben durch den Beklagtenvertreter mit „dringenden Angelegenheiten" begründet worden war (vgl. S. 1 der Sitzungsniederschrift vom 24. November 2011; GA 52), äußerte der Vorsitzende Richter im Zusammenhang hiermit, dass H.-M. S. der Ladung des Gerichts hätte Folge leisten und sich der Auseinandersetzung oder Diskussion stellen sollen, statt den „Schwanz einzuziehen" (vgl. GA 59). Während eines zwischen dem Beklagtenvertreter und dem Vorsitzenden Richter am folgenden Tage geführten Telefongesprächs war letzterer nicht bereit, den beanstandeten Ausdruck („Schwanz einziehen") zu relativieren (aaO).
2. Mit Schriftsatz vom 1. Dezember 2011 (GA 54 ff.) lehnte die Beklagte daraufhin den Vorsitzenden Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ab und begründete dies mit der Unangemessenheit seiner Wortwahl. Wegen weiterer Einzelheiten der Begründung des Ablehnungsgesuchs wird auf den vorerwähnten Schriftsatz Bezug genommen.
II. Mit Beschluss vom 18. Januar 2011 (GA 79 ff.) wies das Landgericht das Ablehnungsgesuch der Beklagten zurück.
Zur Begründung hat es ausgeführt, dass dieses zwar zulässig sei, jedoch in der Sache keinen Erfolg habe. Es liege kein objektiver Grund vor, welcher aus Sicht einer verständigen Prozesspartei berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit oder der Unabhängigkeit des abgelehnten Richters aufkommen lasse. Die von der Beklagten beanstandete Wortwahl stelle lediglich eine umgangssprachliche Redewendung dar, welche so viel bedeute wie „sich zurückziehen" oder „feige sein" (LGB 3; GA 81). Diese Ausdrucksweise des abgelehnten Richters habe sich auf das Verhalten des Geschäftsführers der Beklagten bezogen, welcher nach Ansicht des abgelehnten Richters „zu feige" gewesen sei, sich - trotz Ladung - dem Rechtsstreit persönlich zu stellen. Die Wortwahl habe keinen beleidigenden Inhalt gehabt. Die Wirkung der umgangssprachlichen Wendung werde dadurch abgeschwächt, dass sich diese Äußerung lediglich auf das Verhalten des gesetzlichen Vertreters der Beklagten bezogen habe und erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung bei einem Gespräch zwischen dem abgelehnten Richter und dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten geäußert worden sei (LGB 4; GA 82).
Wegen weiterer Einzelheiten der Begründung wird auf den landgerichtlichen Beschluss Bezug genommen.
III. 1. Gegen den ihr am 23. Januar 2012 zugestellten (GA 83) Beschluss des Landgerichts vom 18. Januar 2012 richtet sich die am 3. Februar 2012 vorab per Telefax eingegangene sofortige Beschwerde der Beklagten aus deren Schriftsatz vom 2. Februar 2012 (GA 86 ff.).
a) Nach ihrer Auffassung stellt die Wortwahl „Schwanz einziehen" im hier gegebenen Zusammenhang keine hinzunehmende umgangssprachliche Äußerung, sondern vielmehr eine nicht gerechtfertigte Unmutsäußerung gar beleidigenden Charakters dar, welche im Hinblick auf die durchgängig in einem ruhigen und sachlichen Ton geführte Verhandlung vor dem Landgericht nicht veranlasst gewesen sei. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten habe im Termin vom 24. November 2011 ausdrücklich klargestellt, dass er es gewesen sei, welcher dem Geschäftsführer der Beklagten - im Hinblick auf von diesem wahrzunehmende wichtige Termine in Indien - die Auskunft erteilt habe, dass er dem Verhandlungstermin fernbleiben könne, nachdem es in dem Rechtsstreit nicht um dessen persönliche Wahrnehmungen gehe (GA 94 ff.). Der Geschäftsführer der Beklagten habe damit - für den abgelehnten Richter ersichtlich - lediglich zulässigerweise von dem prozessualen Recht des § 141 Abs. 3 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht (GA 95). In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass der abgelehnte Richter auch in der Folge - und somit nach reiflicher Überlegung - an seiner unangemessenen Äußerung festgehalten habe (aaO).
b) Die Wirkung der unangemessenen Äußerung werde entgegen der Auffassung des Landgerichts auch nicht dadurch abgeschwächt, dass sich diese Äußerung lediglich auf das Verhalten des gesetzlichen Vertreters der Beklagten bezogen habe und erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung geäußert worden sei. Denn eine unangemessene Äußerung gegenüber dem gesetzlichen Vertreter könne bei verständiger Würdigung nicht anders zu bewerten sein, als dass der Richter dem gesetzlichen Vertreter - und damit zwangsläufig der Beklagten - nicht unvoreingenommen und unparteiisch gegenüberstehe (GA 96).
2. Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten mit Beschluss vom 27. Februar 2012 (GA 98 f.) dem Oberlandesgericht Stuttgart zur Entscheidung vorgelegt. Zur Begründung hat das Landgericht auf seine Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss Bezug genommen und ergänzend ausgeführt, dass die angegriffene Äußerung des abgelehnte Richters - wie aus seiner dienstlichen Stellungnahme hervorgehe - im Hinblick auf seine Verfügung vom 4. August 2011 zum persönlichen Erscheinen der Parteien veranlasst und auch objektiv als Unmutsäußerung nicht ohne sachlichen Grund erfolgt sei. Anhaltspunkte dafür, dass der abgelehnte Richter mit seiner Äußerung den Eindruck erwecke, eine sachliche Auseinandersetzung nicht zu wollen, seien nicht ersichtlich, da die Unmutsäußerung sich nur auf die Tatsache des Nichterscheinens des Geschäftsführers der Beklagten bezogen habe (GA 99).
Aus den Gründen
B. I. Die nach §§ 46 Abs. 2 Halbs. 2, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.
Denn das Landgericht ist zu dem zutreffenden Ergebnis gelangt, dass die in dem Ablehnungsgesuch der Beklagten beanstandete Äußerung des abgelehnten Richters nicht geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 ZPO).
1. Hierzu geeignet sind nämlich nur objektive Gründe, welche vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen gegenüber (vgl. BGH, NJW-RR 2003, 1220, 1221). Derartige Gründe liegen hier nicht vor.
Zwar stellt die beanstandete Äußerung („Schwanz einziehen") eine - wie der abgelehnte Richter in seiner dienstlichen Stellungnahme vom 5. Dezember 2011 (GA 63) selbst einräumt - „saloppe bis derbe Redensart" dar. Die Äußerung darf jedoch nicht isoliert betrachtet werden; vielmehr kommt es auf den Zusammenhang an, in dem sie gefallen ist (vgl. OLG Hamburg, NJW 1992, 2036).
So ist die Äußerung ersichtlich von der Enttäuschung des abgelehnten Richters darüber geprägt, dass der für eine nach § 278 Abs. 1 ZPO angestrebte wirtschaftliche Gesamtlösung unerlässliche Gesellschafter-Geschäftsführer der Beklagten, dessen persönliches Erscheinen zu dem - immerhin mit dreimonatiger Vorlaufzeit anberaumten - Termin vom 24. November 2011 angeordnet worden war, nicht zum Termin erschienen war.
Dies manifestiert sich nicht zuletzt darin, dass der abgelehnte Richter - ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 24. November 2011 (GA 52 f.) - den Parteien mitgeteilt hat, dass nach seiner Auffassung der hiesige Rechtsstreit nicht die eigentliche Ursache der Auseinandersetzung betreffe. Diese liege vielmehr in dem Streit zwischen den beiden Gesellschaftern über die Trennungsvereinbarung begründet, weswegen es angezeigt sei, eine gütliche Einigung hierüber anzustreben.
2. Anders als im Falle der Äußerungen der abgelehnten Richter, welche Gegenstand der von der sofortigen Beschwerde zitierten Entscheidungen waren (BGH, NJW-RR 2007, 776 Rz. 9: „Sie werden sowieso fressen müssen, was ich entscheide. Und dann bleiben sie auf allem sitzen"; OLG Hamburg, NJW 1992, 2036: „Ich habe jetzt keine Zeit, mich mit solchen Kinkerlitzchen aufzuhalten"; Brandenburgisches OLG, MDR 2000, 47: „Jetzt reicht es mir! Halten Sie endlich den Mund! Jetzt rede ich!"; LSG Nordrhein-Westfalen, NJW 2003, 2933: Bezeichnung des Sachvortrags einer Partei als „Unsinn"), durfte die beklagte Partei des hiesigen Rechtsstreits von ihrem Standpunkt aus nach objektiven Maßstäben die Äußerung des Vorsitzenden Richters am Landgericht ... nicht dahin verstehen, dass dieser ihr gegenüber negativ eingestellt oder gar zu einer sachlichen Auseinandersetzung mit ihrem Vorbringen nicht gewillt wäre.
II. 1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
2. Der Beschwerdewert entspricht dem Wert der Hauptsache (vgl. BGH, NJW 1968, 796).