R&W Abo Buch Datenbank Veranstaltungen Betriebs-Berater
 
Wirtschaftsrecht
15.09.2023
Wirtschaftsrecht
EuGH: Unionsmarke – Verletzungsklage: Auslegung von Art. 8 Nr. 1 VO (EU) Nr. 1215/2012

EuGH, Urteil vom 7.9.2023 – C-832/21, Beverage City & Lifestyle GmbH, MJ, Beverage City Polska Sp. z o.o., FE gegen Advance Magazine Publishers Inc.

ECLI:EU:C:2023:635

BB-ONLINE BBL2023-2113-1

Tenor

Art. 8 Nr. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass mehrere Beklagte, die ihren Wohnsitz in unterschiedlichen Mitgliedstaaten haben, vor dem Gericht des Wohnsitzes eines von ihnen, bei dem vom Inhaber einer Unionsmarke im Rahmen einer Verletzungsklage Klageansprüche gegen alle diese Beklagten geltend gemacht wurden, verklagt werden können, wenn ihnen jeweils eine materiell identische Verletzung dieser Marke vorgeworfen wird und sie durch einen exklusiven Vertriebsvertrag verbunden sind.

Aus den Gründen

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 8 Nr. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Beverage City & Lifestyle GmbH, MJ, der Beverage City Polska sp. z o.o. und FE auf der einen und der Advance Magazine Publishers Inc. auf der anderen Seite betreffend eine von Letzterer erhobene Klage wegen Verletzung einer Unionsmarke.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Verordnung Nr. 1215/2012

3        In den Erwägungsgründen 15, 16 und 21 der Verordnung Nr. 1215/2012 wird ausgeführt:

„(15)      Die Zuständigkeitsvorschriften sollten in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten. Diese Zuständigkeit sollte stets gegeben sein außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist. Der Sitz juristischer Personen muss in der Verordnung selbst definiert sein, um die Transparenz der gemeinsamen Vorschriften zu stärken und Kompetenzkonflikte zu vermeiden.

(16)      Der Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten sollte durch alternative Gerichtsstände ergänzt werden, die entweder aufgrund der engen Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege zuzulassen sind. Das Erfordernis der engen Verbindung soll Rechtssicherheit schaffen und verhindern, dass die Gegenpartei vor einem Gericht eines Mitgliedstaats verklagt werden kann, mit dem sie vernünftigerweise nicht rechnen konnte. Dies ist besonders wichtig bei Rechtsstreitigkeiten, die außervertragliche Schuldverhältnisse infolge der Verletzung der Privatsphäre oder der Persönlichkeitsrechte einschließlich Verleumdung betreffen.

(21)      Im Interesse einer abgestimmten Rechtspflege müssen Parallelverfahren so weit wie möglich vermieden werden, damit nicht in verschiedenen Mitgliedstaaten miteinander unvereinbare Entscheidungen ergehen. Es sollte eine klare und wirksame Regelung zur Klärung von Fragen der Rechtshängigkeit und der im Zusammenhang stehenden Verfahren sowie zur Verhinderung von Problemen vorgesehen werden, die sich aus der einzelstaatlich unterschiedlichen Festlegung des Zeitpunkts ergeben, von dem an ein Verfahren als rechtshängig gilt. Für die Zwecke dieser Verordnung sollte dieser Zeitpunkt autonom festgelegt werden.“

4        Art. 4 Abs. 1 dieser Verordnung lautet:

„Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen.“

5        Art. 8 der Verordnung sieht vor:

„Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann auch verklagt werden:

1.      wenn mehrere Personen zusammen verklagt werden, vor dem Gericht des Ortes, an dem einer der Beklagten seinen Wohnsitz hat, sofern zwischen den Klagen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten;

…“

Verordnung (EU) 2017/1001

6        Art. 1 („Unionsmarke“) Abs. 2 der Verordnung (EU) 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke (ABl. 2017, L 154, S. 1) bestimmt:

„Die Unionsmarke ist einheitlich. Sie hat einheitliche Wirkung für die gesamte [Europäische] Union: sie kann nur für dieses gesamte Gebiet eingetragen oder übertragen werden oder Gegenstand eines Verzichts oder einer Entscheidung über den Verfall der Rechte des Inhabers oder die Nichtigkeit sein, und ihre Benutzung kann nur für die gesamte Union untersagt werden. Dieser Grundsatz gilt, sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist.“

7        In Art. 9 („Rechte aus der Unionsmarke“) dieser Verordnung heißt es:

„(1)      Mit der Eintragung einer Unionsmarke erwirbt ihr Inhaber ein ausschließliches Recht an ihr.

(2)      Der Inhaber dieser Unionsmarke hat unbeschadet der von Inhabern vor dem Zeitpunkt der Anmeldung oder dem Prioritätstag der Unionsmarke erworbenen Rechte das Recht, Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung im geschäftlichen Verkehr ein Zeichen für Waren oder Dienstleistungen zu benutzen, wenn

a)      das Zeichen mit der Unionsmarke identisch ist und für Waren oder Dienstleistungen benutzt wird, die mit denjenigen identisch sind, für die die Unionsmarke eingetragen ist;

b)      das Zeichen mit der Unionsmarke identisch oder ihr ähnlich ist und für Waren oder Dienstleistungen benutzt wird, die mit denjenigen identisch oder ihnen ähnlich sind, für die die Unionsmarke eingetragen ist, und für das Publikum die Gefahr einer Verwechslung besteht, die die Gefahr einschließt, dass das Zeichen mit der Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird;

c)      das Zeichen mit der Unionsmarke identisch oder ihr ähnlich ist, unabhängig davon, ob es für Waren oder Dienstleistungen benutzt wird, die mit denjenigen identisch sind oder denjenigen ähnlich oder nicht ähnlich sind, für die die Unionsmarke eingetragen ist, wenn diese in der Union bekannt ist und die Benutzung des Zeichens die Unterscheidungskraft oder die Wertschätzung der Unionsmarke ohne rechtfertigenden Grund in unlauterer Weise ausnutzt oder beeinträchtigt.

(4)      Unbeschadet der von Inhabern vor dem Zeitpunkt der Anmeldung oder dem Prioritätstag der Unionsmarke erworbenen Rechte ist der Inhaber dieser Unionsmarke auch berechtigt, Dritten zu untersagen, im geschäftlichen Verkehr Waren in die Union zu verbringen[,] ohne diese in den zollrechtlich freien Verkehr zu überführen, wenn die Waren, einschließlich ihrer Verpackung, aus Drittstaaten stammen und ohne Zustimmung eine Marke aufweisen, die mit der für derartige Waren eingetragenen Unionsmarke identisch ist oder in ihren wesentlichen Aspekten nicht von dieser Marke zu unterscheiden ist.

Die Berechtigung des Inhabers einer Unionsmarke gemäß Unterabsatz 1 erlischt, wenn während eines Verfahrens, das der Feststellung dient, ob eine Unionsmarke verletzt wurde, und das gemäß der Verordnung (EU) Nr. 608/2013 [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juni 2013 zur Durchsetzung der Rechte geistigen Eigentums durch die Zollbehörden und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1383/2003 des Rates (ABl. 2013, L 181, S. 15)] eingeleitet wurde, der zollrechtliche Anmelder oder der Besitzer der Waren nachweist, dass der Inhaber der Unionsmarke nicht berechtigt ist, das Inverkehrbringen der Waren im endgültigen Bestimmungsland zu untersagen.“

8        Kapitel X („Zuständigkeit und Verfahren für Klagen, die Unionsmarken betreffen“) der Verordnung 2017/1001 umfasst deren Art. 122 bis 135.

9        Art. 122 („Anwendung der Unionsvorschriften über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen“) Abs. 1 und 2 dieser Verordnung lautet:

„(1)      Soweit in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, sind die Unionsvorschriften über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen auf Verfahren betreffend Unionsmarken und Anmeldungen von Unionsmarken sowie auf Verfahren, die gleichzeitige oder aufeinander folgende Klagen aus Unionsmarken und aus nationalen Marken betreffen, anzuwenden.

(2)      Auf Verfahren, welche durch die in Artikel 124 genannten Klagen und Widerklagen anhängig gemacht werden,

a)      sind Artikel 4 und 6, Artikel 7 Nummern 1, 2, 3 und 5 sowie Artikel 35 der Verordnung [Nr. 1215/2012] nicht anzuwenden;

b)      sind Artikel 25 und 26 der Verordnung [Nr. 1215/2012] vorbehaltlich der Einschränkungen in Artikel 125 Absatz 4 der vorliegenden Verordnung anzuwenden;

c)      sind die Bestimmungen des Kapitels II der Verordnung [Nr. 1215/2012], die für die in einem Mitgliedstaat wohnhaften Personen gelten, auch auf Personen anzuwenden, die keinen Wohnsitz, jedoch eine Niederlassung in einem Mitgliedstaat haben.“

10      Art. 124 („Zuständigkeit für Klagen betreffend Verletzung und Rechtsgültigkeit“) der Verordnung sieht vor:

„Die Unionsmarkengerichte sind ausschließlich zuständig

a)      für alle Klagen wegen Verletzung und – falls das nationale Recht dies zulässt – wegen drohender Verletzung einer Unionsmarke;

…“

11      Art. 125 („Internationale Zuständigkeit“) der Verordnung 2017/1001 bestimmt:

„(1)      Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sowie der nach Artikel 122 anzuwendenden Bestimmungen der Verordnung [Nr. 1215/2012] sind für die Verfahren, welche durch eine in Artikel 124 genannte Klage oder Widerklage anhängig gemacht werden, die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dem der Beklagte seinen Wohnsitz oder – in Ermangelung eines Wohnsitzes in einem Mitgliedstaat – eine Niederlassung hat.

(5)      Die Verfahren, welche durch die in Artikel 124 genannten Klagen und Widerklagen anhängig gemacht werden – ausgenommen Klagen auf Feststellung der Nichtverletzung einer Unionsmarke –, können auch bei den Gerichten des Mitgliedstaats anhängig gemacht werden, in dem eine Verletzungshandlung begangen worden ist oder droht oder in dem eine Handlung im Sinne des Artikels 11 Absatz 2 begangen worden ist.“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

12      Advance Magazine Publishers mit Sitz in New York (Vereinigte Staaten) ist Inhaberin mehrerer Unionsmarken mit dem Wortbestandteil „Vogue“, hinsichtlich deren sie geltend macht, dass es sich um bekannte Marken handle.

13      Beverage City Polska ist eine Gesellschaft polnischen Rechts mit Sitz in Kraków (Krakau, Polen). Sie stellt einen Energydrink unter der Bezeichnung „Diamant Vogue“ her und bewirbt und vertreibt diesen. Ihr Geschäftsführer, FE, ist ebenfalls in Kraków ansässig.

14      Beverage City & Lifestyle ist eine Gesellschaft deutschen Rechts mit Sitz in Schorfheide im Bundesland Brandenburg (Deutschland). Ihr Geschäftsführer, MJ, hat seinen Wohnsitz in Niederkassel im Bundesland Nordrhein-Westfalen (Deutschland). Beverage City & Lifestyle war mit Beverage City Polska durch einen exklusiven Vertriebsvertrag für Deutschland verbunden, kraft dessen sie von dieser den in der vorstehenden Randnummer genannten Energydrink bezog. Trotz der Namensähnlichkeit sind die beiden Gesellschaften nicht in einem Konzern verbunden.

15      Da Advance Magazine Publishers ihre Marken verletzt sah, erhob sie gegen diese Gesellschaften und ihre Geschäftsführer Klage beim Landgericht Düsseldorf (Deutschland) als dem für das Bundesland Nordrhein-Westfalen zuständigen Unionsmarkengericht, mit der sie die Beklagten unionsweit auf Unterlassung und – später beschränkt auf Handlungen in Deutschland – auf Auskunft und Rechnungslegung in Anspruch nahm sowie Feststellung der Schadensersatzpflicht begehrte.

16      Das Landgericht Düsseldorf gab der Klage statt, wobei es seine internationale Zuständigkeit in Bezug auf Beverage City Polska und FE auf Art. 8 Nr. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 stützte. Es war der Auffassung, dass im Ausgangsrechtsstreit die vom Gerichtshof im Urteil vom 27. September 2017, Nintendo (C‑24/16 und C‑25/16, EU:C:2017:724), aufgestellten Grundsätze Anwendung fänden.

17      Beverage City Polska und FE legten gegen die Entscheidung des Landgerichts Düsseldorf Berufung beim Oberlandesgericht Düsseldorf (Deutschland) ein.

18      Sie machen unter Hinweis darauf, dass ihre Handlungen und die Belieferung ihrer Abnehmer mit den Waren ausschließlich in Polen stattgefunden hätten, geltend, den deutschen Gerichten fehle es an der internationalen Zuständigkeit für die Entscheidung über die Klage gegen sie. Außerdem sei das Urteil vom 27. September 2017, Nintendo (C‑24/16 und C‑25/16, EU:C:2017:724), nicht auf ihre Situation übertragbar, da zwischen ihnen einerseits und Beverage City & Lifestyle und MJ andererseits keine relevante Verbindung bestehe.

19      Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für die Entscheidung über die Klage gegen Beverage City Polska und FE voraussetze, dass zwischen dieser Klage und der Klage gegen MJ, den „Ankerbeklagten“, gemäß Art. 8 Nr. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 eine so enge Beziehung gegeben sei, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheine, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten.

20      Anders als in der Rechtssache, in der das Urteil vom 27. September 2017, Nintendo (C‑24/16 und C‑25/16, EU:C:2017:724), ergangen sei, betreffe aber im vorliegenden Fall die zwischen Beverage City Polska und Beverage City & Lifestyle bestehende Lieferbeziehung nicht den Ankerbeklagten. Dieser werde nur in seiner Eigenschaft als Vertreter von Beverage City & Lifestyle in Anspruch genommen. Außerdem seien die beiden Gesellschaften nicht in einem Konzern verbunden und handelten eigenverantwortlich und unabhängig voneinander.

21      Dies werfe die Frage auf, ob das Bestehen eines exklusiven Vertriebsvertrags zwischen Beverage City Polska und Beverage City & Lifestyle für die Erfüllung der Voraussetzung von Art. 8 Nr. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 ausreiche, wobei das Ausgangsverfahren wohlgemerkt die gleichen Marken und die gleichen Waren betreffe.

22      Unter diesen Umständen hat das Oberlandesgericht Düsseldorf beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist eine „so enge Beziehung“ zwischen den Klagen, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um einander widersprechende Entscheidungen zu verhindern, im Sinne von Art. 8 Nr. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 gegeben, wenn bei der Verletzungsklage wegen Verletzung einer Unionsmarke der Zusammenhang darin besteht, dass die in einem Mitgliedstaat (hier: Republik Polen) ansässige Beklagte die eine Unionsmarke verletzenden Waren an eine in einem anderen Mitgliedstaat (hier: Bundesrepublik Deutschland) ansässige Beklagte, deren ebenfalls als Verletzer verklagter gesetzlicher Vertreter der Ankerbeklagte ist, geliefert hat, wenn die Parteien nur über die reine Lieferbeziehung miteinander verbunden sind und weder rechtlich noch tatsächlich ein darüber hinausgehender Zusammenhang besteht?

Zur Vorlagefrage

23      Mit seiner Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 8 Nr. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen ist, dass mehrere Beklagte, die ihren Wohnsitz in unterschiedlichen Mitgliedstaaten haben, vor dem Gericht des Wohnsitzes eines von ihnen, bei dem vom Inhaber einer Unionsmarke im Rahmen einer Verletzungsklage Klageansprüche gegen alle diese Beklagten geltend gemacht wurden, verklagt werden können, wenn ihnen jeweils eine materiell identische Verletzung dieser Marke vorgeworfen wird und sie durch einen exklusiven Vertriebsvertrag verbunden sind.

24      Vorab ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 125 Abs. 1 der Verordnung 2017/1001 für Verletzungsklagen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig sind, in dem der Beklagte seinen Wohnsitz oder – in Ermangelung eines Wohnsitzes in einem Mitgliedstaat – eine Niederlassung hat, und zwar „[v]orbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sowie der nach [ihrem] Artikel 122 anzuwendenden Bestimmungen der Verordnung [Nr. 1215/2012]“.

25      Nach Art. 122 Abs. 1 der Verordnung 2017/1001 „[sind, s]oweit in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, … die Unionsvorschriften über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen auf Verfahren betreffend Unionsmarken und Anmeldungen von Unionsmarken sowie auf Verfahren, die gleichzeitige oder aufeinander folgende Klagen aus Unionsmarken und aus nationalen Marken betreffen, anzuwenden“. Außerdem listet Art. 122 Abs. 2 dieser Verordnung die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1215/2012 auf, die auf Verfahren, die u. a. durch Verletzungsklagen anhängig gemacht werden, nicht oder nur unter bestimmten Voraussetzungen anzuwenden sind.

26      Da Art. 8 Nr. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 nicht zu diesen Bestimmungen gehört, ist er mithin auf Klagen wegen Verletzung einer Unionsmarke anzuwenden.

27      Konkret kann nach dieser Bestimmung eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, wenn mehrere Personen zusammen verklagt werden, vor dem Gericht des Ortes verklagt werden, an dem einer der Beklagten seinen Wohnsitz hat, sofern zwischen den Klagen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten.

28      Dabei können Entscheidungen nicht schon deswegen als einander widersprechend betrachtet werden, weil es zu einer abweichenden Entscheidung der Rechtsstreitigkeiten kommt, sondern diese Abweichung muss außerdem bei derselben Sach- und Rechtslage auftreten (vgl. entsprechend Urteil vom 27. September 2017, Nintendo, C‑24/16 und C‑25/16, EU:C:2017:724, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

29      Was als Erstes die Voraussetzung des Vorliegens derselben Rechtslage betrifft, hat der Gerichtshof in einer Rechtssache, in der eine Verletzung von Rechten aus Gemeinschaftsgeschmacksmustern geltend gemacht worden war, entschieden, dass diese Voraussetzung erfüllt ist, wenn ein Kläger den Schutz eines ausschließlichen Rechts zur Benutzung solcher Gemeinschaftsgeschmacksmuster, das im Unionsrecht verankert ist und in der gesamten Union dieselbe Wirkung hat, begehrt. Die Verschiedenheit von Rechtsgrundlagen im nationalen Recht für Klagen im Hinblick auf diesen Schutz ist dabei ohne Belang für die Beurteilung der Gefahr einander widersprechender Entscheidungen (vgl. entsprechend Urteil vom 27. September 2017, Nintendo, C‑24/16 und C‑25/16, EU:C:2017:724, Rn. 46 bis 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30      Im Bereich der Unionsmarke wird zum einen gemäß Art. 9 der Verordnung 2017/1001 dem Inhaber einer solchen Marke mit ihrer Eintragung ein ausschließliches Recht an ihr gewährt. Zum anderen hat nach Art. 1 Abs. 2 dieser Verordnung die Unionsmarke einheitliche Wirkung für die gesamte Union. So ergibt sich aus dem ausschließlichen Recht des Inhabers einer Unionsmarke, dass er Dritten verbieten kann, die Marke ohne seine Zustimmung zu benutzen, und dass er sein Recht durch die Verletzungsklage schützen kann.

31      Im vorliegenden Fall geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass die von Advance Magazine Publishers erhobene Verletzungsklage den Schutz des ausschließlichen Rechts dieser Gesellschaft an Unionsmarken bezweckt, so dass die Voraussetzung des Vorliegens derselben Rechtslage erfüllt zu sein scheint, was zu überprüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

32      Was als Zweites die Voraussetzung des Vorliegens derselben Sachlage betrifft, ergibt sich aus dem Vorabentscheidungsersuchen, dass Beverage City & Lifestyle und Beverage City Polska trotz der Namensähnlichkeit und des zwischen ihnen geschlossenen exklusiven Vertriebsvertrags nicht in einem Konzern verbunden sind. Außerdem betont das vorlegende Gericht, dass zwischen Beverage City Polska und FE auf der einen Seite und dem „Ankerbeklagten“, d. h. dem Geschäftsführer von Beverage City & Lifestyle mit Wohnsitz in Deutschland, auf der anderen Seite keine Beziehung bestehe, auch wenn dieser Geschäftsführer ebenfalls als Rechtsverletzer in Anspruch genommen werde.

33      Daher möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob unter diesen Umständen das Bestehen eines exklusiven Vertriebsvertrags ein hinreichendes Kriterium ist, um für die Zwecke der Anwendung von Art. 8 Nr. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 das Vorliegen derselben Sachlage festzustellen.

34      Insoweit entspricht der Zweck der Zuständigkeitsvorschrift von Art. 8 Nr. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 gemäß deren Erwägungsgründen 16 und 21 dem Anliegen, eine geordnete Rechtspflege zu fördern, Parallelverfahren so weit wie möglich zu vermeiden und so zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten (vgl. entsprechend Urteil vom 12. Juli 2012, Solvay, C‑616/10, EU:C:2012:445, Rn. 19).

35      Diese besondere Zuständigkeitsvorschrift ist, da mit ihr von der Grundregel des Gerichtsstands des Wohnsitzes des Beklagten in Art. 4 der Verordnung Nr. 1215/2012 abgewichen wird, eng und nicht über die in dieser Verordnung ausdrücklich vorgesehenen Fälle hinaus auszulegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Juli 2012, Solvay, C‑616/10, EU:C:2012:445, Rn. 21).

36      Der Gerichtshof hat insoweit entschieden, dass das nationale Gericht bei der Beurteilung der Frage, ob zwischen den verschiedenen bei ihm anhängig gemachten Klagen ein Zusammenhang besteht, u. a. den Umstand zu berücksichtigen hat, dass mehreren Gesellschaften mit Sitz in unterschiedlichen Mitgliedstaaten jeweils gesondert dieselben Verletzungshandlungen in Bezug auf dieselben Erzeugnisse vorgeworfen werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Juli 2012, Solvay, C‑616/10, EU:C:2012:445, Rn. 29).

37      Wie der Generalanwalt in den Nrn. 48 und 60 bis 65 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, rührt das Bestehen eines Zusammenhangs zwischen den betreffenden Klagen hauptsächlich von der Beziehung zwischen allen begangenen Verletzungshandlungen her und nicht von den Organisations- oder Kapitalbeziehungen zwischen den betroffenen Gesellschaften. Desgleichen ist für die Feststellung, ob dieselbe Sachlage vorliegt, auch besonderes Augenmerk auf die Art der Vertragsbeziehungen zwischen dem Abnehmer und dem Lieferanten zu legen.

38      Im vorliegenden Fall hat das vorlegende Gericht festgestellt, dass Beverage City & Lifestyle mit Beverage City Polska durch einen Vertrag über den exklusiven Vertrieb des Energydrinks „Diamant Vogue“ in Deutschland verbunden sei. Diese exklusive Vertragsbeziehung zwischen den beiden Gesellschaften vermag vorhersehbarer zu machen, dass bei den ihnen vorgeworfenen Verletzungshandlungen möglicherweise davon ausgegangen wird, dass sie dieselbe Sachlage betreffen, woraus sich die Zuständigkeit eines einzigen Gerichts für die Entscheidung über die Klageansprüche gegen sämtliche Akteure, die diese Handlungen begangen haben, ergeben kann.

39      Darüber hinaus ergibt sich sowohl aus der dem Gerichtshof vorliegenden Akte als auch aus den Antworten der Parteien des Ausgangsverfahrens auf die in der mündlichen Verhandlung gestellten Fragen, dass sich die enge Zusammenarbeit der Gesellschaften untereinander auch im Betrieb zweier Websites manifestierte, deren Domaininhaber einer der Mitbeklagten allein ist und über die durch Verweise zwischen diesen Seiten die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Waren vertrieben wurden.

40      Dieser Umstand kann die Annahme des Bestehens eines Zusammenhangs zwischen den Klageansprüchen von Advance Magazine Publishers wegen Verletzung bestärken, aber auch die Vorhersehbarkeit der Haftungspflicht für behauptete Verletzungshandlungen mit demselben Ursprung aufzeigen.

41      Folglich kann die Feststellung eines nationalen Gerichts, dass die Klageansprüche, mit denen es befasst ist, gegen verschiedene Akteure gerichtet sind, die im Rahmen einer Kette von Verletzungshandlungen jeweils zur selben Verletzung einer Unionsmarke beigetragen haben, ein Grund für die Annahme sein, dass die Voraussetzung des Vorliegens derselben Sachlage erfüllt ist, wenn es um die Zuständigkeit dieses Gerichts geht, auf der Grundlage von Art. 8 Nr. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 über Klageansprüche gegen verschiedene Mitbeklagte wegen derselben Verletzungshandlungen in Bezug auf dieselbe Unionsmarke zu entscheiden.

42      Es wird also Sache des vorlegenden Gerichts sein, unter Berücksichtigung aller erheblichen Umstände der bei ihm anhängigen Rechtssache zu beurteilen, ob hinsichtlich der Klageansprüche gegen die verschiedenen Beklagten dieselbe Rechts- und Sachlage vorliegt.

43      Jedenfalls kann die in Art. 8 Nr. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 aufgestellte Regel nicht so ausgelegt werden, dass danach ein Kläger eine Klage gegen mehrere Beklagte allein zu dem Zweck erheben könnte, einen von ihnen der Gerichtsbarkeit seines Wohnsitzstaats zu entziehen, und er damit die in dieser Bestimmung enthaltene Zuständigkeitsvorschrift zweckentfremden könnte, indem er die Voraussetzungen für ihre Anwendung künstlich herbeiführt oder aufrechterhält (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Mai 2015, CDC Hydrogen Peroxide, C‑352/13, EU:C:2015:335, Rn. 27 bis 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

44      Dass ein Kläger eine Klage gegen mehrere Beklagte allein zu dem Zweck erhoben hätte, einen von ihnen der Gerichtsbarkeit seines Wohnsitzstaats zu entziehen, ist jedoch, wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, ausgeschlossen, wenn zwischen den Klageansprüchen gegen die einzelnen Beklagten bei ihrer Erhebung ein enger Zusammenhang besteht, d. h., wenn eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Oktober 2007, Freeport, C‑98/06, EU:C:2007:595, Rn. 52 bis 54).

45      Es obliegt daher dem angerufenen Gericht, sich zu vergewissern, dass die Klageansprüche, die gegen den einzigen der Mitbeklagten gerichtet sind, dessen Wohnsitz die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts begründet, nicht bezwecken, die Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 8 Nr. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 künstlich zu erfüllen.

46      Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 8 Nr. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen ist, dass mehrere Beklagte, die ihren Wohnsitz in unterschiedlichen Mitgliedstaaten haben, vor dem Gericht des Wohnsitzes eines von ihnen, bei dem vom Inhaber einer Unionsmarke im Rahmen einer Verletzungsklage Klageansprüche gegen alle diese Beklagten geltend gemacht wurden, verklagt werden können, wenn ihnen jeweils eine materiell identische Verletzung dieser Marke vorgeworfen wird und sie durch einen exklusiven Vertriebsvertrag verbunden sind.

Kosten

47      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

stats