OLG München: Umfang einer Vollmacht an Aufsichtsratsmitglieder
OLG München, Urteil vom 19.12.2012 - 7 U 1711/12
Leitsatz
Bei einem Vertrag zwischen einer Aktiengesellschaft und einem Vorstandsmitglied bedarf der Zustimmungsbeschluss des Aufsichtsrats besonderer Präzision. Ein Beschluss des Aufsichtsrats, in welchem einem Aufsichtsratsmitglied nur Vollmacht zum Vertragsabschluss mit dem Vorstandsmitglied zum Erwerb eines Gesellschaftsanteils erteilt wird, reicht dann nicht aus, wenn der Umfang der Verpflichtung der Gesellschaft zum Zeitpunkt der Vollmachtserteilung noch nicht feststand.
Sachverhalt
I. Die Parteien streiten im Urkundsprozess um einen Zahlungsanspruch aus einem Kaufvertrag über einen GmbH-Anteil an der BKW F. GmbH.
Das Erstgericht hat die Klage abgewiesen, da ein wirksamer Kaufvertrag mangels wirksamer Vertretung der Beklagten zur Abgabe der entsprechenden Willenserklärung beim notariellen Kaufvertrag vom 1.8.2008 nicht zustandegekommen sei.
Wegen der tatsächlichen Feststellungen und Entscheidungsgründe wird auf das Urteil des Landgerichts München I Bezug genommen, § 540 Abs. 1 ZPO.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, der sein erstinstanzliches Begehren weiter verfolgt.
Der Kläger ist der Auffassung, bereits in der Aufsichtsratssitzung vom 11.10.2007 (Anlage K6) sei der Kauf beschlossen worden. In der Aufsichtsratssitzung vom 28.02.2008 (Anlage K10) sei die Vollmacht zum Anteilskauf gemäß den besagten Konditionen gegengezeichnet worden. Eine abschließende Besprechung des Kaufprocederes sei aus Zeitgründen auf die nächste Sitzung verschoben worden. Mit der Berufungsbegründungsschrift trägt der Kläger nunmehr vor, in der Aufsichtsratssitzung vom 17.7.2008 (TOP 6, Anlage K11) sei nochmals beschlossen worden, dass der Kauf gemäß den vorgetragenen Bedingungen getätigt werden solle, wie dies auch am 1.8.2008 tatsächlich erfolgt sei.
Der Kläger beantragt daher:
1. Das Urteil des Landgerichts München I vom 5.4.2012 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 600.000,-- Euro nebst Zinsen in Höhe von acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 650.000,-- Euro für den Zeitraum 3.9.2008 bis 11.12.2008 sowie aus 600.000,-- Euro seit dem 12.12.2008 zu zahlen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.122,71 Euro an außergerichtlichen Anwaltskosten nebst Zinsen hieraus in Höhe von acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt
die Zurückweisung der Berufung.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Ersturteil. Der vom Kläger erstmals im Berufungsverfahren erfolgte Sachvortrag sowie die hierzu vorgelegten Dokumente seien gemäß § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO als Beweismittel präkludiert. Ausweislich der Protokolle sei der Kläger bei sämtlichen Sitzungen persönlich anwesend gewesen, so dass er auch zeitnah Zugang zu den Protokollen gehabt haben müsse. Zudem fehle dem im Protokoll vom 17.7.2008 (Anlage K11) gefassten Beschluss das erforderliche Ausdrücklichkeitsgebot, wonach ein Beschluss den Beschlussgegenstand eindeutig erkennen lassen müsse. Danach standen die Konditionen des Kaufvertrags zum damaligen Zeitpunkt noch gar nicht fest. Dies ergebe sich auch aus der nachfolgenden E-Mail vom 31.07.2008 (Anlage B7). Damit habe noch nicht einmal unmittelbar vor Abschluss des Kaufvertrags Klarheit darüber geherrscht, aufgrund welcher Bilanz der Kaufpreis ermittelt werden sollte, d. h. zu welchem Kaufpreis das Geschäft abgeschlossen bzw. anhand welcher Parameter der Kaufpreis ermittelt werden sollte.
Hinsichtlich der Präklusion gab der Kläger - auch auf Nachfrage des Senats in der mündlichen Verhandlung vom 26.9.2012 - an, sämtliche Unterlagen aus der Zeit seiner Tätigkeit als Vorstand der Beklagten befänden sich noch in den Geschäftsräumen der Beklagten. Die Beklagte verwehre ihm den Zugang zu seinen Unterlagen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 26.09.2012 Bezug genommen.
Aus den Gründen
II. Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung des Restkaufpreises in Höhe von 600.000,-- Euro aus Ziffer II.1 des Kaufvertrags vom 1.8.2008. Der Senat schließt sich der Auffassung des Erstgerichts an, dass ein wirksamer Kaufvertrag mangels wirksamer Vertretung der Beklagten zur Abgabe der entsprechenden Willenserklärung am 1.8.2008 nicht zustande gekommen ist. Eine wirksame Vertretung der Beklagten liegt nicht vor, weil kein wirksamer und noch gültiger Beschluss des Aufsichtsrats vorliegt, mit dem der Erwerb des Gesellschaftsanteils an der BKW F. GmbH durch die Beklagte legitimiert wäre. Auf die zutreffenden Gründe des Erstgerichts (dort unter I.) wird Bezug genommen.
Ergänzend wird ausgeführt:
Ein ausdrücklicher Beschluss des Aufsichtsrats zum Erwerb des GmbH-Anteils an der BKW F. GmbH wurde zwar in der Sitzung vom 11.10.2007 (Anlage B2, dort TOP 3) gefasst; allerdings enthielt dieser eine aufschiebende Bedingung im Sinne von § 158 Abs. 1 BGB dergestalt, dass das Bezahlungsprocedere bis Ende Oktober 2007 einvernehmlich geklärt sein sollte. Nach dem unstreitigen Sachverhalt trat diese Bedingung indes nicht ein.
In der Vollmachtserteilung vom 28.2.2008 (Anlage K4 = Anlage zum Schriftsatz des Klägervertreters vom 21.11.2011 = zu Bl. 43/45 d. A.) kann kein Beschluss zur Abgabe der auf den Vertragsabschluss hinsichtlich des Erwerbs des Gesellschaftsanteils gerichteten Willenserklärung gesehen werden.
Der Senat verkennt nicht, dass auch in einer als "Vollmachterteilung" bezeichneten und von sämtlichen Aufsichtsratsmitgliedern unterschriebenen Urkunde im Wege der Auslegung nicht nur eine Vollmachterteilung an den Aufsichtsratsvorsitzenden als bloßer "Erklärungsvertreter" (vgl. Luther in Schmidt/Luther Aktiengesetz § 112 Rz. 14), sondern auch ein ausdrücklich gefasster Beschluss des Aufsichtsrats grundsätzlich gesehen werden könnte (vgl. BGH II ZR 74/88), da das Gebot der ausdrücklichen Beschlussfassung nicht völlig ausschließt, dass ein Beschluss des Aufsichtsrats ausgelegt werden kann. Jedoch steht die Auslegung im Spannungsverhältnis zu dem hinter dem Erfordernis der ausdrücklichen Beschlussfassung stehenden Ziel der Rechtssicherheit und -klarheit, so dass der Annahme konkludenter Erklärungen im Rahmen eines Beschlusses sehr enge Grenzen zu ziehen sind (vgl. Spindler in Spindler/Stilz Aktiengesetz 2. Aufl. § 108 Rz. 11). Zwar spricht für die Annahme einer Beschlussfassung die Tatsache, dass alle Aufsichtsratsmitglieder diese Vollmachtserteilung unterschrieben haben.
Dagegen spricht aber vorliegend der Umstand, dass in der Sitzung des Aufsichtsrats vom selben Tage, d.h. vom 28.2.2008 (Anlage K10) unter TOP 6 "Sonstiges" unter anderem festgehalten wurde: "... Weitere Diskussionen und Beschlüsse wurden auf die nächste möglichst zeitnahe Aufsichtsratssitzung vertagt. Die Vorstellung der Budgetplanungen für BTA International, BKW F. und Agras. wurden ebenfalls auf die nächste Aufsichtsratssitzung verschoben.
Info über Status Anteilsübertragung BKW F. (Besprechungsprotokoll vom 26.10.2007) ... werden in die nächste Aufsichtsratssitzung verschoben."
In dieser Sitzung, die das selbe Datum trägt wie die Vollmachtserteilung vom 28.2.2008, wird damit erkennbar zum Ausdruck gebracht, dass der Meinungsbildungsprozess zum Ankauf des streitgegenständlichen GmbH-Anteils offensichtlich gerade noch nicht abgeschlossen war, sondern eine weitere Erörterung und zwar zeitnah in der nächsten Aufsichtsratssitzung geplant war. Die vom selben Tag stammende Vollmachtserteilung kann daher letztlich nur als Bevollmächtigung des Aufsichtsratsvorsitzenden als Erklärungsvertreter des Aufsichtsrats gesehen werden und nicht als Beschluss in der Sache selbst.
Soweit der Kläger erstmals mit der Berufungsbegründung unter Vorlage von Anlage K11 vorträgt, zuletzt sei in der Sitzung des Aufsichtsrats vom 17.7.2008, TOP 6, beschlossen worden, dass der Kauf gemäß den vorgetragenen Bedingungen getätigt werden solle, war dieser Vortrag als im Berufungsverfahren verspätet zurückzuweisen (§ 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO). Der Kläger hat diesen Vortrag in erster Instanz nachlässig nicht vorgetragen. Der Kläger hat hierzu lediglich angegeben, sämtliche Unterlagen aus der Zeit seiner Tätigkeit als Vorstand der Beklagten befänden sich noch in den Geschäftsräumen der Beklagten. Er habe daher bisher im Prozess sämtliche Unterlagen, welche ihm größtenteils vom Aufsichtsratsvorsitzenden Bö. zur Verfügung gestellt worden seien, sobald als möglich vorgelegt. Ihm werde der Zugang zu seinen Unterlagen verwehrt.
Allein aus diesem Vortrag kann der Senat nicht die Überzeugung gewinnen, dass der Ausnahmetatbestand des § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO vorliegt. Da das Gesetz zumindest leichte Fahrlässigkeit vermutet, muss sich vorliegend der Kläger entlasten. Dies ist ihm nicht gelungen. Der Umstand, dass der Kläger möglicherweise keinen Zugang zu seinen Unterlagen hatte/hat, hätte ihn gleichwohl nicht daran gehindert, die nunmehr behaupteten Tatsachen rechtzeitig bereits in erster Instanz vorzutragen. Immerhin gab der Kläger erstinstanzlich an, dass die Parteien am 1.8.2008 einen Kaufvertrag geschlossen haben und verweist hinsichtlich der erforderlichen Bevollmächtigung auf den Beschluss des Aufsichtsrats vom 11.10.2007 und die Vollmachtserteilung vom 28.02.2008. Die nunmehr vorgelegte behauptete Beschlussfassung des Aufsichtsrats in der Sitzung vom 17.07.2008 (Anlage K11) erfolgte nur ca. zwei Wochen vor dem notariellen Kaufvertragstermin vom 1.8.2008. Auch war der Kläger ausweislich der Urkunde (Anlage K11) persönlich in der Aufsichtsratssitzung vom 17.7.2008 anwesend. Wieso der Kläger diese doch für den unmittelbar zeitlich bevorstehenden notariellen Kaufvertragstermin maßgebliche Sitzung des Aufsichtsrats nicht bereits erstinstanzlich vorgetragen hat bzw. nicht vortragen konnte, erschließt sich dem Senat nicht. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob dem Kläger seitens der Beklagten der Zugang zu Unterlagen verwehrt wurde/wird. Auch ohne Vorlage von Unterlagen hätte der Kläger entsprechend substantiierten Vortrag bereits erstinstanzlich bringen können, dass es unmittelbar vor dem Kaufvertragstermin eine erneute Sitzung des Aufsichtsrats und Beschlussfassung gegeben haben soll, an der er persönlich anwesend gewesen sei.
Soweit er dann tatsächlich mangels Weigerung der Beklagten an der Vorlage der Beschlussfassung gehindert gewesen wäre, hätte es im Rahmen der sekundären Darlegungs- und Beweislast gegebenenfalls der Beklagten oblegen, diese entsprechende Urkunde vorzulegen. Das Fehlen der Urkunde allein machte aber entsprechenden Vortrag seitens des Klägers nicht entbehrlich.
Soweit der Kläger im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 29.10.2012 (Bl. 109 d. A.) weiter angibt, sobald der ehemalige Aufsichtsratsvorsitzende Bö. an ihn herangetreten sei, seien sämtliche Unterlagen im jeweiligen Prozessstadium sofort vorgelegt worden, ist dies ausweislich des erstinstanzlich vorgelegten Schreibens von Herrn Bö. an ihn (Anlage K5 = Anlage zum Schriftsatz des Klägervertreters vom 14.2.2012 = zu Bl. 58/59 d. A.), anscheinend schon spätestens zum Zeitpunkt des Schreibens vom 16.03.2012 erfolgt. Wieso aber gleichwohl erstinstanzlich weiterhin entsprechender Vortrag nicht erfolgt ist und dies erstmals mit der Berufungsbegründung hätte erfolgen können, wurde nicht näher dargetan. Der Senat gewinnt vielmehr aus den Schriftsätzen des Klägervertreters den Eindruck, dass mangelnder Vortrag hierzu auf grob nachlässigem Verhalten beruht.
Die dem Kläger obliegende Darlegungs- und Beweislast, dass keine Nachlässigkeit vorliegt, konnte der Kläger daher nicht zur Überzeugung des Senats erbringen.
Vorsorglich wird ausgeführt, dass selbst unter Berücksichtigung der Anlage K11 der Kläger den Nachweis für die behauptete Beschlussfassung nicht erbringen konnte.
Zwar wird im Beschluss der Aufsichtsratssitzung vom 17.7.2008 (Anlage K11), dort unter TOP 6 "Sonstiges" wie folgt festgehalten:
"Beschluss des AR:
Der Aufsichtsratsvorsitzende Herr Bö. sowie der Aufsichtsrat Herr Ba. sind zur Unterzeichnung des Verkaufs bzw. der Abtretung der Anteile von Hans F. an der BKW F. GmbH an die Agra F. AG berechtigt."
Der hier gefasste Beschluss ist aber nicht eindeutig. Der Formulierung zufolge könnte dies auch eine bloße Berechtigung der Herren Bö. und Ba. zum Handeln als sogenannte Erklärungsvertreter für die Beklagte beim geplanten Kaufvertragsabschluss bedeuten. Hierfür spricht insgesamt der Umstand, dass zum Zeitpunkt der Beschlussfassung vom 17.7.2008 immer noch nicht feststand, aufgrund welcher Bilanz der Kaufpreis ermittelt werden sollte, d. h. zu welchem Kaufpreis das Geschäft abgeschlossen bzw. anhand welcher Parameter der Kaufpreis ermittelt werden sollte. Dies ergibt sich aus der beklagtenseits vorgelegten E-Mail vom 31.7.2008 (Anlage B7), gerichtet an den stellvertretenden Vorsitzenden des Aufsichtsrats, Herrn Ba., stammend von der Anwaltskanzlei der Beklagtenseite. Danach wird von einem Kaufvertrag "in der letzten Version von Herrn Notar S." gesprochen. Auch wird unter Ziffer 1. und 2. wie folgt ausgeführt:
"1. Der Entwurf sieht nunmehr die Berechnung des Kaufpreisnachzahlungsanspruchs auf Basis einer Unternehmensbewertung zum 31. Dezember 2010 vor. In der letzten Version war das Datum der Bewertung noch offen gelassen und Ende 2010 sowie Ende 2012 als Alternativen angegeben.
2. Der Vertrag sieht nun vor, dass Sie die Vertretung des Gesamtaufsichtsrates durch einen schriftlichen Ermächtigungsnachweis belegen, der unverzüglich nachzureichen ist. Dafür ist ein entsprechender Aufsichtsratsbeschluss, der Herrn Bö. und Sie zur Vertretung im Rahmen des Vertragsabschlusses ermächtigt, erforderlich."
Insbesondere aus Ziffer 2. wird klar, dass die Parteien offenbar selbst noch davon ausgingen, dass ein weiterer Aufsichtsratsbeschluss erforderlich ist. Auf die Vollmachtserteilung vom 28.2.2008 (Anlage K4) wird nicht verwiesen, ein Indiz hierfür, dass auch die Parteien diese Vollmachtserteilung als nicht ausreichende Ermächtigungsgrundlage angesehen haben mögen.
Letztlich kann daher auch trotz der Beschlussfassung vom 17.7.2008 keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage seitens des Aufsichtsrats gesehen werden. Trotz der vorgelegten Urkunde (Anlage K11) konnte daher der Kläger im Urkundenprozess nicht nachweisen, dass ein entsprechender erforderlich ausdrücklicher und konkreter Beschluss durch den Aufsichtsrat gefasst worden ist.
Die Berufung des Klägers war daher als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.