BGH: Trockenluftkompressor
BGH, Beschluss vom 21.12.2023 – I ZR 17/23
ECLI:DE:BGH:2023:211223BIZR17.23.0
Volltext: BB-Online BBL2024-193-2
unter www.betriebs-berater.de
Amtliche Leitsätze)
Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung von Art. 14 Abs. 1 und 2 Unterabs. 1 Buchst. a und Unterabs. 3 der Verordnung (EU) 2017/745 über Medizinprodukte (ABl. L 117 vom 5. April 2017) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist ein Händler gemäß Art. 14 Abs. 1 und 2 Unterabs. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) 2017/745 verpflichtet zu prüfen, ob das von ihm auf dem Markt bereitgestellte Produkt als Medizinprodukt anzusehen ist und es deshalb eine CE-Kennzeichnung als Medizin-produkt trägt sowie vom Hersteller eine EU-Konformitätserklärung für ein Medizinprodukt ausgestellt worden ist?
2. Ist es für die Antwort auf die Frage 1 von Bedeutung, ob das Produkt vom Hersteller
a) überhaupt mit einer CE-Kennzeichnung versehen worden ist;
b) als Medizinprodukt oder Zubehör eines Medizinprodukts mit einer CE-Kennzeichnung versehen worden ist;
c) nicht als Medizinprodukt oder Zubehör eines Medizinprodukts, sondern bezogen auf die Richtlinie 2006/42/EG über Maschinen mit einer CE-Kennzeichnung versehen worden ist?
3. Umfassen die in Art. 14 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a in Verbindung mit Art. 14 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2017/745 bestimmten Prüfungspflichten des Händlers auch die Frage, ob das Produkt in die Risikoklasse IIa im Sinne der Verordnung (EU) 2017/745 einzuordnen ist und deshalb zusätzlich mit einer vierstelligen Kennnummer einer Be-nannten Stelle versehen sein muss?
4. Ist es für die Frage, ob ein Händler gemäß Art. 14 Abs. 2 Unterabs. 3 in Verbindung mit Art. 14 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2017/745 Grund zu der Annahme hat, dass das von ihm am Markt bereitgestellte Produkt nicht den Anforderungen dieser Verordnung entspricht, von Bedeutung, dass der Händler von einem Wettbewerber durch eine Ab-mahnung von dessen Rechtsansicht Kenntnis erlangt, der vom Händler auf dem Markt bereitgestellte Gegenstand sei nicht gemäß den Anforderungen des Art. 14 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) 2017/745 mit der erforderlichen CE-Kennzeichnung sowie einer Kennnummer einer Benannten Stelle versehen?
5. Ist es für die Beantwortung der Frage 4 von Bedeutung, ob
a) die Abmahnung eines Wettbewerbers einen klaren Hinweis auf eine Rechtsverletzung enthält, also so konkret gefasst ist, dass der Händler den Rechtsverstoß unschwer und ohne eingehende rechtliche oder tatsächliche Überprüfung feststellen kann;
b) dem Händler auf seine Nachfrage vom Hersteller oder einer Behörde mitgeteilt worden ist, die mit der Abmahnung erhobenen Beanstandungen seien unbegründet?
Sachverhalt
A. Die Klägerin stellt Kompressoren zur Erzeugung von Druckluft für die zahnmedizinische Behandlung her, bei denen es sich gemäß Bescheid vom 23. Januar 2014 des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) um Medizinprodukte der Risikoklasse IIa im Sinne des Anhangs IX der Richtlinie 93/42/EWG über Medizinprodukte handelt.
Die Beklagte vertreibt in Deutschland als rechtlich selbständige deutsche Werksvertretung der in Italien ansässigen C. S.p.A. sogenannte ölfreie Trockenluftkompressoren zur Erzeugung von Druckluft.
Im November 2020 bestellte die Klägerin bei der Beklagten im Wege eines Testkaufs einen von der C. S.p.A. hergestellten Kompressor. Dieser war mit einer CE-Kennzeichnung versehen. Die dazu gehörige Konformitätserklärung des Herstellers bezog sich nicht auf die Richtlinie 93/42/EWG über Medizinprodukte oder die Verordnung (EU) 2017/745 über Medizinprodukte, sondern auf die Richtlinie 2006/42/EG über Maschinen. Eine vierstellige Kennnummer der für das Konformitätsbewertungsverfahren zuständigen Benannten Stelle, wie sie der CE-Kennzeichnung für ein Medizinprodukt der Risikoklasse IIa im Sinne der Richtlinie 93/42/EWG über Medizinprodukte sowie der Verordnung (EU) 2017/745 über Medizinprodukte beigefügt werden muss, wies der von der Beklagten gelieferte Kompressor nicht auf. Dem Gerät war eine im vorliegenden Verfahren von der Klägerin als Anlage K 5 eingereichte Gebrauchsanweisung für "ölfreie Trockenluftkompressoren 1-2-3 Zylinder" des Herstellers beigefügt. In der Gebrauchsanweisung heißt es:
Wenn saubere, hygienische, sterile oder medizinische Luft benötigt wird, ist der Kompressor trocken (ohne Öl) mit Luftfilterungs- und Lufttrocknungsanlage zu betreiben. Es ist bekannt, dass die von einem normalen Kompressor erzeugte aus Wasser und Öl bestehende Emulsion schädlich für die rotierenden Instrumente des Zahnarztes sind. Da die Luft auch zum Trocknen der Zubereitungen vor der Zementierung verwendet wird, ist offensichtlich, dass auch geringe Spuren einer solchen Emulsion die Zementierung beeinträchtigen können. Das Thema wird noch delikater, wenn die Luft in sterilen Bereichen verwendet wird, denn ein Sterilfilter kann nur bei trockener Luft verwendet werden.
...
Die Auswahl des ölfreien Kompressors hängt von den rotierenden Instrumenten des Zahnarztes oder vom allgemeinen Druckluftbedarf der Praxis, der Klinik oder des Krankenhauses ab. ... Ein Zylinder des Kompressors erzeugt ungefähr 60 I/Min mit einem Druck von 5 bar, während die im Dauerbetrieb laufenden Instrumente des Zahnarztes normalerweise einen Verbrauch von 50/60l/Min Luft mit einem Druck von 2/3 bar nicht überschreiten. Folglich reicht normalerweise ein Zylinder pro Behandlungsstuhl aus. ... Die vom Hersteller gelieferten Verkleidungen und Schallschutzvorrichtungen sind nicht nur Abdeckungen, die die Schallvibrationen verringern, sondern sind auch nützlich, um Explosionen und Brand (selten vorkommend, aber nicht auszuschließen) vorzubeugen.
...
Kompressor und Saugmaschine werden in einem Raum untergebracht, zu dem Patienten, Unbefugten und auch nicht speziell ausgebildetem Praxispersonal der Zugang untersagt ist. ... Eine regelmäßige Kontrolle des Gerätes ... trägt nicht nur dazu bei, einen Stillstand des Behandlungsstuhls oder der Praxis zu vermeiden, sondern ist auch ein Mittel, um Unfällen vorzubeugen.
...
Für eine Praxis, die an fünf Tagen der Woche acht Stunden am Tag arbeitet und in der die Maschinen auch durch das für die ordentliche Wartung zuständige Praxispersonal überwacht werden, reicht eine Kontrolle durch den Techniker alle sechs oder zwölf Monate aus. ... Die Maschine, Leitungen und Behandlungsstühle auf eventuelle Lecks überprüfen. ...
Weitere Angaben zum Anwendungsgebiet der Kompressoren fanden sich auf der Internetseite des Herstellers (Anlage K 6).
Die Klägerin ist der Ansicht, aus den Angaben in der Gebrauchsanweisung sowie auf der Internetseite des Herstellers ergebe sich, dass die von der Beklagten vertriebenen Kompressoren als Zubehör für Medizinprodukte anzusehen seien, die in die Risikoklasse IIa im Sinne der Richtlinie 93/42/EWG über Medizinprodukte sowie der Verordnung (EU) 2017/745 über Medizinprodukte einzuordnen seien. Daraus folge, dass die Kompressoren als Medizinprodukte mit einem CE-Kennzeichen sowie zusätzlich mit einer vierstelligen Kennnummer der für das Konformitätsbewertungsverfahren zuständigen Benannten Stelle zu versehen seien. Die Beklagte habe als Händlerin die Pflicht, die Einhaltung dieser Bestimmungen, die Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Vertriebs seien, zu überprüfen und sicherzustellen. Die Klägerin hat die Beklagte deshalb zur Abgabe einer Unterlassungserklärung aufgefordert. Die Beklagte hat die Abgabe einer Unterlassungserklärung abgelehnt.
Anfang des Jahres 2021 führte die Klägerin bei der Beklagten einen weiteren Testkauf hinsichtlich eines Kompressors aus der Herstellung der C. S.p.A. durch. Die Lieferung erfolgte am 9. Februar 2021. Auch diesem Kompressor, der wie das aufgrund der ersten Bestellung gelieferte Gerät gekennzeichnet war, lag eine der Anlage K 5 entsprechende Gebrauchsanweisung bei.
Die Beklagte ist der Ansicht, die Pflichten des Händlers gemäß der Verordnung (EU) 2017/745 über Medizinprodukte beträfen von vornherein nur solche Produkte, die vom Hersteller ausdrücklich als Medizinprodukt in den Verkehr gebracht worden seien. Bereits daran fehle es im Hinblick auf den in Rede stehenden Kompressor, der vom Hersteller lediglich als technisches Gerät, nicht aber als Medizinprodukt in den Verkehr gebracht worden sei. Jedenfalls handele es sich bei der Entscheidung darüber, ob ein Produkt ein Medizinprodukt sei, um eine komplexe, nicht einfach zu beantwortende Rechtsfrage. Zudem setze ihre Beantwortung umfassende, nur dem Hersteller zur Verfügung stehende Kenntnisse der Produkteigenschaften voraus. Dies gelte erst recht für die Frage, ob ein Medizinprodukt in die Risikoklasse IIa im Sinne der Richtlinie 93/42/EWG über Medizinprodukte sowie der Verordnung (EU) 2017/745 über Medizinprodukte einzuordnen sei. Diese Beurteilung könne von einem Händler nicht geleistet werden und gehöre auch nicht zu seinen Pflichten gemäß der Verordnung (EU) 2017/745. Hinzu komme, dass sie, die Beklagte, alles in ihrer Macht Stehende veranlasst habe, nachdem sie von der Klägerin über die vermeintlich falsche CE-Kennzeichnung informiert worden sei. So habe sie sich nach der Abmahnung mit dem Hersteller in Verbindung gesetzt, der daraufhin bestätigt habe, dass es sich bei dem Produkt nicht um ein Medizinprodukt handele. Außerdem habe sie sich mit der Aufsichtsbehörde in Verbindung gesetzt, die zu dem Ergebnis gekommen sei, dass hoheitliche Maßnahmen nicht erforderlich seien und das Produkt unverändert im Verkehr bleiben könne.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt, es der Beklagten unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verbieten,
ölfreie Trockenluftkompressoren mit der Zweckbestimmung zur Erzeugung von Druckluft für die zahnmedizinische Behandlung, wie in den Anlagen K 5 und K 6 beschrieben, auf dem Markt bereitzustellen, wenn diese nicht als Medizinprodukte mit einem CE-Kennzeichen samt vierstelliger Kennnummer einer Benannten Stelle versehen sind,
hilfsweise:
ölfreie Trockenluftkompressoren mit der Zweckbestimmung zur Erzeugung von Druckluft für die zahnmedizinische Behandlung, wie in den Anlagen K 5 und K 6 beschrieben, auf dem Markt bereitzustellen, wenn diese nicht als Medizinprodukte mit einem CE-Kennzeichen versehen sind.
Darüber hinaus hat die Klägerin bezogen auf die zu unterlassende Handlung die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zum Schadensersatz beantragt sowie Auskunft, Erstattung von Abmahnkosten in Höhe von 2.305,40 € nebst Zinsen sowie - soweit im Revisionsverfahren noch von Bedeutung - von Kosten des im November 2020 durchgeführten (ersten) Testkaufs nebst Zinsen verlangt.
Das Landgericht hat lediglich dem Antrag auf Erstattung der Kosten für den ersten Testkauf in Höhe von 2.241,78 € nebst Zinsen stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen (LG Stade, Urteil vom 20. Oktober 2021 - 8 O 19/21, juris). Auf die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht das Urteil des Landgerichts teilweise abgeändert und die Beklagte gemäß dem Hilfsantrag zur Unterlassung verurteilt. Außerdem hat es insoweit die Schadensersatzverpflichtung der Beklagten festgestellt und sie zur Auskunftserteilung und zur Zahlung der Abmahnkosten nebst Zinsen verurteilt (OLG Celle, WRP 2023, 728).
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin ihren Unterlassungshauptantrag sowie ihren darauf bezogenen Feststellungsantrag weiter. Die Beklagte begehrt mit ihrer Anschlussrevision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, das Berufungsurteil aufzuheben, soweit es über die erstinstanzliche Verurteilung zur Erstattung der Kosten des ersten Testkaufs nebst Zinsen hinausgeht, sowie die Zurückweisung der Berufung der Klägerin.
Aus den Gründen
12 B. Der Erfolg der Revision hängt von der Auslegung des Art. 14 Abs. 1 und Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a und Unterabs. 3 Satz 1 der Verordnung (EU) 2017/745 ab. Vor einer Entscheidung ist deshalb das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 3 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen.
13 I. Das Berufungsgericht hat angenommen, der Klägerin stehe der geltend gemachte Unterlassungsanspruch und der darauf bezogene Antrag auf Feststellung der Schadensersatzpflicht nur im Umfang des Unterlassungshilfsantrags zu. Zur Begründung hat das Berufungsgericht ausgeführt:
14 Die Klägerin könne gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1, § 3 Abs. 1, § 3a UWG von der Beklagten verlangen, Kompressoren, die nach dem Inhalt ihrer Gebrauchsanweisung zur Erzeugung von Druckluft für die zahnmedizinische Behandlung bestimmt seien und daher als Zubehör zu Medizinprodukten anzusehen seien, nicht bereitzustellen, wenn eine medizinprodukterechtliche Konformitätserklärung für die CE-Kennzeichnung fehle. Nicht beanspruchen könne die Klägerin hingegen, dass die Beklagte vor der Bereitstellung die Einstufung der Kompressoren in eine bestimmte Risikoklasse und damit die Notwendigkeit der Angabe der vierstelligen Kennnummer einer Benannten Stelle inhaltlich prüfe.
15 Für die rechtliche Beurteilung sei von Bedeutung, dass die im Streitfall maßgeblichen Rechtsvorschriften geändert worden seien. Da die Klageanträge mit Rechtsverletzungen aufgrund von Lieferungen begründet worden seien, die im November 2020 (erster Testkauf) und Februar 2021 (zweiter Testkauf) stattgefunden hätten, seien zum einen die Bestimmungen des bis zum 25. Mai 2021 geltenden Gesetzes über Medizinprodukte (Medizinproduktegesetz, MPG) maßgeblich. Da der Unterlassungsantrag auf Wiederholungsgefahr gestützt sei und dieser daher nur begründet sei, wenn das beanstandete Verhalten der Beklagten sowohl nach dem zur Zeit seiner Vornahme geltenden Recht als auch nach dem Recht zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung rechtswidrig sei, seien zum anderen auch die nunmehr geltenden Bestimmungen der Verordnung (EU) 2017/745 zu prüfen.
16 Die Beklagte habe zum einen gegen § 6 Abs. 1 Satz 1 MPG verstoßen, nach dem Medizinprodukte in Deutschland nur in den Verkehr gebracht werden dürften, wenn sie gemäß den dafür maßgeblichen Bestimmungen unter Berücksichtigung ihrer Zweckbestimmung mit einer CE-Kennzeichnung versehen seien und das für sie vorgeschriebene Konformitätsbewertungsverfahren nach Maßgabe der gemäß § 37 MPG erlassenen Verordnung über Medizinprodukte (Medizinprodukte-Verordnung, MPV) durchgeführt worden sei. Da es sich bei den von der Beklagten gelieferten ölfreien Trockenluftkompressoren um Zubehör eines Medizinprodukts gehandelt habe, hätte die Beklagte zudem jeweils eine medizinprodukterechtliche Konformitätserklärung beifügen müssen. Auch dies habe die Beklagte unterlassen.
17 Auch nach dem Inkrafttreten der Verordnung (EU) 2017/745 sei der Unterlassungshilfsantrag begründet gewesen. Die die Beklagte als Händlerin gemäß Art. 14 Abs. 1 und 2 Unterabs. 1 Buchst. a und Unterabs. 3 Satz 1 der Verordnung (EU) 2017/745 treffende Verpflichtung, vor dem Bereitstellen unter Anwendung gebührender Sorgfalt zu überprüfen, ob die Kompressoren die CE-Kennzeichnung aufwiesen und eine EU-Konformitätserklärung für das Produkt ausgestellt worden sei, umfasse allerdings lediglich eine formelle Prüfung. Diese setze Grundkenntnisse voraus, welche Produktarten eine solche Konformitätskennzeichnung nebst Konformitätserklärung benötigten, und ob das in Rede stehende Produkt dazu gehöre. Konkret müsse die Beklagte als Händlerin bei Anwendung der gebührenden Sorgfalt wissen, welche Produkte mit der CE-Kennzeichnung zu versehen seien und einer medizinprodukterechtlichen Konformitätserklärung bedürften. Dazu müsse sie in der Lage sein, Medizinprodukte und deren Zubehör anhand der Gebrauchsanweisung zu erkennen. Sie müsse sich dann vor dem Bereitstellen vom Hersteller dieser Produkte eine EU-Konformitätserklärung nach der Verordnung (EU) 2017/745 vorlegen lassen. Diesen Anforderungen sei die Beklagte nicht gerecht geworden.
18 Dagegen gehöre eine für die Begründetheit des Unterlassungshauptantrags erforderliche inhaltliche Bewertung der vom Hersteller beigebachten EU-Konformitätserklärung einschließlich der Klassifizierung der Kompressoren in eine der Risikoklassen gemäß den Bestimmungen der Verordnung (EU) 2017/745 nicht zu der von der Beklagten als Händlerin vorzunehmenden formellen Prüfung. Indem der Hersteller die EU-Konformitätserklärung erstelle, übernehme er gemäß Art. 19 Abs. 2 der Verordnung (EU) 2017/745 die Verantwortung dafür, dass das Produkt allen geltenden Rechtsvorschriften der Europäischen Union entspreche. Zwar habe der Händler gemäß Art. 14 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EU) 2017/745 ebenfalls eine wichtige Funktion bei der Gewährleistung rechtskonformer Produkte. Er müsse aber nur diejenigen Bestimmungen der Verordnung (EU) 2017/745 kennen, die zur Erfüllung seiner Pflichten gemäß Art. 14 Abs. 2 bis 6 der Verordnung zu beachten seien. Die Klassifizierungsregelungen gehörten nicht dazu. Den Händlern seien die technischen Dokumentationen, die einer Klassifizierung zugrunde lägen, nicht zugänglich. Sie könnten diese folglich auch nicht selbst prüfen.
19 II. Die Vorlagefragen zur Auslegung des Art. 14 Abs. 1 und 2 Unterabs. 1 Buchst. a und Unterabs. 3 Satz 1 der Verordnung (EU) 2017/745 sind entscheidungserheblich, weil von ihrer Beantwortung die Begründetheit (zumindest) der Unterlassungsanträge abhängt.
20 1. Der von der Klägerin auf Wiederholungsgefahr gestützte Unterlassungsanspruch nach § 8 Abs. 1 Satz 1 UWG besteht nur, wenn das beanstandete Verhalten der Beklagten sowohl zum Zeitpunkt seiner Vornahme rechtswidrig war als auch zum Zeitpunkt der Revisionsverhandlung rechtswidrig ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 2. Juni 2022 - I ZR 140/15, BGHZ 234, 56 [juris Rn. 68] - YouTube II, mwN; Beschluss vom 12. Januar 2023 - I ZR 223/19, GRUR 2023, 264 = WRP 2023, 324 [juris Rn. 28] - Arzneimittelbestelldaten). Da sich die Rechtslage nach den gerügten Verletzungshandlungen im November 2020 und Februar 2021 geändert hat, sind für die rechtliche Beurteilung sowohl die Vorschriften des bis zum 25. Mai 2021 gültigen Medizinproduktegesetzes und der Medizinprodukteverordnung sowie der diesen zugrundeliegenden Regelungen der Richtlinie 93/42/EWG über Medizinprodukte als auch die derzeit geltende Rechtslage gemäß den Bestimmungen der Verordnung (EU) 2017/745 über Medizinprodukte maßgeblich. Insbesondere kommt es darauf an, ob ein Verstoß der Beklagten sowohl gegen § 6 Abs. 1 Satz 1 MPG als auch - was durch die Vorlagefragen zu klären ist - gegen Art. 14 Abs. 1 und 2 Unterabs. 1 Buchst. a und Unterabs. 3 Satz 1 der Verordnung (EU) 2017/745 vorliegt.
21 2. Das von der Klägerin beanstandete Verhalten war zum Zeitpunkt seiner Vornahme rechtswidrig. Mit den Lieferungen auf die Testkäufe der Klägerin hat die Beklagte dem Verbot gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 MPG zuwidergehandelt. Nach dieser Vorschrift dürfen Medizinprodukte - mit im Streitfall nicht in Betracht kommenden Ausnahmen - in Deutschland nur in den Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen werden, wenn sie mit einer CE-Kennzeichnung versehen sind.
22 III. Ob das von der Klägerin beanstandete Verhalten der Beklagten auch nach dem zum Zeitpunkt der Revisionsverhandlung geltenden Recht gegen Art. 14 Abs. 1 und 2 Unterabs. 1 Buchst. a und Unterabs. 3 Satz 1 der Verordnung (EU) 2017/745 verstößt, hängt von der Auslegung dieser unionsrechtlichen Bestimmungen ab.
23 1. Gemäß Art. 14 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2017/745 berücksichtigen die Händler, die ein Produkt auf dem Markt bereitstellen, im Rahmen ihrer Tätigkeiten die geltenden Anforderungen mit der gebührenden Sorgfalt. Nach Art. 14 Abs. 2 Unterabs. 1 der Verordnung (EU) 2017/745 überprüfen die Händler, bevor sie ein Produkt auf dem Markt bereitstellen, die in den Buchstaben a bis d geregelten Anforderungen. Gemäß Art. 14 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a der Verordnung muss das Produkt die CE-Kennzeichnung tragen, und es muss eine EU-Konformitätserklärung für das Produkt ausgestellt worden sein. Ist ein Händler der Auffassung oder hat er Grund zu der Annahme, dass ein Produkt nicht den Anforderungen der Verordnung entspricht, darf er das betreffende Produkt nicht auf dem Markt bereitstellen, bevor die Konformität des Produkts hergestellt ist; in diesem Fall informiert er den Hersteller und gegebenenfalls den Bevollmächtigten des Herstellers und den Importeur (Art. 14 Abs. 2 Unterabs. 3 Satz 1 der Verordnung [EU] 2017/745).
24 2. Da die Klägerin mit ihrem Unterlassungshauptantrag das Verbot erstrebt, ölfreie Trockenluftkompressoren mit der Zweckbestimmung zur Erzeugung von Druckluft für die zahnmedizinische Behandlung, wie in den Anlagen K 5 und K 6 beschrieben, auf dem Markt bereitzustellen, wenn diese nicht als Medizinprodukt mit einem CE-Kennzeichen samt vierstelliger Kennnummer einer Benannten Stelle versehen sind, und mit ihrem Unterlassungshilfsantrag das Verbot erstrebt, solche Trockenluftkompressoren auf dem Markt bereitzustellen, wenn diese nicht als Medizinprodukt mit einem CE-Kennzeichen versehen sind, ist zu prüfen, ob die Beklagte als Händlerin Grund zu der Annahme hatte, dass die der Beklagten gelieferten Trockenluftkompressoren nicht den Anforderungen der Verordnung entsprechen, weil sie zum einen keine CE-Kennzeichnung als Medizinprodukt (dazu B III 3) und zum anderen keine Kennnummer einer Benannten Stelle tragen (dazu B III 4). Dabei ist jeweils zwischen dem ersten und dem zweiten Testkauf zu unterscheiden, weil sich die Frage stellt, ob die Beklagte jedenfalls aufgrund der nach dem ersten Testkauf ausgesprochenen Abmahnung einen Grund für diese Annahme hatte.
25 3. Die Klägerin könnte gegen das Verbot aus Art. 14 Abs. 1 und 2 Unterabs. 1 Buchst. a und Unterabs. 3 Satz 1 der Verordnung (EU) 2017/745, ein Produkt auf dem Markt bereitzustellen, das nicht den Anforderungen der Verordnung entspricht, verstoßen haben, wenn sie Grund zu der Annahme hatte, dass die der Beklagten gelieferten Trockenluftkompressoren nicht den Anforderungen der Verordnung entsprechen, weil sie keine CE-Kennzeichnung als Medizinprodukt tragen.
26 a) Bei den ölfreien Trockenluftkompressoren handelt es sich um Produkte im Sinne der Verordnung, nämlich um Zubehör eines Medizinprodukts.
27 aa) Gemäß Art. 1 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung (EU) 2017/745 werden mit dieser Verordnung Regeln für das Inverkehrbringen, die Bereitstellung auf dem Markt und die Inbetriebnahme von für den menschlichen Gebrauch bestimmten Medizinprodukten und deren Zubehör in der Union festgelegt. Der Begriff "Medizinprodukt" bezeichnet gemäß Art. 2 Nr. 1 der Verordnung (EU) 2017/745 ein Instrument, einen Apparat, ein Gerät, eine Software, ein Implantat, ein Reagenz, ein Material oder einen anderen Gegenstand, das dem Hersteller zufolge für Menschen bestimmt ist und allein oder in Kombination einen oder mehrere der in dieser Bestimmung im Einzelnen aufgeführten spezifischen medizinischen Zwecke erfüllen soll. Zu den spezifischen Zwecken gehören nach dem ersten Spiegelstrich des Art. 2 Nr. 1 der Verordnung (EU) 2017/745 die Diagnose, Verhütung, Überwachung, Vorhersage, Prognose, Behandlung oder Linderung von Krankheiten. "Zubehör eines Medizinprodukts" bezeichnet gemäß Art. 2 Nr. 2 der Verordnung (EU) 2017/745 einen Gegenstand, der zwar an sich kein Medizinprodukt ist, aber vom Hersteller dazu bestimmt ist, zusammen mit einem oder mehreren bestimmten Medizinprodukten verwendet zu werden, und der speziell dessen/deren Verwendung gemäß seiner/ihrer Zweckbestimmung(en) ermöglicht oder mit dem die medizinische Funktion des Medizinprodukts bzw. der Medizinprodukte im Hinblick auf dessen/deren Zweckbestimmung(en) gezielt und unmittelbar unterstützt werden soll. Der Begriff "Zweckbestimmung" bezeichnet gemäß Art. 2 Nr. 12 der Verordnung (EU) 2017/745 die Verwendung, für die ein Produkt entsprechend den Angaben des Herstellers auf der Kennzeichnung, in der Gebrauchsanweisung oder dem Werbe- oder Verkaufsmaterial bzw. der Werbe- oder Verkaufsangaben und seinen Angaben bei der klinischen Bewertung bestimmt ist. Mit "Gebrauchsanweisung" sind gemäß Art. 2 Nr. 14 der Verordnung (EU) 2017/745 die vom Hersteller zur Verfügung gestellten Informationen gemeint, in denen der Anwender über die Zweckbestimmung und korrekte Verwendung eines Produkts sowie über eventuell zu ergreifende Vorsichtsmaßnahmen unterrichtet wird.
28 bb) Das Berufungsgericht hat der als Anlage K 5 eingereichten Gebrauchsanweisung des Herstellers für "ölfreie Trockenluftkompressoren 1-2-3 Zylinder", die den streitgegenständlichen Produkten beigefügt war, ohne Rechtsfehler entnommen, dass die Kompressoren vom Hersteller in erster Linie dazu bestimmt sind, mit einer zahnmedizinischen Einheit zur Behandlung von Menschen, also mit einem Medizinprodukt, verwendet zu werden und deren medizinische Funktion zu unterstützen. Damit liegen die Voraussetzungen vor, die für die Qualifizierung des Produkts als Zubehör eines Medizinprodukts erforderlich sind. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Rügen der Beklagten greifen nicht durch.
29 b) Die Beklagte hat zudem die Trockenluftkompressoren auf dem Markt bereitgestellt, indem sie diese im Rahmen ihrer Tätigkeit als deutsche Werksvertretung des Herstellers an die Klägerin entgeltlich veräußert hat. Der Begriff "Bereitstellung auf dem Markt" bezeichnet gemäß Art. 2 Nr. 27 der Verordnung (EU) 2017/745 jede entgeltliche oder unentgeltliche Abgabe eines Produkts, mit Ausnahme von Prüfprodukten, zum Vertrieb, zum Verbrauch oder zur Verwendung auf dem Unionsmarkt im Rahmen einer gewerblichen Tätigkeit.
30 c) Die Beklagte handelte dabei als Händler. Mit diesem Begriff wird gemäß Art. 2 Nr. 34 der Verordnung (EU) 2017/745 jede natürliche oder juristische Person in der Lieferkette bezeichnet, die ein Produkt bis zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme auf dem Markt bereitstellt, mit Ausnahme des Herstellers oder des Importeurs.
31 d) Für das Revisionsverfahren ist davon auszugehen, dass die von der Beklagten gelieferten Kompressoren nicht den Anforderungen der Verordnung (EU) 2017/745 genügten, weil sie nicht die nach Art. 20 Abs. 1 dieser Verordnung erforderliche CE-Kennzeichnung trugen.
32 aa) Gemäß Art. 20 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2017/745 tragen - mit Ausnahme der hier nicht relevanten Sonderanfertigungen oder Prüfprodukte - alle Produkte, die als den Anforderungen dieser Verordnung entsprechend betrachtet werden, die CE-Konformitätskennzeichnung gemäß Anhang V. Gemäß Art. 2 Nr. 43 der Verordnung (EU) 2017/745 wird mit der "CE-Konformitätskennzeichnung" oder der "CE-Kennzeichnung" eine Kennzeichnung bezeichnet, durch die ein Hersteller angibt, dass ein Produkt den einschlägigen Anforderungen genügt, die in dieser Verordnung oder in anderen Rechtsvorschriften der Union über die Anbringung der betreffenden Kennzeichnung festgelegt sind. Da es sich bei den von der Beklagten gelieferten Kompressoren um das Zubehör eines Medizinprodukts handelt, waren sie mit einer CE-Konformitätskennzeichnung zu versehen, durch die der Hersteller angibt, dass die Kompressoren den in der Verordnung (EU) 2017/745 festgelegten Anforderungen genügen.
33 bb) Daran fehlte es im Streitfall. Die von der Beklagten gelieferten Kompressoren trugen nach den Feststellungen des Berufungsgerichts zwar ein CE-Kennzeichen; dieses bezog sich aber gemäß der Konformitätserklärung des Herstellers auf die Richtlinie 2006/42/EG über Maschinen.
34 e) Das von der Klägerin mit ihren Unterlassungsanträgen verfolgte Bereitstellungsverbot gemäß Art. 14 Abs. 2 Unterabs. 3 der Verordnung (EU) 2017/745 setzt voraus, dass die Beklagte Grund zu der Annahme gehabt hat, dass die der Klägerin gelieferten Trockenluftkompressoren nicht den Anforderungen der Verordnung entsprechen, weil sie keine CE-Kennzeichnung als Medizinprodukt trugen. Einen Grund zu dieser Annahme hätte die Beklagte gehabt, wenn sie nach Art. 14 Abs. 1 und 2 Unterabs. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) 2017/745 verpflichtet gewesen wäre, vor einer Bereitstellung dieser Produkte auf dem Markt zu überprüfen, ob der auf den Kompressoren angebrachten CE-Kennzeichnung ein Konformitätsbewertungsverfahren für Medizinprodukte zugrunde lag, die Kompressoren also als Medizinprodukte mit einem CE-Kennzeichen versehen waren. Bei der Prüfung, ob die Beklagte diese Pflicht verletzt hat, ist zwischen dem ersten und dem zweiten Testkauf zu unterscheiden. Der Klärung der sich daraus ergebenden Fragen zur Auslegung des Unionsrechts dienen die Vorlagefragen 1 und 2 (dazu B III 3 d aa) sowie 4 und 5 (dazu B III 3 bb).
35 aa) Im Hinblick auf den ersten Testkauf stellt sich die Frage, ob die Beklagte als Händlerin gemäß Art. 14 Abs. 1 und 2 Unterabs. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) 2017/745 vor der Bereitstellung eines mit einer CE-Kennzeichnung versehenen Produkts auf dem Markt zur Prüfung verpflichtet ist, ob das Produkt als Medizinprodukt anzusehen ist und deshalb eine CE-Kennzeichnung als Medizinprodukt trägt sowie vom Hersteller eine EU-Konformitätserklärung als Medizinprodukt ausgestellt worden ist (Vorlagefrage 1). Weiterhin ist fraglich, ob es für die Beantwortung der Vorlagefrage 1 von Bedeutung ist, ob das Produkt überhaupt mit einer CE-Kennzeichnung versehen worden ist, gegebenenfalls ob es als Medizinprodukt oder Zubehör eines Medizinprodukts oder aber - wie im Streitfall - nicht als Medizinprodukt oder Zubehör eines Medizinprodukts, sondern bezogen auf die Richtlinie 2006/42/EG über Maschinen mit einer CE-Kennzeichnung versehen worden ist (Vorlagefrage 2).
36 (1) Die Bedeutung und Tragweite eines unionsrechtlichen Rechtsbegriffs, der im einschlägigen Unionsrecht nicht definiert ist, ist entsprechend seinem Sinn nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch zu bestimmen, wobei zu berücksichtigen ist, in welchem Zusammenhang er verwendet wird und welche Ziele mit der Regelung verfolgt werden, zu der er gehört (vgl. EuGH, GRUR 2014, 972 [juris Rn. 19] - Deckmyn und Vrijheidsfonds; EuGH, Urteil vom 7. April 2022 - C-668/20, ZfZ 2022, 184 [juris Rn. 67]).
37 (2) Dem Wortlaut von Art. 14 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EU) 2017/745 lässt sich weder ausdrücklich entnehmen, dass Grundvoraussetzung einer Überprüfungspflicht des Händlers die Einstufung des in Rede stehenden Produkts als Medizinprodukt oder Zubehör eines Medizinprodukts durch den Hersteller ist, noch wird für den Fall einer solchen Einstufung durch den Händler die Überprüfung dieser Einstufung ausdrücklich zum Gegenstand der Überprüfungspflicht des Händlers erklärt.
38 Zu berücksichtigen ist allerdings, dass der Wortlaut des Art. 14 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2017/745 keine uneingeschränkte Prüfungspflicht des Händlers bestimmt, sondern diese in zweierlei Hinsicht begrenzt. Zum einen hat der Händler die geltenden Anforderungen lediglich im Rahmen seiner Tätigkeiten zu berücksichtigen. Zum anderen muss der Händler nur die gebührende Sorgfalt walten lassen. Berücksichtigt man, dass nach den Bestimmungen der Verordnung (EU) 2017/745 der Hersteller für die ordnungsgemäße CE-Kennzeichnung zuständig ist (Art. 2 Nr. 43 der Verordnung (EU) 2017/745) und er durch die Abgabe der EU-Konformitätserklärung die Verantwortung dafür übernimmt, dass das Produkt den Anforderungen der Verordnung sowie allen anderen für das Produkt geltenden Rechtsvorschriften der Union entspricht (Art. 19 Abs. 3 der Verordnung (EU) 2017/745), könnte Art. 14 Abs. 1 dieser Verordnung dahingehend auszulegen sein, dass der Händler nur dann die Anforderungen der Verordnung für Medizinprodukte in den Blick nehmen muss, wenn der Hersteller das Produkt als Medizinprodukt oder Zubehör eines Medizinprodukts eingeordnet hat.
39 (3) Für diese - von der Beklagten vertretene - Ansicht könnte zudem Erwägungsgrund 27 der Verordnung (EU) 2017/745 sprechen, wonach die allgemeinen Verpflichtungen der verschiedenen Wirtschaftsakteure, einschließlich der Importeure und Händler, unbeschadet der besonderen, in den verschiedenen Teilen der Verordnung niedergelegten Verpflichtungen klar festgelegt werden sollten, damit die jeweiligen Wirtschaftsakteure ihre in dieser Verordnung festgelegten Verpflichtungen besser verstehen und somit die Regulierungsvorschriften auch besser einhalten können. Der damit angesprochene Aspekt der Schaffung von Rechtssicherheit hinsichtlich der den jeweiligen Wirtschaftsakteuren obliegenden Pflichten hat auch in Erwägungsgrund 36 der Verordnung (EU) 2017/745 Niederschlag gefunden. Es liegt auf der Hand, dass es für den Händler eine klare Festlegung darstellte, wenn er nicht von sich aus, sondern nur bei einer entsprechenden Einstufung durch den Hersteller prüfen müsste, ob das von ihm vertriebene Produkt als Medizinprodukt oder Zubehör eines Medizinprodukts unter den Regelungsbereich der Verordnung fällt.
40 (4) Demgegenüber dürften Sinn und Zweck des Art. 14 der Verordnung (EU) 2017/745 dafür sprechen, eine Prüfungspflicht des Händlers auch dann anzunehmen, wenn der Hersteller das in Rede stehende Produkt nicht als Medizinprodukt oder Zubehör eines Medizinprodukts eingestuft hat.
41 Die Bestimmungen der Verordnung (EU) 2017/745 sollen ausweislich der Erwägungsgründe 1 und 2 ein hohes Niveau an Sicherheit und Gesundheitsschutz für Patienten und Anwender gewährleisten. Die in der Verordnung festgelegten hohen Standards für die Qualität und Sicherheit von Medizinprodukten sollen allgemeine Sicherheitsbedenken hinsichtlich dieser Produkte ausräumen (Erwägungsgrund 2). Diesen Zielen dient ersichtlich der Umstand, dass der Verordnungsgeber zusätzlich zur grundsätzlichen Verantwortlichkeit des Herstellers die in Art. 14 der Verordnung (EU) 2017/745 geregelten Pflichten des Händlers geschaffen hat, zu denen in Art. 14 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) 2017/745 ausdrücklich die im Streitfall in Rede stehende Überprüfung der originär dem Hersteller obliegenden CE-Kennzeichnung und EU-Konformitätserklärung gehören. Die sich daraus ergebende Schaffung einer weiteren für die Erfüllung der in der Verordnung aufgestellten Anforderungen verantwortlichen Instanz ist mit Blick auf die angestrebte Gewährleistung der Produktsicherheit und des Gesundheitsschutzes umso wirksamer, je umfassender die Prüfungspflichten des Händlers verstanden werden. Dem entspricht es, dass dem Händler nach der Bekanntmachung der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Produktvorschriften der EU 2022 (ABl. 2022/C 247/01, nachfolgend: Blue Guide) bei der Marktüberwachung eine "Schlüsselrolle" (Blue Guide S. 41 unter 3.4) bzw. eine "wichtige Rolle" (Blue Guide S. 151) zukommen soll.
42 Allerdings sollen die Bestimmungen der Verordnung (EU) 2017/745 auch innovationsfördernd wirken (Erwägungsgrund 1) und die Interessen der im Sektor für Medizinprodukte tätigen kleinen und mittleren Unternehmen berücksichtigen (Erwägungsgrund 2). Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass diese Interessen über Gebühr eingeschränkt werden, wenn man den Händlern im Interesse des Gesundheitsschutzes zumutet, bei der Bereitstellung eines Produkts auf dem Markt im Rahmen ihrer Tätigkeit mit der gebührenden Sorgfalt zu prüfen, ob es sich bei einem Produkt um ein Medizinprodukt oder Zubehör eines Medizinprodukts handelt und ob dieses Produkt die danach erforderliche CE-Kennzeichnung trägt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass diese Prüfung entgegen der Ansicht der Beklagten nicht nur anhand von allein dem Hersteller vorliegenden technischen Dokumentationen vorgenommen werden kann. Die Einordnung ist vielmehr gemäß Art. 2 Nr. 12 der Verordnung (EU) 2017/745 anhand der vom Hersteller etwa in der Gebrauchsanweisung oder in Werbe- und Verkaufsmaterialien dokumentierten Zweckbestimmung und damit auf der Grundlage von Unterlagen zu prüfen, die einem Händler ohnehin zur Verfügung stehen und unschwer verständlich sein sollten. Auch die Kommission geht davon aus, dass ein Händler nach der von ihm zu erwartenden angemessenen Sorgfalt wissen sollte, welche Produkte mit einer CE-Kennzeichnung zu versehen sind, welche Unterlagen (z.B. EU-Konformitätserklärung) das Produkt begleiten müssen und welche Umstände eindeutig für die Nichtkonformität des Produkts sprechen (Blue Guide S. 41 unter 3.4).
43 (5) Entgegen der Ansicht der Beklagten ergibt sich auch aus dem Regelungszusammenhang des Art. 14 der Verordnung (EU) 2017/745 nicht, dass die Frage der Einordnung des Produkts als Medizinprodukt oder als Zubehör eines Medizinprodukts von der Prüfungspflicht des Händlers von vornherein ausgenommen ist.
44 (a) Zwar legt die insoweit von der Beklagten angeführte Bestimmung des Art. 16 der Verordnung (EU) 2017/745 fest, unter welchen Bedingungen den Händler im Einzelfall sämtliche Pflichten des Herstellers treffen. Die im Streitfall relevante Frage, inwieweit der Händler zur Überprüfung der originär vom Hersteller vorzunehmenden CE-Kennzeichnung verpflichtet ist, bestimmt sich aber allein nach Art. 14 der Verordnung (EU) 2017/745. Dementsprechend ist auch unerheblich, dass der Hersteller mit der Erstellung der EU-Konformitätserklärung gemäß Art. 19 Abs. 3 der Verordnung (EU) 2017/745 die Verantwortung dafür übernimmt, dass das Produkt den Anforderungen dieser Verordnung sowie aller anderen für das Produkt geltenden Unionsvorschriften entspricht. Gegenstand von Art. 14 der Verordnung (EU) 2017/745 ist eine regelungssystematisch davon zu unterscheidende, offensichtlich dem "Mehr-Augen-Prinzip" folgende Pflicht zur Überprüfung der vom Hersteller vorgenommenen Handlungen durch den Händler in eigener Verantwortung im Interesse der Erhöhung der Produktsicherheit und des Gesundheitsschutzes.
45 (b) Soweit die Beklagte geltend macht, aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zum Pflichtenkreis eines Importeurs einer Maschine (EuGH, Urteil vom 8. September 2005 - 40/04, Slg. 2005, I-7755 = NJW 2006, 204 [juris Rn. 44] - Yonemoto) ergebe sich, dass die Übertragung der Aufgaben des Herstellers auf die Ebene des Importeurs und damit auch des Händlers der Gesetzessystematik widerspreche, lässt sie unberücksichtigt, dass die entsprechende Entscheidung des Gerichtshofs zur Richtlinie 98/37/EG über Maschinen und damit zu einer Regelung ergangen ist, die - anders als Art. 14 der Verordnung (EU) 2017/745 - gerade keine originären Überprüfungspflichten des Händlers in Bezug auf die CE-Kennzeichnung vorsieht.
46 (6) Der Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen 1 und 2 steht nicht die Behauptung der Beklagten entgegen, sie habe alles in ihrer Macht Stehende veranlasst, nachdem sie von der Klägerin in der Abmahnung über die vermeintlich falsche CE-Kennzeichnung informiert worden sei. Ein Unterlassungsanspruch kann bereits deshalb begründet sein, weil die Beklagte vor der Abmahnung der Klägerin nicht nach Maßgabe des Art. 14 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) 2017/745 geprüft hat, ob das streitgegenständliche Produkt als Zubehör eines Medizinprodukts gekennzeichnet werden muss. Für den Fall, dass die Beantwortung der Vorlagefragen 1 und 2 ergibt, dass die Überprüfung der Einstufung des auf dem Markt bereitgestellten Produkts als Medizinprodukt oder Zubehör eines Medizinprodukts zur originären Prüfungspflicht des Händlers gehört, hätte die Beklagte diese Pflicht verletzt und damit eine den Unterlassungsanspruch auslösende Wiederholungsgefahr begründet. Diese kann nicht durch die von der Beklagten behaupteten Aktivitäten zur Überprüfung der von der Klägerin in ihrer Abmahnung vertretenen Beurteilung, sondern im Regelfall allein durch die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserklärung beseitigt werden (vgl. BGH, Urteil vom 14. Januar 2016 - I ZR 65/14, GRUR 2016, 946 [juris Rn. 53] = WRP 2016, 958 - Freunde finden, mwN). Eine solche hat die Beklagte aber nicht abgegeben.
47 bb) Da die Beklagte der Klägerin nach der Abmahnung aufgrund des zweiten Testkaufs einen weiteren Kompressor mit der entsprechenden Kennzeichnung geliefert hat, stellt sich außerdem die Frage, ob sich die mit der Abmahnung verbundene Inkenntnissetzung von der Rechtsansicht der Klägerin auf den Umfang der Prüfungspflicht der Beklagten auswirkt (Vorlagefrage 4). Weiterhin ist fraglich, ob es für die Beantwortung der Vorlagefrage 4 von Bedeutung ist, ob die Abmahnung einen klaren Hinweis auf eine Rechtsverletzung enthält (Vorlagefrage 5 a) und ob dem Händler auf seine Nachfrage vom Hersteller oder einer Behörde mitgeteilt worden ist, die mit der Abmahnung erhobenen Beanstandungen seien unbegründet (Vorlagefrage 5 b). Die Beklagte hat insoweit geltend gemacht, sie habe sich nach der Abmahnung mit dem Hersteller in Verbindung gesetzt, der daraufhin bestätigt habe, dass es sich bei dem Produkt nicht um ein Medizinprodukt handele. Außerdem habe sie sich mit der Aufsichtsbehörde in Verbindung gesetzt, die zu dem Ergebnis gekommen sei, dass hoheitliche Maßnahmen nicht erforderlich seien und das Produkt unverändert im Verkehr bleiben könne.
48 (1) Die Beklagte hat im Streitfall trotz der Abmahnung der Klägerin auf den zweiten Testkauf erneut einen nicht ordnungsgemäß gekennzeichneten Kompressor geliefert und damit wiederum Zubehör eines Medizinprodukts auf dem Markt bereitgestellt, das den Kennzeichnungsanforderungen gemäß Art. 14 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) 2017/745 nicht entspricht. Ob darin eine eigenständige Verletzung ihrer Überprüfungspflicht zu sehen ist, hängt davon ab, ob ein Händler jedenfalls dann, wenn er - wie im Streitfall - von einem Wettbewerber durch eine Abmahnung von dessen Rechtsansicht Kenntnis erlangt, der vom Händler auf dem Markt bereitgestellte Gegenstand sei nicht gemäß den Anforderungen des Art. 14 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) 2017/745 mit der erforderlichen CE-Kennzeichnung sowie einer Kennnummer einer Benannten Stelle versehen, im Sinne von Art. 14 Abs. 2 Unterabs. 3 in Verbindung mit Art. 14 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2017/745 Grund zu der Annahme hat, dass das von ihm am Markt bereitgestellte Produkt nicht den Anforderungen der Verordnung (EU) 2017/745 entspricht. Diese Frage ist nicht eindeutig zu beantworten.
49 (2) Wann ein Händler Grund zu der Annahme hat, dass ein Produkt nicht den Anforderungen der Verordnung entspricht, lässt sich dem Wortlaut des Art. 14 Abs. 2 Unterabs. 3 der Verordnung (EU) 2017/745 nicht ausdrücklich entnehmen. Ausgehend vom natürlichen Wortsinn des Begriffs "Grund zur Annahme" und dem allgemeinen Maßstab der gebührenden Sorgfalt im Sinne von Art. 14 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2017/745 könnte dieser jedoch jeden Gesichtspunkt umfassen, den ein vernünftiger, mit normaler Umsicht handelnder Händler, der unter Berücksichtigung der Umstände angemessene Anstrengungen unternimmt, Schaden von anderen abzuwenden, zum Anlass nehmen wird, die Frage der Kennzeichnung des Produkts gemäß den Anforderungen der Verordnung (EU) 2017/745 zu überprüfen (vgl. Blue Guide S. 41, unter 3.4 bei Fußnote 146).
50 Ein nach diesen Maßstäben handelnder Händler muss die Abmahnung eines Wettbewerbers nach Ansicht des Senats jedenfalls dann zum Anlass einer Prüfung der Kennzeichnung nehmen, wenn sie einen klaren Hinweis auf eine Rechtsverletzung enthält, also so konkret gefasst ist, dass der Adressat den Rechtsverstoß unschwer und ohne eingehende rechtliche oder tatsächliche Überprüfung feststellen kann (zu diesem Maßstab vgl. BGHZ 234, 56 [juris Rn. 115] - YouTube II, mwN). Für ein solches Verständnis der Händlerpflichten sprechen Sinn und Zweck der Verordnung (EU) 2017/745 im Allgemeinen und der Regelung der Händlerpflichten im Sinne von Art. 14 dieser Verordnung im Besonderen, die Produktsicherheit und den Gesundheitsschutz zu gewährleisten.
51 Dagegen kann sich nach Ansicht des Senats ein Händler nicht mit Erfolg darauf berufen, ihm sei auf seine Nachfrage vom Hersteller oder einer Behörde mitgeteilt worden, die mit der Abmahnung erhobenen Beanstandungen seien unbegründet. Ein Händler, der Grund zu der Annahme hat, ein Produkt entspreche nicht den Anforderungen der Verordnung, ist nach Art. 14 Abs. 2 Unterabs. 3 Satz 1 der Verordnung (EU) 2017/745 nicht nur verpflichtet, den Hersteller und gegebenenfalls dessen Bevollmächtigten und den Importeur zu informieren; vielmehr darf er das betreffende Produkt auch nicht auf dem Markt bereitstellen, bevor dessen Konformität hergestellt ist. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist es ausgeschlossen, dass sich der Händler gegenüber dem Hersteller schadensersatzpflichtig macht, wenn er unter diesen Umständen den Vertrieb des Produkts verweigert.
52 4. Die Beklagte könnte darüber hinaus gegen das Verbot aus Art. 14 Abs. 1 und 2 Unterabs. 1 Buchst. a und Abs. 2 Unterabs. 3 Satz 1 der Verordnung (EU) 2017/745, ein Produkt auf dem Markt bereitzustellen, das nicht den Anforderungen der Verordnung entspricht, verstoßen haben, wenn sie Grund zu der Annahme hatte, dass die von ihr gelieferten Trockenluftkompressoren nicht den Anforderungen der Verordnung entsprechen, weil die Kompressoren keine Kennnummer einer Benannten Stelle trugen.
53 a) Das Berufungsgericht hat angenommen, die Beurteilung der Klassifizierung eines Medizinprodukts obliege allein dem Hersteller und gehöre nicht zu der auf eine formelle Überprüfung begrenzten Pflicht des Händlers gemäß Art. 14 der Verordnung (EU) 2017/745. Die Klägerin ist demgegenüber der Ansicht, die Überprüfungspflicht des Händlers umfasse auch die Frage, ob das in Rede stehende Produkt als Medizinprodukt oder Zubehör eines Medizinprodukts mit der vierstelligen Kennnummer der Benannten Stelle versehen sein müsse (ebenso Hill/Schmitt, Medizinprodukterecht, Bd. II, Kap. B I Art. 14 MDR Rn. 9 und 13; Handorn, Die Medizinprodukte-Verordnung (EU) 2017/745, S. 141 f.; Ulmer, MPR 2019, 184, 187; zum alten Recht VG Stuttgart, PharmR 2000, 97, 101), so dass auch der Unterlassungshauptantrag begründet sei.
54 b) In der Revisionsinstanz ist davon auszugehen, dass die Anforderungen der Verordnung (EU) 2017/745 im Streitfall auch deshalb nicht erfüllt sind, weil der von der Beklagten gelieferte Kompressor nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht die Kennnummer der für die Konformitätsbewertungsverfahren gemäß Art. 52 der Verordnung (EU) 2017/745 zuständigen Benannten Stelle hinzugefügt war.
55 aa) Nach Art. 20 Abs. 5 der Verordnung (EU) 2017/745 wird, wo erforderlich, der CE-Kennzeichnung die Kennnummer der für die Konformitätsbewertungsverfahren gemäß Art. 52 der Verordnung (EU) 2017/745 zuständigen Benannten Stelle hinzugefügt. Gemäß Art. 52 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2017/745 führen Hersteller vor dem Inverkehrbringen eines Produkts eine Bewertung der Konformität des Produkts im Einklang mit den in den Anhängen IX bis XI aufgeführten geltenden Konformitätsbewertungsverfahren durch. Nach Art. 51 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2017/745 werden Produkte unter Berücksichtigung ihrer Zweckbestimmung und der damit verbundenen Risiken in die Klassen I, IIa, IIb und III eingestuft und erfolgt die Klassifizierung gemäß Anhang VIII der Verordnung.
56 bb) Für das Revisionsverfahren ist davon auszugehen, dass die streitgegenständlichen Kompressoren gemäß der Regel 9 des Anhangs VIII der Verordnung zur Klasse IIa gehören.
57 (1) Gemäß der in Anhang VIII, Kapitel III unter Nummer 6.1. bestimmten Regel 9 gehören alle aktiven therapeutischen Produkte, die zur Abgabe oder zum Austausch von Energie bestimmt sind, zur Klasse IIa, es sei denn, die Abgabe von Energie an den menschlichen Körper oder der Austausch von Energie mit dem menschlichen Körper kann unter Berücksichtigung der Art, der Dichte und des Körperteils, an dem die Energie angewandt wird, aufgrund der Merkmale des Produkts eine potenzielle Gefährdung darstellen; in diesem Fall werden sie der Klasse IIb zugeordnet. Der Begriff "aktives therapeutisches Produkt" bezeichnet gemäß Anhang VIII Kapitel I Nummer 2.4 ein aktives Produkt, das entweder getrennt oder in Verbindung mit anderen Produkten verwendet wird und dazu bestimmt ist, biologische Funktionen oder Strukturen im Zusammenhang mit der Behandlung oder Linderung einer Krankheit, Verwundung oder Behinderung zu erhalten, zu verändern, zu ersetzen oder wiederherzustellen. Gemäß Anhang VIII Kapitel II Nummer 3.2 ist Zubehör für ein Medizinprodukt unabhängig von dem Produkt, mit dem es verwendet wird, gesondert zu klassifizieren.
58 (2) Das Berufungsgericht hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen dazu getroffen, ob die streitgegenständlichen Kompressoren, wie von der Klägerin vorgetragen, unter den Voraussetzungen der Regel 9 zur Klasse IIa gehören. Mit Blick auf die vom Berufungsgericht im Rahmen der Prüfung der Eigenschaft des Kompressors als Zubehör eines Medizinprodukts getroffenen Feststellungen, nach denen in der Gebrauchsanweisung vom Hersteller die Zweckbestimmung getroffen wurde, den Kompressor in Verbindung mit einem rotierenden Instrument des Zahnarztes sowie zum Trocknen der Zubereitungen vor der Zementierung einzusetzen, ist für das Revisionsverfahren der Vortrag der Klägerin zugrunde zu legen. Danach sind die Voraussetzungen der Regel 9 erfüllt.
59 c) Mit Blick auf das mit dem Unterlassungshauptantrag verfolgte Bereitstellungsverbot ist gemäß Art. 14 Abs. 2 Unterabs. 3 der Verordnung (EU) 2017/745 wiederum erforderlich, dass die Beklagte Grund zu der Annahme hatte, dass die der Klägerin gelieferten Trockenluftkompressoren nicht den Anforderungen der Verordnung entsprechen, weil sie keine Kennnummer einer Benannten Stelle trugen. Einen Grund zu dieser Annahme hätte die Beklagte gehabt, wenn sie nach Art. 14 Abs. 1 und 2 Unterabs. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) 2017/745 verpflichtet gewesen wäre, vor einer Bereitstellung der Produkte auf dem Markt zu überprüfen, ob die Produkte in die Risikoklasse IIa im Sinne der Verordnung (EU) 2017/745 einzuordnen sind und deshalb zusätzlich mit einer vierstelligen Kennnummer einer Benannten Stelle versehen sein müssen. Bei der Prüfung, ob die Beklagte diese Pflicht verletzt hat, ist wiederum zwischen dem ersten und dem zweiten Testkauf zu unterscheiden. Der Klärung dieser Fragen dient die Vorlagefrage 3 (in Verbindung mit den Vorlagefragen 1 und 2 sowie den Vorlagefragen 4 und 5).
60 aa) Im Hinblick auf den ersten Testkauf ist erneut maßgeblich, ob die Beklagte als Händlerin vor der Bereitstellung eines mit einer CE-Kennzeichnung versehenen Produkts auf dem Markt nur dann nach Art. 14 Abs. 1 und 2 Unterabs. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) 2017/745 zur Prüfung verpflichtet ist, ob es sich um eine CE-Kennzeichnung nach der Medizinprodukteverordnung handelt, die mit der Kennnummer einer Benannten Stelle zu versehen ist, wenn der Hersteller das Produkt ausdrücklich als Medizinprodukt gekennzeichnet hat.
61 (1) Dem Wortlaut von Art. 14 Abs. 1 und 2 Unterabs. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) 2017/745 lässt sich auch zu dieser Frage keine eindeutige Regelung entnehmen.
62 Zu berücksichtigen ist allerdings, dass nach dem Wortlaut des Art. 14 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) 2017/745 zu den vom Händler zu überprüfenden Anforderungen lediglich gehört, dass das Produkt die CE-Kennzeichnung trägt und eine EU-Konformitätserklärung ausgestellt wurde. Die Notwendigkeit der Hinzufügung der Kennnummer der für die Konformitätsbewertungsverfahren gemäß Art. 52 der Verordnung (EU) 2017/745 zuständigen Benannten Stelle wird nicht in der den Pflichtenkreis des Händlers festlegenden Bestimmung des Art. 14 der Verordnung (EU) 2017/745, sondern in Art. 20 Abs. 5 der Verordnung (EU) 2017/745 angeordnet. Das bereits dargelegte Ziel der Verordnung (EU) 2017/745, Rechtssicherheit hinsichtlich der den jeweiligen Wirtschaftsakteuren obliegenden Pflichten zu schaffen, könnte daher dafür sprechen, dass der Händler nur die in Art. 14 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) 2017/745 selbst ausdrücklich angesprochenen Kennzeichnungselemente zu überprüfen hat.
63 (2) Eine Auslegung anhand des Zwecks des Art. 14 der Verordnung (EU) 2017/745 dürfte nicht zu einem eindeutigen Ergebnis führen.
64 (a) Zwar spricht der Blick auf die durch die Bestimmungen der Verordnung (EU) 2017/745 angestrebte Gewährleistung eines hohen Niveaus an Sicherheit und Gesundheitsschutz für Patienten und Anwender dafür, die mit Art. 14 der Verordnung (EU) 2017/745 angestrebte Kontrollfunktion des Händlers dadurch besonders effektiv zu gestalten, dass seine Überprüfungspflichten umfassend ausgelegt werden. Insoweit könnte mit der Klägerin die Ansicht vertreten werden, dass jedenfalls das schlichte Unterlassen jeglicher Prüfung der Klassifizierungsvoraussetzungen mit den Zwecken der Verordnung nicht vereinbar ist.
65 (b) Jedoch könnte eine solche extensive Fassung der Überprüfungspflichten mit dem weiteren Ziel der Verordnung (EU) 2017/745 nicht in Einklang zu bringen sein, die Interessen der im Sektor für Medizinprodukte tätigen kleinen und mittleren Unternehmen zu berücksichtigen (Erwägungsgrund 2). Bei der Beurteilung des Ob und Wie der Klassifizierung von Medizinprodukten und Zubehör eines Medizinprodukts stellen sich in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht regelmäßig Fragen, die in ihrer Komplexität die Frage der Einordnung als Medizinprodukt oder Zubehör eines Medizinprodukts deutlich übertreffen dürften. Dabei dürfte zu berücksichtigen sein, dass die Klassifizierung eine Beurteilung von Fragen voraussetzt, die - anders als die Beurteilung der Voraussetzungen eines Medizinprodukts oder eines Zubehörs eines Medizinprodukts - nicht allein mit Blick auf die sich aus der vom Hersteller etwa in der Gebrauchsanweisung oder Werbe- und Verkaufsmaterialien dokumentierten Zweckbestimmung und damit anhand von Unterlagen zu prüfen sind, die einem Händler zur Verfügung stehen und unschwer verständlich sein sollten. Die Klassifizierung hat vielmehr regelmäßig nicht durch den Hersteller allein, sondern unter Beteiligung der Benannten Stelle zu erfolgen, wobei jede Meinungsverschiedenheit zwischen dem Hersteller und der betreffenden Benannten Stelle, die sich aus der Anwendung des Anhangs VIII ergibt, zwecks Entscheidung an die zuständige Behörde des Mitgliedstaats verwiesen wird, in dem der Hersteller seine eingetragene Niederlassung hat (Art. 51 Abs. 2 der Verordnung [EU] 2017/745). Bereits aus diesen verfahrensrechtlichen Bestimmungen folgt, dass die Klassifizierung von Medizinprodukten und Zubehör eines Medizinprodukts nach dem vom Verordnungsgeber gewählten Regelungssystem eine Beurteilung von rechtlich und tatsächlich regelmäßig komplexen Fragestellungen voraussetzt. Allerdings gibt es Produkte, die keine Kennnummer einer Benannten Stelle tragen können, weil sie in die Klasse I einzuordnen sind, bei der der Hersteller die Konformitätserklärung ohne Beteiligung einer Benannten Stelle ausstellt und keine Kennnummer vorliegt (vgl. Erwägungsgrund 60, Art. 20 Abs. 5, Art. 52 Abs. 7 der Verordnung [EU] 2017/745). Die Verpflichtung des Händlers kann sich mithin grundsätzlich nicht darauf beschränken zu überprüfen, ob das Produkt überhaupt mit einer Kennnummer einer Benannten Stelle versehen ist.
66 (c) Dass die vom Händler zu erwartende Sorgfalt insoweit eingeschränkt ist, entspricht auch der Einschätzung der Kommission. Danach sollte der Händler lediglich wissen, welche Umstände "eindeutig" für die Nichtkonformität des Produkts sprechen (Blue Guide S. 41 unter 3.4 und S. 151). Die Frage, ob das Produkt mit der/den erforderlichen Konformitätskennzeichnung/-en versehen ist, müsse der Händler vor Bereitstellung auf dem Markt nur "formell" prüfen (Blue Guide S. 42), er müsse über "Grundwissen" bezüglich der gesetzlichen Anforderungen zur CE-Kennzeichnung verfügen (Blue Guide S. 151).
67 bb) Da die Beklagte der Klägerin nach der Abmahnung aufgrund des zweiten Testkaufs einen weiteren Kompressor mit der entsprechenden Kennzeichnung geliefert hat, stellt sich außerdem die Frage, ob sich die mit der Abmahnung verbundene Inkenntnissetzung von der Rechtsansicht der Klägerin auf den Umfang der Prüfungspflicht der Beklagten auswirkt. Der Klärung dieses Gesichtspunkts dienen wiederum die Vorlagefragen 4 und 5.
68 Insoweit dürften die bereits zu den Vorlagefragen 1 und 2 in Verbindung mit den Vorlagefragen 4 und 5 angestellten Erwägungen maßgeblich sein. Zu berücksichtigen ist dabei erneut der Umstand, dass die Klassifizierung von Medizinprodukten und Zubehör eines Medizinprodukts regelmäßig rechtlich und tatsächlich komplexer sein wird als die Einstufung eines Produkts als Medizinprodukt oder Zubehör eines Medizinprodukts.