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Wirtschaftsrecht
22.11.2018
Wirtschaftsrecht
OLG Hamm: Treuepflichtverletzung bei fehlerhaften Angaben in der Einladung zur Gesellschafterversammlung

OLG Hamm, Urteil vom 19.7.2018 – 27 U 14/17

ECLI:DE:OLGHAM:2018:0719.27U14.17.00

Volltext: BB-ONLINE BBL2018-2832-1
unter www.betriebs-berater.de

Nicht amtlicher Leitsatz

Der fehlerhafte Hinweis zu einem tatsächlich nicht bestehenden Stimmverbot in der Einladung zu einer Gesellschafterversammlung kann auch in der Beziehung von GmbH-Gesellschaftern untereinander zu einer gesteigerten Treuepflicht führen.

AktG §§ 246, 249; GmbHG § 47 Abs. 4; BGB § 242

Sachverhalt

    A.

I. Die Parteien, zwischen denen noch verschiedene weitere Rechtsstreitigkeiten anhängig sind, streiten unter anderem – soweit in der Berufungsinstanz von Relevanz – um die Wirksamkeit eines Gesellschafterbeschlusses vom 24.06.2016.

Gesellschafter der im Januar 2013 gegründeten Beklagten waren der Kläger zu 30 % und die X Rohrsystem-Technik GmbH zu 70 %. In Ziff. 5.1 Satz 2 des Gesellschaftsvertrages vom 17.01.2013 war vorgesehen, dass über die Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern sowie den Abschluss, die Änderung und die Beendigung ihrer Dienstverträge die Gesellschafterversammlung durch einstimmigen Gesellschafterbeschluss entscheiden sollte. Im Übrigen waren nach Ziff. 6.2 des Vertrages alle Gesellschafterbeschlüsse einstimmig mit den abgegebenen Stimmen zu fassen, soweit das Gesetz oder der Gesellschaftsvertrag keine andere Mehrheit zwingend vorschrieb. In Bezug auf die Abhaltung von Gesellschafterversammlungen regelte Ziff. 6.4, dass die Versammlung beschlussfähig sein sollte, wenn mindestens 75 % aller Stimmen vertreten waren und, sollte dies nicht der Fall sein, innerhalb von zwei Wochen eine neue Gesellschafterversammlung mit gleicher Tagesordnung einzuberufen sei, die dann ohne Rücksicht auf die vertretenen Stimmen beschlussfähig sein sollte. Hinsichtlich der Regelungen des Gesellschaftsvertrages im Übrigen wird auf dessen als Anlage B 1 zur Akte gereichte Kopie verwiesen.

In der Folge wurde der Kläger – ebenso wie der Geschäftsführer der Mitgesellschafterin, Q – zum Geschäftsführer der Beklagten bestellt. Gem. Ziff. 7.3 des zwischen den Parteien geschlossenen Dienstvertrags vom 24.01.2016 war die Beklagte jederzeit berechtigt, den Kläger von seiner Verpflichtung zur Dienstleistung unter Beibehaltung seiner Bezüge freizustellen.

Mit E-Mail vom 01.06.2016 lud der Geschäftsführer Q den Kläger zu einer Gesellschafterversammlung der Beklagten am 09.06.2016 mit dem Tagesordnungspunkt „Freistellung des Geschäftsführers I“, und wies dabei darauf hin, dass der Kläger über den Beschlussgegenstand ‚Freistellung als Geschäftsführer’ „richtiger Auffassung nach nicht stimmberechtigt“ sei, was sich aus § 47 Abs. 4 GmbHG ergebe. Da der Kläger am 09.06.2016 nicht erschien, lud der Geschäftsführer Q den Kläger – den Vorgaben des Gesellschaftsvertrages entsprechend – zu einer weiteren Gesellschafterversammlung am 24.06.2016. Zu dieser Versammlung erschien der Kläger erneut nicht. Daraufhin stimmte Q im Namen der X Rohrsystem-Technik GmbH dafür, den Kläger „widerruflich und unter Verrechnung mit etwaigen offenen Urlaubsansprüchen“ freizustellen und stellte das Zustandekommen eines entsprechenden Beschlusses in seiner Eigenschaft als Sitzungsleiter fest.

In der Folge – dies ist nicht Gegenstand der Berufung – betrieb die Mitgesellschafterin der Beklagten die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer der Beklagten aus wichtigem Grund; in diesem Zusammenhang stellte Q anlässlich einer Gesellschafterversammlung vom 22.08.2016 das Zustandekommen eines Beschlusses die Abberufung des Klägers aus wichtigem Grund betreffend fest.

Der Kläger schied mit Ablauf des 31.12.2016 als Gesellschafter der Beklagten aus.

Mit seiner Klage in erster Instanz hat der Kläger, der beide Beschlüsse aus verschiedenen Gründen insgesamt für rechtswidrig gehalten hat, begehrt, diese für nichtig zu erklären, den Beschluss vom 24.06.2016 hilfsweise (Hilfsantrag zu 1.)) jedenfalls insofern, als dieser zum Gegenstand hat, den Kläger unter Anrechnung seiner Urlaubsansprüche freizustellen.

Wegen der (weiteren) Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und der Anträge erster Instanz wird – auch mit Blick auf § 313a Abs. 1 ZPO – auf das erstinstanzliche Urteil Bezug genommen.

II. Das Landgericht hat im Wege eines Teilurteils über die Wirksamkeit nur des Beschlusses vom 24.06.2016 befunden, die Beklagte insofern auf der Grundlage des Hilfsantrages zu 1.) verurteilt und die Klage in Bezug auf den Hauptantrag zu 1.) abgewiesen.

Soweit es den Hilfsantrag zu 1.) für begründet gehalten hat, hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Beschluss vom 24.06.2016 verstoße insofern gegen das Gesetz, als durch die widerrufliche Freistellung des Klägers von der Dienstpflicht noch bestehende Urlaubsansprüche des Klägers gem. § 362 BGB erfüllt werden sollten. Für den Bereich des Arbeitsrechts habe das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass nur die endgültige, nicht unter Vorbehalt des Widerrufs stehende Befreiung des Arbeitnehmers von der Arbeitspflicht zur Erfüllung des Urlaubsanspruchs führen könne. Vor welchem Hintergrund für einen Geschäftsführer etwas anderes gelten solle, sei nicht erkennbar, da auch dieser die ihm als Urlaub zustehende Freizeit nur dann selbstbestimmt nutzen könne, wenn er nicht damit rechnen müsse, dass die Freistellung durch einen jederzeit möglichen Widerruf beendet werde. Hieraus folge die Teilnichtigkeit des Beschlusses.

III. Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihren auf den Antrag zu 1.) bezogenen Klageabweisungsantrag in vollem Umfang weiterverfolgt.

Zur Begründung macht sie im Wesentlichen – mit näheren Ausführungen – geltend, das Landgericht sei zu Unrecht von einer Übertragbarkeit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auf den Fall der Freistellung eines Geschäftsführers ausgegangen.

Im Übrigen fehle es – was das Landgericht verkannt habe – an einer Schutzbedürftigkeit des Klägers, da der Widerruf der Freistellung des Klägers eines Gesellschafterbeschlusses bedurft hätte, den der Kläger selbst durch entsprechende Wahrnehmung seines Stimmrechts jederzeit habe verhindern können.

Im Übrigen, so meint die Beklagte, sei es schon in der Vergangenheit so gewesen, dass die Beklagte faktisch keinen Einfluss darauf gehabt habe, wann der Kläger seinen Urlaub genommen habe; dementsprechend hätte es dem Kläger nach Auffassung der Beklagten freigestanden, seinen Urlaub auch im Falle eines Widerrufs der Freistellung vor einer Wiederaufnahme seiner Tätigkeit zunächst zu beenden.

Die Beklagte beantragt,

das landgerichtliche Teilurteil abzuändern und den Klageantrag zu Ziff. 1.) insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil mit näheren Ausführungen.

Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes in der Berufungsinstanz im Übrigen wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Aus den Gründen

B.

Die Berufung ist unbegründet.

I. Der Umstand, dass das Landgericht über den klägerischen Antrag zu 1.) im Wege eines Teilurteils entschieden hat, begegnet hier mit Blick auf § 301 ZPO keinen Bedenken; solche werden mit der Berufung auch nicht ins Feld geführt.

II. Das Landgericht hat den – in der Berufungsinstanz allein noch interessierenden – Hilfsantrag zu 1.) zu Recht für zulässig und begründet erachtet.

1. Auf die GmbH sind die Vorschriften des Aktiengesetzes (§§ 246, 249 AktG) über die Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen sinngemäß anzuwenden, soweit nicht deren Besonderheiten eine Abweichung erfordern (BGHZ 51, 209, Rn. 14 m.w.N.).

Mit dem in der Berufung noch in Rede stehenden Hilfsantrag zu 1.) verfolgt der Kläger die (teilweise) Erklärung der Nichtigkeit des Beschlusses vom 24.06.2016. Der hierin liegende Nichtigkeitsantrag (analog § 249 AktG) enthält zugleich einen Anfechtungsantrag. Denn Nichtigkeits- und Anfechtungsklage verfolgen dasselbe Rechtsschutzziel und betreffen daher denselben Streitgegenstand (vgl. etwa OLG Hamm, Urteil v. 28.10.2015, Az. 8 U 73/15, Rn. 32).

2. Der Kläger hat vorliegend auch die Anfechtungsfrist gewahrt. Auch wenn den obigen Ausführungen entsprechend nicht darauf abzustellen ist, wie er seine Klage bezeichnet hat, da sich Nichtigkeits- und Anfechtungsklage mit identischer Begründung gegen denselben Gesellschafterbeschluss richten, sind Mängel, die lediglich eine Anfechtbarkeit des Beschlusses begründen, nur dann beachtlich, wenn die Klage innerhalb der für eine Anfechtungsklage geltenden Frist erhoben wurde. Die Klage auf Anfechtung eines Gesellschafterbeschlusses muss mit aller dem klagenden Gesellschafter zumutbaren Beschleunigung erhoben werden, wobei die Monatsfrist des § 246 Abs. 1 AktG – von eng begrenzten Ausnahmen abgesehen – als Maßstab gilt, d.h. Leitbildfunktion hat (OLG Hamm, Urteil v. 25.11.2009, Az. 8 U 61/09 Rn. 25 ff. m.w.N.).

Vorliegend hat der Kläger diese – sich hier im Übrigen auch aus Ziff. 6.7 der Satzung ergebende – Monatsfrist gewahrt. Zwar ist der Beklagten die Klageschrift vom 20.07.2016 erst am 05.08.2016 zugestellt worden. Allerdings ist deren Wirkung bereits mit ihrem Eingang bei dem Landgericht am 20.07.2016 eingetreten, da die Zustellung „demnächst“ im Sinne von § 167 ZPO erfolgt ist.

3. Der Kläger ist auch anfechtungsbefugt. Eine Anfechtungs- bzw. Nichtigkeitsklage muss grundsätzlich nicht einmal von einem individuellen Rechtsschutzbedürfnis des klagenden Gesellschafters getragen sein. Denn jedem Gesellschafter steht die formalisierte Befugnis zu, die Rechtsmäßigkeit eines Gesellschafterbeschlusses mittels Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage überprüfen zu lassen. Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt nur dann ausnahmsweise, wenn keinerlei objektives Bedürfnis für eine Nichtigerklärung des Beschlusses besteht, etwa weil der betreffende Beschluss überholt ist und keine Wirkung mehr entfalten kann (OLG Hamm, Urteil v. 28.10.2015, Az. 8 U 73/15, Rn. 33 m.w.N.).

Dass der Kläger hier seine Gesellschafterstellung mit Ablauf des 31.12.2016 – mithin erst nach Klageerhebung – verloren hat, berührt seine Klagebefugnis nicht. Denn klagebefugt ist jeder im Zeitpunkt der Klageerhebung in der in das Handelsregister aufgenommenen Gesellschafterliste genannte Gesellschafter; der zwischenzeitliche materielle Verlust der Gesellschafterstellung ändert hieran jedenfalls dann nichts, wenn der ausgeschiedene Gesellschafter – wie hier der Kläger mit Blick auf etwaige Abgeltungsansprüche im Zusammenhang mit seinem Recht auf Urlaub – an der Fortsetzung des Verfahrens ein rechtliches Interesse hat (BGH, Urteil v. 09.10.2006, Az. II ZR 46/05 Rn. 15; OLG Düsseldorf, Urteil vom 10.03.2016, Az. 6 U 89/15 Rn. 21; Lutter/Hommelhoff, Kommentar zum GmbHG, 19. Auflage 2016, Anh. zu § 47 Rn. 70 u. 72).

4. Der in der Gesellschafterversammlung der Beklagten vom 24.06.2016 gefasste Beschluss, mit dem der Kläger unter Anrechnung seiner Urlaubsansprüche als Geschäftsführer freigestellt werden soll, ist – wie das Landgericht zutreffend erkannt hat – (jedenfalls) insoweit erfolgreich anfechtbar, als die Freistellung des Klägers widerruflich und unter Anrechnung seiner Urlaubsansprüche erfolgt ist.

a) Vorliegend kann dahin stehen, ob schon der Umstand, dass die Einladung zur Gesellschafterversammlung als Tagesordnungspunkt lediglich die „Freistellung als Geschäftsführer“ benennt und dabei den Hinweis enthält, der Kläger sei mit Blick auf § 47 Abs. 4 GmbHG nicht stimmberechtigt, zu einer erfolgreichen Anfechtbarkeit des Beschlusses wegen eines Verstoßes gegen die Regelungen des § 51 Abs. 2 und 3 GmbHG führen kann.

b) Denn der in der Berufungsinstanz noch interessierende Teil des Gesellschafterbeschlusses vom 24.06.2016 stellt sich – letztlich auch mit Blick auf den Inhalt der Einladung zur Gesellschafterversammlung – jedenfalls als materiell rechtswidrig („Verletzung des Gesetzes“) im Sinne von § 243 Abs. 1 AktG (analog) dar, da er treuwidrig ist, § 242 BGB.

aa) Nicht nur die Beziehungen zwischen Gesellschaftern und GmbH, sondern auch die der Gesellschafter untereinander können von der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht bestimmt sein. Gesellschafter stehen sich nicht wie beliebige Dritte gegenüber, sondern befinden sich auch untereinander in einer rechtlichen Sonderverbindung, die Rücksichtspflichten auferlegt (Baumbach/Hueck, Kommentar zum GmbHG, 21. Auflage 2017, Anh. nach § 47, Rn. 101).

Das hat seinen Grund darin, dass bei der GmbH unbeschadet ihrer körperschaftlichen Verfassung die nähere Ausgestaltung ihrer Organisation und ihre wirtschaftliche Betätigung oft in erheblichem Maß dem unmittelbaren Einfluss ihrer Gesellschafter unterliegen und die inneren Verhältnisse der GmbH daher auf eine deutliche Nähe zu den Personengesellschaften angelegt sein können. Zudem verlangt auch hier insbesondere die für eine Gesellschaftermehrheit bestehende Möglichkeit, durch Einflussnahme auf die Geschäftsführung die gesellschaftsbezogenen Interessen der Mitgesellschafter zu beeinträchtigen, als Gegengewicht die gesellschaftsrechtliche Pflicht, auf diese Interessen Rücksicht zu nehmen. Unter welchen besonderen Voraussetzungen eine Treuepflichtverletzung angenommen werden kann, hängt davon ab, welche satzungsmäßigen Zwecke die GmbH verfolgt, wie sie gesellschaftsintern gestaltet ist und welchen Umfang die Mitgliedschaft hat, außerdem aber auch davon, ob bereits die gesetzlichen und satzungsmäßigen Regelungen den benachteiligten Mitgliedern ausreichenden Rechtsschutz gewähren und den aus einer Treuepflichtverletzung abgeleiteten Ansprüchen vorgehen (BGH, Urteil v. 05.06.1975, Az. II ZR 23/74 = NJW 1976, 191; Baumbach/Hueck, a.a.O., § 13 Rn. 21 f.; Scholz, Kommentar zum GmbHG, 12. Auflage 2018, § 13 Rn. 51 f.). Auch für die Aktiengesellschaft ist anerkannt, dass der Kern des Treupflichtgedankens darin besteht, dass dem Maß des Einflusses des Gesellschafters das Maß seiner Verantwortung mit der sich daraus ergebenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Gesellschaft und die gesellschaftsbezogenen Belange der Mitgesellschafter entspricht bzw. dass die Möglichkeit, durch Einflussnahme die gesellschaftsbezogenen Interessen der Mitgesellschafter zu beeinträchtigen, als Gegengewicht die gesellschaftsrechtliche Pflicht verlangt, auf diese Interessen Rücksicht zu nehmen, wobei die Einflussnahme dabei meist in der Ausübung von Herrschaftsmacht besteht, welche wiederum nur bei Vorhandensein einer entsprechenden Mehrheit denkbar ist (BGH, Urteil v. 20.03.1995, Az. II ZR 205/94 = DStR 1995, 1232).

bb) Mit Blick auf die vorstehenden Ausführungen oblag der X Rohrsystem-Technik GmbH hier in der Gesellschafterversammlung vom 24.06.2016 die (Treue-) Pflicht, auf die Belange des Klägers in ausreichendem Maße Rücksicht zu nehmen.

 (1) Das Innenverhältnis der Beklagten ist angesichts des Umstandes, dass mit der X Rohrsystem-Technik GmbH neben dem Kläger nur noch eine weitere Gesellschafterin existierte, auf eine deutliche Nähe zu einer Personengesellschaft angelegt, zumal gem. Ziff. 6.2 der Satzung der Beklagten – § 709 Abs. 1 BGB vergleichbar – sämtliche Gesellschafterbeschlüsse in aller Regel einstimmig mit den abgegebenen Stimmen zu fassen waren.

Da nur die X Rohrsystem-Technik GmbH zu der Gesellschafterversammlung vom 24.06.2016 erschienen war, hatte sie auch die Möglichkeit, durch Einflussnahme auf die Geschäftsführung die gesellschaftsbezogenen Interessen des Klägers als Mitgesellschafter zu beeinträchtigen.

 (2) Der hieraus folgenden Annahme einer der X Rohrsystem-Technik GmbH dem Kläger gegenüber obliegenden besonderen Treuepflicht steht im hier zu beurteilenden Einzelfall nicht entgegen, dass der Kläger die ihm durch die Satzung eingeräumte Möglichkeit, die Beschlussfassung zu verhindern, nicht wahrgenommen hat.

 (a) Gem. Ziff. 6.2 der Satzung der Beklagten waren – wie ausgeführt – alle Gesellschafterbeschlüsse einstimmig zu fassen, soweit das Gesetz oder der Gesellschaftsvertrag keine andere Mehrheit zwingend vorschreibt. Derartige Regelungen sind hier nicht ersichtlich. Sie folgen insbesondere nicht aus Ziff. 5.1 der Satzung, aus der sich ergibt, dass auch die Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern Einstimmigkeit erfordert.

Wäre der Kläger zu der Gesellschafterversammlung erschienen und hätte er gegen die Beschlussvorlage gestimmt, hätte seine Freistellung vor diesem Hintergrund nicht satzungskonform beschlossen werden können, zumal er auch mit seinem Stimmrecht nicht gem. § 47 Abs. 4 GmbHG ausgeschlossen gewesen wäre:

Es ist anerkannt, dass sich § 47 Abs. 4 GmbHG nur auf Rechtsgeschäfte bezieht, die die Gesellschaft mit einem ihrer Gesellschafter als einem Dritten abschließt und da nicht eingreift, wo der Gesellschafter sein Mitgliedschaftsrecht ausübt. Darum ist ein Gesellschafter etwa auch bei seiner Wahl zum Geschäftsführer nicht vom Stimmrecht ausgeschlossen (BGH, Urteil v. 29.09.1955, Az. II ZR 225/54 = NJW 1955, 1716, 1717). Eine Abstimmung über solche innergesellschaftlichen Angelegenheiten gehört zu den Mitverwaltungsakten, bei denen alle Gesellschafter der Sache nach zur Mitwirkung berufen sind; insofern ist § 47 Abs. 4 GmbHG einschränkend auszulegen (BGH, Urteil v. 09.12.1968, Az. II ZR 57/67 = NJW 1969, 841, 844). Nichts anderes hat hier mit Blick auf die Abstimmung über eine Freistellung des Klägers als Geschäftsführer der Gesellschaft zu gelten.

 (b) Diese dem Kläger grundsätzlich zustehende Einwirkungsmöglichkeit hat im hier zu beurteilenden Fall gleichwohl nicht zu einer maßgeblichen Einschränkung der seiner Mitgesellschafterin zum Zeitpunkt der Abstimmung obliegenden Treuepflicht geführt.

Mit Blick auf die in der durch die X Rohrsystem-Technik GmbH am 01.06.2016 übersandten Einladung zur Gesellschafterversammlung enthaltene Mitteilung, der Kläger sei im Rahmen der Abstimmung über seine Freistellung als Geschäftsführer nicht stimmberechtigt, bestand die durch die Mitgesellschafterin gesetzte Gefahr, dass der Kläger diese in Bezug auf sein Stimmrecht unzutreffenden Angaben ungeprüft für zutreffend und die Teilnahme an der Versammlung vor diesem Hintergrund für überflüssig halten konnte. Insofern kann die Situation des Klägers verglichen werden mit derjenigen eines Gesellschafter-Geschäftsführers, der über die erforderliche Stimmenzahl verfügt, um seine Abberufung ohne Grund verhindern zu können, dann aber auf sein Teilnahmerecht verzichtet, weil er über die angekündigte Abberufung aus wichtigem Grund nicht abstimmen darf und vielleicht erwartet, durch seine Teilnahme seine Mitgesellschafter doch nicht umstimmen zu können. Beschließen in einer derartigen Situation die Gesellschafter, den Geschäftsführer nicht nur aus wichtigem Grund, sondern entgegen der Ankündigung auch ohne Grund abzuberufen, so liegt darin dann eine Verletzung des Stimmrechts des für diesen (nicht angekündigten) Beschlussgegenstand stimmberechtigten Gesellschafters (BGH, Urteil v. 28.01.1985, Az. II ZR 79/84 Rn. 27; Scholz, Kommentar zum GmbHG, 12. Auflage 2018, § 51 Rn. 22).

Hier hat die X Rohrsystem-Technik GmbH dem Kläger mit ihrem falschen Hinweis suggeriert, sein Erscheinen zur Gesellschafterversammlung werde sich mangels Stimmrechts ohnehin nicht auszahlen. Erscheint der Kläger dann tatsächlich nicht zur Gesellschafterversammlung, resultiert hieraus wiederum trotz der dem Kläger objektiv grundsätzlich zustehenden Möglichkeit, einen Beschluss seine Freistellung betreffend zu verhindern, eine gesteigerte Treuepflicht der Mitgesellschafterin. Dies gilt erst recht mit Blick auf den Umstand, dass der Beschluss inhaltlich über die bloße Freistellung des Klägers hinausging und wegen der mit dem Hilfsantrag beanstandeten Klausel (jedenfalls) die Gefahr eines Wegfalls etwaiger Urlaubsansprüche des Klägers in sich barg.

cc) Indem die X Rohrsystem-Technik GmbH den Beschluss gefasst hat, den Kläger widerruflich unter Anrechnung etwaig offener Urlaubsansprüche freizustellen, hat sie diese Treuepflicht verletzt.

 (1) Wäre der Kläger als damaliger Gesellschafter der Beklagten an den Inhalt des Beschlusses gebunden, hätte dies mit Blick auf das zwischenzeitliche Ausscheiden des Klägers aus der Gesellschaft in jedem Fall den ersatzlosen Verlust seiner zum Zeitpunkt der Freistellung noch offenen Urlaubsansprüche zur Folge.

Anders als ein Arbeitnehmer, der sich im Falle einer gleichermaßen formulierten arbeitsrechtlichen Freistellung mit Erfolg darauf berufen kann, eine derartige Freistellung habe nicht zu einer Erfüllung des Urlaubsanspruches geführt (vgl. BAG, Urteil v. 19.05.2009, Az. 9 AZR 433/08, Rn. 15 ff.; BAG, Urteil v. 20.01.2009, Az. 9 AZR 650/07 Rn. 23 f.), kann dies ein Geschäftsführer, der zugleich Gesellschafter ist, nicht. Denn wirksam gefasste Beschlüsse binden die Gesellschafter und die Gesellschaftsorgane nach Ablauf der Anfechtungsfrist (vgl. Beschluss v. 24.03.2016, Az. IX ZB 32/15 Rn. 30 m.w.N.; Baumbach/Hueck, a.a.O., § 47 Rn. 9); der Beschluss wird ohne Anfechtung endgültig wirksam (BGH, Urteil v. 03.05.1999, Az. II ZR 119/98, Rn. 10).

Mithin stünde im vorliegenden Fall auch für den Kläger verbindlich fest, dass seine Freistellung trotz ihrer Widerruflichkeit unter Verrechnung mit etwaig offenen Urlaubsansprüchen erfolgt, die in der Folge dann mit Blick auf den Zeitablauf zwangsläufig „verbraucht“ bzw. erfüllt wären.

 (2) Das hat der Kläger hier – wie das Landgericht im Kern zutreffend erkannt hat – nicht hinzunehmen.

 (a) Der der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung zugrunde liegende Gedanke, es müsse dem Arbeitnehmer möglich sein, die ihm aufgrund des Urlaubsanspruchs zustehende Freizeit uneingeschränkt selbstbestimmt zu nutzen, was nicht gewährleistet sei, wenn der Arbeitnehmer während seiner Freistellung jederzeit damit rechnen müsse, wieder zur Arbeit gerufen zu werden (BAG, Urteil v. 19.05.2009, Az. 9 AZR 433/08, Rn. 17), ist entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten auf den hier zu beurteilenden Fall des Geschäftsführers übertragbar.

In der zivilgerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass dem Geschäftsführer einer GmbH im Falle der Beendigung des Dienstverhältnisses wie einem Arbeitnehmer nach Ende des Arbeitsverhältnisses ein Abgeltungsanspruch zustehen kann, wenn die Gewährung von Freizeit nicht mehr möglich ist. Dies hat sich zwar im Wesentlichen für die sozial abhängigen Arbeitnehmer herausgebildet, kann aber grundsätzlich auch für den Urlaubsanspruch der Organmitglieder einer juristischen Person angenommen werden (BGH, Urteil v. 03.12.1962, Az. II ZR 201/61 Rn. 35; OLG München, Urteil v. 24.03.2016, Az. 23 U 1884/15 = GmbHR 2016, 875, 884; OLG Düsseldorf, Urteil v. 23.12.1999, Az. 6 U 119/99 = NJW-RR 2000, 768, 769). Die Verpflichtung der GmbH, ihrem Geschäftsführer nicht genommenen Urlaub abzugelten, resultiert dabei aus der Treue- und Fürsorgepflicht der Gesellschaft gegenüber ihrem Geschäftsführer (so auch Haase, GmbHR 2005, 338, 342). Diese Treue- und Fürsorgepflicht gebietet es auch, dem Geschäftsführer die uneingeschränkte und selbstbestimmte Nutzung seiner ihm aufgrund des Urlaubsanspruchs zustehenden Freizeit zu ermöglichen. Dieses Recht darf dem Geschäftsführer nicht einseitig genommen werden. Für den hier zu beurteilenden Fall hat aus den oben dargelegten Gründen trotz der grundsätzlichen Möglichkeit des Klägers, als Minderheits-Gesellschafter Einfluss auf das Beschlussergebnis zu nehmen, letztlich nichts anderes zu gelten (vgl. im Übrigen zur Arbeitnehmerähnlichkeit eines Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführers etwa Boemke, „Aktuelles zum GmbH-Geschäftsführer aus arbeitsrechtlicher Sicht“, RdA 2018, 1, 4).

 (b) Ohne Erfolg macht die Beklagte demgegenüber geltend, die im Rahmen des Gesellschafterbeschlusses geregelte Widerrufsmöglichkeit wirke sich faktisch nicht aus, da  ein Widerruf die – nicht zu erwartende – Mitwirkung des Klägers bei einem insofern zu fassenden Gesellschafterbeschluss erfordere.

Unabhängig von der Frage, ob der Widerruf der Freistellung in rechtlicher Hinsicht tatsächlich einen entsprechenden Beschluss erfordert, dessen Ergebnis der Kläger zudem maßgeblich hätte beeinflussen können, ließe sich hierdurch allein kein ausreichender Schutz des Klägers vor einem Widerruf der Freistellung begründen. Denn für den Fall, dass die Mitgesellschafterin des Klägers – der mit Blick auf ihre 70%-ige Beteiligung an der Beklagten regelmäßig die gem. Ziff. 6.5 der Satzung mit einfacher Stimmenmehrheit zu wählende Sitzungsleitung zugekommen wäre – einen den Widerruf der Freistellung betreffenden Gesellschafterbeschluss festgestellt hätte, wäre dieser auch im Falle der Anfechtung durch den Kläger jedenfalls vorläufig verbindlich gewesen (BGH, Urteil v. 03.05.1999, Az. II ZR 119/98, Rn. 10) mit der Folge, dass der Kläger diesem in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer bis zur Rechtskraft eines den Beschluss für unwirksam erklärenden Urteils hätte nachkommen müssen. Dem Kläger kann nicht zugemutet werden, dieses Risiko zu tragen, dessen Verwirklichung sich mit Blick auf die durch die Mitgesellschafterin bereits an anderer Stelle zumindest irrtümlich vertretene Rechtsauffassung, der Kläger unterliege einem Stimmrechtsausschluss gem. § 47 Abs. 4 GmbHG, nicht als gänzlich unwahrscheinlich darstellte.

 (c) Soweit die Beklagte darüber hinaus geltend macht, faktisch habe sie ohnehin keinen Einfluss auf den Urlaub des Klägers gehabt, weshalb dieser einem etwaigen Widerruf der Freistellung nicht unmittelbar hätte Folge leisten müssen, rechtfertigt auch dies keine für die Beklagte günstigere Beurteilung. Zwar mag es zutreffen, dass der Kläger in der Vergangenheit faktisch frei in der Wahl seiner Urlaubstage gewesen ist. Das ändert aber nichts daran, dass der Kläger schon ausweislich seines Anstellungsvertrages verpflichtet war, die Geschäfte der Beklagten nach Maßgabe unter anderem des Gesellschaftsvertrages der Gesellschaft zu führen, vgl. dort § 1.2. Auch gem. § 6 des Vertrages hatte der Kläger die „zeitliche Lage“ seines Jahresurlaubs „unter Berücksichtigung der geschäftlichen Belange der Gesellschaft festzulegen“. Schon aus der Existenz dieser Regelungen ergibt sich, dass der Kläger sich grundsätzlich den Belangen der Gesellschaft unterzuordnen hatte. Erfordern diese – und insofern insbesondere die Verfolgung des Gesellschaftszwecks – einen sofortigen Einsatz des Klägers, hätte sich dieser dem Ansinnen der Gesellschaft, sofort für deren Zwecke zur Verfügung zu stehen, aus rechtlichen Gründen fügen müssen, vgl. insofern auch § 37 Abs. 1 a. E. GmbHG.

5. Nach alledem bleibt die Berufung ohne Erfolg.

III. Die Kosten der Berufungsinstanz hat die Beklagte zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

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