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Wirtschaftsrecht
12.03.2025
Wirtschaftsrecht
BGH: Telekom/EWE

BGH, Beschluss vom 25.2.2025 – KVZ 64/21

ECLI:DE:BGH:2025:250225BKVZ64.21.0

Volltext: BB-Online BBL2025-642-2

unter www.betriebs-berater.de

Amtliche Leitsätze

a) Die Zulassung der Rechtsbeschwerde durch den Bundesgerichtshof wirkt nur für die Verfahrensbeteiligten, welche sie erstritten haben.

b) Die Anschlussrechtsbeschwerde ist auch in Kartellverwaltungssachen nur statthaft, wenn sie sich gegen den Rechtsmittelführer der selbständigen Rechtsbeschwerde richtet.

c) Wird das Zusammenschlussvorhaben vor seiner Freigabe oder Untersagung durch eine Verfügung gemäß § 32b GWB geändert, ist das im Fusionskontrollverfahren zu berücksichtigen, auch wenn die für bindend erklärten Verpflichtungszusagen als Nebenbestimmungen zur Freigabe gemäß § 40 Abs. 3 GWB nicht zulässig gewesen wären. Darin liegt keine unzulässige Umgehung, wenn eine gemäß § 32b Abs. 1 Satz 3 GWB befristete Verfügung ein reversibles kooperatives Teilfunktionsgemeinschaftsunternehmen betrifft, das zum Auf- oder Ausbau einer Netzinfrastruktur gegründet worden ist, der aufgrund der Marktverhältnisse während des Befristungszeitraums ohne das Gemeinschaftsunternehmen weder im Wettbewerb noch durch einen Wettbewerber allein in entsprechendem Umfang zu erwarten wäre.

GWB § 1, § 32b, § 36 Abs. 1 Satz 1, § 40 Abs. 3, § 78 Abs. 6 Satz 2 und 3

 

 

 

 

Aus den Gründen

1          A. Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen eine Verfügung des Bundeskartellamts vom 30. Dezember 2019, durch die die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens durch die Beteiligten zu 1 und 2 zum gemeinsamen Ausbau und Betrieb des Glasfasernetzes in einem regional begrenzten Gebiet (im Folgenden: Kooperationsgebiet) freigegeben worden ist.

2          Die Beteiligte zu 1 (im Folgenden: Telekom) betreibt in Deutschland ein flächendeckendes Telekommunikationsnetz, mit dem sie nahezu alle Privatkunden und Geschäftskunden mit privatkundenähnlichem Bedarf erreicht. Bei kupferbasierten Breitbandanschlüssen (im Folgenden: DSL-Breitbandanschlüsse) erfolgt die Signalübertragung jedenfalls auf dem letzten Teilstück bis zum Teilnehmeranschluss über Kupferleitungen. Sofern Kabelverzweiger bereits mit Glasfaser erschlossen sind und gegebenenfalls zusätzlich Vectoring Verfahren zum Einsatz kommen, werden Datenübertragungsraten von bis zu 250 Mbit/s im Download und 100 Mbit/s im Upload (im Folgenden: FTTC-Netz oder FTTC-Anschlüsse, "Fibre to the Curb") ermöglicht. Auf Basis dieses Netzes bietet die Telekom ihren Endkunden DSL-Breitbandanschlüsse an. Darüber hinaus stellt sie dritten Telekommunikationsunternehmen, die keine oder nur teilweise eigene Infrastruktur besitzen, verschiedene Vorleistungen zur Verfügung, mit denen diese auf den Endkundenmärkten im Wettbewerb zur Telekom ebenfalls DSL-Breitbandanschlüsse anbieten können.

3          Die Beteiligte zu 2 (im Folgenden: EWE), ein im Eigentum kommunaler Gebietskörperschaften stehendes regionales Energieversorgungsunternehmen, erbringt auch Telekommunikationsdienstleistungen. Im Kooperationsgebiet verfügt sie weitgehend über eine eigene kupfer- und glasfaserbasierte Telekommunikationsinfrastruktur. EWE hatte 2016 öffentlich angekündigt, über etwa zehn Jahre 1,2 Mrd. € in den Ausbau von Glasfaserleitungen bis zum Gebäude oder Nutzer (Fibre to the Building/Home, im Folgenden: FTTB/H) im Kooperationsgebiet zu investieren und knapp 1 Mio. Haushalte zu erschließen (im Folgenden: "Projekt Lichtwelle"). Diese ermöglichen Übertragungsraten bis zu 10 GBit/s.

4          Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: Vodafone) bietet als Kabelnetzbetreiber breitbandigen Internetzugang über ihr Hybrid Fibre Coax-Netz (im Folgenden: HFC-Netz) an. HFC-Netze sind bislang nicht flächendeckend errichtet, so dass vor allem Endkunden im ländlichen Raum von den Kabelnetzbetreibern nicht versorgt werden können. Auf Basis von kabelbasierten HFC-Breitbandanschlüssen werden Internetzugänge mit Übertragungsraten von bis zu einem GBit/s im Download angeboten.

5          Telekom und EWE (im Folgenden: Muttergesellschaften oder Mütter) haben am 8. März 2019 einen Joint-Venture-Vertrag zur Gründung eines paritätischen Gemeinschaftsunternehmens zum Bau und Betrieb eines FTTB/H-Netzes sowie zur Vermarktung von darüber realisierten Vorleistungsprodukten (Layer 2-Bitstromzugangsprodukt und Layer 3-Bitstromzugangsprodukt) im Kooperationsgebiet abgeschlossen. Ende 2019 deckte Telekom von den 3,6 Mio. Haushaltsund Unternehmensstandorten im Kooperationsgebiet (im Folgenden: Endkundenanschlüsse) [50-60] % mit FTTC-Anschlüssen ab. Das FTTB/H-Netz war deutlich geringer ausgebaut und umfasste [<50.000] Endkundenanschlüsse. EWE hatte [<200.000] Endkundenanschlüsse durch ihr FTTB/H-Netz erschlossen, war aber im Übrigen zwischen Verteilerkasten und Endkunden, teilweise schon ab dem Hauptverteiler, auf die Nutzung der Infrastruktur der Telekom angewiesen. Mit eigenen Glasfaserleitungen hatte sie sämtliche Hauptverteiler der Telekom und etwa ein Drittel aller Kabelverzweiger erschlossen. Der Ausbaufokus des Gemeinschaftsunternehmens sollte nach der Zusammenschlussanmeldung vom 21. März 2019 auf Kabelgebieten liegen, weil von den Kabelnetzbetreibern ein erheblicher Wettbewerbsdruck ausgehe. Ausbauziel ist nach dem Joint-Venture-Vertrag der Anschluss von bis zu 1,5 Mio. Endkunden innerhalb von 10 Jahren. Im sachlichen und räumlichen Tätigkeitsbereich des Gemeinschaftsunternehmens besteht ein Wettbewerbsverbot der Mütter. Ausgenommen hiervon ist die Nutzung der zum Zeitpunkt des Vollzugs bereits bestehenden FTTB/H-Netze der Mütter. Der Joint-Venture-Vertrag hat eine Laufzeit von fünf Geschäftsjahren ab Vollzug des Gemeinschaftsunternehmens, die sich ohne Kündigung um jeweils weitere fünf Geschäftsjahre verlängert. Er enthält auch Regelungen für die Auseinandersetzung des Gemeinschaftsunternehmens.

6          Das Bundeskartellamt leitete im Hinblick auf die Gründung des Gemeinschaftsunternehmens am 16. April 2019 gemäß § 40 Abs. 1 GWB ein Hauptprüfverfahren und am 13. Juni 2019 unter dem gleichen Aktenzeichen ein Kartellverbotsverfahren ein, zu dem es Vodafone, die Deutsche Glasfaser Holding GmbH (im Folgenden: Deutsche Glasfaser) sowie weitere Telekommunikations-Unternehmen beilud. Es ging davon aus, dass das geplante Vorhaben gegen das Kartellverbot des § 1 GWB verstoßen und auf den betroffenen Märkten zu einer erheblichen Behinderung wirksamen Wettbewerbs führen werde. Für betroffen hielt es vier räumlich jeweils auf das Kooperationsgebiet begrenzte Märkte, nämlich den Massenmarkt für den festnetzbasierten Internetzugang jedweder Anschlusstechnologie (kupferbasiert, kabelbasiert, glasfaserbasiert) und ohne Unterscheidung nach Übertragungsraten (im Folgenden: Endkundenmarkt), die beiden Vorleistungsmärkte für den lokalen und für den zentralen Zugang zu festnetzbasierten Breitbandanschlüssen, auf denen Anbieter von Internetanschlüssen, die über kein eigenes Netz bis zum Endkunden verfügen, von Netzbetreibern mit entsprechender Infrastruktur für ihr Angebot Vorleistungen beziehen, sowie den Ausschreibungsmarkt für den geförderten Breitbandausbau. Dabei umfasst der Vorleistungsmarkt für den lokal bereitgestellten Zugang den physischen Zugang zur kupferbasierten Teilnehmeranschlussleitung sowie den lokal auf der Transportebene über das Ethernet in der Nähe des Endkunden übergebenen virtuellen Bitstromzugang zu kupfer- und glasfaserbasierten Breitbandanschlüssen (Layer 2-Bitstromzugang oder Layer 2-BSA; im Folgenden: lokaler Zugangsmarkt). Der Vorleistungsmarkt für den zentral bereitgestellten Zugang betrifft die Übergabe des Layer 3-Bitstromzugangs an einem zentralen Übergabepunkt über Internet Protocol (Layer 3-Bitstromzugang; im Folgenden: zentraler Zugangsmarkt).

7          Telekom und EWE gaben im Kartellverbotsverfahren Verpflichtungszusagen ab. Diese umfassen einen innerhalb von vier Jahren und drei Monaten ab der Freigabe zu realisierenden Mindestausbau zur Erschließung von 300.000 Endkundenanschlüssen über das FTTH/B-Netz, wobei ein bestimmter Anteil auf ländliche Gebiete zu entfallen hat, die nicht bereits durch ein HFC-Breitbandkabelnetz erschlossen sind. Ausbaumaßnahmen des Gemeinschaftsunternehmens dürfen sich nur auf Gebiete beziehen, die in einer mit der Anmeldung der Fusion vorgelegten Liste der Ausbaugebiete für die ersten beiden Jahre verzeichnet sind oder sich mehr als neun Monate auf einer sogenannten Shortlist befinden. Das Gemeinschaftsunternehmen hat Dritten diskriminierungsfrei die von ihm vermarkteten Vorleistungsprodukte (Layer 2-Bitstromzugang und Layer 3-Bitstromzugang) zu den gleichen Konditionen wie den Muttergesellschaften anzubieten, wobei binnen vier Jahren und drei Monate ab der Freigabe bestimmte Ziele hinsichtlich der Vermarktung an Dritte zu erreichen sind. Weiter sagten die Mütter zu, dass sich das Gemeinschaftsunternehmen nicht um den Netzausbau in Fördergebieten bewerben werde. Die Überwachung und Sicherstellung der Erfüllung der Verpflichtungszusagen obliegt einem in seiner Aufgabenwahrnehmung von den Müttern unabhängigen Treuhänder, der dem Bundeskartellamt berichtspflichtig ist. Werden die Mindestausbau- oder die Vermarktungsziele verfehlt, ist das Gemeinschaftsunternehmen grundsätzlich zu beenden und abzuwickeln.

8          Mit Beschluss vom 4. Dezember 2019 (im Folgenden: Einstellungsverfügung) erklärte das Bundeskartellamt die Verpflichtungszusagen für bindend und stellte das Kartellverwaltungsverfahren ein. Die Einstellungsverfügung ist bis zum 31. März 2026 befristet. Nachfolgend gab das Bundeskartellamt unter Berücksichtigung der Verpflichtungszusagen die Gründung des Gemeinschaftsunternehmens mit Beschluss vom 30. Dezember 2019 (im Folgenden: Freigabeentscheidung) frei.

9          Auf die Beschwerde von Vodafone hat das Beschwerdegericht die Freigabeentscheidung aufgehoben. Die Rechtsbeschwerde hat es nicht zugelassen. Dagegen wenden sich das Bundeskartellamt, Telekom und EWE mit der vom Bundesgerichtshof für das Bundeskartellamt und die Telekom zugelassenen Rechtsbeschwerde; die Nichtzulassungsbeschwerde von EWE hat der Bundesgerichtshof verworfen. Für den Fall der Unzulässigkeit ihrer Rechtsbeschwerde hat EWE hilfsweise Anschlussrechtsbeschwerde erhoben.

10        B. Die Rechtsbeschwerde und die Anschlussrechtsbeschwerde von EWE sind unzulässig. Die zulässigen Rechtsbeschwerden des Bundeskartellamts und der Telekom haben Erfolg.

11        I. Das Beschwerdegericht (OLG Düsseldorf, WuW 2022, 92) hat angenommen, das Bundeskartellamt habe zu Recht festgestellt, dass die Untersagungsvoraussetzungen gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 GWB erfüllt seien. Die Gründung des Gemeinschaftsunternehmens lasse im maßgeblichen Prognosezeitraum von drei bis fünf Jahren eine erhebliche Behinderung wirksamen Wettbewerbs auf den vier vom Bundeskartellamt zutreffend abgegrenzten Märkten erwarten. Es sei nicht festzustellen, dass die von Telekom und EWE angebotenen und vom Bundeskartellamt für bindend erklärten Verpflichtungszusagen geeignet seien, sämtliche wettbewerbsschädlichen Wirkungen des Zusammenschlusses auf ein kartellrechtlich unbedenkliches Maß zu verringern.

12        Allerdings stehe der Fusionsfreigabe nicht § 40 Abs. 3 Satz 2 GWB entge gen. Dabei könne dahinstehen, ob die Verpflichtungszusagen auf eine laufende Verhaltenskontrolle gerichtet seien. Selbst wenn dies der Fall sei, habe das Bundeskartellamt nicht gegen § 40 Abs. 3 Satz 2 GWB verstoßen. Es habe nicht seine im Fusionskontrollverfahren erlassene Freigabeentscheidung mit Nebenbestimmungen versehen, sondern die Verpflichtungszusagen im gleichzeitig geführten Verwaltungsverfahren entgegengenommen und ihren Inhalt sodann bei der kartellrechtlichen Beurteilung berücksichtigt. Eine analoge Anwendung von § 40 Abs. 3 Satz 2 GWB komme mangels Regelungslücke nicht in Betracht.

13        Das Bundeskartellamt habe aber nicht rechtsfehlerfrei begründet, dass die festgestellten Wettbewerbsprobleme mit der Verpflichtungszusage behoben werden könnten. Für Nebenbestimmungen einer kartellbehördlichen Fusionsfreigabe sei anerkannt, dass sie geeignet sein müssten, die untersagungsrelevanten Fusionswirkungen zu beseitigen. Da sich die Zusammenschlusskontrolle gegen eine strukturelle Verschlechterung der Wettbewerbsbedingungen richte, eigneten sich als Nebenbestimmungen grundsätzlich nur strukturelle Maßnahmen, die die Wettbewerbsbedingungen, nicht lediglich das Verhalten der beteiligten Unternehmen beeinflussten. Für Verpflichtungszusagen nach § 32b GWB, die das Bundeskartellamt zum Anlass einer Freigabe nehmen wolle, könne nichts anderes gelten. Sie könnten eine Freigabe nur rechtfertigen, wenn sie in gleicher Weise wie Nebenbestimmungen geeignet seien, die Untersagungsvoraussetzungen auszuräumen. Das sei nicht festzustellen. Das Bundeskartellamt habe außer Betracht gelassen, dass die Mindestausbauzusage ihrerseits zu wettbewerbsbeschränkenden strukturellen Effekten führe. Sie habe zur Folge, dass die vorgegebene Mindestanzahl von 300.000 Glasfaseranschlüssen von zwei wichtigen Marktteilnehmern gemeinsam errichtet und vermarktet werde. Die Verpflichtungszusagen reichten zudem zeitlich und inhaltlich nicht aus, um die schädlichen Zusammenschlusswirkungen zu beseitigen.

14        II. Die Rechtsbeschwerde und die Anschlussrechtsbeschwerde der EWE sind unzulässig.

15        1. Die Rechtsbeschwerde der EWE ist unzulässig, da die Zulassung der Rechtsbeschwerde durch den Bundesgerichtshof nur für das Bundeskartellamt und die Telekom wirkt und entgegen der Ansicht der EWE nicht kraft Gesetzes auch für sie.

16        a) Zu der bis zum 18. Januar 2021 geltenden Fassung des § 75 GWB (im Folgenden: aF) entsprach es allerdings herrschender Ansicht, dass die Zulassung der Rechtsbeschwerde aufgrund einer Nichtzulassungsbeschwerde Wirkung für alle Verfahrensbeteiligten hatte (K. Schmidt in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Aufl., § 75 GWB Rn. 11; Lembach in Langen/Bunte, Kartellrecht, 13. Aufl., § 75 GWB Rn. 12; Nothdurft in Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 3. Aufl., § 75 GWB Rn. 24; Kühnen in LMRKM, Kartellrecht, 4. Aufl., § 75 GWB Rn. 9; Künstner in Schulte/Just, Kartellrecht, 2. Aufl., § 75 GWB Rn. 3; Deichfuß in Kölner Kommentar zum Kartellrecht, 2014, § 75 GWB Rn. 24). Nach § 75 Abs. 5 Satz 2 GWB aF begann mit der Zustellung des Beschlusses des Bundesgerichtshofs, mit dem die Rechtsbeschwerde zugelassen wurde, der Lauf der Beschwerdefrist. Anders als in anderen Verfahrensordnungen wurde das Zulassungsverfahren nicht als Rechtsbeschwerdeverfahren fortgesetzt, sondern das Rechtsbeschwerdeverfahren schloss sich dem Zulassungsverfahren als eigenständiges Verfahren an. Da gemäß § 76 Abs. 1 GWB aF die Rechtsbeschwerde allen Verfahrensbeteiligten zustand, wirkte die Zulassung daher für alle Verfahrensbeteiligten (K. Schmidt in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Aufl., § 75 GWB Rn. 11; Nothdurft in Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 3. Aufl., § 75 GWB Rn. 24).

17        b) Durch die 10. GWB-Novelle (Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen für ein fokussiertes, proaktives und digitales Wettbewerbsrecht 4.0 und anderer wettbewerbsrechtlicher Bestimmungen "GWB-Digitalisierungsgesetz" vom 18. Januar 2021, BGBl. I 2021 S. 2) wurde das Zulassungsverfahren geändert. § 78 Abs. 6 Satz 2 GWB sieht nunmehr ähnlich wie § 139 Abs. 2 VwGO vor, dass nach Zulassung der Rechtsbeschwerde das Zulassungsverfahren als Rechtsbeschwerdeverfahren fortgesetzt wird. Die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde gilt nach § 78 Abs. 6 Satz 3 GWB als Einlegung der Rechtsbeschwerde. Daraus ergibt sich, dass die Zulassung der Rechtsbeschwerde durch den Bundesgerichtshof nur für die Verfahrensbeteiligten wirkt, welche die Zulassung erstritten haben.

18        aa) Das Gesetz eröffnet für die weiteren Verfahrensbeteiligten schon nach seinem Wortlaut keine Möglichkeit, noch nach Durchführung des Zulassungsverfahrens die Rechtsbeschwerdefrist des § 79 Abs. 3 Satz 1 GWB einzuhalten (vgl. K. Schmidt/Wirtz in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 7. Aufl., § 78 GWB Rn. 12; Kunnes in Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, 101. Lieferung, § 78 GWB Rn. 58 bis 60; Nothdurft/Breuer in Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 4. Aufl., § 78 GWB Rn. 24; Lembach in Bunte, Kartellrecht, 14. Aufl., § 78 GWB Rn. 12; Bacher in BeckOK Kartellrecht, 15. Ed., § 78 GWB Rn. 34.2; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 3. November 2000 - 7 B 116/00, NVwZ 2001, 201 [juris Rn. 5] zu § 139 VwGO). Die Regelung des § 78 Abs. 6 Satz 3 GWB ist damit auf den erfolgreichen Nichtzulassungsbeschwerdeführer zugeschnitten (vgl. Nothdurft/Breuer in Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 4. Aufl., § 78 GWB Rn. 24).

19        bb) Die Gesetzesbegründung, die für die Neuregelung in § 78 Abs. 6 Satz 3 GWB ausdrücklich auf § 139 Abs. 2 VwGO Bezug nimmt (Entwurf eines GWB-Digitalisierungsgesetzes vom 19. Oktober 2020, BT-Drucks. 19/23492, S. 123), spricht dafür, dass die Beschränkung der Revision auf den erfolgreichen Nichtzulassungsbeschwerdeführer vom Gesetzgeber gewollt war. Denn zu der entsprechenden Änderung des § 139 Abs. 2 VwGO durch das Vierte Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung vom 17. Dezember 1990 (BGBl. I 1999 S. 2809) hatte das Bundesverwaltungsgericht bereits entschieden, dass die von einzelnen Verfahrensbeteiligten erwirkte Revisionszulassung nur für diese wirkt (BVerwG, Beschluss vom 3. November 2000 - 7 B 116/00, NVwZ 2001, 201 [juris Rn. 5]). Aus der vom Gesetzgeber bezweckten Angleichung des § 78 GWB an § 139 VwGO folgt damit, dass die Zulassung der Rechtsbeschwerde auch im Kartellverwaltungsverfahren nur noch für die Verfahrensbeteiligten wirken sollte, die die Zulassung erstritten haben.

20        cc) Aus der Regelung in § 116 Abs. 7 Satz 2 FGO ergibt sich entgegen der Ansicht von EWE nichts Anderes. Diese Vorschrift bestimmt ausdrücklich, dass im Falle der Revisionszulassung mit der Zustellung der Zulassungsentscheidung für den Beschwerdeführer die Revisionsbegründungsfrist und für die übrigen Beteiligten die Revisions- und die Revisionsbegründungsfrist beginnen. § 116 Abs. 7 Satz 2 FGO eröffnet damit die in § 78 Abs. 6 Satz 3 GWB und § 139 Abs. 2 VwGO fehlende Möglichkeit für weitere Verfahrensbeteiligte, noch nach Durchführung des Zulassungsverfahrens die jeweilige Frist zur Einlegung des Rechtsmittels einzuhalten. Weil sich der Gesetzgeber bei der Neufassung von § 78 GWB ausdrücklich (BT-Drucks 19/23492, S. 123) an § 139 VwGO und nicht an § 116 FGO orientiert hat, verdeutlicht § 116 FGO im Umkehrschluss die gesetzgeberische Absicht, im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen die Zulassung der Rechtsbeschwerde durch den Bundesgerichtshof nur zugunsten des erfolgreichen Beschwerdeführers wirken zu lassen (Kunnes in Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, 101. Lieferung, § 78 GWB Rn. 60; Nothdurft/Breuer in Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 4. Aufl., § 78 GWB Rn. 24; Lembach in Bunte, Kartellrecht, 14. Aufl., § 78 GWB Rn. 12).

21        dd) Auch der Grundsatz der Rechtsmittelklarheit gebietet nicht, dass die Zulassung der Rechtsbeschwerde erga omnes wirkt, sondern steht einer solchen Wirkung entgegen. Der Senat hat die Rechtsbeschwerde im Beschluss vom 12. September 2023 (KVZ 64/21, juris) ausdrücklich (nur) für das Bundeskartellamt und die Telekom zugelassen.

22        2. Die Anschlussrechtsbeschwerde von EWE ist unzulässig. Da sie sich nicht gegen die Telekom und das Bundeskartellamt als Führer der (selbständigen) Rechtsbeschwerde richtet, sondern wie diese auf die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zu Lasten von Vodafone als Rechtsbeschwerdegegnerin zielt, ist sie nicht statthaft.

23        a) Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen sieht keine Regelung zur Anschlussrechtsbeschwerde vor. Dennoch ist diese in kartellrechtlichen Verwaltungsverfahren entsprechend den Regeln über die Anschlussrevision im Zivil- (§ 554 ZPO) und im Verwaltungsprozess (§ 141 i.V.m. § 127 VwGO) im Grundsatz statthaft (BGH, Beschlüsse vom 15. April 1986 - KVR 1/85, WuW/E BGH 2271 [juris Rn. 28] - Taxigenossenschaften; vom 14. August 2008 – KVR 54/07, WuW/E DE-R 2408 [juris Rn. 132] - Lottoblock I). Die Anschlussrevision steht gemäß § 554 Abs. 1 Satz 1 ZPO dem Revisionsbeklagten offen. Sie setzt wie die Anschlussberufung gemäß § 524 Abs. 1 Satz 1 ZPO voraus, dass sie sich mit ihren Anträgen gegen den Rechtsmittelkläger richtet und Ziele verfolgt, die dessen Zielen entgegengesetzt sind. Sie soll dem höheren Gericht einen Entscheidungsspielraum auch zugunsten des Rechtsmittelgegners verschaffen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Dezember 1988 - II ZR 129/88, NJW-RR 1989, 441 [juris Rn. 10] mwN). Auch ein Anschlussrechtsmittel nach § 127 VwGO setzt voraus, dass mit diesem eine dem Antrag des Hauptrechtsmittelführers gegenläufige Abänderung der angefochtenen Entscheidung erstrebt wird (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 26. Oktober 1989 - 9 B 405/89, NVwZ-RR 1990, 379 [juris Rn. 4 bis 6]; vom 5. September 1994 - 11 B 78/94, NVwZ-RR 1995, 58 [juris Rn. 2]). Ausschlaggebend für die analoge Anwendung der Regelungen über die Anschlussrevision in der Zivilprozess- und der Verwaltungsgerichtsordnung im Rechtsbeschwerdeverfahren nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen ist der Gedanke der Prozessökonomie. Durch die Möglichkeit der unselbständigen Anschließung soll verhindert werden, dass die teilweise unterlegene Partei, die sich mit dem ihr ungünstigen Teil der Entscheidung zufriedengeben will, solange nur der ihr günstige Teil vom Gegner nicht angefochten wird, eine Benachteiligung erfährt, wenn der Gegner unter voller Ausnutzung der Frist das Rechtsmittel einlegt (vgl. BGH, WuW/E BGH 2271 [juris Rn. 28] - Taxigenossenschaften).

24        b) Danach ist die Anschlussrechtsbeschwerde der EWE nicht statthaft. EWE ist nicht Gegnerin der seitens der Telekom und des Bundeskartellamts verfolgten Rechtsbeschwerden und sie verfolgt das gleiche Rechtsschutzziel wie die Hauptrechtsmittelführer.

25        III. Die zulässigen Rechtsbeschwerden des Bundeskartellamts und der Telekom sind begründet.

26        1. Zutreffend und von den Beteiligten unbeanstandet ist das Beschwerdegericht zunächst davon ausgegangen, dass die Gründung des Gemeinschaftsunternehmens der Zusammenschlusskontrolle nach §§ 35 ff. GWB unterfällt und keine vorrangige Zuständigkeit der Europäischen Kommission nach § 35 Abs. 3 GWB, Art. 21 Abs. 3 FKVO besteht. Zwar sind nach den Feststellungen die Schwellenwerte des Art. 1 Abs. 2 FKVO überschritten, ein Zusammenschluss im Sinne des Art. 3 FKVO liegt aber nicht vor.

27        a) Anders als nach § 37 GWB stellt nach Art. 3 Abs. 4 FKVO die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens nur dann einen Zusammenschluss dar, wenn das Gemeinschaftsunternehmen auf Dauer alle Funktionen einer selbständigen wirtschaftlichen Einheit erfüllt (sogenanntes Vollfunktionsgemeinschaftsunternehmen). Nach der Berichtigung der Konsolidierten Mitteilung der Kommission zu Zuständigkeitsfragen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (ABl. C 43/09 vom 21. Februar 2009, im Folgenden: Zuständigkeitsmitteilung) ist bei der Abgrenzung zum Teilfunktionsgemeinschaftsunternehmen zu berücksichtigen, ob die Muttergesellschaften in vorgelagerten oder nachgelagerten Märkten vertreten sind und dies dauerhaft zu umfangreichen Käufen beziehungsweise Verkäufen zwischen den Muttergesellschaften und dem Gemeinschaftsunternehmen führt (Zuständigkeitsmitteilung Rn. 97). Kommt es zu entsprechenden Verkäufen, ist entscheidend, ob das Gemeinschaftsunternehmen gleichwohl dazu bestimmt ist, eine aktive Rolle im Markt zu spielen, und in operativer Hinsicht als wirtschaftlich selbständig angesehen werden kann. Wenn das Gemeinschaftsunternehmen seine Muttergesellschaften genauso behandelt wie Dritte, kann es ausreichen, dass wenigstens 20 % des voraussichtlichen Umsatzes des Gemeinschaftsunternehmens mit Dritten erzielt werden (Zuständigkeitsmitteilung Rn. 98).

28        b) Danach handelt es sich vorliegend bei dem Gemeinschaftsunternehmen nicht um ein Voll- sondern ein Teilfunktionsgemeinschaftsunternehmen. Die Muttergesellschaften gehen davon aus, dass das Gemeinschaftsunternehmen kurz-, mittel- und langfristig in ganz überwiegenden Maße für sie tätig sein wird und auf Dauer weniger als 20 % seines Umsatzes mit Dritten erzielen wird. Auch der Anteil der Endkunden, die von Dritten mit Breitbandanschlüssen über Vorleistungen des Gemeinschaftsunternehmens versorgt werden, soll nach den Planungen 20 % nicht übersteigen.

29        2. Bei der Prüfung, ob durch den Zusammenschluss wirksamer Wettbewerb gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 GWB erheblich behindert würde, ist von dem Sachverhalt auszugehen, wie er sich nach Beendigung des Kartellverbotsverfahrens unter Berücksichtigung der Verpflichtungszusagen darstellt.

30        a) Gemäß § 36 Abs. 1 GWB ist ein nach den §§ 35, 39 GWB anmeldepflichtiger Zusammenschluss, durch den wirksamer Wettbewerb erheblich behindert würde, insbesondere von dem zu erwarten ist, dass er eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt, vom Bundeskartellamt zu untersagen, soweit kein Fall des § 36 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 3 GWB vorliegt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird eine marktbeherrschende Stellung verstärkt, wenn rechtliche oder tatsächliche Umstände dem marktbeherrschenden Unternehmen zwar nicht zwingend, aber doch mit einiger Wahrscheinlichkeit eine günstigere Wettbewerbsposition verschaffen würden. Dazu genügt es, wenn die Marktmacht ausgleichende Wirkung des Wettbewerbs durch eine Veränderung der markt- und unternehmensbezogenen Strukturen in noch höherem Maße eingeschränkt wird, als dies schon vor dem Zusammenschluss der Fall war. Die Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung kann insbesondere schon in der Stärkung der Fähigkeit eines Unternehmens liegen, nachstoßenden Wettbewerb abzuwehren und den von aktuellen und potentiellen Wettbewerbern zu erwartenden Wettbewerbsdruck zu mindern, um die bereits errungene Marktposition zu erhalten und zu sichern (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. Dezember 1979 - KVR 2/79, BGHZ 76, 55 [juris Rn. 49] - Springer/Elbe Wochenblatt I; vom 15. Juli 1997 - KVR 33/96, BGHZ 136, 268 [juris Rn. 42 bis 44, 55] - Stromversorgung Aggertal; vom 15. Juli 1997 - KVR 21/96, WuW/E DE-R 32 [juris Rn. 48] - Stadtwerke Garbsen; vom 7. Februar 2006 - KVR 5/05, BGHZ 166, 165 Rn. 49 - DB Regio/üstra; vom 12. Januar 2021 - KVR 34/20, BGHZ 228, 207 Rn. 18 - CTS Eventim/Four Artists; vom 28. Mai 2024 - KVR 81/23, WuW 2024, 432 Rn. 13).

31        Auf einen bestimmten Grad an Spürbarkeit kommt es dabei nicht an. Insbesondere genügt bei Märkten mit einem hohen Konzentrationsgrad schon eine geringfügige Beeinträchtigung des verbliebenen oder potentiellen Wettbewerbs für eine Verstärkungswirkung (BGH, Beschlüsse vom 11. November 2008 – KVR 60/07, BGHZ 178, 285 Rn. 61 mwN - E.ON/Stadtwerke Eschwege; vom 19. Juni 2012 - KVR 15/11, WuW/E DE-R 3695 Rn. 17 - Haller Tagblatt; BGHZ 228, 207 Rn. 18 - CTS Eventim/Four Artists; WuW 2024, 432 Rn. 13). Als Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung werden danach nur solche strukturellen Veränderungen erfasst, die überhaupt eine Auswirkung auf die Wettbewerbsbedingungen erwarten lassen und in diesem Sinne qualitativ oder quantitativ marktrelevant sind. Für diese Betrachtung der Wettbewerbsbedingungen ist die Gesamtheit der strukturellen Wettbewerbsparameter in den Blick zu nehmen (BGHZ 228, 207 Rn. 20 f. - CTS Eventim/Four Artists; WuW 2024, 432 Rn. 13). Bei der für die Beurteilung der Wirkungen des Zusammenschlusses erforderlichen Prognose sind die Wettbewerbsbedingungen, die ohne den Zusammenschluss herrschen, zu vergleichen mit denjenigen, die durch den Zusammenschluss entstehen würden. Für die Annahme, eine Verstärkungswirkung sei wahrscheinlich, bedarf es stets konkreter Anhaltspunkte (BGH, WuW/E DE-R 3695 Rn. 17 f. – Haller Tagblatt). Der Prognosezeitraum beträgt in der Regel drei bis fünf Jahre (BGH, WuW/E DE-R 3695 Rn. 38 - Haller Tagblatt).

32        b) Von diesen Grundsätzen geht auch das Beschwerdegericht aus. Im Ausgangspunkt ferner zutreffend hat das Beschwerdegericht angenommen, dass die im Kartellverbotsverfahren abgegebenen und gemäß § 32b Abs. 1 Satz 1 GWB für verbindlich erklärten Verpflichtungszusagen bei der Prüfung des Zusammenschlusses nach § 36 Abs. 1 Satz 1 GWB zu berücksichtigen sind.

33        aa) Bei der Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens finden nicht nur die Vorschriften über die Zusammenschlusskontrolle Anwendung, sondern es ist auch zu überprüfen, ob es sich um ein nach § 1 GWB verbotenes Kartell handelt (st. Rspr., vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. Oktober 1985 - KVR 6/84, BGHZ 96, 69 [juris Rn. 31 bis 33] - Mischwerke; vom 8. Mai 2001 - KVR 12/99, BGHZ 147, 325 [juris Rn. 15] - Ost-Fleisch; Urteil vom 23. Juni 2009 - KZR 58/07, WuW/E DE-R 2742 Rn. 14 - Gratiszeitung Hallo). Die präventive Zusammenschlusskontrolle (§ 41 GWB) soll einer negativen Strukturveränderung auf den betroffenen Märkten und einer dadurch eintretenden erheblichen Wettbewerbsbehinderung vorbeugen. Die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens kann aber über den Zusammenschlusstatbestand hinaus zu einer Verhaltens- und Interessenabstimmung und damit zu einer Beschränkung des Wettbewerbs unter den Muttergesellschaften führen, die dem Kartellverbot des § 1 GWB unterfällt (vgl. BGHZ 147, 325 [juris Rn. 34] - Ost-Fleisch). Anders als in der Fusionskontrollverordnung (vgl. Art. 2 Abs. 4 FKVO) ist die Prüfung des Kartellverbots im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen nicht Teil des Fusionskontrollverfahrens. Sie ist vielmehr Untersuchungsgegenstand in einem eigenständigen Verfahren nach § 32 GWB (vgl. Thomas in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Aufl., § 36 GWB Rn. 608). Dies schließt zwar nicht aus, dass die Verfahren - wie vorliegend - unter einem einheitlichen Aktenzeichen geführt werden, sie unterliegen aber jeweils ihren eigenen Regelungen (vgl. BGHZ 147, 325 [juris Rn. 17] - Ost-Fleisch). Dabei bestehen keine gesetzlichen Vorgaben, ob die Kartellbehörde in Fällen der Doppelkontrolle zunächst das Kartellverbotsverfahren oder das dem Fristenregime des § 40 GWB unterliegende Zusammenschlusskontrollverfahren zum Abschluss bringt.

34        bb) Dies gilt auch für die Beendigung der Verfahren unter Berücksichtigung von Verpflichtungszusagen. Für das Zusammenschlusskontrollverfahren hat der Gesetzgeber in § 40 Abs. 3 Satz 1 GWB geregelt, dass die Freigabe mit Bedingungen und Auflagen verbunden werden kann, um sicherzustellen, dass die beteiligten Unternehmen den Verpflichtungen nachkommen, die sie gegenüber dem Bundeskartellamt eingegangen sind, um eine Untersagung abzuwenden. § 40 Abs. 3 Satz 2 GWB stellt klar, dass die Nebenbestimmungen nicht zu einer laufenden Verhaltenskontrolle führen dürfen (Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 29. Januar 1998, BT-Drucks. 13/9720, S. 60; vgl. Dubberstein in Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 4. Aufl., § 40 GWB Rn. 61). Das ausdrückliche Verbot verdeutlicht und konkretisiert die vom Gesetzeszweck des § 36 Abs. 1 GWB vorgegebene Zielrichtung der Nebenbestimmungen, strukturelle Verschlechterungen der Wettbewerbsbedingungen zu verhindern (vgl. BGHZ 166, 165 Rn. 56 - DB Regio/üstra).

 

35        cc) Für Verpflichtungszusagen im Kartellverbotsverfahren, die gemäß § 32b Abs. 1 Satz 1 GWB für verbindlich erklärt werden und gemäß § 32b Abs. 1 Satz 2 GWB zur Einstellung des Verfahrens führen, bestehen dagegen keine entsprechenden einschränkenden Vorgaben. Während die Freigabe des Zusammenschlusses nicht mit einer Befristung verbunden werden darf, sieht § 32b Abs. 1 Satz 3 GWB die Befristung der Einstellungsverfügung ausdrücklich vor. Das Verbot des § 40 Abs. 3 Satz 2 GWB, die beteiligten Unternehmen einer laufenden Verhaltenskontrolle zu unterstellen, ist auf Verpflichtungszusagen nach § 32b GWB in Fällen der Doppelkontrolle auch nicht entsprechend anzuwenden. Wie das Beschwerdegericht zutreffend ausführt, fehlt es für eine analoge Anwendung schon an einer planwidrigen Regelungslücke. Die Doppelkontrolle bei der Gründung von Gemeinschaftsunternehmen bestand schon vor der gesetzlichen Regelung von Verpflichtungszusagen in der Fusionskontrolle in § 40 Abs. 3 GWB mit der 6. GWB-Novelle 1998 und im Kartellverfahren in § 32b GWB mit der 7. GWB-Novelle 2005 (vgl. bereits BGHZ 96, 69 [juris Rn. 31] - Mischwerke). Gleichwohl hat der Gesetzgeber keinen Anlass gesehen, die Anforderungen an Verpflichtungszusagen für Fälle der Doppelkontrolle im Sinne des § 40 Abs. 3 GWB zu vereinheitlichen.

36        c) Ist für ein geplantes Gemeinschaftsunternehmen vor der Entscheidung über den Zusammenschluss bereits eine Verfügung nach § 32b GWB ergangen, ist in der Zusammenschlusskontrolle zu prüfen, ob das Vorhaben unter Berücksichtigung der Verpflichtungszusagen, die durch diese Verfügung verbindlich geworden sind, eine erhebliche Behinderung wirksamen Wettbewerbs mit einiger Wahrscheinlichkeit erwarten lässt (§ 36 Abs. 1 Satz 1 GWB), und – soweit dies der Fall ist -, ob durch den Zusammenschluss auch Verbesserungen der Wettbewerbsbedingungen eintreten und diese Verbesserungen die Behinderung des Wettbewerbs überwiegen (§ 36 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 GWB). Danach sind die zu erwartenden Wettbewerbsbedingungen ohne den Zusammenschluss mit denjenigen bei Durchführung des angemeldeten Zusammenschlussvorhabens - einschließlich der entgegengenommenen Verpflichtungszusagen - zu vergleichen.

37        d) Die Vorgehensweise, zunächst das Kartellverbotsverfahren durch eine befristete Verfügung gemäß § 32b GWB abzuschließen und sodann das Zusammenschlussvorhaben unter Berücksichtigung der im Kartellverbotsverfahren für verbindlich erklärten Verpflichtungszusagen ohne Nebenbestimmungen freizugeben, ist nicht in jedem Fall eine unzulässige Umgehung der für zulässige Nebenbestimmungen gemäß § 40 Abs. 3 GWB geltenden Einschränkungen.

38        aa) Eine - unzulässige - Gesetzesumgehung kann vorliegen, wenn der Zweck einer zwingenden Rechtsnorm dadurch vereitelt wird, dass andere rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten verwendet werden (BVerwG, Beschluss vom 20. März 1987 - 8 CB 54/86, juris Rn. 3; BGH, Urteil vom 17. Juli 2012 - II ZR 55/11, WM 2012, 1724 Rn. 22 mwN).

39        bb) Wird das Zusammenschlussvorhaben vor der Entscheidung über seine Freigabe oder Untersagung durch eine Verfügung gemäß § 32b GWB geändert, ist das aufgrund der Tatbestandswirkung der Verfügung im Fusionskontrollverfahren zu berücksichtigen, auch wenn die für bindend erklärten Verpflichtungszusagen als Nebenbestimmungen zur Freigabe gemäß § 40 Abs. 3 GWB nicht zulässig gewesen wären. Eine unzulässige Umgehung des § 40 Abs. 3 GWB liegt darin dann nicht, wenn eine gemäß § 32b Abs. 1 Satz 3 GWB befristete Verfügung ein reversibles kooperatives Teilfunktionsgemeinschaftsunternehmen betrifft, das zum Auf- oder Ausbau einer Netzinfrastruktur gegründet worden ist, der aufgrund der Marktverhältnisse während des Befristungszeitraums ohne das Gemeinschaftsunternehmen weder im Wettbewerb noch durch einen Wettbewerber allein in entsprechendem Umfang zu erwarten wäre.

40        (1) Zwar führt eine Freigabe aufgrund von Verpflichtungszusagen, die wie hier auf Verhaltenspflichten gerichtet sind, deren Erfüllung langfristig überprüft werden muss, vordergründig zu einem mit § 36 Abs. 1, § 40 Abs. 3 Satz 2 GWB unvereinbaren Ergebnis. Dabei bleibt aber außer Betracht, dass unter den oben genannten Voraussetzungen Sinn und Zweck dieser Vorschriften, die strukturellen Voraussetzungen wirksamen Wettbewerbs zu schützen (vgl. Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (8. GWB-ÄndG) vom 31. Mai 2012, BT-Drucks. 17/9852, S. 30; BGHZ 166, 165 Rn. 56, 59 - DB Regio/üstra), je nach Inhalt der Verpflichtungszusagen gewahrt werden können.

41        (2) Die Errichtung von Netzinfrastrukturen erfordert hohe Investitionen, die über lange Zeiträume abgeschrieben werden müssen und bei denen innerhalb des fusionskontrollrechtlichen Prognosezeitraums nicht mit der notwendigen Gewissheit absehbar ist, ob sie sich amortisieren werden. Zudem ist oft nicht zu erwarten, dass parallele Netzinfrastrukturen derselben Technologie im Wettbewerb errichtet werden. Soweit es danach im Einzelfall an hinreichenden Anreizen für die Errichtung einer solchen Netzinfrastruktur fehlt, kann es fusionskontrollrechtlich hinzunehmen sein, wenn die Kartellbehörde auf Grundlage einer befristeten Entscheidung nach § 32b Abs. 1 GWB mit verhaltensbezogenen Regelungen den Umfang der gemeinschaftlichen Errichtung der Netzinfrastruktur vorgibt, dabei zugleich mit solchen Regelungen gewährleistet, dass Wettbewerber gleichwertigen Zugang zur Netzinfrastruktur wie die Mütter des Gemeinschaftsunternehmens erhalten, und auf diese Weise im Ergebnis sicherstellt, dass die Vorgaben des § 36 Abs. 1 GWB auf den betroffenen Märkten für die mit Hilfe der Netzinfrastruktur angebotenen Dienstleistungen erfüllt sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Beurteilung nach Marktstrukturen und nach Marktverhalten um zwei verschiedene Betrachtungsweisen des Marktgeschehens handelt, die sich im gewissen Maß ergänzen und gegenseitig beeinflussen; jedoch dienen beide der Prüfung, ob die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs ernstlich gefährdet wird (BGH, Beschluss vom 2. Dezember 1980 - KVR 1/80, BGHZ 79, 62 [juris Rn. 36] - Klöckner/Becorit). Auch der Gesetzgeber der 8. GWB-Novelle geht vor dem Hintergrund der beabsichtigten Angleichung an die unionsrechtlichen Vorschriften über Nebenbestimmungen bei Freigabeentscheidungen davon aus, dass nach § 40 Abs. 3 Satz 1 GWB Verhaltenszusagen möglich sind, wenn sie ebenso geeignet und wirksam sind wie Veräußerungszusagen, um das identifizierte Wettbewerbsproblem zu beseitigen und das Bundeskartellamt die Verhaltenspflichten effektiv kontrollieren kann (BT-Drucks. 17/9852, S. 30).

42        (3) Wegen der Befristung der Verfügung nach § 32b GWB und der Reversibilität des Zusammenschlusses kommt es zu keiner dauerhaft kartellrechtlicher Prüfung entzogenen und nicht oder nur schwer rückabzuwickelnden Unternehmensverbindung. Da die Gefahr einer endgültigen strukturellen Wettbewerbsverschlechterung in diesen Fällen ausgeschlossen ist, unterfällt ein solches Teilfunktionsgemeinschaftsunternehmen auf Unionsebene - wie oben ausgeführt (Rn. 27) - bereits nicht der Fusionskontrolle. Vor diesem Hintergrund stellt in einem solchen Fall die Wahrnehmung der vom Gesetzgeber ausdrücklich eröffneten Möglichkeit, gleichzeitig ein Kartellverbotsverfahren und eine Fusionskontrolle durchzuführen, auch dann keine unzulässige Umgehung dar, wenn sie zu Verpflichtungszusagen führt, die als Nebenbestimmungen zur Freigabe gemäß § 40 Abs. 3 GWB unzulässig gewesen wären. Dies gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier - die Befristung der Verfügung nach § 32b GWB nicht wesentlich über den für das Fusionskontrollverfahren maßgeblichen Prognosezeitraum von in der Regel drei bis fünf Jahren (vgl. BGH, WuW/E DE-R 3695 Rn. 38 - Haller Tagblatt) hinausgeht.

43        (4) Soweit die Verhaltenskoordinierung der Muttergesellschaften durch das Gemeinschaftsunternehmen nach Ablauf der Befristung oder - bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 32b Abs. 2 GWB - auch vor ihrem Ablauf einen Verstoß gegen § 1 GWB befürchten lässt, hat das Bundeskartellamt die Möglichkeit, den dadurch verursachten wettbewerbsschädlichen Wirkungen durch eine neue Verfügung nach § 32 GWB oder § 32b GWB wirksam entgegenzuwirken (BGH, Beschluss vom 12. Juni 2018 - KVR 38/17, WuW 2018, 468 Rn. 37, 39, 43 - Holzvermarktung Baden-Württemberg). Zu Recht weist das Bundeskartellamt darauf hin, dass das Beschwerdegericht bei seiner Annahme, ein Wiederaufgreifen des Kartellverbotsverfahrens komme nur unter den engen Voraussetzungen des § 32b Abs. 2 GWB in Frage, die Befristung der Verfügung aus den Augen verloren hat. Entgegen der Auffassung von Vodafone stehen bei einer von vornherein vorgenommenen Befristung einer neuen Verfügung auch keine Vertrauensschutzgesichtspunkte entgegen. Damit kommt es zwar in der Sache zu einer im System der Fusionskontrolle nicht vorgesehenen befristeten Freigabe. Das ist aber vor dem Hintergrund der Doppelkontrolle sachgerecht.

44        (5) Schließlich entsteht für Wettbewerber auch keine Rechtsschutzlücke. Der Senat hat zwar keine Veranlassung gesehen, besondere Grundsätze zur Zulässigkeit der Anfechtungsbeschwerde eines Dritten gegen eine gemäß § 32b GWB erlassene Verfügung zu entwickeln, sofern dieser die Möglichkeit hat, Anfechtungsbeschwerde im Fusionskontrollverfahren zu erheben (BGH, Beschluss vom 12. September 2023 - KVZ 73/20, WuW 2024, 117 Rn. 13 f.). Damit ist indes nichts darüber ausgesagt, ob dies in einem Fall wie dem vorliegenden auch dann gilt, wenn nach erfolgter Fusionsfreigabe die Befristung einer Verfügung gemäß § 32b Abs. 1 GWB ausgelaufen ist.

45        e) Auf der Grundlage der Feststellungen des Beschwerdegerichts kann nicht beurteilt werden, ob die danach erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind.

46        aa) Zwar handelt es sich bei dem Zusammenschluss um ein reversibles kooperatives Teilfunktionsgemeinschaftsunternehmen zum Auf- und Ausbau einer Netzinfrastruktur. Das Gemeinschaftsunternehmen dient der Durchführung des sachlich und räumlich begrenzten Kooperationsvorhabens der Muttergesellschaften, FTTB/H-Anschlüsse und damit eine Netzinfrastruktur, deren Auf- und Ausbau mit erheblichen Kosten verbunden ist, gemeinsam auszubauen. Ressourcen der Muttergesellschaften werden nur in einem begrenzten Umfang in dem Gemeinschaftsunternehmen zusammengeführt. Das Gemeinschaftsunternehmen wird zwar mit ausreichenden Mitteln und Personal für das Tagesgeschäft ausgestattet, für die Netzplanung und den Netzausbau soll es aber nahezu ausschließlich auf die Ressourcen der Muttergesellschaften zurückgreifen. Die Muttergesellschaften bleiben mit ihren Bestandsnetzen neben dem Gemeinschaftsunternehmen auf den lokalen und zentralen Zugangsmärkten tätig. Der Vertrieb der Leistungen an Endkunden verbleibt bei den Muttergesellschaften. Das Gemeinschaftsunternehmen soll ausschließlich Vorleistungen vertreiben. Damit beeinträchtigt der Zusammenschluss nicht die Fähigkeit der Muttergesellschaften, künftig alle Leistungen des Gemeinschaftsunternehmens wieder eigenständig zu erbringen. Der Joint-Venture-Vertrag enthält Regelungen, die seine Beendigung und die vollständige Auseinandersetzung des Gemeinschaftsunternehmens ermöglichen. Schwer oder nicht mehr zu korrigierende Verschlechterungen der strukturellen Wettbewerbsbedingungen sind bei einer Entflechtung des Gemeinschaftsunternehmens auch etliche Jahre nach seinem Vollzug daher nicht zu erwarten (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2008 - KVR 30/08, BGHZ 178, 203 Rn. 10 f. - Faber/Basalt; Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 27. September 1978, BT-Drucks. 8/2136, S. 23). Schließlich ist auch die Verfügung des Bundeskartellamts im Kartellverbotsverfahren bis zum 31. März 2026 befristet, so dass das Bundeskartellamt nach Ablauf der Befristung ein neues Kartellverbotsverfahren durchführen und gegebenenfalls eine Auflösung des Gemeinschaftsunternehmens anordnen kann.

47        bb) Aufgrund der Feststellungen des Beschwerdegerichts kann aber nicht beurteilt werden, ob der Ausbau der FTTB/H-Anschlüsse im Kooperationsgebiet in einem aufgrund der Verpflichtungszusagen zu erwartenden Umfang auch ohne das Gemeinschaftsunternehmen erfolgt wäre. Es hat zwar festgestellt, dass ein Überbau von errichteten Glasfasernetzen durch Wettbewerber im Allgemeinen nicht stattfindet. Es hat außerdem festgestellt, dass Telekom aktuell und kurzfristig keinen Anreiz habe, ihr vorhandenes FTTC-Netz durch ein Glasfasernetz zu überbauen, da sie mit ihrem Netz kurz- und mittelfristig die Endkundenund Vorleistungsnachfrage noch bedienen könne. Unter Verletzung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 GWB hat das Beschwerdegericht aber angenommen, EWE habe aufgrund der 2016 verlautbarten Investitionspläne zum Projekt Lichtwelle schon unabhängig von dem Gemeinschaftsunternehmen einen großen Anreiz zum Ausbau des Glasfasernetzes gehabt.

48        Nach § 76 Abs. 1 Satz 1 GWB entscheidet das Beschwerdegericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Daraus folgt das Gebot, sich mit dem Prozessstoff umfassend und widerspruchsfrei zu befassen (BGH, Urteil vom 12. Juni 2018 - KZR 56/16, WuW 2018, 405 Rn. 58 - Grauzementkartell II; Vogt-Beheim in BeckOK Kartellrecht, 15. Edition, § 76 GWB Rn. 4).

49        (2) Das Beschwerdegericht hat den Sachvortrag im Schriftsatz des Bundeskartellamts vom 6. Oktober 2020, in den Schriftsätzen der Telekom vom 13. und 20. Oktober 2020, von EWE vom 13. Oktober 2020 und von Vodafone vom 14. Mai 2021 vollständig unbeachtet gelassen.

50        (a) Im Beschwerdeverfahren hatte das Bundeskartellamt aufgrund eines Hinweisbeschlusses des Beschwerdegerichts mit Schriftsatz vom 6. Oktober 2020 ergänzend vorgetragen. Danach hatte EWE im Ausgangspunkt ohne Gründung des Gemeinschaftsunternehmens hohe Anreize, im Kooperationsgebiet das FTTB/H-Netz auszubauen und einen solchen Ausbau 2016 auch in erheblichem Umfang angekündigt. Aufgrund einer neu bewerteten Kostensituation und der weit hinter den Erwartungen zurückbleibenden Nachfrage, insbesondere auch durch dritte Vorleistungsnachfrager wie die Telekom, habe EWE ihre Ausbauplanung im weiteren Verlauf jedoch erheblich nach unten korrigiert. Die Beschlussabteilung sei vor diesem Hintergrund davon ausgegangen, dass EWE ohne weitergehenden wettbewerblichen Druck zunächst im Wesentlichen nur noch Neubaugebiete und Fördergebiete mit FTTB/H ausgebaut hätte. Ein offensiver und großflächiger Ausbau sei bis auf weiteres nicht mehr zu erwarten gewesen, sondern allenfalls noch ein reaktiver Ausbau in Antwort auf wettbewerbliche Vorstöße insbesondere durch die Deutsche Glasfaser. Nur für 2020 sei noch mit einem erheblichen nachlaufenden Ausbau aus dem Projekt Lichtwelle zu rechnen gewesen. Dieser Ausbau durch EWE beziehe sich auf Haushalte, deren Ausbau EWE im Jahr 2019, also noch vor der Freigabe, entweder begonnen oder gegenüber den Kommunen mit einem gewissen Grad an Verbindlichkeit angekündigt hatte und die aus diesem Grund auch nicht auf den zugesagten Mindestausbau des Gemeinschaftsunternehmens anzurechnen seien. Aus Sicht von EWE sei das Projekt Lichtwelle "effektiv tot" gewesen. Telekom hat mit Schriftsatz vom 20. Oktober 2020 darauf hingewiesen, dass bei Zugrundelegung des Vortrags des Bundeskartellamts im Schriftsatz vom 6. Oktober 2020 die Schadenstheorie, wonach die Gründung des Gemeinschaftsunternehmens zu einer wettbewerblichen Schwächung des von der EWE gegenüber Telekom ausgehenden Investitions- und Ausbauwettbewerbs führe, unbegründet sei.

51        (b) Die im Beschwerdeverfahren vorgetragenen ergänzenden Informationen zum zu erwartenden Glasfaserausbau der EWE lagen dem Bundeskartellamt im Verwaltungsverfahren zwar bereits vor, waren aber im Hinblick auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nicht offengelegt worden. Im Beschwerdeverfahren haben EWE und Telekom die Vertraulichkeit der mit Schriftsatz vom 6. Oktober 2020 vom Bundeskartellamt vorgetragenen Informationen im Verhältnis zueinander und im Verhältnis zu Vodafone und der Deutschen Glasfaser teilweise aufgegeben, nämlich insoweit als der Inhalt des Schriftsatzes des Bundeskartellamts, nicht aber die darin in Bezug genommenen Gesprächsprotokolle und Anlagen betroffen sind. Gegenüber den weiteren Beigeladenen erfolgte keine Aufgabe der Vertraulichkeit.

52        (3) Den ergänzenden Vortrag des Bundeskartellamts und den hierzu erfolgten Hinweis der Telekom, dass danach der Investitions- und Ausbauwettbewerb zwischen den Muttergesellschaften durch den Zusammenschluss nicht geschwächt werde, hätte das Beschwerdegericht berücksichtigen müssen.

53        (a) Der Vortrag durfte in seiner Gesamtheit nicht deshalb ohne weiteres unberücksichtigt bleiben, weil die Anlagen zum Schriftsatz des Bundeskartellamts gegenüber Vodafone nicht freigegeben waren (vgl. BGHZ 178, 285 Rn. 28 bis 34 - E.ON/Stadtwerke Eschwege). Nach § 76 Abs. 1 Satz 2 GWB darf der Beschluss nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten. Da dem Vortrag zum Wettbewerbsdruck von EWE auch aus Sicht des Beschwerdegerichts zentrale Bedeutung zukam, hätte es sich mit seinen gegenüber Vodafone freigegebenen Teilen sowie der Erwiderung von Vodafone dazu auseinandersetzen und auf dieser Grundlage aufklären müssen, ob Feststellungen zu den für EWE bestehenden Ausbauanreizen auch ohne Berücksichtigung der Anlagen und Gesprächsprotokolle hätten getroffen werden können. Erst wenn sich dies als unmöglich erwiesen hätte und eine Freigabe des vollständigen Vorbringens nach § 70 Abs. 2 Satz 4 GWB (§ 72 Abs. 2 Satz 4 GWB aF) nicht in Betracht gekommen wäre, hätte es gemäß § 76 Abs. 1 Satz 2 GWB vorgehen und das Vorbringen des Bundeskartellamts und der Telekom gänzlich unberücksichtigt lassen dürfen.

54        (b) Das dem Beschwerdegericht hinsichtlich der Verwertung von gegenüber den weiteren Beigeladenen nicht offengelegten Informationen gemäß § 76 Abs. 1 Satz 3 GWB grundsätzlich eingeräumte Ermessen war vorliegend in Anbetracht der Bedeutung der Informationen für den von EWE ausgehenden Wettbewerbsdruck und die davon abhängige Beurteilung des Zusammenschlussvorhabens auf null reduziert. Das Beschwerdegericht hatte zuvor darauf hingewiesen, dass die Ausführungen im Freigabebeschluss zu den Ausbauvolumina weithin unkonkret und nicht ansatzweise nachvollziehbar seien. Den Umfang des Ausbaus des Glasfasernetzes ohne den Zusammenschluss auch anhand der im Schriftsatz vom 6. Oktober 2020 enthaltenen ergänzenden Informationen zu beurteilen, drängte sich also auf, zumal Telekom auf die Bedeutung der Informationen für die Freigabefähigkeit des Zusammenschlusses ausdrücklich hingewiesen hatte, und der Beeinträchtigung des Investitionswettbewerbs für die Beurteilung des Zusammenschlusses auch aus Sicht des Beschwerdegerichts zentrale Bedeutung zukam.

55        3. Vor diesem Hintergrund kann auch die Beurteilung des Beschwerdegerichts, das Zusammenschlussvorhaben lasse auf den beiden Zugangsmärkten und dem Endkundenmarkt eine erhebliche Behinderung wirksamen Wettbewerbs im Sinne des § 36 Abs. 1 Satz 1 GWB erwarten, keinen Bestand haben, so dass es auf die weiteren Rügen der Rechtsbeschwerden nicht mehr ankommt.

56        C. Danach ist der Beschluss gemäß § 80 Abs. 4 Satz 1 GWB aufzuheben. Der Senat kann in der Sache nicht gemäß § 80 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 GWB selbst entscheiden. Ob die nach den obigen Ausführungen erforderlichen Voraussetzungen dafür gegeben sind, dass hier keine unzulässige Umgehung der Fusionskontrollvorschriften vorliegt, wird das Beschwerdegericht noch zu klären haben. Dazu wird es sich mit dem übergangenen Vortrag auseinandersetzen und zunächst zu prüfen haben, ob nunmehr eine Freigabe der Gesprächsprotokolle und der anderen im Schriftsatz des Bundeskartellamts vom 6. Oktober 2020 genannten Anlagen gegenüber Vodafone und gegebenenfalls den weiteren Beteiligten in Betracht kommt, zumal eine solche Freigabe im eigenen Interesse von EWE als anmeldendem Unternehmen des Zusammenschlusses liegt. Sodann wird es die Freigabeentscheidung nach den obigen Maßgaben erneut zu würdigen und im Einzelnen zu prüfen haben, ob den im Verfahren nach § 32b GWB entgegengenommenen Verpflichtungszusagen die für eine Freigabe des Zusammenschlusses nach § 36 Abs. 1 in Verbindung mit § 40 Abs. 2 GWB erforderlichen Wirkungen beigemessen werden können.

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