OLG Frankfurt: Strukturkündigung von Kfz-Vertragshändlerverträgen ist wirksam
OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 13.5.2008 - 11 U 39/07 (Kart)
Sachverhalt
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der von der Beklagten ausgesprochenen Kündigung eines Vertragshändlervertrages zum 31.1.2007 sowie um eine Schadensersatzverpflichtung der Beklagten aus Anlass dieser Kündigung.
Die Klägerin war seit 1977 als Nissan-Vertragshändlerin tätig. Die Streithelferin importiert Nissan-Fahrzeuge nach Deutschland. Sie ist mit der Beklagten als sogenannter Primärhändlerin durch einen Vertragshändlervertrag verbunden. Die Beklagte hat mit verschiedenen Sekundärhändlern, darunter auch mit der Klägerin, Vertragshändlerverträge geschlossen. Mit Schreiben vom 20.1.2006 (BI. 48 d.A.) kündigte die Beklagte „im Zuge der Neustrukturierung des Nissan-Vertriebsnetzes" den Vertrag mit der Klägerin binnen Jahresfrist. Mit Schreiben der Streithelferin vom 11.1.2006 informierte diese die Klägerin darüber, dass das bisherige zweistufige Händlernetz aufgelöst und durch ein einstufiges Netz ersetzt werde. Eine Einbindung der Klägerin in das neue Netz sei nicht vorgesehen (BI. 49 f. d.A.).
Wegen des übrigen unstreitigen Sachverhalts und des Vorbringens der Parteien in erster Instanz wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf das angefochtene Urteil (BI. 296 ff. d.A.) Bezug genommen.
Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil vom 2.5.2007 festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin den Schaden zu ersetzen, der ihr aus der von der Beklagten mit Schreiben vom 20. Januar 2006 ausgesprochenen Kündigung des zwischen den Parteien bestehenden Vertragshändlervertrages vom 29.4./3.5.2004 bis zum 31.1.2008 entstehen wird.
Die Entscheidung ist im Wesentlichen damit begründet, dass die Beklagte die Voraussetzungen für eine einjährige befristete Kündigung, wie sie der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) in seinem Urteil vom 7.9.2006 - C 125/05 (GRUR Int. 2007, 226) - formuliert hat, nicht dargetan habe. Die Kündigung sei darum erst am 31.1.2008 wirksam geworden. Wegen der weitergehenden Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil verwiesen.
Hiergegen richten sich die Berufungen der Beklagten und der Streithelferin, zu deren Begründung sie vortragen:
Das Landgericht habe die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast überspannt, indem es - entgegen den Vorgaben des EuGH - ihre, der Beklagten und ihrer Streithelferin, wirtschaftlichen und geschäftlichen Erwägungen nachgeprüft habe. Zudem habe es Beweisangebote in verfahrensrechtlich nicht vertretbarer Weise für ungeeignet gehalten. Sie, die Beklagte und ihre Streithelferin hätten plausible Gründe für die Umstrukturierung ihres Vertriebsnetzes und die Notwendigkeit von deren Durchführung innerhalb eines Jahres vorgetragen und unter Beweis gestellt. Ohne die Umstellung hätten der Streithelferin Verluste in Höhe von 39 Mio. € gedroht. Selbst wenn die Kündigung vom 20.1.2006 nicht gerechtfertigt gewesen wäre, so tragen die Beklagte und ihre Streithelferin weiter vor, sei sie, die Beklagte, der Klägerin nicht zum Schadensersatz verpflichtet, da sie sich dann in einem unverschuldeten Irrtum befunden habe. Die Entscheidung des EuGH, in der dieser plausible Gründe für eine Strukturkündigung nach Art. 5 Abs. 3 GVO 1475/1995 EG gefordert habe, habe beim Ausspruch der Kündigung noch nicht vorgelegen. Sie - die Beklagte - habe sich darum auf die gegenteilige Ansicht der EU-Kommission verlassen dürfen, die die Auffassung vertreten habe, die Notwendigkeit einer Umstrukturierung seines Vertriebsnetzes sei allein vom Lieferanten frei zu beurteilen.
Die Beklagte und ihre Streithelferin beantragen, das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 2.5.2007 - Az.: 3/4 O 156/06 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen, sowie zu ihrer eigenen Berufung in Abänderung des landgerichtlichen Urteils die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten aufzuerlegen.
Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Sie ist der Auffassung, Art, XVI Nr. 3 des Händlervertrages sei unwirksam und damit nicht geeignet, die Kündigung binnen Jahresfrist zu rechtfertigen. Zudem verstoße die Kündigung gegen den entsprechend anwendbaren § 89 Abs. 2 Satz 2 HGB. Des Weiteren setze auch die Kündigung binnen Jahresfrist nach Art. XVI Abs. 1 Satz 2 des Händlervertrages eine ausführliche Begründung voraus, an der es hier fehle. Schließlich seien, wie die Klägerin im Einzelnen ausführt, die strengen Anforderungen des EuGH an eine Strukturkündigung nicht erfüllt.
Mit ihrer eigenen Berufung greift die Klägerin die Kostenentscheidung des landgerichtlichen Urteils an und meint, da sie in vollem Umfang obsiegt habe, hätten der Beklagten die Kosten insgesamt auferlegt werden müssen.
Die Beklagte und ihre Streithelferin beantragen insoweit, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands im Berufungsrechtszug wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Der Senat hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 11.12.20067 (BI. 489 f. d.A.) durch Vernehmung des zeugen Schnabel. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 25.3.2008 (BI. 538 ff. d.A.) Bezug genommen.
Aus den Gründen
A. Berufung der Beklagten und der Streithelferin Die Berufungen der Beklagten und ihrer Streithelferin sind zulässig und begründet. Die Kündigung des Vertragshändlervertrages mit Jahresfrist war rechtens. Schadensersatzansprüche stehen der Klägerin infolgedessen nicht zu.
1.) Grundlage für ein Kündigungsrecht der Beklagten binnen Jahresfrist ist Art. XVI Nr. 1 i.V.m. Art. XVI Nr. 3 des Händlervertrages. Art. XVI Nr.3 des Händlervertrages ist dahin auszulegen, dass der Beklagten als Primärhändlerin ein Kündigungsrecht zustehen soll, wenn die Streithelferin ihr, der Beklagten, zu Recht gekündigt hat. Eine Auslegung, die der Beklagterl ein Kündigungsrecht unabhängig davon eröffnete, ob ihr selbst zu Unrecht gekündigt wurde , würde Missbräuchen Tür und Tor öffnen und stünde deshalb mit den §§ 133, 157 BGB nicht in Einklang.
Eine wirksame Kündigung des Vertragshändlervertrages der Klägerin durch die Beklagte setzt deshalb voraus, dass die Streithelferin den Primärhändlervertrag mit der Beklagten wirksam kündigen konnte. Da in dem Primärhändlervertrag zwischen der Beklagten und der Streithelferin eine mit Art. XVI Nr. 1 des Händlervertrags zwischen den Parteien identische Kündigungsregelung vereinbart ist und die Streithelferin diese Kündigung unstreitig erklärt hat, kommt es mithin auf die Wirksamkeit dieser Kündigung an.
a) Entgegen der Auffassung der Klägerin folgt die Unwirksamkeit der Kündigung mit Jahresfrist nicht schon aus einer entsprechenden Anwendung von § 89 Abs. 2 Satz 2 HGB. Da die GVO 1400/2002 EG in Art. 3 Abs. 5 für Vertragshändlerverträge bei Umstrukturierungen ein einseitige: Sonderkündigungsrecht des Lieferanten eröffnet. Liegt eine lex specialis für den Vertragshändlervertrag vor, so dass es insoweit an einer Regelungslücke für die entsprechende Anwendung des § 89 HGB fehlt.
b) Entgegen der Ansicht der Klägerin ist die Kündigung auch nicht bereits deshalb unwirksam, weil sie keine Begründung enthielt. Anders als für die ordentliche Kündigung mit zweijähriger Frist ist in Art XVI Nr. 1 de;; Händlervertrages für die Strukturkündigung eine Begründung nicht vorgesehen. Dies beruht darauf, dass der Händler bei der ordentlichen Kündigung nachprüfen können soll, ob sie auf Verhaltensweisen gestützt ist, die ihm nach der GVO 1400/2002 EG nicht untersagt werden dürfen. Eine vergleichbare Interessenlage besteht bei der Strukturkündigung nicht; Auch der EuGH vertritt die Auffassung, die Strukturkündigung bedürfe keiner Begründung (EuGH, Urteil vom 7.9.2006 - C 125/05 = GRUR Int 2007, 226). Ungeachtet dessen erschiene die Kündigung jedenfalls in Zusammenschau mit dem Schreiben der Streithelferin vom 11.1.2006 auch ausreichend begründet.
2.) Die Kündigung binnen Jahresfrist ist auch materiell-rechtlich wirksam. Voraussetzung ist gemäß § XVI Nr. 1 b) des Händlervertrages, dass sich für die Streithelferin die Notwendigkeit ergibt, das Vertriebsnetz insgesamt oder zu einem wesentlichen Teil umzustrukturieren.
Diese Tatbestandsmerkmale werden durch die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 5 Abs. 3 GVO Nr. 1475/95 konkretisiert, welcher Bestimmung die vertragliche Regelung sowie der im vorliegenden Fall maßgebliche Verordnungstext der GVO 1400/2002 EG in Art. 3 Abs. 5 im Wesentlichen entspricht. Die Entscheidung des EuGH vom 7.9.2006 ist deshalb auch für die Beurteilung des vorliegenden Rechtsstreits einschlägig.
Das Bestehen der Notwendigkeit, das Vertriebsnetz insgesamt oder zu einem wesentlichen Teil umzugestalten, setzt nach dieser Rechtsprechung eine bedeutsame Änderung der Vertriebsstrukturen des betroffenen Lieferanten sowohl in finanzieller als auch in räumlicher Hinsicht voraus, die auf plausible Weise durch Gründe der wirtschaftlichen Effizienz gerechtfertigt sein muss, welche sich auf interne oder externe objektive Umstände des Unternehmens des Lieferanten stützen, die ohne eine schnelle Umstrukturierung des Vertriebsnetzes in Anbetracht des Wettbewerbsumfeldes, in dem der Lieferant agiert, die Effizienz der bestehenden Strukturen des Vertriebsnetzes beeinträchtigen könnten. Mögliche wirtschaftlich nachteilige Folgen, die der Lieferant im Falle einer Kündigung der Vertriebsvereinbarung mit einer Frist von zwei Jahren erleiden könnte, sind in dieser Hinsicht erheblich. Es ist Sache der nationalen Gerichte und' der Schiedsgerichte, unter Berücksichtigung aller konkreten Gegebenheiten der Streitigkeit, mit der sie befasst sind, zu beurteilen, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind (EuGH a.a.O.).
Dabei ist weiter zu berücksichtigen, dass es sich bei der Kündigungsmöglichkeit mit Jahresfrist um eine Ausnahmebestimmung handelt, die eng auszulegen ist (EuGH a.a.O.Rdn. 27).
Diese Rechtsprechung des EuGH ist nach Auffassung des Senats nicht dahingehend zu verstehen, dass die Gerichte die Entscheidung des Herstellers nachträglich im Einzelnen zu überprüfen und der Hersteller deren sachliche Richtigkeit zu beweisen hätte. Zu überprüfen ist lediglich, ob der Hersteller im Rahmen der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten eine nachvollziehbare Prognose gestellt und daraus vertretbare Konsequenzen gezogen hat. Der Nachweis der Plausibilität durch Gründe der wirtschaftlichen Effizienz ist deshalb als erbracht anzusehen, wenn der Hersteller darlegen kann, dass seine Vorgehensweise in einer konkreten Situation innerhalb des Spektrums denkbarer Reaktionen eine vertretbare Maßnahme zur Abwendung andernfalls möglicher wirtschaftlicher Nachteile war.
Diesen Nachweis haben die Beklagte und die Streithelferin erbracht.
a) Mit dem Landgericht geht der Senat davon aus, dass die Streithelferin vorliegend eine Änderung ihrer Vertriebsstruktur und damit eine Umstrukturierung des Vertriebsnetzes durchgeführt hat. Eine Umstrukturierung beinhaltet nach der Rechtsprechung des EuGH notwendiger Weise 'eine Änderung der Organisation der Vertriebsstruktur des Lieferanten, die insbesondere die Art oder Gestalt dieser Strukturen, ihren Zweck, die Aufteilung der internen Aufgaben innerhalb dieser Strukturen, die Modalitäten der Versorgung mit den betroffenen Waren- und Dienstleistungen, die Anzahl oder Stellung der Beteiligten an diesen Strukturen und ihre räumliche Reichweite betreffen kann (EuGH a.a.O. Rdn. 29).
Es kann keinem ernstlichen Zweifel unterliegen, dass es sich bei den von der Streithelferin getroffenen Maßnahmen, insbesondere, aber nicht nur der Umstellung auf ein eingliedriges Vertriebssystem, um eine Änderung der Vertriebsstruktur handelte. Das stellt letztlich auch die Klägerin nicht in Frage.
b) Die Änderung der Vertriebsstruktur der Streithelferin der Beklagten war sowohl in finanzieller als auch in räumlicher Hinsicht bedeutsam im Sinne der Rechtsprechung des EuGH (a.a.O. Rdn. 30).
Der EuGH hat in seiner Entscheidung nicht näher ausgeführt, wann von einer in finanzieller und räumlicher Hinsicht bedeutsamen Maßnahme auszugehen ist, sondern die Beurteilung,, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, den nationalen Gerichten überlassen. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat in ihrem Leitfaden zur GVO 1475/95 zu Frage 16 ( und entsprechend zur GVO 1400/2002 - dort Frage 68) ausgeführt: Ob ein wesentlicher Teil eines Händlernetzes betroffen ist, ist anhand des spezifischen Aufbaus eines Händlernetzes in jedem Einzelfall zu entscheiden. "Wesentlich" hat sowohl einen wirtschaftlichen als auch einen räumlichen Aspekt; letzterer kann sich auf das Vertriebsnetz oder einen Teil dessen in einem Mitgliedstaat beziehen.
aa) Nach Auffassung des Senats sind diese Anforderungen hinsichtlich der räumlichen Komponente erfüllt, wenn das gesamte Vertriebssystem analysiert, in räumlicher Hinsicht die Standorte im gesamten Vertriebsgebiet überprüft, zu einem nicht unerheblichen Teil umgestaltet und verlegt werden sowie ein völlig anderes Konzept ( eingliedriger statt zweigliedriger Vertrieb) eingeführt wird.
Wie der Zeuge Schnabel anschaulich und glaubwürdig dargelegt hat, wurde das gesamte Händlernetz evaluiert. Hierzu erfolgte eine Einteilung in 995 Marktbeobachtungsgebiete (Anlage B 6), von denen ausgehend unter Berücksichtigung der Kundenströme und des Kundenverhaltens eine Aufteilung in 141 Kundeneinflussgebiete entwickelt wurde (Anlage B 7). Anschließend wurden die 141 Kundeneinflussgebiete auf attraktive Standorte hin überprüft und Marktstandorte unter Berücksichtigung der optimalen Kundenströme, der Kundennachfrage sowie der wirtschaftlichen Rentabilität für die einzelnen Händler festgelegt. Diese Analyse führte nach der Darlegung des Zeugen Schnabel sodann zur Festlegung eines Zielnetzes von 535 Händlerstandorten. Zugleich wurden an den bereits vorhandenen Standorten die Betriebe hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit, ihrer wirtschaftlichen Konditionen und künftigen Entwicklungschancen geprüft. Der Senat hat keinen Zweifel, dass die als Ergebnis dieser Analyse vorgenommenen Strukturänderungen in räumlicher Hinsicht bedeutsam sind, weil Standorte innerhalb des gesamten Vertriebsnetzes in Deutschland geprüft und zu einem nicht unerheblichen Teil verändert worden sind. Änderungen in einem Vertriebsnetz, die mit weitergehenden Eingriffen verbunden sind, erscheinen kaum vorstellbar.
bb) Dass die Maßnahme auch in finanzieller Hinsicht bedeutsam war, ergibt sich zur Überzeugung des Senats schon aus dem Umstand, dass die Veränderung durch eine umfassende Studie vorbereitet wurde und einer Vielzahl von Händlern, die Abfindungs- und Ausgleichsansprüche geltend machen konnten, gekündigt werden musste. Die Streithelferin hat den finanziellen - wirtschaftlichen Vorteil der Maßnahme auf über 90 Millionen EUR geschätzt. Es liegen keine Anhaltspunkte vor, wonach das mit der Anfertigung einer derartigen Analyse beauftragte unabhängige Unternehmen diese Zahlen völlig ins Blaue hinein seiner Analyse zugrunde gelegt haben könnte. Es kommt auch nicht darauf an, dass die so errechneten Zahlen bis ins Detail belastbar dargelegt werden könnten, weil auf der Hand liegt, dass eine systematisch vorbereitete und analysierte Änderung der Vertriebsstrukturen, durch die das gesamte Vertriebsnetz „auf die Probe" gestellt wird, auch in finanzieller Hinsicht bedeutsam ist.
cc) Soweit das OLG Köln in der vorgelegten Entscheidung vom 7.12.2007 (Anlage BB 1 = BI. 506 ff. d.A.) eine andere Auffassung vertritt, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Maßgeblich für die Beurteilung ist nach Auffassung des Senats nicht allein die Anzahl der im Ergebnis verlagerten oder erneuerten Standorte, sondern in erster Linie der Umstand, dass das gesamte Netz überprüfungs- und erneuerungsbedürftig war.
Ungeachtet dessen geht der Senat bei einer grundlegenden Umstellung von einem Primär- und Sekundärhändlernetz auf ein Netz von ausschließlichen Primärhändlern in Verbindung mit dem Wegfall von etwa 100 Standorten und der Ersetzung von 352 Händlern durch 249 leistungsfähigere Unternehmen, wie die Beklagte und ihre Streithelferin vorgetragen haben, auch im Hinblick auf die absolute Größenordnung im Verhältnis zum Netz insgesamt von einer bedeutsamen Änderung aus. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass nach der Rechtsprechung des EuGH von einer bedeutsamen Änderung erst bei Wegfall und Veränderung aller oder nahezu aller Standorte auszugehen ist.
Unerheblich ist schließlich, dass die Überprüfung der Standorte vor Ort nicht von der mit der Entwicklung eines Sanierungskonzeptes beauftragten externen Urban Science International GmbH, sondern von Mitarbeitern der Streithelferin durchgeführt wurde. Die Streithelferin war nicht gehalten, Sanierungsplanungen auf externe Dritte zu übertragen, sondern hätte eine Umstrukturierung des Händlernetzes auch ausschließlich intern vorbereiten können. Erst recht bestehen keine Bedenken, wenn Mitarbeiter der Streithelferin und ein externer Sanierer bei der Entwicklung eines Konzepts zusammen gearbeitet haben.
3.) Allerdings reicht nach der Rechtsprechung des EuGH die Tatsache, dass der Lieferant auf der Grundlage einer subjektiven geschäftlichen Beurteilung seines Vertriebsnetzes eine Umstrukturierung desselben für notwendig erachtet, allein nicht aus, um die Notwendigkeit einer solchen Umstrukturierung darzutun. Erheblich sind dagegen mögliche wirtschaftlich nachteilige Folgen, die der Lieferant im Falle einer Kündigung der Vertriebsvereinbarung mit einer Frist von zwei Jahren erleiden könnte.
Soweit es dabei um die Darlegung plausibler Gründe der wirtschaftlichen Effizienz geht, haben die Beklagte und die Streithelferinnen dem ausreichend Rechnung getragen, indem sie auf die deutlich rückläufige Entwicklung der Marktanteile der Streithelferin i.V.m. der Einführung des zweistufigen Vertriebssystems im Jahre 2003/2004 hingewiesen haben (Anlage B 19 = B. 275 d.A.). Es erscheint ohne Weiteres nachvollziehbar, dass ein Hersteller in einer entsprechenden Situation Maßnahmen zur Rückgewinnung von Marktanteilen ergreift und in diesem Zusammenhang auch Änderungen der Vertriebsstrukturen erwägt, wenn diese sich nach seiner Einschätzung auf die Entwicklung der Marktanteile bis dahin negativ ausgewirkt haben.
a) Zu Unrecht hat es das Landgericht abgelehnt, den hierzu schon in erster Instanz benannten Zeugen Schnabel zu vernehmen und gemeint, die Beklagte habe es versäumt, die Studie vorzulegen, die Berufung auf den Zeugen ersetze den Sachvortrag nicht. Es ist nicht ersichtlich, warum der von der Beklagten und der Streithelferin benannte Zeuge Schnabel, der als Leiter des Projekts "Umstrukturierung" bei der Streithelferin tätig war, und die entsprechende Studie betreute, nichts zu deren Inhalt hätte sagen können. Dass es die Beklagte unterließ, die Studie vorzulegen, macht den angebotenen Zeugenbeweis nicht zu einem ungeeigneten Beweismittel. Einer Partei steht es frei, einen ihr obliegenden Beweis auch auf mittelbarem Weg zu führen. Ihr Beweisangebot darf dann nicht mit der Begründung zurückgewiesen werden, das unmittelbare Beweismittel sei nicht benannt worden (Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl., vor § 284, Rn. 10 a m.w.N.).
Soweit das Landgericht schließlich gemeint hat, der Zeugenbeweis sei nicht das geeignete Beweismittel, da es nicht um eine persönliche Wahrnehmung, sondern um eine Sachverständigenfrage gehe, hätte der Vernehmung des benannten Zeugen als sachverständigem Zeugen nichts entgegengestanden.
b) Den Zusammenhang der negativen Entwicklung der Marktanteile und dem Zustand des Vertriebsnetzes hat der Zeuge Schnabel zur Überzeugung des Senats bestätigen können. Dabei ist in erster Linie zu berücksichtigen, dass die Marktanteile der Streithelferin seit Einführung des zweistufigen Vertriebssystems im Jahr 2004 deutlich rückläufig waren und die Ursachen dafür ausweislich der von der Streithelferin in Auftrag gegebene Studie die Struktur des Händlernetzes und insbesondere die finanzielle Schwäche vieler kleiner Händler und der daraus resultierenden Unattraktivität des Netzes für leistungsfähige Händler zu sehen war, wie der Zeuge Schnabel anschaulich bestätigt hat. Daraus folgt ein - aus der Sicht der Streithelferin - anerkennenswertes Interesse, diese Struktur möglichst schnell zu ändern, u n die aufgetretenen Markteinbußen alsbald einzudämmen und zu positiven Ergebnissen zurückzuführen. Dass derartige Markteinbußen einen wirtschaftlichen Nachteil Im Sinne der Rechtsprechung des EuGH darstellen und die Streithelferin ein Interesse daran haben muss, diesen Nachteil möglichst kurzfristig abzustellen, liegt auf der Hand.
c) Fraglich erscheint, ob die von der Beklagten und der Streithelferin dargelegten plausiblen Gründe der wirtschaftlichen Effizienz zur Rechtfertigung der Kündigung bereits ausreichen, wofür sprechen könnte, dass die GVO nach ihrem Wortlaut (ein Recht des Lieferanten zur Kündigung binnen Jahresfrist ( nur ) von der Notwendigkeit abhängig macht, das Vertriebsnetz insgesamt oder zu einem wesentlichen Teil umzustrukturieren. Das ( zusätzliche) Erfordernis, nachzuweisen, dass die Umstrukturierung binnen Jahresfrist erfolgen muss, ergibt sich aus dem Wortlaut der Verordnung nicht. Diese Formulierung könnte dafür sprechen, dass bei plausibler Darlegung von Gründen fü- eine notwendige Umstrukturierung das Recht zur Kündigung binnen Jahresfrist ohne weiteres besteht, weil die Notwendigkeit einer unverzüglichen Umstrukturierung unter diesen Umständen impliziert wird.
Andererseits dürfte der Rspr. des EuGH zu entnehmen sein, dass der Lieferant (auch) darlegen muss, dass ohne eine schnelle Umstrukturierung des Vertriebsnetzes mögliche wirtschaftliche Nachteile im Falle einer Kündigung der Vertriebsvereinbarung mit einer Frist von 2 Jahren drohen.
Die Frage kann hier dahin stehen, weil die Beklagte und die Streithelferin Gründe der wirtschaftlichen Effizienz auch für eine kurzfristige Umstrukturierung zur Überzeugung des Senats dargelegt haben.
aa) Die Beklagte und die Streithelferin haben behauptet, bei Nichtdurchführung der Umstrukturierung innerhalb eines Jahres hätten finanzielle Einbußen in Höhe von etwa 39 Mio. € gedroht. Der Zeuge Schnabel hat insoweit zunächst dargelegt, man sei aufgrund der erstellten Studie insgesamt zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Änderung des Händlernetzes ein ganz wesentlicher Faktor gewesen sei, um wirtschaftlich wieder! voran zu kommen und notwendige Voraussetzung für die nachhaltige wirtschaftliche Gesundung der Streithelferin der Beklagten gewesen sei. Diese Einschätzung ist plausibel, nachvollziehbar und deshalb für die weitere Beurteilung zugrunde zu legen.
bb) Der Zeuge hat diese Berechnung anhand der von der Beklagten vorgelegten Anlagen B 13 (im Anlagenband zum Schriftsatz vom 26.1.2007) sowie der im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgelegten ergänzenden Analyse (Anlage zum Protokoll vom 25.3.2008, BI. 545 ff. d.A.) erläutert. Er hat dargelegt, dass die angesetzten Verluste zum einen wegen Behinderungen bei der Investorengewinnung bei Einhaltung einer zweijährigen Kündigungsfrist angesetzt worden seien, weil, solange die alten Betriebe an den alten Standorten aufrechterhalten werden, neue Händler ganz in der Nähe nicht zu Investitionen zu gewinnen seien. Weiter sei ein Betrag von 21 Mio. € wegen zu befürchtender Abwerbungen anzusetzen gewesen. Erfahrungsgemäß, so hat der Zeuge dargelegt, springe bei einer Kündigungsfrist von zwei Jahren etwa jeder 7. Händler ab und verzichte auf eine Fortführung des Vertragshändlerverhältnisses auch dann, wenn ihm ein entsprechendes neues Vertragsangebot schon frühzeitig unterbreitet werde. Abgeworbene Händler könnten nicht kurzfristig wieder durch neue Händler ergänzt oder ersetzt werden. Es handele sich bei den angenommenen Werten zwar Lm nicht empirisch belegbare Zahlen. Es gebe keine Untersuchung und keine Erfahrungswerte. Immerhin hätten 'im Rahmen der einjährigen Kündigungsfrist aber 3 % aller Händler, denen eine Vertragsfortsetzung Eingeboten worden sei, dieses Angebot nicht angenommen.
cc) Weiter hat die Streithelferin einen Verlust von 4 Mio. € unter der Prämisse ermittelt, dass die Verkaufsoffensive mit dem neuen Modell Qashqai nicht durch neue Vertragshändler, sondern durch die bisherigen Vertragshändler hätte durchgeführt werden müssen. Dabei sei zugrunde gelegt worden, dass die bisherigen Händler mit nachlassenden Verkaufsleistungen allenfalls 60 % der Verkaufsleistungen von neuen Händlern erreichen würde, was zu einem Minderumsatz von 4.000 Fahrzeugen im Jahr 2007 und damit einem Umsatzverlust von 4 Mio. € geführt haben würde. ' Schließlich sei ein Betrag von 5 Mio. € wegen der zu erwartenden Minderverkaufsleistungen der gekündigten Händler im zweiten Jahr angesetzt worden, welcher Betrag auf empirischen Erfahrungen über die nachlassenden Verkaufsleistungen gekündigter Händler im zweite Kündigungsjahr beruhe. Empirisch ergebe sich eine höhere Minderleistung von rund 41 %.
d) Nach der Rechtsprechung des EuGH sind mögliche wirtschaftlich nachteilige Folgen, die der Lieferant im Falle einer Kündigung mit einer Frist von zwei Jahren erleiden könnte, erheblich und zu berücksichtigen. Die möglichen wirtschaftlich nachteiligen Folgen müssen infolgedessen auf plausible Weise dargelegt werden. Nicht verlangt werden kann, dass die befürchteten wirtschaftlichen Nachteile feststehen und bewiesen werden können. Nicht vereinbar mit dieser Rechtsprechung erscheint es auch, vertretbare wirtschaftliche Erwägungen und Entscheidungen des Lieferanten durch andere Bewertungen zu ersetzen.
Im Ergebnis ohne Erfolg rügt die Klägerin deshalb, die von der Streithelferin ermittelten „fiktiven" Verluste bei zweijähriger statt einjähriger Kündigungsfrist beruhten lediglich auf Mutmaßungen. Dass insoweit keine präzise Berechnung und Ermittlung möglicher wirtschaftlicher Nachteile möglich ist, ergibt sich aus der Natur der Sache. Dass ein Hersteller, der sich vor die Notwendigkeit einer Umstrukturierung seines Vertriebsnetzes gestellt sieht, auf der anderen Seite mögliche Nachteile prognostizieren muss, um sich über die Gr5ßenordnung des finanziellen Aufwands und Risikos ein möglichst klares 3ild zu verschaffen, liegt ebenso auf der Hand.
Der Senat geht, wenn er die von der Beklagten und der Streithelferin dargelegten Gründe für mögliche wirtschaftliche Nachteile als ausreichend plausibel beurteilt, von folgenden Erwägungen aus:
Die nachlassende Effizienz gekündigter Vertragshändler im zweiten Jahr nach Ausspruch der Kündigung erscheint ohne Weiteres plausibel. Wer ohnehin aus der Vertriebsorganisation ausscheiden muss, wird sich möglicherweise nicht mehr so anstrengen wie ein Händler, der einen Betrieb vollständig neu aufbauen muss. Dass die gekündigten Händler besondere Anstrengungen unternehmen würden, um in das neue Vertriebsnetz der Streithelferin übernommen zu werden, ist schon deshalb nicht anzumehmen, weil den betroffenen Händlern bereits mit der Kündigung mitgeteilt worden war, dass für sie in der künftigen Vertriebsstruktur kein Platz sei. Zu berücksichtigen ist allein, dass die nachlassenden Verkaufsanstrengungen im zweiten Jahre nach Ausspruch der Kündigung kein spezifisches mit einem Strukturwechsel zusammenhängendes Problem darstellen, sondern bei jeder (ordentlichen) Kündigung auftreten können. Gleichwohl wird den Automobilherstellern durch die GVO 1400/2002 EG und die daran anknüpfende Vertragspraxis eine zwei-jährige Kündigungsfrist vorgegeben. Das Problem der nachlassenden Verkaufstätigkeit besteht im Regelfall also bei jeder ordentlichen Kündigung eines Vertragshändlervertrages und insbesondere dann, wenn es nur um die Ausdünnung des Händlernetzes als solche ginge. Strukturwandelbedingt sind die insoweit nicht auszuschließenden nachteiligen wirtschaftlichen Folgen aber im Hinblick auf die Vielzahl der gekündigten Händler und die dadurch eintretende Schwächung der ohnedies reformbedürftigen Vertriebsstruktur insgesamt.
Zweifelhaft erscheint darüber hinaus die Annahme der Streithelferin, sie könne bei einer zweijährigen Wartezeit keine neuen Händler gewinnen. Zum einen sind leistungsfähige Händler anderer Marken, die nach einer Kündigung der bisherigen Händler von der Streithelferin zwecks Abwerbung angesprochen werden, regelmäßig in der Lage, ebenfalls eine zweijährige Kündigungsfrist einzuhalten. Vor allem besteht aber keine Notwendigkeit für die Streithelferin, potenzielle Neuhändler schon jetzt anzusprechen, wenn diese erst nach Ablauf von zwei Jahren für die Streithelferin tätig werden können. 2:weifelhaft erscheint darüber hinaus, in wie weit das Problem der Abwanderung solcher Händler, denen eine Fortsetzung der Zusammenarbeit bereits in Aussicht gestellt worden war, ernsthaft zu berücksichtigen ist.
Andererseits kann der Streithelferin auch nicht stichhaltig widerlegt werden, dass derartige Nachteile eintreten werden. Die vorstehend dargelegten Erwägungen betreffen demnach mögliche wirtschaftliche Nachteile, die nicht auszuschließen und somit nach der Rechtsprechung des EuGH zu berücksichtigen sind.
Die Einhaltung der verkürzten Kündigungsfrist von einem Jahr rechtfertigt sich ungeachtet dessen schon wegen des Zusammenhangs zwischen den Markteinbußen der Beklagten und der Schwäche ihres Händlernetzes, so dass die Streithelferin eine möglichst kurzfristige Umstellung der Vertriebsstruktur für erforderlich und sachlich gerechtfertigt halten konnte. Die Marktanteile der Streithelferin sind seit Einführung des zweistufigen Vertriebssystems im Jahr 2004 deutlich rückläufig. Die Ursachen dafür waren ausweislich der von der Streithelferin in Auftrag gegebenen Studie die Struktur des Händlernetze,3, die finanzielle Schwäche vieler kleiner Händler und die daraus resultierende Unattraktivität des Netzes für leistungsfähige Händler.
Daraus folgt ein anerkennenswertes Interesse der Streithelferin, diese Struktur möglichst schnell zu ändern, um die aufgetretenen Markteinbußen alsbald einzudämmen und zu vermeiden. Dass derartige Markteinbußen einen wirtschaftlichen Nachteil im Sinne der Rechtsprechung des EuGH darstellen und die Streithelferin ein Interesse daran hat, diesen Nachteil möglichst kurzfristig abzustellen, kann nach Auffassung des Senats nicht ernstlich zweifelhaft erscheinen. Die Einhaltung der verkürzten Kündigungsfrist von einer Jahr rechtfertigt sich vor diesem Hinter9 rund deshalb in erster Linie wegen des Zusammenhangs zwischen den Markteinbußen der Beklagten und der Schwäche ihres Händlernetzes, so dass die Streithelferin eine möglichst kurzfristige Umstellung der Vertriebsstruktur für sachlich gerechtfertigt halten konnte. Damit hat sie plausible Gründe für die Kündigung binnen Jahresfrist nachvollziehbar dargelegt, zu deren weitergehenden Nachprüfung die Gerichte nicht berechtigt sind, weil sie in das unternehmerische Ermessen fallen. Inwieweit diese Überlegungen nachträglich sich als zutreffend erweisen, kann für die Rechtfertigung der Entscheidung im damaligen Zeitpunkt keine Rolle spielen.
B. Berufung der klägerin
1.) Die Berufung der Beklagten, die sich ausschließlich gegen die Kostenentscheidung im erstinstanzlichen Urteil richtet, soweit ihr Kosten anteilig auferlegt wurden, ist als Anschlussberufung auszulegen und als solche - ungeachtet der Bestimmung in § 99 Abs. 1 ZPO - zulässig (Zöller/Gummer/Heßler, ZPO a.a.0. § 524, Rn. 35).
2.) Die Berufung ist jedoch unbegründet. Da die Klägerin in dem Rechtsstreit voll unterliegt, hat sie die gesamten Kosten des Verfahrens zu tragen.