OLG Frankfurt a. M.: Streitwert bei Klagen wegen Übermittlung von Positivdaten
OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 16.6.2025 – 6 W 75/25
ECLI:DE:OLGHE:2025:0616.6W75.25.00
Volltext: BB-Online BBL2025-2178-2
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Amtliche Leitsätze
1. Ist ein Antrag auf Zahlung von Entschädigung wegen eines Verstoßes gegen die DSGVO beziffert, ist auch bei offensichtlicher Überhöhung für eine niedrigere Festsetzung des Streitwertes kein Raum.
2. Bei Unterlassungsanträgen stellt grundsätzlich die Angabe des Streitwertes in der Klageschrift ein erhebliches Indiz dar. Dies gilt indes nicht ohne Weiteres, wenn hinter der klagenden Partei eine Rechtsschutzversicherung steht, da in diesem Fall zu hohe Vorstellungen vom Wert der Klageforderung nicht mit einem durch die Klagepartei selbst zu tragenden Prozesskostenrisiko verbunden.
3. Der Wert des Unterlassungsantrages in Fällen der Übermittlung von Positivdaten ist im Regelfall mit nicht mehr als 1.000 € zu bemessen.
4. Wegen der Möglichkeit, die erstinstanzliche Streitwertfestsetzung von Amts wegen zu ändern (§ 63 Abs. Satz 1 Nr. 2 GKG), besteht bei Streitwertbeschwerden kein Verschlechterungsverbot.
§ 3 ZPO, § 48 Abs 2 GKG, § 63 Abs 3 Nr 1 GKG, § 63 Abs 3 Nr 2 GKG, § 23 Abs 3 Nr 3 RVG, § 32 Abs 1 Nr 1 RVG
Aus den Gründen
I. Der Kläger hat die Beklagte auf der Grundlage der Vorschriften der DSGVO wegen der Weitergabe sogenannter "Positivdaten" an Auskunfteien in Anspruch genommen.
Er hat beantragt,
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite 5.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.01.2024 zu bezahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, Positivdaten der Klägerseite im Sinne der Datenschutz-Grundverordnung, das heißt, personenbezogene Daten der Klägerseite, die keine negativen Zahlungserfahrungen oder sonstiges nicht vertragsgemäßes Verhalten zum Inhalt haben, sondern Informationen über die Beantragung, Durchführung und Beendigung eines Vertrages darstellen, ohne deren Einwilligung an Auskunfteien, insbesondere der A AG und der B GmbH, wie geschehen mit dem Vertragsabschluss vom 08.03.2023, zu übermitteln und/oder auf sonstige Weise Auskunfteien, insbesondere der A AG B GmbH zugänglich zu machen.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerseite alle künftigen Schäden zu ersetzen, die der Klägerseite durch die unbefugte Übermittlung ihrer Positivdaten, wie geschehen mit dem Vertragsschluss vom 08.03.2023, entstanden sind und / oder noch entstehen werden.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.134,55 EUR nebst Zinsen hieraus seit dem 02.01.2024 zu bezahlen.
4. Das Landgericht hat durch Urteil vom 03.02.2025 die Klage abgewiesen. Durch Beschluss des Einzelrichters desselben Datums hat es den Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren auf 12.000 € festgesetzt.
Dagegen haben die Prozessbevollmächtigten des Klägers am 25.03.2025 Beschwerde eingelegt, mit der die Festsetzung eines Streitwerts in Höhe von mindestens 15.000 € begehrt wird.
Das Landgericht hat durch Beschluss vom 25.03.2025 der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
II. Die Streitwertbeschwerde, über die gemäß § 32 II 2 RVG i.V.m. §§ 68 I V, 66 VI 1 Hs. 2 GKG durch den zuständigen Einzelrichter zu entscheiden ist, da die angefochtene Entscheidung von einer Einzelrichterin erlassen worden ist, ist gemäß § 68 I GKG zulässig, insbesondere innerhalb der Frist des § 68 I 3 i.V.m. § 63 III 2 GKG eingelegt worden, auch übersteigt der Wert des Beschwerdegegenstands den nach § 68 I 1 GKG erforderlichen Wert von 200 Euro.
In der Sache hat die Streitwertbeschwerde allerdings keinen Erfolg. Die Streitwertfestsetzung des Landgerichts ist vielmehr von Amts wegen auf 6.500,-- € abzuändern.
1. Die vom Klägervertreter im eigenen Namen erhobene Streitwertbeschwerde ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft sowie form- und fristgerecht erhoben. Auch ist der Klägervertreter, obwohl nicht Partei des Rechtsstreits, nach § 32 II 1 Alt. 2 RVG rechtsmittelberechtigt.
2. Die Streitwertbeschwerde ist allerdings unbegründet. Im Gegenteil war der Streitwert von Amts wegen nach § 63 III 1 Nr. 2 GKG auf 6.500.-- EUR herabzusetzen.
a) Der Streitwert für den mit dem Klageantrag zu 1. verfolgten Zahlungsanspruch ergibt sich aus dem vom Kläger benannten (Mindest-) Zahlbetrag in Höhe von 5.000 €.
Zwar erscheint diese Mindestforderung deutlich überzogen, allerdings ist das Gericht für die Streitwertfestsetzung an diese Mindestangabe gebunden (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 30.04.1996 - VI ZR 55/95, juris Rn. 38; Beschluss vom 24.03.2016 - III ZR 52/15, juris Rn. 5 ff. i.V.m. Rn. 11; Gehle in Anders/Gehle, ZPO, 82. Aufl. 2024, Anhang zu § 3 Rn. 99 [Schmerzensgeld]; Henrich in Musielak/Voit, 21. Aufl. 2024, § 3 Rn. 34 mwN [Schadenersatz]; Herget in Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 3 Rn. 16.171; Wendtland in BeckOK ZPO, 52. Edition, Stand: 01.03.2024, § 3 Rn. 31 [Schmerzensgeldes]; Wöstmann in Münchener Kommentar zu ZPO, 6. Aufl. 2020, § 3 Rn. 128 [unbezifferte Geldforderung]).
b) Der Wert des Antrags zu 2 (Unterlassung) war auf lediglich 1.000 EUR festzusetzen, § 3 ZPO, § 48 II 1 GKG, § 23 III 2 Hs. 2 RVG.
(1) Der Streitwert für nichtvermögensrechtliche Ansprüche wird gem. § 48 II GKG unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls - insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Parteien - nach Ermessen bestimmt; es kann dann im konkreten Einzelfall von dem in § 23 III 2 Hs. 2 RVG vorgesehenen Regelstreitwert erheblich abzuweichen sein (vgl. zu einer Herabsetzung auf 500 EUR jeweils nur BGH NJW-RR 2023, 959 Rn. 11; GRUR-RS 2021, 2286 Rn. 9).
(2) Dabei ist insbesondere das Interesse des Kl. und damit seine aufgrund des zu beanstandenden/gewünschten Verhaltens zu besorgende wirtschaftliche/persönliche Beeinträchtigung zu berücksichtigen (vgl. OLG Hamm NJW-RR 2014, 894 mwN). Zu berücksichtigen ist zudem die Stellung der Bet. sowie Art, Umfang und Gefährlichkeit der zu unterlassenden/begehrten Handlung (vgl. BGH GRUR 2023, 1143 Rn. 13 mwN). Das Gericht ist bei der Streitwertbemessung nicht an die subjektiven Wertangaben in der Klageschrift gebunden (so explizit BGH GRUR 2012, 1288 - Rn. 4, sogar für übereinstimmende Angaben der Parteien; s. auch GRUR 2012, 959 Rn. 5). Insbesondere kommt ihnen keine indizielle Bedeutung zu, wenn sie das tatsächliche Interesse offensichtlich unzutreffend widerspiegeln (so auch OLG München NJW-RR 2018, 575).
(3) Außer Betracht zu lassen ist insbesondere die über die konkret-individuellen Interessen hinausgehende gesamtgesellschaftliche oder general-präventive sowie die abstrakt-generelle Bedeutung für andere potenziell betroffene Personen (vgl. BGH 30.11.2004 - VI ZR 65/04, BeckRS 2004, 12785; GRUR 2016, 1275 Rn. 42). Die Verfolgung der insoweit bestehenden Interessen obliegt gem. Art. 83, 84 DS-GVO allein der zuständigen Datenschutzbehörde (zum Ganzen: OLG Hamm GRUR 2023).
(4) Zwar kommt der Streitwertangabe der Klagepartei zu Beginn des Verfahrens nach ständiger Rechtsprechung des Senats grundsätzlich erhebliche indizielle Bedeutung zu, da die Klagepartei bei Einreichung der Klageschrift noch nicht sicher wissen kann, ob ihr Antrag Erfolg haben wird. Sie ist daher von sich aus gehalten, ihr wirtschaftliches Interesse an der Verfolgung des geltend gemachten Verstoßes realistisch einzuschätzen. Eine Abweichung von ihrer Streitwertangabe kommt daher im Regelfall nur in Betracht, wenn Anzeichen dafür bestehen, dass diese erheblich über- oder untersetzt ist (vgl. z.B. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 14.12.2022 - 6 W 77/22, WRP 2023, 358 Rn. 4 mwN - Penthouse in Erstbezug, zu einem UWG-Verstoß). Allerdings greift diese Überlegung schon nicht ohne Weiteres, wenn hinter der klagenden Partei - wie offensichtlich hier - eine Rechtsschutzversicherung steht. In dem Fall sind zu hohe Vorstellungen vom Wert der Klageforderungen nicht mit einem durch die Klagepartei selbst zu tragenden Prozesskostenrisiko verbunden (vgl. z.B. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 20.12.2023 - 6 W 89/23, noch unveröffentl.).
(5) Selbst wenn für bestimmte Ansprüche unter Rückgriff auf § 23 III 2 RVG oder § 52 II GKG regelmäßig von einem Wert von 5.000 Euro auszugehen sein sollte, kann davon im Einzelfall erheblich - auch nach unten - abgewichen werden (vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 17.01.2023 - VI ZB 114/21, NJW-RR 2023, 959 Rn. 11). Ein Rückgriff auf vorgenannte Norm(en) kommt ohnehin nur in Betracht, wenn nicht genügend Anhaltspunkte für ein höheres oder geringeres Interesse bestehen (siehe z.B. BGH, Beschluss vom 28.01.2021 - III ZR 162/20, juris Rn. 9 mwN).
(6) Gemessen daran ist gilt im vorliegenden Fall:
Die Bedeutung der Sache für den Kläger ist gering. Die noch drohende materielle Beeinträchtigung durch den Vorfall ist - wie noch zu zeigen sein wird - mit 500 EUR anzusetzen. Dies gilt vor allem mit Blick auf die Tatsache, dass von der Klägerseite nicht vorgetragen und auch sonst nicht im Ansatz ersichtlich ist, dass die Bekl. dezidiert negative Auskünfte über den Kl. an die SCHUFA übermittelt hätte. Das ist angesichts der klägerischen Behauptung, die Vertragsbeziehung habe reibungslos funktioniert, auch fernliegend. Ausdrücklich hat der Kläger lediglich behauptet, die Beklagte habe der SCHUFA den Abschluss eines Telekommunikationsvertrags gemeldet und ein Servicekonto übermittelt. Auswirkungen auf den sog. Score, die Bewertung durch die SCHUFA, werden nur ganz allgemein behauptet. Konkrete Anhaltspunkte für negative Auswirkungen auf den Score sind nicht vorgetragen.
Die Gefahr der erneuten Weitergabe der Positivdaten im Rahmen des vorliegenden Vertragsverhältnisses war als äußerst gering zu bewerten, was auch Auswirkungen auf das klägerische Interesse hat. Während eine Praxis, wonach die Beklagte die Positivdaten einmal am Anfang des Vertragsverhältnisses an Auskunfteien weitergibt, als nachvollziehbar erscheint, gilt dies für eine laufende Weitergabe der Positivdaten nicht. Entsprechend hat die Beklagte nach dem Vertragsschluss die Vertragsdaten an die SCHUFA weitergegeben. Neben diesem als Datenschutzverstoß geltend gemachten Verhalten legt der Kläger keinen weiteren Datenschutzverstoß der Bekl. dar. So waren im Zeitpunkt der Klageerhebung am 3.1.2024 bereits gut 2 ½ Jahre vergangen, ohne dass der Kläger für diesen Zeitraum weitere Verstöße darzutun in der Lage gewesen wäre. Auch mit Blick auf den Zeitablauf ist das klägerische Interesse am Ausspruch einer Unterlassungsverpflichtung bereits im maßgeblichen Zeitpunkt der Klageerhebung verblasst, was ebenfalls bei der Streitwertbemessung Berücksichtigung finden muss.
Im Streitfall stehen auch keine sensiblen, höchstpersönlichen Daten der Klägerin in Rede, wie etwa Bankdaten.
An Auskunfteien übermittelte Informationen sind zudem grundsätzlich nicht öffentlich einsehbar. Sie werden dritten Unternehmen nur auf Anfrage zur Verfügung gestellt, sofern ein berechtigtes Interesse besteht.
Die von der Klägerin textbausteinartig behaupteten - nicht durch ein Beweisangebot unterlegten und objektiv nicht nachvollziehbaren - Sorgen und Gefühle führen nicht zu einer anderen Beurteilung. Es besteht kein Hinweis darauf, dass es sich - wie die Beschwerdeführer geltend machen - für den Kläger tatsächlich so anfühlt, als seien die gemeldeten Daten "verloren" gegangen, dass sie sich verfolgt fühlt und Angststörungen, Existenzängste und Ohnmachtsgefühle erlitten hat (vgl. S. 3 der Beschwerde, EA 842). Für entsprechende Beeinträchtigungen besteht bei objektiver Betrachtung keine tatsächliche Grundlage. Erhebliche Einschränkungen des Klägers in seiner Lebensführung sind ebenfalls nicht ersichtlich.
c) Der Wert des Antrags zu 3 war auf 500 EUR festzusetzen. Es ist weder substantiiert dargetan noch erkennbar, dass die Klägerin durch die Meldung an die SCHUFA überhaupt einen Schaden erlitten haben könnte, zumal einen solchen, der über den bereits mit dem Klageantrag zu 1 begehrten immateriellen Schadensersatz hinausgeht.
Die Wahrscheinlichkeit von materiellen Schäden ist sehr gering. Konkrete Anhaltspunkte für den bisherigen Eintritt solcher Schäden hat der Kläger nicht dargelegt. Sie sind auch bei der vorliegenden Weitergabe von Positivdaten extrem unwahrscheinlich.
d) Der Klageantrag zu 4. hat eine gemäß § 43 GKG wertmäßig nicht zu berücksichtigende Nebenforderung zum Gegenstand.
3. Der Senat ist an einer Herabsetzung des Streitwerts nicht gehindert.
Wegen der Möglichkeit, die erstinstanzliche Festsetzung von Amts wegen zu ändern (§ 63 Abs. Satz 1 Nr. 2 GKG), besteht bei Streitwertbeschwerden kein Verschlechterungsverbot (sog. Verbot der reformatio in peius, vgl. z.B. OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 13.10.2014, 10 W 48/14, juris Rn. 1; OLG Stuttgart, Beschl. v. 09.10.2019, 6W 47/19, NJW-RR 2020, 255 Rn. 26; OLG München, Beschl. v. 14.07.2020, 25 W 587/20, juris Rn. 5).
4. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 68 III GKG, 33 IX RVG.