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Wirtschaftsrecht
23.02.2023
Wirtschaftsrecht
BGH: Stickstoffgenerator – Biozidprodukt i. S. v. Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der VO (EU) Nr. 528/2012

BGH, Urteil vom 10.11.2022 – I ZR 16/22

ECLI:DE:BGH:2022:101122UIZR16.22.0

Volltext: BB-Online BBL2023-449-2

unter www.betriebs-berater.de

Amtlicher Leitsatz

In situ generierter Stickstoff, mit dem Schadorganismen bekämpft werden, ist ein Biozidprodukt im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten.

Verordnung (EU) Nr. 528/2012 Art. 3 Abs. 1 Buchst. a

Sachverhalt

Die beiden in Österreich ansässigen Parteien bieten auch in Deutschland unter anderem für Museen und andere kulturelle Einrichtungen Leistungen zur Schädlingsbekämpfung an.

Die Beklagte unterhält den Internetauftritt "www.           .at". Sie bietet ein als Stickstoffbehandlung, Stickstoffbegasung oder Behandlung in sauerstoffarmer Atmosphäre bezeichnetes Verfahren an und führt dieses durch. Bei dem Verfahren wird eine abgeschlossene Einhausung in Form eines Zelts aus luftdicht verschweißten Bahnen um das zu behandelnde Objekt aufgebaut. Mit dem Stickstoffgenerator I.       (nachfolgend: Generator) entzieht sie der natürlich vorkommenden Luft, die im Wesentlichen aus Stickstoff (rund 78,08 Volumenprozent) und Sauerstoff (rund 20,95 Volumenprozent) besteht, unter Einsatz von Aktivkohle den Sauerstoff und stellt den annähernd reinen Stickstoff zur weiteren Verwendung bereit. Der Generator saugt auch Außenluft an und lässt den hieraus gewonnenen Stickstoff in das Zelt ein. Innerhalb des Zelts wird ein leichter Überdruck erzeugt, damit es nicht in sich zusammenfällt.

Über eine behördliche Zulassung des von dem Generator bereitgestellten Stickstoffs für die Verwendung als Biozidprodukt nach der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten (im Folgenden: Biozidverordnung oder BiozidVO) verfügt die Beklagte nicht.

Nach erfolgloser Abmahnung vom 14. März 2018 erwirkte die Klägerin eine einstweilige Verfügung des Landgerichts, die dieses nach Widerspruch der Beklagten bestätigte (LG Dortmund, Urteil vom 24. September 2018 - 19 O 9/18, juris). Nach erfolgloser Berufung der Beklagten (OLG Hamm, Urteil vom 30. April 2019 - 4 U 149/18, juris) forderte die Klägerin die Beklagte mit Schreiben vom 24. Juni 2019 erfolglos zur Abgabe einer Abschlusserklärung und zur Auskunftserteilung auf.

Die Klägerin hat die Beklagte daraufhin auf Unterlassung in Anspruch genommen und Folgeansprüche auf Auskunftserteilung, Feststellung der Schadensersatzpflicht und Freistellung von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 4.792,40 € geltend gemacht. Im Unterlassungsantrag hat die Klägerin beispielhaft Bezug genommen auf Auszüge aus dem Internetauftritt der Beklagten vom 12. März 2018 (Anlage K30) und 13. August 2019 (Anlagen K4 und K5), auf Blogeinträge des   Museums in        /Österreich aus dem Jahr 2012 (Anlage K6) und des     museums     in der      /Österreich aus dem Jahr 2013 (Anlage K32) jeweils über Schädlingsbekämpfungsmaßnahmen der Beklagten, auf Presseberichte über solche Maßnahmen aus dem Jahr 2014 im        Münster (Anlage K7) und aus dem Jahr 2018 im        Museum    (Anlage K8) sowie auf eine Informationsbroschüre der Beklagten (Anlage K26).

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben (LG Dortmund, Urteil vom 31. August 2020 - 19 O 14/19, juris). Die Berufung der Beklagten hat nur zu einem geringen Teil Erfolg gehabt. Das Berufungsgericht hat die Beklagte unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel verurteilt,

es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs Schädlingsbekämpfungsverfahren mit dem Wirkstoff Stickstoff (CAS-Nummer 7727-37-9) anzubieten oder durchzuführen, ohne dass das entsprechende Biozidprodukt zugelassen ist, wie ersichtlich aus den Anlagen K4 bis K8, K26, K30 und K32,

und der Klägerin die geltend gemachten Folgeansprüche auf Auskunftserteilung und Feststellung der Schadensersatzpflicht zuerkannt. Den Freistellungsanspruch der Klägerin hat das Berufungsgericht auf einen Betrag von 3.726,80 € reduziert. Die weitergehende Klage hat es abgewiesen (OLG Hamm, Urteil vom 30. Dezember 2021 - 4 U 135/20, juris).

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Klageabweisung weiter. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

Aus den Gründen

8          A. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Anwendung des in Rede stehenden Schädlingsbekämpfungsverfahrens verstoße seit dem Ablauf der in Art. 93 Satz 2 Buchst. b BiozidVO bestimmten Übergangsfrist am 1. September 2017 gegen die als Marktverhaltensregelung im Sinne des § 3a UWG anzusehende Bestimmung des Art. 17 Abs. 1 BiozidVO. Unstreitig verfüge die Beklagte nicht über eine behördliche Zulassung nach der Biozidverordnung. Jedenfalls der von der Beklagten aus der Außenluft hergestellte und dann in die Einhausung eingeblasene Stickstoff sei ein Biozidprodukt im Sinne des Art. 3 Abs. 1 Buchst. a BiozidVO. Der Verstoß sei spürbar im Sinne des § 3a UWG. Mit Blick auf das Anbieten des in Rede stehenden Schädlingsbekämpfungsverfahrens bestehe jedenfalls aufgrund des Internetauftritts der Beklagten vom 12. März 2018 eine Wiederholungsgefahr, mit Blick auf dessen tatsächlichen Einsatz zumindest eine Erstbegehungsgefahr. Der Zusatz "ausgenommen Bundesrepublik Deutschland" im Internetauftritt der Beklagten vom 13. August 2019 räume diese Erstbegehungsgefahr nicht aus, weil er offenkundig nur der gegen die Beklagte erlassenen einstweiligen Verfügung Rechnung tragen solle.

 

9          Die Folgeansprüche auf Auskunftserteilung und Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten seien begründet. Die Klägerin könne zudem Freistellung von ihren außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten für die Abmahnung vom 14. März 2018 und das Abschlussschreiben vom 24. Juni 2019 verlangen, nicht hingegen für ihren weiteren vorgerichtlichen Schriftsatz vom 12. Juli 2019, mit dem sie lediglich ihre bereits mit der Abmahnung erfolgte Geltendmachung von Auskunfts- und Schadensersatzansprüchen wiederholt habe.

 

10        B. Die hiergegen gerichtete Revision der Beklagten hat keinen Erfolg.

 

11        I. Der Klägerin steht nach § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1, §§ 3, 3a UWG, Art. 17 Abs. 1 BiozidVO ein Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte zu.

 

12        1. Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Fall 2 UWG kann, wer eine nach § 3 UWG oder § 7 UWG unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt, bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Der Unterlassungsanspruch besteht nach § 8 Abs. 1 Satz 2 UWG bereits dann, wenn eine derartige Zuwiderhandlung droht.

 

13        Soweit der Unterlassungsanspruch auf Wiederholungsgefahr gestützt wird, ist er nur begründet, wenn das beanstandete Verhalten sowohl nach dem zum Zeitpunkt seiner Vornahme geltenden Recht wettbewerbswidrig war als auch nach dem zur Zeit der Revisionsentscheidung geltenden Recht wettbewerbswidrig ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 24. Februar 2022 - I ZR 128/21, GRUR 2022, 729 [juris Rn. 10] = WRP 2022, 727 - Zweitmarkt für Lebensversicherungen II, mwN). Nichts anderes gilt, soweit die Klägerin aus den angegriffenen Veröffentlichungen eine Erstbegehungsgefahr für den tatsächlichen Einsatz des Schädlingsbekämpfungsverfahrens der Beklagten herleitet. Nach den beanstandeten Veröffentlichungen, aber vor Verkündung des Berufungsurteils ist die in § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG geregelte Anspruchsberechtigung der Mitbewerber mit Wirkung vom 1. Dezember 2021 neu gefasst worden (Art. 9 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Stärkung des fairen Wettbewerbs vom 26. November 2020, BGBl. I S. 2568; UWG nF). Die Ansprüche aus § 8 Abs. 1 UWG stehen nunmehr nicht mehr - wie noch unter § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG in der bis zum 30. November 2021 geltenden Fassung (UWG aF) - jedem Mitbewerber zu, sondern nur dem Mitbewerber, der Waren oder Dienstleistungen in nicht unerheblichem Maße und nicht nur gelegentlich vertreibt oder nachfragt. Eine Übergangsregelung sieht das Gesetz hierfür nicht vor. Die Definition des Mitbewerbers (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG aF, § 2 Abs. 1 Nr. 4 UWG nF) ist inhaltlich unverändert geblieben.

 

14        Nach § 3 Abs. 1 UWG sind unlautere geschäftliche Handlungen unzulässig. Gemäß § 3a UWG handelt unlauter, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, und der Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen. Nach Art. 17 Abs. 1 BiozidVO dürfen Biozidprodukte nur auf dem Markt bereitgestellt oder verwendet werden, wenn sie gemäß dieser Verordnung zugelassen wurden. In diesem Sinne erfasst "Bereitstellung auf dem Markt" jede entgeltliche oder unentgeltliche Abgabe eines Biozidprodukts oder einer behandelten Ware zum Vertrieb oder zur Verwendung im Rahmen einer gewerblichen Tätigkeit (Art. 3 Abs. 1 Buchst. i BiozidVO); "Verwendung" schließt alle mit einem Biozidprodukt durchgeführten Maßnahmen ein, einschließlich Lagerung, Handhabung, Mischung und Anwendung, außer Maßnahmen, die zur Ausfuhr des Biozidprodukts oder der behandelten Ware aus der Union stattfinden (Art. 3 Abs. 1 Buchst. k BiozidVO).

 

15        2. Die Klägerin ist als Mitbewerberin der Beklagten nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG aF und nF anspruchsberechtigt.

 

16        a) Das Berufungsgericht hat die Voraussetzungen des § 8 Abs. 3 Nr. 1, § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG aF mit Recht und von der Revision unangegriffen als erfüllt angesehen. Allerdings ist die Mitbewerbereigenschaft - anders als vom Berufungsgericht angenommen - keine Voraussetzung der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit der Klage. § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG (aF und nF) regelt die Anspruchsberechtigung des Mitbewerbers; die Prozessführungsbefugnis ergibt sich aufgrund der geltend gemachten Rechtsposition eines Mitbewerbers bereits nach den allgemeinen Vorschriften zur Prozessführung (vgl. BGH, Urteil vom 6. Mai 2021 - I ZR 167/20, GRUR 2021, 1207 [juris Rn. 12 und 15] mwN = WRP 2021, 1154 - Vorsicht Falle).

 

17        b) Auch die zusätzliche Voraussetzung nach § 8 Abs. 3 Nr. 1, § 2 Abs. 1 Nr. 4 UWG nF, dass die Klägerin Waren oder Dienstleistungen in nicht unerheblichem Maße und nicht nur gelegentlich vertreibt oder nachfragt, ist im Streitfall erfüllt. Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass zu den Kunden beider Parteien, also auch der Klägerin, unter anderem Museen und andere kulturelle Einrichtungen in Deutschland gehören.

 

18        3. Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Vorschrift des Art. 17 Abs. 1 BiozidVO eine Marktverhaltensregelung im Sinne des § 3a UWG darstellt und ein lauterkeitsrechtliches Vorgehen gegen eine Verletzung dieser Vorschrift möglich ist.

 

19        a) Eine Vorschrift, die dem Schutz von Rechten, Rechtsgütern oder sonstigen Interessen von Marktmitbewerbern, Verbrauchern oder sonstigen Marktteilnehmern dient, stellt eine Marktverhaltensregelung dar, wenn das geschützte Interesse gerade durch die Marktteilnahme, also durch den Abschluss von Austauschverträgen und den nachfolgenden Verbrauch oder Gebrauch der erworbenen Ware oder in Anspruch genommenen Dienstleistung berührt wird. Nicht erforderlich ist dabei eine spezifisch wettbewerbsbezogene Schutzfunktion in dem Sinne, dass die Regelung die Marktteilnehmer speziell vor dem Risiko einer unlauteren Beeinflussung ihres Marktverhaltens schützt. Die Vorschrift muss aber zumindest auch den Schutz der wettbewerblichen Interessen der Marktteilnehmer bezwecken; lediglich reflexartige Auswirkungen zu deren Gunsten genügen daher nicht (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 28. November 2019 - I ZR 23/19, GRUR 2020, 303 [juris Rn. 24] = WRP 2020, 320 - Pflichten des Batterieherstellers; Urteil vom 18. November 2021 - I ZR 106/20, GRUR 2022, 175 [juris Rn. 25] = WRP 2022, 165 - Kabel-TV-Anschluss).

 

20        Regelungen über den Marktzutritt unterfallen als reine Marktzutrittsregelungen nur dann nicht dem Anwendungsbereich des § 3a UWG, wenn sie bestimmten Personen den Marktzutritt aus Gründen verwehren, die nichts mit deren Marktverhalten, das heißt der Art und Weise zu tun haben, wie diese Personen am Markt agieren. Eine Marktzutrittsregelung kann eine sekundäre wettbewerbsbezogene Schutzfunktion aufweisen und damit zugleich das Marktverhalten im Interesse der Marktteilnehmer regeln. Davon ist regelmäßig auszugehen, wenn die Betätigung auf einem bestimmten Markt einer öffentlich-rechtlichen Erlaubnis bedarf, um im Interesse der Marktpartner, insbesondere der Verbraucher, eine bestimmte Qualität, Sicherheit oder Unbedenklichkeit der angebotenen Waren oder Dienstleistungen sicherzustellen. Eine Regelung, die den Marktzugang reglementiert, stellt insbesondere dann eine Marktverhaltensregelung dar, wenn sie unmittelbar auf die Herstellung der Wettbewerbsgleichheit zwischen den auf dem betreffenden Markt tätigen Unternehmern gerichtet ist (vgl. BGH, GRUR 2020, 303 [juris Rn. 26] - Pflichten des Batterieherstellers).

 

21        b) Nach diesem Maßstab stellt Art. 17 Abs. 1 BiozidVO eine Marktverhaltensregelung im Sinne des § 3a UWG dar. Die Vorschrift macht insbesondere die entgeltliche oder unentgeltliche Abgabe eines Biozidprodukts zum Vertrieb oder zur Verwendung im Rahmen einer gewerblichen Tätigkeit und die Anwendung von Biozidprodukten innerhalb der Europäischen Union von einer behördlichen Zulassung abhängig. Die Biozidverordnung und insbesondere das in ihrem Art. 17 Abs. 1 geregelte Zulassungserfordernis bezwecken, ein hohes Schutzniveau für die Gesundheit von Mensch und Tier und für die Umwelt zu gewährleisten (vgl. Erwägungsgründe 1, 2 und 3 Satz 1 BiozidVO). Die Regelung dient daher dem Schutz der Verbraucher und sonstigen Marktteilnehmer auf der Nachfrageseite bei dem Abschluss und der Durchführung von Austauschverträgen über den Erwerb von Biozidprodukten oder die Erbringung von Dienstleistungen unter Einsatz von Biozidprodukten. Die Vorschrift stellt keine reine Marktzutrittsregelung dar. Dies folgt bereits daraus, dass die Zulassungspflicht produktbezogen ist. Soweit dadurch einzelnen Anbietern, die allein Biozidprodukte vertreiben oder Dienstleistungen unter Einsatz von Biozidprodukten anbieten, der Marktzutritt verwehrt werden sollte, ändert dies nichts an der primär marktverhaltensbezogenen Schutzrichtung des Zulassungserfordernisses.

 

22        c) Unabhängig davon, dass im Streitfall weder festgestellt noch ersichtlich ist, dass die Beklagte ihre Leistungen auch gegenüber Verbrauchern anbietet, steht die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern der Verfolgung eines Verstoßes gegen Art. 17 Abs. 1 BiozidVO unter dem Gesichtspunkt des Rechtsbruchs gemäß § 3a UWG nicht entgegen. Die Richtlinie 2005/29/EG hat zwar in ihrem Anwendungsbereich (vgl. Art. 3) zu einer vollständigen Harmonisierung des Lauterkeitsrechts geführt (vgl. Art. 4). Nach Art. 3 Abs. 3 und Erwägungsgrund 9 Satz 2 der Richtlinie 2005/29/EG lässt sie die Rechtsvorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Gesundheits- und Sicherheitsaspekte von Produkten jedoch unberührt (vgl. BGH, Urteil vom 9. Dezember 2021 - I ZR 146/20, GRUR 2022, 399 [juris Rn. 20] = WRP 2022, 426 - Werbung für Fernbehandlung; Urteil vom 7. April 2022 - I ZR 143/19, GRUR 2022, 930 [juris Rn. 28] = WRP 2022, 847 - Knuspermüsli II, jeweils mwN).

 

23        4. Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass der von der Beklagten bei ihrem Schädlingsbekämpfungsverfahren aus der Außenluft generierte Stickstoff ein Biozidprodukt ist und daher grundsätzlich der Zulassungspflicht nach Art. 17 Abs. 1 BiozidVO unterliegt.

 

24        a) Nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. a, erster Gedankenstrich BiozidVO bezeichnet der Ausdruck Biozidprodukt für die Zwecke dieser Verordnung jeglichen Stoff (ebenso jegliches Gemisch) in der Form, in der er zum Verwender gelangt, und der aus einem oder mehreren Wirkstoffen besteht, diese enthält oder erzeugt, der dazu bestimmt ist, auf andere Art als durch bloße physikalische oder mechanische Einwirkung Schadorganismen zu zerstören, abzuschrecken, unschädlich zu machen, ihre Wirkung zu verhindern oder sie in anderer Weise zu bekämpfen.

 

25        Der Ausdruck Biozidprodukt bezeichnet nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. a, zweiter Gedankenstrich BiozidVO auch jeglichen Stoff (ebenso jegliches Gemisch), der aus Stoffen oder Gemischen erzeugt wird, die selbst nicht unter den ersten Gedankenstrich fallen, und der dazu bestimmt ist, auf andere Art als durch bloße physikalische oder mechanische Einwirkung Schadorganismen zu zerstören, abzuschrecken, unschädlich zu machen, ihre Wirkung zu verhindern oder sie in anderer Weise zu bekämpfen.

 

26        Unter den Begriff des Wirkstoffs fallen nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. c BiozidVO unter anderem Stoffe, die eine Wirkung auf oder gegen Schadorganismen entfalten. Ein Stoff ist nach Art. 3 Abs. 2 Buchst. a BiozidVO, Art. 3 Nr. 1 Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe ein chemisches Element und seine Verbindungen in natürlicher Form oder gewonnen durch ein Herstellungsverfahren, einschließlich der zur Wahrung seiner Stabilität notwendigen Zusatzstoffe und der durch das angewandte Verfahren bedingten Verunreinigungen, aber mit Ausnahme von Lösungsmitteln, die von dem Stoff ohne Beeinträchtigung seiner Stabilität und ohne Änderung seiner Zusammensetzung abgetrennt werden können. Als Gemisch werden nach Art. 3 Abs. 2 Buchst. b BiozidVO, Art. 3 Nr. 2 Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 Gemenge, Gemische oder Lösungen, die aus zwei oder mehr Stoffen bestehen, bezeichnet.

 

27        Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union handelt es sich bei der Eigenschaft als (Wirk-)Stoff, der Zweckbestimmung und der Art der Einwirkung um drei kumulative Voraussetzungen, die für die Einstufung als Biozidprodukt erfüllt sein müssen. Es ist Sache des zuständigen nationalen Gerichts zu prüfen, ob das betreffende Produkt alle in dieser Vorschrift für eine Subsumtion unter diesen Begriff vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt (vgl. EuGH, Urteil vom 14. Oktober 2021 - C-29/20, GRUR 2022, 96 Rn. 23 und 26 = WRP 2022, 38 - Biofa).

 

28        b) Das Berufungsgericht hat ausgeführt, jedenfalls der von der Beklagten bei ihrem Schädlingsbekämpfungsverfahren mittels eines Generators in situ aus der Außenluft hergestellte und sodann von außen in die Einhausung eingelassene Stickstoff sei ein Biozidprodukt im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a, zweiter Gedankenstrich BiozidVO. Aus den eigenen Angaben der Beklagten gehe hervor, dass dieser Stickstoff dazu bestimmt sei, Schadorganismen zu zerstören, abzuschrecken, unschädlich zu machen, ihre Wirkung zu verhindern oder sie in anderer Weise zu bekämpfen. Heranzuziehen seien hierbei nicht nur die schriftsätzlichen Angaben der Beklagten, sondern auch die von ihr nicht bestrittenen Aussagen in den vorgelegten Presseberichten und Internetveröffentlichungen und in ihrer eigenen Informationsbroschüre sowie die von ihr ebenfalls nicht bestrittenen Angaben des Geschäftsführers der Komplementärin der Beklagten bei seiner persönlichen Anhörung durch das Landgericht im einstweiligen Verfügungsverfahren. Der Sach- und Streitstand des vorliegenden Verfahrens liefere keine Anhaltspunkte dafür, dass das als solches ungiftige und reaktionsträge Gas Stickstoff unmittelbar selbst auf die zu bekämpfenden Schadorganismen einwirke oder einwirken solle. Entscheidend seien vielmehr die Wirkungen der mit der Erhöhung der Stickstoffkonzentration innerhalb der Einhausung einhergehenden Verringerung der Sauerstoffkonzentration.

 

29        Die Beklagte setze den Stickstoff nicht ausschließlich als Schutzgas zur Vermeidung von Oxidationen, also von Reaktionen zwischen dem in der Einhausung verbliebenen Restsauerstoff und den zu behandelnden Gegenständen, ein. Es liege ohnehin nahe, dass die Verdrängung des Luftsauerstoffs durch Stickstoff schlicht zu einem Ersticken der zu bekämpfenden Insekten führe. Letztlich könne beides dahinstehen. Die Beklagte habe sowohl schriftsätzlich als auch bei der persönlichen Anhörung des Geschäftsführers ihrer Komplementärin durch das Landgericht im einstweiligen Verfügungsverfahren erklärt, dass die Erhöhung der Stickstoffkonzentration Schadinsekten (wohl durch eine zumindest als Nebeneffekt verursachte Öffnung ihrer Atmungsorgane) für den Einflussfaktor Wärme empfindlicher mache und es sodann durch die Erhöhung der Temperatur (also durch eine Zufuhr von Wärme) und des Drucks innerhalb der Einhausung zum Absterben durch Austrocknen der Schadinsekten komme. Jedenfalls am letztgenannten Vorbringen müsse sich die Beklagte festhalten lassen. Die darin beschriebene Wirkungsweise reiche zur Bejahung des Tatbestandsmerkmals "Bestimmung zur Bekämpfung von Schadorganismen" aus. Die Erhöhung der Empfindlichkeit von Schadorganismen für letztendlich zu ihrer Zerstörung führende Faktoren stelle zumindest eine "Bekämpfung in anderer Weise" dar. Der Regelung in der Biozidverordnung lasse sich auch nicht entnehmen, dass die Bestimmung zur Bekämpfung von Schadorganismen die einzige Bestimmung der Produktverwendung sein müsse. Im Gegenteil sei eine wirksame Kontrolle der Verwendung von Biozidprodukten nur gewährleistet, wenn die Regelungen der Biozidverordnung auch Fälle der vorliegenden Art erfasse.

 

30        Es handle sich nicht um eine "bloße physikalische oder mechanische Einwirkung" im Sinne des Art. 3 Abs. 1 Buchst. a BiozidVO. Dies folge aus der Entstehungsgeschichte der Biozidverordnung, insbesondere aus einem Bewertungsbericht vom 28. November 2008, der in Erwägungsgrund 4 der Richtlinie 89/2009/EG zur Änderung der Richtlinie 98/8/EG genannt sei. Nach diesem Bewertungsbericht wirke Stickstoff auf Schadinsekten durch die Verdrängung des Sauerstoffs, den diese zur Atmung benötigten. Der Richtliniengeber habe offenkundig durch Sauerstoffmangel hervorgerufene physiologische Vorgänge im Körper von Insekten für eine chemische oder biologische Bekämpfungsweise und damit gerade nicht für eine physikalische oder mechanische Einwirkung gehalten. Diese Sichtweise habe der Verordnungsgeber konkludent übernommen, indem er in Art. 86 BiozidVO angeordnet habe, dass Wirkstoffe, für die die Kommission Richtlinien zu ihrer Aufnahme in Anhang I der Richtlinie 98/8/EG erlassen habe, als gemäß der Biozidverordnung genehmigt gälten. Überdies widerspreche es auch dem allgemeinen Sprachgebrauch, Vorgänge wie das Ersticken oder Austrocknen eines Lebewesens oder den bei Sauerstoffmangel unternommenen Versuch eines Lebewesens, durch Öffnung seiner Atmungsorgane seinen Sauerstoffbedarf zu decken, als physikalisch oder mechanisch zu bezeichnen. Diese Vorgänge seien nach dem allgemeinen Sprachgebrauch vielmehr als biologisch zu beschreiben.

 

31        Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.

 

32        c) Die erste der genannten drei Voraussetzungen - die Eigenschaft als Wirkstoff oder Stoff - ist im Streitfall erfüllt. Es bedarf keiner Entscheidung, ob der Stickstoff, den die Beklagte mit ihrem Generator gewinnt, ein Wirkstoff ist (Art. 3 Abs. 1 Buchst. a, erster Spiegelstrich BiozidVO). Jedenfalls handelt es sich bei dem Stickstoff um einen Stoff, der aus einem Gemisch, und zwar aus der (unter anderem) aus Stickstoff und Sauerstoff bestehenden Luft, mit dem von der Beklagten eingesetzten Generator erzeugt wird (Art. 3 Abs. 1 Buchst. a, zweiter Spiegelstrich BiozidVO). Dies stellt die Revision nicht in Abrede.

 

33        d) Auch die auf die Bekämpfung von Schadorganismen gerichtete Zweckbestimmung als zweite der genannten Voraussetzungen ist im Streitfall gegeben.

 

34        aa) Der Begriff "Biozidprodukt" umfasst nicht nur unmittelbare, sondern auch mittelbare Wirkungen eines Produkts gegen Schadorganismen, sofern die Einwirkung Teil einer Kausalitätskette ist, die bei diesen Schadorganismen eine Hemmwirkung hervorrufen soll (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019 - C-592/18, StoffR 2020, 34 [juris Rn. 30 bis 34 und 39] - Darie).

 

35        bb) Nach den vom Berufungsgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen dient der von der Beklagten generierte Stickstoff der Bekämpfung von Schadorganismen. Entscheidend hierfür ist, dass die zum Absterben der Schadorganismen führende Kausalitätskette ausgelöst werden soll, indem das Verfahren der Beklagten den Stickstoffanteil innerhalb der Einhausung - verglichen mit dem in der Luft natürlicherweise vorkommenden Anteil - deutlich erhöht und als Kehrseite davon den Sauerstoffanteil deutlich verringert. Die Beklagte behauptet nicht, dass diese Kausalitätskette auch ohne Vorhandensein von Stickstoff allein durch die Veränderung anderer Umgebungsparameter wie der Temperatur und des Luftdrucks ausgelöst werden könnte.

 

36        e) Das Berufungsgericht hat auch das Vorliegen der dritten genannten Voraussetzung, nach der eine andere Art als eine bloße physikalische oder mechanische Einwirkung auf den Schadorganismus vorliegen muss, zu Recht bejaht. Anders als bei der Vorgängervorschrift in Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 98/8/EG über das Inverkehrbringen von Biozid-Produkten, die eine Einwirkung auf chemischem oder biologischem Wege verlangt hat, reicht nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. a BiozidVO jede Einwirkung auf andere Art als durch bloße physikalische oder mechanische Einwirkung (vgl. EuGH, StoffR 2020, 34 [juris Rn. 35] - Darie).

 

37        Die von der Revision gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts erhobenen Rügen dringen nicht durch.

 

38        aa) Ohne Erfolg macht die Revision geltend, die Erhöhung der Temperatur und des Drucks innerhalb der Einhausung stelle eine physikalische Einwirkung dar. Wie ausgeführt (vgl. Rn.35) soll die zum Absterben der Schadorganismen führende Kausalitätskette durch eine Veränderung der Stickstoff- und Sauerstoffanteile innerhalb der Einhausung ausgelöst werden. Diese Einwirkung ist weder physikalisch noch mechanisch. Sie wird auch nicht dadurch zu einer bloßen physikalischen Einwirkung, dass auch physikalische Parameter verändert werden, um das mit der Kausalitätskette bezweckte Ergebnis zu erreichen.

 

39        bb) Ebenfalls vergeblich rügt die Revision, die Entscheidung des Berufungsgerichts beruhe auf einer einengenden Auslegung der dritten Voraussetzung für das Vorliegen eines Biozidprodukts. Der Umstand, dass die physikalische Einwirkung auf Insekten physiologische Vorgänge in deren Körper herbeiführe, die ihrerseits deren Zerstörung bewirke, könne nicht als chemische oder biologische Bekämpfungsweise gewertet werden. Das Berufungsgericht könne auch nicht mit seinem Hinweis auf den allgemeinen Sprachgebrauch gehört werden. Die Definition des Begriffs Biozidprodukt ziele nicht darauf ab, die Vorgänge im Schadorganismus zu nennen, über die dessen Zerstörung erreicht werde. Diese Auslegung werde durch die Definition des Begriffs Stoff bestätigt. Erforderlich sei eine Zerstörung des Schadorganismus durch Chemie, also die direkt zur Zerstörung führende unmittelbare Einwirkung des chemischen Stoffs auf die Substanz des Organismus.

 

40        (1) Zwar ist der Revision insoweit beizupflichten, als nicht auf die Auswirkungen innerhalb des Körpers des Schadorganismus, sondern auf die Art der Einwirkung auf den Schadorganismus abzustellen ist (vgl. auch "action" in der englischen Sprachfassung des Art. 3 Abs. 1 Buchst. a BiozidVO). Es ist daher unerheblich, ob der von der Beklagten generierte Stickstoff bei den Schadorganismen eine toxische Wirkung entfaltet, was unstreitig nicht der Fall ist, und ob das Verfahren der Beklagten zu einem Ersticken oder zu einem Austrocknen der Schadorganismen führt, weil diese Phänomene lediglich am Ende der in Gang gesetzten Kausalitätskette stehen. Im Streitfall liegt die Einwirkung - wie ausgeführt (vgl. Rn. 35) - zumindest auch in einer Erhöhung des Stickstoff- und Verringerung des Sauerstoffanteils innerhalb der Einhausung. Es ist unerheblich, dass die physiologischen Folgen bei den Schadorganismen nicht durch das Vorhandensein von Stickstoff, sondern durch Unterbindung der Sauerstoffzufuhr ausgelöst werden, weil beide Veränderungen miteinander einhergehen.

 

41        (2) Entgegen der Auffassung der Revision folgt aus der Definition des Begriffs Stoff nach Art. 3 Abs. 2 Buchst. a BiozidVO, Art. 3 Nr. 1 Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 jedoch nicht, dass nur dann ein Biozidprodukt vorliegt, wenn durch die unmittelbare Einwirkung eines chemischen Stoffs die Zerstörung des Schadorganismus bewirkt wird. Die genannte Definition betrifft die erste genannte Voraussetzung für die Einordnung eines Produkts als Biozidprodukt, also dessen Zusammensetzung. Vorliegend geht es um die Wirkungsweise des (Wirk-)Stoffs, für deren Beurteilung - wie ausgeführt (vgl. Rn. 34) - nicht nur unmittelbare, sondern auch mittelbare Wirkungen dieses Stoffs innerhalb einer Kausalitätskette einzubeziehen sind.

 

42        cc) Im Ergebnis ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Entstehungsgeschichte der Biozidverordnung.

 

43        (1) Zwar liefert der vom Berufungsgericht in Bezug genommene Bewertungsbericht zu Stickstoff vom 28. November 2008, der in Erwägungsgrund 4 der Richtlinie 89/2009/EG und in Erwägungsgrund 5 der BiozidVO erwähnt wird, keinen unmittelbaren Beleg für die Einordnung von Stickstoff als Biozidprodukt.

 

44        (2) Gleichwohl wird die Sichtweise des Berufungsgerichts durch die Entstehungsgeschichte der Biozidverordnung gestützt. Dieser ging die Richtlinie 98/8/EG über das Inverkehrbringen von Biozidprodukten voraus. Durch eine Änderungsrichtlinie 89/2009/EG wurde Stickstoff als Wirkstoff zur Verwendung unter anderem in Insektiziden in den Anhang I der Richtlinie 98/8/EG aufgenommen, der eine Liste der Wirkstoffe mit auf Gemeinschaftsebene vereinbarten Anforderungen zur Verwendung in Biozidprodukten enthielt. Nach Art. 86 BiozidVO gelten die Wirkstoffe, die in Anhang I der Richtlinie 98/8/EG aufgeführt sind, als gemäß der Biozidverordnung genehmigt und sind in die Liste genehmigter Wirkstoffe nach Art. 9 Abs. 2 BiozidVO aufgenommen worden. Zudem ist Stickstoff - als im Anhang I der Richtlinie 98/8/EG aufgeführter Stoff - auch im Anhang I der Biozidverordnung aufgeführt und gehört zu den unter Art. 25 Buchst. a BiozidVO fallenden Wirkstoffen. Für Biozidprodukte, deren Wirkstoffe sämtlich im genannten Anhang I aufgeführt sind und den dort geregelten Beschränkungen genügen, kommt unter Umständen ein vereinfachtes Zulassungsverfahren in Betracht. Ausweislich des Anhangs I der Biozidverordnung ist hiervon allerdings nur Stickstoff zur Verwendung in begrenzten Mengen in gebrauchsfertigen Behältern erfasst. Diese Einschränkung ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass in situ hergestellter Stickstoff nach verbreiteter Auffassung nicht in den Anwendungsbereich der an das Inverkehrbringen von Biozidprodukten (Art. 3 Abs. 1 und Erwägungsgrund 5) anknüpfenden Richtlinie 98/8/EG fiel (vgl. hierzu Stallberg, StoffR 2013, 257). Nach alledem ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte der Biozidverordnung kein Anhaltspunkt dafür, dass Stickstoff von vornherein nicht als Biozidprodukt anzusehen sein könnte.

 

45        (3) Nichts anderes ergibt sich aus der Rechtspraxis nach Inkrafttreten der Biozidverordnung. Die Europäische Kommission hat am 9. Dezember 2020 auf Antrag Deutschlands nach Art. 55 Abs. 3 BiozidVO den Durchführungsbeschluss (EU) 2020/1265 erlassen. Gemäß Art. 55 Abs. 3 Satz 1 BiozidVO kann die Europäische Kommission es im Wege von Durchführungsrechtsakten einem Mitgliedstaat gestatten, ein Biozidprodukt, das einen nicht genehmigten Wirkstoff enthält, zuzulassen, wenn sie der Auffassung ist, dass der betreffende Wirkstoff zum Schutz des kulturellen Erbes unbedingt erforderlich ist und keine geeigneten Alternativen zur Verfügung stehen. Der genannte Durchführungsbeschluss ist vor dem Hintergrund erlassen worden, dass Produkte, die in gebrauchsfertige Behälter mit begrenzter Menge (z.B. Gasflaschen) abgefüllten Stickstoff enthalten, im vereinfachten Verfahren genehmigt werden können und auch worden sind, während in situ hergestellter Stickstoff nach Auffassung der Europäischen Kommission bislang nicht als Wirkstoff genehmigt worden ist (vgl. Erwägungsgründe 1 bis 3). Deutschland darf nach dem Durchführungsbeschluss zum Schutz des kulturellen Erbes Produkte mit in situ hergestelltem Stickstoff bis 31. Dezember 2024 zulassen, wovon es bislang aber keinen Gebrauch gemacht hat. Auch wenn der Durchführungsbeschluss, wie die Revision zu Recht anmerkt, keine für den Streitfall verbindliche Einschätzung der Rechtslage enthält, bestätigt auch er die vom Berufungsgericht eingenommene Sichtweise.

 

46        dd) Die Revision dringt schließlich auch mit ihrem Angriff nicht durch, das Berufungsgericht hätte sich eines Sachverständigen bedienen müssen, um festzustellen, ob der von der Beklagten generierte Stickstoff dazu bestimmt sei, auf andere Art als durch bloße physikalische oder mechanische Einwirkung Schadorganismen zu bekämpfen, und das diesbezügliche Beweisangebot der Beklagten nicht übergehen dürfen.

 

47        (1) Es ist grundsätzlich dem pflichtgemäßen Ermessen des Tatgerichts überlassen, ob es seine eigene Sachkunde für ausreichend erachtet und deshalb von der Einholung eines Sachverständigengutachtens absieht. Bei der Beurteilung einer Frage, die Fachwissen voraussetzt, darf das Tatgericht allerdings nur dann auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens verzichten, wenn es eigene besondere Sachkunde auszuweisen vermag, die Parteien zuvor darauf hingewiesen hat und die Sachkunde in seinem Urteil darlegt (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Januar 2015 - VI ZR 204/14, NJW 2015, 1311 [juris Rn. 5] mwN; zu Fällen der Entbehrlichkeit eines Sachverständigengutachtens vgl. auch BGH, Urteil vom 15. März 2012 - I ZR 44/11, GRUR 2012, 1164 [juris Rn. 29] = WRP 2012, 1386 - ARTROSTAR; Urteil vom 26. Oktober 2018 - V ZR 143/17, NJW 2019, 773 [juris Rn. 20 bis 24]). Der Sachverständige vermittelt Fachwissen zur Beurteilung von Tatsachen, indem er Schlussfolgerungen aus einem feststehenden Sachverhalt zieht (vgl. BGH, Urteil vom 20. März 2007 - VI ZR 254/05, NJW 2007, 2122 [juris Rn. 21]; Urteil vom 9. Oktober 2013 - VIII ZR 224/12, NJW 2013, 3570 [juris Rn. 20]). Er darf im Rahmen seines Auftrags (§ 404a Abs. 4 ZPO) auch selbst Tatsachen aufgrund seiner besonderen Sachkunde feststellen (vgl. BeckOK.ZPO/Scheuch, 46. Edition [Stand 1. September 2022], § 404a Rn. 8 bis 11; Katzenmeier in Prütting/Gehrlein, ZPO, 14. Aufl., Vorbemerkung vor §§ 402 ff. Rn. 2).

 

48        (2) Die Beklagte hat detailliert zur Wirkungsweise ihres Verfahrens vorgetragen. Ihren unter Beweis gestellten Vortrag, die Abtötung der Insekten erfolge durch Erhöhung der Umgebungstemperatur auf 25 bis 30º C und des Drucks um ca. 0,5 bar über einen Zeitraum von drei Wochen bis drei Monaten, hat das Berufungsgericht zu ihren Gunsten als zutreffend unterstellt. Es ist nicht ersichtlich, welche zusätzlichen für die Beklagte günstigen Tatsachenfeststellungen ein Sachverständiger hätte vornehmen können.

 

49        Mit ihrem Einwand, es handele sich um ein rein physikalisches Erstickungsverfahren, dringt die Beklagte nicht durch. Vielmehr hat das Berufungsgericht das Verfahren der Beklagten auf Grundlage des als unstreitig festgestellten Sachverhalts rechtsfehlerfrei als Biozidprodukt qualifiziert. Dies wird insbesondere von der Feststellung getragen, dass die Beklagte mit ihrem Verfahren (auch) die Sauerstoff- und Stickstoffanteile in einem umgrenzten Raum verändert. Die Beurteilung, dass ein solches Verfahren über eine bloße physikalische Einwirkung hinausgeht, erfordert keine besondere Sachkunde.

 

50        5. Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dass die Beklagte gegen die Zulassungspflicht nach Art. 17 Abs. 1 BiozidVO verstoßen hat.

 

51        a) Nach Art. 93 Satz 1, Satz 2 Buchst. b BiozidVO sind Biozidprodukte, die - wie in situ generierter Stickstoff - nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 98/8/EG, jedoch unter die Biozidverordnung fallen und die sich am 1. September 2013 in Verkehr befanden, ab dem 1. September 2017 nicht mehr zugelassen, soweit kein fristgerechter Genehmigungsantrag nach Art. 93 Satz 2 Buchst. a BiozidVO gestellt worden ist.

 

52        b) Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts verfügt die Beklagte nicht über eine behördliche Zulassung für den Einsatz in situ generierten Stickstoffs als Schädlingsbekämpfungsmittel und hat auch keinen fristgerechten Genehmigungsantrag gestellt.

 

53        6. Die Revision wendet sich mit Recht nicht gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der Verstoß der Beklagten gegen Art. 17 Abs. 1 BiozidVO spürbar im Sinne des § 3a UWG ist.

 

54        7. Ebenfalls rechtsfehlerfrei und von der Revision nicht angegriffen hat das Berufungsgericht aufgrund des Internetauftritts der Beklagten vom 12. März 2018 eine Wiederholungsgefahr für das Anbieten und eine Erstbegehungsgefahr für das Durchführen des in Rede stehenden Verfahrens angenommen.

 

55        II. Gegen die der Klägerin vom Berufungsgericht rechtsfehlerfrei zuerkannten Folgeansprüche auf Auskunftserteilung, Feststellung der Schadensersatzpflicht und Freistellung von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten erhebt die Revision keine eigenständigen Einwände.

 

56        III. Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV ist nicht veranlasst. Im Streitfall stellt sich keine entscheidungserhebliche Frage zur Auslegung des Unionsrechts, die nicht bereits durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs geklärt oder nicht zweifelsfrei zu beantworten ist (zu diesem Maßstab vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - 283/81, Slg. 1982, 3415 [juris Rn. 21] = NJW 1983, 1257 - Cilfit u.a.; Urteil vom 6. Oktober 2021 - C-561/19, NJW 2021, 3303 [juris Rn. 33, 36 und 39 bis 49] - Consorzio Italian Management und Catania Multiservizi). Auf welche Weise ein (Wirk-)Stoff auf einen Schadorganismus einwirkt, ist eine tatsächliche Frage, die die nationalen Gerichte zu beurteilen haben (vgl. EuGH, GRUR 2022, 96 [juris Rn. 23 und 26] - Biofa). Dass in rechtlicher Hinsicht bereits dann von einem Biozidprodukt auszugehen ist, wenn eine von mehreren Einwirkungen nicht physikalisch oder mechanisch ist, unterliegt keinem vernünftigen Zweifel (vgl. nur "bloße physikalische oder mechanische Einwirkung" in Art. 3 Abs. 1 Buchst. a, erster und zweiter Gedankenstrich BiozidVO).

 

57        C. Danach ist die Revision der Beklagten mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

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