OLG Düsseldorf: Start-Up Unternehmen – Keine uneingeschränkte Anwendbarkeit der BGH-Grundsätze für positive Fortbestehensprognose i. S. d. § 19 Abs. 2 S. 1 InsO
OLG Düsseldorf, Urteil vom 16.8.2023 – 12 U 59/22
ECLI:DE:OLGD:2023:0816.12U59.22.00
Volltext: BB-Online BBL2023-2818-5
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Amtliche Leitsätze
1. Gem. § 18 Abs. 1 Nr. 1 RPflG ist in Verfahren der Insolvenzordnung dem Richter dieses (nur) bis zur Entscheidung über den Eröffnungsantrag unter Einschluss dieser Entscheidung und der Ernennung des Insolvenzverwalters vorbehalten. Verwalterwechsel im laufenden Verfahren, etwa nach § 59 InsO aus wichtigem Grund oder im Wege der Bestellung eines von der Gläubigerversammlung gewählten anderen Insolvenzverwalters gem. § 57 S. 3 InsO, obliegen dem Grundsatz von § 3 Nr. 2 e) RPflG folgend dem Rechtspfleger, denn der Gesetzgeber hat die jeweiligen funktionellen Zuständigkeiten zeitraumbezogen geregelt.
2. Bei einem Start-Up Unternehmen sind die Grundsätze, die der Bundesgerichtshof für eine positive Fortbestehensprognose i.S.d. § 19 Abs. 2 S. 1 InsO aufgestellt hat, nicht uneingeschränkt anwendbar (Anschluss an Senatsbeschlüsse vom 20.07.2021, I-12 W 7/21 [BB 2021, 2444] und 17.01.2022, I-12 W 17/21).
3. Die Rückwirkung der Zustellung der Klage des Insolvenzverwalters tritt nach § 167 ZPO auch dann ein, wenn – aufgrund eines Verschuldens im gerichtlichen Bereich – nicht die innerhalb der gehemmten Verjährungsfrist eingereichte Klage des Amtsvorgängers, sondern die des zwischenzeitlich bestellten Amtsnachfolgers zugestellt wird, sofern das Anspruchsbegehren identisch ist.
4. Gegenüber dem Ersatzanspruch des Insolvenzverwalters aus § 64 S. 1 GmbHG a.F. kann sich der Geschäftsführer nicht auf ein Zurückbehaltungsrecht wegen eines Auskunftsanspruchs zur Vorbereitung behaupteter Schadensersatzansprüche aus einer nicht der DSGVO entsprechenden Verarbeitung personenbezogener Daten bei der Verwertung der Insolvenzmasse berufen, da die Ansprüche nicht in einem so engen Zusammenhang stehen, dass die Geltendmachung und Durchsetzung des einen ohne den anderen treuwidrig wäre (Anschluss an Senatsbeschluss vom 22.12.2022 – I-12 U 46/22).
§ 18 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Nr. 2 e) RPflG; §§ 57, 59 InsO; § 64 S. 1 GmbHG a.F.; § 19 Abs. 2 S. 1 InsO; § 167 ZPO; § 204 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 14, § 273 BGB; Art. 15, 82 DSGVO
Sachverhalt
I.
Die Parteien streiten um die Erstattung von Zahlungen, die nach dem geltend gemachten Eintritt der Insolvenzreife der Schuldnerin von ihren kreditorischen Konten vorgenommen worden sind.
D. V. gründete am 23.06.2014 die R. GmbH, die später umfirmierte in die S. GmbH (im Folgenden Schuldnerin). Er hielt sämtliche Geschäftsanteile der Schuldnerin, davon 12 % bis zum 03.12.2015 treuhänderisch für den Zeugen Dr. H. (Anlage K 13, Bl. 190 ff. GA-LG). Zu einem späteren Zeitpunkt erwarb der Zeuge Dr. H. 88 % der Geschäftsanteile und schenkte sie seiner Tochter. Der Beklagte war seit der Gründung bis Anfang März 2016 Geschäftsführer der Schuldnerin.
Die Schuldnerin war ein Start-Up Unternehmen und wollte ein Vertriebsportal für Gebraucht- und Nutzfahrzeuge, ähnlich der heute bekannten Plattform „hey-car“, etablieren. Sie investierte erhebliche Beträge in die Entwicklung der Software für eine Automobil-Börse. Die Schuldnerin finanzierte sich im Wesentlichen über Darlehen des Investors und Zeugen Dr. H. Dieser hatte der Schuldnerin beginnend ab dem 10.07.2014 regelmäßig Darlehen „zur Stärkung des Eigenkapitals … in der Gründungsphase des Unternehmens … als Mezzanine Kapital“ gewährt (Anlagenkonvolut K 8, Bl. 58 ff. GA-LG). Sämtliche Darlehen waren bis zum 31.12.2017 befristet und danach zurückzuzahlen. Bis Ende 2015 beliefen sich die Darlehensforderungen des Zeugen Dr. H. bereits auf insgesamt 608.000 €. Sie wuchsen bis zum 20.07.2016 weiter an auf insgesamt 778.000 €.
In dem am 13.10.2015 festgestellten Jahresabschluss der Schuldnerin zum 31.12.2014 wurde ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag in Höhe von rund 125.800 € ausgewiesen (Anlage K 4, Bl. 31 ff. GA-LG). Im Jahr 2015 erzielte die Schuldnerin lediglich Umsätze in Höhe von rund 12.000 € und erwirtschaftete einen Verlust von 494.357,68 € (GuV vom 01.01.2015 bis 31.12.2015, Anlage K 5, Bl. 39 GA-LG), was zu einer Erhöhung des nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrags auf rund 620.200 € zum 31.12.2015 (Anlage K 5, Bl. 38 GA-LG) führte.
Die Schuldnerin unterhielt bei der F. Bank AG ein Geschäftskonto. In dem Zeitraum zwischen dem 01.01.2016 und dem 29.02.2016 kam es zu Zahlungsbewegungen von insgesamt 55.270,42 €, die teilweise Auszahlungen von dem kreditorisch geführten Geschäftskonto und teilweise Einzahlungen auf dem debitorisch geführten Geschäftskonto waren. Davon betraf ein Betrag von 3.571,24 € eine Zahlung von Umsatz- und Lohnsteuer an das zuständige Finanzamt und Beträge in Höhe von insgesamt 13.763,53 € Zahlungen an Sozialversicherungsträger.
Auf den Eigenantrag der Schuldnerin vom 14.10.2016 eröffnete das AG Duisburg mit Beschluss vom 28.12.2016 (61 IN 168/16, Bl. 22 ff. GA-LG) das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin und bestellte Rechtsanwalt Dr. W. zum Insolvenzverwalter. Mit Beschluss vom 21.02.2022 (Anlage zum Schriftsatz des Klägers vom 21.02.2022, Bl. 475 f. GA-LG) entließ das AG – Rechtspfleger – Duisburg Rechtsanwalt Dr. W. auf eigenen Wunsch aus seinem Amt und bestellte stattdessen den Kläger zum Insolvenzverwalter.
Der Kläger hat vom Beklagten als Geschäftsführer der Schuldnerin unter Abzug der Zahlungen an das Finanzamt und der Arbeitnehmeranteile an Sozialversicherungsträger Zahlung von insgesamt 43.441,06 € nebst Zinsen verlangt. Er hat geltend gemacht, die Schuldnerin sei zum 31.12.2015 überschuldet gewesen. Mangels Rangrücktrittserklärung des Zeugen Dr. H. für seine Darlehen oder einer harten Patronatserklärung seien die von ihm ausgegebenen Darlehen in der Überschuldungsbilanz zu passivieren. Stille Reserven oder sonstige nicht in der Handelsbilanz abgebildete Vermögensgegenstände hätten nicht vorgelegen. Insbesondere könnten die von der Schuldnerin für die Entwicklung der Software aufgewendeten Kosten ebenso wenig berücksichtigt werden wie etwaige externe Anschaffungskosten für eine solche Software, soweit der Beklagte diese mit einem den im Insolvenzverfahren erzielten Erlös von unstreitig 10.000 € übersteigenden Betrag ansetzen wolle. Eine positive Fortführungsprognose sei nicht feststellbar. Eine solche sei auch nicht dokumentiert worden. Auch für den Bereich von Start-Up-Unternehmen seien Sonderregelungen, die die Feststellung einer positiven Fortführungsprognose erleichterten, nicht anzuerkennen. Die vom Beklagten vorgelegte Finanzplanung für den Zeitraum 2016 bis 2020, die dieser unstreitig am 04.03.2016 auch dem Zeugen Dr. H. übermittelt hatte, begründe keine positive Fortführungsprognose, da schon die für 2016 geplanten Umsatzsteigerungen von mehr als 1000 % bei im Wesentlichen gleichbleibenden Kosten unrealistisch gewesen seien. Die bloße Hoffnung des Geschäftsführers auf eine weitere Finanzierung der Geschäfte durch den Zeugen Dr. H. genüge hierfür nicht, da es an verbindlichen Finanzierungszusagen für einen Zeitraum von ca. zwei Jahren in die Zukunft gefehlt habe. Dr. H. habe immer erst im Nachhinein Darlehen gewährt, um die bereits in der Vergangenheit entstandenen Verluste aufzufangen. Der Beklagte habe nicht darauf vertrauen dürfen, dass der Zeuge Dr. H. immer wieder Finanzmittel zur Verfügung stellen würde, denn dieser habe sich ausdrücklich vorbehalten, die vorzulegende Planung darauf zu überprüfen, dass sie aus seiner Sicht realistisch erschien. Verjährung sei nicht eingetreten. Jedenfalls sei im Hinblick auf den Verwalterwechsel § 210 BGB analog anzuwenden.
Der Beklagte hat sich darauf berufen, der Kläger sei nicht prozessführungsbefugt, da seine Amtseinsetzung durch den Rechtspfleger des Amtsgerichts unwirksam sei. Die entsprechende Zuständigkeit habe beim Richter gelegen. Die Schuldnerin sei nicht im insolvenzrechtlichen Sinne überschuldet gewesen, da die Darlehen des Zeugen Dr. H. wie Eigenkapital gewährt worden und mithin nicht als Passivum in der Bilanz der Schuldnerin zu berücksichtigen seien. Außerdem seien die bis Ende 2015 angefallenen Entwicklungskosten für die Software von ca. 320.000 € bzw. etwaige Anschaffungskosten von 650.000 € für eine externe Entwicklung als stille Reserven anzusetzen. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass der Zeuge Dr. H. bereit gewesen sei, die Schuldnerin auf unbestimmte Zeit zu finanzieren, solange die Planungen realistisch erschienen, was jedenfalls bis September 2016 der Fall gewesen sei. Die Zahlungsfähigkeit der Schuldnerin sei sichergestellt gewesen. Er, der Beklagte, habe monatliche Finanzpläne aufgestellt, die bis 31.12.2020 gereicht hätten und ständig aktualisiert worden seien. Danach hätten im Juli 2016 erstmals Überschüsse erwirtschaftet werden sollen. Den sich aus der Planung ergebenden Finanzbedarf für die bevorstehende Planungsperiode habe er konkret mit dem Investor abgesprochen, die bevorstehenden Ausgaben seien sehr genau mit ihm abgestimmt und die notwendigen Mittel jeweils als Darlehen zur Verfügung gestellt worden. Verbindlichkeiten seien erst begründet worden, wenn ein verbindlicher Darlehensvertrag des Investors vorgelegen habe. Da bei Start-Up-Unternehmen Anlaufverluste, auch über viele Jahre, typisch seien, stehe die hier vorliegende Außenfinanzierung einer positiven Fortführungsprognose nicht entgegen. Außerdem ergebe sich aus den Zusagen von Dr. H. eine harte Patronatszusage. Dr. H. habe seinen Fortführungswillen erst im September 2016 verloren. Bis zur Beendigung seiner – des Beklagten – Geschäftsführertätigkeit im März 2016 hätten jedenfalls keine Anzeichen bestanden, dass Dr. H. von seinem Fortführungswillen abrücken würde. Die Klageforderung sei verjährt, weil dem Kläger etwaige die Verjährung hemmende Maßnahmen seines Vorgängers nicht zugutekämen. Darüber hinaus stünde dem Beklagten ein Zurückbehaltungsrecht aufgrund Art. 15 Abs. 1 Hs. 1, Abs. 3 DSGVO zu. Als ehemaliger Geschäftsführer der Schuldnerin verlange er eine schriftliche Kopie von jeder geschriebenen, gesendeten oder empfangenen E-Mail oder sonstigen Datei oder sonstigen Aufzeichnung, soweit Aussagen über ihn oder von ihm aufgezeichnet seien. Ein weiteres Zurückbehaltungsrecht könne er geltend machen, weil der Kläger nicht erklärt habe, dass er die angeforderten Beträge nicht bereits durch Insolvenzanfechtung eingezogen habe. Schließlich hat der Beklagte für den Fall, dass eine harte Patronatserklärung von Dr. H. vorgelegen habe und diese unberechtigt gekündigt worden sei, hilfsweise mit einem Schadensersatzanspruch gegen den Kläger aufgerechnet, der sich darauf gründe, dass der Kläger nicht gegen Dr. H. vorgegangen sei.
Der Amtsvorgänger des Klägers hat am 21.12.2020 einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die klageweise Geltendmachung des streitgegenständlichen Anspruchs beim Landgericht eingereicht (Bl. 1 ff. GA-LG), dessen Bekanntmachung am 30.12.2020 veranlasst worden ist (Bl. 15 f. PKH-Heft Kläger). Mit Beschluss vom 19.04.2021 (Bl. 27 ff. PKH-Heft Kläger) hat das Landgericht den Antrag zurückgewiesen. Dies hat der Senat mit Beschluss vom 20.07.2021 (Bl. 80 ff. PKH-Heft Kläger), zugestellt am 21.07.2021 (Bl. 95 PKH-Heft Kläger), bestätigt. Am 18.01.2022 ging – nach der nunmehr in der Beschwerdeinstanz erfolgreichen Durchführung eines weiteren Prozesskostenhilfeverfahrens – unter Hinweis auf die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den Kläger und mit der Bitte um Zustellung eine qualifiziert signierte Klage des Amtsvorgängers des Klägers beim Landgericht ein (Bl. 364 ff. GA-LG). Diese Klage wurde nicht zugestellt. Infolge des Amtswechsels reichte der Kläger am 16.03.2022 nunmehr eine auf ihn lautende Klage beim Landgericht ein (Bl. 493 f., 511 ff. GA-LG), die am selben Tag dem Beklagten zugestellt wurde (Bl. 626 f. GA-LG).
Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Landgericht nach Vernehmung des Zeugen Dr. H. die Klage abgewiesen und ausgeführt, der Kläger sei als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin zur Klage befugt. Seiner wirksamen Bestellung stehe nicht § 18 Abs. 1 Nr. 1 RPflG entgegen, denn seine Bestellung habe nicht dem Richtervorbehalt unterlegen. Allerdings sei die Klage unbegründet. Der Anspruch, der auf § 64 GmbHG a.F. gestützt werde, setze voraus, dass die im Zeitraum vom 04.01. bis 25.02.2016 geleisteten Zahlungen nach Eintritt der insolvenzrechtlichen Überschuldung der Schuldnerin erfolgt seien. Diese Voraussetzung liege indessen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht vor. Aus Sicht des Beklagten hätten zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Zahlungen genügend Umstände vorgelegen, die es gerechtfertigt hätten, das Unternehmen fortzuführen. Dabei sei die Situation eines Start-Up-Unternehmens zu berücksichtigen. Solche Unternehmen seien in der Regel auf Außenfinanzierungen angewiesen und es sei für die Annahme einer positiven Fortführungsprognose ausreichend, wenn das Unternehmen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in der Lage sei, seine im Prognosezeitraum fällig werdenden Zahlungsverpflichtungen aufgrund der Bereitstellung externer Finanzierungsmittel zu decken. Diese Anforderungen hätten Anfang des Jahres 2016 vorgelegen aufgrund der Zusage des Zeugen Dr. H., er werde dem Unternehmen die benötigten Beträge zur Verfügung stellen, die erforderlich seien, um die Verluste auszugleichen. Der Zeuge habe bekundet, er habe diese Zusage gegeben und auch dem Beklagten gegenüber bekräftigt unter dem Vorbehalt, dass er das Vertrauen in das Geschäftsmodell nicht verliere. Ein solcher Verlust des Vertrauens sei Anfang des Jahres 2016 weder vorhanden noch für den Beklagten ersichtlich gewesen. Der Beklagte sei – so der Zeuge – seiner Pflicht zur regelmäßigen Vorlage der Zahlen zu der Unternehmenssituation nachgekommen. Er, der Zeuge, habe der positiven Einschätzung des Herrn V. in die Zukunft des Unternehmens vertraut und sie zur Grundlage der weiteren Darlehensgewährung gemacht.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seinem Rechtsmittel und verfolgt sein erstinstanzliches Ziel weiter. Er beruft sich darauf, das Landgericht habe zu Unrecht eine positive Fortführungsprognose angenommen. Wenn kein rechtlich verbindlicher Anspruch auf Gewährung von Mitteln bestehe, ziehe der Bundesgerichtshof enge Grenzen für den Beurteilungsspielraum des Geschäftsführers. Damit habe sich das Landgericht nicht beschäftigt. Der Beklagte habe keine Ahnung gehabt, worauf eigentlich ein Vertrauen des Investors in das Geschäftsmodell beruht habe, und unter welchen Bedingungen dieses Vertrauen verloren gehen würde. Dies habe noch nicht einmal der Zeuge Dr. H. selbst angegeben. Eine verbindliche Zusage habe der Zeuge Dr. H. nicht gegeben. Das Landgericht habe sich nicht damit beschäftigt, ob die Sicherung der Finanzierung innerhalb eines bestimmten Prognosezeitraums gewährleistet gewesen sei. Es habe keine Unternehmensplanung und auch keine Finanzierungsplanung des Beklagten vorgelegen. Der Zeuge habe vielmehr ausgesagt, er habe den Angaben von D. V. vertraut, nicht einer Planung des Beklagten. Eine Planung von Herrn V. sei unstreitig nicht vorgelegt worden. Die Finanzierungsentscheidung fuße mithin auf einer inneren Einstellung des Zeugen Dr. H., die dieser nach Kriterien angepasst habe, die weder vorgetragen noch bekannt seien.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 23.11.2022, Az. 7 O 167/20, abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an ihn € 43.441,06 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.03.2022 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt die Entscheidung des Landgerichts und betont, bei der Finanzierungszusage des Zeugen Dr. H. handele es sich um ein Darlehensversprechen, das unter die aufschiebende Bedingung gestellt worden sei, dass ein Finanzbedarf vorhanden sei und eine entsprechende Erfolgsplanung vorliege. Dass der Zeuge dabei sein Vertrauen nicht nur auf das Urteil des Beklagten, sondern daneben auf das des Herrn V. gestützt habe, sei dem Beklagten nicht bekannt und auch nicht erkennbar gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die angefochtene Entscheidung sowie die zwischen den Parteien in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Aus den Gründen
II.
Die zulässige Berufung des Klägers hat aus den ausführlich mit den Parteien im Senatstermin erörterten Gründen Erfolg, die Klage ist entgegen der Ansicht des Landgerichts auch in der Sache begründet.
1.
Zutreffend ist das Landgericht allerdings zu dem Ergebnis gelangt, dass der jetzige Kläger prozessführungsbefugt und seine Klage dementsprechend zulässig ist. Der Insolvenzverwalter ist für die Masse Partei kraft Amtes. Es handelt sich um einen Fall der gesetzlichen Prozessstandschaft. Die Einsetzung des Klägers in das Amt des Insolvenzverwalters ist nicht deshalb nichtig, weil diese der Rechtspfleger vorgenommen hat. Dieser war funktionell zuständig. Zwar regelt § 8 Abs. 4 S. 1 RPflG, dass ein von einem Rechtspfleger wahrgenommenes Geschäft unwirksam ist, wenn es sich um ein richterliches Geschäft handelte, das ihm weder gesetzlich übertragen ist noch übertragen werden kann. Demgegenüber kommt es nicht darauf an, ob der Rechtspfleger das zu regelnde Geschäft dem Richter hätte vorlegen müssen. Denn eine Unwirksamkeit kann gem. § 8 Abs. 3 RPflG nicht auf die unterlassene Vorlage gestützt werden.
Indessen ist gem. § 18 Abs. 1 Nr. 1 RPflG in Verfahren der Insolvenzordnung dem Richter u.a. das Verfahren (nur) bis zur Entscheidung über den Eröffnungsantrag unter Einschluss dieser Entscheidung und der Ernennung des Insolvenzverwalters vorbehalten. Damit ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Norm der klare Wille des Gesetzgebers, dass der Richter nur für die erste Ernennung eines Insolvenzverwalters anlässlich der Eröffnung des Verfahrens zuständig sein soll. Spätere Verwalterwechsel im laufenden Verfahren, etwa nach § 59 InsO aus wichtigem Grund – auch wie hier auf Antrag des Verwalters gem. § 59 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 InsO – oder im Wege der Bestellung eines von der Gläubigerversammlung gewählten anderen Insolvenzverwalters gem. § 57 S. 3 InsO, obliegen dagegen dem Grundsatz von § 3 Nr. 2 e) RPflG folgend dem Rechtspfleger. Die jeweiligen funktionellen Zuständigkeiten hat der Gesetzgeber dementsprechend zeitraumbezogen geregelt (BGH, Beschluss vom 22.09.2010 – IX ZB 195/09, Rn. 24 f.; Uhlenbruck/Vallender/Zipperer, InsO, 15. Aufl., § 57 Rn. 20, 30, § 59 Rn. 21; K. Schmidt InsO/Ries, 20. Aufl., § 56 Rn. 66, § 59 Rn. 10; MünchKommInsO/Graeber, 4. Aufl., § 57 Rn. 23, § 59 Rn. 40; Arnold/Meyer-Stolte/Rellermeyer/ Hintze/Georg, RPflG, 9. Aufl., § 18 Rn. 21; Andres/Leithaus, InsO, 4. Aufl., § 57 Rn. 9, § 59 Rn. 10; BerlKommInsO/Blersch, Aktualisierung Mai 2023, § 59 Rn. 12; FK-InsO/Wimmer, 9. Aufl., § 59 Rn. 17; Lissner, Rpfleger 2021, 1 ff., 2; LG Dresden, Beschluss vom 20.07.2017 – 5 T 388/17, Rn. 7 ff.; a.A. Nerlich/Römermann, InsO, 47. EL, § 57 Rn. 6, § 59 Rn. 6; AG Göttingen, Beschluss vom 21.02.2003 – 74 IN 114/01, Rn. 10; HambKommInsO/Frind, 9. Aufl., § 56 Rn. 136, § 57 Rn. 11, § 59 Rn. 15; differenzierend LG Braunschweig, Beschluss vom 29.04.2008 – 6 T 924/07, Rn. 6; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier/Lind, InsO Kommentar, 4. Aufl., § 59 Rn. 10; AG Ludwigshafen, Beschluss vom 21.12.2011 – 3c IK 468/11, Rn. 6 ff.).
2.
Der Kläger hat als Insolvenzverwalter der Schuldnerin einen Anspruch gegen den Beklagten auf Zahlung von 43.441,06 € aus §§ 80 Abs. 1 InsO, 64 S. 1 GmbHG in der Fassung vom 23.10.2008 (im Folgenden a.F.).
a) Die Schuldnerin war zum 31.12.2015 überschuldet. Gem. § 19 Abs. 2 S. 1 InsO in der Fassung vom 05.12.2012 (im Folgenden a.F.) liegt Überschuldung vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich.
aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 19.11.2013 – II ZR 229/11, Rn. 17 m.w.N.) kommt der Handelsbilanz für die Frage der rechnerischen Überschuldung indizielle Bedeutung zu. Legt der Insolvenzverwalter für seine Behauptung, die Gesellschaft sei überschuldet gewesen, eine Handelsbilanz vor, aus der sich ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag ergibt, hat er jedenfalls die Ansätze dieser Bilanz darauf zu überprüfen und zu erläutern, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang stille Reserven oder sonstige aus ihr nicht ersichtliche Vermögenswerte vorhanden sind. Im vom Kläger vorgelegten festgestellten Jahresabschluss der Schuldnerin zum 31.12.2014 wurde bereits ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag in Höhe von rund 125.800 € ausgewiesen. Dieser Fehlbetrag erhöhte sich nach dem vorläufigen Jahresabschluss zum 31.12.2015 auf 620.200 €. Der Kläger hat erklärt, er sehe keine stillen Reserven oder sonstige nicht in der Handelsbilanz abgebildete Vermögensgegenstände der Schuldnerin.
bb) Kann der Kläger sich somit auf die Handelsbilanz für 2015 als Indiz für die Überschuldung der Schuldnerin berufen, ist es nunmehr Sache des beklagten Geschäftsführers, im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast im Einzelnen vorzutragen, welche stillen Reserven oder sonstigen für eine Überschuldungsbilanz maßgeblichen Werte in der Handelsbilanz nicht abgebildet sind. Hierzu reicht es indes nicht aus, lediglich von der Handelsbilanz abweichende Werte zu behaupten. Der in Anspruch genommene Geschäftsführer hat vielmehr substantiiert zu stillen Reserven oder sonstigen in der Handelsbilanz nicht abgebildeten Werten vorzutragen (BGH, Urteil vom 19.11.2013 – II ZR 229/11, Rn. 18 m.w.N.). Mit der Auferlegung dieser Darlegungs- und Beweislast wird von dem beklagten Geschäftsführer nichts Unmögliches verlangt. Denn er ist berechtigt, zum Zwecke seiner Beweisführung Einsicht in die Buchhaltung der Gesellschaft zu nehmen (BGH, Urteil vom 19.12.2017 – II ZR 88/16, Rn. 24). Der Beklagte hat sich einerseits darauf berufen, der Kläger habe immaterielle Vermögensgegenstände von beträchtlichem Wert und eine harte Patronatserklärung des Zeugen Dr. H. nicht berücksichtigt. Andererseits sei die Passivseite der Bilanz gem. § 19 Abs. 2 S. 2 InsO a.F. aufgrund von Rangrücktritten des Investors und Zeugen Dr. H. mit seinen Darlehen zu korrigieren.
(a) Immaterielle Vermögenswerte der Schuldnerin, die in der Handelsbilanz nicht ihrem Wert entsprechend berücksichtigt worden wären, hat der Beklagte nicht aufgezeigt. Immaterielle Vermögensgegenstände dürfen ohne Rücksicht auf handelsrechtliche Einschränkungen (§ 248 Abs. 2 S. 2 HGB) bei der Ermittlung der Überschuldung angesetzt werden, soweit sie rechtlich und tatsächlich bei einer Liquidation verwertbar sind (MünchKommGmbHG/Müller, 4. Aufl., § 64 Rn. 38; Uhlenbruck/Mock, a.a.O., § 19 Rn. 79 f.; BGH, Urteil vom 13.07.1992 – II ZR 269/91, Rn. 15). Der Kläger hat hierzu zutreffend vorgetragen, dass das von der Schuldnerin entwickelte Softwareprogramm in der Handelsbilanz für 2015 als immaterieller Vermögensgegenstand mit einem Wert von 30.656 € angesetzt worden ist. Im Insolvenzverfahren ist es ihm trotz enger Kooperation mit dem letzten Geschäftsführer der Schuldnerin, Herrn O., nicht annähernd gelungen, einen solchen Preis zu erzielen. Von ursprünglich sieben Kaufinteressenten wollte nur einer letztendlich die Software zu einem Preis von 10.000 € erwerben. Soweit der Beklagte zur Bestimmung des Werts der Software auf die von ihm anhand der Gehälter der Mitarbeiter der Schuldnerin berechneten Entwicklungskosten von behaupteten 320.000 € abstellen will, kommt es hierauf nicht an. Da diese Kosten nicht unmittelbar in veräußerbaren Vermögenswerten der Schuldnerin widergespiegelt werden, spielen sie bei der Feststellung der Überschuldung der Schuldnerin keine Rolle (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 15). Der Beklagte führt auch keine Anhaltspunkte dafür auf, dass die Anschaffung eines extern entwickelten Softwareprogramms Kosten von 650.000 € verursacht hätte, sondern er stellt diese Zahl ohne jede weitere Begründung und ohne Erklärung für die Verbuchung eines deutlich niedrigeren Werts in der Handelsbilanz in den Raum. Darüber hinaus ist der Vorwurf des Beklagten, der Kläger oder sein Amtsvorgänger habe die Verwertung des Softwareprogramms zu einem schlechten Preis verschuldet, weil dieser einen Vertrag mit der E. GmbH, auf die die Software der Schuldnerin zur Nutzung externer Daten habe Zugriff nehmen müssen, nicht verlängert habe, haltlos. Der Vertrag mit der E. GmbH lief bereits am 14.06.2016 aus (vgl. die Stellungnahme der E. GmbH vom 17.11.2016, Anlage K 24, Bl. 893 GA-LG, die Aussage des späteren Geschäftsführers O. im Rahmen seiner Anhörung vor dem Landgericht Koblenz (10 O 402/20), Anlagenkonvolut K 25, Bl. 897, 900 GA-LG, und der eigene Vortrag des Beklagten mit Schriftsatz vom 27.06.2022, Bl. 846 f. GA-LG). Zu diesem Zeitpunkt hatte die Schuldnerin noch nicht einmal ihren Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt, so dass auch weder dem Kläger noch seinem Amtsvorgänger Versäumnisse zu Lasten der Schuldnerin aus dieser Zeit vorgeworfen werden können. So hat denn auch der Kläger unwidersprochen vorgetragen, der Preis für die Software sei so niedrig ausgefallen, weil die Software aufwendig hätte umprogrammiert werden müssen, um für andere Datenanbieter kompatibel zu sein. Dieser Umstand bestimmt aber objektiv den Preis für die Veräußerung der Software auf dem Markt mit. Für die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Wert der Software ist daher kein Raum. Dies gilt insbesondere auch, soweit der Beklagte wiederholt gem. § 411a ZPO die Verwertung des Sachverständigengutachtens aus dem gegen den späteren Geschäftsführer O. der Schuldnerin geführten Verfahren vor dem Landgericht Koblenz (10 O 402/20) beantragt. Ungeachtet dessen weist der Kläger aber auch darauf hin, dass das Landgericht Koblenz schließlich von einer Einholung des Sachverständigengutachtens abgesehen hat (Bl. 190 GA-OLG).
(b) Eine harte Patronatserklärung kann der Aussage des Zeugen Dr. H. vor dem Landgericht nicht entnommen werden. Harte Patronatserklärungen begründen einen Anspruch der Gläubiger gegen den Patron auf Schadenersatz nach § 280 Abs. 1 BGB, soweit sich ein direkter Anspruch nicht sogar aus der Patronatserklärung selbst ergibt. In der Überschuldungsbilanz des Protegés müssen harte Patronatserklärungen aktiviert werden, wenn die Patronatserklärung zugunsten aller Gläubiger abgegeben wurde, der Anspruch gegen den Patron vollwertig ist, und es sich nicht um eine nur externe Patronatserklärung handelt. Dabei ist es unbeachtlich, ob die Patronatserklärung kurzfristig kündbar ist, da sich die Kündigung nur auf die zukünftigen Forderungen auswirkt und die Haftung des Patrons bis zum Wirksamwerden der Kündigung bestehen bleibt (Uhlenbruck/Mock, a.a.O., § 19 Rn. 111 f.; BGH, Urteil vom 30.01.1992 – IX ZR 112/91, Rn. 18 f.). Der Zeuge Dr. H. hat ausgesagt, er habe den jeweiligen Geschäftsführern immer gesagt, dass er das Unternehmen finanzieren werde, solange er Vertrauen habe in das Geschäftsmodell und solange die Verluste nicht so hoch würden, dass er sie nicht mehr finanzieren könnte. Eine Erklärung dahin, dass der Zeuge sich dritten Gläubigern gegenüber rechtlich bindend verpflichten wollte, die Schuldnerin mit ausreichenden Mitteln auszustatten, so dass deren Forderungen beglichen werden können, findet sich in der gesamten Aussage nicht. Vielmehr schildert der Zeuge nur Zusagen der Schuldnerin selbst gegenüber.
(c) Der Zeuge Dr. H. hat für seine Darlehen keine qualifizierten Rangrücktrittsvereinbarungen geschlossen. Eine qualifizierte Rangrücktrittsvereinbarung ist nach dem Willen der Vertragsschließenden als Vertrag zugunsten Dritter (§ 328 Abs. 2 BGB), nämlich der Gläubiger des Forderungsschuldners, zu verstehen. Den Partnern einer Rangrücktrittsvereinbarung ist bewusst, dass ihre Abrede dazu dient, einen andernfalls möglicherweise eingreifenden Insolvenzgrund (§§ 17 ff InsO) zu verhindern oder zu beseitigen. Zugunsten der bisherigen Gläubiger, aber auch der nach Abschluss der Vereinbarung hinzutretenden Neugläubiger wird aufgrund der Rangrücktrittserklärung rechtsverbindlich bekundet, dass die zurücktretende Forderung mangels einer Passivierungspflicht nicht die Insolvenz des Schuldners auslösen wird, was - sofern nicht andere insolvenzverursachende Umstände hinzukommen - eine volle Befriedigung der übrigen Gläubigerforderungen erwarten lässt. Qualifizierte Rangrücktrittsvereinbarungen werden oft von Gesellschaftern des Schuldners getroffen. Auch anderen Gläubigern des Schuldners stehen sie aber zur Verfügung (BGH, Urteil vom 05.03.2015 – IX ZR 133/14, Rn. 14/35 ff.; Uhlenbruck/Mock, a.a.O., § 19 Rn. 233/236 f.).
Ausdrückliche Rangrücktrittsvereinbarungen finden sich in den gleichlautenden Texten der mit dem Zeugen Dr. H. abgeschlossenen Darlehen nicht. Auch die in den Verträgen gewählten Formulierungen „zur Stärkung des Eigenkapitals … in der Gründungsphase des Unternehmens … als Mezzanine Kapital“ lassen die Auslegung, dass qualifizierte Rangrücktritte vereinbart werden sollten, nicht zu. Dabei ist es nicht entscheidend, welche subjektive Interpretation der Zeuge Dr. H. den vertraglichen Formulierungen beimessen will, sondern es kommt allein auf den objektiven Empfängerhorizont der Schuldnerin an, d.h. wie sie die Erklärungen von einem objektiven Standpunkt aus verstehen durfte. Nun ist dem Beklagten zuzugeben, dass die genannten Formulierungen auf eine sogenannte mezzanine Finanzierungsform hinweisen, durch die der Kapitalgeber im Wege der Gewährung eines Nachrangdarlehens in die Zwischenebene von Fremd- und Eigenkapital einrückt. Mezzanines Kapital wird regelmäßig ohne besondere Sicherung längerfristig gewährt, wobei das erhöhte Risiko durch einen entsprechenden Zins vergütet wird (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 05.03.2015 – IX ZR 133/14, Rn. 14). Indessen kann allein aus den in den Darlehenstexten gewählten Schlagworten, denen keine rechtlich verbindlichen Inhalte zugeordnet werden können, nicht geschlossen werden, dass Dr. H. als Darlehensgeber die eingangs geschilderten besonders schwerwiegenden Folgen eines qualifizierten Rangrücktritts tragen wollte. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass Dr. H. ausgesagt hat, er selbst habe 88 % der Geschäftsanteile zu einem bestimmten, nicht näher ausgeführten Zeitpunkt erworben und sie sodann seiner Tochter geschenkt. Selbst wenn man aber den gewählten Formulierungen mehr Rechtswirkungen beimessen will, als der Senat bereit ist, stehen die Vereinbarungen zur Rückzahlung der Darlehen und zu deren Kündigung dieser Auslegung entgegen. Die Darlehen sollten jeweils zum 31.12.2017 zur Rückzahlung fällig sein (§ 2 der Darlehensverträge) und der Darlehensgeber sollte im Falle der Unzumutbarkeit der Fortsetzung der Darlehensverträge, insbesondere wenn eine wesentliche Verschlechterung seines Vermögens oder eine erhebliche Vermögensgefährdung eintreten sollten, zur Kündigung der Verträge berechtigt sein (§ 3 S. 1 der Darlehensverträge). Gerade die zuletzt genannte außerordentliche Kündigungsmöglichkeit weist deutlich darauf hin, dass Dr. H. nicht bereit war, in einer sich anbahnenden Krise zurückzustehen. Außerdem tragen beide Regelungen ohne zusätzliche Klarstellung nicht der Anforderung Rechnung, dass ein Rangrücktritt auch den Zeitraum vor Insolvenzverfahrenseröffnung erfassen muss (vgl. hierzu BGH, a.a.O., Rn. 16 ff.).
dd) Entgegen der Ansicht des Landgerichts und des Beklagten ist der Senat davon überzeugt, dass der Beklagte insbesondere unter Berücksichtigung des Ergebnisses der vom Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme nicht von einer positiven Fortführungsprognose ausgehen durfte.
Der Senat hat in seinen vorangehenden Prozesskostenhilfeentscheidungen vom 20.07.2021, I-12 W 7/21 (Bl. 80 ff. PKH-Heft Kläger), und vom 17.01.2022, I-12 W 17/21 (Bl. 528 ff. PKH-Heft Kläger), zu den erleichterten Anforderungen an die positive Fortführungsprognose im Falle von Start-Up-Unternehmen ausgeführt, dass bei einem Start-Up-Unternehmen wie der Schuldnerin die Grundsätze, die der Bundesgerichtshof für eine positive Fortbestehensprognose aufgestellt hat (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 23.01.2018 – II ZR 246/15, NZI 2018, 407, 408 f. Rn. 23), nicht uneingeschränkt anwendbar sind. Solche Unternehmen sind in einer – mehr oder weniger langen – Anfangsphase meist nicht ertragsfähig, jedoch sind in derartigen Fällen operative Geschäftschancen trotz möglicherweise derzeit fehlender Ertragskraft nicht auf Dauer ausgeschlossen. Zumindest in Fällen von Start-Ups sieht der BGH die Ertragsfähigkeit (Selbstfinanzierungskraft) nicht als Voraussetzung einer positiven Fortführungsprognose an (vgl. BGH, Urteil vom 14.05.2007 – II ZR 48/06, a.a.O. Rn. 18; Urteil vom 13.07.1992, a.a.O., Rn. 15). Es liegt in der Natur eines solchen Unternehmens, dass es zunächst nur Schulden macht und von Darlehen abhängig ist. In diesen Fällen muss daher auf die Zahlungsfähigkeit im Prognosezeitraum abgestellt werden, wobei die erforderlichen Mittel auch von Dritten (Fremdkapitalgeber oder Eigentümer) kurz-, mittel- oder langfristig zur Verfügung gestellt werden können (Scholz/Bitter, GmbHG, 12. Aufl. 2021, vor § 64 Rn. 56; MHLS/Nerlich, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 60 Rn. 91; Pape/Opp, Sanierungsgutachten, 1. Aufl. 2017, Rn. 325; Morgen/Rathje, ZIP 2018, 1955, 1960; Haarmann/Vorwerk, BB 2015, 1603, 1610; Bitter/Kresser, ZIP 2012, 1733, 1738). Der Rückgriff auf eine Ertragsfähigkeit würde diesen Unternehmen dagegen die Überlebensfähigkeit absprechen und sie zum Marktaustritt zwingen. Bei einem Start-Up-Unternehmen wie der Schuldnerin müssen daher die Anforderungen an die Fortführungsprognose im Lichte der Besonderheiten derartiger Unternehmen betrachtet werden (vgl. Martini/Karrasch, NZI 2021, 858, 863; zustimmend ferner Henkel, EWiR 2021, 628, 629 f.; Cavaillès/Krings, jurisPR-HaGesR 12/2021 Anm. 3; de Raet, NZG 2021, 1269 f.). Die Fortführungsfähigkeit muss im Rahmen des § 19 InsO überwiegend, also zu mehr als 50 % wahrscheinlich sein; maßgeblich ist also, dass das Unternehmen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in der Lage ist, seine im Prognosezeitraum fälligen Zahlungsverpflichtungen zu decken (Gehrlein, WM 2018, 1, 6; Haarmann/Vorwerk, a.a.O., S. 1608). Als Grundlage dieser Beurteilung ist allerdings zu fordern, dass eine nachvollziehbare, realistische (Finanz-)Planung mit einem operativen Konzept vorliegt, das die geplante Etablierung der Geschäftsidee eines Start-Up-Unternehmens erfolgversprechend erscheinen lässt. Denn eine mittelfristige Liquiditätssicherung wird in der Regel nur dann erreicht werden, wenn durch das operative Geschäft auf Dauer ausreichend eigene Erträge erzielt werden können, weil bei einer andauernden Fremdfinanzierung perspektivisch zu erwarten ist, dass diese an entsprechende Grenzen stoßen wird (Martini/Karrasch, a.a.O.). Der Vortrag zu einer nachvollziehbaren, realistischen Finanzplanung darf sich dabei nicht in der bloßen Vorlage entsprechender Zahlen erschöpfen, vielmehr ist deren Herleitung zu erläutern und darzulegen, inwieweit die Zahlen laufend der tatsächlichen Geschäftsentwicklung angepasst wurden. Sofern dabei Finanzierungsbeiträge des Investors Dr. H. zur Vermeidung einer Zahlungsunfähigkeit eingeplant wurden, setzt dies weiter den Nachweis voraus, dass dem Investor entsprechende Planungen vorgelegt worden sind und er seine Finanzierungszusage – auch noch im streitgegenständlichen Zeitraum – hiervon abhängig gemacht hat.
Diese Anforderungen des Senats an die Fortführungsprognose für Start-Up-Unternehmen hat der Beklagte – trotz der deutlichen Hinweise im Senatsbeschluss vom 17.01.2022 – I-12 W 17/21 – nicht erfüllt. Der Beklagte hat behauptet, er habe monatliche Finanzpläne aufgestellt, die bis 31.12.2020 gereicht hätten und ständig aktualisiert worden seien. Den sich aus der Planung ergebenden Finanzbedarf für die bevorstehende Planungsperiode habe er konkret mit dem Investor abgesprochen, die bevorstehenden Ausgaben seien sehr genau mit ihm abgestimmt und die notwendigen Mittel jeweils als Darlehen zur Verfügung gestellt worden. Indessen vermochte der Beklagte nur einen Finanzplan vorzulegen, den er dem Zeugen Dr. H. am 04.03.2016 zugeleitet haben will (Anlage zum Schriftsatz des Beklagten vom 20.03.2021, Bl. 147 ff. GA-LG). Auf dieser Grundlage kann von einer kontinuierlichen, monatlichen Finanzplanung durch die Geschäftsleitung der Schuldnerin nicht ausgegangen werden. Auf eine Beweisnot für die Vorlage der Finanzplanung aus anderen Monaten aufgrund des Umstands, dass die Geschäftsunterlagen sich beim Kläger als Insolvenzverwalter der Schuldnerin befinden, kann sich der Beklagte – wie bereits unter 2. a) bb) ausgeführt – nicht berufen, da er das Recht zur Einsichtnahme der Geschäftsunterlagen der Schuldnerin hat. Der Beklagte hat nicht vorgetragen, dass er infolge der angekündigten Inanspruchnahme durch den Kläger bei diesem die Einsichtnahme begehrt hätte, ihm diese aber verwehrt worden wäre. Vor diesem Hintergrund war die vom Landgericht durchgeführte Vernehmung des Zeugen Dr. H. mangels schlüssigen Vortrags bereits nicht erforderlich.
Es kommt hinzu, dass der Zeuge Dr. H. zu den Grundlagen seiner jeweiligen Entscheidung, die Schuldnerin weiter zu finanzieren, zwar ausgesagt hat, er habe den jeweiligen Geschäftsführern immer gesagt, dass er das Unternehmen finanzieren werde, solange er Vertrauen habe in das Geschäftsmodell und solange die Verluste nicht so hoch würden, dass er sie nicht mehr finanzieren könnte. Allerdings hat der Zeuge sein Vertrauen nicht etwa auf die von der Geschäftsführung erarbeiteten Planungen gegründet, sondern der Zeuge hat bekundet, er habe dabei immer auf die Angaben des Herrn V. vertraut. Dieser habe auf der Grundlage der monatlich erstellten Finanzplanung seine Erwartung mitgeteilt. Die wohl monatliche Finanzplanung habe auch Herr V. als Grundlage der von ihm erarbeiteten Zahlen erhalten. Die Prognose, die Herr V. daraufhin erstellt habe, sei für den Zeugen maßgeblich gewesen. Seine Planung für das Jahr 2017 sei ein Gewinn von 1,142 Millionen € vor Steuern gewesen. Damit hat der Zeuge deutlich gemacht, dass er sich für die Frage der Fortsetzung der Finanzierung nicht mit dem jeweiligen Geschäftsführer der Schuldnerin im Einzelnen abgestimmt hat. Vielmehr hat er sich mit dem Gründungsgesellschafter und späteren Minderheitsgesellschafter, Herrn V., beraten und ist dessen jeweiliger Finanzplanung gefolgt. Erst als der dem Beklagten nachfolgende Geschäftsführer, Herr O., dem Zeugen aufgrund einer von ihm erstellten Finanzplanung im September 2016 gesagt habe, dass die Zahlen von Herrn V. nicht stimmen könnten, habe der Zeuge seine Finanzierung eingestellt. Bis zu diesem Zeitpunkt waren dementsprechend die Planungen der Geschäftsführung für den Investor Dr. H. nicht oder jedenfalls nicht entscheidend relevant. Dann kann diese Planung aber auch nicht Grundlage einer positiven Fortführungsprognose der das Unternehmen leitenden Geschäftsführung sein, die daraus folgen soll, dass der Investor in enger Abstimmung mit der Geschäftsführung seine Finanzierungsentscheidungen traf. Der Beklagte hat in seiner Berufungserwiderung zu diesen Angaben des Zeugen nur vorgetragen, dass der Zeuge sein Vertrauen nicht nur auf das Urteil des Beklagten, sondern daneben auf das des Herrn V. gestützt habe, sei ihm nicht bekannt und auch nicht erkennbar gewesen. Abgesehen davon, dass sich – wie soeben ausgeführt – aus der Aussage des Zeugen nicht entnehmen lässt, dass er bis September 2016, also auch während der Geschäftsleitung des Beklagten, überhaupt auf deren Einschätzungen Wert gelegt hat, ist nicht nachvollziehbar, wie dem Beklagten vor dem Hintergrund der von ihm behaupteten engen Zusammenarbeit mit dem Zeugen entgangen sein kann, dass Herr V. eigene Planungen vornahm, die Grundlage der Entscheidungen des Investors wurden.
Eine Vernehmung des Zeugen Dr. H. durch den Senat ist nicht erforderlich. Der Senat hat gem. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO seiner Entscheidung die vom Landgericht festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Die Entscheidung betreffend eine erneute Vernehmung eines erstinstanzlich bereits vernommenen Zeugen steht grundsätzlich gem. §§ 525, 398 Abs. 1 ZPO im Ermessen des Senats. Eine Verpflichtung zur Vernehmung bestünde nur dann, wenn der Senat die Glaubwürdigkeit des Zeugen Dr. H. anders beurteilen oder die vom Landgericht protokollierte Aussage des Zeugen anders verstehen oder würdigen wollte. Die nochmalige Vernehmung eines Zeugen kann danach unterbleiben, wenn sich der Senat auf solche Umstände stützt, die weder die Urteilsfähigkeit, das Erinnerungsvermögen oder die Wahrheitsliebe des Zeugen (d. h. seine Glaubwürdigkeit) noch die Vollständigkeit oder Widerspruchsfreiheit (d. h. die Glaubhaftigkeit) seiner Aussage betreffen (vgl. BGH, Beschluss vom 21.10.2020 – XII ZR 114/19, Rn. 6). Der Senat beurteilt nach den vorangehenden Ausführungen weder die Glaubwürdigkeit des Zeugen Dr. H. noch die Glaubhaftigkeit seiner Aussage anders als das Landgericht, sondern diese Aussage zugrunde legend zieht er nur andere rechtliche Schlussfolgerungen aus ihr als das Landgericht. Unabhängig davon kommt es aus Sicht des Senats – wie oben ausgeführt – aber auch nicht streitentscheidend auf die Angaben des Zeugen an, weil der Beklagte nur einen Finanzplan vorgelegt und selbst dazu weder im Ansatz die Herleitung der Zahlen erläutert noch dargelegt hat, dass und inwieweit diese laufend der tatsächlichen Geschäftsentwicklung angepasst wurden.
b) Der Kläger hat unwidersprochen dargelegt, dass im Zeitraum vom 04.01.2016 bis zum 25.02.2016 vom kreditorisch geführten Geschäftskonto der Schuldnerin Zahlungen in Höhe von insgesamt 47.176,17 € veranlasst wurden, während im selben Zeitraum auf dem teilweise debitorisch geführten Konto Zahlungseingänge in Höhe von insgesamt 8.094,25 € zu verzeichnen waren.
c) Das für den Erstattungstatbestand nach § 64 S. 2 GmbHG a.F. erforderliche Verschulden des damaligen Geschäftsführers der Schuldnerin liegt für den klageweise geltend gemachten Betrag von 43.441,06 € vor. Nach § 64 S. 2 GmbHG a.F. ist der Geschäftsführer nicht zum Ersatz solcher Zahlungen verpflichtet, die auch nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar sind. Vor dem Hintergrund einer möglichen Pflichtenkollision des Beklagten hat der Kläger zutreffend die unter b) dargestellten Beträge um eine Zahlung von Umsatz- und Lohnsteuer in Höhe von 3.571,24 € an das zuständige Finanzamt und um die Arbeitnehmeranteile von Zahlungen an Sozialversicherungsträger in Höhe von insgesamt 8.258,12 € (= 13.763,53 € × 60 %) bereinigt.
d) Die Forderung des Klägers ist – wie mit den Parteien im Senatstermin ausführlich erörtert – nicht verjährt. Die Verjährungsfrist für die einzelnen, vom Kläger geltend gemachten Ansprüche beträgt gem. §§ 64 S. 4 GmbHG a.F., 43 Abs. 4 GmbHG fünf Jahre. Sie begann gem. § 200 S. 1 BGB am Tag der jeweiligen Zahlung bzw. des Eingangs einer Zahlung auf dem Konto der Schuldnerin, da jede Zahlung einen eigenen Anspruch nach § 64 S. 1 GmbHG a.F. begründet (MünchKommGmbHG/Müller, a.a.O., § 64 Rn. 230 m.w.N.). Damit begann der Lauf der Verjährungsfrist für den ersten Anspruch am 04.01.2016 und für den letzten Anspruch am 25.02.2016.
aa) Der Lauf der Verjährungsfrist wurde vor Vollendung der Verjährung gehemmt. Zunächst hat der erste Prozesskostenhilfeantrag des Amtsvorgängers des Klägers vom 21.12.2020, der am selben Tag beim Landgericht eingereicht wurde (Bl. 1 GA-LG) und dessen Bekanntmachung mit Verfügung vom 30.12.2020 (Bl. 15 f. PKH-Heft Kläger) veranlasst worden ist, gem. § 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB am 21.12.2020 eine Hemmung herbeigeführt. Damit verblieb noch eine Verjährungsfrist von 14 Tagen für den Anspruch vom 04.01.2016 und von 66 Tagen für denjenigen vom 25.02.2016. Dass die Hemmung durch den Amtsvorgänger des Klägers veranlasst worden war, hindert nicht ihre Berücksichtigung auch im Hinblick auf den späteren Verwalterwechsel. Denn zur Bewirkung der Hemmung ist nur erforderlich, dass der im Zeitpunkt des Prozesskostenhilfeantrags Anspruchsberechtigte diesen stellt (BGH, Urteil vom 20.10.1983 – I ZR 86/82, Rn. 22-24). Das war zum damaligen Zeitpunkt der Amtsvorgänger des Klägers.
bb) Die durch den ersten Prozesskostenhilfeantrag bewirkte Hemmung hätte gem. § 204 Abs. 2 S. 1 BGB am 21.01.2022 geendet. Denn der Senat hat mit Beschluss vom 20.07.2021 (Bl. 80 ff. PKH-Heft Kläger), zugestellt an den Klägervertreter am 21.07.2021 (Bl. 95 PKH-Heft Kläger), den Prozesskostenhilfeantrag des Klägers zurückgewiesen. Da diese Entscheidung nicht mehr mit Rechtsmitteln angegriffen werden konnte, war in diesem Zeitpunkt das Verfahren anderweitig beendet im Sinne des § 204 Abs. 2 S. 1 BGB (vgl. OLG München, Urteil vom 17.07.2019 – 7 U 2463/18, Rn. 36).
cc) Indessen hat der Amtsvorgänger des Klägers am 18.01.2022 – nachdem der Senat zwischenzeitlich in einem weiteren Prozesskostenhilfeverfahren dem Kläger Prozesskostenhilfe gewährt hatte – eine qualifiziert signierte Klage vom 17.01.2022 beim Landgericht eingereicht (Bl. 364 ff. GA-LG). Diese Klage hat das Landgericht nicht zugestellt. Schließlich hat der Kläger infolge des Verwalterwechsels vom 21.01.2022 am 16.03.2022 eine auf seinen Namen lautende Klage zur Geltendmachung der streitgegenständlichen Ansprüche eingereicht (Bl. 493/511 ff. GA-LG), die dem Beklagten am selben Tag zugestellt worden ist (Bl. 626 f. GA-LG). Die Wirkungen dieser Zustellung können gem. § 167 ZPO auf die ursprünglich am 18.01.2022 eingereichte Klage rückbezogen werden, so dass am 18.01.2022 gem. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB die Verjährung erneut gehemmt worden ist.
(a) Dem steht nicht entgegen, dass sich beide Klagen durch den Verwalterwechsel in der Person des Klägers unterscheiden. Für die Anwendbarkeit des § 167 ZPO muss die eingereichte Klageschrift mit der zugestellten nicht völlig identisch sein, sondern es genügt, wenn die zugestellte mit der angebrachten Klageschrift im Wesentlichen identisch ist, insbesondere sich auf den gleichen Sachverhalt stützt. Nach dem Zweck der Vorschrift darf die Vorschrift nicht eng ausgelegt werden. Damit wäre es nicht vereinbar, wenn geringfügige Abweichungen der zugestellten von der angebrachten Klageschrift eine Rückwirkung ausschlössen. Durch die Zustellung eines Schriftstücks soll auch gewährleistet werden, dass der Zustellungsempfänger angemessene Gelegenheit hat, von dem Inhalt des Schriftstückes Kenntnis zu nehmen; bei einer Klageschrift soll der Beklagte daher verlässliche Kenntnis von dem prozessualen Begehren des Klägers erhalten (BGH, Urteil vom 22.02.1978 – VIII ZR 24/77, Rn. 9/11 f.). Die vorliegende Klage vom 16.03.2022 ist vom Anspruchsbegehren her identisch mit der Klage vom 17.01.2022. Im vorliegenden besonderen Fall trat eine wesentliche Änderung für den Beklagten durch den Klägerwechsel nicht ein. Anders als in den Fällen eines gewillkürten Parteiwechsels von Privatpersonen oder -unternehmen steht der klagende Insolvenzverwalter dem Beklagten als prozessführungsbefugte Partei kraft Amtes, die im Rahmen der Abwicklung des Insolvenzverfahrens ausstehende Forderungen zur Masse zieht, gegenüber. Dementsprechend handelt es sich beim Wechsel des Insolvenzverwalters in einem rechtshängigen, laufenden Rechtsstreit um einen gesetzlichen Parteiwechsel, der entsprechend §§ 241, 246 ZPO behandelt wird (BGH, Urteil vom 08.11.2012 – IX ZR 77/11, Rn. 8; vom 26.04.2012 – IX ZR 146/11, Rn. 17; vom 12.05.2011 – IX ZR 133/10, Rn. 6; Kirchhof, WM 2013, Sonderbeilage Nr. 3, 1 ff.). Dagegen kommt das Zustimmungs- oder Sachdienlichkeitserfordernis einer Klageänderung nach § 263 ZPO nicht zur Anwendung. Schon dies zeigt, dass es einer von einem Insolvenzverwalter verklagten Partei bei ihrer Verteidigung nicht auf die das Amt bekleidende Person, sondern auf deren amtliche Funktion ankommen wird. Der Wechsel in der Person des Insolvenzverwalters bedeutet daher keine so bedeutende Änderung, dass die Klageschrift vom 16.03.2022 nicht mehr als im Wesentlichen identisch mit derjenigen vom 17.01.2022 angesehen werden kann.
(b) Die Zustellung am 16.03.2022 ist noch demnächst im Sinne von § 167 ZPO. Dabei ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 21.03.2022 – VIa ZR 275/21, Rn. 17 f./21 m.w.N.) der Begriff "demnächst" im Sinne dieser Vorschrift im Wege einer wertenden Betrachtung auszulegen. Es darf nicht auf eine rein zeitliche Betrachtungsweise abgestellt werden. Vielmehr sollen, weil die Klage von Amts wegen zuzustellen ist, die Parteien vor Nachteilen durch Verzögerungen innerhalb des gerichtlichen Geschäftsbetriebs bewahrt werden, denn diese Verzögerungen können von ihnen nicht beeinflusst werden. Es gibt deshalb keine absolute zeitliche Grenze, nach deren Überschreitung eine Zustellung nicht mehr als "demnächst" anzusehen ist. Dies gilt auch dann, wenn es zu mehrmonatigen Verzögerungen kommt. Denn Verzögerungen im Zustellungsverfahren, die durch eine fehlerhafte Sachbehandlung des Gerichts verursacht sind, muss sich die Partei, der die Fristwahrung obliegt, grundsätzlich nicht zurechnen lassen. Der Partei sind jedoch solche nicht nur geringfügigen Verzögerungen zurechenbar, die sie oder ihr Prozessbevollmächtigter bei gewissenhafter Prozessführung hätten vermeiden können. Hat der Kläger alle von ihm geforderten Mitwirkungshandlungen für eine ordnungsgemäße Klagezustellung erbracht, insbesondere den Gerichtskostenvorschuss eingezahlt, sind er und sein Prozessbevollmächtigter im Weiteren grundsätzlich nicht mehr gehalten, das gerichtliche Vorgehen zu kontrollieren und durch Nachfragen auf die beschleunigte Zustellung hinzuwirken. Im vorliegenden Verfahren ist die unterbliebene Zustellung der Klage vom 17.01.2022 ausschließlich auf ein Versäumnis des Landgerichts zurückzuführen. Der Amtsvorgänger des Klägers hat am 18.01.2022 eine qualifiziert signierte Klage beim Landgericht mit der Bitte um Zustellung und dem Hinweis, dass das Oberlandesgericht ihm zwischenzeitlich Prozesskostenhilfe bewilligt hat, eingereicht. Obwohl eine Klage gem. § 271 Abs. 2 ZPO unverzüglich zuzustellen ist, hat die Geschäftsstelle des Landgerichts ausweislich der Akte zunächst nichts veranlasst. Erst am 08.02.2022 hat sie beim Senat eine Sachstandsanfrage gestellt (Bl. 365 GA-LG), weil die elektronische Akte noch nicht vom Oberlandesgericht zurückgekehrt war. Die Geschäftsstelle des Senats wiederum veranlasste erst am 23.02.2022 die Rücksendung der Akte an das Landgericht (Bl. 547 PKH-Heft Kläger), obwohl beim Senat nach der Übersendung der Prozesskostenhilfebeschlüsse und dem Eingang der Empfangsbekenntnisse am 24.01.2022 nichts mehr zu veranlassen war (vgl. Bl. 538, 543 f. PKH-Heft Kläger). Die Akte ging am 24.02.2022 wieder beim Landgericht ein (Bl. 547 PKH-Heft Kläger). Erst mit Schreiben vom 15.03.2022 bat das Landgericht um Einreichung einer aufgrund des Verwalterwechsels „berichtigten“ Klageschrift. Das Landgericht hätte die Klage unverzüglich zustellen müssen. Da der Amtsvorgänger des Klägers mitgeteilt hatte, dass ihm Prozesskostenhilfe bewilligt worden war, musste auf die vorherige Zahlung des Gerichtskostenvorschusses nicht gewartet werden. Wenn dem Landgericht die Angabe zur Bewilligung der Prozesskostenhilfe nicht genügte, hätte es unverzüglich beim Kläger oder beim Oberlandesgericht eine Abschrift des Beschlusses anfordern können. Länger als eine Woche hätte die Übermittlung des Beschlusses nicht gedauert, so dass die elektronische Zustellung der Klage dann am 26./27.01.2022 und damit jedenfalls innerhalb der ab dem 21.01.2022 laufenden restlichen Verjährungsfrist von 14 Tagen für den Anspruch vom 04.01.2016 und von 66 Tagen für denjenigen vom 25.02.2016 eine weitere Hemmung bewirkt hätte. Da der Kläger bzw. sein Amtsvorgänger nach der aufgeführten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht gehalten waren, die Zustellung durch Nachfragen zu kontrollieren, kann ihm eine Verzögerung der Zustellung nicht zur Last gelegt werden.
Die Rechtsausführungen des Beklagten in dem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 28.07.2023 geben dem Senat keinen Anlass zu einer anderen rechtlichen Beurteilung.
dd) Damit kommt es nicht darauf an, dass jedenfalls für die vom Kläger geltend gemachten Forderungen beginnend mit dem 21.01.2016 durch den Verwalterwechsel am 21.02.2022 gem. § 210 BGB analog eine weitere Hemmung von sechs Monaten zur Gewährleistung einer Einarbeitungszeit für den Kläger eintrat, so dass die Verjährung der genannten Ansprüche auch aus diesem Grund nicht vollendet worden ist (vgl. zur Anwendbarkeit von § 210 BGB zustimmend MünchKommInsO/Kirchhof/Piekenbrock, a.a.O., § 146 Rn. 37; BeckOK InsR/Schoon, 31. Ed., InsO § 146 Rn. 10, 10.1; Braun/Riggert, InsO, 9. Aufl., InsO § 146 Rn. 3; K. Schmidt InsO/Büteröwe, a.a.O., § 146 Rn. 9; Uhlenbruck/Hirte/Borries, a.a.O., § 146 Rn. 8; HambKommInsO/Rogge/Leptien, a.a.O, § 146 InsO Rn. 5; Ahrens Gehrlein/Ringstmeier, a.a.O., § 146 Rn. 5; Jaeger/Henckel, Insolvenzordnung, 1. Aufl., § 146 Rn. 40; Nerlich/Römermann, a.a.O., § 146 Rn. 7; Kirchhof, WM 2002, 2037 ff., 2039; OLG Saarbrücken, Urteil vom 14.11.1967 - 2 U 124/66, NJW 1968, 709; ablehnend Kübler/Prütting/Bork/Jacoby, Insolvenzordnung, 66. EL, § 146 Rn. 11; MünchKommBGB/Grothe, 9. Aufl., § 210 Rn. 4; Staudinger/Peters/Jacoby, BGB, Neubearbeitung 2019, § 210 Rn. 6; offenlassend BGH, Versäumnisurteil vom 30.04.2015 – IX ZR 1/13, Rn. 12).
e) Dem Beklagten ist von Amts wegen vorzubehalten, seinen Gegenanspruch, der sich nach Rang und Höhe mit dem Betrag deckt, den die begünstigten Gesellschaftsgläubiger im Insolvenzverfahren erhalten hätten, nach Erstattung an die Masse gegen den Kläger zu verfolgen (BGH, Urteil vom 21.01.2016 – II ZR 394/13, Rn. 49).
f) Dem Beklagten steht kein Zurückbehaltungsrecht gem. § 273 Abs. 1 BGB wegen etwaiger Ansprüche aus Art. 15 Abs. 1 HS 1, Abs. 3 VO (EU) 2016/679 Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) zu. Ob und unter welchen Voraussetzungen der Insolvenzverwalter als Verantwortlicher im datenschutzrechtlichen Sinne (Art. 4 Nr. 7 DSGVO) angesehen werden kann und daher nach Art. 15 DSGVO auskunftspflichtig ist (diese Frage verneinend: AG Hamburg, Urteil vom 15.11.2021 – 11 C 75/21, str.), kann der Senat offen lassen, weil schon die Voraussetzungen für ein Zurückbehaltungsrecht nicht vorliegen. Nach § 273 Abs. 1 BGB kann der Schuldner die von ihm geschuldete Leistung bis zur Bewirkung der ihm gebührenden Leistung verweigern, wenn er aus demselben rechtlichen Verhältnis, auf dem seine Verpflichtung beruht, einen fälligen Anspruch gegen den Gläubiger hat, sofern sich nicht aus dem Schuldverhältnis etwas anderes ergibt. Außerdem darf das Zurückbehaltungsrecht als besonderer Anwendungsfall des Verbots unzulässiger Rechtsausübung (§ 242 BGB) nicht in einer gegen Treu und Glauben verstoßenden Weise ausgeübt werden (BGH, Urteil vom 26.09.2013 – VII ZR 2/13, Rn. 36).
Hier fehlt es schon an dem von § 273 BGB vorausgesetzten rechtlich engen Verhältnis des Ersatzanspruchs des Klägers aus § 64 S. 1 GmbHG a.F. und etwaiger Auskunftsansprüche des Beklagten nach der DSGVO zueinander (vgl. Senat, Beschluss vom 22.12.2022 – I-12 U 46/22, Rn. 32). Voraussetzung für das Bestehen eines Zurückbehaltungsrechts ist, dass die betroffenen Forderungen „aus demselben rechtlichen Verhältnis“ stammen müssen („Konnexität“). Insoweit genügt es, wenn ihnen ein innerlich zusammenhängendes, einheitliches Lebensverhältnis zugrunde liegt, das sich als sachlich prägend für die betroffenen Leistungen darstellt, so dass es sich aufgrund des natürlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs als Verstoß gegen Treu und Glauben darstellen würde, wenn der eine Anspruch ohne Rücksicht auf den der anderen Seite zustehenden Anspruch geltend gemacht und durchgesetzt werden könnte (vgl. BGH, Urteil vom 08.06.2004 – X ZR 173/01; BeckOGK/Krafka, BGB, Stand 01.04.2023, § 273 Rn. 44; Staudinger/Bittner/Kolbe, a.a.O. § 273 Rn. 38). Dies ist hinsichtlich des vom Kläger verfolgten Ersatzanspruchs aus § 64 S. 1 GmbHG a.F. einerseits und etwaigen Auskunftsansprüchen des Beklagten aus Art. 15 DSGVO nicht der Fall. Die Vorschrift des § 64 S. 1 GmbHG a.F. hat den Zweck, Masseverkürzungen im Vorfeld des Insolvenzverfahrens zu verhindern bzw. für den Fall, dass der Geschäftsführer dieser Massesicherungspflicht nicht nachkommt, sicherzustellen, dass das Gesellschaftsvermögen wieder aufgefüllt wird, damit es im Insolvenzverfahren zur ranggerechten und gleichmäßigen Befriedigung aller Gesellschaftsgläubiger zur Verfügung steht (BGH, Beschluss vom 15.10.2019 – II ZR 425/18). Dieser, die Gesellschaftsgläubiger schützende Zweck wäre gefährdet, wenn der Geschäftsführer die Durchsetzung des Ersatzanspruchs durch die Geltendmachung eines Anspruchs auf Überlassung schriftlicher Kopien von allen Aufzeichnungen den Beklagten betreffend blockieren könnte. Ein solcher Anspruch, der auf einem anderen Lebenssachverhalt fußt, steht mit dem hier geltend gemachten Ersatzanspruch nicht in einem so engen Zusammenhang, dass die Geltendmachung und Durchsetzung des einen ohne den anderen treuwidrig wäre und deshalb ein Zurückbehaltungsrecht begründen könnte (vgl. auch BGH, Urteil vom 11.05.2000 - IX ZR 262/98 zur Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts wegen eines Auskunftsanspruchs gegen den anfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruch; BGH, Beschluss vom 15.10.2019, a.a.O. zur Aufrechnung des Geschäftsführers mit Vergütungsansprüchen gegen den Ersatzanspruch aus § 64 S. 1 GmbHG a.F.).
g) Auch ein Zurückbehaltungsrecht des Beklagten vor dem Hintergrund, dass seiner Ansicht nach zu einer schlüssigen Klage die Erklärung gehöre, dass der Kläger die angeforderten Beträge nicht bereits durch Insolvenzanfechtung zur Insolvenzmasse gezogen habe bzw. etwa bestehende Erstattungsansprüche der Masse gegen Dritte Zug um Zug an ihn abzutreten seien, besteht nicht. Der Kläger hat zwischenzeitlich unter Bezugnahme auf seinen Bericht zum Prüfungsstichtag vom 20.02.2017 erklärt, dass Anfechtungsansprüche bislang nicht ermittelt worden seien. Der Beklagte hat nach Einsichtnahme in die Insolvenzakte festgestellt, dass die Berichte des Klägers zu Anfechtungsansprüchen schweigen. Für sich daraus ergebende etwaige Ansprüche des Beklagten ist dieser darlegungs- und beweisbelastet.
h) Die vom Beklagten schließlich geltend gemachte Hilfsaufrechnung mit einem von ihm behaupteten Schadensersatzanspruch gegen den Kläger scheitert schon daran, dass der Schadensersatzanspruch gegen den Insolvenzverwalter aus § 60 InsO nicht zu einem Leistungsverweigerungsrecht oder einer Aufrechnungsmöglichkeit gegenüber einem Anspruch der Insolvenzmasse berechtigt, den der Verwalter als Amtswalter geltend macht (BGH, Urteil vom 18.12.1995 – II ZR 277/94, Rn. 9 ff; MünchKommInsO/Schoppmeyer, a.a.O., § 60 Rn. 115). Im Übrigen liegt die Prämisse des Beklagten für seinen Anspruch einer harten Patronatserklärung durch den Zeugen Dr. H. nicht vor (vgl. die Ausführungen unter a) bb) (b)).
3.
Der Zinsanspruch des Klägers ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Es besteht keine Veranlassung, die Revision zuzulassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 43.441,06 € festgesetzt.