OLG München: Spruchverfahren beim Delisting sind auch in Altfällen unzulässig
OLG München, Beschluss vom 28.1.2015 – 31 Wx 292/14, rkr.
Amtliche Leitsätze
1. Ein Spruchverfahren ist nicht statthaft, wenn auf Antrag der Gesellschaft die Zulassung der Aktie zum Handel im regulierten Markt widerrufen wird.
2. Das gilt auch dann, wenn ein Abfindungsangebot unterbreitet und ein Spruchverfahren bereits vor der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 8.10.2013 zur Aufgabe der „Macrotron“-Rechtsprechung eingeleitet worden war.
SpruchG § 1
Sachverhalt
I. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Frage, ob die nach einem Delisting angebotene Barabfindung im Spruchverfahren auf ihre Angemessenheit zu überprüfen ist.
1. Die Aktien der Antragsgegnerin zu 2) waren im geregelten Markt der Frankfurter Wertpapierbörse notiert. Die Antragsgegnerin zu 1) hielt Mitte 2007 rund 86 % der Aktien. Die Hauptversammlung fasste am 17.07.2007 den Beschluss, den Vorstand zu ermächtigen, einen Antrag auf Widerruf der Zulassung der Aktien der Gesellschaft zum geregelten Markt (General Standard) der Frankfurter Wertpapierbörse zu stellen. Die Mehrheitsaktionärin bot zugleich an, die Aktien der übrigen Aktionäre gegen Zahlung einer Barabfindung in Höhe von 1,89 Euro je Stückaktie zu erwerben, entsprechend dem durchschnittlichen gewichteten Börsenkurs des 3-Monats-Zeitraums vor der Ad-Hoc-Mitteilung. Ferner stimmte die Hauptversammlung dem Abschluss eines Beherrschungsvertrages zu. Beide Beschlüsse der Hauptversammlung wurden angefochten und in erster Instanz für nichtig erklärt. Hinsichtlich des Beschlusses zum Delisting wurde das Ersturteil in der Berufungsinstanz aufgehoben und die Anfechtungsklage zurückgewiesen. Nach Rechtskraft des Berufungsurteils beantragte der Vorstand im April 2009 den Widerruf der Börsenzulassung. Die Börse Frankfurt gab dem Antrag mit Beschluss vom 12.05.2009 statt, die Zulassung der Aktie endete am 12.08.2009. In der Folge schloss die Antragsgegnerin zu 2) erneut einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag mit der Antragsgegnerin zu 1) ab, dem die Hauptversammlung am 10.1.2011 zustimmte. Zur Angemessenheit des Ausgleichs und der Abfindung in Höhe von 2,20 € ist ein Spruchverfahren anhängig.
Die Antragsteller haben geltend gemacht, die angebotene Abfindung von 1,89 € sei unangemessen niedrig. Das Spruchverfahren sei auch nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 08.10.2013 aus Gründen des Vertrauensschutzes fortzuführen.
2. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 28.05.2014 die Anträge zurückgewiesen mit der Begründung, das Spruchverfahren sei nicht (mehr) statthaft. Der Bundesgerichtshof habe mit Beschluss vom 08.10.2013 seine in dem Urteil vom 25.11.2002 (“Macrotron“) vertretene Auffassung aufgegeben, wonach ein Delisting ein der gerichtlichen Kontrolle in einem Spruchverfahren unterliegendes Abfindungsangebot nach sich ziehen müsse. Weder aus Art. 14 Abs. 1 GG noch aus einfach-rechtlichen Vorschriften lasse sich das Erfordernis eines Pflichtangebots mit einem anschließenden Spruchverfahren ableiten. Bei bereits eingeleiteten, noch nicht rechtskräftig beendeten Spruchverfahren sei auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung abzustellen. Darin liege keine unzulässige Rückwirkung und auch kein Verstoß gegen Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes. Schutzwürdiges Vertrauen in eine bestimmte Rechtsgrundlage aufgrund höchstrichterlicher Entscheidungen könne in der Regel nur bei Hinzutreten weiterer Umstände, insbesondere bei einer gefestigten und langjährigen Rechtsprechung entstehen. Eine unzumutbare Härte für die Antragsteller liege nicht vor. Zu einer Verringerung der in einem bestandskräftigen Hauptversammlungsbeschluss festgelegten Kompensation könne es im Spruchverfahren nicht kommen. Ein Vertrauen auf den Fortbestand der höchstrichterlichen Rechtsprechung entsprechend der Grundsätze der „Macrotron“-Entscheidung sei nicht schutzwürdig. Zudem habe der Bundesgerichtshof diese Entscheidung aus dem Jahre 2002 danach nicht mehr bestätigt. Auch wenn die Börsenordnung der Frankfurter Wertpapierbörse die Frist zur Veräußerung der Aktien im Falle eines nachfolgenden Spruchverfahrens von 6 auf 3 Monate verkürze, habe in dieser verkürzten Zeit hinreichend Zeit bestanden, die Aktien der Antragsgegnerin zu 2) zu veräußern. Aus der Bekanntmachung zur Hauptversammlung der Antragsgegnerin zu 2) lasse sich kein vertraglicher Anspruch auf Fortsetzung des Spruchverfahrens herleiten.
3. Die Beschwerdeführer und der gemeinsame Vertreter machen insbesondere geltend, die Abkehr des Bundesgerichtshofs von der „Macrotron“-Rechtsprechung sei eine Änderung der geltenden Rechtsregeln und qualitativ etwas anderes als die bloße Änderung einer richterlichen Einsicht zur Interpretation eines Gesetzes. Die Anwendung der geänderten Regeln auf schon zuvor rechtshängige Spruchverfahren wie das vorliegende stelle eine unzulässige echte Rückwirkung dar. Der Vertrauensschutz und der Eigentumsschutz der Antragsteller gebiete es, das Spruchverfahren fortzusetzen. Den Aktionären, die unverzüglich das Abfindungsangebot der Antragsgegnerin angenommen hätten, werde einseitig zum einzigen Vorteil der Antragsgegnerin eine Vermögensposition in Form der zum damaligen Zeitpunkt nach beiderseitigem Verständnis bestehenden Nachbesserungsoption aus einem Spruchverfahren genommen, ohne dass ihnen - in verfassungskonformer Weise - ein Ausgleich für diesen Vermögenseingriff gewährt würde. Die Aktionäre, die wie die Antragsteller ihre Aktien gehalten hätten, stünden ohne Fortsetzung des Spruchverfahrens schutzlos, da sie nunmehr Aktien besäßen, welche mangels Börsennotiz weder zum Verkehrswert an der Börse noch an die Antragsgegnerin zu einer angemessenen Abfindung veräußert werden könnten. Dass sie die Aktien nicht zwischen Bekanntmachung und Wirksamkeit des Delistings über die Börse veräußert hätten, könne ihnen nicht zum Vorwurf gemacht werden, weil sie im Vertrauen auf die „Macrotron“-Rechtsprechung des BGH davon ausgegangen seien, ihre Aktien zu einer angemessenen Abfindung nach Beendigung des Spruchverfahrens an die Antragsgegnerin veräußern zu können.
Dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 08.10.2013 habe ein Fall zugrunde gelegen, bei dem kein Abfindungsangebot unterbreitet worden sei. Hier habe die Antragsgegnerin zu 1) aber ein Barabfindungsangebot abgegeben. Das Angebot habe sich eindeutig auch auf die bestehende Möglichkeit eines Spruchverfahrens und die Prüfung der Angemessenheit der Barabfindung bezogen. Wenn man darin nicht bereits eine vertragliche Anwendungsvereinbarung des Spruchverfahrens sehe, habe jedenfalls eine analoge Anwendung von § 1 SpruchG zu erfolgen. Das müsse insbesondere vor dem Hintergrund gelten, dass nach § 46 Abs. 2 Satz 3 der Börsenordnung der Frankfurter Wertpapierbörse der Widerruf der Börsenzulassung grundsätzlich sechs Monate nach Veröffentlichung wirksam werde, die Frist aber auf Antrag des Emittenten auf drei Monate verkürzt werden könne, wenn den Inhabern der Wertpapiere ein Kaufangebot unterbreitet werde, dessen Höhe in einem gesonderten Verfahren überprüft werden könne. Von dieser Möglichkeit habe die Antragsgegnerin zu 1) Gebrauch gemacht. Sich nachträglich von der impliziten Zusage der Überprüfbarkeit im Spruchverfahren zu lösen, stelle ein venire contra factum proprium dar. § 46 Abs. 2 Satz 3 der Börsenordnung der Frankfurter Wertpapierbörse stelle ein Schutzgesetz zugunsten der Anleger dar, das es den Aktionären, die bereits vor Bekanntmachung des Delisting Aktionäre gewesen seien, ermögliche, die Angemessenheit der Barabfindung gerichtlich überprüfen zu lassen, sei es in einem Spruchverfahren oder einem Schiedsverfahren nach den Regeln des Spruchverfahrensgesetzes. Durch § 39 Abs. 2 Satz 2 BörsG sei der Anlegerschutz nicht ausreichend gewährleistet. Der Bundesgerichtshof habe in seiner Entscheidung vom 08.10.2013 keine Bedenken gegen ein Spruchverfahren geäußert, welches auf den Vorschriften in einer Börsenordnung basiere.
Aus den Gründen
II. A. Die Beschwerden der Antragsteller zu 54) und 57) sind unzulässig, weil sie nicht fristgerecht eingelegt worden sind. Nachdem das Verfahren vor dem 01.09.2009 begonnen hat, ist statthaftes Rechtsmittel die sofortige Beschwerde (Art. 111 Abs.1 des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17.12.2008, BGBl I, 2586 - FGG-RG; 12 Abs. 1 S. 1 SpruchG aF; vgl. BGH NJW 2010, 2657 - Stollwerck - Rn. 5).
Die sofortige Beschwerde ist innerhalb einer Frist von zwei Wochen ab Bekanntgabe der Entscheidung einzulegen (§ 17 Abs. 1 SpruchG aF i.V.m. § 22 Abs. 1 FGG aF). Diese Frist ist nicht gewahrt; die Entscheidung des Landgerichts ist dem Verfahrensbevollmächtigten der Antragsteller zu 54) und 57) am 2.6.2014 zugestellt worden, die Beschwerdeschrift ist erst am 1.7.2014 bei Gericht eingegangen.
B. Im Übrigen sind die sofortigen Beschwerden zulässig, jedoch nicht begründet. Das Landgericht hat zu Recht die Anträge auf Festsetzung einer angemessenen Barabfindung zurückgewiesen. Der Widerruf der Börsenzulassung begründet keine Verpflichtung zu einem Abfindungsangebot und eröffnet kein Spruchverfahren zur Überprüfung der Angemessenheit einer angebotenen Abfindung. Der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes gebietet es nicht, ein bereits vor der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 08.10.2013 anhängiges Spruchverfahren fortzuführen und eine Sachentscheidung zu treffen (vgl. Roßkopf, ZGR 2014, 487/503f; Paschos/Klaaßen AG 2014, 33/36; Wienecke, NZG 2014, 22/25; Wasmann/Glock DB 2014, 105/108; a.A. nicht überzeugend Lochner/Schmitz AG 2014, 489/490; unklar Goette, Festschrift Stilz, S. 159ff).
1. Bei einem Widerruf der Zulassung der Akte zum Handel im regulierten Markt auf Veranlassung der Gesellschaft haben die Aktionäre keinen Anspruch auf eine Barabfindung. Soweit der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 25.11.2002 (BGHZ 153, 47 ff. „Macrotron“) aus der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG einen Anspruch auf ein Barabfindungsangebot und dessen gerichtliche Überprüfung im Spruchverfahren abgeleitet hatte, ist dem durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11.7.2012 die Grundlage entzogen. Danach berührt der Widerruf der Börsenzulassung für den regulierten Markt den Schutzbereich des Eigentumsgrundrechts nicht (BVerfG Beschluss vom 11.7.2012, AG 2012, 557). Ein Anspruch auf Barabfindung lässt sich auch nicht aus einer entsprechenden Anwendung von § 207 UmwG, § 243 Abs. 2 S. 2 AktG oder § 29 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 Fall 2 UmwG herleiten, ebenso wenig aus einer Gesamtanalogie zu gesetzlichen Regelungen anderer gesellschaftsrechtlicher Strukturmaßnahmen. Der Senat folgt insoweit der Begründung des Bundesgerichtshofs in dessen Entscheidung vom 08.10.2013 (NJW 2014, 146/147 ff „Frosta“).
2. Das Spruchverfahren ist zur Überprüfung des (freiwilligen) Barabfindungsangebots der Antragsgegnerin zu 1) auf seine Angemessenheit nicht eröffnet. Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, zu denen das Spruchverfahren gehört, der Zeitpunkt der Entscheidung. Die Prüfung der Zulässigkeit erfolgt von Amts wegen.
a) Eine entsprechende Anwendung von § 1 SpruchG kommt nicht in Betracht, denn ein Delisting ist mit den in § 1 SpruchG - nicht abschließend - aufgezählten Maßnahmen nicht vergleichbar. Diesen ist gemeinsam, dass es sich um Strukturmaßnahmen handelt, mit denen eine Beeinträchtigung des durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Aktieneigentums verbunden ist. Das ist bei einem Widerruf der Börsenzulassung nicht der Fall, denn dieser lässt die Substanz des Anteilseigentums in seinem mitgliedschaftsrechtlichen und seinem vermögensrechtlichen Element unberührt (BVerfG, Beschluss vom 11.7.2012, AG 2012, 557/559).
b) Ob ein Spruchverfahren statthaft ist oder nicht, unterliegt nicht der Disposition der Beteiligten. Diese können sich deshalb nicht durch ausdrückliche oder konkludente vertragliche Vereinbarung bzw. eine Schiedsabrede darauf verständigen, dass ein - von Gesetzes wegen nicht statthaftes - Spruchverfahren vor dem dafür zuständigen Gericht durchzuführen ist. Im Übrigen hat das Landgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass die Bekanntmachung der Einberufung zur Hauptversammlung nicht die Erklärung enthält, ein Spruchverfahren ohne gesetzliche Grundlage durchführen zu wollen. Desgleichen ist der Verweis auf die Regelung des § 46 Abs. 2 Satz 3, Abs. 3 Satz 1 der Börsenordnung der Frankfurter Wertpapierbörse (in der Fassung vom 24.3.2011) nicht geeignet, die Statthaftigkeit eines Spruchverfahrens zu begründen. Wie nach der gleichlautenden, zum hier maßgeblichen Zeitpunkt gültigen Regelung des § 61 Abs. 2 Satz 3, Abs. 3 Satz 1 der genannten Börsenordnung kann danach die Frist für das Wirksamwerden des Widerrufs für den Fall verkürzt werden, dass das „Kaufangebot ... im Wege eines gesonderten Verfahrens (z.B. Spruchverfahrens) überprüft werden kann“. Wenn die Antragsgegnerinnen unter Verweis auf die damals geltende Auffassung zum Delisting und der Überprüfung eines entsprechenden Kaufangebots eine Verkürzung die Widerrufsfrist auf 3 Monate erreichten, gaben sie lediglich zu erkennen, sich an den Rahmen der durch die Börsenordnung in Bezug genommenen Regelungen halten zu wollen. Daraus ergibt sich aber nicht der Wille, sich für den Fall der Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen an den überholten Bedingungen festhalten lassen zu wollen, zumal ein vernünftiger Aktionär das Verhalten der Antragsgegnerinnen nicht dahin verstehen konnte, dass sie sich verpflichten wollte, den Aktionären auch für den Fall einen Anspruch auf Erhöhung der angebotenen Barabfindung einzuräumen, dass die Rechtsprechung einen solchen nicht mehr anerkennen würde (vgl. dazu auch BGH NJW 2013, 155 Rn.37).
3. Aus dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Rückwirkungsverbot und dem Grundsatz des Vertrauensschutzes folgt nicht, dass hier die Anträge auf gerichtliche Festsetzung einer angemessenen Barabfindung als zulässig zu behandeln wären, weil sie bereits vor der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 08.10.2013 gestellt worden sind.
a) Höchstrichterliche Rechtsprechung ist kein Gesetzesrecht und erzeugt keine damit vergleichbare Rechtsbindung. Eine in der Rechtsprechung bislang vertretene Gesetzesauslegung aufzugeben, verstößt nicht als solches gegen Art. 20 Abs. 3 GG. Die über den Einzelfall hinausreichende Geltung fachgerichtlicher Gesetzesauslegung beruht allein auf der Überzeugungskraft ihrer Gründe sowie der Autorität und der Kompetenzen des Gerichts. Es bedarf nicht des Nachweises wesentlicher Änderungen der Verhältnisse oder der allgemeinen Anschauungen, damit ein Gericht ohne Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3 GG von seiner früheren Rechtsprechung abweichen kann. Die Änderung einer ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung ist auch unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes grundsätzlich dann unbedenklich, wenn sie hinreichend begründet ist und sich im Rahmen einer vorhersehbaren Entwicklung hält. Soweit durch gefestigte Rechtsprechung ein Vertrauenstatbestand begründet wurde, kann diesem erforderlichenfalls durch Bestimmungen zur zeitlichen Anwendbarkeit oder Billigkeitserwägungen im Einzelfall Rechnung getragen werden (BVerfG, Beschluss vom 15.1.2009, NJW 2009, 1469/1475 Rz. 85 m.w.N.; BVerfG, Beschluss vom 18.10.2012, NJW 2013, 523/524).
Die mit einer Änderung von Rechtsvorschriften oder einer konsistenten höchstrichterlichen Rechtsprechung verbundene Rückwirkung zu Lasten Einzelner kann deren Vertrauen in den Fortbestand einer bestimmten Rechtslage enttäuschen. Dem setzt das in Art. 20 Abs. 3 GG normierte Rechtsstaatsprinzip durch das ihm innewohnende Teilgebot der Rechtssicherheit Grenzen. Dabei ist zwischen echter und unechter Rückwirkung zu unterscheiden. Eine grundsätzlich unzulässige echte Rückwirkung ist gegeben, wenn nachträglich ändernd in einen abgeschlossenen Sachverhalt eingegriffen wird, wenn also ein von der Rückwirkung betroffener Tatbestand in der Vergangenheit nicht nur begonnen hat, sondern bereits abgewickelt war. Eine grundsätzlich zulässige unechte Rückwirkung liegt vor, wenn auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft eingewirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet wird (BVerfG, Beschluss vom 29.2.2012, ZIP 2012, 1979/1980 Rz. 53f. m.w.N.).
b) Die „Macrotron“-Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25.11.2002 stellt keine gefestigte ständige höchstrichterliche Rechtsprechung dar, auf die sich ein schützenswertes Vertrauen der Aktionäre hinsichtlich der ihnen bei einem regulären Delisting zustehenden Ansprüche hätte gründen können.
(1) Gegenstand der Entscheidung vom 25.11.2002 war (neben der - erfolgreichen - Anfechtung der Entlastung des Aufsichtsrats) die Anfechtung des Hauptversammlungsbeschlusses, mit dem der Vorstand ermächtigt worden war, den Widerruf der Börsenzulassung zu beantragen. Insoweit wies der BGH die Revision zurück, weil er im Ergebnis wie die Vorinstanzen einen Hauptversammlungsbeschluss für erforderlich und eine einfache Mehrheit für ausreichend hielt. Anders als die Vorinstanzen leitete er die Zuständigkeit der Hauptversammlung allerdings daraus ab, dass der Verkehrswert einschließlich der Verkehrsfähigkeit des Aktienanteils an der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG teilhabe. Weiter vertrat er die Auffassung, der Schutz der Minderheitsaktionäre sei nur gewährleistet, wenn ihnen der Wert ihrer Aktien ersetzt werde und ihnen die Möglichkeit offen stehe, die Richtigkeit der Wertbemessung in einem gerichtlichen Verfahren überprüfen zu lassen. Diese Prüfung habe nicht im Anfechtungsverfahren, sondern im Spruchverfahren zu erfolgen. Entsprechend dem Hilfsantrag gab er deshalb für die Feststellung des Wertes der Aktien das Verfahren an das zuständige Gericht der freiwilligen Gerichtsbarkeit ab.
(2) Aus welcher materiell rechtlichen Rechtsgrundlage der Anspruch auf Barabfindung beim regulären Delisting herzuleiten ist, lässt sich der „Macrotron“-Entscheidung nicht entnehmen, ebenso wenig Vorgaben zu wesentlichen verfahrensrechtlichen Fragen wie Antragsberechtigung, Antragsfrist, Antragsbegründung und Antragsgegner. Die „Macrotron“-Entscheidung hat somit weder die zu prüfende materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage für die Barabfindung vorgegeben noch die wesentlichen Bestimmungen für das Verfahren zur Prüfung von deren Angemessenheit. Beides haben in der Folge die Instanzgerichte entwickelt. Zudem ist die „Macrotron“-Entscheidung, insbesondere auch im Hinblick auf das Verständnis der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG, auf erhebliche Kritik gestoßen (zum damaligen Meinungsstand vgl. KKSpruchG/Wasmann 1. Aufl. 2005 § 1 Rn. 27 ff.). Bereits in einem 2004 beim Landgericht Berlin eingeleiteten Spruchverfahren hat die dortige Antragsgegnerin geltend gemacht, die Auffassung des Bundesgerichtshofs sei verfassungswidrig. Nachdem das Landgericht Berlin (Beschluss vom 17.1.2006), das Kammergericht (Beschluss vom 31.10.2007, AG 2008, 295) und der Bundesgerichtshof (Beschluss vom 25.6.2008, NJW-RR 2008, 1355) über die aufgeworfenen Zulässigkeitsfragen entschieden hatten, hat die Antragsgegnerin Verfassungsbeschwerde eingelegt, die Gegenstand der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11.7.2012 (AG 2012, 557) war.
(3) Was den Wechsel von regulierten Markt in den (qualifizierten) Freiverkehr (“Downgrading“) anbelangt, haben mehrere Landgerichte und Oberlandesgerichte abweichend von der Auffassung des Bundesgerichtshofs in der „Macrotron“-Entscheidung einen Anspruch auf Barabfindung und damit die Statthaftigkeit des Spruchverfahrens verneint (vgl. LG München I, Beschluss vom 30.8.2007, NZG 2007, 951; OLG München, Beschluss vom 21.5.2008, NZG 2008, 755; KG, Beschluss vom 30.4.2009, AG 2009, 697).
(4) In den von den Antragstellern zu 52) und 53) weiter angeführten Entscheidungen hat sich der Bundesgerichtshof nicht in der Sache mit einem Spruchverfahren nach Delisting befasst, sondern mit dem Wegfall der Vorlagevoraussetzungen bei der Frage der Referenzperiode für den Börsenkurs (AG 2011, 590) und der Nichtzulassung der Revision hinsichtlich der Voraussetzungen eines Hauptversammlungsbeschlusses zum Delisting (ZIP 2010, 622).
(5) Der Umstand, dass der Gesetzgeber keine von der „Macrotron“-Entscheidung abweichende Regelung geschaffen hat, verschafft dieser Entscheidung entgegen der Auffassung der Antragsteller zu 52) und 53) keine normative Qualität. Im Übrigen wurde anlässlich der Änderung des Umwandlungsgesetzes vom Bundesrat vorgeschlagen, die Aufzählung in § 1 SpruchG um das Delisting zu erweitern. Die Bundesregierung folgte dem jedoch nicht und verwies darauf, dass die Diskussion in Wissenschaft und Praxis andauere und der Gesetzgeber keine vorschnelle Antwort geben solle (BT-Drs. 16/2919, S. 25, 28).
c) Abgesehen davon entfaltet die Abkehr des Bundesgerichtshofs von „Macrotron“ allenfalls eine zulässige unechte Rückwirkung, denn sie greift nicht zu Lasten der Antragsteller und Beschwerdeführer in einen abgewickelten, der Vergangenheit angehörenden Sachverhalt ein. Der maßgebliche Sachverhalt beschränkt sich nicht auf die Beendigung der Börsenzulassung zum 12.8.2009, sondern umfasst auch die daraus folgenden Maßnahmen, insbesondere den Erwerb der Aktien auf Verlangen jeden außenstehenden Aktionärs durch die Antragsgegnerin zu 1) gegen eine Barabfindung. Dieser Sachverhalt war zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesgerichtshofs noch nicht abgeschlossen, weil zahlreiche Antragsteller die gerichtliche Bestimmung einer angemessenen Barabfindung beantragt hatten. Die Frist für die Annahme des Barabfindungsangebots war folglich weiterhin offen, die endgültige Höhe der Abfindung stand noch nicht fest. Dass „theoretisch“ das Landgericht auch vor der „Frosta“-Entscheidung des BGH vom 8.10.2013 (NJW 2014, 146) das Verfahren hätte abschließen können, wie die Antragsteller zu 52) und 53) hervorheben, ändert nichts daran, dass tatsächlich noch keine rechtskräftige Entscheidung ergangen war und damit der Sachverhalt noch nicht abgeschlossen war.
d) Im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass im hier zu entscheidenden Fall die Beschwerdeführer durch Vermögensdispositionen im Vertrauen auf die Statthaftigkeit des Spruchverfahrens konkrete nennenswerte Nachteile erlitten hätten.
(1) Dass Antragsteller das Abfindungsangebot der Antragsgegnerin zu 1) nicht angenommen haben, weil sie sich eine Erhöhung der Barabfindung im Spruchverfahren versprochen haben, begründet keinen Vertrauenstatbestand. Ein Spruchverfahren endet nicht zwangsläufig mit einer Erhöhung der Barabfindung. Soweit Antragsteller vortragen, im Vertrauen auf die infolge des anhängigen Spruchverfahrens noch offene Frist zur Annahme des Angebots ihre Aktien weiterhin gehalten zu haben, erfordert das jedenfalls keine Sachentscheidung im Spruchverfahren zum wahren Wert der Aktie, die ggf. erst nach umfangreicher und kostenaufwändiger Beweisaufnahme ergehen kann. Im Übrigen ist hier die Antragsgegnerin zu 1) ohnehin weiterhin verpflichtet, die Aktien der außenstehenden Aktionäre gegen eine Barabfindung zu erwerben. Denn die Hauptversammlung der Antragsgegnerin zu 2) hat am 10.1.2011 dem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag mit der Antragsgegnerin zu 1) vom 25.11.2010 zugestimmt. Die Antragsgegnerin zu 1) hat sich in diesem Zusammenhang verpflichtet, die Aktien der außenstehenden Aktionäre gegen eine Barabfindung von 2,20 € zu erwerben; ein Spruchverfahren zur Angemessenheit dieser Barabfindung ist anhängig.
(2) Das Landgericht hat die Kostenentscheidung an den Regelungen des Spruchverfahrensgesetzes ausgerichtet und den Antragsgegnerinnen nicht nur die Gerichtskosten, sondern auch die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller in erster Instanz auferlegt. Damit sind die Antragsteller nicht schlechter gestellt als bei einer Sachentscheidung, mit der eine tatsächlich geschuldete Barabfindung nicht erhöht wird.
III. 1. Es erscheint angemessen, dass die Antragsgegnerinnen die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens tragen (§ 15 SpruchG entsprechend). Das Spruchverfahren war zunächst statthaft. Es erscheint deshalb sachgerecht, die Kostenentscheidung an den Vorschriften des Spruchverfahrensgesetzes auszurichten Danach sind die Gerichtskosten grundsätzlich von den Antragsgegnern zu tragen. Es liegen keine durchgreifenden Gründe vor, abweichend hiervon den Antragstellern die Gerichtskosten ganz oder teilweise aufzuerlegen. Die unzulässigen Beschwerden der Antragsteller zu 54) und 57) haben keine gesonderten Kosten verursacht.
2. Die außergerichtlichen Kosten tragen die Beteiligten jeweils selbst. Nachdem die Beschwerden erfolglos sind, ist es nicht veranlasst, die Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beschwerdeführer durch die Antragsgegnerinnen anzuordnen.
3. Den Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens schätzt der Senat entsprechend § 74 GNotKG auf 200.000 Euro.
4. Die Entscheidung über die Vergütung des gemeinsamen Vertreters folgt aus der entsprechenden Anwendung von § 6 Abs. 2 SpruchG. Ohne Erfolg wenden sich die Antragsgegnerinnen gegen die Beteiligung des gemeinsamen Vertreters im Beschwerdeverfahren und die daraus entstehenden Kosten. Das Spruchverfahren ist zum Zeitpunkt der Antragstellung von allen Beteiligten als statthaft angesehen worden, auch von den Antragsgegnerinnen selbst. Dementsprechend hat das Landgericht entsprechend § 6 Abs. 1 SpruchG einen gemeinsamen Vertreter bestellt. Die Zurückweisung der Anträge als unzulässig lässt weder die Bestellung noch die Vertretungsbefugnis gemeinsamen Vertreters entfallen.