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Wirtschaftsrecht
27.03.2013
Wirtschaftsrecht
LG Frankfurt: Sittenwidrigkeit von Anlagegeschäft und Beratungsvertrag

LG Frankfurt, Urteil vom 28.02.2013 - 2-10 O 265/12


Leitsatz


Eine "Kapitalanlage", die dergestalt konzipiert ist, dass die Höhe der Rendite von dem Tod von Mitmenschen abhängt, ist sittenwidrig. Gleiches gilt für ein den Verkauf eines derartigen Produktes förderndes, auf den Absatz entsprechender Fondsbeteiligungen gerichtetes Beratungsverhältnis.


§ 138 Abs 1 BGB, Art 1 Abs 1 GG


Sachverhalt


Nach Erarbeitung eines „Kundenprofils", für dessen Einzelheiten auf Blatt 16 ff. d.A. Bezug genommen wird, und Eröffnung eines Privatkontos/-Depots je unter dem 03.12.2012 zeichnete die Klägerin unter dem 07.12.2004 nach vorangegangener Beratung durch die Beklagte eine Beteiligung an einer „Life Traded Insurance Portfolio Germany", einer fondsbasierten Lebensversicherung mit einer Gesamtbeitragssumme, verteilt über 5 Jahre, von insgesamt 200.000,00 €. Der Vertragsabschluss die Lebensversicherung betreffend erfolgte mit der Credit Suisse Life & Pension AG. Die von der Klägerin zu leistenden Beiträge sollten zu je 50 % in einen Fonds, der am britischen Sekundärmarkt für Kapitallebensversicherung investierte und andererseits in einen Fonds, der in amerikanische „Whole Life Policen" am Sekundärmarkt investierte, eingebracht werden. Für die Einzelheiten des „Antragsformulars" wird auf Blatt 22 ff. d.A. Bezug genommen. Das Investment in die amerikanischen Whole Life Policen wird in einem Fact Sheet, für dessen Einzelheiten auf Blatt 21 d.A. Bezug genommen wird, vorgestellt. Hier heißt es u.a., Investitionsprinzip sei es, dass „amerikanische Risikopolicen von U.S.-domizilierten Personen gekauft" würden, wobei die versicherten Personen nicht weniger als 65 Jahre alt sein dürfen und im Durchschnitt zwischen 80 und 85 Jahre alt seien. Die Erträge seien „hauptsächlich von der Sterblichkeit der versicherten Personen" abhängig. In einer „Ergänzenden Produkterläuterung", für deren Einzelheiten auf Blatt 31 f. d.A. Bezug genommen wird, heißt es, Policen von Personen mit einer krankheitsbedingten Lebenserwartung von weniger als 2 Jahren würden „aus ethischen Gründen" ausgeschlossen; die Policen würden zu einem reduzierten Preis erworben, der sich hauptsächlich an der Versicherungssumme, dem Alter der versicherten Person und der Nachfrage auf dem Markt bemesse; der Ertrag der Police hänge hauptsächlich von der Sterblichkeit der versicherten Person ab; der Tod der versicherten Person vor dem hierfür statistisch errechneten Zeitpunkt führe „grundsätzlich zu einer höheren Rendite"; ein zeitlich nach der statistisch errechneten Lebenserwartung eintretender Todesfall beeinflusse „die Rendite negativ". Mit einer Anlage zum Jahresbericht 2010, für deren Einzelheiten auf Blatt 48 d.A. Bezug genommen wird, teilte die Versicherung mit, es hätten sich im Zusammenhang mit den U.S.-amerikanischen Risikolebensversicherungen Entwicklungen ergeben, „die von unseren bisherigen Annahmen erheblich abweichen" und ließ vier Szenarien durchrechnen mit einem, zwei, vier bzw. sechs „durchschnittlichen Todesfällen pro Jahr" mit der Darstellung der entsprechenden Auswirkungen auf die Rendite der Anleger. Mit der Begründung, über die Produktrisiken - auch mit Blick auf eine im Jahr 2004 neu vorgenommene Berechnung der Lebenserwartung - und ein Eigeninteresse der Beklagten nicht hinreichend aufgeklärt worden zu sein, nimmt die Klägerin die Beklagte auf Schadensersatz in Höhe der geleisteten Einlagen nebst 4 %iger Verzinsung in Anspruch, mit dem Vortrag, bei ordnungsgemäßer Aufklärung anstelle der streitgegenständlichen Beteiligung mit einer festverzinslichen Anlage entsprechende Erträge erzielt zu haben.


Die Klägerin beantragt,


die Beklagte zu verurteilen, an sie 240.218,55 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 29.02.2012 zu zahlen und die Klägerin von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 6.128,50 € freizustellen, Zug um Zug gegen Übertragung der Lebensversicherung „Life Traded Insurance Portfolio Germany - Lebensversicherung-Nr. 044TIP210601" der Klägerin.


Die Beklagte hat sich gegen die ihr am 19.09.2012 zugestellte Klage nicht verteidigt und war im Termin, zu dem sie ordnungsgemäß geladen war, säumig. Die Klägerin hat Erlass eines Versäumnisurteils beantragt.


Aus den Gründen


Die Klage war gemäß § 331 Abs. 2 ZPO durch unechtes Versäumnisurteil abzuweisen, da die Klage nicht schlüssig ist.


Der Klägerin steht auch bei Zugrundelegung ihres Vorbringens der geltend gemachte Anspruch nicht zu. Das Anlagegeschäft und der Beratungsvertrag zwischen den Parteien sind gemäß § 138 Abs. 1 BGB wegen Sittenverstoßes nichtig.


Eine „Kapitalanlage" die dergestalt konzipiert ist, dass die Höhe der Rendite von dem Tod von Mitmenschen abhängt, verstößt gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden und ist damit sittenwidrig (vgl. auch OLG Frankfurt 3 U 24/12 vom 19.7.2012). Gleiches gilt für ein den Verkauf eines derartigen Produktes förderndes, auf den Absatz entsprechender Fondsbeteiligungen gerichtetes Beratungsverhältnis. Die auf den (konkludenten) Abschluss eines Beratungsvertrages mit einem derartigen Beratungsgegenstand gerichteten Willenserklärungen sind nichtig.


Eine Nichtigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB ist bei einem Verstoß gegen grundlegende Wertungen der Rechts- und Sittenordnung anzunehmen, wobei die Anstößigkeit aus dem Inhalt des Geschäftes oder auch dem Gesamtcharakter mit seinen Absichten und Motiven hergeleitet werden kann. Über die Norm des § 138 Abs. 1 BGB wirkt das im Grundgesetz verkörperte Wertesystem in das Privatrecht hinein (BVerfGE 7, 206). Geschäfte, die nach ihrem Inhalt, Charakter und Motiv dem Wertesystem des Grundgesetzes elementar zuwider laufen, unterliegen der Nichtigkeitsfolge des § 138 Abs. 1 BGB.


Das streitgegenständliche Modell einer „Kapitalanlage" verstößt unerträglich gegen das Menschenwürdeprinzip in Art. 1 Abs. 1 GG. Mit dem Begriff der Menschenwürde in Art. 1 Abs. 1 GG ist der soziale Wert- und Achtungsanspruch des Menschen verbunden, der es verbietet, den Menschen zum bloßen Objekt zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell infrage stellt (BVerwG NVwZ 2002, 598; BVerfG NJW 1993, 1457). Geschützt ist nicht allein die individuelle Würde der jeweiligen Person, sondern auch die Würde des Menschen als Gattungswesen (BVerfG a.a.O.; BVerwG a.a.O.). Der grundgesetzliche Schutz der Menschenwürde ist unabhängig davon, ob ein Eingriff von staatlicher Seite oder von privater Hand ausgeht und kann auch eine entsprechende gewerbliche Betätigung einschränken (BVerwG a.a.O.). Als ein Verstoß gegen das tragende Konstitutionsprinzip der Menschenwürde ist es anzusehen, wenn durch eine Handlung eine Einstellung erzeugt oder verstärkt wird, die den fundamentalen Wert- und Achtungsanspruch, der jedem Menschen zukommt, leugnet (BVerwG a.a.O.).


Eine derartige Förderung einer Einstellung, die dem Wert- und Achtungsanspruch der versicherten Personen leugnet, ist mit der im System der streitgegenständlichen „Kapitalanlage" angelegten Reduktion des Versicherten auf einen Renditefaktor gegeben. Prinzip des vorliegenden Investments ist es, aus dem Ableben eines Mitmenschen eine höchstmögliche Rendite herauszuholen. Zu diesem Zweck werden nach dem „Investitionsprinzip", wie es im zu dem Produkt erstellten „fact sheet" heißt, aus dem Gesamtmarkt der verkäuflichen Lebensversicherungspolicen diejenigen herausgesucht, mit deren Ableben nach den statistischen Wahrscheinlichkeiten schnellstmöglich gerechnet wird - mit Ausnahme der bereits Todkranken, deren Policen aus „ethischen Gründen" nicht erworben werden. Es werden nicht wahllos die angebotenen Versicherungen erworben, sondern lediglich solche betreffend Personen über 65 Jahre, wobei ein Durchschnittsalter von 80 bis 85 Jahren erzielt werden soll. Die für den Ankauf zuständigen Portfolio-Manager sind bei dieser Sachlage im Renditeinteresse der Anleger gehalten, den Markt dergestalt zu sondieren, dass die „guten Risiken", mithin diejenigen Personen herausselektiert werden, mit deren Ableben als erstes zu rechnen ist. Mit der Konzeption, dass der wirtschaftliche Erfolg der Anlage vom Zeitpunkt des Versterbens der Versicherten abhängt und mit dem Risiko, dass über die seitens des Fonds weiter zu leistenden Versicherungsprämien bei prognosewidrig verspätetem Versterben der Versicherten ein Kapitalverlust droht - wie dies den Anlegern auch über die Anlage zum Jahresbericht vorgerechnet wird - erzeugt bzw. verstärkt das streitgegenständliche Konstrukt bei den „Anlegern" ein im Renditeinteresse liegendes Hoffen darauf, die Versicherten mögen alsbald das Zeitliche segnen. Denn mit jedem weiteren Monat des Überlebens würden weitere Versicherungsprämien zu Lasten des Fondsvermögens und damit zu Lasten des „Anlegers" auflaufen, die die erwartete Rendite schmälern bzw. den entstehenden Verlust vergrößern würden. Im Ergebnis fördert das streitgegenständliche „Investitionsprodukt" das Entstehen bzw. die Vertiefung einer Einstellung dahingehend, den versicherten Mitmenschen im eigenen „Renditeinteresse" den Tod zu wünschen. Dies ist mit den fundamentalen Wertprinzipien des Grundgesetzes unvereinbar.


Billigenswerte Interessen, die ein entsprechendes „Anlageprodukt" trotz dieser Auslegung auf die Hoffnung auf ein alsbaldiges Versterben der Versicherten als von der Rechtsordnung hinnehmbar rechtfertigen könnten, sind nicht zu erkennen. Nicht hinreichend ist insbesondere der Umstand, dass die Versicherten über die Veräußerung ihrer Policen auf dem Sekundärmarkt gegebenenfalls einen höheren Ertrag erzielen könnten als über eine Realisierung der Rückkaufswerte gegenüber der Versicherungsgesellschaft. Ein maßgeblicher Mehrwert für die Versicherten ist nach den „Gesetzen des Marktes" nicht zu erwarten. Im „Renditeinteresse" der Anleger steht zu erwarten, dass durch den Fonds beim Ankauf der Versicherungspolicen allenfalls Summen, die marginal über den von den Versicherungen gebotenen Rückkaufswerten liegen, gezahlt werden. Entsprechendes ergibt sich auch aus dem „Jahresbericht 2010" (Bl. 48 d.A.), wonach die Policen zum 31.12.2010 mit „17,3 % in Bezug auf die Versicherungssumme bewertet" wurden. Auch ist es nicht hinreichend, dass sich die Anbieter der eigenen Versicherungen mit der Veräußerung ihrer Verträge an den Fonds etwa freiwillig ihres Achtungsanspruches begeben. Anstößig ist nicht allein das Handeln mit den einzelnen Policen und die damit einhergehende Spekulation auf das Ableben eben dieses Individuums, sondern vielmehr auch die Herabwürdigung des Gattungswesens Mensch und seines Lebens durch die dem System der streitgegenständlichen „Kapitalanlage" innewohnende Reduktion auf einen Renditefaktor.


Der Bewertung des streitgegenständlichen Kapitalanlagekonstruktes als sittenwidrig steht nicht entgegen, dass die Versicherungswirtschaft grundsätzlich der staatlichen Aufsicht nach dem VAG unterliegt. Diese Aufsicht ist auf einen reinen Bestands- und Funktionsschutz der Versicherungswirtschaft ausgerichtet und beinhaltet nicht die Überprüfung einzelner Anlagemodelle auf deren Vereinbarkeit mit den guten Sitten.


Die Sittenwidrigkeit des Konstruktes des „Anlageobjektes" führt zu einer Nichtigkeit der auf die Beratung zu diesem Objekt und auf den Erwerb dieses Objektes gerichteten Verträge (§ 138 Abs. 1 BGB). Eine Verkaufsberatung ein derartiges Produkt betreffend geht zwingend mit einer Bekanntmachung und Verkaufsförderung hinsichtlich dieser „Kapitalanlage" einher und ist damit gleichsam als anstößig zu bewerten.


Dieses Ergebnis bedarf auch nicht - etwa aus Billigkeitserwägungen - einer Korrektur zum Schutz der „fehlerhaft" beratenen Anleger. Wer aus Kapitalanlageprodukten, die einen sittlich anstößigen Inhalt haben, eine Rendite erstrebt, ist nicht schutzwürdig. Vielmehr stellt er sich mit seinem Profitestreben außerhalb des von der Rechtsordnung geschützten Bereiches, wenn er sich über zu missbilligende „Kapitalanlageprodukte" informieren will. Dem potentiellen Anleger einen rechtsverbindlichen Anspruch auf eine „ordentliche" Beratung zu einem sittenwidrigen Produkt zuzubilligen würde die Absatzförderung betreffend das entsprechende Produkt legitimieren.


Auch im Einzelfall besteht kein Anlass, von diesen Grundsätzen abzuweichen. Die Klägerin hat sich dem Vorwurf, die Anstößigkeit ihres Tuns erkannt bzw. sich der Erkenntnis der Anstößigkeit leichtfertig verschlossen zu haben, auszusetzen. Mit der Klagebegründung hat sie zu erkennen gegeben, verstanden zu haben, dass sie mit ihrer Kapitalanlage auf ein rasches Ableben der versicherten Personen hoffte und dass die Rendite sich mit dem frühest möglichen Ableben der versicherten Personen erhöht. Durch die Abzeichnung der „Ergänzenden Produkterläuterung" (Bl. 32 d.A.) mit der Bestätigung, diese „zur Kenntnis genommen" zu haben, hat sie zugleich eingeräumt, die Erwägungen der Beklagten über die ethischen Bedenken den Erwerb von Policen von Personen mit krankheitsbedingter geringer Lebenserwartung gelesen zu haben. Damit ist dokumentiert, dass sie sich - eben ebenso wie die Beklagte als Vertreiberin der „Anlage" - zumindest des Umstandes bewusst war, dass sie sich in einem ethischen Grenzbereich bewegt. Selbst wenn sie sich also der Erkenntnis verschlossen hätte, dass eine derartige Kapitalanlage gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, so geschah dies zumindest leichtfertig.


Rechtsfolge dieser Nichtigkeit des Beratungsvertrages ist, dass eine Schadensersatzpflicht wegen Verletzung aus einem Beratungsvertrag folgender Verpflichtungen nicht besteht. Mangels wirksam vereinbarten Beratungsverhältnisses fehlt es an der Verletzung vertraglicher Aufklärungspflichten.


Gemäß § 139 BGB erfasst die Nichtigkeit der abgegebenen Willenserklärungen nicht allein das 50 %ige Investment in den Teil-Fonds, den amerikanischen Sekundärmarkt betreffend, sondern das Gesamtinvestment und das einheitliche Beratungsverhältnis zwischen den Parteien. Es ist nicht anzunehmen ist, dass das Teil-Investment in die britischen Kapitallebensversicherungen allein Gegenstand eigenständiger Vertragsverhältnisse hätte werden sollen. Diese Wertung folgt insbesondere auch aus der Klagebegründung, die mit Aufklärungsmängeln die amerikanischen Lebensversicherungen betreffend eine Gesamtrückabwicklung der Kapitalanlage zu begründen versucht.


Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.


Nach § 817 Satz 2 BGB ist die bereicherungsrechtliche Rückforderung der ausgetauschten Leistungen ausgeschlossen, da beiden Parteien gleichermaßen ein Verstoß gegen die guten Sitten zur Last zu legen ist. Sowohl die Beklagte als „Vertreiberin" des entsprechenden Produktes als auch der Klägerin als „Anlegerin", die, wie in der Klagebegründung ausgeführt ist, eine umso höhere Rendite erzielt „je früher eine versicherte Person stirbt" und damit „auf ein rasches Ableben der versicherten Personen hofft", verstoßen in gleicher Weise mit dem Abschluss der auf ein derartiges Investment gerichteten Verträge gegen die guten Sitten. Dieser Sittenverstoß geschah auch beiderseits bewusst. Zur Verwirklichung der subjektiven Komponenten des § 817 Satz 2 BGB ist es hinreichend, dass der Betreffende die Sittenwidrigkeit kennt oder sich der entsprechenden Einsicht leichtfertig verschließt (BGH NJW 2005, 1490). In der von der Beklagten zu verantwortenden „Ergänzenden Produkterläuterung" (Bl. 32 d.A.) ist ausgeführt, dass aus „ethischen Gründen" der Erwerb von Policen von Personen, die krankheitsbedingt eine Lebenserwartung von weniger als 2 Jahren haben, ausgeschlossen ist. Damit wird deutlich, dass sich die Beklagte einer unter ethischen Gesichtspunkten zumindest grenzwertigen Konzeption der streitgegenständlichen Anlage bewusst war. Es kommt zum Ausdruck, dass auch die Beklagte den Erwerb von Policen todkranker Personen als unethisch qualifiziert. Damit kommt das Bewusstsein zutage, dass die Konzeption einer „Kapitalanlage" die auf das schnellstmögliche Ableben versicherter Mitmenschen setzt, sich ethisch im Grenzbereich des Hinnehmbaren bewegt. Damit ist zu erkennen, dass bei der Beklagten grundsätzlich die Zweifelhaftigkeit eines derartigen „Anlagemodells" mit einer an das Ableben von Mitmenschen geknüpften Renditeerwartung erkannt wurde. Da durch die subjektiven Anforderungen des § 817 Satz 2 BGB ein etwaiges „abgehärtete Gewissen" und „unterentwickeltes Moralempfinden" nicht belohnt werden sollen (Münchener Kommentar - Schwab § 817 BGB, 68), ist es ausreichend, dass sich die Beklagte jedenfalls der ohne weiteres zutage liegenden Erkenntnis verschlossen hat, dass nicht nur das Hoffen auf eine Rendite durch ein Versterben Todkranker, sondern allgemein ein Renditestreben, das auf ein alsbaldiges Ableben von Mitmenschen setzt, sittlich anstößig ist.


Rechtsfolge der Erfüllung der Voraussetzung des § 817 Satz 2 BGB ist es, dass die Rückabwicklung des anstößigen Geschäftes nicht gerichtlich durchsetzbar ist. Wer sich selbst außerhalb der Sitten- oder Rechtsordnung stellt, soll für die betreffenden Rechtshandlungen keinen Rechtschutz erlangen können (BGHZ 36, 395). Einschränkungen dieses Grundsatzes im Einzelfalle sind nicht gerechtfertigt. Umstände, die aus Billigkeitsgründen oder aus Gründen des Schutzzwecks der verletzten Norm eine Relativierung des aus § 817 Satz 2 BGB folgenden Ergebnisses erfordern würden, liegen nicht vor.

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