BGH: Sekundärer Vergütungsanspruch des Verwalters
BGH, Beschluss vom 7.2.2013 - IX ZB 75/12
Leitsatz
Der sekundäre Vergütungsanspruch des Verwalters oder Treuhänders gegen die Staatskasse setzt voraus, dass die Verfahrenskostenstundung für den jeweiligen Verfahrensabschnitt tatsächlich gewährt worden ist.
InsO § 63 Abs. 2
Sachverhalt
I. Der Antragsteller begehrt als vom Insolvenzgericht bestellter Treuhänder in der Wohlverhaltensperiode des Schuldners die für das zweite und dritte Jahr festgesetzte Treuhändervergütung aus der Staatskasse.
Der Schuldner beantragte am 20. September 2007 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen sowie die Bewilligung der Stundung der Verfahrenskosten für das Eröffnungsverfahren, das Hauptverfahren und das Restschuldbefreiungsverfahren. Das Insolvenzgericht stundete mit Beschluss vom 26. September 2007 dem Schuldner die Verfahrenskosten für das Eröffnungsverfahren und das Hauptverfahren, eröffnete mit Beschluss vom 27. September 2007 das Insolvenzverfahren und bestellte den jetzigen Treuhänder zum Insolvenzverwalter. Mit Beschluss vom 2. April 2009 kündigte es dem Schuldner Restschuldbefreiung an, bestellte den Treuhänder und hob das Verfahren auf; über den Antrag auf Verfahrenskostenstundung für das Restschuldbefreiungsverfahren entschied es nicht.
Der Treuhänder entnahm die Mindestvergütung für das erste Jahr der Wohlverhaltensperiode als Vorschuss der Masse. Den Rest der Masse kehrte er an die Gerichtskasse auf die Verfahrenskosten aus. Einnahmen erzielte der Schuldner nicht. Mit Schreiben vom 16. Juni 2011 zeigte der Treuhänder an, dass der Schuldner trotz Aufforderung die Mindestvergütung für das zweite Jahr nicht bezahlt habe, regte die Entscheidung über den Stundungsantrag an und beantragte für den Fall, dass die Stundung nicht gewährt werde, dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen.
Auf die Aufforderung des Amtsgerichts an den Schuldner, die Mindestvergütung zu zahlen und zur Prüfung seines Stundungsantrages seine Einnahmen nachzuweisen, reagierte der Schuldner nicht. Mit rechtskräftigem Beschluss vom 19. Juli 2011 wies das Amtsgericht den Antrag auf Verfahrenskostenstundung zurück. Mit rechtskräftigem Beschluss vom 29. August 2011 versagte es die Restschuldbefreiung wegen Nichtzahlung der Mindestvergütung des Treuhänders.
Auf Antrag des Treuhänders hat das Amtsgericht dessen Vergütung mit Beschluss vom 9. November 2011 auf 300 € zuzüglich 57 € Umsatzsteuer, zusammen 357 € festgestellt und ausgeführt, dass die Vergütung vollständig beglichen sei. Auf Berichtigungsantrag des Treuhänders ist mit Beschluss vom 24. Februar 2012 der Beschluss vom 9. November 2011 dahin berichtigt worden, dass auf die festgesetzte Vergütung von 357 € lediglich der entnommene Vorschuss von 119 € anzurechnen sei.
Mit Beschluss vom 27. März 2012 hat das Insolvenzgericht den Antrag des Treuhänders, ihm den Restbetrag von 238 € aus der Staatskasse zu vergüten, zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Treuhänder sein Zahlungsbegehren gegen die Staatskasse weiter.
Aus den Gründen
7 II. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 4 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) und zulässig (§ 575 ZPO). Sie ist jedoch unbegründet.
8 1. Das Beschwerdegericht hat gemeint, ein Anspruch gegen die Staatskasse nach § 293 Abs. 2, § 63 Abs. 2 InsO bestehe nicht, weil die Kosten dem Schuldner für die Wohlverhaltensperiode nicht gestundet worden seien. Eine analoge Anwendung des § 63 Abs. 2 InsO komme nicht in Betracht. Es fehle an einem Vertrauensschutztatbestand, weil dem Schuldner für diesen Verfahrensabschnitt zu keinem Zeitpunkt Verfahrenskostenstundung gewährt worden sei. Auch aus der in § 4a Abs. 3 Satz 3 InsO angeordneten Vorwirkung des Stundungsantrages ergebe sich insoweit für den Treuhänder nichts. Zwar sei das Vorgehen des Insolvenzgerichts, das ständig so verfahre, nicht gesetzeskonform und habe möglicherweise zum Ziel, eine Belastung der Staatskasse zu vermeiden. Über Amtshaftungsansprüche sei hier aber nicht zu entscheiden.
9 2. Demgegenüber hält die Rechtsbeschwerde eine analoge Anwendung des § 63 Abs. 2 InsO für geboten. Der Gesetzgeber habe dem Treuhänder nicht das Ausfallrisiko für den Fall aufbürden wollen, dass das Insolvenzgericht nicht zeitnah über den Stundungsantrag des Schuldners entscheide. Vielmehr habe es die Mitwirkung von Insolvenzverwaltern auch in massearmen Verfahren sicherstellen wollen. Er dürfe durch eine verfahrenswidrige Handhabung nicht benachteiligt werden. Hätte das Insolvenzgericht zu Beginn der Wohlverhaltensperiode über die Verfahrenskostenstundung entschieden, hätte es die Stundung bewilligt. Dann hätte eine spätere Aufhebung der Stundung an der Ausfallhaftung des Staates nichts mehr geändert. Der Treuhänder dürfe nach § 4a Abs. 3 Satz 3 InsO bis zu einer gegenteiligen Entscheidung darauf vertrauen, dass die Stundung erfolgen werde und er die Vergütung und Auslagen aus der Staatskasse erhalte.
10 3. Die Ausführungen des Beschwerdegerichts halten rechtlicher Prüfung stand. Dem Treuhänder steht kein Anspruch gegen die Staatskasse für seine Vergütung und Auslagen zu.
11 a) Dem Treuhänder in der Wohlverhaltensperiode steht nach § 293 Abs. 1 InsO, § 14 InsVV eine Vergütung für seine Tätigkeit und ein Anspruch auf Erstattung angemessener Auslagen zu. Die Vergütung erhält er gemäß § 14 Abs. 2 InsVV aus den aufgrund der Abtretung nach § 287 Abs. 2 InsO eingehenden Beträgen. Reichen diese nicht aus, um die Mindestvergütung zu decken, obliegt es gemäß § 298 Abs. 1 InsO dem Schuldner, hierfür aufzukommen. Das gilt gemäß § 298 Abs. 1 Satz 2 InsO dann nicht, wenn die Kosten des Insolvenzverfahrens nach § 4a InsO gestundet wurden. Gemäß § 293 Abs. 2 InsO gilt dann § 63 Abs. 2 InsO entsprechend. Sind die Kosten des Verfahrens nach § 4a InsO gestundet, steht dem Treuhänder deshalb für seine Vergütung und seine Auslagen ein Anspruch gegen die Staatskasse zu.
12 Dem Schuldner sind die Verfahrenskosten für die Wohlverhaltensperiode nicht gestundet worden. Der Umstand, dass sie für das Eröffnungsverfahren und das Insolvenzverfahren gestundet waren, genügt nicht. Soweit in § 298 Abs. 1 Satz 2 InsO darauf abgestellt wird, ob die Kosten des Insolvenzverfahrens gestundet wurden, ist hier die Stundung für die Wohlverhaltensperiode maßgebend. Die Stundung erfolgt für jeden Verfahrensabschnitt gemäß § 4a Abs. 3 Satz 2 InsO gesondert. Hier geht es allein um die Kosten der Wohlverhaltensperiode. Die Stundung der Kosten für frühere Verfahrensabschnitte ist unerheblich. Das sieht auch die Rechtsbeschwerde nicht anders.
13 b) Eine entsprechende Anwendung des § 63 Abs. 2 InsO hat das Beschwerdegericht zutreffend abgelehnt. Es besteht keine planwidrige Regelungslücke, die im Wege der Analogie geschlossen werden müsste. Insbesondere ist eine Analogie nicht aus Gründen des Vertrauensschutzes zugunsten des Treuhänders geboten.
14 aa) § 63 Abs. 2 InsO gewährt dem Insolvenzverwalter (Treuhänder) einen Anspruch gegen die Staatskasse nur, wenn die Kosten des Verfahrens (-abschnitts) nach § 4a InsO gestundet wurden. Außerhalb der Stundungsfälle kommt eine Subsidiärhaftung der Staatskasse grundsätzlich nicht in Betracht. § 63 Abs. 2 InsO ist selbst eine Ausnahmevorschrift, die grundsätzlich eng auszulegen ist. Beantragt der hierzu berechtigte Schuldner keine Kostenstundung, wird diese versagt oder handelt es sich um eine juristische Person, liegt das volle Kostenerstattungsrisiko beim Insolvenzverwalter (Treuhänder). Wenn der Gesetzgeber dies nicht gewollt hätte, hätte er § 63 Abs. 2 InsO nicht auf den Fall der erteilten Kostenstundung beschränkt (BGH, Beschluss vom 22. Januar 2004 - IX ZB 123/03, BGHZ 157, 370, 372 ff). Dies ist verfassungsrechtlich unbedenklich (BGH, aaO S. 375 ff).
15 bb) Allerdings hat der Senat eine Analogie für geboten erachtet, wenn dem Schuldner Verfahrenskostenstundung tatsächlich gewährt, diese jedoch später wieder entzogen wurde. Der Gesetzgeber hat diesen Fall nicht bedacht. Insoweit besteht eine planwidrige Regelungslücke. Denn es widerspräche Sinn und Zweck des Gesetzes, wenn die Aufhebung der Stundung dazu führen würde, dass der Insolvenzverwalter die Sicherung seines Anspruchs verlöre. Der Insolvenzverwalter kann nämlich bei Amtsübernahme in der Regel nicht wissen, ob dem Schuldner die Verfahrenskostenstundung später wieder entzogen wird. Er kann und soll sich aber auf die gewährte Stundung verlassen, weil der Gesetzgeber die Mitwirkung des Insolvenzverwalters auch in massearmen und masselosen Verfahren sicherstellen will. Allerdings besteht dieser Vertrauensschutz nur, soweit eine Vergütung eingefordert wird für Tätigkeiten, die vor der Aufhebung der Stundung erbracht wurden (BGH, Beschluss vom 15. November 2007 - IX ZB 74/07, ZInsO 2008, 111 Rn. 11 ff, 17; vom 3. Dezember 2009 - IX ZA 36/09 Rn. 3 nv).
16 cc) Eine vergleichbare Regelungslücke besteht auch unter Vertrauensschutzgesichtspunkten im vorliegenden Fall nicht. Eine Verfahrenskostenstundung für die Wohlverhaltensperiode ist zu keinem Zeitpunkt gewährt worden. Auf sie konnte sich der Treuhänder demgemäß nicht verlassen. Ein zwingendes, vom Gesetzgeber übersehenes Schutzbedürfnis ergibt sich zugunsten des Verwalters oder Treuhänders auch nicht aus anderen Überlegungen.
17 (1) Ein Vertrauenstatbestand zugunsten des Treuhänders folgt nicht aus der gewährten Verfahrenskostenstundung für das Eröffnungs und das Hauptverfahren. Aus der insoweit am 26. September 2007 getroffenen Entscheidung konnte der Treuhänder nichts für sich ableiten, weil § 4a Abs. 3 Satz 2 InsO für die einzelnen Verfahrensabschnitte gesonderte Entscheidungen verlangt. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Verfahrenskostenstundung für die Wohlverhaltensperiode wäre, wenn das Insolvenzgericht pflichtgemäß bei Ankündigung der Restschuldbefreiung darüber entschieden hätte, dieser Zeitpunkt gewesen, also der April 2009. Was sich bei einer Aufforderung an den Schuldner, zu diesem Zeitpunkt zu den Voraussetzungen der Stundung vorzutragen, ergeben hätte, ist nicht bekannt.
18 (2) Demgemäß kommt auch dem Umstand kein vertrauensbildender Charakter zugunsten des Treuhänders zu, dass der Schuldner bereits mit seinem Eröffnungsantrag Verfahrenskostenstundung auch für die Wohlverhaltensperiode beantragt hatte. Über diesen Kostenstundungsantrag hätte zwar in angemessener Zeit entschieden werden müssen. Durch eine verspätete Entscheidung darf der Schuldner nicht benachteiligt werden (BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2010 - IX ZB 259/09, ZInsO 2010, 2099 Rn. 9). Für den Treuhänder ergibt sich daraus aber nichts, weil er von der fehlenden Entscheidung wusste und spätestens nach Verbrauch der Masse am Ende des ersten Jahres der Wohlverhaltensperiode selbst auf die Entscheidung über die Kostenstundung auch im Hinblick auf die Sicherung seiner Vergütung hätte hinwirken können.
19 (3) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde folgt auch aus § 4a Abs. 3 Satz 3 InsO nichts Gegenteiliges für den Treuhänder (aA wohl LG Göttingen, ZInsO 2011, 397). Dieser konnte nicht schon nach Beantragung der Verfahrenskostenstundung für das Restschuldbefreiungsverfahren darauf vertrauen, dass die Verfahrenskostenstundung auch gewährt werden würde. Nach § 4a Abs. 3 Satz 3 InsO treten bis zur Entscheidung über die Stundung deren Wirkungen nicht generell vorläufig ein, sondern nur teilweise, nämlich in dem in § 4a Abs. 3 Satz 1 InsO genannten Umfang; dies betrifft die Ansprüche der Bundes oder Landeskasse und die Ansprüche des nach § 4a Abs. 2 InsO beigeordneten Anwalts. Die Vergütung des Insolvenzverwalters oder Treuhänders wird davon nicht berührt.
20 Soweit in der Literatur für derartige Fälle ein Vertrauensschutz für das erste Jahr der Wohlverhaltensperiode befürwortet wird (I. Pape/G. Pape, ZInsO 2012, 1, 4), liegen hier schon die entsprechenden Gegebenheiten nicht vor, weil die Vergütung für das erste Jahr aus der Masse ohnehin gedeckt war. Grund für einen Vertrauensschutz wegen bewilligter Stundung für die vorhergehenden Verfahrensabschnitte besteht wegen der unterschiedlichen maßgeblichen Beurteilungszeitpunkte nicht.
21 (4) Soweit die Beschwerde schließlich meint, aus Vertrauensschutzgründen müsse der Treuhänder so gestellt werden, als sei bei Beginn der Wohlverhaltensperiode Verfahrenskostenstundung bewilligt und im Versagungszeitpunkt wieder entzogen worden, kann auch dem nicht gefolgt werden. Es ist, wie ausgeführt, völlig offen, ob zu diesem früheren Zeitpunkt die Voraussetzungen für die Bewilligung der Verfahrenskostenstundung für die Wohlverhaltensperiode überhaupt vorlagen und ob der Schuldner die erforderlichen Erklärungen zu den Voraussetzungen zu diesem Zeitpunkt abgegeben hätte (vgl. zu der Notwendigkeit hierzu BGH, Beschluss vom 24. Juli 2003 - IX ZB 539/02, BGHZ 156, 92, 94). Jedenfalls fehlt es an einer positiven Stundungsentscheidung als Anknüpfungspunkt für ein schutzwürdiges Vertrauen.
22 (5) Ob der Treuhänder wegen der offenbar systematisch rechtswidrigen Verzögerung der Stundungsentscheidungen durch das Insolvenzgericht Amtshaftungsansprüche geltend machen kann, ist hier nicht zu entscheiden.