EuGH: Schutz von Kronzeugeninformationen – Prüfungskompetenz des Anhörungsbeauftragten
EuGH, Urteil vom 14.3.2017 – C-162/15 P, Evonik Degussa GmbH gegen Europäische Kommission
ECLI:EU:C:2017:205
Volltext des Urteils: BB-ONLINE BBL2017-908-1
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Tenor
1. Das Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 28. Januar 2015, Evonik Degussa/Kommission (T‑341/12, EU:T:2015:51), wird insoweit aufgehoben, als das Gericht damit entschieden hat, dass der Anhörungsbeauftragte zu Recht seine Zuständigkeit dafür verneint habe, auf die Einwände einzugehen, die die Evonik Degussa GmbH auf der Grundlage der Wahrung der Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Gleichbehandlung gegen die geplante Veröffentlichung einer nicht vertraulichen detaillierten Fassung der Entscheidung K(2006) 1766 endg. der Kommission vom 3. Mai 2006 in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] und Artikel 53 EWR-Abkommen gegen Akzo Nobel, Akzo Nobel Chemicals Holding AB, Eka Chemicals AB, Degussa AG, Edison SpA, FMC Corporation, FMC Foret SA, Kemira OYJ, L’Air Liquide SA, Chemoxal SA, Snia SpA, Caffaro Srl, Solvay SA/NV, Solvay Solexis SpA, Total SA, Elf Aquitaine SA und Arkema SA (Sache COMP/F/38.620 – Wasserstoffperoxid und Perborat) erhoben hatte.
2. Im Übrigen wird das Rechtsmittel zurückgewiesen.
3. Der Beschluss C(2012) 3534 final der Kommission vom 24. Mai 2012 über die Ablehnung eines Antrags der Evonik Degussa GmbH auf vertrauliche Behandlung wird insoweit für nichtig erklärt, als darin der Anhörungsbeauftragte seine Zuständigkeit dafür verneint hat, auf die in Nr. 1 des Tenors des vorliegenden Urteils genannten Einwände einzugehen.
4. Die Evonik Degussa GmbH und die Europäische Kommission tragen ihre eigenen Kosten.
Sachverhalt
Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Evonik Degussa GmbH die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 28. Januar 2015, Evonik Degussa/Kommission (T‑341/12, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2015:51), mit dem das Gericht ihre Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses C(2012) 3534 final der Kommission vom 24. Mai 2012 (Sache COMP/38.620 – Wasserstoffperoxid und Perborat, im Folgenden: streitiger Beschluss) über die Ablehnung eines Antrags der Rechtsmittelführerin auf vertrauliche Behandlung nach Artikel 8 des Beschlusses 2011/695/EU des Präsidenten der Europäischen Kommission vom 13. Oktober 2011 über Funktion und Mandat des Anhörungsbeauftragten in bestimmten Wettbewerbsverfahren (ABl. 2011, L 275, S. 29) abgewiesen hat.
Rechtlicher Rahmen
Verordnung (EG) Nr. 1/2003
Art. 28 („Berufsgeheimnis“) der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln [101] und [102 AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) lautet:
„(1) Unbeschadet der Artikel 12 und 15 dürfen die gemäß den Artikeln 17 bis 22 erlangten Informationen nur zu dem Zweck verwertet werden, zu dem sie eingeholt wurden.
(2) Unbeschadet des Austauschs und der Verwendung der Informationen gemäß den Artikeln 11, 12, 14, 15 und 27 sind die Kommission und die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten und ihre Beamten, ihre Bediensteten und andere unter ihrer Aufsicht tätigen Personen sowie die Beamten und sonstigen Bediensteten anderer Behörden der Mitgliedstaaten verpflichtet, keine Informationen preiszugeben, die sie bei der Anwendung dieser Verordnung erlangt oder ausgetauscht haben und die ihrem Wesen nach unter das Berufsgeheimnis fallen. Diese Verpflichtung gilt auch für alle Vertreter und Experten der Mitgliedstaaten, die an Sitzungen des Beratenden Ausschusses nach Artikel 14 teilnehmen.“
Art. 30 („Veröffentlichung von Entscheidungen“) der Verordnung bestimmt:
„(1) Die Kommission veröffentlicht die Entscheidungen, die sie nach den Artikeln 7 bis 10 sowie den Artikeln 23 und 24 erlässt.
(2) Die Veröffentlichung erfolgt unter Angabe der Beteiligten und des wesentlichen Inhalts der Entscheidung einschließlich der verhängten Sanktionen. Sie muss dem berechtigten Interesse der Unternehmen an der Wahrung ihrer Geschäftsgeheimnisse Rechnung tragen.“
Beschluss 2011/695
Im achten Erwägungsgrund des Beschlusses 2011/695 heißt es:
„Der Anhörungsbeauftragte sollte ein unabhängiger Schiedsmann sein, der Fragen und Probleme in Bezug auf die effektive Wahrung der Verfahrensrechte der Parteien … zu lösen versucht, wenn die Fragen bzw. Probleme nicht vorab im Kontakt mit den für das Wettbewerbsverfahren zuständigen Kommissionsdienststellen, die diese Verfahrensrechte wahren müssen, gelöst werden konnten.“
Nach dem neunten Erwägungsgrund des Beschlusses sollte „[d]as Mandat des Anhörungsbeauftragten in Wettbewerbsverfahren … so ausgestaltet sein, dass die effektive Wahrung der Verfahrensrechte in Kommissionsverfahren nach den Artikeln 101 und 102 AEUV … insbesondere bezüglich des Anspruchs auf rechtliches Gehör gewährleistet ist“.
Nach Art. 1 Abs. 1 des Beschlusses 2011/695 sind die Befugnisse und die Aufgaben des Anhörungsbeauftragten für Wettbewerbsverfahren in diesem Beschluss dargelegt.
Art. 1 Abs. 2 des Beschlusses definiert die Rolle dieses Anhörungsbeauftragten so, dass er „die effektive Wahrung der Verfahrensrechte über den gesamten Verlauf von Wettbewerbsverfahren der Kommission zur Umsetzung der Artikel 101 und 102 AEUV“ gewährleistet.
Art. 8 des Beschlusses in dessen Kapitel 4 („Akteneinsicht, Vertraulichkeit und Geschäftsgeheimnisse“) sieht vor:
„(1) Beabsichtigt die Kommission, Informationen offenzulegen, die ein Geschäftsgeheimnis oder eine sonstige vertrauliche Information eines Unternehmens oder einer Person darstellen können, so setzt die Generaldirektion Wettbewerb das betreffende Unternehmen bzw. die betreffende Person davon unter Angabe der Gründe schriftlich in Kenntnis. Es wird eine Frist festgesetzt, innerhalb deren sich das Unternehmen bzw. die Person hierzu schriftlich äußern kann.
(2) Ist das betreffende Unternehmen bzw. die betreffende Person mit der Offenlegung der Informationen nicht einverstanden, so kann sie in der Angelegenheit den Anhörungsbeauftragten anrufen. Kommt der Anhörungsbeauftragte zu dem Ergebnis, dass die Informationen offengelegt werden dürfen, da es sich nicht um ein Geschäftsgeheimnis oder sonstige vertrauliche Informationen handelt oder da ein übergeordnetes Interesse an der Offenlegung besteht, so wird dies in einem mit Gründen versehenen Beschluss niedergelegt, der dem betreffenden Unternehmen bzw. der betreffenden Person zugestellt wird. Der Beschluss nennt den Tag, ab dem die Informationen offengelegt werden. Die Offenlegung darf frühestens eine Woche nach Zustellung des Beschlusses erfolgen.
(3) Absätze 1 und 2 gelten entsprechend für die Offenlegung von Informationen durch Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union.
…“
Verordnung (EG) Nr. 1049/2001
Art. 4 Abs. 2, 3 und 7 der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (ABl. 2001, L 145, S. 43) sieht vor:
„(2) Die Organe verweigern den Zugang zu einem Dokument, durch dessen Verbreitung Folgendes beeinträchtigt würde:
– der Schutz der geschäftlichen Interessen einer natürlichen oder juristischen Person, einschließlich des geistigen Eigentums,
– der Schutz von Gerichtsverfahren und der Rechtsberatung,
– der Schutz des Zwecks von Inspektions-, Untersuchungs- und Audittätigkeiten,
es sei denn, es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung.
(3) Der Zugang zu einem Dokument, das von einem Organ für den internen Gebrauch erstellt wurde oder bei ihm eingegangen ist und das sich auf eine Angelegenheit bezieht, in der das Organ noch keinen Beschluss gefasst hat, wird verweigert, wenn eine Verbreitung des Dokuments den Entscheidungsprozess des Organs ernstlich beeinträchtigen würde, es sei denn, es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung.
Der Zugang zu einem Dokument mit Stellungnahmen zum internen Gebrauch im Rahmen von Beratungen und Vorgesprächen innerhalb des betreffenden Organs wird auch dann, wenn der Beschluss gefasst worden ist, verweigert, wenn die Verbreitung des Dokuments den Entscheidungsprozess des Organs ernstlich beeinträchtigen würde, es sei denn, es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung.
…
(7) Die Ausnahmen gemäß den Absätzen 1 bis 3 gelten nur für den Zeitraum, in dem der Schutz aufgrund des Inhalts des Dokuments gerechtfertigt ist. Die Ausnahmen gelten höchstens für einen Zeitraum von 30 Jahren. Im Falle von Dokumenten, die unter die Ausnahmeregelungen bezüglich der Privatsphäre oder der geschäftlichen Interessen fallen, und im Falle von sensiblen Dokumenten können die Ausnahmen erforderlichenfalls nach Ablauf dieses Zeitraums weiter Anwendung finden.“
Mitteilung der Kommission von 2002 über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen
Rn. 4 der Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. 2002, C 45, S. 3, im Folgenden: Mitteilung von 2002 über Zusammenarbeit) bestimmt:
„Die Kommission ist der Auffassung, dass die [Union] ein Interesse daran hat, Unternehmen, die mit ihr zusammenarbeiten, Rechtsvorteile zu gewähren. Das Interesse der Verbraucher und Bürger an der Aufdeckung und Ahndung von Kartellen ist größer als das Interesse an der Verhängung von Geldbußen gegen Unternehmen, die es der Kommission ermöglichen, solche Verhaltensweisen aufzudecken und zu untersagen.“
Rn. 6 der Mitteilung lautet:
„Die Kommission ist der Auffassung, dass die Mithilfe eines Unternehmens bei der Aufdeckung eines Kartells einen Wert an sich darstellt. Ein entscheidender Beitrag zur Einleitung von Ermittlungen oder zum Nachweis eines Kartells kann den vollständigen Erlass der Geldbuße für das betreffende Unternehmen rechtfertigen, sofern bestimmte zusätzliche Voraussetzungen erfüllt sind.“
Rn. 21 der Mitteilung von 2002 über Zusammenarbeit lautet:
„Um für eine Ermäßigung der Geldbuße in Betracht zu kommen, muss das Unternehmen der Kommission Beweismittel für die mutmaßliche Zuwiderhandlung vorlegen, die gegenüber den bereits im Besitz der Kommission befindlichen Beweismitteln einen erheblichen Mehrwert darstellen, und seine Beteiligung an der mutmaßlich rechtswidrigen Handlung spätestens zum Zeitpunkt der Beweisvorlage einstellen.“
Rn. 29 der Mitteilung lautet:
„Die Kommission ist sich der Tatsache bewusst, dass die Mitteilung berechtigte Erwartungen begründet, auf die sich die Unternehmen, die der Kommission das Bestehen eines Kartells darlegen, berufen können.“
Die Rn. 31 bis 33 der Mitteilung lauten:
„31. In Übereinstimmung mit der Entscheidungspraxis der Kommission wird die Zusammenarbeit des Unternehmens mit der Kommission während des Verwaltungsverfahrens in der Entscheidung erwähnt, um den Erlass oder die Ermäßigung der Geldbuße zu begründen. Die Gewährung eines Geldbußenerlasses oder einer Geldbußenermäßigung lässt die zivilrechtlichen Folgen für ein Unternehmen wegen seiner Beteiligung an einer Zuwiderhandlung gegen Artikel [101 AEUV] unberührt.
32. Nach Ansicht der Kommission steht die Offenlegung von Unterlagen, die die Kommission auf der Grundlage dieser Mitteilung erhalten hat, im Allgemeinen dem Schutz des Zwecks von Inspektions- und Untersuchungstätigkeiten im Sinne von Artikel 4 Absatz 2 der Verordnung … Nr. 1049/2001 entgegen.
33. Ein an die Kommission gerichteter Schriftsatz im Zusammenhang mit dieser Mitteilung ist Bestandteil der bei der Kommission geführten Akte. Dieses Dokument darf zu keinem anderen Zweck als zur Anwendung von Artikel [101 AEUV] verwendet oder offengelegt werden.“
Mitteilung der Kommission von 2006 über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen
Rn. 40 der Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. 2006, C 298, S. 17, im Folgenden: Mitteilung von 2006 über Zusammenarbeit) sieht vor:
„Nach Ansicht der Kommission läuft die öffentliche Bekanntmachung von Unterlagen sowie schriftlichen und aufgezeichneten Erklärungen, die die Kommission auf der Grundlage dieser Mitteilung erhalten hat, im Allgemeinen gewissen öffentlichen und privaten Interessen (z. B. dem Schutz des Zwecks von Inspektions- und Untersuchungstätigkeiten) im Sinne von Artikel 4 der Verordnung … Nr. 1049/2001 sogar nach Fällung der Entscheidung entgegen.“
Vorgeschichte des Rechtsstreits
Die in den Rn. 1 bis 13 des angefochtenen Urteils dargestellte Vorgeschichte des Rechtsstreits lässt sich wie folgt zusammenfassen.
Am 3. Mai 2006 erließ die Europäische Kommission die Entscheidung K(2006) 1766 endg. in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] und Artikel 53 EWR-Abkommen gegen Akzo Nobel, Akzo Nobel Chemicals Holding AB, Eka Chemicals AB, Degussa AG, Edison SpA, FMC Corporation, FMC Foret SA, Kemira OYJ, L’Air Liquide SA, Chemoxal SA, Snia SpA, Caffaro Srl, Solvay SA/NV, Solvay Solexis SpA, Total SA, Elf Aquitaine SA und Arkema SA (Sache COMP/F/38.620 – Wasserstoffperoxid und Perborat) (im Folgenden: WPP-Entscheidung), von der eine Zusammenfassung im Amtsblatt der Europäischen Union (ABl. 2006, L 353, S. 54) veröffentlicht wurde.
In der WPP-Entscheidung stellte die Kommission u. a. fest, dass sich die Degussa AG, jetzt Evonik Degussa, gemeinsam mit 16 weiteren im Wasserstoffperoxid- und Perborat-Sektor tätigen Gesellschaften an einer Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG im Gebiet des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) beteiligt hatte. Da die Rechtsmittelführerin die erste Gesellschaft war, die mit der Kommission, im Dezember 2002, gemäß der Mitteilung von 2002 über Zusammenarbeit in Kontakt getreten war und mit der Kommission uneingeschränkt zusammengearbeitet hatte, indem sie ihr alle Informationen über die Zuwiderhandlung übermittelte, über die sie verfügte, wurde ihr gegenüber von der Verhängung einer Geldbuße vollständig abgesehen.
Im Jahr 2007 wurde eine erste nicht vertrauliche Fassung der WPP-Entscheidung auf der Website der Generaldirektion (GD) „Wettbewerb“ der Kommission veröffentlicht.
Mit Schreiben vom 28. November 2011 teilte die Kommission der Rechtsmittelführerin ihre Absicht mit, eine neue, detailliertere, nicht vertrauliche Fassung der WPP-Entscheidung (im Folgenden: erweiterte Fassung der WPP-Entscheidung) zu veröffentlichen, die mit Ausnahme vertraulicher Angaben den vollständigen Inhalt der genannten Entscheidung umfassen sollte. Bei dieser Gelegenheit forderte die Kommission die Rechtsmittelführerin auf, die Informationen in der WPP-Entscheidung zu bezeichnen, die vertraulich behandelt werden sollten.
Da die Rechtsmittelführerin der Auffassung war, dass diese erweiterte Fassung der WPP-Entscheidung vertrauliche Informationen und Geschäftsgeheimnisse enthalte, teilte sie der Kommission mit Schreiben vom 23. Dezember 2011 mit, dass sie gegen die geplante Veröffentlichung sei. Dabei stützte sie sich insbesondere darauf, dass die genannte Fassung zahlreiche Angaben, die sie der Kommission gemäß der Mitteilung von 2002 über Zusammenarbeit übermittelt habe, sowie die Namen mehrerer ihrer Mitarbeiter und Angaben zu ihren Geschäftsbeziehungen enthalte. Die geplante Veröffentlichung verstoße daher u. a. gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Gleichbehandlung und sei geeignet, die Untersuchungstätigkeit der Kommission zu beeinträchtigen.
Mit Schreiben vom 15. März 2012 teilte die Kommission der Rechtsmittelführerin mit, dass sie bereit sei, aus der zur Veröffentlichung bestimmten erweiterten Fassung der WPP-Entscheidung alle Angaben zu löschen, die es ermöglichten, unmittelbar oder mittelbar die Quelle der im Rahmen der Mitteilung von 2002 über Zusammenarbeit übermittelten Informationen zu ermitteln, und ebenso die Namen der Mitarbeiter der Rechtsmittelführerin zu entfernen. Was hingegen die übrigen Informationen anbelangte, bezüglich deren die Rechtsmittelführerin einen Antrag auf vertrauliche Behandlung gestellt hatte (im Folgenden: streitige Informationen), erachtete die Kommission eine vertrauliche Behandlung als nicht gerechtfertigt.
Die Rechtsmittelführerin nutzte daraufhin die Möglichkeit, sich nach dem Beschluss 2011/695 an den Anhörungsbeauftragten zu wenden, und ersuchte diesen, aus der erweiterten Fassung der WPP-Entscheidung jede Information zu entfernen, die sie im Rahmen der Mitteilung von 2002 über Zusammenarbeit übermittelt hatte.
Mit dem streitigen Beschluss lehnte der Anhörungsbeauftragte im Namen der Kommission die von der Rechtsmittelführerin eingereichten Anträge auf vertrauliche Behandlung ab.
Der Anhörungsbeauftragte betonte zunächst die Grenzen seines Mandats, das ihm lediglich erlaubt habe, zu überprüfen, ob eine Information als vertraulich zu betrachten sei, nicht aber, einer behaupteten Enttäuschung berechtigter Erwartungen der Rechtsmittelführerin gegenüber der Kommission abzuhelfen.
Außerdem führte er aus, dass die Rechtsmittelführerin der Veröffentlichung der erweiterten Fassung der WPP-Entscheidung nur widersprochen habe, weil diese Informationen enthalte, die aufgrund der Mitteilung von 2002 über Zusammenarbeit übermittelt worden seien, und die Übermittlung solcher Informationen an Dritte geeignet sei, ihr einen Schaden im Zusammenhang mit vor nationalen Gerichten erhobenen Schadensersatzklagen zu verursachen. Nach Ansicht des Anhörungsbeauftragten verfügt die Kommission aber bei der Entscheidung, ob sie mehr als den wesentlichen Inhalt ihrer Beschlüsse veröffentlicht, über ein weites Ermessen. Darüber hinaus stellten Verweise auf Unterlagen, die Teil der Verwaltungsakte seien, an sich keine Geschäftsgeheimnisse oder sonstigen vertraulichen Informationen dar.
Nach Auffassung des Anhörungsbeauftragten hat die Rechtsmittelführerin nicht belegt, dass ihr durch die Offenlegung der Informationen, die sie der Kommission übermittelt habe, um in den Genuss des von der Mitteilung von 2002 über Zusammenarbeit geregelten Kronzeugenprogramms zu kommen, ein ernsthafter Nachteil entstehen könne. Das Interesse eines Unternehmens, dem die Kommission eine Geldbuße wegen Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht auferlegt habe, daran, dass die Einzelheiten der ihm zur Last gelegten Zuwiderhandlung nicht der Öffentlichkeit preisgegeben würden, verdiene jedenfalls keinen besonderen Schutz. Insoweit wies der Anhörungsbeauftragte darauf hin, dass Schadensersatz ein fester Bestandteil der Wettbewerbspolitik der Europäischen Union sei und die Rechtsmittelführerin folglich kein berechtigtes Interesse geltend machen könne, gegen das Risiko geschützt zu werden, dass sie wegen ihrer Beteiligung an der in der WPP-Entscheidung genannten Zuwiderhandlung Schadensersatzforderungen ausgesetzt sei.
Der Anhörungsbeauftragte hielt sich zudem für nicht befugt, auf das Vorbringen der Rechtsmittelführerin einzugehen, wonach die Preisgabe von im Rahmen des Kronzeugenprogramms der Kommission übermittelten Informationen an Dritte dieses Programm beeinträchtige, da eine solche Frage die Grenzen seines Mandats überschreite. Hierzu wies er darauf hin, dass es – sofern die Informationen nicht vertraulich seien – nach der Rechtsprechung allein Sache der Kommission sei, zu beurteilen, inwieweit der tatsächliche und historische Kontext der festgestellten Zuwiderhandlung der Öffentlichkeit zur Kenntnis zu bringen sei.
Da sich das dem Anhörungsbeauftragten nach Art. 8 des Beschlusses 2011/695 übertragene Mandat auf die Prüfung beschränke, inwieweit es sich bei den Informationen um Geschäftsgeheimnisse oder sonstige vertrauliche Informationen handele, sei er schließlich auch nicht dafür zuständig, über das Vorbringen der Rechtsmittelführerin zu entscheiden, wonach die Veröffentlichung der im Rahmen des Kronzeugenprogramms übermittelten Informationen zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung gegenüber den übrigen Beteiligten an der in der WPP-Entscheidung festgestellten Zuwiderhandlung geführt habe.
Angefochtenes Urteil
Mit am 2. August 2012 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangener Klageschrift erhob die Rechtsmittelführerin Klage auf Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses.
Sie stützte ihre Klage auf fünf Klagegründe, mit denen sie erstens einen Verstoß gegen Art. 8 Abs. 2 und 3 des Beschlusses 2011/695, zweitens einen Begründungsmangel des streitigen Beschlusses, drittens eine Verletzung des Berufsgeheimnisses sowie der Vertraulichkeit von Informationen, die die Kommission veröffentlichen will, viertens eine Verletzung der Grundsätze des Vertrauensschutzes, der Rechtssicherheit und der Gleichbehandlung und fünftens einen Verstoß gegen das Zweckbindungsgebot nach Art. 28 der Verordnung Nr. 1/2003 und gegen Ziff. 48 der Mitteilung der Kommission über die Regeln für die Einsicht in Kommissionsakten in Fällen einer Anwendung der Artikel [101] und [102 AEUV], Artikel 53, 54 und 57 des EWR-Abkommens und der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates (ABl. 2005, C 325, S. 7) rügte.
Mit dem angefochtenen Urteil hat das Gericht die Klage als unbegründet abgewiesen.
Anträge der Parteien des Rechtsmittelverfahrens
Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Rechtsmittelführerin,
– das angefochtene Urteil aufzuheben,
– den streitigen Beschluss für nichtig zu erklären und
– der Kommission die Kosten aufzuerlegen.
Die Kommission beantragt, das Rechtsmittel insgesamt zurückzuweisen und der Rechtsmittelführerin die Kosten aufzuerlegen.
Aus den Gründen
Zum Rechtsmittel
35 Die Rechtsmittelführerin stützt ihr Rechtsmittel auf drei Gründe, mit denen sie erstens einen Verstoß gegen Art. 8 Abs. 2 und 3 des Beschlusses 2011/695, zweitens einen Verstoß gegen Art. 339 AEUV, Art. 30 der Verordnung Nr. 1/2003, Art. 4 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1049/2001, Art. 8 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) sowie Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) und drittens einen Verstoß gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit rügt.
Zum ersten Rechtsmittelgrund: Verstoß gegen Art. 8 Abs. 2 und 3 des Beschlusses 2011/695
36 Der erste Rechtsmittelgrund ist im Wesentlichen in zwei Teile gegliedert, die zum einen darauf gestützt sind, dass das Gericht die Befugnis verkannt habe, die dem Anhörungsbeauftragten hinsichtlich der Entscheidung über die Veröffentlichung von Informationen nach Art. 8 Abs. 2 und 3 des Beschlusses 2011/695 übertragen sei, und zum anderen darauf, dass das Gericht die von der Rechtsmittelführerin erhobene Rüge einer Verfälschung von Tatsachen und des streitigen Beschlusses zurückgewiesen habe.
Zum ersten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes
– Vorbringen der Parteien
37 Mit dem ersten Teil ihres ersten Rechtsmittelgrundes wirft die Rechtsmittelführerin dem Gericht vor, in den Rn. 42 bis 44 des angefochtenen Urteils einen Rechtsfehler begangen zu haben, als es entschieden habe, dass der Anhörungsbeauftragte nicht dafür zuständig sei, ihr Vorbringen zu prüfen, wonach die Veröffentlichung der erweiterten Fassung der WPP-Entscheidung gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Gleichbehandlung verstoße.
38 Die Kommission beantragt, den ersten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes zurückzuweisen, und macht geltend, der Anhörungsbeauftragte sei nicht dafür zuständig gewesen, ein solches Vorbringen zu prüfen, da diese Grundsätze nicht speziell das Ziel verfolgten, die Vertraulichkeit von Informationen oder Dokumenten zu schützen.
– Würdigung durch den Gerichtshof
39 Nach Art. 1 Abs. 1 des Beschlusses 2011/695 sind die Befugnisse und die Aufgaben des Anhörungsbeauftragten für Wettbewerbsverfahren in diesem Beschluss dargelegt.
40 Nach Art. 1 Abs. 2 des Beschlusses, wie er in dessen neuntem Erwägungsgrund erläutert wird, sollte das Mandat des Anhörungsbeauftragten so ausgestaltet sein, dass die effektive Wahrung der Verfahrensrechte in Kommissionsverfahren nach den Art. 101 und 102 AEUV und insbesondere bezüglich des Anspruchs auf rechtliches Gehör gewährleistet ist.
41 Insoweit geht aus Art. 8 Abs. 1 des Beschlusses 2011/695 hervor, dass in dem Fall, in dem die Kommission beabsichtigt, Informationen offenzulegen, die ein Geschäftsgeheimnis oder eine sonstige vertrauliche Information eines Unternehmens oder einer Person darstellen können, das betreffende Unternehmen bzw. die betreffende Person davon schriftlich in Kenntnis gesetzt und eine Frist festgesetzt wird, innerhalb deren sich das Unternehmen bzw. die Person hierzu schriftlich äußern kann.
42 Der Betroffene kann dann nach Art. 8 Abs. 2 des Beschlusses, wenn es sich seiner Ansicht nach um Informationen handelt, die ein Geschäftsgeheimnis oder eine sonstige vertrauliche Information darstellen können, ihrer Offenlegung entgegentreten, indem er den Anhörungsbeauftragten anruft. Kommt der Anhörungsbeauftragte zu dem Ergebnis, dass die fragliche Information offengelegt werden darf, da es sich nicht um ein Geschäftsgeheimnis oder sonstige vertrauliche Informationen handelt oder da ein übergeordnetes Interesse an der Offenlegung besteht, so hat er einen mit Gründen versehenen Beschluss zu erlassen, in dem der Tag genannt wird, ab dem die Information offengelegt werden und der frühestens eine Woche nach der Zustellung des Beschlusses liegen darf.
43 Art. 8 Abs. 3 des Beschlusses sieht schließlich vor, dass diese Bestimmungen entsprechend für die Offenlegung von Informationen durch Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union gelten.
44 Art. 8 des Beschlusses dient somit – wie das Gericht in Rn. 41 des angefochtenen Urteils entschieden hat – der verfahrensrechtlichen Umsetzung des nunmehr in Art. 28 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 vorgesehenen Schutzes, den das Unionsrecht Informationen gewährt, von denen die Kommission im Rahmen von Verfahren zur Anwendung der Wettbewerbsregeln Kenntnis erlangt hat.
45 Insbesondere sollen durch Art. 8 Abs. 2 des Beschlusses 2011/695 die Gründe klargestellt werden, aufgrund deren der Anhörungsbeauftragte annehmen darf, dass die Informationen, deren vertrauliche Behandlung der Betroffene beantragt, offengelegt werden dürfen. Aus der Bestimmung geht nämlich hervor, dass der Anhörungsbeauftragte annehmen darf, dass die Information offengelegt werden darf, wenn es sich in Wirklichkeit nicht um ein Geschäftsgeheimnis oder sonstige vertrauliche Informationen handelt oder wenn ein übergeordnetes Interesse an der Offenlegung besteht.
46 Zwar werden in dieser Bestimmung die Gründe angegeben, aufgrund deren der Anhörungsbeauftragte annehmen darf, dass eine Information offengelegt werden darf, doch schränkt sie nicht die sich aus Regeln oder Grundsätzen des Unionsrechts ergebenden Gründe ein, die der Betroffene geltend machen kann, um der geplanten Offenlegung zu widersprechen.
47 Im vorliegenden Fall machte die Rechtsmittelführerin vor dem Gericht im Wesentlichen geltend, dass die Beachtung der Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Gleichbehandlung einen legitimen Grund darstelle, der es rechtfertigen könne, den streitigen Informationen den Schutz des Unionsrechts gegen Offenlegung zukommen zu lassen, und dass der Anhörungsbeauftragte einen Rechtsfehler begangen habe, indem er nicht über die auf diese Grundsätze gestützten Einwände entschieden habe.
48 Insoweit hat das Gericht zunächst in Rn. 33 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass sich der Anhörungsbeauftragte bei einer Entscheidung nach Art. 8 des Beschlusses 2011/695 nicht auf die Prüfung beschränken dürfe, ob die Fassung einer ihm unterbreiteten Entscheidung, mit der ein Verstoß gegen Art. 101 AEUV geahndet worden sei, Geschäftsgeheimnisse oder andere Informationen enthalten habe, die einen ähnlichen Schutz genössen. Vielmehr habe er auch zu untersuchen, ob diese Fassung weitere Informationen enthalte, die der Öffentlichkeit nicht preisgegeben werden dürften, sei es aufgrund unionsrechtlicher Regelungen zu ihrem speziellen Schutz, sei es, weil sie zu denjenigen gehörten, die ihrem Wesen nach unter das Berufsgeheimnis fielen.
49 Das Gericht hat sodann in den Rn. 42 und 43 des angefochtenen Urteils im Wesentlichen die Ansicht vertreten, dass die von der Rechtsmittelführerin vor dem Anhörungsbeauftragten geltend gemachten Grundsätze der Wahrung des Vertrauensschutzes und der Gleichbehandlung keine Regeln darstellten, die speziell vor einer Offenlegung von Informationen wie denjenigen schützten, die die Rechtsmittelführerin der Kommission übermittelt habe, um in den Genuss der Kronzeugenregelung zu gelangen, und dass diese Grundsätze infolgedessen als solche nicht zu dem unionsrechtlich vorgesehenen Schutz von Informationen gehörten, von denen die Kommission in Verfahren zur Anwendung von Art. 101 AEUV Kenntnis erlangt habe.
50 Das Gericht ist in Rn. 43 des angefochtenen Urteils daher zu dem Ergebnis gekommen, dass diese Grundsätze den Rahmen des Auftrags überschritten, der dem Anhörungsbeauftragten nach Art. 8 des Beschlusses 2011/695 übertragen sei.
51 Wie in Rn. 44 des vorliegenden Urteils ausgeführt, dient Art. 8 des Beschlusses 2011/695 jedoch der verfahrensrechtlichen Umsetzung des Schutzes, den das Unionsrecht Informationen gewährt, von denen die Kommission im Rahmen von Verfahren zur Anwendung der Wettbewerbsregeln Kenntnis erlangt hat. Dieser Schutz ist dahin zu verstehen, dass er jeden Grund betrifft, der den Schutz der Vertraulichkeit der fraglichen Informationen rechtfertigen könnte.
52 Diese Auslegung wird zum einen durch Art. 8 Abs. 2 Satz 1 des Beschlusses 2011/695 bestätigt, der ohne weitere Einschränkung bestimmt, dass das betreffende Unternehmen bzw. die betreffende Person in der Angelegenheit den Anhörungsbeauftragten anrufen kann, wenn es bzw. sie mit der Offenlegung der Informationen nicht einverstanden ist.
53 Zum anderen liefe es dem in Art. 1 Abs. 2 des Beschlusses 2011/695 und in dessen neuntem Erwägungsgrund definierten Ziel des Mandats des Anhörungsbeauftragten, die effektive Wahrung der Verfahrensrechte zu gewährleisten, zuwider, wenn sich der Anhörungsbeauftragte nur zu einem Teil der Gründe, aus denen der Offenlegung einer bestimmten Information widersprochen werden kann, äußern könnte.
54 Die Tragweite von Art. 8 Abs. 2 des Beschlusses 2011/695 wäre stark begrenzt, wenn diese Bestimmung dahin auszulegen wäre, dass sie – wie das Gericht in Rn. 42 des angefochtenen Urteils entschieden hat – die Berücksichtigung nur der Regeln durch den Anhörungsbeauftragten erlaubt, die – wie die in der Verordnung (EG) Nr. 45/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2000 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft und zum freien Datenverkehr (ABl. 2001, L 8, S. 1) oder in der Verordnung Nr. 1049/2001 enthaltenen – speziell vor einer Offenlegung von Informationen schützen.
55 Daraus folgt, dass sich die Gründe, aus denen die Offenlegung von Informationen wie denjenigen, die die Rechtsmittelführerin der Kommission übermittelt hatte, um in den Genuss der Kronzeugenregelung zu gelangen, eingeschränkt werden kann, nicht auf diejenigen beschränken, die ausschließlich den Regeln zu entnehmen sind, die speziell diese Informationen vor einer Offenlegung schützen, und dass der Anhörungsbeauftragte daher jeden Einwand zu prüfen hat, der auf einen Grund gestützt ist, der Regeln oder Grundsätzen des Unionsrechts zu entnehmen ist und vom Betroffenen geltend gemacht wird, um den Schutz der Vertraulichkeit der fraglichen Informationen zu beanspruchen.
56 Daher hat das Gericht einen Rechtsfehler begangen, indem es in Rn. 44 des angefochtenen Urteils entschieden hat, dass der Anhörungsbeauftragte im vorliegenden Fall zu Recht seine Zuständigkeit dafür verneint habe, auf die Einwände einzugehen, die die Rechtsmittelführerin auf der Grundlage der Wahrung der Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Gleichbehandlung gegen die geplante Veröffentlichung erhoben habe.
57 Folglich greift der erste Teil des ersten Rechtsmittelgrundes durch, ohne dass dessen zweiter Teil geprüft zu werden braucht.
Zum zweiten Rechtsmittelgrund: Verstoß gegen Art. 339 AEUV, Art. 30 der Verordnung Nr. 1/2003, Art. 4 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1049/2001, Art. 8 EMRK und Art. 7 der Charta
58 Mit den vier Teilen des zweiten Rechtsmittelgrundes wirft die Rechtsmittelführerin dem Gericht vor, rechtsfehlerhaft festgestellt zu haben, dass die streitigen Informationen weder vertraulich noch aus anderen Gründen als ihrer Vertraulichkeit gegen eine etwaige Veröffentlichung geschützt seien.
Zum ersten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes
– Vorbringen der Parteien
59 Mit dem ersten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes macht die Rechtsmittelführerin geltend, das Gericht habe in den Rn. 84 bis 86 und 162 des angefochtenen Urteils zu Unrecht festgestellt, dass die streitigen Informationen ihre Vertraulichkeit schon deshalb eingebüßt hätten, weil sie älter als fünf Jahre seien. Diese Informationen seien weiterhin wesentlicher Bestandteil ihrer wirtschaftlichen Stellung, weil ihre Veröffentlichung für sie schwere Nachteile zur Folge haben könne, wie im Übrigen das Gericht festgestellt habe.
60 Die Rechtsprechung, die das Gericht in Rn. 84 des angefochtenen Urteils angeführt und auf die es sich zur Untermauerung dieser Feststellung gestützt habe, sei auf die vorliegende Rechtssache nicht übertragbar, da sie nicht die Veröffentlichung von Kronzeugeninformationen im Internet, sondern die Offenlegung von geheimen oder vertraulichen Informationen gegenüber anderen Beteiligten im Rahmen von anhängigen Verfahren vor den Unionsgerichten betreffe.
61 Darüber hinaus ergebe sich aus Art. 4 Abs. 7 der Verordnung Nr. 1049/2001, dass geschäftliche Interessen einer Veröffentlichung von Informationen selbst für einen längeren Zeitraum als 30 Jahre entgegenstehen könnten.
62 Wenn man schließlich die Vermutung zuließe, dass Kronzeugeninformationen nach fünf Jahren ihre Vertraulichkeit verlören, würde der Schutz von Kronzeugenerklärungen zunichtegemacht, da die Kartellverfahren der Kommission regelmäßig länger als fünf Jahre dauerten.
63 Die Kommission beantragt, den ersten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes zurückzuweisen.
– Würdigung durch den Gerichtshof
64 Was erstens das Vorbringen anbelangt, mit dem die Rechtsmittelführerin dem Gericht vorwirft, auf die Veröffentlichung der Informationen, die übermittelt worden seien, um in den Genuss der Kronzeugenregelung zu gelangen, eine Regel angewandt zu haben, die auf diesen Zusammenhang nicht übertragbar sei, ist festzustellen, dass Angaben, die geheim oder vertraulich waren, aber mindestens fünf Jahre alt sind, aufgrund des Zeitablaufs grundsätzlich als nicht mehr aktuell und deshalb als nicht mehr vertraulich anzusehen sind, wenn nicht ausnahmsweise die Partei, die sich auf die Vertraulichkeit beruft, nachweist, dass sie trotz ihres Alters immer noch wesentlicher Bestandteil ihrer eigenen oder der wirtschaftlichen Stellung eines betroffenen Dritten sind. Diese Erwägungen, die zu einer widerleglichen Vermutung führen, gelten sowohl im Zusammenhang von Anträgen auf vertrauliche Behandlung gegenüber Streithelfern im Rahmen von Rechtsbehelfen vor den Unionsgerichten als auch im Zusammenhang von Anträgen auf vertrauliche Behandlung im Hinblick auf die Veröffentlichung einer einen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht feststellenden Entscheidung durch die Kommission.
65 Im vorliegenden Fall hat das Gericht in Rn. 84 des angefochtenen Urteils diese Regel dargelegt und in Rn. 85 des Urteils festgestellt, dass die Rechtsmittelführerin, obgleich sämtliche der streitigen Informationen älter als fünf Jahre, die meisten von ihnen sogar älter als zehn Jahre seien, keine spezifischen Argumente vorgebracht habe, um nachzuweisen, dass diese Informationen trotz ihres Alters noch wesentliche Bestandteile ihrer eigenen oder der wirtschaftlichen Stellung eines Dritten darstellten. Die Rechtsmittelführerin habe lediglich angeführt, dass zahlreiche Abschnitte der erweiterten Fassung der WPP-Entscheidung neben der Schilderung der die Zuwiderhandlung begründenden Tatsachen Informationen über ihre Geschäftsbeziehungen und ihre Preispolitik enthielten.
66 Das Gericht hat in Rn. 86 des angefochtenen Urteils schließlich gefolgert, dass selbst dann, wenn man davon ausgehe, dass bestimmte der streitigen Informationen zu einer bestimmten Zeit Geschäftsgeheimnisse hätten darstellen können, diese Informationen jedenfalls als nicht mehr aktuell anzusehen seien. Überdies habe die Rechtsmittelführerin nicht nachgewiesen, dass es noch gerechtfertigt sei, ihnen ausnahmsweise den insoweit durch Art. 30 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 gewährten Schutz zuzugestehen.
67 Folglich enthalten die Ausführungen des Gerichts in den Rn. 84 bis 86 des angefochtenen Urteils keinen Rechtsfehler.
68 Zweitens rügt die Rechtsmittelführerin im Rahmen des ersten Teils des zweiten Rechtsmittelgrundes, dass zwischen der in Rn. 85 des angefochtenen Urteils enthaltenen Einschätzung der betreffenden Informationen als wegen ihres Alters nicht vertraulich und der in Rn. 105 des Urteils enthaltenen Einschätzung, wonach ihr durch die Veröffentlichung der Informationen ein schwerwiegender Nachteil entstehen könne, ein Widerspruch bestehe.
69 Insoweit ist jedoch festzustellen, dass dieses Vorbringen auf einem falschen Verständnis des angefochtenen Urteils beruht. In Rn. 85 des angefochtenen Urteils hat das Gericht das Alter der streitigen Informationen nämlich lediglich festgestellt, um den Antrag der Rechtsmittelführerin zurückzuweisen, mit dem sie den Schutz der Informationen als Geschäftsgeheimnisse oder vertrauliche geschäftliche Informationen erwirken wollte, während die Aussage des Gerichts in Rn. 105 des Urteils, wonach der Rechtsmittelführerin durch die Offenlegung der streitigen Informationen ein schwerwiegender Nachteil entstehen könne, zur Prüfung der zweiten der drei Voraussetzungen gehört, von denen der Schutz der Vertraulichkeit der im vorliegenden Fall der Kommission im Rahmen des Kronzeugenprogramms übermittelten Informationen abhängt.
70 Drittens beruht das Vorbringen der Rechtsmittelführerin, dass das Gericht eine generelle Vermutung zugelassen habe, wonach Kronzeugeninformationen nach fünf Jahren ihre Vertraulichkeit verlören, was den Schutz von im Rahmen des Kronzeugenprogramms gemachten Erklärungen zunichtemache, ebenfalls auf einem falschen Verständnis des angefochtenen Urteils. Wie der Generalanwalt in den Nrn. 136 bis 139 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, verkennt dieses Vorbringen, dass das Gericht in den Rn. 84 bis 86 des angefochtenen Urteils diese Vermutung lediglich angewandt hat, um das Vorbringen der Rechtsmittelführerin zurückzuweisen, wonach die geplante Veröffentlichung sensible Geschäftsinformationen enthalte, und dass die Anwendung dieser Vermutung folglich die vom Gericht in den Rn. 88 bis 122 des angefochtenen Urteils vorgenommene Prüfung der gesonderten Rüge der Rechtsmittelführerin, dass die streitigen Informationen aus einer Kronzeugenerklärung stammten, unberührt lässt. Dieses Vorbringen ist daher ebenfalls als unbegründet zurückzuweisen.
71 Nach alledem ist der erste Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes zurückzuweisen.
Zum zweiten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes
– Vorbringen der Parteien
72 Mit dem zweiten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes macht die Rechtsmittelführerin erstens geltend, das Gericht habe in den Rn. 92 und 93 des angefochtenen Urteils die Bedeutung der Verordnung Nr. 1049/2001 und der dazu ergangenen Rechtsprechung verkannt. Eine generelle Vermutung der Gefährdung des Zwecks der Untersuchungstätigkeit der Kommission und der geschäftlichen Interessen der Beteiligten eines Kartellverfahrens, wie sie der Gerichtshof im Urteil vom 27. Februar 2014, Kommission/EnBW (C‑365/12 P, EU:C:2014:112), aufgestellt habe, müsse auch für die Veröffentlichung von Passagen aus Kronzeugenerklärungen in nicht vertraulichen Fassungen von Kommissionsentscheidungen gelten.
73 Zweitens enthielten die Feststellungen in den Rn. 93 und 117 des angefochtenen Urteils insofern einen Rechtsfehler, als das Gericht dort zwischen einer grundsätzlich unzulässigen Veröffentlichung von Kronzeugendokumenten und einer angeblich zulässigen Veröffentlichung von Informationen aus diesen Dokumenten, wie Auszüge aus Kronzeugenerklärungen, differenziert habe.
74 Drittens liefe die Veröffentlichung der streitigen Informationen den Zusicherungen zuwider, die die Kommission in Rn. 32 der Mitteilung von 2002 über Zusammenarbeit und in Rn. 40 der Mitteilung von 2006 über Zusammenarbeit gegeben habe.
75 Viertens habe die Rechtsmittelführerin entgegen den Feststellungen des Gerichts in Rn. 119 des angefochtenen Urteils als Kronzeugin ein eigenes und spezifisches Interesse am Schutz der Wirksamkeit des Kronzeugenprogramms.
76 Die Kommission beantragt, den zweiten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes zurückzuweisen.
– Würdigung durch den Gerichtshof
77 Was erstens das Vorbringen der Rechtsmittelführerin anbelangt, wonach die richterrechtlichen Regeln die Voraussetzungen einschränkten, unter denen die Kommission nach der Verordnung Nr. 1049/2001 Dritten Dokumente aus der Verwaltungsakte in einem Verfahren nach den Art. 101 und 102 AEUV offenlegen könne, ist zunächst festzustellen, dass die Verordnung Nr. 1049/2001 im Kontext der vorliegenden Rechtssache, in der es um die Veröffentlichung von Informationen geht, die in einer Entscheidung der Kommission enthalten sind, mit der eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV festgestellt wird, nicht anwendbar ist. Daher stellt sich die Frage, ob auf die Veröffentlichung von Entscheidungen über Zuwiderhandlungen gegen die Art. 101 und 102 AEUV trotz der Unanwendbarkeit der Verordnung Nr. 1049/2001 dennoch die auf ihrer Grundlage ergangene Rechtsprechung zu übertragen ist, mit der der Gerichtshof das Bestehen einer allgemeinen Vermutung anerkannt hat, mit der sich eine Verweigerung der Offenlegung der in einer Akte eines Verfahrens nach Art. 101 AEUV vorhandenen Dokumente rechtfertigen lässt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Februar 2014, Kommission/EnBW, C‑365/12 P, EU:C:2014:112, Rn. 92 und 93).
78 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Veröffentlichung einer nicht vertraulichen Fassung einer Entscheidung, mit der eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV festgestellt wird, in Art. 30 der Verordnung Nr. 1/2003 vorgesehen ist. Diese Vorschrift trägt Erwägungen hinsichtlich der Wirksamkeit der Anwendung des Wettbewerbsrechts der Union insoweit Rechnung, als eine solche Veröffentlichung insbesondere ermöglicht, den Geschädigten von Zuwiderhandlungen gegen Art. 101 AEUV eine Stütze für ihre Schadensersatzklagen gegen die Urheber dieser Zuwiderhandlungen an die Hand zu geben. Diese verschiedenen Interessen müssen jedoch gegen den Schutz der Rechte abgewogen werden, den das Unionsrecht insbesondere den betroffenen Unternehmen – wie das Recht auf Wahrung des Berufs- oder des Geschäftsgeheimnisses – oder den betroffenen Einzelnen – wie das Recht auf Schutz personenbezogener Daten – verleiht.
79 Aufgrund dieser Unterschiede zwischen der Regelung über den Zugang Dritter zur Kommissionsakte und der Regelung über die Veröffentlichung der Entscheidungen über Zuwiderhandlungen kann die aus der Auslegung der Verordnung Nr. 1049/2001 hervorgegangene Rechtsprechung, auf die sich die Rechtsmittelführerin beruft, nicht auf den Kontext der Veröffentlichung von Entscheidungen über Zuwiderhandlungen übertragen werden.
80 Zweitens macht die Rechtsmittelführerin geltend, die Veröffentlichung der streitigen Informationen schließe die Veröffentlichung von Informationen aus Kronzeugenerklärungen mit ein. Ihrer Ansicht nach läuft eine solche Veröffentlichung auf die Veröffentlichung von „wörtlichen Zitaten“ und „Auszügen“ aus diesen Erklärungen hinaus, was nicht zulässig sei.
81 Wie das Gericht in den Rn. 5 und 6 des angefochtenen Urteils ausgeführt hat, steht insoweit fest, dass die Rechtsmittelführerin der Kommission unter dem Kronzeugenprogramm zahlreiche Angaben übermittelte, damit ihr gegenüber von der Verhängung einer Geldbuße vollständig abgesehen werde. Die Kommission erklärte sich mit Schreiben vom 15. März 2012 bereit, aus der detaillierteren nicht vertraulichen Fassung der WPP-Entscheidung, die sie zu veröffentlichen plane, die Angaben zu löschen, die es ermöglichten, unmittelbar oder mittelbar die Quelle der im Rahmen der Mitteilung von 2002 über Zusammenarbeit übermittelten Informationen zu ermitteln, und ebenso die Namen der Mitarbeiter der Rechtsmittelführerin zu entfernen.
82 Wie aus Rn. 88 des angefochtenen Urteils hervorgeht, hat die Rechtsmittelführerin vor dem Gericht vorgetragen, dass die streitigen Informationen bereits deshalb vertraulich behandelt werden müssten, weil sie der Kommission freiwillig übermittelt worden seien, um in den Genuss des Kronzeugenprogramms zu gelangen.
83 In Bezug auf dieses Vorbringen hat das Gericht in Rn. 93 des angefochtenen Urteils u. a. entschieden, dass eine etwaige Veröffentlichung von in der 2007 veröffentlichten nicht vertraulichen Fassung der WPP-Entscheidung nicht wiedergegebenen Informationen, die die Zuwiderhandlung begründenden Tatsachen beträfen, nicht zur Folge hätte, dass Dritten Kronzeugenanträge, die von der Rechtsmittelführerin bei der Kommission gestellt worden seien, Protokolle, die die von der Rechtsmittelführerin im Rahmen des Kronzeugenprogramms abgegebenen mündlichen Erklärungen enthielten, oder Dokumente, die die Rechtsmittelführerin der Kommission während der Untersuchung freiwillig übergeben habe, zugänglich gemacht würden.
84 In Rn. 139 des angefochtenen Urteils hat das Gericht schließlich darauf hingewiesen, dass die Kommission beschlossen habe, aus der erweiterten Fassung der WPP-Entscheidung alle Angaben zu entfernen, die unmittelbar oder mittelbar die Quelle der Informationen erkennen ließen, die ihr die Rechtsmittelführerin übermittelt habe, um in den Genuss des Kronzeugenprogramms zu gelangen.
85 Aus diesen verschiedenen Passagen des angefochtenen Urteils geht hervor, dass sich das die Vertraulichkeit der streitigen Informationen betreffende Vorbringen der Rechtsmittelführerin vor dem Gericht ganz allgemein auf all diese Informationen bezog, weil sie der Kommission im Rahmen des Kronzeugenprogramms freiwillig übermittelt worden seien. Aus denselben Passagen ergibt sich auch, dass das Gericht keineswegs entschieden hat, dass die Kommission berechtigt sei, mit der Veröffentlichung der erweiterten Fassung der WPP-Entscheidung wörtliche Zitate aus den Kronzeugenerklärungen der Rechtsmittelführerin bekannt zu machen.
86 Daher beruht das im Rahmen des zweiten Teils des zweiten Rechtsmittelgrundes geltend gemachte Vorbringen der Rechtsmittelführerin, wonach das Gericht zugelassen habe, dass die Kommission eine erweiterte Fassung der WPP-Entscheidung mit wörtlichen Zitaten aus ihrer Kronzeugenerklärung veröffentliche, auf einem falschen Verständnis des angefochtenen Urteils und ist zurückzuweisen.
87 Insoweit ist hervorzuheben, dass sich die in Form wörtlicher Zitate vorgenommene Veröffentlichung von Informationen aus Dokumenten, die ein Unternehmen der Kommission zur Stützung seiner Kronzeugenerklärung vorgelegt hat, von der Veröffentlichung wörtlicher Zitate aus der Erklärung selbst unterscheidet. Während die erstgenannte Veröffentlichung insoweit zulässig ist, als sie den Schutz insbesondere der Geschäftsgeheimnisse, des Berufsgeheimnisses oder anderer vertraulicher Informationen wahrt, ist die zweitgenannte Veröffentlichung in keinem Fall zulässig.
88 Drittens trägt die Rechtsmittelführerin vor, die streitigen Informationen, die ihren Kronzeugenerklärungen entnommen worden seien, dürften von der Kommission nicht veröffentlicht werden, da eine solche Veröffentlichung den von der Kommission in den Mitteilungen von 2002 und 2006 über Zusammenarbeit gegebenen Zusicherungen zuwiderlaufe und die Effektivität des Kronzeugenprogramms gefährde.
89 Insoweit geht aus den Rn. 3 bis 7 der Mitteilung von 2002 über Zusammenarbeit, die in Kraft war, als die Rechtsmittelführerin ihren Kronzeugenantrag stellte, hervor, dass diese Mitteilung lediglich die Bedingungen festlegen soll, unter denen einem Unternehmen die Geldbuße entweder vollständig erlassen oder ermäßigt werden kann.
90 So heißt es in Rn. 4 dieser Mitteilung, dass die Union ein Interesse daran hat, Unternehmen, die mit ihr zusammenarbeiten, Rechtsvorteile zu gewähren. Ferner stellt Rn. 6 der Mitteilung klar, dass ein entscheidender Beitrag zur Einleitung von Ermittlungen den vollständigen Erlass der Geldbuße für das diesen Erlass beantragende Unternehmen rechtfertigen kann.
91 Im Übrigen betreffen die in den Rn. 8 bis 27 der Mitteilung von 2002 über Zusammenarbeit aufgestellten Regeln ausschließlich die Verhängung von Geldbußen und die Festlegung ihrer Höhe.
92 Diese Auslegung wird ausdrücklich bestätigt durch die Überschrift dieser Mitteilung und durch ihre Rn. 31, nach der die Gewährung eines Geldbußenerlasses oder einer Geldbußenermäßigung die zivilrechtlichen Folgen für ein Unternehmen wegen seiner Beteiligung an einer Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV unberührt lässt.
93 Was die Behandlung der der Kommission von einem am Kronzeugenprogramm teilnehmenden Unternehmen vorgelegten Informationen anbelangt, räumt die Kommission in Rn. 29 der Mitteilung zwar ein, dass sie sich der Tatsache bewusst sei, dass die Mitteilung berechtigte Erwartungen begründe, auf die sich die Unternehmen, die der Kommission das Bestehen eines Kartells darlegten, berufen könnten.
94 Die Mitteilung von 2002 über Zusammenarbeit sieht insoweit zum einen in Rn. 32 vor, dass die Offenlegung von Unterlagen, die die Kommission auf der Grundlage dieser Mitteilung erhalten hat, im Allgemeinen dem Schutz des Zwecks von Inspektions- und Untersuchungstätigkeiten im Sinne von Art. 4 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1049/2001 entgegensteht, und zum anderen in Rn. 33, dass ein im Zusammenhang mit dieser Mitteilung an die Kommission gerichteter Schriftsatz Bestandteil der bei ihr geführten Akte ist und zu keinem anderen Zweck als zur Anwendung von Art. 101 AEUV verwendet oder offengelegt werden darf.
95 Die Kommission hat sich somit durch den Erlass der Mitteilung von 2002 über Zusammenarbeit Regeln zum Schutz der Kronzeugenerklärungen für die nach dieser Mitteilung bei ihr eingehenden schriftlichen Erklärungen auferlegt, deren Offenlegung nach Ansicht der Kommission im Allgemeinen dem Schutz des Zwecks von Inspektions- und Untersuchungstätigkeiten im Sinne von Art. 4 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1049/2001 abträglich ist, wie dies in den Rn. 32 und 33 der Mitteilung angegeben ist.
96 Mit diesen Regeln wird jedoch weder bezweckt noch bewirkt, der Kommission zu verbieten, Informationen über die die Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV begründenden Umstände zu veröffentlichen, die ihr im Rahmen des Kronzeugenprogramms vorgelegt wurden und aus keinem anderen Grund gegen eine Veröffentlichung geschützt sind.
97 Folglich besteht der einzige Schutz, den ein Unternehmen beanspruchen kann, das im Rahmen eines Verfahrens nach Art. 101 AEUV mit der Kommission zusammengearbeitet hat, zum einen darin, dass im Gegenzug für die Vorlage bei der Kommission von Beweismitteln für die mutmaßliche Zuwiderhandlung, die gegenüber den bereits in deren Besitz befindlichen Beweismitteln einen erheblichen Mehrwert darstellen, die Geldbuße erlassen oder ermäßigt wird, und zum anderen darin, dass die Kommission die Dokumente und schriftlichen Erklärungen, die sie nach der Mitteilung von 2002 über Zusammenarbeit erhalten hat, nicht offenlegt.
98 Somit beeinträchtigt eine Veröffentlichung wie die geplante, die nach Art. 30 der Verordnung Nr. 1/2003 unter Wahrung des Berufsgeheimnisses erfolgt, entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin nicht den Schutz, den sie nach der Mitteilung von 2002 über Zusammenarbeit beanspruchen kann, da dieser Schutz, wie in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils festgestellt worden ist, nur die Bemessung der Geldbuße und die Behandlung der Dokumente und Erklärungen betreffen kann, auf die diese Mitteilung speziell abzielt.
99 Folglich hat das Gericht in den Rn. 93 bis 117 des angefochtenen Urteils keinen Rechtsfehler begangen, als es geprüft hat, wie die Informationen zu behandeln sind, die die Rechtsmittelführerin der Kommission im Rahmen des Kronzeugenprogramms übermittelt hatte. Daher ist das entsprechende Vorbringen der Rechtsmittelführerin zurückzuweisen.
100 Viertens schließlich ist auch das Vorbringen der Rechtsmittelführerin, dass sie ein eigenes und spezifisches Interesse am Schutz der Wirksamkeit des Kronzeugenprogramms habe, nicht geeignet, die vorstehenden Erwägungen in Frage zu stellen.
101 Insoweit genügt nämlich die Feststellung, dass – wie das Gericht in Rn. 119 des angefochtenen Urteils zu Recht entschieden hat – der Schutz der Wirksamkeit des Kronzeugenprogramms kein eigenes und spezifisches Interesse der Rechtsmittelführerin ist.
102 In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist der zweite Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes zurückzuweisen.
Zum dritten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes
– Vorbringen der Parteien
103 Mit dem dritten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes macht die Rechtsmittelführerin hilfsweise geltend, die streitigen Informationen hätten entgegen den Ausführungen des Gerichts in den Rn. 107 bis 111 des angefochtenen Urteils vor der geplanten Veröffentlichung geschützt werden müssen, da die im Urteil des Gerichts vom 30. Mai 2006, Bank Austria Creditanstalt/Kommission (T‑198/03, EU:T:2006:136), aufgestellten Voraussetzungen erfüllt seien. Daher hätte das Gericht feststellen müssen, dass ihre Interessen schutzwürdig seien.
104 Nach Ansicht der Rechtsmittelführerin besteht ihr Interesse nicht darin, eine Verurteilung zur Zahlung von Schadensersatz oder die Offenlegung der Feststellungen der Kommission zum fraglichen Tatgeschehen zu vermeiden, sondern vielmehr darin, die Kommission davon abzuhalten, den Schutz zunichtezumachen, der nach den Mitteilungen von 2002 und von 2006 über Zusammenarbeit den Erklärungen zukomme, die allein für die Zwecke des Kronzeugenprogramms im Vertrauen auf die Wahrung ihrer Vertraulichkeit angefertigt worden seien.
105 Zudem würde die Rechtsmittelführerin entgegen der Feststellung des Gerichts in Rn. 149 des angefochtenen Urteils durch die geplante Veröffentlichung gegenüber anderen Kartellbeteiligten, die nicht mit der Kommission nach dem Kronzeugenprogramm zusammengearbeitet hätten, in offensichtlicher Weise benachteiligt. Soweit die relevanten Passagen der WPP-Entscheidung nicht die eigenen Feststellungen der Kommission, sondern lediglich die wörtliche Wiedergabe der Aussagen der Kronzeugen darstellten, würden die Antragsteller auf Kronzeugenbehandlung durch die Offenlegung dieser Passagen wesentlich stärker belastet als die Kartellteilnehmer, die nicht mit der Kommission zusammengearbeitet hätten. Das Gericht habe daher in Rn. 164 des angefochtenen Urteils gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen.
106 Die Kommission beantragt, den dritten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes zurückzuweisen.
– Würdigung durch den Gerichtshof
107 Zunächst ist festzustellen, dass die Rechtsmittelführerin nicht die Ausführungen des Gerichts in Rn. 94 des angefochtenen Urteils in Frage stellt, wonach drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein müssten, damit Informationen wie die streitgegenständlichen unter den Schutz des Berufsgeheimnisses fallen und aus diesem Grund geschützt sind.
108 Die Rechtsmittelführerin beanstandet im Rahmen dieses Teils jedoch die vom Gericht vorgenommene Anwendung der letzten dieser Voraussetzungen auf den vorliegenden Fall und daher die Feststellung in Rn. 110 des angefochtenen Urteils, dass ihre Interessen nicht schutzwürdig seien.
109 Wie in den Rn. 82 und 85 des vorliegenden Urteils festgestellt worden ist, bezog sich insoweit das Vorbringen der Rechtsmittelführerin vor dem Gericht, mit dem sie geltend machte, dass ihr Interesse an der Nichtoffenlegung der streitigen Informationen schutzwürdig sei, deshalb auf alle Informationen, weil diese der Kommission im Rahmen eines Kronzeugenantrags übermittelt worden seien. Dieses Vorbringen bezog sich keineswegs auf etwaige wörtliche, ihrer Kronzeugenerklärung gegenüber der Kommission unmittelbar entnommene Zitate.
110 Daher ist die in den Rn. 107 bis 111 des angefochtenen Urteils – insbesondere in dessen Rn. 110 – enthaltene Würdigung des Gerichts, wonach bei der Rechtsmittelführerin kein Interesse vorliege, das in Bezug auf die von ihr der Kommission übermittelten Informationen schutzwürdig sei, zwingend so zu verstehen, dass sie nicht solche Zitate betrifft und ausschließlich auf die Informationen bezogen ist, die Dokumenten entnommen wurden, die die Rechtsmittelführerin zur Stützung ihres Kronzeugenantrags vorgelegt hatte, und die Einzelheiten zu den die Zuwiderhandlung begründenden Umständen und zur Beteiligung der Rechtsmittelführerin an der Zuwiderhandlung enthalten.
111 Bestätigt wird dieses Verständnis der Würdigung des Gerichts durch Rn. 107 des angefochtenen Urteils, in der das Gericht hervorgehoben hat, dass das Interesse eines Unternehmens, dem eine Geldbuße auferlegt worden sei, daran, dass „die Einzelheiten der ihm zur Last gelegten Zuwiderhandlung“ nicht der Öffentlichkeit preisgegeben würden, grundsätzlich keinen besonderen Schutz verdiene, und durch Rn. 108 des Urteils, in der das Gericht ausgeführt hat, dass die Rechtsmittelführerin nicht berechtigt sei, der Veröffentlichung von „Informationen, aus denen sich ihre Beteiligung an der in der WPP-Entscheidung sanktionierten Zuwiderhandlung detailliert ergibt“, durch die Kommission zu widersprechen.
112 Folglich beruht das in Rn. 108 des vorliegenden Urteils angesprochene Vorbringen der Rechtsmittelführerin auf einem falschen Verständnis der Rn. 107 bis 111 des angefochtenen Urteils. Es ist daher zurückzuweisen.
113 Die Prüfung des auf einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung gestützten Vorbringens der Rechtsmittelführerin würde dazu führen, dass der Gerichtshof der Prüfung vorgreifen würde, die hinsichtlich des gleichartigen Vorbringens der Rechtsmittelführerin im Verwaltungsverfahren der Anhörungsbeauftragte vorzunehmen hat und über das er – wie aus der Prüfung des ersten Teils des ersten Rechtsmittelgrundes hervorgeht – zu Unrecht nicht entschieden hat. Unter diesen Umständen hat sich der Gerichtshof im Rahmen des vorliegenden Rechtsmittels zu diesem Vorbringen nicht zu äußern.
114 In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist der dritte Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes zurückzuweisen.
Zum vierten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes
– Vorbringen der Parteien
115 Mit dem vierten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes macht die Rechtsmittelführerin geltend, die Passagen aus den Kronzeugenerklärungen seien durch Art. 8 EMRK und Art. 7 der Charta geschützt, und sie folgert daraus, dass das Gericht in den Rn. 121 bis 126 des angefochtenen Urteils ihr auf einen Verstoß dieser Vorschriften gestütztes Vorbringen zu Unrecht zurückgewiesen habe. Die Erklärungen, denen die streitigen Informationen, die die Kommission offenlegen wolle, entnommen seien, seien unter dem Kronzeugenprogramm abgegeben worden und würden ohne die Beteiligung der Rechtsmittelführerin an dem Programm nicht existieren. Die Offenlegung solcher Erklärungen unter Verstoß gegen die Mitteilungen von 2002 und von 2006 über Zusammenarbeit sowie gegen die etablierte Praxis der Kommission könne entgegen den Feststellungen des Gerichts in den Rn. 125 ff. des angefochtenen Urteils nicht als vorhersehbare Folge der Kartellteilnahme angesehen werden.
116 Die Kommission beantragt, den vierten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes zurückzuweisen.
– Würdigung durch den Gerichtshof
117 Das Gericht hat in den Rn. 125 und 126 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass das durch Art. 8 EMRK und Art. 7 der Charta gewährleistete Recht auf Schutz des Privatlebens nicht einer Offenlegung von Informationen entgegenstehe, die wie jene, deren Veröffentlichung im vorliegenden Fall beabsichtigt sei, die Beteiligung eines Unternehmens an einem Verstoß gegen das Kartellrecht der Union beträfen, der in einer auf der Grundlage des Art. 23 der Verordnung Nr. 1/2003 erlassenen Entscheidung der Kommission festgestellt worden sei und gemäß Art. 30 dieser Verordnung veröffentlicht werden solle, da sich nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eine Person nicht auf Art. 8 EMRK berufen könne, um eine Schädigung ihres Rufs geltend zu machen, die in vorhersehbarer Weise aus ihren eigenen Handlungen resultiere.
118 Im Rahmen des vorliegenden Rechtsmittels macht die Rechtsmittelführerin zwar geltend, dass die Offenlegung der streitigen Informationen nicht als vorhersehbare Folge ihrer Kartellteilnahme angesehen werden könne, doch trägt sie nichts vor, was diese Behauptung untermauern könnte. Wie die Kommission vorgetragen hat, musste die Rechtsmittelführerin, wenn die streitigen Informationen unmittelbar relevant sind für die die Zuwiderhandlung begründenden Umstände und für ihre Beteiligung daran, in einem Fall wie dem vorliegenden damit rechnen, dass diese Informationen Gegenstand einer öffentlich zugänglichen Entscheidung werden können, sofern diese Informationen nicht aus einem anderen Grund geschützt sind.
119 Ferner gibt die Rechtsmittelführerin – wie der Generalanwalt in Nr. 172 seiner Schlussanträge ausgeführt hat – nicht an, inwiefern sich die Offenlegung der streitigen Informationen auf ihr Recht auf Schutz des Privatlebens auswirken würde.
120 Da der vierte Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes unbegründet ist, ist er zurückzuweisen.
121 Folglich ist der zweite Rechtsmittelgrund insgesamt zurückzuweisen.
Zum dritten Rechtsmittelgrund: Verstoß gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit
122 Die Prüfung des dritten Rechtsmittelgrundes würde dazu führen, dass der Gerichtshof der Prüfung vorgreifen würde, die hinsichtlich des auf einen Verstoß gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit gestützten Vorbringens der Rechtsmittelführerin im Verwaltungsverfahren der Anhörungsbeauftragte vorzunehmen hat und über das er – wie aus der Prüfung des ersten Teils des ersten Rechtsmittelgrundes hervorgeht – zu Unrecht nicht entschieden hat. Unter diesen Umständen hat sich der Gerichtshof im Rahmen des vorliegenden Rechtsmittels zu diesem Vorbringen nicht zu äußern.
123 Nach alledem ist das angefochtene Urteil – da der erste Teil des ersten Rechtsmittelgrundes begründet ist – insoweit aufzuheben, als das Gericht entschieden hat, dass der Anhörungsbeauftragte zu Recht seine Zuständigkeit dafür verneint habe, auf die Einwände einzugehen, die die Rechtsmittelführerin auf der Grundlage der Wahrung der Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Gleichbehandlung gegen die geplante Veröffentlichung erhoben hatte.
124 Im Übrigen ist das Rechtsmittel zurückzuweisen.
Zur Klage vor dem Gericht
125 Nach Art. 61 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union kann der Gerichtshof, wenn das Rechtsmittel begründet ist und er die Entscheidung des Gerichts aufhebt, den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist, oder die Sache zur Entscheidung an das Gericht zurückverweisen.
126 Im vorliegenden Fall ist die Rechtssache zur Entscheidung reif.
127 In Anbetracht der in den Rn. 39 bis 57 des vorliegenden Urteils dargelegten Erwägungen ist der streitige Beschluss insoweit für nichtig zu erklären, als darin der Anhörungsbeauftragte seine Zuständigkeit dafür verneint hat, auf die Einwände einzugehen, die die Rechtsmittelführerin gegen die geplante Veröffentlichung der erweiterten Fassung der WPP-Entscheidung durch die Kommission erhoben hatte und die auf die Wahrung der Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Gleichbehandlung gestützt waren.