BGH: Schriftformbedürftigkeit einer Änderung vertragswesentlicher Vereinbarungen nach § 550 S. 1 BGB
BGH, Beschluss vom 15.9.2021 – XII ZR 60/20
ECLI:DE:BGH:2021:150921BXIIZR60.20.0
Volltext: BB-Online BBL2021-2562-1
Amtliche Leitsätze
Eine Änderung von vertragswesentlichen Vereinbarungen ist nur dann gemäß § 550 Satz 1 BGB schriftformbedürftig, wenn sie für einen ein Jahr übersteigen-den Zeitraum Geltung beansprucht (Fortführung der Senatsurteile BGHZ 163, 27 = NJW 2005, 1861; vom 25. November 2015 XII ZR 114/14 NJW 2016, 311 und vom 11. April 2018 XII ZR 43/17 NJW-RR 2018, 1101).
Aus den Gründen
1 Nach der - auch in der Revisionsinstanz zulässigen - übereinstimmenden Erledigungserklärung der Parteien ist gemäß § 91 a ZPO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen über die gesamten Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden. Nach diesen Maßgaben sind die Kosten des gesamten Rechtsstreits der Klägerin aufzuerlegen, weil sie mit ihrem auf Räumung und Herausgabe gerichteten, auf einen Verstoß gegen die Schriftform des § 550 BGB gestützten Begehren aller Voraussicht nach nicht durchgedrungen wäre. Auf die vom Berufungsgericht genannte Zulassungsfrage, ob auch die Einigung der Mietvertragsparteien über die Höhe einer Mietminderung dem Schriftformerfordernis des § 550 BGB unterliegt, wenn die Dauer der Mietminderung an diejenige des Bestehens des Minderungsgrunds geknüpft ist, kommt es dabei schon aus Rechtsgründen nicht an.
2 1. Die Vorschrift des § 550 BGB soll den Erwerber eines Grundstücks davor schützen, bei Eintritt in einen Mietvertrag, dessen Bedingungen er mangels Schriftlichkeit nicht zuverlässig erkennen kann, an die vertraglichen Regelungen länger als ein Jahr gebunden zu sein (vgl. Senatsurteile BGHZ 154, 171 = NJW 2003, 2158, 2160 und BGHZ 163, 27 = NJW 2005, 1861, 1862). Daneben dient § 550 BGB nach ständiger Rechtsprechung des Senats dazu, die Beweisbarkeit langfristiger Abreden auch zwischen den ursprünglichen Vertragsparteien zu gewährleisten und diese vor der unbedachten Eingehung langfristiger Bindungen zu schützen (vgl. etwa Senatsurteil BGHZ 216, 68 = NJW 2017, 3772 Rn. 35 mwN), wobei der Gesetzgeber mit dem einen Jahr in § 550 Satz 1 BGB die Grenze benannt hat, bis zu der nicht von einer Langfristigkeit auszugehen ist.
3 Aus diesen Gesetzeszwecken folgt, dass eine Änderung auch von vertragswesentlichen Vereinbarungen wie etwa denen zur Miethöhe (vgl. dazu Senatsurteile vom 25. November 2015 - XII ZR 114/14 - NJW 2016, 311 Rn. 17 und vom 11. April 2018 - XII ZR 43/17 - NJW-RR 2018, 1101 Rn. 18) nur dann gemäß § 550 Satz 1 BGB schriftformbedürftig ist, wenn sie für einen ein Jahr übersteigenden Zeitraum Geltung beansprucht (in diese Richtung schon Senatsurteil BGHZ 163, 27 = NJW 2005, 1861, 1862; vgl. auch BGH Urteil vom 18. Juni 1969 - VIII ZR 88/67 - WM 1969, 920, 921; KG NZM 2018, 607, 611; BeckOK MietR/Leo [Stand: 1. Mai 2021] BGB § 550 Rn. 246; Blank/Börstinghaus Miete 6. Aufl. § 550 BGB Rn. 54; Guhling/Günter/Schweitzer Gewerberaummiete 2. Aufl. § 550 Rn. 46; Lindner-Figura in Lindner-Figura/Oprée/Stellmann Geschäftsraummiete 4. Aufl. Kap. 6 Rn. 36; Staudinger/V. Emmerich BGB [Updatestand: 13. Juli 2021] § 550 Rn. 42; kritisch Schmidt-Futterer/Lammel Mietrecht 14. Aufl. § 550 BGB Rn. 41). Damit korrespondierend beginnt die Jahresfrist des § 550 Satz 2 BGB auch erst mit Abschluss eines nicht formgerechten Änderungsvertrags, der die Schriftform des ursprünglich formwirksamen Mietvertrags entfallen lässt (vgl. BGHZ 99, 54 = NJW 1987, 948, 949; BGHZ 125, 175 = NJW 1994, 1649, 1651 mwN und Senatsurteil vom 29. März 2000 - XII ZR 316/97 - NJW-RR 2000, 1108, 1109; vgl. auch Senatsurteil vom 25. Januar 2017 - XII ZR 69/16 - NJW 2017, 1017 Rn. 22 mwN), so dass die Vertragsparteien einschließlich eines gegebenenfalls in den Vertrag eintretenden Erwerbers sich selbst bei Vorliegen eines Schriftformverstoßes erst nach Ablauf eines Jahres aus der vertraglichen Bindung lösen können.
4 2. Die beiden Vereinbarungen der Mietvertragsparteien zur Minderungshöhe hatten aber - worauf die Revisionserwiderung zu Recht hingewiesen hat - nach den Feststellungen des Berufungsgerichts jeweils eine Laufzeit von deutlich unter einem Jahr. Da die Laufzeit für die Frage der Schriftformbedürftigkeit bezogen auf die einzelne Abrede betrachtet werden muss, weil sie die Vertragsparteien und einen eventuellen Erwerber auch nur insoweit binden konnte, ist rechtlich unerheblich, dass beide Vereinbarungen zusammen mit 15 Monaten ein Jahr überschritten. Der von der Klägerin aus diesen Abreden abgeleitete Schriftformverstoß des bis 31. August 2020 befristeten und mit zwei jeweils fünfjährigen Verlängerungsoptionen versehenen Mietvertrags war mithin nicht gegeben, so dass die darauf gestützte ordentliche Kündigung der Klägerin und das mit der Klage verfolgte Räumungs- und Herausgabebegehren unberechtigt waren.