OLG Frankfurt: Schienenkartell – Internationale Zuständigkeit aufgrund wirtschaftlicher Einheit bei Schadensersatzklage gegen ausländische Muttergesellschaft eines Kartellanten
OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 1.12.2020 – 11 U 157/19 (Kart)
Volltext: BB-Online BBL2021-784-2
Nicht Amtliche LeitsÄtz
1. Die ausländische Muttergesellschaft eines Kartellanten kann in Deutschland verklagt werden, wenn sich hier das für den Schaden ursächliche Geschehen ereignet oder der Schadenserfolg verwirklicht hat. Dabei kann die Zuständigkeitsregel des Art. 7 Nr. 2 Brüssel la-VO die Zuständigkeit eines Gerichts unter dem Gesichtspunkt des Ortes der Verwirklichung des behaupteten Schadenserfolgs in Bezug auf alle mutmaßlichen Verursacher begründen, sofern dieser Schaden sich im Bezirk des angerufenen Gerichts verwirklicht.
2. Die Frage, ob sich aufgrund des Instituts der wirtschaftlichen Einheit im Anschluss an das Skanska-Urteil des EuGH die internationale Zuständigkeit auch für Ansprüche gegen die ausländische Muttergesellschaft eines Kartellanten ergibt, kann offen bleiben.
Sachverhalt
I.
Die Klägerinnen, Konzernunternehmen der XXX nehmen die Beklagten des Ausgangsverfahrens auf Schadenersatz wegen kartellrechtswidriger Absprachen in der Zeit von 2001 bis 2008 betreffend Gleisschienen in Anspruch.
Die Beklagten zu 1) und zu 2) des Ausgangsverfahrens sind Konzerngesellschaften der XXX einer Aktiengesellschaft nach tschechischem Recht mit Sitz in der Tschechischen Republik. Die Beklagte zu 2) ist eine Aktiengesellschaft nach tschechischem Recht, die selbst keine Schienen herstellt, sondern Schienen und andere Stahlprodukte ihrer Tochter XXX vertreibt. Die Beklagte zu 1) stellt ebenfalls selbst keine Schienen her. Sie firmierte während des Kartells unter dem Namen XXX und verkaufte entsprechend ihrem Gesellschaftszweck deutschlandweit ausschließlich von XXX hergestellte Schienen und andere Stahlprodukte.
Bis zum Juni 2011 waren die Nebenintervenientin zu 4) und die Beklagte zu 2) jeweils zu 50% Gesellschafterinnen der Beklagten zu 1).
lm Juli 2012 erließ das Bundeskartellamt (nachfolgend ,,BKartA"-) gegen verschiedene Schienenlieferanten und -hersteller, u.a. die Beklagte zu 3), wegen wettbewerbswidriger Absprachen über Quoten und Preise für die Belieferung der XXX einen Bußgeldbescheid (Anlage K8). Gegen die Beklagte zu 1) erging am 10.7.2013 ebenfalls ein Bußgeldbescheid iHv EUR 10 Mio (Anlage K18). In diesem wurde festgestellt, dass die Beklagte zu 1) zumindest im Zeitraum 2001 bis 2009 an den streitgegenständlichen wettbewerbswidrigen Absprachen beteiligt war.
Wegen des Sachverhalts im Einzelnen wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Die Klägerinnen nehmen im hiesigen Rechtsstreit die Beklagten zu 1) bis 4) des Ausgangsverfahrens auf Schadensersatz und Vertragsstrafe in Anspruch. Die Beklagte zu 2) hat die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte gerügt, sich hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit jedoch in der mündlichen Verhandlung vom 21.11.2018 (Bl. 3256ff. d.A.) rügelos eingelassen.
Das Landgericht hat zunächst über die Zulässigkeit der Klage abgesondert verhandelt und mit dem angefochtenen Zwischenurteil seine internationale Zuständigkeit für die gegen die Beklagte zu 2) erhobene Klage bejaht. Zur Begründung hat es Folgendes ausgeführt:
Die deutschen Gerichte seien gemäß Art. 7 Nr. 2 der VO (EU) Nr. 1215/2012 (im Folgenden: Brüssel la-V0) zur Entscheidung über die gegen die Beklagte zu 2) erhobene Klage international zuständig, ohne dass es darauf ankomme, ob die Beklagte zu 2) sich selbst aktiv an Kartellabsprachen beteiligt habe. Nach der Entscheidung des EuGH vom 14.3.2019 - C-724/17 — Skanska sei Art. 101 AEUV dahingehend auszulegen, dass in einer Situation, in der alle Aktien der Gesellschaften, die an einem verbotenen Kartell teilgenommen hatten, von anderen Gesellschaften erworben wurden, die die zuerst genannten Gesellschaften beendet und deren Geschäftstätigkeit fortgesetzt haben, die erwerbenden Gesellschaften für Kartellschaden haftbar gemacht werden könnten. Zwar sei dem deutschen Recht ein Haftungsdurchgriff kraft Konzernverbundenheit weitgehend fremd. Allerdings ergebe sich die Passivlegitimation wegen Verstößen gegen Art. 101 AEUV nach der Rechtsprechung des EuGH aus dem Unionsrecht selbst. Danach hafte für Schaden aus einer nach Art. 101 AEUV verbotenen Verhaltensweise ,,das Unternehmen“, wobei als solche jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einrichtung unabhängig von ihrer Rechtsform anzusehen sei.
Eine solche wirtschaftliche Einheit bestehe hier zwischen den Beklagten zu 1) undzu 2). Auch wenn Einzelheiten über die vertretungsberechtigten Personen der Beklagten zu 1) und zu 2) streitig seien und die Beklagte zu 2) vortrage, dass sie keinen bestimmenden Einfluss auf die Beklagte zu 1) ausgeübt habe, sei die Regelung im Gesellschaftvertrag der Beklagten zu 1) beachtlich, nach der im lnnenverhältnis die Geschäftsführer der Beklagten zu 1) unter anderem für den Abschluss von Verträgen wettbewerbsbeschränkender Art der vorherigen Einwilligung der Gesellschafterversammlung bedurft hatten und Vetorechte bestanden hätten. Ob sich Mitarbeiter der Beklagten zu 2) in der Folge an Quotenabsprachen beteiligt hätten oder das BKartA Ermittlungen gegen diese geführt hatte, sei nicht relevant.
Zudem komme es auf den Vortrag der Beklagten nicht entscheidend an. Es handele sich insoweit um doppelt relevante Tatsachen, die sowohl für die Zuständigkeit als auch für die Begründetheit der Klage von Bedeutung seien. Soweit sie für die Zulässigkeitsprüfung relevant seien, unterlägen sie lediglich einer Schlüssigkeitsprüfung.
Es genüge daher, dass bei unterstellter Richtigkeit des klägerischen Vorbringens der Rechtsweg eröffnet sei. Die Klägerinnen hatten die Teilnahme der Beklagten zu 2) an dem kartellrechtlichen Verhalten aufgrund der bestehenden gesellschaftsrechtlichen Regelungen dargetan.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beklagte zu 2) mit der Berufung, mit der sie die Ruge der fehlenden internationalen Zuständigkeit weiterverfolgt.
Sie hafte nicht für Ansprüche, die auf angeblich wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen der Beklagten zu 1) beruhten, so dass auch die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für die gegen sie erhobene Klage fehle. Etwas anderes ergebe sich nicht gemäß Art. 101 AEUV unter dem Aspekt des Bestehens einer wirtschaftlichen Einheit nach den Grundsätzen der Skanska-Entscheidung des EuGH:
Nach dieser Entscheidung setzte die Passivlegitimation der Beklagten zu 2) voraus, dass das BKartA einen Verstoß der Kartellanten gegen europäisches Kartellrecht festgestellt habe. Dies sei vorliegend aber erst für die Zeit ab dem 13.7.2005 geschehen; erst ab diesem Zeitpunkt habe dem BKartA auch eine entsprechende Kompetenz zugestanden, die Verletzung europäischen Kartellrechts festzustellen. Für den Zeitraum bis zum 13.7.2005 sei nur eine Verletzung deutschen Kartellrechts festgestellt worden und scheide eine Haftung der Beklagten zu 2) unter dem allein europarechtlichen Aspekt der wirtschaftlichen Einheit aus. lm deutschen Kartellrecht sei weiterhin das Trennungsprinzip zu beachten (BGH, Beschluss vom 16.12.2014 – KRB 47/13).
Nach der Skanska-Entscheidung könne zudem nur ein Haftungssubjekt an die Stelle des ursprünglichen Haftungssubjekts treten, es gehe um den Fall einer wirtschaftlichen Kontinuität, einer ,,Nachfolgehaftung". Dies ergebe sich daraus, dass der EuGH seine Einschätzungen ausdrücklich auf die der dortigen Entscheidung zugrunde liegende Konstellation beschränkt habe. Der Entscheidung sei nicht zu entnehmen, dass — wie vorliegend — ein weiteres Haftungssubjekt neben das ursprüngliche Haftungssubjekt treten solle. Eine solche weitergehende Ausdehnung der Haftung widerspreche dem Willen des europäischen Gesetzgebers.
Aus der Beschränkung des EuGH in der Skanska-Entscheidung auf die Situation des Ausgangserfahrens ergebe sich auch, dass die Haftung der Beklagten zu 2) voraussetze, dass ihr gegenüber ein Bußgeldbescheid wegen Verstoßes gegen Art. 101 AEUV ergangen sei, was vorliegend ebenfalls nicht der Fall gewesen sei.
Zudem hatten die Klägerinnen die Voraussetzungen für das Bestehen einer wirtschaftlichen Einheit zwischen den Beklagten zu 1) und zu 2) nicht dargetan:
Die Vermutung für einen beherrschenden Einfluss gelte nur bei einer 100%igen Beteiligung, die vorliegend ebenso wie eine enge Verflechtung oder eine Einflussnahme der Beklagten zu 2) auf die Beklagte zu 1) fehle.
Die Regelung im Gesellschaftsvertrag genüge nicht, da keine Anhaltspunkte beständen, dass die Beklagte zu 1) sich für ihr regelwidriges Verhalten - in Gestalt des Abschlusses wettbewerbswidriger Vereinbarungen - an die Regeln des Gesellschaftsvertrags gehalten habe. Dies sei auch tatsächlich nicht geschehen. Die Einflussnahmemöglichkeit der Gesellschafter auf die Personalpolitik und andere Bereiche sehe bereits das GmbHG vor und genüge daher nicht als Anknüpfungspunkt für die Annahme einer wirtschaftlichen Einheit.
Die Beklagten zu 1) und zu 2) seien nicht in eine einheitliche Vertriebsorganisation eingebunden gewesen und nicht als einheitliche Marktteilnehmer wahrgenommen worden; die Beklagte zu 1) sei vorrangig aufgrund des mit der XXX geschlossenen Vermittlungsvertrags für diese tätig geworden.
Die behauptete Personenidentität auf Ebene der für die Beklagten zu 1) und zu 2) Handelnden habe nicht bestanden und sei nicht belegt.
lnsgesamt habe das Landgericht den Beklagtenvortrag bei Prüfung der internationalen Zuständigkeit nicht hinreichend berücksichtigt, obwohl es hierzu verpflichtet gewesen sei (EuGH, Urteil vom 16.6.2016 — C-12/15 - Universal Music International Holding).
Die Klägerinnen hatten auch nicht schlüssig dargetan, dass der Beklagten zu 2) aufgrund eigenen Verhaltens die angeblichen Kartellrechtsverstöße der angeblichen Kartellanten zurechenbar seien. Die Klägerinnen hatten zwar behauptet, dass die Beklagte zu 2) sich mit zwei Personen an einer Grundabsprache beteiligt habe, in der u.a. eine Einigung über eine Quote getroffen worden sei. Dieser Vortrag sei aber unschlüssig, denn er beruhe ausweislich der in Bezug genommenen Protokolle und Unterlagen auf Angaben Dritter, die selbst keine Erinnerungen an das Geschehen hätten, deren Angaben sich widersprächen und lückenhaft seien. Der Vortrag sei daher unschlüssig.
Die Beklagte zu 2) beantragt,
das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 25.9.2019 - 2-06 O 649/12 - abzuändern und die Klage gegen die Beklagte zu 2) als unzulässig abzuweisen.
Die Klägerinnen beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerinnen verteidigen die angegriffene Entscheidung und wiederholen und vertiefen ihren erstinstanzlichen Vortrag.
Das Landgericht habe zu Recht nach der Skanksa-Entscheidung des EuGH die Passivlegitimation direkt Art. 101 AEUV entnommen. Dieser Entscheidung sei allgemein zu entnehmen, dass gemäß Art. 101 AEUV (bzw. Art. 81, 85 EGV aF) die wirtschaftliche Einheit für Kartellrechtsverstöße hafte, ohne dass dies auf Falle der Nachfolgehaftung beschränkt sei.
Das BKartA habe für den gesamten Kartellzeitraum die Verletzung europäischen Kartellrechts (Art. 81 EGV aF) festgestellt. Abgesehen davon bedürfte es der Feststellung durch das BKartA nicht, wenn — wie hier - materiell auch europäisches Kartellrecht verletzt sei, was auch die Beklagte zu 2) nicht in Frage stelle. Dass gegen das In-Anspruch-genommene Unternehmen ein Bußgeldbescheid ergangen sei, sei ebenfalls nicht erforderlich.
Es genüge daher, dass zwischen den Beklagten zu 1) und zu 2) eine wirtschaftliche Einheit bestehe, was sie, die Klägerinnen, dargetan hätten. Es genüge, wenn nach dem Gesetz, dem Gesellschaftsvertrag oder einer vergleichbaren Absprache wesentliche Entscheidungen von den Muttergesellschaften einvernehmlich getroffen werden müssten und jedenfalls ein Vetorecht der Muttergesellschaft bestehe. Habe das Gemeinschaftsunternehmen über Jahre hinweg bestanden, seien wesentliche Entscheidungen getroffen worden. Bestanden keine Anhaltspunkte für eine systematische Missachtung der Vorgabe, das Einvernehmen der Muttergesellschaften einzuholen, ergebe sich, dass diese bestimmenden Einfluss genommen habe.
Abgesehen davon ergebe sich die internationale Zuständigkeit für die gegen die Beklagte zu 2) erhobene Klage auch daraus, dass die Beklagte zu 2) selbst aktiv an der Kartellabsprache beteiligt gewesen sei. Die Beklagte zu 2) habe mit ihrem damaligen Verkaufsleiter und dem damaligen Vorstand die Grundabrede über die Beteiligung am Quotenkartell und den Umfang der Beteiligung (13%) getroffen. ihr seien daher auf Grund der von ihr gefassten Grundabrede als Mittäterin (§ 830 BGB) mangels einer erkennbaren Abstandnahme die weiteren Handlungen der Kartellanten zurechenbar, so dass sich eine Haftung aufgrund aktiven Tuns ergebe. Jedenfalls sei sie aufgrund der von ihr getroffenen Grundabrede Garantin gewesen, so dass sie für die kartellrechtswidrigen Handlungen der Kartellanten wegen Unterlassens hafte.
Aus den Gründen
II.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten zu 2) hat in der Sache keinen Erfolg.
lm Ergebnis zu Recht hat das Landgericht die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für die gegen die Beklagte zu 2) erhobene Klage gemäß Art. 7 Nr. 2 Brüssel la-VO bejaht.
1.
Die Klägerinnen machen gegen die Beklagte zu 2) Ansprüche aus einem wettbewerbswidrigen Verhalten, mithin einer unerlaubten Handlung geltend. Daher kann die Beklagte zu 2) in Deutschland verklagt werden, wenn sich hier das für den Schaden ursächliche Geschehen ereignet oder der Schadenserfolg verwirklicht hat (EuGH, Urteil vom 16.6.2016 - C-12/15 - Universal Music; Urteil vom 3.4.2014 - C-387/12 – Hi Hotel Rn. 27; EuGH, Urteil vom 5.7.2018 - C-27/17 — Lithuanian Airlines Rn. 28).
Befindet sich der von den wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen betroffene Markt in dem Mitgliedsstaat, in dessen I-Hoheitsgebiet der behauptete Schaden entstanden sein soll, so liegt der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs für die Zwecke der Anwendung von Art. 7 Nr. 2 Brüssel la-V0 (entsprechend der wortgleichen Vorgängervorschrift des Art. 5 Nr. 3 der V0 (EG) Nr. 44/2001, Brüssel I-VO) in diesem Mitgliedstaat. Dieses Ergebnis, das auf die Übereinstimmung zwischen diesen beiden Anhaltspunkten gestützt ist, entspricht nämlich den Zielen der Nähe und Vorhersehbarkeit der Zuständigkeitsregeln, da zum einen die Gerichte des Mitgliedstaats, indem sich der betroffene Markt befindet, am besten in der Lage sind, solche Schadenersatzklagen zu prüfen, und zum anderen ein Wirtschaftsteilnehmer, der wettbewerbswidrige Verhaltensweisen zeigt, vernünftigerweise annehmen kann, dass er vor den Gerichten des Ortes verklagt wird, an dem seine Verhaltensweisen die Regeln eines gesunden Wettbewerbs verfälscht haben (EuGH, aaO. - Lithuanian Airlines Rn.40).
Dabei kann die Zuständigkeitsregel des Art. 7 Nr. 2 Brüssel la-VO die Zuständigkeit eines Gerichts unter dem Gesichtspunkt des Ortes der Verwirklichung des behaupteten Schadenserfolgs in Bezug auf alle mutmaßlichen Verursacher begründen, sofern dieser Schaden sich im Bezirk des angerufenen Gerichts verwirklicht (EuGH, aaO. - Lithuanian Airlines Rn. 42; aaO — Hi Hotel Rn. 40).
2.
Diese Voraussetzungen sind nach dem allein maßgeblichen schlüssigen Klägervortrag vorliegend erfüllt.
a) Für die internationale Zuständigkeit der nationalen Gerichte kommt es grundsätzlich nur darauf an, ob der Kläger schlüssig vorgetragen hat, dass im Inland ein i.S.d. Art. 7 Nr. 2 Brüssel la-V0 schädigendes Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht. Ob tatsächlich ein schädigendes Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht, ist eine Frage der Begründetheit der Klage, die vom zuständigen Gericht anhand des anwendbaren nationalen Rechts zu prüfen ist (BGH, Urteil vom 24.9.2014 — l ZR 35/11- Hi Hotel ll Rn. 18).
Aus der beklagtenseits in Bezug genommenen Entscheidung des EuGH (Urteil vom 16.6.20-17 — C-12/15 - Universal Music) ergibt sich nichts anderes: Der EuGH führt dort aus, dass das angerufene Gericht im Stadium der Prüfung der internationalen Zuständigkeit weder die Zulässigkeit noch die Begründetheit der Klage nach den Vorschriften des nationalen Rechts prüft, sondern nur die Anknüpfungspunkte mit dem Staat des Gerichtsstands ermittelt, die seine Zuständigkeit nach dieser Bestimmung rechtfertigen. Daher darf dieses Gericht, soweit es nur um die Prüfung seiner Zuständigkeit nach dieser Bestimmung geht, die einschlägigen Behauptungen des Klägers zu den Voraussetzungen der Haftung aus unerlaubter Handlung oder aus einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, als erwiesen ansehen (aaO Rn. 44; ebenso EuGH, Urteil vom 28.1.2015 - C 375113 - Kolassa Rn. 62).
Das angerufene nationale Gericht ist also im Fall des Bestreitens der Behauptungen des Klägers durch den Beklagten nicht verpflichtet, im Stadium der Ermittlung der Zuständigkeit ein Beweisverfahren durchzuführen. Das Ziel einer geordneten Rechtspflege, das der Brüssel I-VO und der Brüssel la-VO zugrunde liegt, als auch die gebotene Achtung der Autonomie des Richters bei Ausübung seines Amtes erfordern lediglich, dass dieses Gericht seine internationale Zuständigkeit im Licht aller ihm vorliegender lnformationen prüfen kann, wozu gegebenenfalls auch die Einwände des Beklagten gehören (EuGH, aaO — Universal Music Rn 45; Kolassa Rdnr. 63 f).
b) Nach dem danach maßgeblichen Vortrag der Klägerinnen befindet sich der von den geltend gemachten wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen betroffene Markt in Deutschland. Die wettbewerbswidrigen Absprachen über Quoten und Preise sollen die Belieferung der Klägerinnen mit Schienen und damit den bundesweiten Wettbewerb in Deutschland betroffen haben. In Deutschland ist den Klägerinnen nach ihrem Vortrag auch der behauptete Schaden entstanden.
Nach dem schlüssigen Vortrag der Klägerinnen ist (auch) die Beklagte zu 2) Verursacherin des von ihnen geltend gemachten Schadens.
Dabei kann offenbleiben, ob — wie das Landgericht angenommen hat — nach der Skanska-Entscheidung des EuGH die Beklagte zu 2) auf der Grundlage des Klägervortrages neben der Beklagten zu 1) für die geltend gemachten kartellrechtlichen Schadenersatzansprüche gemäß Art. 101 AEUV bereits dann passiv legitimiert wäre, wenn es sich bei der Beklagten zu 1) und der Beklagten zu 2) um ein Unternehmen iSv Art. 101 AEUV handelte, und wenn ja, ob es sich bei der Beklagten zu 1) und der Beklagten zu 2) tatsächlich um eine wirtschaftliche Einheit handelt, die nach der Rechtsprechung des EuGH als ein Unternehmen iSv. Art. 101 AEUV zu qualifizieren ist.
Denn die Klägerinnen haben hinreichend konkrete Verhaltensweisen der Beklagten zu 2) vorgetragen, wonach diese selbst in die Kartellabsprachen einbezogen war:
aa) So hatten sich die Kartellbeteiligten im November oder Dezember 2001 geeinigt, dass ein damaliges Vorstandsmitglied und ein damaliger Abteilungsleiter der Nebenintervenientin zu 1) XXX und ein damaliger Geschäftsführer ihrer der Nebenintervenientin zu 2) XXX mit der Beklagten zu 2) Kontakt aufnehmen sollten. Die Beklagte zu 2) habe in das Kartell einbezogen werden und eine Quote von 12 % erhalten sollen für den Vertrieb von Schienen an die Klägerinnen und andere Unternehmen der DB-Gruppe. Als Ansprechpartner bei der Beklagten zu 2) seien XXX Herr XXX und Herr XXX vorgesehen gewesen.
Das Gespräch zwischen der Nebenintervenientin zu 1) und den Herren XXX und XXX habe dann auch stattgefunden. Man habe sich darauf verständigt, dass die Beklagte zu 2) eine Quote von 13 Prozent an dem Absatz von Schienen an die Klägerinnen und andere Unternehmen des XXX Konzerns erhalten solle. Dafür sollte die Beklagte zu 2) keine Schienen auf dem sog. Privatmarkt absetzen, dh. auch nicht an Bauunternehmen für den Einbau in Projekte des XXX Konzerns. Das Gespräch habe Ende 2001, spätestens Anfang 2002 stattgefunden. Auf dieser Absprache und der Vereinbarung der Quote habe im Anschluss die Beteiligung der Beklagten zu 1) an dem wettbewerbswidrigen Verhalten beruht.
Dieser Vortrag ist hinreichend substantiiert. Die Klägerinnen haben den Zeitraum der Gespräche, die — neben der Beklagten zu 2) - teilnehmenden Unternehmen und die Personen benannt, die von Seiten der Beklagten zu 2) an dem Gespräch teilgenommen haben sollen. Außerdem haben die Klägerinnen zu Inhalt und Ergebnis der Gespräche vorgetragen, wonach die Beklagte eine Quote von 13 Prozent erhalten, jedoch keine Schienen auf dem Privatmarkt absetzen sollte.
bb) Bei Zugrundelegung dieses Vorbringens haftet die Beklagte zu 1) nach § 830 BGB für die Folgen der Kartellabsprachen. Nach dem Vortrag der Klägerinnen beruhte auf der geschilderten Absprache der Beklagten zu 2) mit anderen Kartellteilnehmern die spätere Beteiligung der Beklagten zu 1) an dem wettbewerbswidrigen Verhalten. Auf eine etwaige Beteiligung der Beklagten zu 2) an konkreten Rechtsgeschäften und Absprachen in Umsetzung dieser Grundabsprache kommt es nicht an.
Denn wer sich an einer Grundabsprache beteiligt, haftet nach § 830 BGB für alle Folgen, die sich aus diesem Verstoß ergeben. Für die Haftung des Teilnehmers ist es daher unerheblich, ob er den Schaden eigenhändig (mit-)verursacht und wieviel er selbst zu ihm beigetragen hat. Maßgebend ist, dass er sich an der schadensstiftenden Handlung mit dem Willen beteiligt hat, sie als eigene Tat gemeinschaftlich mit anderen zu verwirklichen (Mittäter) oder sie als die Tat anderer durch seine Anstiftung oder Beihilfe zu fördern oder zu unterstützen. Ein Weniger an eigenhändiger Verwirklichung der unmittelbaren Schadensherbeiführung wird insoweit durch den in die Tat umgesetzten Willen zur Teilnahme an ihr kompensiert (BGH, Urteil vom 19.5.2020 — KZR 70/17 - Schienenkartell Ill Rn. 33).
Dass sich die Beklagte zu 2) in einem späteren Zeitpunkt von diesem früheren Verhalten wieder durch-irgendeine Handlung distanziert hatte, macht auch die Beklagte zu 2) selbst nicht geltend.
Nach dem Vortrag der Klägerinnen sind damit die Voraussetzungen des Art. 7 Nr. 2 Brüssel la-VO erfüllt.
cc) Die Einwendungen der Beklagten zu 2) sind nicht geeignet, die Schlüssigkeit des klägerischen Vorbringens, aus dem sich die internationale Zuständigkeit ergibt, in Frage zu stellen. Sie beruft sich im Wesentlichen darauf, dass die Klägerinnen ihren Vortrag mit Unterlagen begründeten, welche ihrerseits nur Vermutungen Dritter enthielten, wie die Protokolle über die Anhörung des Herrn XXX durch das BKartA (Anlage K80, Bl. 3395f. d.A.), eine Email des Herrn XXX (Anlage K81, Bl. 3398 d.A.), ein Interview der RechtsanwäIte XXXX mit Herrn XXXX (Anlage K82, Bl. 3399ff), in dem dieser auf handschriftliche Notizen (Anlagen K83, K84, Bl. 3403 d.A.) verweise, sowie ein Protokoll über die Anhörung einer Mitarbeiterin der Beklagten zu 1) oder zu 2), Frau XXXX (Anlage K85, Bl. 3404 d.A.). Es würden darin keine konkret handelnden Personen benannt. Ausweislich der in den Niederschriften abgegebenen Erklärungen seien die erklärenden Personen überhaupt nicht in der Lage gewesen, verlässliche Angaben hierzu zu machen. Sie hätten keine Erinnerung an die Vorgänge mehr, sondern stellten nur Vermutungen an oder rekonstruierten angebliche Geschehnisse anhand nicht aussagekräftiger Notizen. Die Angaben der Erklärenden dazu, welche Personen konkret an den Gesprächen teilgenommen hätten und welche Abreden getroffen worden sein sollten, wichen voneinander ab und seien in keiner Weise verlässlich und stringent. Damit sei auch der hierauf bezogene Vortrag der Klägerinnen, dass sich die Beklagte zu 2) tatsächlich an der Grundabsprache beteiligt habe, nicht schlüssig.
Dem ist nicht zu folgen. Entscheidend ist, dass die Klägerinnen konkret vorgetragen haben, dass Vertreter der Beklagten zu 2) mit Vertretern der Nebenintervenientin zu 1) in einem bestimmten Zeitraum eine Absprache darüber getroffen hatten, mit welcher Quote die Konzernunternehmen der Beklagten zu 1) und 2) zu welchen Bedingungen an dem Kartell für den Verkauf von Schienen an Unternehmen des XXXX Konzerns beteiligt werden sollten. Dieser Vortrag selbst ist unabhängig von den von der Beklagten zu 2) geltend gemachten Unstimmigkeiten oder Widersprüchlichkeiten innerhalb der Belegdokumente unbedingt und widerspruchsfrei, mithin schlüssig. Die Belegdokumente stehen zu diesem Kernvortrag nicht in Widerspruch und sind daher nicht geeignet, den Vortrag selbst zu „entwerten". Soweit aus diesen Dokumenten Erinnerungslücken der beteiligten Personen hervorgehen, wäre dies ebenso wie Abweichungen in Detailschilderungen lediglich im Falle einer durchzuführenden Beweisaufnahme im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen.
Eine Pflicht des Gerichts, bereits zum Zwecke der Ermittlung der internationalen Zuständigkeit über die von den Klägerinnen schlüssig vorgetragenen Geschehnisse Beweis zu erheben, besteht jedoch, wie oben unter a) ausgeführt, nicht.
Ill.
Die Beklagte zu 2) hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen, da sie unterliegt (§ 97 Abs. 1 ZPO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern (§ 543 ZPO). Die Entscheidung beruht auf der Anwendung anerkannter Rechtssatze im konkreten Einzelfall.