OLG Frankfurt a. M.: Schaumwein als Product of Italy trotz zweiter alkoholischer Gärung in Spanien
OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 11.09.2020 – 6 W 95/20
ECLI:DE:OLGHE:2020:0911.6W95.20.00
Volltext: BB-Online BBL2020-2306-3
Leitsatz
1. Ein Schaumwein, dessen Trauben in Italien geerntet und auch dort zu Grundwein verarbeitet werden, darf nach Art. 45 (1) Untersatz 1 a) VO (EU) 2019/33 auch dann mit der Angabe „Italien Rosé“ oder „Product of Italy“ beworben werden, wenn die zweite Gärung (Versetzen des Grundweins mit Likör, Zucker und Hefe) in Spanien stattfindet.
2. In diesem Fall liegt weder eine Irreführung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 UWG noch ein Verstoß gegen Art. 7 (1) a) VO (EG) 1169/2011 (LMIV) vor.
Sachverhalt
I.
Die Parteien sind Wettbewerber auf dem Gebiet des Weinhandels. Die Antragstellerin ist eine große deutsche Weinkellerei, die ihre Produkte insbesondere an den Lebensmitteleinzelhandel liefert. Die Antragsgegnerin vertreibt Schaumweine an den Lebensmitteleinzelhandel und betreibt auch einen Online-Webshop.
Die Antragstellerin nimmt Anstoß daran, dass die Antragsgegnerin in ihrem Online-Webshop den Schaumwein „Freixenet Italian Rosé“ angeboten hat, der als „Produkt of Italy“ bezeichnet wird. Sie mahnte die Antragsgegnerin deshalb vergeblich ab.
Die Trauben dieses Schaumweines werden in Italien geerntet, wo sie auch zu Wein verarbeitet werden. In einem zweiten Schritt werden diesem „Grundwein“ Likör und Zucker sowie Hefe zugesetzt. Dieser als „zweite Gärung“ bezeichnete Herstellungsschritt findet in Spanien statt.
Die Antragstellerin ist deshalb der Meinung, die Bewerbung des streitbefangenen Schaumweins mit „Italian Rosé“ oder „Product of Italy“ sei nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 UWG irreführend und verstoße gegen Art. 45 (1) Untersatz 1 a) VO (EU) 2019/33 sowie Art. 7 VO (EG) 1169/2011 (künftig nur: LMIV).
Die Antragsgegnerin hat unter dem 27.7.2020 eine Schutzschrift eingereicht, die das Landgericht beigezogen hat.
Das Landgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, der auf Unterlassung der beanstandeten Angaben zur Bewerbung des Schaumweins im geschäftlichen Verkehr gerichtet ist, mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen. Wegen der Begründung wird auf den Beschluss verwiesen.
Hiergegen richtet sich die (sofortige) Beschwerde der Antragstellerin, mit der sie ihre Rechtsauffassung weiter vertieft, die Bezeichnung des Schaumweins sei irreführend, weil sie über die geografische Herkunft des Produkts täusche.
Aus den Gründen
II.
Die sofortige Beschwerde gegen den angefochtenen Beschluss des Landgerichts ist nach §§ 567 Abs. 1 Nr. 2, 569 ZPO zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden. Sie kann jedoch in der Sache keinen Erfolg haben, da es an einem Verfügungsanspruch fehlt, wie das Landgericht im Ergebnis zutreffend festgestellt hat.
1. Die Antragstellerin kann von der Antragsgegnerin nicht verlangen, dass diese es unterlässt, den streitbefangenen Schaumwein mit der Angabe „Freixenet Italian Rosé“ oder „Product of Italy“ in den Verkehr zu bringen oder zu bewerben.
Ein solcher Anspruch ergibt sich weder aus §§ 8 Abs. 1, 3 Abs. 1; 3a UWG i.V.m. Art. 45 (1) VO (EU) 2019/33 [dazu nachfolgend a)] noch - unter dem Gesichtspunkt der Irreführung - aus §§ 8 Abs. 1, 3 Abs. 1, 5 Abs. 1 Nr. 1 UWG [dazu nachfolgend b)] oder §§ 8 Abs. 1, 3 Abs. 1, 3a UWG i.V.m. Art. 7 (1) a) LMIV [dazu nachfolgend c)].
a) Die Antragsgegnerin hat bei den beanstandeten Angaben nicht gegen Art. 45 (1) VO (EU) 2019/33 verstoßen.
Die Angabe der Herkunft ist nach Art. 119 (1) d) VO (EU) 1308/2013 eine obligatorische Pflichtangabe für in der EU vermarkteten oder für die Ausfuhr bestimmten Schaumwein. Nach Art. 45 (1) Untersatz 1 a) VO (EU) 2019/33, der die Pflichtangabe inhaltlich regelt und dem die Qualität einer Markverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG zukommen dürfte, erfolgt die Angabe der Herkunft u.a. durch die Wörter „Wein aus“, „erzeugt in“, „Erzeugnis aus“ oder entsprechende Begriffe, wobei der Name des Mitgliedstaats oder Drittlands hinzugefügt wird, „in dem die Trauben geerntet und zu Wein verarbeitet werden“.
Die Trauben für den von der Antragsgegnerin vertriebenen Schaumwein werden unstreitig in Italien geerntet und auch dort zu Wein verarbeitet. Zwar wird dieser in Italien hergestellte Wein - den die Antragsgegnerin als „Grundwein“ bezeichnet - sodann in einem zweiten Herstellungsschritt - der sog. zweiten Gärung - in Spanien unter Hinzufügung von Likör, Zucker und Hefe zu Schaumwein veredelt. Das ändert jedoch nichts daran, dass die Traubenernte und deren Verarbeitung zu Wein in Italien stattgefunden hat, weshalb der Tatbestand des Art. 45 (1) Untersatz 1 a) VO (EU) 2019/33 vorliegt und der Schaumwein die Herkunftsangaben „Product of Italy“ oder „Italian Rosé“ erhalten darf, die den in der Vorschrift aufgeführten Begriffen in englischer Sprache sinngemäß entsprechen.
Anders als die Antragstellerin meint, kann mit der Wendung „zu Wein verarbeitet“ in Art. 45 (1) Untersatz 1 a) nicht bereits das Endprodukt - der Schaumwein - gemeint sein. Das ergibt sich aus der Betrachtung von Art. 45 (1) Untersatz 2, der bestimmt, dass abweichend von Untersatz 1 a) alternativ auch eine Herkunftsangabe gewählt werden kann, die auf den Mitgliedsstaat verweist, in dem die zweite Gärung stattgefunden hat. Hätte der Verordnungsgeber gewollt, dass nur der Staat als Herkunftsort angegeben wird, in dem die zweite Gärung sattgefunden hat, weil er nur unter diesem Verarbeitungsschritt die „Verarbeitung zu Wein“ verstanden wissen will, hätte es der Alternativregelung in Untersatz 2 nicht bedurft. Es hätte dann überhaupt keine Alternativregelung geben müssen, die es dem Hersteller freistellt, welche Herkunftsangabe er wählt, wenn das Produkt - wie der streitbefangene Schaumwein - in mehreren Schritten hergestellt wird, die an unterschiedlichen Orten stattfinden. Vielmehr hätte der Verordnungsgeber dann regeln müssen, welcher Herkunftsort anzugeben ist, wenn der Herstellungsprozess an mehreren unterschiedlichen Orten stattfindet.
Aus demselben Grund vermag auch die Argumentation der Antragstellerin nicht zu überzeugen, der Verordnungsgeber habe keine inhaltliche Veränderung der Art. 45 vorausgehenden Regelung in Art. 55 (1) VO (EG) 607/2009 gewollt, weshalb die deutsche Fassung der VO (EU) 2019/33 insoweit im Vergleich zur englischen und französischen Version ungenau sei.
Dass es tatsächlich nicht die Intention des Verordnungsgebers gewesen sein kann, dass ein Schaumwein nur dann als Produkt aus Italien bezeichnet werden darf, wenn nicht nur die Trauben von dort stammen und dort zu Grundwein verarbeitet wurden, sondern auch der Schaumwein selbst dort hergestellt wurde - also auch die zweite Gärung und damit alle Herstellungsprozesse in Italien stattgefunden haben - ergibt sich geradewegs aus der Nennung der verschiedenen Herstellungsprozesse und daran anknüpfenden unterschiedlichen Herkunftsangaben, die nach Art. 45 (1) Untersatz 1 a) und Untersatz 2 eben auch in unterschiedlichen Mitgliedsstaaten stattfinden dürfen, ohne dass dadurch die Befugnis entfällt, einen dieser Staaten als Herkunftsland des Produktes anzugeben.
Soweit die Antragstellerin auf Stimmen aus der Literatur verweist, die unter Verweis auf Art. 45 (1) a) VO (EU) 2019/33 vertreten, dass das Traubenerzeugungs- und Herstellungsland identisch sein müssen (vgl. Müller in Weinrechtskommentar - weinrechtsprotal.de - Anm. 6.6.3.1.1), erfolgt dies apodiktisch und ohne weitere Begründung, weshalb diese Auffassung nicht zu überzeugen vermag. Folgte man dieser Auffassung, bliebe überdies die Frage offen, welche Herkunftsbezeichnung ein - wie hier - in zwei unterschiedlichen Ländern hergestellter Schaumwein dann erhalten müsste.
b) Da die von der Antragsgegnerin verwendeten Bezeichnungen im Einklang mit Art. 45 (1) Untersatz 1 a) VO (EU) 2019/33 stehen, können sie auch nicht den Vorwurf der Irreführung im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 1 UWG begründen.
Ein Verstoß gegen § 5 Abs. 1 UWG scheidet nämlich aus, wenn gesetzliche Kennzeichnungsvorschriften eine bestimmte Bezeichnung vorschreiben und das entsprechend gekennzeichnete Produkt den gesetzlichen Kriterien entspricht. In einem solchen Fall genießt das Kennzeichnungsrecht Normvorrang und eine unlautere Irreführung ist auch dann nicht anzunehmen, wenn relevante Teile des Verkehrs die verwendete Bezeichnung falsch verstehen würden (BGH, Urteil vom 16.1.2020 - ZR 74/16 - Kulturchampignons II = GRUR 2020, 432).
c) Schließlich kann der Antragsgegnerin auch nicht vorgeworfen werden, mit den beanstandeten Angaben entgegen dem in Art. 7 (1) a) LMIV vorgeschriebenen Marktverhalten irreführend über die Eigenschaften des streitbefangenen Schaumweins informiert zu haben. Auch insoweit muss der unter b) dargestellte Grundsatz gelten, dass keine unlautere Informationspraxis bzw. Irreführung vorliegen kann, wenn die gewählte Bezeichnung - wie hier - den verordnungsrechtlichen Kennzeichnungsvorschriften entspricht (in diesem Sinne ausdrücklich für das Irreführungsverbot aus Art. 7 (1) a) LMIV: BGH, Urteil vom 16.1.2020 - ZR 74/16 - Kulturchampignons II = GRUR 2020, 432).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
3. Die Streitwertfestsetzung hat ihre Rechtsgrundlage in § 51 Abs. 2 GKG. Die Streitwertangabe der Antragstellerin, gegen die die Antragsgegnerin im Übrigen nichts vorgebracht hat, hat Indizwirkung für den Streitwert (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 3.11.2011 - 6 W 65/10). Allerdings ist davon auszugehen, dass die Ausführungen der Antragstellerin in der Antragsschrift den Hauptsachestreitwert bezeichnen. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats beträgt der Wert für das Eilverfahren zwei Drittel des Hauptsachestreitwertes, so dass hier lediglich 66.000,- € (100.000 : 3 x 2 - gerundet) anzusetzen sind.