EuGH: Schadensersatzklagen wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der EU – Volvo und DAF Trucks
EuGH, Urteil vom 22.6.2022 – C-267/20, Volvo AB (publ.), DAF Trucks NV gegen RM
ECLI:EU:C:2022:494
Volltext: BB-Online BBL2022-2129-1
Tenor
Art. 10 der Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass er eine materiell-rechtliche Vorschrift im Sinne von Art. 22 Abs. 1 dieser Richtlinie darstellt und dass eine Schadensersatzklage in seinen zeitlichen Geltungsbereich fällt, die zwar eine vor dem Inkrafttreten dieser Richtlinie beendete Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht betrifft, aber nach dem Inkrafttreten der Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht erhoben wurde, soweit die für diese Klage nach den alten Vorschriften geltende Verjährungsfrist nicht vor dem Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie abgelaufen war.
Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 ist dahin auszulegen, dass er eine verfahrensrechtliche Vorschrift im Sinne von Art. 22 Abs. 2 dieser Richtlinie darstellt und dass eine Schadensersatzklage in seinen zeitlichen Geltungsbereich fällt, die zwar eine vor dem Inkrafttreten dieser Richtlinie beendete Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht betrifft, aber nach dem 26. Dezember 2014 und nach dem Inkrafttreten der Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht erhoben wurde.
Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 2014/104 ist dahin auszulegen, dass er eine materiell-rechtliche Vorschrift im Sinne von Art. 22 Abs. 1 dieser Richtlinie darstellt und dass eine Schadensersatzklage nicht in seinen zeitlichen Geltungsbereich fällt, die zwar nach dem Inkrafttreten der Vorschriften zur verspäteten Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht erhoben wurde, aber eine vor dem Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie beendete Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht betrifft.
Aus den Gründen
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 101 AEUV, Art. 10, 17 und 22 Abs. 2 der Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union (ABl. 2014, L 349, S. 1) sowie des Effektivitätsgrundsatzes.
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits, in dem sich die Volvo AB (publ.) und die DAF Trucks NV auf der einen Seite und RM auf der anderen Seite gegenüberstehen. Dem Rechtsstreit liegt eine von RM erhobene Klage auf Ersatz des Schadens zugrunde, der durch eine von der Europäischen Kommission festgestellte Zuwiderhandlung von mehreren Lkw-Herstellern, darunter Volvo und DAF Trucks, gegen Art. 101 AEUV entstanden sein soll.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 Der 47. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/104 lautet:
„Um die Informationsasymmetrie und einige der mit der Quantifizierung des Schadens in wettbewerbsrechtlichen Fällen verbundenen Schwierigkeiten zu beheben und um die wirksame Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen zu gewährleisten, ist es angebracht zu vermuten, dass Zuwiderhandlungen in Form von Kartellen einen Schaden verursachen, insbesondere durch Auswirkungen auf die Preise. Je nach Sachverhalt verursachen Kartelle Preiserhöhungen oder verhindern Preissenkungen, die ohne das Kartell eingetreten wären. Diese Vermutung sollte nicht die konkrete Höhe des Schadens erfassen. Den Rechtsverletzern sollte es erlaubt sein, diese Vermutung zu widerlegen. Es ist angebracht, diese widerlegbare Vermutung auf Kartelle zu beschränken, da diese durch ihren geheimen Charakter die Informationsasymmetrie verstärken und es dem Kläger erschweren, die für den Nachweis des Schadens erforderlichen Beweise zu beschaffen.“
4 Art. 10 („Verjährung“) dieser Richtlinie bestimmt:
„(1) Die Mitgliedstaaten legen die Vorschriften über die Verjährungsfristen für die Erhebung von Schadensersatzklagen im Einklang mit diesem Artikel fest. In diesen Vorschriften wird festgelegt, wann die Verjährungsfrist beginnt, ihre Dauer und unter welchen Umständen eine Unterbrechung oder Hemmung der Frist eintritt.
(2) Die Verjährungsfrist beginnt nicht, bevor die Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht beendet wurde und der Kläger von Folgendem Kenntnis erlangt hat oder diese Kenntnis vernünftigerweise erwartet werden kann:
a) dem Verhalten und der Tatsache, dass dieses eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht darstellt,
b) der Tatsache, dass ihm durch die Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht ein Schaden entstanden ist, und
c) der Identität des Rechtsverletzers.
(3) Die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass die Verjährungsfristen für die Erhebung von Schadensersatzklagen mindestens fünf Jahre betragen.
(4) Die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass eine Verjährungsfrist gehemmt oder – je nach nationalem Recht – unterbrochen wird, wenn eine Wettbewerbsbehörde Maßnahmen im Hinblick auf eine Untersuchung oder ihr Verfahren wegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht trifft, auf die sich die Schadensersatzklage bezieht. Die Hemmung endet frühestens ein Jahr, nachdem die Zuwiderhandlungsentscheidung bestandskräftig geworden oder das Verfahren auf andere Weise beendet worden ist.“
5 Art. 17 („Ermittlung des Schadensumfangs“) dieser Richtlinie sieht vor:
„(1) Die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass weder die Beweislast noch das Beweismaß für die Ermittlung des Schadensumfangs die Ausübung des Rechts auf Schadensersatz praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren. Die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass die nationalen Gerichte gemäß den nationalen Verfahren befugt sind, die Höhe des Schadens zu schätzen, wenn erwiesen ist, dass ein Kläger einen Schaden erlitten hat, es jedoch praktisch unmöglich oder übermäßig schwierig ist, die Höhe des erlittenen Schadens aufgrund der vorhandenen Beweismittel genau zu beziffern.
(2) Es wird vermutet, dass Zuwiderhandlungen in Form von Kartellen einen Schaden verursachen. Der Rechtsverletzer hat das Recht, diese Vermutung zu widerlegen.
(3) Die Mitgliedstaaten gewährleisten bei Verfahren über Schadensersatzklagen, dass eine nationale Wettbewerbsbehörde auf Antrag eines nationalen Gerichts diesem nationalen Gericht bei der Festlegung der Höhe des Schadensersatzes behilflich sein kann, wenn die nationale Wettbewerbsbehörde dies für angebracht hält.“
6 In Art. 21 Abs. 1 der Richtlinie heißt es:
„Die Mitgliedstaaten setzen die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie spätestens bis zum 27. Dezember 2016 nachzukommen. Sie teilen der Kommission unverzüglich den Wortlaut dieser Rechtsvorschriften mit.
Wenn die Mitgliedstaaten diese Vorschriften erlassen, nehmen sie in den Vorschriften selbst oder durch einen Hinweis bei der amtlichen Veröffentlichung auf diese Richtlinie Bezug. Die Mitgliedstaaten regeln die Einzelheiten der Bezugnahme.“
7 Art. 22 („Zeitliche Geltung“) der Richtlinie 2014/104 lautet:
„(1) Die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass die nationalen Vorschriften, die nach Artikel 21 erlassen werden, um den materiell-rechtlichen Vorschriften dieser Richtlinie zu entsprechen, nicht rückwirkend gelten.
(2) Die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass die nationalen Vorschriften, die nach Artikel 21 erlassen werden und die nicht unter Absatz 1 fallen, nicht für Schadensersatzklagen gelten, die vor dem 26. Dezember 2014 bei einem nationalen Gericht erhoben wurden.“
8 Art. 25 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln [101] und [102 AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) sieht vor:
„Die Verjährungsfrist beginnt mit dem Tag, an dem die Zuwiderhandlung begangen worden ist. Bei dauernden oder fortgesetzten Zuwiderhandlungen beginnt die Verjährung jedoch erst mit dem Tag, an dem die Zuwiderhandlung beendet ist.“
9 In Art. 30 („Veröffentlichung von Entscheidungen“) dieser Verordnung heißt es:
„(1) Die Kommission veröffentlicht die Entscheidungen, die sie nach den Artikeln 7 bis 10 sowie den Artikeln 23 und 24 erlässt.
(2) Die Veröffentlichung erfolgt unter Angabe der Beteiligten und des wesentlichen Inhalts der Entscheidung einschließlich der verhängten Sanktionen. Sie muss dem berechtigten Interesse der Unternehmen an der Wahrung ihrer Geschäftsgeheimnisse Rechnung tragen.“
Spanisches Recht
10 In Art. 74 Abs. 1 der Ley 15/2007 de Defensa de la Competencia (Gesetz 15/2007 zum Schutz des Wettbewerbs) vom 3. Juli 2007 (BOE Nr. 159 vom 4. Juli 2007, S. 28848) in der durch das Real Decreto-ley 9/2017, por el que se transponen directivas de la Unión Europea en los ámbitos financiero, mercantil y sanitario, y sobre el desplazamiento de trabajadores (Königliches Gesetzesdekret 9/2017 zur Umsetzung von Richtlinien der Europäischen Union im Finanz‑, Handels- und Gesundheitsbereich sowie über die Entsendung von Arbeitnehmern) vom 26. Mai 2017 (BOE Nr. 126 vom 27. Mai 2017, S. 42820) geänderten Fassung (im Folgenden: Gesetz 15/2007 in der durch das Königliche Gesetzesdekret 9/2017 geänderten Fassung) heißt es:
„Die Verjährungsfrist für die Erhebung von Schadensersatzklagen wegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht beträgt fünf Jahre.“
11 Art. 76 Abs. 2 und 3 des Gesetzes 15/2007 in der durch das Königliche Gesetzesdekret 9/2017 geänderten Fassung sieht vor:
„2. Wenn erwiesen ist, dass ein Kläger einen Schaden erlitten hat, es jedoch praktisch unmöglich oder übermäßig schwierig ist, die Höhe des erlittenen Schadens aufgrund der vorhandenen Beweismittel genau zu beziffern, sind die Gerichte befugt, die Höhe des Schadensersatzes zu schätzen.
3. Bis zum Beweis des Gegenteils wird vermutet, dass Zuwiderhandlungen in Form von Kartellen einen Schaden verursachen.“
12 Die Erste Übergangsbestimmung des Königlichen Gesetzesdekrets 9/2017 zur Umsetzung der Richtlinie 2014/104 in spanisches Recht („Übergangsregelung für Schadensersatzklagen wegen Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht der Mitgliedstaaten oder der Europäischen Union“) bestimmt:
„1. Die Bestimmungen des Art. 3 dieses Königlichen Gesetzesdekrets gelten nicht rückwirkend.
2. Die Bestimmungen des Art. 4 dieses Königlichen Gesetzesdekrets gelten ausschließlich für nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzesdekrets eingeleitete Verfahren.“
13 Art. 1902 des Código Civil (Bürgerliches Gesetzbuch) lautet:
„Wer durch sein vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln oder Unterlassen einem anderen einen Schaden zufügt, ist zum Ersatz des verursachten Schadens verpflichtet.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
14 In den Jahren 2006 und 2007 kaufte RM von Volvo und von DAF Trucks drei von diesen Unternehmen hergestellte Lastkraftwagen.
15 Am 19. Juli 2016 erließ die Kommission den Beschluss C(2016) 4673 final in einem Verfahren nach Artikel 101 [AEUV] und Artikel 53 des EWR-Abkommens (Sache AT.39824 – Lkw) und veröffentlichte dazu eine Pressemitteilung. Am 6. April 2017 veröffentlichte die Kommission gemäß Art. 30 der Verordnung Nr. 1/2003 die Zusammenfassung dieses Beschlusses im Amtsblatt der Europäischen Union.
16 Mit diesem Beschluss stellte die Kommission fest, dass mehrere Lkw-Hersteller, darunter Volvo und DAF Trucks, Art. 101 AEUV und Art. 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 (ABl. 1994, L 1, S. 3) zuwidergehandelt haben, indem sie sich zum einen über die Preisfestsetzung und Bruttolistenpreiserhöhungen für Lastkraftwagen zwischen 6 Tonnen und 16 Tonnen, d. h. mittelschwere Lkw, und über 16 Tonnen, d. h. schwere Lkw, im Europäischen Wirtschaftsraum und zum anderen über den Zeitplan und die Weitergabe der Kosten für die Einführung von Emissionstechnologien nach den Abgasnormen EURO 3 bis EURO 6 abgesprochen haben. Die Zuwiderhandlung von Volvo und DAF Trucks bestand vom 17. Januar 1997 bis 18. Januar 2011.
17 Am 27. Mai 2017, also fünf Monate nach Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie 2014/104, trat das Königliche Gesetzesdekret 9/2017 zur Umsetzung dieser Richtlinie in spanisches Recht in Kraft.
18 Am 1. April 2018 erhob RM beim Juzgado de lo Mercantil de León (Handelsgericht León, Spanien) Klage gegen Volvo und DAF Trucks. Mit dieser Klage begehrt er Ersatz des Schadens, der ihm wegen der wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen dieser beiden Unternehmen entstanden sein soll. Die Klage wird in erster Linie auf die einschlägigen Bestimmungen des Gesetzes 15/2007 in der durch das Königliche Gesetzesdekret 9/2017 geänderten Fassung, hilfsweise auf die allgemeinen Bestimmungen über die außervertragliche Haftung, insbesondere auf Art. 1902 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, gestützt. Diese Klage ist eine Schadensersatzklage nach Ergehen eines bestandskräftigen Beschlusses der Kommission, mit dem eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum festgestellt worden ist.
19 Volvo und DAF Trucks traten dieser Klage entgegen und machten u. a. geltend, sie sei verjährt, und RM habe nicht nachgewiesen, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der in dem Beschluss C(2016) 4673 final festgestellten Zuwiderhandlung und der Preiserhöhung für Lastkraftwagen bestehe.
20 Mit Urteil vom 15. Oktober 2019 gab der Juzgado de lo Mercantil de León (Handelsgericht León) der Klage von RM teilweise statt und verurteilte Volvo und DAF Trucks zur Leistung einer Entschädigungszahlung in Höhe von 15 % des Erwerbspreises der Lastkraftwagen zuzüglich der gesetzlichen Zinsen an RM, ohne allerdings diesen Unternehmen die Kosten aufzuerlegen. Dieses Gericht wies die von Volvo und DAF Trucks erhobene Verjährungseinrede u. a. mit der Begründung zurück, dass die fünfjährige Frist des Art. 74 des Gesetzes 15/2007 in der durch das Königliche Gesetzesdekret 9/2017 geänderten Fassung, mit dem Art. 10 Abs. 3 der Richtlinie 2014/104 umgesetzt werde, zum Zeitpunkt der Klageerhebung in Kraft gewesen und daher im vorliegenden Fall anwendbar sei. Außerdem stützte sich dieses Gericht, indem es davon ausging, dass Art. 76 Abs. 2 und 3 dieses Gesetzes, wodurch Art. 17 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie umgesetzt werde, eine verfahrensrechtliche Vorschrift sei, erstens auf die in Art. 76 Abs. 3 des Gesetzes 15/2007 in der durch das Königliche Gesetzesdekret 9/2017 geänderten Fassung festgelegte Schadensvermutung, um das Vorliegen eines RM entstandenen Schadens zu bejahen, und zweitens auf Art. 76 Abs. 2 dieses Gesetzes, um die Höhe dieses Schadens zu beziffern.
21 Volvo und DAF Trucks haben gegen dieses Urteil Berufung bei der Audiencia Provincial de Léon (Provinzgericht Léon, Spanien) eingelegt. Diese beiden Unternehmen machen geltend, die Richtlinie 2014/104 sei im vorliegenden Fall nicht anwendbar, weil sie zum Zeitpunkt der Begehung der in Rede stehenden Zuwiderhandlung, die am 18. Januar 2011 geendet habe, nicht in Kraft gewesen sei. Für die Bestimmung der für die Schadensersatzklage von RM geltenden Regelung sei auf den Zeitpunkt der Begehung dieser Zuwiderhandlung abzustellen.
22 Volvo und DAF Trucks halten daher daran fest, dass die Schadensersatzklage von RM verjährt sei. Hierzu macht DAF Trucks geltend, dass nicht die fünfjährige Verjährungsfrist gemäß Art. 10 der Richtlinie 2014/104, die mit Art. 74 Abs. 1 des Gesetzes 15/2007 in der durch das Königliche Gesetzesdekret 9/2017 geänderten Fassung umgesetzt worden sei, sondern die in Art. 1968 des Bürgerlichen Gesetzbuchs vorgesehene einjährige Verjährungsfrist gelte. Außerdem habe der Lauf dieser einjährigen Verjährungsfrist mit der Veröffentlichung der Pressemitteilung der Kommission zum Beschluss C(2016) 4673 final begonnen. Daher sei diese Verjährungsfrist zu dem Zeitpunkt, zu dem RM ihre Schadensersatzklage erhoben habe, d. h. am 1. April 2018, abgelaufen gewesen.
23 Volvo und DAF Trucks fügen hinzu, da diese Richtlinie nicht anwendbar sei, müssten im vorliegenden Fall sowohl das Vorliegen als auch die Höhe des Schadens nachgewiesen werden; andernfalls sei die Klage abzuweisen.
24 In diesem Zusammenhang fragt sich das vorlegende Gericht nach dem zeitlichen Geltungsbereich von Art. 10 und Art. 17 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2014/104. Dieser Geltungsbereich werde in Art. 22 dieser Richtlinie festgelegt.
25 Zur Klärung dessen, ob Art. 10 und Art. 17 Abs. 1 und 2 der Richtlinie, die die Verjährungsfrist, das Vorliegen eines aufgrund eines Kartells entstandenen Schadens bzw. die Ermittlung dessen Umfangs regeln, auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbar sind, fragt sich das vorlegende Gericht zum einen, ob diese Vorschriften materiell-rechtlicher oder verfahrensrechtlicher Natur sind.
26 Zum anderen möchte das vorlegende Gericht wissen, in Bezug auf welchen Zeitpunkt die zeitliche Geltung dieser Vorschriften zu prüfen ist, um zu ermitteln, ob sie im vorliegenden Fall anwendbar sind.
27 Unter diesen Umständen hat die Audiencia Provincial de León (Provinzgericht León) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Sind Art. 101 AEUV und der Effektivitätsgrundsatz dahin auszulegen, dass sie einer Auslegung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften entgegenstehen, nach der die in Art. 10 der Richtlinie 2014/104 vorgesehene fünfjährige Verjährungsfrist für die Klageerhebung sowie Art. 17 dieser Richtlinie über die gerichtliche Schadensermittlung nicht rückwirkend anwendbar sind und der für die Rückwirkung maßgebende Zeitpunkt nicht jener der Klageerhebung, sondern der der Sanktionsentscheidung ist?
2. Sind Art. 22 Abs. 2 der Richtlinie 2014/104 und der Begriff „rückwirkend“ dahin auszulegen, dass Art. 10 dieser Richtlinie auf eine Klage wie jene im Ausgangsverfahren anwendbar ist, die zwar nach dem Inkrafttreten der Richtlinie und ihrer Umsetzungsbestimmungen erhoben wurde, sich aber auf frühere Sachverhalte bzw. Sanktionen bezieht?
3. Ist Art. 17 der Richtlinie 2014/104 über die gerichtliche Schadensschätzung im Rahmen der Anwendung einer Bestimmung wie Art. 76 des Gesetzes 15/2007 dahin auszulegen, dass es sich um eine verfahrensrechtliche Vorschrift handelt, die auf das Ausgangsverfahren anwendbar ist, in dem die Klage nach dem Inkrafttreten der innerstaatlichen Umsetzungsbestimmungen erhoben wurde?
Zu den Vorlagefragen
28 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist es im Rahmen des durch Art. 267 AEUV geschaffenen Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof Aufgabe des Gerichtshofs, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Rechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben. Aus diesem Blickwinkel obliegt es dem Gerichtshof gegebenenfalls, die ihm gestellten Fragen umzuformulieren. Der Umstand, dass ein nationales Gericht eine Vorlagefrage ihrer Form nach unter Bezugnahme auf bestimmte Vorschriften des Unionsrechts formuliert hat, hindert den Gerichtshof nicht daran, diesem Gericht alle Auslegungshinweise zu geben, die ihm bei der Entscheidung über die bei ihm anhängige Rechtssache von Nutzen sein können, und zwar unabhängig davon, ob es bei der Formulierung seiner Fragen darauf Bezug genommen hat oder nicht. Der Gerichtshof hat insoweit aus allem, was das einzelstaatliche Gericht vorgelegt hat, insbesondere aus der Begründung der Vorlageentscheidung, diejenigen Elemente des Unionsrechts herauszuarbeiten, die unter Berücksichtigung des Gegenstands des Rechtsstreits einer Auslegung bedürfen (Urteil vom 28. März 2019, Cogeco Communications, C‑637/17, EU:C:2019:263, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).
29 Im vorliegenden Fall sind, um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, angesichts all dessen, was von diesem Gericht vorgelegt worden ist, die Vorlagefragen umzuformulieren.
30 Aus der Vorlageentscheidung geht nämlich hervor, dass das vorlegende Gericht mit seinen drei Fragen, die zusammen zu prüfen sind, im Wesentlichen die Frage nach der zeitlichen Geltung von Art. 10 und Art. 17 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2014/104 nach Maßgabe von deren Art. 22 für eine Schadensersatzklage stellt, die zwar eine vor dem Inkrafttreten dieser Richtlinie beendete Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht betrifft, aber nach dem Inkrafttreten der Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht erhoben wurde.
Vorbemerkungen
31 Während bei Verfahrensvorschriften im Allgemeinen davon auszugehen ist, dass sie ab dem Datum ihres Inkrafttretens Anwendung finden (Urteil vom 3. Juni 2021, Jumbocarry Trading, C‑39/20, EU:C:2021:435, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung), sind die Vorschriften des materiellen Unionsrechts im Interesse der Beachtung der Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes so auszulegen, dass sie für vor ihrem Inkrafttreten abgeschlossene Sachverhalte nur gelten, soweit aus ihrem Wortlaut, ihrer Zielsetzung oder ihrem Aufbau eindeutig hervorgeht, dass ihnen eine solche Wirkung beizumessen ist (Urteil vom 21. Dezember 2021, Skarb Państwa [Deckung der Kfz-Haftpflichtversicherung], C‑428/20, EU:C:2021:1043, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).
32 Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs geht ferner hervor, dass eine neue Rechtsnorm grundsätzlich ab dem Inkrafttreten des Rechtsakts anwendbar ist, mit dem sie eingeführt wird. Sie ist zwar nicht auf unter dem alten Recht entstandene und endgültig erworbene Rechtspositionen anwendbar, findet jedoch auf künftige Wirkungen eines unter dem alten Recht entstandenen Sachverhalts sowie auf neue Rechtspositionen Anwendung. Etwas anderes gilt nur – und vorbehaltlich des Verbots der Rückwirkung von Rechtsakten –, wenn zusammen mit der neuen Rechtsnorm besondere Vorschriften erlassen werden, die speziell die Voraussetzungen für ihre zeitliche Geltung regeln (Urteil vom 21. Dezember 2021, Skarb Państwa [Deckung der Kfz-Haftpflichtversicherung], C‑428/20, EU:C:2021:1043, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).
33 Was insbesondere Richtlinien betrifft, können in der Regel nur nach Ablauf der Umsetzungsfrist einer Richtlinie erworbene Rechtspositionen dem zeitlichen Geltungsbereich dieser Richtlinie zugeordnet werden (Beschluss vom 16. Mai 2019, Luminor Bank, C‑8/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:429, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).
34 Dies gilt erst recht für unter dem alten Recht entstandene Rechtspositionen, die nach dem Inkrafttreten nationaler Rechtsakte, die zur Umsetzung einer Richtlinie nach Ablauf deren Umsetzungsfrist erlassen wurden, weiterhin ihre Wirkung entfalten.
35 In diesem Zusammenhang ist zur zeitlichen Anwendbarkeit der Richtlinie 2014/104 darauf hinzuweisen, dass diese Richtlinie eine Sonderbestimmung enthält, die die Voraussetzungen für die zeitliche Geltung ihrer materiell-rechtlichen und nicht materiell-rechtlichen Vorschriften ausdrücklich regelt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. März 2019, Cogeco Communications, C‑637/17, EU:C:2019:263, Rn. 25).
36 Insbesondere müssen zum einen nach Art. 22 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass die nationalen Vorschriften, die nach Art. 21 dieser Richtlinie erlassen werden, um deren materiell-rechtlichen Vorschriften zu entsprechen, nicht rückwirkend gelten (Urteil vom 28. März 2019, Cogeco Communications, C‑637/17, EU:C:2019:263, Rn. 26).
37 Zum anderen müssen nach Art. 22 Abs. 2 der Richtlinie 2014/104 die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass die nationalen Vorschriften, die erlassen werden, um den nicht materiell-rechtlichen Vorschriften dieser Richtlinie zu entsprechen, nicht für Schadensersatzklagen gelten, die vor dem 26. Dezember 2014 bei einem nationalen Gericht erhoben wurden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. März 2019, Cogeco Communications, C‑637/17, EU:C:2019:263, Rn. 27).
38 Um die Frage der zeitlichen Anwendbarkeit der Vorschriften der Richtlinie 2014/104 zu klären, ist daher erstens zu prüfen, ob die betreffende Vorschrift eine materiell-rechtliche Vorschrift darstellt oder nicht.
39 Die Frage, welche der Vorschriften dieser Richtlinie materiell-rechtlicher und welche verfahrensrechtlicher Natur sind, ist, da es in Art. 22 der Richtlinie an einer Verweisung auf das nationale Recht 2014/104 fehlt, nach Unionsrecht und nicht nach dem anwendbaren nationalen Recht zu beurteilen.
40 Außerdem geht aus dem Wortlaut von Art. 22, dessen Abs. 1 sich auf die „materiell-rechtlichen Vorschriften dieser Richtlinie“ bezieht, eindeutig hervor, dass sich die Einstufung als materiell-rechtlich oder nicht materiell-rechtlich auf die Vorschriften dieser Richtlinie und nicht die nationalen Maßnahmen bezieht, die erlassen werden, um ihnen zu entsprechen, auch wenn der genannte Artikel nicht für jede Vorschrift klarstellt, ob sie materiell-rechtlich ist oder nicht.
41 Im Übrigen könnte die wirksame, kohärente und einheitliche Anwendung der Vorschriften der Richtlinie 2014/104 im Gebiet der Union beeinträchtigt werden, wenn den Mitgliedstaaten hinsichtlich der Frage, ob diese Vorschriften materiell-rechtlich sind, ein Wertungsspielraum eingeräumt würde.
42 Ist festgestellt worden, ob die betreffende Vorschrift materiell-rechtlich ist oder nicht, ist zweitens zu prüfen, ob unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, unter denen diese Richtlinie verspätet umgesetzt worden ist, der in Rede stehende Sachverhalt, soweit er nicht als neu eingestuft werden kann, vor Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie abgeschlossen war oder ob er nach Ablauf dieser Frist weiterhin Wirkung entfaltet hat.
Zur zeitlichen Anwendbarkeit von Art. 10 der Richtlinie 2014/104
43 Was erstens die Frage der materiell-rechtlichen Natur von Art. 10 der Richtlinie 2014/104 betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass dieser Artikel nach seinem Abs. 1 die Vorschriften über die Verjährungsfristen für die Erhebung von Schadensersatzklagen wegen Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht festlegt. Die Abs. 2 und 4 dieses Artikels legen insbesondere fest, wann die Verjährungsfrist beginnt und unter welchen Umständen eine Unterbrechung oder Hemmung der Frist eintreten kann.
44 Art. 10 Abs. 3 dieser Richtlinie legt die Mindestdauer der Verjährungsfrist fest. Nach dieser Vorschrift gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass die Verjährungsfristen für die Erhebung von Schadensersatzklagen wegen Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht mindestens fünf Jahre betragen.
45 Die in Art. 10 Abs. 3 der Richtlinie 2014/104 vorgesehene Verjährungsfrist soll insbesondere zum einen den Schutz der Rechte des Geschädigten gewährleisten, weil dieser über genügend Zeit verfügen muss, um im Hinblick auf eine etwaige Klage sachdienliche Informationen zusammenzutragen, und zum anderen verhindern, dass der Geschädigte die Geltendmachung seines Schadensersatzanspruchs zum Nachteil der für den Schaden verantwortlichen Person auf unbegrenzte Zeit hinausschieben kann. Diese Frist schützt daher letztlich sowohl den Geschädigten als auch die Person, die für den Schaden verantwortlich ist (vgl. entsprechend Urteil vom 8. November 2012, Evropaïki Dynamiki/Kommission, C‑469/11 P, EU:C:2012:705, Rn. 53).
46 In diesem Zusammenhang ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass sich im Unterschied zu den Verfahrensfristen die Verjährungsfrist dadurch, dass sie zum Untergang der Klage führt, auf das materielle Recht bezieht, denn sie betrifft die Ausübung eines subjektiven Rechts, auf das sich der Betroffene vor Gericht nicht mehr wirksam berufen kann (vgl. entsprechend Urteil vom 8. November 2012, Evropaïki Dynamiki/Kommission, C‑469/11 P, EU:C:2012:705, Rn. 52).
47 Daher ist, wie der Generalanwalt in den Nrn. 66 und 67 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, davon auszugehen, dass Art. 10 der Richtlinie 2014/104 eine materiell-rechtliche Vorschrift im Sinne von Art. 22 Abs. 1 dieser Richtlinie ist.
48 Zweitens ist, da im vorliegenden Fall feststeht, dass die Richtlinie 2014/104 fünf Monate nach Ablauf der in ihrem Art. 21 vorgesehenen Umsetzungsfrist in spanisches Recht umgesetzt worden ist, weil das Königliche Gesetzesdekret 9/2017 zur Umsetzung dieser Richtlinie am 27. Mai 2017 in Kraft getreten ist, zur Bestimmung der zeitlichen Anwendbarkeit von Art. 10 der Richtlinie zu prüfen, ob der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Sachverhalt vor Ablauf der Umsetzungsfrist dieser Richtlinie abgeschlossen war oder ob er nach Ablauf dieser Frist weiterhin Wirkung entfaltet.
49 Zu diesem Zweck ist angesichts der Besonderheiten der Verjährungsvorschriften, ihrer Natur sowie ihres Funktionsmechanismus, insbesondere im Zusammenhang mit einer Schadensersatzklage nach Ergehen eines bestandskräftigen Beschlusses, mit dem eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht der Union festgestellt worden ist, zu prüfen, ob zum Zeitpunkt des Ablaufs der Umsetzungsfrist der Richtlinie 2014/104, d. h. am 27. Dezember 2016, die für den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Sachverhalt geltende Verjährungsfrist abgelaufen war, was die Bestimmung des Zeitpunkts voraussetzt, zu dem der Lauf dieser Verjährungsfrist begonnen hat.
50 In Bezug auf den Zeitpunkt, zu dem diese Verjährungsfrist zu laufen begonnen hat, ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs, wenn keine einschlägige Unionsregelung zeitlich anwendbar ist, die Regelung der Modalitäten für die Ausübung des Rechts, Ersatz des sich aus einem Verstoß gegen die Art. 101 und 102 AEUV ergebenden Schadens zu verlangen, einschließlich derjenigen für die Verjährungsfristen, Aufgabe der Rechtsordnung des einzelnen Mitgliedstaats ist, wobei der Äquivalenz- und der Effektivitätsgrundsatz zu beachten sind. Letzterer verlangt, dass die Vorschriften über die Rechtsbehelfe, die den Schutz der dem Einzelnen aus der unmittelbaren Wirkung des Unionsrechts erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. März 2019, Cogeco Communications, C‑637/17, EU:C:2019:263, Rn. 42 und 43).
51 Im vorliegenden Fall geht aus der dem Gerichtshof vorliegenden Akte hervor, dass die Verjährungsfrist für die Erhebung von Schadensersatzklagen wegen Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht vor der Umsetzung der Richtlinie in spanisches Recht durch die allgemeinen Bestimmungen über die außervertragliche Haftung geregelt war und dass der Lauf dieser einjährigen Verjährungsfrist nach Art. 1968 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs erst zu dem Zeitpunkt begann, zu dem der betreffende Kläger Kenntnis von den haftungsbegründenden Umständen erlangt hatte. Zwar geht aus der Vorlageentscheidung nicht ausdrücklich hervor, welche nach spanischem Recht die haftungsbegründenden Umstände sind, deren Kenntnis den Lauf der Verjährungsfrist auslöst, doch scheint die dem Gerichtshof vorliegende Akte darauf hinzudeuten, dass diese Umstände die Kenntnis der für die Erhebung einer Schadensersatzklage unerlässlichen Informationen voraussetzen. Dies zu bestimmen ist Sache des vorlegenden Gerichts.
52 Nichtsdestoweniger ist es, wenn ein nationales Gericht einen Rechtsstreit zwischen Privaten zu entscheiden hat, gegebenenfalls Sache dieses Gerichts, die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Vorschriften so weit wie möglich im Licht des Unionsrechts und insbesondere anhand des Wortlauts und des Zwecks von Art. 101 AEUV auszulegen, ohne jedoch eine Auslegung contra legem dieser nationalen Vorschriften vorzunehmen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Januar 2021, Whiteland Import Export, C‑308/19, EU:C:2021:47, Rn. 60 bis 62).
53 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass eine nationale Regelung, die den Zeitpunkt, an dem die Verjährungsfrist zu laufen beginnt, deren Dauer und die Modalitäten ihrer Hemmung oder Unterbrechung festlegt, den wettbewerbsrechtlichen Besonderheiten und den Zielen der Umsetzung der Wettbewerbsvorschriften durch die betroffenen Personen angepasst sein muss, um nicht die volle Wirksamkeit der Art. 101 und 102 AEUV zu untergraben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. März 2019, Cogeco Communications, C‑637/17, EU:C:2019:263, Rn. 47).
54 Die Erhebung von Schadensersatzklagen wegen Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht der Union erfordert nämlich grundsätzlich eine komplexe Analyse des Sachverhalts und der wirtschaftlichen Zusammenhänge (Urteil vom 28. März 2019, Cogeco Communications, C‑637/17, EU:C:2019:263, Rn. 46).
55 Ferner ist zu berücksichtigen, dass Rechtsstreitigkeiten wegen Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht der Union und gegen das nationale Wettbewerbsrecht grundsätzlich durch eine Informationsasymmetrie zum Nachteil des Geschädigten gekennzeichnet sind, worauf im 47. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/104 hingewiesen wird, was es für den Geschädigten schwieriger macht, die für die Erhebung einer Schadensersatzklage unerlässlichen Informationen zu erlangen, als es für die Wettbewerbsbehörden ist, die für die Ausübung ihrer Befugnisse zur Durchführung des Wettbewerbsrechts erforderlichen Informationen zu erhalten.
56 Im Unterschied zu der für die Kommission geltenden Vorschrift in Art. 25 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003, wonach die Frist für die Verfolgungsverjährung mit dem Tag beginnt, an dem die Zuwiderhandlung begangen worden ist oder, bei dauernden oder fortgesetzten Zuwiderhandlungen, mit dem Tag, an dem die Zuwiderhandlung beendet ist, beginnen die Verjährungsfristen für die Erhebung von Schadensersatzklagen wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Union erst dann zu laufen, wenn die Zuwiderhandlung beendet wurde und der Geschädigte von den für die Erhebung seiner Schadensersatzklage unerlässlichen Informationen Kenntnis erlangt hat oder eine solche Kenntnisnahme vernünftigerweise erwartet werden kann.
57 Andernfalls würde die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert.
58 Was die für die Erhebung einer Schadensersatzklage unerlässlichen Informationen betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs jedermann Ersatz des ihm entstandenen Schadens verlangen kann, wenn zwischen dem Schaden und einem Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht der Union ein ursächlicher Zusammenhang besteht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. Juni 2014, Kone u. a., C‑557/12, EU:C:2014:1317, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 28. März 2019, Cogeco Communications, C‑637/17, EU:C:2019:263, Rn. 40).
59 Außerdem geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor, dass, damit der Geschädigte eine Schadensersatzklage erheben kann, es unerlässlich ist, dass er weiß, wer für den Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht verantwortlich ist (Urteil vom 28. März 2019, Cogeco Communications, C‑637/17, EU:C:2019:263, Rn. 50).
60 Daraus folgt, dass das Vorliegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht, das Vorliegen eines Schadens, der ursächliche Zusammenhang zwischen diesem Schaden und dieser Zuwiderhandlung sowie die Identität des Rechtsverletzers zu den unerlässlichen Angaben gehören, über die der Geschädigte verfügen muss, um eine Schadensersatzklage zu erheben.
61 Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass die für Schadensersatzklagen wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Union geltenden Verjährungsfristen nicht zu laufen beginnen können, bevor die Zuwiderhandlung beendet ist und der Geschädigte davon Kenntnis erlangt hat – oder eine solche Kenntnisnahme durch ihn vernünftigerweise erwartet werden kann –, dass ihm durch diese Zuwiderhandlung ein Schaden entstanden ist sowie wer der Rechtsverletzer ist.
62 Im vorliegenden Fall endete die Zuwiderhandlung am 18. Januar 2011. Was den Zeitpunkt betrifft, zu dem vernünftigerweise erwartet werden kann, dass RM von den für die Erhebung einer Schadensersatzklage unerlässlichen Angaben Kenntnis erlangt hat, vertreten Volvo und DAF Trucks die Auffassung, dass der maßgebliche Zeitpunkt derjenige der Veröffentlichung der Pressemitteilung zum Beschluss C(2016) 4673 final sei, d. h. der 19. Juli 2016, und dass folglich die in Art. 1968 des Bürgerlichen Gesetzbuchs vorgesehene Verjährungsfrist mit dem Tag dieser Veröffentlichung zu laufen begonnen habe.
63 RM, die spanische Regierung und die Kommission sind dagegen der Auffassung, dass der Tag der Veröffentlichung der Zusammenfassung des Beschlusses C(2016) 4673 final im Amtsblatt der Europäischen Union maßgeblich sei, d. h. der 6. April 2017.
64 Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass der Geschädigte – selbst in einer Kartellsache – von den für die Erhebung einer Schadensersatzklage unerlässlichen Angaben deutlich vor dem Zeitpunkt Kenntnis erlangen kann, zu dem die Zusammenfassung eines Beschlusses der Kommission im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wird, oder sogar noch vor der Veröffentlichung der Pressemitteilung zu diesem Beschluss, doch geht aus der dem Gerichtshof vorliegenden Akte nicht hervor, dass dergleichen hier der Fall wäre.
65 Daher ist zu bestimmen, welche dieser beiden Veröffentlichungen diejenige ist, für die vernünftigerweise davon ausgegangen werden kann, dass RM durch sie von den unerlässlichen Angaben Kenntnis erlangt hat, die es ihr ermöglichen, eine Schadensersatzklage zu erheben.
66 Hierfür sind der Gegenstand und die Natur der Pressemitteilungen zu Beschlüssen der Kommission und der Zusammenfassungen dieser Beschlüsse, die im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht werden, zu berücksichtigen.
67 Wie der Generalanwalt im Wesentlichen in den Nrn. 125 bis 127 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, enthalten die Pressemitteilungen zunächst grundsätzlich weniger detaillierte Informationen über die Umstände der betreffenden Sache und die Gründe für die Einstufung eines wettbewerbsbeschränkenden Verhaltens als Zuwiderhandlung als die im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichten Zusammenfassungen der Beschlüsse der Kommission, die nach Art. 30 der Verordnung Nr. 1/2003 unter Angabe der Beteiligten und des wesentlichen Inhalts des in Rede stehenden Beschlusses einschließlich der verhängten Sanktionen erfolgen.
68 Sodann sind die Pressemitteilungen nicht dazu bestimmt, Rechtswirkungen gegenüber Dritten, insbesondere den Geschädigten, zu entfalten. Es handelt sich vielmehr um kurze Dokumente, die grundsätzlich für die Presse und die Medien bestimmt sind. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass für die durch eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht Geschädigten eine allgemeine Sorgfaltspflicht besteht, die Veröffentlichung derartiger Pressemitteilungen zu verfolgen.
69 Schließlich werden im Gegensatz zu den Zusammenfassungen der Beschlüsse der Kommission, die nach Rn. 148 der Bekanntmachung der Kommission über bewährte Vorgehensweisen in Verfahren nach Artikel 101 und 102 des AEUV im Amtsblatt der Europäischen Union kurz nach Erlass des in Rede stehenden Beschlusses in allen Amtssprachen der Union veröffentlicht werden, die Pressemitteilungen nicht notwendigerweise in allen Amtssprachen der Union veröffentlicht.
70 Im vorliegenden Fall scheint die Pressemitteilung, wie der Generalanwalt in den Nrn. 129 bis 131 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, nicht mit der gleichen Genauigkeit wie die Zusammenfassung des Beschlusses C(2016) 4673 final die Identität der Rechtsverletzer, die genaue Dauer der betreffenden Zuwiderhandlung und die von dieser Zuwiderhandlung betroffenen Produkte zu bezeichnen.
71 Unter diesen Umständen kann nicht vernünftigerweise erwartet werden, dass RM im vorliegenden Fall zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Pressemitteilung zum Beschluss C(2016) 4673 final, d. h. am 19. Juli 2016, von den unerlässlichen Angaben Kenntnis erlangt hat, die es ihr ermöglichen, ihre Schadensersatzklage zu erheben. Dagegen kann vernünftigerweise erwartet werden, dass RM eine solche Kenntnis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Zusammenfassung des Beschlusses C(2016) 4673 final im Amtsblatt der Europäischen Union erlangt hat, d. h. am 6. April 2017.
72 Folglich erfordert es die volle Wirksamkeit von Art. 101 AEUV, dass davon auszugehen ist, dass im vorliegenden Fall die Verjährungsfrist am Tag dieser Veröffentlichung zu laufen begonnen hat.
73 Da die Verjährungsfrist somit nach Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie 2014/104, d. h. nach dem 27. Dezember 2016, zu laufen begonnen hat und auch nach dem Inkrafttreten des Königlichen Gesetzesdekrets 9/2017 zur Umsetzung dieser Richtlinie, d. h. nach dem 27. Mai 2017, weitergelaufen ist, wäre das Ende dieser Frist zwangsläufig nach diesen beiden Zeitpunkten eingetreten.
74 Es zeigt sich somit, dass der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Sachverhalt auch nach dem Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie 2014/104 und sogar nach dem Inkrafttreten des Königlichen Gesetzesdekrets 9/2017 zur Umsetzung dieser Richtlinie weiterhin seine Wirkungen entfaltet hat.
75 Sollte dies im Ausgangsrechtsstreit tatsächlich der Fall sein, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist, so ist Art. 10 der Richtlinie 2014/104 im vorliegenden Fall zeitlich anwendbar.
76 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung eine Richtlinie nicht selbst Verpflichtungen für einen Einzelnen begründen kann, so dass ihm gegenüber eine Berufung auf die Richtlinie als solche nicht möglich ist. Würde die Möglichkeit, sich auf eine Bestimmung einer nicht oder unrichtig umgesetzten Richtlinie zu berufen, auf den Bereich der Beziehungen zwischen Privaten ausgedehnt, liefe das nämlich darauf hinaus, der Union die Befugnis zuzuerkennen, mit unmittelbarer Wirkung zulasten der Einzelnen Verpflichtungen anzuordnen, obwohl sie dies nur dort darf, wo ihr die Befugnis zum Erlass von Verordnungen zugewiesen ist (Urteil vom 7. August 2018, Smith, C‑122/17, EU:C:2018:631, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).
77 Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich ferner, dass das nationale Gericht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Privaten wie dem des Ausgangsverfahrens verpflichtet ist, das innerstaatliche Recht gegebenenfalls ab Ablauf der Umsetzungsfrist einer nicht umgesetzten Richtlinie in der Weise auszulegen, dass der in Rede stehende Sachverhalt unmittelbar mit den Bestimmungen dieser Richtlinie vereinbar wird, ohne jedoch eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts vorzunehmen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Oktober 2018, Klohn, C‑167/17, EU:C:2018:833, Rn. 45 und 65).
78 Da zwischen dem Zeitpunkt der Veröffentlichung der Zusammenfassung des Beschlusses C(2016) 4673 final im Amtsblatt der Europäischen Union und der Erhebung der Schadensersatzklage von RM weniger als zwölf Monate vergangen sind, scheint diese Klage jedenfalls, vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht, zum Zeitpunkt ihrer Erhebung nicht verjährt gewesen zu sein.
79 Nach alledem ist davon auszugehen, dass Art. 10 der Richtlinie 2014/104 dahin auszulegen ist, dass er eine materiell-rechtliche Vorschrift im Sinne von Art. 22 Abs. 1 dieser Richtlinie darstellt und dass eine Schadensersatzklage wegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht in seinen zeitlichen Geltungsbereich fällt, die zwar eine vor dem Inkrafttreten dieser Richtlinie beendete Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht betrifft, aber nach dem Inkrafttreten der Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht erhoben wurde, soweit die für diese Klage nach den alten Vorschriften geltende Verjährungsfrist nicht vor dem Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie abgelaufen war.
Zur zeitlichen Anwendbarkeit von Art. 17 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2014/104
80 Was erstens die zeitliche Anwendbarkeit von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 im vorliegenden Fall betrifft, geht aus dem Wortlaut dieser Vorschrift hervor, dass die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass weder die Beweislast noch das Beweismaß für die Ermittlung des Schadensumfangs die Ausübung des Rechts auf Schadensersatz praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren. Die Mitgliedstaaten gewährleisten ferner, dass die nationalen Gerichte gemäß den nationalen Verfahren befugt sind, den durch eine Zuwiderhandlung gegen wettbewerbsrechtliche Vorschriften entstandenen Schaden zu schätzen, wenn erwiesen ist, dass ein Kläger einen Schaden erlitten hat, es jedoch praktisch unmöglich oder übermäßig schwierig ist, die Höhe des erlittenen Schadens aufgrund der vorhandenen Beweismittel genau zu beziffern.
81 Somit soll diese Vorschrift die wirksame Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen wegen Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht gewährleisten, insbesondere bei bestimmten Sachverhalten, in denen es praktisch unmöglich oder übermäßig schwierig wäre, die Höhe des erlittenen Schadens genau zu beziffern.
82 Mit dieser Vorschrift sollen nämlich das für die Bestimmung der Höhe des erlittenen Schadens vorausgesetzte Beweismaß verringert werden und die zum Nachteil des Klägers bestehende Informationsasymmetrie sowie die Schwierigkeiten behoben werden, die sich daraus ergeben, dass die Ermittlung des Schadensumfangs eine Bewertung der Art und Weise erfordert, wie sich der betreffende Markt ohne die Zuwiderhandlung entwickelt hätte.
83 Wie der Generalanwalt in Nr. 73 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, erlegt Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 weder der einen noch der anderen Partei des betreffenden Rechtsstreits neue materiell-rechtliche Verpflichtungen auf. Diese Vorschrift und insbesondere ihr Satz 2 soll hingegen den nationalen Gerichten gemäß den „nationalen Verfahren“, auf die dort verwiesen wird, im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten über Schadensersatzklagen wegen Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht eine besondere Befugnis einräumen.
84 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs die Vorschriften über die Beweislast und das Beweismaß grundsätzlich als Verfahrensvorschriften eingestuft werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Januar 2016, Eturas u. a., C‑74/14, EU:C:2016:42, Rn. 30 bis 32).
85 Daher ist Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 als verfahrensrechtliche Vorschrift im Sinne von Art. 22 Abs. 2 dieser Richtlinie anzusehen.
86 Wie sich aus der in Rn. 31 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung ergibt, ist bei Verfahrensvorschriften im Allgemeinen davon auszugehen, dass sie ab dem Datum ihres Inkrafttretens Anwendung finden.
87 Ferner müssen nach Art. 22 Abs. 2 der Richtlinie 2014/104 die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass die nationalen Vorschriften, die erlassen werden, um den nicht materiell-rechtlichen Vorschriften dieser Richtlinie zu entsprechen, nicht für Schadensersatzklagen gelten, die vor dem 26. Dezember 2014 bei einem nationalen Gericht erhoben wurden.
88 Im vorliegenden Fall ist die Schadensersatzklage am 1. April 2018, also nach dem 26. Dezember 2014 und nach dem Zeitpunkt der Umsetzung der Richtlinie 2014/104 in spanisches Recht, erhoben worden. Folglich ist Art. 17 Abs. 1 dieser Richtlinie auf eine solche Klage zeitlich anwendbar, unbeschadet der Erwägungen in den Rn. 76 und 77 des vorliegenden Urteils.
89 Unter diesen Umständen ist Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 dahin auszulegen, dass er eine verfahrensrechtliche Vorschrift im Sinne von Art. 22 Abs. 2 dieser Richtlinie darstellt und dass eine Schadensersatzklage in seinen zeitlichen Geltungsbereich fällt, die zwar eine vor dem Inkrafttreten dieser Richtlinie beendete Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht betrifft, aber nach dem 26. Dezember 2014 und nach dem Inkrafttreten der nationalen Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht erhoben wurde.
90 Was zweitens die zeitliche Anwendbarkeit von Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 2014/104 betrifft, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass nach dem Wortlaut dieser Vorschrift vermutet wird, dass Zuwiderhandlungen in Form von Kartellen einen Schaden verursachen. Der Rechtsverletzer hat jedoch das Recht, diese Vermutung zu widerlegen.
91 Aus dem Wortlaut dieser Vorschrift geht hervor, dass sie eine widerlegbare Vermutung für das Vorliegen eines durch ein Kartell verursachten Schadens begründet. Wie aus dem 47. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/104 hervorgeht, hat der Unionsgesetzgeber diese Vermutung auf Kartellsachen beschränkt, da diese durch ihren geheimen Charakter die Informationsasymmetrie verstärken und es den Geschädigten erschweren, die für den Nachweis des Schadens erforderlichen Beweise zu beschaffen.
92 Wie der Generalanwalt in den Nrn. 78, 79 und 81 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, regelt Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 2014/104 zwar zwangsläufig die Verteilung der Beweislast, da er eine Vermutung aufstellt, doch dient diese Vorschrift keinem bloßen Beweiszweck.
93 Wie insoweit aus den Rn. 58 bis 60 des vorliegenden Urteils hervorgeht, gehören das Vorliegen eines Schadens, der ursächliche Zusammenhang zwischen diesem Schaden und der begangenen Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht sowie die Identität des Rechtsverletzers zu den unerlässlichen Angaben, über die der Geschädigte verfügen muss, um eine Schadensersatzklage zu erheben.
94 Da Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 2014/104 vorsieht, dass es für durch ein nach Art. 101 AEUV verbotenes Kartell Geschädigte nicht erforderlich ist, das Vorliegen eines aus einer solchen Zuwiderhandlung resultierenden Schadens und/oder einen ursächlichen Zusammenhang zwischen diesem Schaden und dem Kartell nachzuweisen, ist zudem davon auszugehen, dass sich diese Vorschrift auf die Tatbestandsmerkmale der außervertraglichen Haftung bezieht.
95 Die in dieser Vorschrift aufgestellte widerlegbare Vermutung, dass ein durch ein Kartell erlittener Schaden vorliegt, steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der außervertraglichen Haftung des betreffenden Rechtsverletzers und betrifft folglich unmittelbar dessen Rechtsposition.
96 Daher ist Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 2014/104 als Vorschrift anzusehen, die eng mit dem Entstehen, der Zurechnung und dem Umfang der außervertraglichen Haftung von Unternehmen zusammenhängt, die durch ihre Beteiligung an einem Kartell gegen Art. 101 AEUV verstoßen haben.
97 Wie der Generalanwalt in Nr. 81 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, kann eine solche Vorschrift als materiell-rechtliche Vorschrift eingestuft werden.
98 Daher ist für Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 2014/104 von einer materiell-rechtlichen Natur im Sinne von Art. 22 Abs. 1 dieser Richtlinie auszugehen.
99 Wie aus Rn. 42 des vorliegenden Urteils hervorgeht, ist zur Bestimmung der zeitlichen Anwendbarkeit von Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 2014/104 im vorliegenden Fall zu prüfen, ob der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Sachverhalt vor Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie abgeschlossen war oder ob er nach Ablauf dieser Frist weiterhin Wirkung entfaltet.
100 Zu diesem Zweck sind die Natur und der Funktionsmechanismus von Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 2014/104 zu berücksichtigen.
101 Diese Vorschrift stellt eine widerlegbare Vermutung auf, wonach bei Vorliegen eines Kartells automatisch vermutet wird, dass ein durch dieses Kartell verursachter Schaden vorliegt.
102 Da es sich bei dem vom Unionsgesetzgeber angegebenen Umstand, der das Vorliegen eines Schadens vermuten lässt, um das Bestehen eines Kartells handelt, ist zu prüfen, ob der Zeitpunkt, zu dem das betreffende Kartell beendet worden ist, vor dem Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie 2014/104 liegt, denn diese ist nicht innerhalb dieser Frist in spanisches Recht umgesetzt worden.
103 Im vorliegenden Fall bestand das Kartell vom 17. Januar 1997 bis 18. Januar 2011. Somit endete diese Zuwiderhandlung vor dem Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie 2014/104.
104 Unter diesen Umständen ist in Anbetracht von Art. 22 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 davon auszugehen, dass die widerlegbare Vermutung, die in Art. 17 Abs. 2 dieser Richtlinie aufgestellt wird, zeitlich nicht auf eine Schadensersatzklage anwendbar ist, die zwar nach dem Inkrafttreten der nationalen Vorschriften zur verspäteten Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht erhoben wurde, aber eine vor dem Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie beendete Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht betrifft.
105 Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten:
– Art. 10 der Richtlinie 2014/104 ist dahin auszulegen, dass er eine materiell-rechtliche Vorschrift im Sinne von Art. 22 Abs. 1 dieser Richtlinie darstellt und dass eine Schadensersatzklage in seinen zeitlichen Geltungsbereich fällt, die zwar eine vor dem Inkrafttreten dieser Richtlinie beendete Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht betrifft, aber nach dem Inkrafttreten der Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht erhoben wurde, soweit die für diese Klage nach den alten Vorschriften geltende Verjährungsfrist nicht vor dem Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie abgelaufen war.
– Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 ist dahin auszulegen, dass er eine verfahrensrechtliche Vorschrift im Sinne von Art. 22 Abs. 2 dieser Richtlinie darstellt und dass eine Schadensersatzklage in seinen zeitlichen Geltungsbereich fällt, die zwar eine vor dem Inkrafttreten dieser Richtlinie beendete Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht betrifft, aber nach dem 26. Dezember 2014 und nach dem Inkrafttreten der Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht erhoben wurde.
– Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 2014/104 ist dahin auszulegen, dass er eine materiell-rechtliche Vorschrift im Sinne von Art. 22 Abs. 1 dieser Richtlinie darstellt und dass eine Schadensersatzklage nicht in seinen zeitlichen Geltungsbereich fällt, die zwar nach dem Inkrafttreten der Vorschriften zur verspäteten Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht erhoben wurde, aber eine vor dem Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie beendete Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht betrifft.