EuGH/GA-SA: Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der EU
EuGH, GA-Anträge Szpunar vom 12.6.2025 – C-286/24, Meliá Hotels International, S. A. gegen Associação Ius Omnibus
ECLI:EU:C:2025:436
Volltext: BB-Online BBL2025-1601-2
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Schlussanträge
1. Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass ein Beschluss, mit dem eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht festgestellt wird, nicht ausreicht, um die Plausibilität eines Schadensersatzanspruchs zu begründen. Die Tatsache, dass dieser Beschluss eine bezweckte vertikale Beschränkung betrifft und im Rahmen eines Vergleichsverfahrens erlassen wurde, ändert nichts an dieser Einschätzung.
2. Das in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 vorgesehene Kriterium erfordert einen geringeren Grad an Plausibilität als ein Kriterium, wonach es wahrscheinlicher sein muss, dass die haftungsbegründenden Voraussetzungen erfüllt sind, als das Gegenteil.
I. Einleitung
1. Der vorliegende Fall gibt dem Gerichtshof Gelegenheit, Erläuterungen zur privaten Durchsetzung des Wettbewerbsrechts zu geben, die nunmehr durch die Richtlinie 2014/104/EU(2) geregelt ist.
2. Die vom Supremo Tribunal de Justiça (Oberster Gerichtshof, Portugal) gestellten Fragen sollen im Wesentlichen erstens klären, ob ein Antrag auf Offenlegung von Beweismitteln, der vor Erhebung einer Schadensersatzklage gestellt wird, insoweit den Erfordernissen von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 unterliegt, als diese Bestimmung die Plausibilität der Klage betrifft, die die klagende Partei stützen muss, damit ihr Antrag auf Offenlegung von Beweismitteln Erfolg hat, und zweitens, welchen Grad an Plausibilität diese Bestimmung verlangt.
3. Entsprechend dem Ersuchen des Gerichtshofs werden sich die vorliegenden Schlussanträge auf die Prüfung dieser zweiten Fragestellung beschränken.
II. Rechtlicher Rahmen
A. Unionsrecht
4. Art. 16 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003(3) lautet:
„Wenn Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten nach Artikel [101] oder [102 AEUV] über Vereinbarungen, Beschlüsse oder Verhaltensweisen zu befinden haben, die bereits Gegenstand einer Entscheidung der Kommission sind, dürfen sie keine Entscheidungen treffen, die der von der Kommission erlassenen Entscheidung zuwiderlaufen würden.“
5. Art. 5 Abs. 1 bis 3 der Richtlinie 2014/104 bestimmt:
„(1) Die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass in Verfahren über Schadensersatzklagen in der Union auf Antrag eines Klägers, der eine substantiierte Begründung vorgelegt hat, die mit zumutbarem Aufwand zugängliche Tatsachen und Beweismittel enthält, die die Plausibilität seines Schadensersatzanspruchs ausreichend stützen, die nationalen Gerichte unter den Voraussetzungen dieses Kapitels die Offenlegung von relevanten Beweismitteln durch den Beklagten oder einen Dritten, die sich in deren Verfügungsgewalt befinden, anordnen können. Die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass die nationalen Gerichte auf Antrag des Beklagten die Offenlegung von relevanten Beweismitteln durch den Kläger oder einen Dritten anordnen können.
…
(2) Die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass die nationalen Gerichte die Offenlegung von bestimmten einzelnen Beweismitteln oder relevanten Kategorien von Beweismitteln anordnen können, die so genau und so präzise wie möglich abgegrenzt sind, wie dies auf der Grundlage der mit zumutbarem Aufwand zugänglichen Tatsachen in der substantiierten Begründung möglich ist.
(3) Die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass die von den nationalen Gerichten angeordnete Offenlegung von Beweismitteln verhältnismäßig ist. Bei der Prüfung, ob die von einer Partei beantragte Offenlegung verhältnismäßig ist, berücksichtigen die nationalen Gerichte die berechtigten Interessen aller Parteien und betroffenen Dritten. Insbesondere berücksichtigen sie
a) inwieweit die Klage oder die Klageerwiderung durch zugängliche Tatsachen und Beweismittel gestützt wird, die den Antrag auf Offenlegung von Beweismitteln rechtfertigen;
b) den Umfang und die Kosten der Offenlegung, insbesondere für betroffene Dritte, einschließlich zur Verhinderung einer nicht gezielten Suche nach Informationen, die für die Verfahrensbeteiligten wahrscheinlich nicht relevant sind;
c) ob die offenzulegenden Beweismittel vertrauliche Informationen – insbesondere Dritte betreffende Informationen – enthalten und welche Vorkehrungen zum Schutz dieser vertraulichen Informationen bestehen.“
B. Portugiesisches Recht
6. Die Richtlinie 2014/104 wurde durch die Lei n.o23/2018, referente ao Direito a indemnização por infração ao direito da concorrência (Gesetz Nr. 23/2018 über den Anspruch auf Schadensersatz wegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht) vom 5. Juni 2018(4) (im Folgenden: Gesetz Nr. 23/2018)(5) in portugiesisches Recht umgesetzt.
7. Art. 12 („Offenlegung von Beweismitteln im Rahmen einer Schadensersatzklage“) Abs. 1 bis 4 des Gesetzes Nr. 23/2018 bestimmt:
„1. Das Gericht kann auf Antrag jeder Partei der Schadensersatzklage unter Vorbehalt der in diesem Kapitel genannten Beschränkungen der anderen Partei oder einem Dritten, einschließlich öffentlicher Stellen, die Offenlegung von Beweismitteln, die sich in ihrem Besitz befinden, aufgeben.
2. Der im vorstehenden Absatz genannte Antrag muss auf mit zumutbarem Aufwand zugänglichen Tatsachen und Beweismitteln beruhen, die die Plausibilität der Schadensersatzklage oder der Klageerwiderung ausreichend stützen, und muss die zu beweisenden Tatsachen enthalten.
3. Der Antrag muss so genau und so präzise wie möglich die Beweismittel oder Kategorien von Beweismitteln bezeichnen, deren Offenlegung beantragt wird, und sich dabei auf die ihm zugrunde liegenden Tatsachen stützen.
4. Das Gericht ordnet die Offenlegung von Beweismitteln an, wenn es dies für verhältnismäßig und für die Entscheidung der Rechtssache für zweckdienlich hält; Anträge, die eine nicht gezielte Suche nach Informationen zur Folge hätten, werden zurückgewiesen.“
8. Art. 13 („Zugang zu Beweismitteln vor Erhebung einer Schadensersatzklage“) des Gesetzes Nr. 23/2018 sieht vor:
„1. Wer gemäß dem Wortlaut und den Zielen der Art. 573 bis 576 des Zivilgesetzbuchs Informationen oder die Offenlegung von Beweismitteln begehrt – einschließlich solcher, die ihr Besitzer nicht herausgeben will –, kann unter Begründung der Erforderlichkeit der Maßnahme und vorbehaltlich der anderen in diesem Kapitel vorgesehenen Beschränkungen beantragen, dass das zuständige Gericht den Ablehnenden auffordert, diese Beweismittel an dem vom Gericht festgesetzten Termin und Ort unter den in den Art. 1045 bis 1047 der Zivilprozessordnung vorgesehenen Bedingungen offenzulegen.
2. Die Abs. 2 bis 9 des vorstehenden Artikels gelten entsprechend für die im vorstehenden Absatz genannten Anträge auf Zugang.“
III. Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits, Verfahren vor dem Gerichtshof und Vorlagefragen
9. Mit Beschluss vom 21. Februar 2020(6) stellte die Kommission fest, dass die Meliá Hotels International, S. A. (im Folgenden: Meliá), die Adressatin dieses Beschlusses, im Zeitraum vom 1. Januar 2014 bis zum 31. Dezember 2015 gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) verstoßen habe, und zwar durch auf Vereinbarungen beruhende vertikale Verhaltensweisen, durch die die Verbraucher auf der Grundlage ihrer jeweiligen Staatsangehörigkeit oder ihres jeweiligen Wohnsitzlands unterschiedlich behandelt worden seien. Diese Verhaltensweisen hätten die aktiven und passiven Verkäufe von Hotelunterkünften von Meliá auf diejenigen Verbraucher beschränkt, die Staatsangehörige von bestimmten Mitgliedstaaten seien oder dort ihren Wohnsitz hätten. Aufgrund ihrer Zusammenarbeit wurde die gegen Meliá verhängte Geldbuße herabgesetzt. Dieser Beschluss wurde nicht angefochten und ist bestandskräftig geworden.
10. Ius Omnibus, eine Vereinigung zur Wahrung von Verbraucherinteressen, hat beim zuständigen Gericht erster Instanz eine besondere Klage auf Offenlegung von Unterlagen erhoben, die sich im Besitz von Meliá befänden und die sie für erforderlich hält, um zum einen den Umfang und die Wirkungen der von der Kommission festgestellten wettbewerbswidrigen Verhaltensweise und zum anderen den den Verbrauchern durch diese Verhaltensweise entstandenen Schaden und dessen Höhe zu ermitteln und nachzuweisen. Dieser Antrag geht einer möglichen Verbandsklage auf Schadensersatz voraus. Ius Omnibus hat nämlich ihre Absicht bekundet, in diesem Sinne vorzugehen und im Namen der in Portugal ansässigen geschädigten Verbraucher eine Popularklage zu erheben, falls sie anhand der beantragten Unterlagen eine Verletzung von in Portugal verfassungsrechtlich geschützten unbestimmten Interessen und von einheitlichen Individualinteressen der in Portugal ansässigen Verbraucher nachweisen könne, die in der von der Kommission festgestellten wettbewerbswidrigen Verhaltensweise von Meliá begründet sei.
11. Das erstinstanzliche Gericht gab der besonderen Klage von Ius Omnibus statt. Auf die Berufung von Meliá bestätigte das Tribunal da Relação (Berufungsgericht, Portugal) das erstinstanzliche Urteil in vollem Umfang.
12. Die von Meliá beim Supremo Tribunal de Justiça (Oberster Gerichtshof) eingelegte außerordentliche Revision wurde von diesem Gericht zugelassen.
13. Vor diesem Hintergrund hat das Supremo Tribunal de Justiça (Oberster Gerichtshof) mit Beschluss vom 4. März 2024, der am 23. April 2024 beim Gerichtshof eingegangen ist, das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 auf eine Klage auf Zugang zu Beweismitteln vor Erhebung einer Schadensersatzklage im Sinne von Art. 2 Nr. 4 dieser Richtlinie anwendbar?
Falls diese Frage bejaht wird:
2. Verlangt das sich aus Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 ergebende Erfordernis der Plausibilität des Schadens stets, dass der Antragsteller dartut, dass im jeweiligen Fall ein Schaden für die vertretenen Verbraucher – hier die in Portugal ansässigen Verbraucher – wahrscheinlicher ist als das Gegenteil?
3. Können die nationalen Gerichte das Kriterium der Plausibilität des Schadens nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 allein auf das Vorliegen einer Entscheidung der zuständigen Wettbewerbsbehörden stützen? Wie wirkt sich insbesondere der Umstand, dass es sich um eine Entscheidung in einem Vergleichsverfahren handelt, die eine bezweckte vertikale Zuwiderhandlung gegen das europäische Wettbewerbsrecht betrifft, auf diese Prüfung aus?
14. Die Parteien des Ausgangsverfahrens, die portugiesische Regierung sowie die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Eine mündliche Verhandlung hat nicht stattgefunden.
IV. Würdigung
A. Vorbemerkungen
15. Bevor ich auf die mit der zweiten und der dritten Vorlagefrage aufgeworfenen rechtlichen Probleme eingehe, werde ich zum einen die Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens (Abschnitt 1) und zum anderen die mit der ersten Frage verbundene Prämisse, auf der die zweite und die dritte Frage beruhen, prüfen (Abschnitt 2)(7).
1. Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens
16. Ius Omnibus macht geltend, dass das Vorabentscheidungsersuchen unzulässig sei, da die Anforderungen von Art. 94 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs nicht erfüllt seien. Die vom vorlegenden Gericht erfolgte Darstellung des gesamten maßgeblichen Sachverhalts, des Wortlauts des portugiesischen Rechts, der Gründe, aus denen es Zweifel bezüglich der Auslegung der Vorschriften des Unionsrechts habe, sowie des Zusammenhangs, den es zwischen diesen Vorschriften und dem Ausgangsrechtsstreit herstelle, sei unzureichend. Überdies habe das vorlegende Gericht nicht begründet, inwiefern die zweite und die dritte Frage von Bedeutung seien. Dessen ungeachtet ersucht Ius Omnibus den Gerichtshof, die vorliegende Vorlage zur Vorabentscheidung für zulässig zu erklären.
17. Ich teile die Argumente von Ius Omnibus, wonach die vorliegende Vorlage zur Vorabentscheidung die Anforderungen von Art. 94 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs nicht erfülle, nicht. Wie ich zeigen werde, enthält sie sämtliche Angaben, die erforderlich sind, um es dem Gerichtshof zu ermöglichen, über dieses Ersuchen zu entscheiden.
18. Im Übrigen hat das vorlegende Gericht zwar weder die Gründe für die Vorlage der zweiten und der dritten Vorlagefrage noch die Bedeutung der Antworten auf diese Fragen für das Ausgangsverfahren klar dargelegt, doch ist seine Motivation angesichts des Inhalts dieser Fragen offensichtlich. Mit seiner zweiten Frage möchte es nämlich wissen, ob die Plausibilität eines Schadensersatzanspruchs danach zu beurteilen ist, ob „ein Schaden für die … Verbraucher … wahrscheinlicher ist als das Gegenteil“, und mit seiner dritten Frage, ob der erforderliche Grad an Plausibilität auf der Grundlage der Entscheidung einer Wettbewerbsbehörde wie der vom 21. Februar 2020 ermittelt werden kann.
19. Folglich sind die zweite und die dritte Frage zulässig.
2. Beantragung der Offenlegung von Beweismitteln vor Erhebung einer Klage in der Sache
20. Die zweite und die dritte Frage, auf deren Prüfung sich die vorliegenden Schlussanträge entsprechend der Bitte des Gerichtshofs beschränken, sind für den Fall gestellt, dass der Gerichtshof die erste Frage bejaht. Meine Prüfung dieser Fragen muss daher von der Annahme ausgehen, dass die erste Frage zu bejahen ist.
21. Der Vollständigkeit halber und soweit die Antwort auf die erste Frage den Ausgangspunkt für die Prüfung der folgenden Fragen bildet, werde ich einige kurze Anmerkungen zu der darin aufgeworfenen Problematik machen.
22. Gemäß der Formulierung der ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 auf einen Antrag auf Offenlegung von Beweismitteln anzuwenden ist, der vor der Erhebung einer Schadensersatzklage gestellt wird. Diese Frage geht also eigentlich dahin, ob die in dieser Bestimmung vorgesehenen Erfordernisse hinsichtlich der vom Antragsteller darzulegenden Plausibilität des Schadensersatzanspruchs auf einen solchen Antrag auf Offenlegung von Beweismitteln anwendbar sind.
23. Die erste Frage ist nicht dahin zu verstehen, dass das vorlegende Gericht wissen möchte, ob ein Mitgliedstaat nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 verpflichtet ist, die Möglichkeit vorzusehen, einen Antrag auf Offenlegung von Beweismitteln vor der Erhebung einer Schadensersatzklage zu stellen. Eine solche Möglichkeit wurde nämlich vom portugiesischen Gesetzgeber vorgesehen.
24. Im Übrigen scheint der portugiesische Gesetzgeber diese Richtlinie dahin verstanden zu haben, dass sie die Mitgliedstaaten nur dazu verpflichtet, die in Art. 5 der Richtlinie vorgesehene Möglichkeit, einen Antrag auf Offenlegung von Beweismitteln zu stellen, im Rahmen einer Schadensersatzklage vorzusehen. Diese Bestimmung wurde durch Art. 12 des Gesetzes Nr. 23/2018 in portugiesisches Recht umgesetzt.
25. Nach der Auslegung der Richtlinie 2014/104 durch den portugiesischen Gesetzgeber kann ein Mitgliedstaat jedoch die Möglichkeit vorsehen, einen solchen Antrag vor Erhebung einer Klage in der Sache zu stellen. Wie die portugiesische Regierung ausführt, hat der Gesetzgeber von Portugal davon Gebrauch gemacht und hat diese Möglichkeit in Art. 13 des Gesetzes Nr. 23/2018 vorgesehen. Das Ausgangsverfahren betrifft offenbar einen solchen Antrag.
26. In diesem Zusammenhang habe ich mich in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache PACCAR u. a.(8) im Rahmen der Prüfung des Anwendungsbereichs der Richtlinie 2014/104 mit der Frage der Anträge auf Offenlegung von Beweismitteln, die vor einer Klage in der Sache gestellt werden, befasst. So habe ich geprüft, ob diese Richtlinie im betreffenden Ausgangsverfahren anwendbar war, um etwaige Zweifel an der Zuständigkeit des Gerichtshofs für die Beantwortung von Vorlagefragen zur Auslegung dieser Richtlinie auszuräumen.
27. In dieser Rechtssache hatte das vorlegende Gericht diese Frage nicht aufgeworfen. Allerdings ging aus dem Vorlagebeschluss nicht eindeutig hervor, ob der Antrag auf Offenlegung von Beweismitteln im Rahmen einer Schadensersatzklage oder vor Erhebung dieser Klage gestellt worden war. Ich habe daher geprüft, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen dieser Antrag in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2014/104 fiel.
28. Bei der Prüfung dieser Frage bin ich zu dem Ergebnis gelangt, dass selbst dann, wenn die Richtlinie 2014/104 nur Anträge auf Offenlegung von Beweismitteln erfasst, die im Rahmen einer Schadensersatzklage gestellt werden, ein solcher Antrag, der verfahrenstechnisch gesehen vor der Erhebung der Schadensersatzklage gestellt wird, in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen kann. Man könnte nämlich zumindest in bestimmten Fällen davon ausgehen, dass ein solcher Antrag im Rahmen einer Schadensersatzklage oder unter der Bedingung einer solchen Klageerhebung gestellt wird. Dies ist meiner Ansicht nach der Fall, wenn eine Schadensersatzklage unter Androhung von Sanktionen innerhalb einer kurzen Frist nach der Stellung des Antrags auf Offenlegung von Beweismitteln, in dessen Rahmen die Plausibilität des Schadensersatzanspruchs dargelegt wurde, oder gegebenenfalls innerhalb einer kurzen Frist, nachdem diesem Antrag stattgegeben wurde, erhoben werden muss.
29. Weist ein Antrag auf Offenlegung von Beweismitteln diese Merkmale auf, sind zum einen die Erfordernisse von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 anwendbar und ist zum anderen der Gerichtshof für die Beantwortung einer Auslegungsfrage zu dieser Bestimmung zuständig, die von einem mit einem solchen Antrag befassten Gericht vorgelegt wird.
30. Die im portugiesischen Recht vorgesehene Klage auf Vorlage von Beweismitteln scheint nicht die in Nr. 28 der vorliegenden Schlussanträge genannten Merkmale aufzuweisen. Dennoch könnten die Erfordernisse von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 auf diese Klage anwendbar sein, und der Gerichtshof wäre für die Beantwortung einer Frage nach der Auslegung dieser Bestimmung zuständig.
31. Gemäß Art. 5 Abs. 8 der Richtlinie 2014/104 können die Mitgliedstaaten nämlich unbeschadet von Art. 5 Abs. 4 und 7 sowie von Art. 6 der Richtlinie Vorschriften vorsehen, die zu einer umfassenderen Offenlegung von Beweismitteln führen würden. Ein Mitgliedstaat könnte also die Möglichkeit vorsehen, einen Antrag auf Offenlegung von Beweismitteln vor der Erhebung einer Schadensersatzklage zu stellen, und könnte diesen Antrag sogar in vollem Umfang(9) unter Art. 5 dieser Richtlinie fallen lassen.
32. Gemäß seiner Rechtsprechung zu Fällen, in denen Bestimmungen des Unionsrechts in einem Rechtsstreit aufgrund eines unmittelbaren und unbedingten Verweises durch das nationale Recht, durch den der Geltungsbereich des Unionsrechts erweitert wird, Anwendung finden(10), wäre der Gerichtshof in diesem Fall für die Beantwortung der Vorlagefragen zu Art. 5 Abs. 8 der Richtlinie 2014/104 zuständig, die von einem mit einem solchen Antrag befassten Gericht gestellt werden.
33. Insoweit hat der portugiesische Gesetzgeber wahrscheinlich beabsichtigt, eine vor einer Klage in der Sache erhobene Klage auf Vorlage von Beweismitteln der Regelung von Art. 5 der Richtlinie 2014/104 zu unterstellen. Nach Art. 13 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 23/2018 gelten die in Art. 12 dieses Gesetzes und somit in Art. 5 der Richtlinie vorgesehenen Modalitäten entsprechend für die in Art. 13 des Gesetzes genannten Klagen.
34. Unabhängig von den Merkmalen der nach portugiesischem Recht vorgesehenen Klage auf Vorlage von Beweismitteln ist der Gerichtshof daher für die Beantwortung der Vorlagefragen betreffend Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 zuständig, die von einem mit einer solchen Klage gemäß Art. 13 des Gesetzes Nr. 23/2018 befassten nationalen Gericht gestellt wurden.
B. Zu den Vorlagefragen
35. Einleitend stelle ich fest, dass sich die zweite und die dritte Frage dem Wortlaut nach auf die von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 geforderte Plausibilität des Schadens beziehen. Allerdings kann ein Kläger nach dieser Bestimmung beim nationalen Gericht erwirken, dass dieses die Offenlegung von relevanten Beweismitteln durch den Beklagten oder einen Dritten anordnet, sofern der Kläger die Plausibilität seines Schadensersatzanspruchs durch mit zumutbarem Aufwand zugängliche Tatsachen und Beweismittel ausreichend gestützt hat(11).
36. Insoweit weise ich darauf hin, dass das Vorliegen eines Schadens eine der Voraussetzungen für die Haftung wegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht ist. Diese Haftung wird durch das Zusammentreffen von drei Voraussetzungen ausgelöst: dem Vorliegen eines Schadens (einer Beeinträchtigung), einem ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Schaden und dem behaupteten Verhalten und der Rechtswidrigkeit des vorgeworfenen Verhaltens(12). Diese Haftung kann durch eine Klage auf Schadensersatz geltend gemacht werden. Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 ist folglich dahin auszulegen, dass der Kläger die Plausibilität dieser drei Voraussetzungen darlegen muss.
37. Trotz der Abweichung der Formulierung der zweiten und der dritten Frage vom Wortlaut von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 beziehen sich diese Fragen auf die Plausibilität der drei Voraussetzungen für die Haftung wegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht. Dies wird insbesondere durch die zweite Frage deutlich, mit der das vorlegende Gericht wissen möchte, ob der erforderliche Grad an Plausibilität anhand der Frage zu ermitteln ist, ob „ein Schaden für die … Verbraucher … wahrscheinlicher ist als das Gegenteil“. Diese Frage umfasst sowohl den Schaden als auch den Zusammenhang zwischen diesem und dem behaupteten Verhalten. Ich schlage daher vor, die zweite Frage dahin gehend umzuformulieren, dass das vorlegende Gericht mit dieser Frage wissen möchte, ob zur Stützung der Plausibilität eines Schadensersatzanspruchs gemäß Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 dargelegt werden muss, dass es wahrscheinlicher ist, dass die Voraussetzungen für eine Haftung wegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht erfüllt sind, als das Gegenteil.
38. Weiter stelle ich vorab fest, dass die zweite und die dritte Frage in umgekehrter Reihenfolge zu prüfen sind.
39. Das vorlegende Gericht möchte mit seiner zweiten Frage wissen, ob Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 dahin auszulegen ist, dass der erforderliche Grad an Plausibilität nach dieser Bestimmung danach zu ermitteln ist, ob es wahrscheinlicher ist, dass die Voraussetzungen für eine Haftung wegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht erfüllt sind, als das Gegenteil, und mit seiner dritten Frage, ob diese Bestimmung dahin auszulegen ist, dass die Plausibilität eines Schadensersatzanspruchs allein auf der Grundlage eines Beschlusses der Kommission, mit dem eine Zuwiderhandlung festgestellt wird, nachgewiesen werden kann.
40. Die zweite Frage ist allgemeiner als die dritte und erübrigt sich, wenn die dritte Frage zu bejahen ist. Ich werde meine Prüfung daher mit der dritten Frage beginnen.
1. Zur dritten Frage
41. Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob ein Beschluss, mit dem eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht festgestellt wurde, ausreicht, um die Plausibilität eines Schadensersatzanspruchs wegen eines durch diese Zuwiderhandlung verursachten Schadens zu begründen. Insbesondere fragt es, ob die Plausibilität eines solchen Anspruchs gemäß Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 allein auf der Grundlage einer Entscheidung der zuständigen Wettbewerbsbehörden begründet werden kann (Abschnitt a). Ferner möchte es wissen, ob es für die Beantwortung dieser Frage von Bedeutung ist, dass eine solche Entscheidung eine bezweckte vertikale Beschränkung betrifft (Abschnitt b) und dass es sich um eine Entscheidung in einem Vergleichsverfahren handelt (Abschnitt c).
a) Zu der Frage, ob ein Beschluss, mit dem eine Zuwiderhandlung festgestellt wird, zur Stützung der Plausibilität eines Schadensersatzanspruchs ausreicht
42. Im Wesentlichen geht es bei der dritten Frage darum, ob Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 dahin auszulegen ist, dass ein mit einem Antrag auf Offenlegung von Beweismitteln befasstes nationales Gericht die Plausibilität eines Schadensersatzanspruchs allein auf der Grundlage eines Beschlusses der Kommission, mit dem eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht festgestellt wurde, beurteilen kann.
43. Ich nehme sogleich vorweg, dass nach meiner Auffassung ein Beschluss, mit dem eine Zuwiderhandlung festgestellt wurde, nicht ausreicht, um die Plausibilität eines Schadensersatzanspruchs zu stützen.
44. Wie sich aus Art. 16 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 ergibt, darf ein nationales Gericht keine Entscheidungen erlassen, die einem Beschluss der Kommission, mit dem eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV festgestellt wurde, zuwiderlaufen. Außerdem muss ein nationales Gericht, das über eine Zuwiderhandlung entscheidet, die mit der in dem Beschluss vom 21. Februar 2020 beanstandeten Zuwiderhandlung identisch ist, vom Bestehen dieser Zuwiderhandlung ausgehen. Allerdings hat es das Vorliegen eines Schadens und eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen diesem und der fraglichen Zuwiderhandlung zu beurteilen(13).
45. Liegt ein Beschluss vor, mit dem eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht festgestellt wird, ist ein mit einem Antrag auf Offenlegung von Beweismitteln befasstes Gericht daher nicht mehr verpflichtet, zu prüfen, ob die Zuwiderhandlung nach den tatsächlichen Umständen und den verfügbaren Beweisen plausibel ist. Allerdings ist die Rechtswidrigkeit des vorgeworfenen Verhaltens nur eine der Voraussetzungen für die Haftung wegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht. Wie bereits ausgeführt(14), muss zur Stützung der Plausibilität eines Schadensersatzanspruchs der erforderliche Grad an Plausibilität in Bezug auf die drei Voraussetzungen dieser Haftung dargelegt werden. Folglich genügt das Vorliegen einer Zuwiderhandlung allein nicht, um die Plausibilität eines solchen Anspruchs zu stützen.
b) Beschluss über eine bezweckte vertikale Wettbewerbsbeschränkung
46. Das vorlegende Gericht fragt den Gerichtshof, ob es die Antwort auf die dritte Frage wesentlich beeinflussen kann, dass ein Beschluss, mit dem eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht festgestellt wird, eine bezweckte vertikale Beschränkung betrifft.
47. Meiner Ansicht nach ist dies nicht der Fall, und ein nationales Gericht kann seine Beurteilung der Plausibilität eines Schadensersatzanspruchs nicht allein auf das Vorliegen eines solchen Beschlusses stützen.
48. Erstens stellt Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 2014/104 eine widerlegbare Vermutung auf, dass Zuwiderhandlungen in Form von Kartellen einen Schaden verursachen. Diese vom Unionsgesetzgeber vorgesehene Vermutung umfasst jedoch nicht vertikale Beschränkungen des Wettbewerbs.
49. Gemäß dem 47. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/104 ist die in ihrem Art. 17 Abs. 2 vorgesehene widerlegbare Vermutung nämlich auf Kartelle zu beschränken, da diese durch ihren geheimen Charakter die Informationsasymmetrie verstärken und es dem Kläger erschweren, die für den Nachweis des Schadens erforderlichen Beweise zu beschaffen. Ferner definiert Art. 2 Nr. 14 dieser Richtlinie den Begriff „Kartell“ im Wesentlichen als jede Absprache oder abgestimmte Verhaltensweise zwischen zwei oder mehr Wettbewerbern zwecks Abstimmung ihres Wettbewerbsverhaltens auf dem Markt oder Beeinflussung der relevanten Wettbewerbsparameter durch bestimmte Verhaltensweisen. Diese Definition entspricht nicht der einer vertikalen Verhaltensweise, an der Unternehmen beteiligt sind, die auf verschiedenen Stufen der Produktions- oder Vertriebskette tätig sind und daher nicht miteinander im Wettbewerb stehen.
50. Darüber hinaus wurde Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 2014/104 nach der Rechtslehre(15) in den Mitgliedstaaten unterschiedlich umgesetzt. So haben sich einige dafür entschieden, den Begriff „Kartell“ weiter auszulegen als in Art. 2 Nr. 14 der Richtlinie 2014/104 oder sogar den Anwendungsbereich dieser Vermutung ausdrücklich auf vertikale Wettbewerbsbeschränkungen auszuweiten. Diese uneinheitliche Umsetzung durch die Mitgliedstaaten, von denen einige den in der Richtlinie vorgesehenen Begriff „Kartell“ deutlich ausdehnen wollten, untermauert die Auslegung, nach der die vom Unionsgesetzgeber vorgesehene Vermutung ausschließlich Kartelle erfasst, die der Definition in Art. 2 Nr. 14 dieser Richtlinie entsprechen.
51. In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, dass es Sache des vorlegenden Gerichts ist, zu ermitteln, ob der portugiesische Gesetzgeber beschlossen hat, dass die in Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 2014/104 vorgesehene Vermutung auf vertikale Beschränkungen anwendbar ist. Nichts deutet darauf hin, dass dies der Fall ist.
52. Zweitens kann auch der Umstand, dass ein Beschluss, mit dem eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht festgestellt wird, keine bewirkte, sondern eine bezweckte vertikale Beschränkung betrifft, die Feststellung nicht in Frage stellen, dass ein nationales Gericht das Kriterium der Plausibilität im Sinne von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 nicht allein auf das Vorliegen dieses Beschlusses stützen kann.
53. Das Wettbewerbsrecht der Union unterscheidet klar zwischen dem Begriff der bezweckten und dem der bewirkten Wettbewerbsbeschränkung, für die jeweils verschiedene Beweisregeln gelten(16). Im Rahmen der bezweckten Beschränkung ist es nicht mehr erforderlich, die beschränkenden Wirkungen der betreffenden Verhaltensweise zu prüfen(17). Die Feststellung einer solchen Beschränkung bedeutet jedoch nicht, dass einer bestimmten Person ein Schaden entstanden ist oder dass zwischen dieser Beschränkung und dem Schaden ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Diese Voraussetzungen für die Haftung wegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht sind vor dem mit der Schadensersatzklage befassten Gericht nachzuweisen.
54. In gleicher Weise muss im Rahmen des Antrags auf Offenlegung von Beweismitteln gemäß Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 der erforderliche Grad an Plausibilität vom Antragsteller auch in Bezug auf diese beiden Voraussetzungen, nämlich das Vorliegen eines Schadens und eines unmittelbaren ursächlichen Zusammenhangs zwischen diesem und der betreffenden Zuwiderhandlung, dargetan werden.
55. Der Vollständigkeit halber weise ich darauf hin, dass weder die Tatsache, dass vertikale Beschränkungen nicht unter die Vermutung von Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 2014/104 fallen(18), noch der Umstand, dass bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen keiner speziellen Beweisregelung hinsichtlich der drei Voraussetzungen für eine Haftung wegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht unterliegen(19), bedeuten, dass ein Beschluss, mit dem das Vorliegen einer bezweckten vertikalen Beschränkung festgestellt wird, für die Beurteilung der Plausibilität eines Schadensersatzanspruchs irrelevant ist.
56. Zum einen muss ein mit einem Antrag auf Offenlegung von Beweismitteln befasstes nationales Gericht nämlich vom Vorliegen der mit diesem Beschluss beanstandeten Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht ausgehen, so dass eine der haftungsbegründenden Voraussetzungen nicht nur plausibel, sondern auch erwiesen ist(20).
57. Zum anderen betrifft der Begriff der bezweckten Wettbewerbsbeschränkung Verhaltensweisen, die eine erhebliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs bedeuten, d. h. die den Nutzern und Verbrauchern in den verschiedenen betroffenen Sektoren oder Märkten unmittelbar oder mittelbar einen erheblichen Schaden zufügen können(21). Das Ausmaß des Schadens, den eine solche Verhaltensweise verursachen kann, ist in Verbindung mit anderen einem Kläger mit zumutbarem Aufwand zugänglichen Tatsachen und Beweismitteln maßgeblich, um die Plausibilität eines Schadensersatzanspruchs im Sinne von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 zu begründen.
c) Im Rahmen eines Vergleichsverfahrens erlassener Beschluss
58. Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass der Beschluss vom 21. Februar 2020 im Rahmen eines Vergleichsverfahrens erlassen wurde, und fragt den Gerichtshof, ob dieser Umstand für die Beantwortung der dritten Frage von Bedeutung ist.
59. Meines Erachtens ist dies nicht der Fall.
60. Der Beschluss vom 21. Februar 2020, der im Rahmen eines Vergleichsverfahrens erlassen wurde, stellt nämlich eine endgültige Entscheidung nach den Art. 7 oder 23 der Verordnung Nr. 1/2003 dar(22). Im Gegensatz zu einer Entscheidung über Verpflichtungszusagen gemäß Art. 9 dieser Verordnung(23) enthält eine im Rahmen eines Vergleichsverfahrens erlassene Entscheidung eine Feststellung des Verstoßes gegen Art. 101 oder Art. 102 AEUV. Die Tatsache, dass dem von dieser Entscheidung betroffenen Unternehmen eine Herabsetzung der Geldbuße gewährt werden kann, ändert nichts an der Feststellung des Verstoßes.
61. Daher hat der Umstand, dass ein Beschluss der Kommission, mit dem die Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht festgestellt wird, im Rahmen eines Vergleichsverfahrens erlassen wurde, in Anbetracht der oben in Nr. 45 gemachten Ausführungen keinen Einfluss auf die Frage, ob ein nationales Gericht das Kriterium der Plausibilität des Schadens allein auf das Vorliegen einer Entscheidung der zuständigen Wettbewerbsbehörde stützen kann.
d) Zwischenergebnis
62. Auf die dritte Frage ist zu antworten, dass Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 dahin auszulegen ist, dass ein Beschluss, mit dem eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht festgestellt wird, nicht ausreicht, um die Plausibilität eines Schadensersatzanspruchs zu begründen. Die Tatsache, dass dieser Beschluss eine bezweckte vertikale Beschränkung betrifft und im Rahmen eines Vergleichsverfahrens erlassen wurde, ändert nichts an dieser Einschätzung.
2. Zur zweiten Frage
a) Bedeutung der zweiten Frage
63. Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof im Wesentlichen wissen, ob zur Stützung der Plausibilität eines Schadensersatzanspruchs gemäß Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 dargetan werden muss, dass es wahrscheinlicher ist, dass die Voraussetzungen für eine Haftung wegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht erfüllt sind, als das Gegenteil.
64. Es erläutert nicht, worin das in seiner zweiten Frage beschriebene Kriterium besteht. Auch das von den Vorinstanzen im Ausgangsverfahren herangezogene Kriterium ist unklar.
65. Nach Ansicht von Ius Omnibus kann nicht ausgeschlossen werden, dass das vorlegende Gericht das von den Vorinstanzen angewendete Kriterium ignoriert habe und der Auffassung gewesen sei, es könne das angefochtene Urteil wegen unzureichender Begründung aufheben. Das vorlegende Gericht wolle daher eine Klarstellung darüber erhalten, welches Kriterium anzuwenden sei, um dies in seinem zu erlassenden Urteil für die unteren Instanzen festlegen zu können.
66. Alternativ könne die Vorlage zur Vorabentscheidung so verstanden werden, dass Meliá das von den Vorinstanzen herangezogene Kriterium beanstandet und geltend gemacht habe, diese hätten das in der zweiten Frage beschriebene strengere Kriterium anwenden müssen. In diesem Fall sei, wie Ius Omnibus ausführt, die zweite Frage dahin zu verstehen, dass mit ihr ermittelt werden solle, ob Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 dahin auszulegen sei, dass ein Mitgliedstaat bei der Umsetzung dieser Bestimmung in nationales Recht kein weniger strenges Kriterium als das in dieser Frage beschriebene vorsehen dürfe.
67. Mit dem in erster Instanz ergangenen und in der Berufungsinstanz bestätigten Urteil haben die Vorinstanzen Meliá angewiesen, die von Ius Omnibus angeforderten Unterlagen offenzulegen. Das vorlegende Gericht hat über die von Meliá gegen dieses Urteil eingelegte außerordentliche Revision zu entscheiden.
68. Meliá macht in ihren schriftlichen Erklärungen geltend, dass Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 einen Grad an Wahrscheinlichkeit vorschreibe, der über die bloße Möglichkeit des Vorliegens eines Schadens hinausgehe. Konkret ist Meliá der Ansicht, diese Bestimmung sei dahin auszulegen, dass sie nicht nur diese bloße Möglichkeit, sondern vielmehr eine tatsächliche Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts verlange, d. h., dass unter Berücksichtigung des tatsächlichen, rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs das Vorliegen eines Schadens wahrscheinlicher sein müsse als sein Nichtvorliegen oder zumindest eine ernsthafte, d. h. begründete Wahrscheinlichkeit dafür bestehen müsse.
69. Ferner weist Meliá darauf hin, dass die portugiesischen Gerichte in anderen Rechtssachen des allgemeinen Zivilrechts entschieden hätten, dass der Begriff der Plausibilität einen Grad an Gewissheit voraussetze, der über den Bereich des bloß Möglichen hinausgehe und mehr als 50 % betrage.
70. Diese Auffassung wird teilweise von Ius Omnibus bestätigt, die darauf hinweist, dass in der portugiesischen Rechtsordnung auch die Ansicht vertreten werde, dass für die Beweisführung im Zivilverfahren das allgemeine Kriterium gelte, wonach etwas „eher wahrscheinlich als unwahrscheinlich“ sein müsse. Allerdings vertritt Ius Omnibus die Auffassung, dass dieses Kriterium an den Kontext, in dem es angewendet werde, anzupassen sei. Eine solche Anpassung sei nach Art. 13 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 23/2018 erforderlich, wonach die in Art. 12 Abs. 2 bis 9 dieses Gesetzes genannten Voraussetzungen entsprechend auf einen Antrag auf Offenlegung von Beweismitteln anzuwenden seien, der vor Erhebung einer Schadensersatzklage gestellt werde.
71. Unabhängig von den Einzelheiten des Sachverhalts, mit dem das vorlegende Gericht befasst ist(24), möchte dieses offensichtlich klären, ob Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 ein Kriterium vorschreibt, das den in der zweiten Frage beschriebenen Grad an Plausibilität erfordert, nämlich dass es wahrscheinlicher ist, dass die Voraussetzungen für eine Haftung wegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht erfüllt sind, als das Gegenteil.
72. In diesem Zusammenhang ist hinzuzufügen, dass der in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 geforderte Grad an Plausibilität der höchste ist, der verlangt werden kann. Gemäß Art. 5 Abs. 8 der Richtlinie kann ein Mitgliedstaat unbeschadet von Art. 5 Abs. 4 und 7 sowie von Art. 6 der Richtlinie Vorschriften vorsehen, die zu einer umfassenderen Offenlegung von Beweismitteln führen würden. Um den Zugang zu Beweismitteln zu erleichtern, kann ein Mitgliedstaat beschließen, den Grad der Plausibilität niedriger festzusetzen als in Art. 5 Abs. 1 der genannten Richtlinie. Hingegen darf ein Mitgliedstaat kein Kriterium festlegen, das einen höheren Grad an Plausibilität verlangt als der Unionsgesetzgeber.
73. Zur Beantwortung der zweiten Frage ist daher zu ermitteln, ob die Richtlinie 2014/104 ein Kriterium aufstellt, das einen Grad an Plausibilität verlangt, bei dem es wahrscheinlicher ist, dass die haftungsbegründenden Voraussetzungen erfüllt sind, als das Gegenteil, oder ob nach der Richtlinie ein geringerer Grad an Plausibilität als in dieser Frage beschrieben genügt.
b) Prüfung
74. Das in der zweiten Frage beschriebene Kriterium beruht offenbar auf einer Abwägung der Wahrscheinlichkeiten. Nach dem so verstandenen Kriterium obliegt es dem Kläger, nachzuweisen, dass es wahrscheinlicher ist, dass die vertretenen Verbraucher, im vorliegenden Fall die in Portugal ansässigen Verbraucher, einen Schaden erlitten haben, als dass dies nicht der Fall ist.
75. Meines Erachtens ist das in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 für die Begründung eines Antrags auf Offenlegung von Beweismitteln geforderte Beweismaß niedriger als das einer solchen Abwägung der Wahrscheinlichkeiten.
76. Erstens enthalten die in den verschiedenen Sprachfassungen von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 verwendeten Begriffe nämlich keine übermäßig strengen Anforderungen. Wie die Kommission erklärt, beziehen sich die in den portugiesischen („plausibilidade“), deutschen („Plausibilität“), englischen („plausibility“) und französischen („plausibilité“) Fassungen dieser Richtlinie verwendeten Begriffe, zu denen ich noch die polnische Fassung („uprawdopodobnienie“) hinzufügen möchte, nach ihren lexikalischen Definitionen auf den Fall, dass eine Behauptung vernünftig oder vertretbar ist bzw. erscheint(25). Diese Formulierung legt also nahe, dass das über den Antrag auf Offenlegung von Beweismitteln entscheidende Gericht davon überzeugt werden muss, dass die Annahme, dass die drei kumulativen haftungsbegründenden Voraussetzung in dem von ihm zu prüfenden Fall erfüllt sind, vertretbar ist.
77. Zweitens ist festzustellen, dass außer den lexikalischen Definitionen der in den verschiedenen Sprachfassungen von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 verwendeten Begriffe die Umsetzung dieser Bestimmung durch die Mitgliedstaaten zumindest in einigen Rechtsordnungen derselben Logik gefolgt ist. Dies ist insbesondere im deutschen(26) und im polnischen(27) Recht der Fall. Die in diesen Mitgliedstaaten geltenden Umsetzungsvorschriften sehen hinsichtlich des erforderlichen Grades an Plausibilität lediglich eine vertretbare Wahrscheinlichkeit vor.
78. Drittens darf nicht übersehen werden, dass die Möglichkeit, Zugang zu Unterlagen zu erhalten, funktional mit der Ausübung des Rechts auf vollständigen Ersatz des durch eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht verursachten Schadens verbunden ist.
79. Die Erwägungsgründe der Richtlinie 2014/104 sprechen für eine solche Auslegung.
80. Der 14. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/104, der hinsichtlich des Normzwecks von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie besonders aufschlussreich ist(28), bestimmt nämlich, dass „[d]ie für die Begründung eines Schadensersatzanspruchs erforderlichen Beweismittel … sich häufig ausschließlich im Besitz der gegnerischen Partei oder Dritter [befinden] und … dem Kläger nicht hinreichend bekannt und zugänglich [sind]“. Aus diesem Grund kann „[d]as strenge rechtliche Erfordernis, dass der Kläger zu Beginn des Verfahrens im Detail alle für seinen Fall relevanten Tatsachen behaupten und dafür genau bezeichnete einzelne Beweismittel anbieten muss“, nicht dem Kläger auferlegt werden, ohne die wirksame Geltendmachung des durch den AEUV garantierten Schadensersatzanspruchs übermäßig zu erschweren. Ferner heißt es im 15. Erwägungsgrund dieser Richtlinie, dass es zur Beseitigung der Informationsasymmetrie zwischen den betroffenen Parteien „angebracht [ist,] zu gewährleisten, dass die Kläger das Recht erhalten, die Offenlegung der für ihren Anspruch relevanten Beweismittel zu erwirken, ohne konkrete einzelne Beweismittel benennen zu müssen“.
81. Die in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 garantierte Möglichkeit, Zugang zu Beweismitteln für eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht zu erhalten, soll daher die Informationsasymmetrie zwischen den Parteien der von dieser Richtlinie erfassten Klagen beseitigen. Die Beseitigung dieser Asymmetrie ist jedoch kein Selbstzweck. Die Erlangung von Beweismitteln soll die geschädigte Partei in die Lage versetzen, ihr Recht auf Schadensersatz wirksam auszuüben, und trägt somit mittelbar zur größtmöglichen Wirksamkeit der Wettbewerbsregeln bei(29).
82. Folglich muss erstens klar zwischen dem für die Stattgabe einer Klage in der Sache erforderlichen Beweismaß und dem für die Anordnung der Offenlegung von Beweismitteln erforderlichen Grad an Plausibilität unterschieden werden. Zweitens darf der in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 geforderte Grad an Plausibilität nicht zu streng sein, da dies die Wirksamkeit der Wettbewerbsregeln schwächen würde.
83. In diesem Zusammenhang teile ich die Auffassung der Kommission, dass das auf einer Abwägung der Wahrscheinlichkeiten beruhende Kriterium dem in Zivilverfahren des Common Law geltenden Kriterium ähnelt(30). Zwar wurde eine Abwägung der Wahrscheinlichkeiten in einer der Rechtsordnungen des Common Law, die die Richtlinie 2014/104 anwenden, nämlich im Vereinigten Königreich, auf Schadensersatzklagen für anwendbar erachtet, doch wurde sie im Zusammenhang mit Anträgen auf Offenlegung von Beweismitteln nicht allgemein angewendet(31).
84. Viertens geht aus Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 hervor, dass der Kläger – will er beim nationalen Gericht erwirken, dass dieses die Offenlegung von relevanten Beweismitteln durch den Beklagten oder einen Dritten anordnet – die Plausibilität seines Schadensersatzanspruchs durch Vorlage von mit zumutbarem Aufwand zugänglichen Tatsachen und Beweismitteln ausreichend stützen muss(32). Typischerweise sollte der Kläger daher in der Lage sein, die Plausibilität seines Schadensersatzanspruchs anhand der tatsächlichen Umstände und der ihm vorliegenden oder ohne übermäßige Kosten oder Schwierigkeiten zu beschaffenden Beweismittel zu stützen. Meines Erachtens muss der Gesetzgeber das in dieser Bestimmung festgelegte Kriterium der Plausibilität unter dieser Annahme aufgestellt haben. In der Regel sollte dieses Kriterium daher auch bei unvollständigen oder lückenhaften Informationen erfüllt sein können.
85. Fünftens schließlich müsste das mit einem Antrag auf Offenlegung von Beweismitteln befasste Gericht bei einer verpflichtenden Anwendung der Wahrscheinlichkeitsabwägung zwei Hypothesen aufstellen und miteinander vergleichen: diejenige, nach der der Erfolg des Schadensersatzanspruchs wahrscheinlich ist, und diejenige, nach der dies nicht der Fall ist.
86. Das in der zweiten Frage genannte Kriterium, das eine solche Prüfung dieser beiden Hypothesen beinhaltet, ist für die Rolle, die das in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 garantierte Recht auf Offenlegung relevanter Beweise spielt, offenbar nicht geeignet. Denn die Prüfung durch das nationale Gericht, aufgrund deren es die Offenlegung von Beweismitteln in der Anfangsphase des Verfahrens oder sogar vor dessen Einleitung anordnen kann, muss notwendigerweise eine vereinfachte Prüfung sein. Wenn der Kläger zudem selbst mit unvollständigen oder lückenhaften Informationen die Plausibilität seines Schadensersatzanspruchs stützen kann(33), muss das angerufene Gericht seine Prüfung auf die Plausibilität einer einzigen Hypothese konzentrieren, nämlich derjenigen, dass die haftungsbegründenden Voraussetzungen erfüllt sind.
87. Daher ist davon auszugehen, dass ein Kläger – um den in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 geforderten Grad an Plausibilität zu erfüllen – das Gericht davon überzeugen muss, dass die Annahme, nach der die drei kumulativen Voraussetzungen für eine Haftung im betreffenden Fall vorliegen, vertretbar ist. Somit ist auf die zweite Frage zu antworten, dass das in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 vorgesehene Kriterium einen geringeren Grad an Plausibilität erfordert als ein Kriterium, wonach es wahrscheinlicher sein muss, dass die haftungsbegründenden Voraussetzungen erfüllt sind, als das Gegenteil.
V. Ergebnis
88. In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die zweite und die dritte Frage des Supremo Tribunal de Justiça (Oberster Gerichtshof, Portugal) wie folgt zu beantworten:
1. Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union
ist dahin auszulegen, dass
ein Beschluss, mit dem eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht festgestellt wird, nicht ausreicht, um die Plausibilität eines Schadensersatzanspruchs zu begründen. Die Tatsache, dass dieser Beschluss eine bezweckte vertikale Beschränkung betrifft und im Rahmen eines Vergleichsverfahrens erlassen wurde, ändert nichts an dieser Einschätzung.
2. Das in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 vorgesehene Kriterium erfordert einen geringeren Grad an Plausibilität als ein Kriterium, wonach es wahrscheinlicher sein muss, dass die haftungsbegründenden Voraussetzungen erfüllt sind, als das Gegenteil.
1 Originalsprache: Französisch.
2 Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union (ABl. 2014, L 349, S. 1).
3 Verordnung des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1).
4 Diário da República, Reihe I, Nr. 107 vom 5. Juni 2018.
5 Das vorlegende Gericht hat lediglich die einschlägigen Bestimmungen dieses Gesetzes benannt, ohne deren Wortlaut in seinem Vorabentscheidungsersuchen wiederzugeben. Dieser findet sich jedoch in den schriftlichen Erklärungen der portugiesischen Regierung und der Europäischen Kommission.
6 Beschluss C(2020) 893 final in einem Verfahren nach Art. 101 [AEUV] und Art. 53 des EWR-Abkommens, Sache AT.40528 – Meliá (Holiday Pricing), von dem eine Zusammenfassung im Amtsblatt der Europäischen Union vom 2. Juni 2020 (ABl. 2020, C 182, S. 9) veröffentlicht wurde (im Folgenden: Beschluss vom 21. Februar 2020).
7 Siehe Nr. 20 der vorliegenden Schlussanträge.
8 C‑163/21, EU:C:2022:286.
9 In diesem Fall würde ein Antrag auf Offenlegung von Beweismitteln somit nicht nur den Erfordernissen von Art. 5 Abs. 4 und 7 der Richtlinie 2014/104 unterliegen, sondern allen in diesem Artikel festgelegten Erfordernissen.
10 Vgl. jüngst Urteil vom 22. Oktober 2024, Kolin Inşaat Turizm Sanayi ve Ticaret (C‑652/22, EU:C:2024:910, Rn. 53).
11 Vgl. Urteil vom 10. November 2022, PACCAR u. a. (C‑163/21, EU:C:2022:863, Rn. 43).
12 Vgl. insbesondere Urteil vom 20. April 2023, Repsol Comercial de Productos Petrolíferos (C‑25/21, EU:C:2023:298, Rn. 39).
13 Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. November 2012, Otis u. a. (C‑199/11, EU:C:2012:684, Rn. 65).
14 Siehe Nr. 44 der vorliegenden Schlussanträge.
15 Für eine vergleichende Studie vgl. Hornkohl, L., „The Presumption of Harm in EU Private Enforcement of Competition Law – Effectiveness vs Overcompensation“, EU and Comparative Law Issues and Challenges Series, 2021, S. 34 bis 36, sowie Malinauskaite, J., Cauffman, C., „The Transposition of the Antitrust Damages Directive in the Small Member States of the EU – A Comparative perspective“, Journal of European Competition Law & Practice, 2018, Bd. 9, Nr. 8, S. 509 und 511.
16 Vgl. Urteil vom 30. Januar 2020, Generics (UK) u. a. (C‑307/18, EU:C:2020:52, Rn. 63).
17 Vgl. im Wege des Umkehrschlusses Urteil vom 18. November 2021, Visma Enterprise (C‑306/20, EU:C:2021:935, Rn. 71).
18 Siehe Nr. 50 der vorliegenden Schlussanträge.
19 Siehe Nr. 53 der vorliegenden Schlussanträge.
20 Siehe Nr. 44 der vorliegenden Schlussanträge.
21 Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Oktober 2024, FIFA (C‑650/22, EU:C:2024:824, Rn. 150).
22 Vgl. entsprechend Nr. 28 der Mitteilung der Kommission über die Durchführung von Vergleichsverfahren bei dem Erlass von Entscheidungen nach Artikel 7 und Artikel 23 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates in Kartellfällen (ABl. 2008, C 167, S. 1).
23 Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 29. Juni 2010, Kommission/Alrosa (C‑441/07 P, EU:C:2010:377, Rn. 48), und vom 28. Januar 2025, ASG 2 (C‑253/23, EU:C:2025:40, Rn. 44).
24 Siehe Nrn. 65 und 66 der vorliegenden Schlussanträge.
25 Dies gilt auch für den Begriff in der polnischen Fassung („uprawdopdobnienie“), der laut „Słownik języka polskiego PWN (Polskie Wydawnictwo Naukowe)“, https://sjp.pwn.pl/slowniki/uprawdopodobnienie, die Tatsache bezeichnet, dass etwas eine Annahme wahrscheinlich macht („sprawić, że coś staje się prawdopodobne“).
26 Diese Bestimmung wurde durch Art. 33g Abs. 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 26. Juni 2013 (BGBl. 2013 I S. 1750) in deutsches Recht umgesetzt, wonach der Kläger darlegen muss, dass sein Schadensersatzanspruch wahrscheinlich ist („der glaubhaft macht, einen solchen Schadensersatzanspruch zu haben“). In seinem Urteil vom 4. April 2023, KZR 20/21, hat der Bundesgerichtshof (Deutschland) klargestellt, dass es genüge, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür bestehe, dass der Kläger Inhaber eines Schadensersatzanspruchs sei, und dass es einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit nicht bedürfe.
27 Diese Bestimmung wurde durch Art. 17 Abs. 1 der Ustawa o roszczeniach o naprawienie szkody wyrządzonej przez naruszenie prawa konkurencji (Gesetz vom 21. April 2017 über den Ersatz des durch eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht verursachten Schadens) in polnisches Recht umgesetzt. Dieses Gesetz legt das Kriterium der Wahrscheinlichkeit („uprawdopodobnienie“) eines Schadensersatzanspruchs fest. Nach der Rechtslehre verweist es auf die allgemeinen zivilrechtlichen Verfahrensvorschriften. Das in dieser Bestimmung festgelegte Kriterium sei dahin auszulegen, dass ein solcher Anspruch als plausibel anzusehen sei, wenn die Behauptung seines Vorliegens vertretbar und seine Glaubhaftigkeit angesichts der vorgelegten Beweise nicht vernachlässigbar sei. Die Prüfung dieses Anspruchs sei vereinfacht und beruhe auf einer Prima-facie-Beurteilung statt auf einer eingehenden Analyse. Vgl. hierzu Machnikowski, P., in Lis-Zarrias, K., Machnikowski, P. (Hrsg.), Ustawa o roszczeniach o naprawienie szkody wyrządzonej przez naruszenie prawa konkurencji. Komentarz, C. H. BECK, Warschau, 2018, Nr. 16.
28 Vgl. Urteil vom 10. November 2022, PACCAR u. a. (C‑163/21, EU:C:2022:863, Rn. 44).
29 Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Februar 2023, Tráficos Manuel Ferrer (C‑312/21, EU:C:2023:99, Rn. 42 bis 44).
30 Vgl. Smith, M., „Civil liability and the 50 %+ standard of proof“, The International Journal of Evidence & Proof, 2021, Bd. 25, Nr. 3, S. 183.
31 Vgl. Rodger, B., „United Kingdom“, in Rodger, B., Sousa Ferro, M., Marcos, F. (Hrsg.), The EU Antitrust Damages Directive: Transposition in the Member States, a. a. O., S. 382.
32 Vgl. Urteil vom 10. November 2022, PACCAR u. a. (C‑163/21, EU:C:2022:863, Rn. 43).
33 Siehe Nr. 84 der vorliegenden Schlussanträge.