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Wirtschaftsrecht
30.11.2023
Wirtschaftsrecht
OLG Stuttgart: Schadensersatzanspruch wegen LKW-Kartell auch bei Leasing

OLG Stuttgart, Urteil vom 27.7.2023 – 2 U 115/22

Volltext: BB-Online BBL2023-2818-6

unter www.betriebs-berater.de

 

 

Amtlicher Leitsatz

Einem Schadensersatzanspruch wegen des LKW-Kartells, das die Europäische Kommission mit ihrem Beschluss vom 19. Juli 2016 (AT.39824 Trucks) festgestellt hat, steht nicht entgegen, dass Fahrzeuge nicht käuflich erworben, sondern geleast wurden. Vortrag zum Vertragsinhalt auf den vorangegangenen Marktstufen der jeweiligen Erwerbskette ist zur schlüssigen Darlegung des Anspruchs nicht erforderlich.

 

Sachverhalt

Die Klägerin macht gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche wegen kartellrechtswidriger Absprachen geltend.

I.

Wegen des Sachverhalts wird auf die tatbestandlichen Feststellungen des Landgerichts verwiesen. Zusammenfassend: Bis zu einer Konzernaufspaltung produzierte und vermarktete die Beklagte Lastkraftwagen (LKW). Mit – auf einem Vergleich mit den Betroffenen beruhenden – Beschluss vom 19. Juli 2016 (AT.39824) stellte die Europäische Kommission fest, dass die Beklagte und weitere LKW-Hersteller, u.a. MAN, Iveco, Volvo/Renault und DAF, durch Absprachen über Preise und Bruttolistenpreiserhöhungen für mittelschwere (zwischen 6 und 16 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht) und schwere Lastkraftwagen (über 16 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht) sowie über den Zeitplan und die Weitergabe der Kosten für die Einführung von Emissionstechnologien für diese Fahrzeuge nach den Abgasnormen EURO 3 bis EURO 6 gegen Artikel 101 AEUV und Artikel 53 EWR-Abkommen verstoßen haben. Für die Zuwiderhandlung, die sich über den gesamten Europäischen Wirtschaftsraum erstreckte und vom 17. Januar 1997 bis zum 18. Januar 2011 andauerte, verhängte die Kommission gegen die Beklagte ein Bußgeld von rund einer Milliarde Euro.

Die Klägerin betreibt ein Speditionsunternehmen. Ihr Kerngeschäft ist der Transport flüssiger und rieselfähiger Lebens- und Futtermittel. Sie hat in den Jahren 2004 bis 2011 insgesamt 47 Fahrzeuge mit einer regelmäßigen Laufzeit von 48 Monaten bei einer Kilometerabrechnung geleast (vgl. Bl. 193 LG-Akte). Nach Beendigung der Leasingverträge gab die Klägerin sämtliche Fahrzeuge an die Leasinggesellschaft zurück. Unter Vorlage einer von ihr in Auftrag gegebenen Regressionsanalyse behauptet die Klägerin, ihr sei ein Schaden von 464.120,73 Euro entstanden.

Die Beklagte und ihre Streithelferinnen stellen sich unter Vorlage von Regressionsanalysen auf den Standpunkt, der Klägerin sei kein Schaden entstanden. Die Beklagte bestreitet den Erwerb der Fahrzeuge anderer Hersteller mit Nichtwissen. Zudem erhebt sie die Einrede der Verjährung.

II.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Ein schuldhafter Verstoß der Beklagten gegen Art. 81 EGV und Art. 101 AEUV liege vor. Die Klägerin sei auch von der Kartellabsprache betroffen und damit anspruchsberechtigt. Sie habe aber den ihr in Form eines Indizienbeweises obliegenden Nachweis der überwiegenden Wahrscheinlichkeit eines kartellbedingten Preisaufschlages in Form eines kausalen Schadens im Sinne der haftungsausfüllenden Kausalität nicht erbringen können. Die Klägerin lege keine hinreichenden Indizien dafür dar, dass der kartellbedingte Preisaufschlag auf sie im Rahmen der Finanzierungsverträge weitergewälzt worden sei. Unbehelflich sei das von der Klägerin vorgelegte Privatgutachten und die dort enthaltene Regressionsanalyse. Dieses Gutachten ermittele allein einen vermeintlichen kartellbedingten Preisaufschlag im Rahmen des Ersterwerbs der betroffenen Lastwagen. Dies sei zur Darlegung eines Weiterwälzungsschadens auf einer nachgelagerten Marktstufe aber ungeeignet. Mangels jedweden Vortrags zur Zusammensetzung der Leasingraten, der Kalkulierung der Restwerte und der konkreten Anschlussverwertung der Fahrzeuge könne ein konkreter Schaden der Klägerin auch im Rahmen des § 287 Absatz 1 ZPO noch nicht einmal annähernd geschätzt werden. Die Klägerin habe es überdies nicht vermocht, den ihr in Form eines Indizienbeweises obliegenden Nachweis der überwiegenden Wahrscheinlichkeit eines kartellbedingten Preisaufschlages in Form eines kausalen Schadens im Sinne der haftungsausfüllenden Kausalität auf erster Marktstufe zu erbringen. Es fehle damit nicht nur an hinreichenden Indizien für eine Weiterwälzung des Schadens auf erster Marktstufe auf die Klägerin, sondern außerdem an einem hinreichend wahrscheinlichen kartellbedingten Preisaufschlag als solchem.

III.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihren Hauptantrag weiter. Das Landgericht habe den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, weil es das zulässigerweise angebotene Sachverständigengutachten nicht eingeholt habe. Der Ausgangspunkt des Landgerichts, die Klägerin hätte den Indizienbeweis zur überwiegenden Wahrscheinlichkeit eines kartellbedingten Preisaufschlags nicht erbracht, sei falsch und stünde im Gegensatz zur Senatsrechtsprechung, ebenso die Ausführungen des Landgerichts zum mittelbaren Erwerb. Die Klägerin habe einen schlüssigen Vortrag gehalten, indem sie vorgetragen habe, dass bei jedem Lkw ein Schaden in bestimmter Höhe eingetreten sei. Die Nettokaufpreise seien hinreichende Anknüpfungspunkte für die Schadensschätzung. Die angegebene Schadenshöhe beruhe auf wissenschaftlichen Untersuchungen zur durchschnittlichen Höhe des kartellbedingten Preisaufschlags, die im Auftrag der Europäischen Kommission durchgeführt worden seien. Demgegenüber wiesen die von der Beklagtenseite vorgelegten Regressionsanalysen entscheidende Mängel auf. Weder seien die Datengrundlagen offengelegt noch die Regressionskoeffizienten.

Die Klägerin beantragt:

Die Beklagte wird abändernd dazu verurteilt, an die Klägerin Schadensersatz in einer vom Gericht zu ermittelnden Höhe, mindestens jedoch 464.120,73 € nebst Zinsen ab der jeweiligen Schadensentstehung zu zahlen und zwar in Höhe von 4% für bis zum 31.06.2005 entstandene Ansprüche und in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz für ab dem 01.07.2005 entstandenen Ansprüche.

Die Beklagte und die Streithelferinnen beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte und die Streithelferinnen verteidigen das landgerichtliche Urteil als richtig. Zutreffend habe das Landgericht die Erwerbsvorgänge als mittelbaren Erwerb eingeordnet und festgestellt, dass die Klägerin trotz eines frühzeitigen Hinweises nicht einmal die Erwerbsketten und auch keine hinreichenden Indizien dafür vorgetragen habe. Die Klägerin habe noch nicht einmal einen absoluten Anstieg der Leasingraten während des Kartellzeitraums behauptet. Das von ihr vorgelegte Schadensgutachten sei unbehelflich. Einen Vortrag zur Weiterwälzung des Schadens auf die dem Ersterwerb nachgelagerte Marktstufe habe die Klägerin nicht gehalten. Eine tatsächliche Vermutung für einen Schadenseintritt bestehe nicht. Eine Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens sei nicht erforderlich gewesen. Jedenfalls habe die Klägerin einen etwaigen Schaden auf die nächste Markstufe abgewälzt.

Aus den Gründen

B

Die Berufung führt zur Aufhebung des landgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Stuttgart.

Gemäß § 538 Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO kann das Berufungsgericht die Sache, soweit ihre weitere Verhandlung erforderlich ist, auf Antrag einer Partei u.a. zurückverweisen, soweit das Verfahren im ersten Rechtszuge an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist.

 

I.

Ein entsprechender Verfahrensmangel liegt in der unterlassenen Einholung eines von der Klägerin beantragten gerichtlichen Sachverständigengutachtens zu der Höhe des Schadens. Die Erhebung dieses Beweises war erforderlich, da die Ablehnung des Beweisantrags in der Prozessordnung keine Stütze hatte.

 

1.

Für den Schadensersatzanspruch ist das im Belieferungszeitraum geltende Recht maßgeblich (BGH, Urteil vom 28. Juni 2011 – KZR 75/10, juris Rn. 13 – ORWI; BGH, Urteil vom 11. Dezember 2018 – KZR 26/17, juris Rn. 44 – Schienenkartell I).

Demnach richtet sich der Anspruch bei den streitgegenständlichen Beauftragungen bis zum 30. Juni 2005 nach § 33 Satz 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der ab dem 01. Januar 1999 geltenden Fassung (fortan: GWB 1999). Danach ist derjenige, der vorsätzlich oder fahrlässig gegen eine Vorschrift des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen verstößt, die den Schutz eines anderen bezweckt, diesem zum Ersatz des aus dem Verstoß entstandenen Schadens verpflichtet. § 1 GWB 1999 verbietet Vereinbarungen zwischen miteinander im Wettbewerb stehenden Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken. Konkurrierend ergibt sich ein Anspruch aus § 823 Absatz 2 BGB i.V.m. Art. 85 EGV, da die darin niedergelegten Verbote von abgestimmten Verhaltensweisen ihrer Natur nach geeignet sind, in den Beziehungen zwischen Einzelnen unmittelbare Wirkungen zu erzeugen und deshalb unmittelbar in deren Person Rechte entstehen zu lassen, die die Gerichte der Mitgliedstaaten zu wahren haben (BGH, Urteil vom 12. Mai 1998 – KZR 23/96, juris Rn. 16; BGH, Urteil vom 23. September 2020 – KZR 35/19, juris Rn. 16 – LKW-Kartell I; BGH, Urteil vom 13. April 2021 – KZR 19/20, juris Rn. 12 – LKW-Kartell II).

Für Beschaffungsvorgänge ab dem 01. Juli 2005 richtet sich der Schadensersatzanspruch nach § 33 Absatz 3 Satz 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der Fassung der 7. GWB-Novelle (GWB 2005). Wer gegen eine Vorschrift des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen oder gegen Artikel 81 oder 82 EGV (= Artikel 101 und 102 AEUV) vorsätzlich oder fahrlässig begeht, ist demnach zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Mangels einer entsprechenden Übergangsvorschrift ist § 33 GWB n.F. jedoch nicht auf Ansprüche anwendbar, die vor der Gesetzesänderung entstanden sind (BGH, Urteil vom 28. Juni 2011 – KZR 75/10, juris Rn. 13 – ORWI).

 

2.

Die Beklagte hat schuldhaft gegen die genannten Normen verstoßen, weil sie über einen längeren Zeitraum an wettbewerbsbeschränkenden Absprachen beteiligt war (vgl. BGH, Urteil vom 23. September 2020 – KZR 35/19, juris Rn. 17 – LKW-Kartell I; BGH, Urteil vom 13. April 2021 – KZR 19/20, juris Rn. 13 – LKW-Kartell II).

Die Europäische Kommission hat im Beschluss vom 19. Juli 2016 festgestellt, dass die Beklagte, MAN, Volvo/Renault, Iveco und DAF eine komplexe Zuwiderhandlung gegen Artikel 101 Absatz 1 AEUV begangen haben, bestehend aus verschiedenen Handlungen, die entweder als Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen einzustufen sind, und mit deren Hilfe die Beteiligten die Risiken des Wettbewerbs wissentlich durch die praktische Zusammenarbeit untereinander ersetzt haben. Die Europäische Kommission hat das Verhalten der Kartellbeteiligten als Preiskoordinierungen eingeordnet, die in der praktizierten Weise zu den schädlichsten Einschränkungen des Wettbewerbs gehörten.

Konkret bestand die Zuwiderhandlung der Kartellbeteiligten gegen Artikel 101 Absatz 1 AEUV nach den Feststellungen im Kommissionsbeschluss in einem kollusiven Verhalten bei der Preissetzung und der Anhebung von Bruttolistenpreisen für mittelschwere und schwere Lastkraftwagen sowie in der Koordinierung ihres Marktverhaltens bei den Zeitplänen und der Weitergabe der Kosten für die Einführung von Emissionstechnologien für solche Lastkraftwagen nach den Abgasnormen EURO 3 bis EURO 6. Das kollusive Verhalten umfasste Vereinbarungen und/oder abgestimmte Verhaltensweisen bei Preissetzungen und Listenpreiserhöhungen mit dem Ziel, die Bruttopreise im EWR zu koordinieren, sowie über den Zeitplan und die Weitergabe der Kosten für die Einführung von Emissionstechnologien nach den Abgasnormen EURO 3 bis EURO 6. Sämtliche Kartellbeteiligten tauschten Preislisten und Informationen über Bruttopreise untereinander aus. Jeder der Beteiligten – mit Ausnahme von DAF – hatte Zugang zu mindestens einem computerbasierten LKW-Konfigurator eines der anderen Beteiligten.

Die Zuwiderhandlung, die sich über den gesamten Europäischen Wirtschaftsraum erstreckte, dauerte vom 17. Januar 1997 bis zum 18. Januar 2011 an. Von 1997 bis 2010 fanden die kollusiven Kontakte mehrmals jährlich in Form regelmäßiger Treffen bei Tagungen von Industrieverbänden, Messen, Produktvorstellungen der Hersteller oder zum Zweck dieser Zuwiderhandlung organisierter Wettbewerbertreffen statt. Sie umfassten auch regelmäßige Kontakte über E-Mail und Telefon. In die Diskussion der Preise, Preiserhöhungen und die Einführung neuer Emissionsstandards waren bis Ende 2004 die Hauptverwaltungen aller beteiligten Unternehmen durch höhere Führungskräfte direkt eingebunden. Ab August 2002 wurden die Gespräche über deutsche Tochtergesellschaften geführt, die an ihre Hauptverwaltungen berichteten.

Bei den Treffen besprachen die Teilnehmer ihre jeweiligen Listenpreiserhöhungen und in einigen Fällen vereinbarten sie diese auch. In den Jahren 1997 und 1998 tauschten die Beteiligten bei zusätzlichen bilateralen Treffen, die neben den regelmäßigen detaillierten Diskussionen über zukünftige Listenpreiserhöhungen stattfanden, Informationen über die Harmonisierung der Preislisten für den Europäischen Wirtschaftsraum aus. Gelegentlich wurden unter Beteiligung von Vertretern der Hauptverwaltungen sämtlicher Beteiligter auch Nettopreise für einige Länder beraten. Die Kartellbeteiligten einigten sich außerdem auf den jeweiligen Zeitplan für die Einführung der EURO-Emissionsstandards und den damit verbundenen Preisaufschlag. Zusätzlich zu Vereinbarungen über den Umfang der Preiserhöhungen informierten sie sich regelmäßig über ihre geplanten zukünftigen Listenpreiserhöhungen. Ferner tauschten sie sich über ihre jeweiligen Lieferfristen und länderspezifische allgemeine Marktprognosen, aufgeschlüsselt nach Ländern und LKW-Kategorien, aus. Die bevorstehende Euro-Einführung wurde unter Einbindung aller an der Absprache Beteiligten zu Diskussionen über die Reduzierung von Rabatten genutzt. Nach Umstellung auf den Euro und mit der erstmaligen Erstellung gesamteuropäischer Preislisten für fast alle Hersteller begannen die an den Absprachen beteiligten Unternehmen sich systematisch über ihre jeweils geplanten Listenpreiserhöhungen über ihre deutschen Tochtergesellschaften auszutauschen, während in den Jahren 2002 bis 2004 parallel dazu die geheimen Kontakte auf Ebene der höheren Führungskräfte der Hauptverwaltungen fortgesetzt wurden.

Die Absprachen versetzten die daran beteiligten Unternehmen zumindest in die Lage, die ausgetauschten Informationen bei ihren internen Planungsprozessen und der Planung zukünftiger Listenpreiserhöhungen für das kommende Kalenderjahr zu berücksichtigen. Die durch die jeweilige Hauptverwaltung festgelegten Listenpreise waren wiederum bei allen an den Absprachen beteiligten LKW-Herstellern der Ausgangspunkt der Preisgestaltung; sodann wurden die Verrechnungspreise für die Einfuhr der Lastkraftwagen in verschiedene Märkte durch eigene oder fremde Vertriebsunternehmen und anschließend die von den Händlern auf nationalen Märkten zu zahlenden Preise festgelegt. Die Endkundenpreise wurden schließlich entweder durch einen Händler oder – bei direktem Verkauf an Händler oder Flotten-Kunden – unmittelbar durch den Hersteller verhandelt und festgelegt.

 

3.

Diese Feststellungen im Beschluss der Kommission sind für den vorliegenden Rechtsstreit als nachfolgendem Schadensersatzprozess gemäß § 33 Absatz 4 GWB 2005 bindend (BGH, Urteil vom 23. September 2020 – KZR 35/19, juris Rn. 23 – LKW-Kartell I; BGH, Urteil vom 13. April 2021 – KZR 19/20, juris Rn. 17 – LKW-Kartell II). Die Bindungs- oder Feststellungswirkung erstreckt sich auf alle Feststellungen tatsächlicher und rechtlicher Natur, mit denen die Wettbewerbsbehörde einen Verstoß gegen das materielle Wettbewerbsrecht begründet. Darüber hinausgehende Beschreibungen und Erwägungen erfasst sie hingegen nicht, und auch Fragen der Schadenskausalität sowie der Schadenshöhe nehmen nicht an ihr teil, sondern unterliegen der freien Beweiswürdigung des Gerichts (BGH, Urteil vom 23. September 2020 – KZR 35/19, juris Rn. 24 – LKW-Kartell I; BGH, Urteil vom 13. April 2021 – KZR 19/20, juris Rn. 18 – LKW-Kartell II). Diese Bindungswirkung ist auch nicht deshalb ausgeschlossen oder beschränkt, weil der Kommissionsbeschluss vom 19. Juli 2016 im Rahmen eines Vergleichsverfahrens nach Art. 10a der Verordnung (EG) Nr. 773/2004 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 622/2008 ergangen ist (eingehend BGH, Urteil vom 23. September 2020 – KZR 35/19, juris Rn. 25 ff. – LKW-Kartell I; BGH, Urteil vom 13. April 2021 – KZR 19/20, juris Rn. 19 – LKW-Kartell II).

 

4.

Der Kartellverstoß geschah vorsätzlich. Die Kontakte wurden zunächst bis zum Jahr 2004 auf der Ebene der höheren Führungskräfte der Hauptverwaltungen organisiert und anschließend zwischen den Arbeitnehmern der deutschen Tochtergesellschaften. Aus der hohen Ansiedelung folgt, dass der Vorstand der Beklagten das Vorgehen gekannt und gebilligt hat (OLG Schleswig, Urteil vom 17. Februar 2020 – 16 U 43/19 Kart, juris Rn. 60). Im Übrigen wäre das Verschulden unabhängig davon gegeben, auf welcher Management-Ebene die kartellrechtlichen Verstöße jeweils begangen wurden. Den Organen der Beklagten fällt zumindest ein Organisationsverschulden zur Last, da sie ein kartellrechtswidriges Verhalten nicht verhindert haben (OLG Stuttgart, Urteil vom 04. April 2019 – 2 U 101/18, juris Rn. 129).

 

5.

Die Klägerin ist von der Kartellabsprache betroffen und damit anspruchsberechtigt (vgl. BGH, Urteil vom 23. September 2020 – KZR 35/19 – LKW-Kartell I, juris Rn. 30; BGH, Urteil vom 13. April 2021 – KZR 19/20, juris Rn. 20 – LKW-Kartell II).

a)

Der Kreis derjenigen, die berechtigt sind, einen Schadensersatzanspruch wegen eines Verstoßes gegen die Vorschriften des § 1 GWB sowie des Artikels 101 AEUV geltend zu machen, bestimmt sich im Ausgangspunkt nach den Vorschriften des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Allerdings sind die Vorgaben des Unionsrechts zu berücksichtigen (vgl. BGH, Urteil vom 28. Januar 2020 – KZR 24/17, juris Rn. 23 – Schienenkartell II). Die praktische Wirksamkeit des gemeinschaftsrechtlichen Kartellverbotes erfordert, dass jedermann Ersatz des Schadens verlangen kann, der ihm durch einen Vertrag, der den Wettbewerb beschränkt oder verfälscht, oder durch ein entsprechendes Verhalten entstanden ist (BGH, Urteil vom 28. Juni 2011 – KZR 75/10, juris Rn. 15 – ORWI; EuGH, Urteil vom 20. September 2001 – C-453/99, Rn. 26 – Courage; EuGH, Urteil vom 13. Juli 2006 – C-295/04 bis C-298/04, Rn. 60 – Manfredi; EuGH, Urteil vom 05. Juni 2014 – C-557/12, Rn. 22 – Kone; EuGH, Urteil vom 14. März 2019 – C-724/17, Rn. 26 – Skanska; EuGH, Urteil vom 12. Dezember 2019 – C-435/18, Rn. 27 – Otis). Der Kreis der durch das Kartellverbot des Artikel 101 Absatz 1 AEUV geschützten Personen ist nicht auf solche Abnehmer beschränkt, gegen die sich die Kartellabsprache gezielt richtet (BGH, Urteil vom 28. Juni 2011 – KZR 75/10, juris Rn. 16 f. – ORWI; BGH, Urteil vom 28. Januar 2020 – KZR 24/17, juris Rn. 24 – Schienenkartell II).

Nach diesen Grundsätzen ist Voraussetzung des haftungsbegründenden Tatbestands eines kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs, dass dem Anspruchsgegner ein wettbewerbsbeschränkendes Verhalten anzulasten ist, das – vermittelt durch den Abschluss von Umsatzgeschäften oder in anderer Weise – geeignet ist, einen Schaden des Anspruchstellers unmittelbar oder mittelbar zu begründen (BGH, Urteil vom 23. September 2020 – KZR 35/19, juris Rn. 31 – LKW-Kartell I). Auf die weitergehende Frage, ob sich die Kartellabsprache auf den in Rede stehenden Beschaffungsvorgang, auf den der Anspruchsteller sein Schadensersatzbegehren stützt, tatsächlich ausgewirkt hat und das Geschäft damit in diesem Sinn „kartellbefangen“ oder „kartellbetroffen“ war, kommt es im Rahmen der Prüfung der haftungsbegründenden Kausalität hingegen nicht an. Die Anforderungen an die Haftungsbegründung tragen damit dem Umstand Rechnung, dass das Kartellverbot als Gefährdungstatbestand bereits die Absprache zwischen den Wettbewerbern wegen des damit verbundenen Eingriffs in die Freiheit des Wettbewerbsprozesses und der sich daraus ergebenden Störung insbesondere des wettbewerblichen Preisbildungsmechanismus ohne Rücksicht auf die aus ihr folgenden unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen auf die Marktakteure sanktioniert, die ohnehin nur mit erheblichen Schwierigkeiten festgestellt werden können. Angesichts der Besonderheiten des nicht gegen einzelne Marktteilnehmer, sondern die Marktgegenseite gerichteten kartellrechtlichen Deliktstatbestands bedarf es daher auch nicht der Feststellung einer konkret-individuellen Betroffenheit. Für die Feststellung der hiernach maßgeblichen Voraussetzungen gilt der Maßstab des § 286 ZPO (BGH, Urteil vom 19. Mai 2020 – KZR 8/18, juris Rn. 25 – Schienenkartell IV; BGH, Urteil vom 23. September 2020 – KZR 35/19, juris Rn. 31 – LKW-Kartell I; BGH, Urteil vom 13. April 2021 – KZR 19/20, juris Rn. 21 – LKW-Kartell II).

b)

Demnach ist die Klägerin anspruchsberechtigt, weil sie mit Lastkraftwagen Waren erworben hat, die Gegenstand des Austauschs über zukünftige Preislisten und Listenpreiserhöhungen sowie der weiteren festgestellten wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweisen und damit Gegenstand der Kartellabsprache waren (vgl. auch BGH, Urteil vom 23. September 2020 – KZR 35/19, juris Rn. 32 – LKW-Kartell I; BGH, Urteil vom 13. April 2021 – KZR 19/20, juris Rn. 22 – LKW-Kartell II).

aa)

Die Klägerin hat nachgewiesen, dass sie mit der in den Leasingvertragsunterlagen angegebenen F. GmbH nach einer Umwandlung identisch ist (Anlagen K 7 bis K 10). Der Abschluss der entsprechenden Leasingverträge ist zwischen den Parteien unstreitig.

 

bb)

Die Erwerbsvorgänge fallen sachlich, räumlich und zeitlich in den Bereich der Absprachen und Vereinbarungen.

In sachlicher und räumlicher Hinsicht sind die Erwerbsvorgänge von den Absprachen und Vereinbarungen erfasst, da sich diese nach den Feststellungen der Europäischen Kommission auf mittelschwere und schwere Lastkraftwagen im gesamten Europäischen Wirtschaftsraum bezogen. Ausgenommen sind lediglich Lastkraftwagen für den militärischen Bereich, der „After-sales“-Bereich, andere Dienstleistungen und Garantien für Lastkraftwagen, der Verkauf von gebrauchten Lastkraftwagen und sämtliche anderen von den Beteiligten verkauften Waren und erbrachten Dienstleistungen (vgl. BGH, Urteil vom 23. September 2020 – KZR 35/19, juris Rn. 34 – LKW-Kartell I). Die Zuwiderhandlung betrifft alle Sonder- und Standardausstattungen und -modelle sowie alle ab Werk angebotenen Sonderausstattungen des jeweiligen Herstellers (EuGH, Urteil vom 01. August 2022 – C-588/20, Rn. 47). Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass dies auf die fraglichen Fahrzeuge zutrifft.

In zeitlicher Hinsicht fallen die Erwerbsvorgänge ebenfalls in den Kartellzeitraum. Der erste streitgegenständliche Leasingvertrag wurde im Jahr 2004 abgeschlossen, die letzten im Jahr 2011. Da die Bruttopreislisten für das Jahr 2011 noch im Jahr 2010 erstellt wurden, sind diese Erwerbsvorgänge ebenfalls vom Kartell betroffen (OLG Stuttgart, Urteil vom 4. April 2019 – 2 U 101/18, juris Rn. 143).

 

c)

Für die Betroffenheit ist unerheblich, ob und inwieweit die Transaktionspreise der vom jeweiligen Anspruchssteller erworbenen Fahrzeuge durch die Kartellabsprache beeinflusst waren. Es genügt, dass diese Fahrzeuge auf den Grundmodellen („Ecktypen“) aufbauten, deren Listenpreise Gegenstand der Absprachen waren, da die durch das Kartell bewirkte Verfälschung der Bedingungen des Marktgeschehens damit jedenfalls geeignet war, sich auf die individuellen Transaktionspreise für Fahrzeuge der kartellbeteiligten LKW-Hersteller auszuwirken (BGH, Urteil vom 23. September 2020 – KZR 35/19, juris Rn. 33 – LKW-Kartell I; BGH, Urteil vom 13. April 2021 – KZR 19/20, juris Rn. 23 – LKW-Kartell II). Selbst wenn für die vom Endkunden bezahlten Preise auch die sehr unterschiedlichen und sehr unterschiedlich teuren Aufbauten und sonstigen Ausstattungen von erheblicher Bedeutung sind, ändert dies nichts daran, dass in den nicht wegzudenkenden Kostenerhöhungen für die Basismodelle immer auch das kartellbedingt erhöhte Niveau gleichsam mitläuft (OLG Schleswig, Urteil vom 17. Februar 2020 – 16 U 43/19 Kart, juris Rn. 88). Aus dieser Bedeutung der Listenpreise ergibt sich zugleich, dass Mitglieder der Marktgegenseite, die Fahrzeuge der Kartellbeteiligten erworben haben, von dem Kartellverstoß so betroffen waren, dass nachteilige Folgen für ihre Vermögenslage eintreten konnten. Weiterer Feststellungen zu den Auswirkungen auf einzelne Transaktionen bedarf es für die haftungsbegründende Kausalität nicht (BGH, Urteil vom 23. September 2020 – KZR 35/19, juris Rn. 33 – LKW-Kartell I; BGH, Urteil vom 13. April 2021 – KZR 19/20, juris Rn. 23 – LKW-Kartell II).

 

d)

Die Beklagte hat auch keine Umstände vorgetragen, weshalb wegen fehlender Kartelldisziplin oder aus anderen Gründen im Einzelfall ein Verkaufsvorgang nicht von der Kartellabsprache umfasst gewesen sein soll. Insoweit besteht die von der Beklagten zu widerlegende Vermutung, dass die an der Abstimmung beteiligten und weiterhin auf dem Markt tätigen Unternehmen die mit ihren Wettbewerbern ausgetauschten Informationen bei der Festlegung ihres Marktverhaltens berücksichtigt haben (EuGH, Urteil vom 04. Juni 2009 – C-8/08, Rn. 51; EuGH, Urteil vom 19. März 2015 – C-286/13 P, Rn. 127).

 

e)

Einem Schadensersatzanspruch steht auch nicht entgegen, dass die Fahrzeuge vorliegend nicht käuflich erworben, sondern geleast wurden (OLG Stuttgart, Urteil vom 06. April 2023 – 2 U 58/22).

 

aa)

Die Entstehung eines kartellbedingten Schadens hat die Klägerin schlüssig dargelegt.

 

(1)

Den erforderlichen Vortrag zur Ausstattung aller Fahrzeuge (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 06. April 2023 – 2 U 58/22) hat die Klägerin gehalten.

 

(2)

Im Übrigen genügt zur schlüssigen Darlegung eines Schadens der Umstand, dass die mit den streitgegenständlichen Beschaffungsvorgängen erworbenen bzw. geleasten LKW Gegenstand der Kartellabsprachen waren, denn die Annahme liegt nahe, dass die Leasinggeber bzw. Verkäufer bei der Kalkulation ihrer Angebote in aller Regel berücksichtigen, zu welchem Preis sie das Leasingobjekt bzw. den Kaufgegenstand erworben haben. Dies wird untermauert durch den Umstand, dass nach der aktuellen Gesetzeslage (§ 33a Absatz 2, § 33c Absatz 2 GWB) sogar vermutet wird, dass ein Kartell einen Schaden verursacht und ein kartellbedingter Preisaufschlag auf den mittelbaren Abnehmer abgewälzt wird. Auch wenn diese Vermutungsregelung gem. § 187 Absatz 3 GWB auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar ist, kann der Vortrag, dass sich die Kartellabsprachen auf die Höhe der Leasingraten ausgewirkt haben, bei einem im Übrigen vergleichbaren Sachverhalt – wie hier – kaum als unschlüssig angesehen werden.

Dass der Klägerin als Leasingnehmerin und mittelbarer Abnehmerin der LKW ein Schaden entstanden ist, erscheint auch möglich. Mit den in der Grundmietzeit vom Leasingnehmer zu zahlenden Leasingraten werden zwar nicht die gesamten Anschaffungskosten des Leasingfahrzeugs beglichen, sondern nur dessen im Voraus kalkulierter Wertverlust zuzüglich des auf die Vertragszeit entfallenden Teils der Nebenkosten und des Gewinns für die Leasinggesellschaft. Es ist aber plausibel, dass bei der Kalkulation des Wertverlusts die ursprünglichen Anschaffungskosten eine gewichtige Rolle spielen und der Wertverlust umso höher kalkuliert wird, je höher die Anschaffungskosten sind (OLG Stuttgart, Urteil vom 16. Dezember 2021 – 2 U 4/20, juris Rn. 213).

 

bb)

Mit der vom Landgericht gegebenen Begründung lässt sich die Abweisung der Klage ohne Beweisaufnahme nicht rechtfertigen. Dass die Klägerin zum Vertragsinhalt auf den vorangegangenen Stufen der jeweiligen Erwerbskette nicht ausreichend vorgetragen habe, steht der Existenz eines kartellbedingten Schadens nicht entgegen.

Es kommt insoweit schon nicht darauf an, ob von einem bloß mittelbaren Erwerb auszugehen ist. Denn Voraussetzung für die schlüssige Darlegung eines Anspruchs des mittelbaren Abnehmers nach § 33 Absatz 3 GWB 2005 ist entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht, dass der Vertragsinhalt auf der ersten Marktstufe, insbesondere die beiderseits erbrachten Leistungen, konkret dargelegt wird. Diese Argumentation des Landgerichts wäre nur dann richtig, wenn zwingend der Schaden auf der ersten Marktstufe ermittelt werden müsste, um davon abgeleitet dann feststellen zu können, in welchem Maße dieser Schaden an die nachfolgende Marktstufe weitergegeben wurde. Die Schadensermittlung in den Kartellschadensersatzfällen ist aber auch in anderer Weise, nämlich mittels einer Regressionsanalyse, möglich. Eine derartige Schadensermittlung setzt die Kenntnis der Preise auf den vorangegangenen Marktstufen nicht voraus.

Klagt ein mittelbarer Kunde auf Schadensersatz aufgrund eines kartellbedingten Preisaufschlags, dann hat er zwar die Möglichkeit nachzuweisen, dass es einen ursprünglichen Preisaufschlag gab und dieser Preisaufschlag auf ihn abgewälzt wurde. Ihm steht aber auch die Möglichkeit offen, den auf seiner Handelsstufe bestehenden Preisaufschlag in derselben Weise zu ermitteln, wie es ein unmittelbarer Kunde tun würde, nämlich im Wege eines Vergleichs des tatsächlich gezahlten Preises mit dem wahrscheinlichen zuwiderhandlungsfreien Preis. Anhand von Vergleichsmethoden ist es möglich, sich ein Bild von der Höhe des von mittelbaren Kunden gezahlten Preisaufschlags zu machen, ohne dass es nötig ist, den Grad der Schadensabwälzung zu ermitteln. So kann mittels eines zeitlichen Vergleichs der Preise, die der mittelbare Kunde vor und während der Zuwiderhandlung gezahlt hat, festgestellt werden, wie stark diese Preise aufgrund der Zuwiderhandlung gestiegen sind, ohne dass eine Feststellung bezüglich des Grads der Schadensabwälzung erfolgen muss (Praktischer Leitfaden der Kommission zur Ermittlung des Schadensumfangs bei Schadensersatzklagen im Zusammenhang mit Zuwiderhandlungen gegen Art. 101 oder 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, Rn. 167).

Lässt sich mithilfe einer Regressionsanalyse feststellen, dass die Leasingraten kartellbedingt überhöht waren, dann ist damit zugleich festgestellt, dass auch auf der vorherigen Marktstufe ein kartellbedingter Schaden in zumindest dieser Höhe bestanden hat. Denn dies ist zwingende Folge der Feststellung, dass auch noch auf der nachgelagerten Marktstufe ein Kartellschaden in dieser Höhe besteht. Außerdem ist damit zugleich festgestellt, dass dieser auf der ersten Marktstufe entstandene Schaden in der Höhe, in der er auf der nachfolgenden Marktstufe festgestellt worden ist, durch eine Erhöhung der Leasing-/Mietkaufraten „weitergewälzt“ worden ist.

 

cc)

Das Landgericht hat die Klage ferner auch deshalb abgewiesen, weil ein Schaden nicht nachgewiesen sei. Nachdem die Klägerin für den von ihr behaupteten Schaden Beweis durch Sachverständigengutachten angetreten hat, durfte das Landgericht die Klage indes nur dann abweisen, ohne diesem Beweisantritt nachzugehen, wenn es sich um einen Beweisantrag ins Blaue hinein gehandelt hätte, wenn das Beweismittel mangels Anknüpfungstatsachen ungeeignet gewesen wäre oder wenn die Beweisaufnahme nicht entscheidungserheblich gewesen wäre, weil es sich um einen Indizienbeweis handelt und die Indizien – ihren Beweis unterstellt – keinen ausreichenden Schluss auf die entscheidungserhebliche Tatsache zulassen (vgl. Zöller/Greger, Kommentar zur ZPO, 34. Aufl. 2022, Rn. 8c, 9, 10a vor § 284 ZPO).

Keiner der oben genannten Gründe für die Ablehnung des Beweisantrags liegt vor:

 

(i)

Eine Behauptung „ins Blaue hinein“ liegt ersichtlich nicht vor.

Wenn für eine kartellbedingte Preisüberhöhung auf der ersten Marktstufe – hier also auf der Stufe des Leasinggebers – nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sogar eine tatsächliche Vermutung spricht, dann bestehen jedenfalls greifbare Anhaltspunkte dafür, dass sich diese kartellbedingte Preisüberhöhung auch auf die Höhe der Leasingraten ausgewirkt hat, weil der Einkaufspreis einer der wesentlichen Faktoren ist, anhand dessen der Leasinggeber seine Preiskalkulation vornimmt.

Und selbst wenn mit der Beklagten davon auszugehen wäre, dass im vorliegenden Fall die tatsächliche Vermutung entgegen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht greifen würde, würde dies nicht dazu führen, dass jegliche tatsächliche Anhaltspunkte für die Existenz des behaupteten Schadens fehlen würden, denn dass Kartelle grundsätzlich geeignet sind, bei den Abnehmern der kartellbetroffenen Waren einen Schaden zu verursachen, ist anerkannt (vgl. Coppik/Heimeshoff, WuW 2020, 584). Und dass der Gesetzgeber hiervon auch bei mittelbaren Abnehmern ausgeht, zeigt schon die Vermutungsregelung in § 33c Absatz 2 GWB. Dem steht nicht entgegen, dass diese im vorliegenden Fall, in dem die Schadensersatzansprüche vor dem 27. Dezember 2016 entstanden sind, gemäß § 187 Absatz 3 Satz 1 GWB nicht anwendbar ist, denn unabhängig von ihrer Anwendbarkeit zeigt schon die bloße Existenz einer solchen Regelung, dass die Behauptung eines Schadens jedenfalls nicht „ins Blaue hinein“ erfolgt.

 

(ii)

Nicht richtig ist ferner die Behauptung, dass es für das angebotene Sachverständigengutachten an den erforderlichen Anknüpfungstatsachen fehlen würde (OLG Stuttgart, Urteil vom 06. April 2023 – 2 U 58/22). Die Anknüpfungstatsachen für eine Regressionsanalyse sind im Wesentlichen die Transaktionspreise im Kartellzeitraum und in dem für die Analyse zu beobachtenden Vergleichszeitraum. Die Erhebung dieser Transaktionspreise kann vom Kartellgeschädigten nicht verlangt werden. Vielmehr ist diese Tatsachenfeststellung auf den Sachverständigen zu übertragen, denn bereits hierfür ist eine besondere Sachkunde erforderlich (vgl. Zöller/Greger, a.a.O., § 404a ZPO Rn. 5).

Soweit teilweise vertreten wird, dass es dem Kläger obliege, für eine ausreichende Schätzungsgrundlage zu sorgen, indem er die Anknüpfungstatsachen darlege (Topel in Wiedemann, Kartellrecht, 4. Aufl. 2020, § 50 Rn. 94), folgt daraus nichts anderes. Auch die Vertreter dieser Ansicht gehen nicht davon aus, dass es dem Kläger obliegt, sämtliche für die Durchführung einer Regressionsanalyse notwendigen Transaktionsdaten zu liefern. Dass dies nicht gemeint ist, ergibt sich daraus, dass als Beleg für diese Ansicht ein Aufsatz zitiert wird, in dem erläutert wird, dass dies für die Kartellschadensersatzklage (lediglich) bedeute, dass der Kläger Anhaltspunkte aufzeigen müsse, die auf für ihn günstigere Marktkonditionen ohne Wettbewerbsbeschränkungen hinweisen (Rauh/Zuchandke/Reddemann, WRP 2012, 173, [179]).

 

(iii)

Soweit das Landgericht davon ausgeht, dass wegen des angeblich fehlenden Vortrags zu den Gegebenheiten auf dem Leasingmarkt auch ein positives Ergebnis einer Regressionsanalyse nicht ausreichen würde, um dem Gericht die Überzeugung zu verschaffen, dass ein Schaden entstanden ist, kann dahinstehen, ob darin nicht bereits eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung liegt. Das Argument ist jedenfalls in der Sache nicht richtig (OLG Stuttgart, Urteil vom 06. April 2023 – 2 U 58/22). Von der beantragten Einholung eines Gutachtens dürfte nur abgesehen werden, wenn auszuschließen ist, dass damit der erforderliche Beweis geführt werden kann (Zöller/Greger, a.a.O., Rn. 10a vor § 284 ZPO). Ausgeschlossen ist dies jedoch bereits deshalb nicht, weil auch nach den Kriterien, die der Bundesgerichtshof in der sog. ORWI-Entscheidung aufgestellt hat (BGH, Urteil vom 28. Juni 2011, KZR 75/10), eine kartellbedingte Preiserhöhung durchaus naheliegt.

Zu den Faktoren, die für die Prüfung erheblich sind, ob eine Preiserhöhung auf der nachfolgenden Marktstufe kartellbedingt ist, gehören die Preiselastizität von Angebot und Nachfrage, die Dauer des Verstoßes sowie die Intensität des Wettbewerbs auf dieser Stufe. Müssen die meisten der dort auftretenden Anbieter den Kartellpreis entrichten und hat ihre Marktgegenseite keine oder nur geringe Ausweichmöglichkeiten, kann eine Kostenwälzung grundsätzlich jedenfalls dann als kartellbedingt angesehen werden, wenn der Wettbewerb auf dem Anschlussmarkt ansonsten funktionsfähig ist (BGH, a.a.O., Rn. 47).

Für eine kartellbedingte Preiserhöhung sprechen im vorliegenden Fall jedenfalls die Dauer des Verstoßes von insgesamt ca. 14 Jahren, der Umstand, dass es für den Transport mit LKW regelmäßig nur sehr wenige bis gar keine Alternativen gibt und der weitere Umstand, dass nahezu alle Anbieter den Kartellpreis entrichten müssen und die Marktgegenseite allenfalls geringe Ausweichmöglichkeiten hat, da der europaweite Marktanteil der Kartellanten ca. 90 % betrug und in Deutschland sogar noch höher lag.

Angesichts dessen lässt sich schwerlich behaupten, dass selbst ein positives Ergebnis einer Regressionsanalyse nicht ausreichen könnte, um sich entsprechend dem Beweismaßstab des § 287 ZPO die Überzeugung zu verschaffen, dass eine kartellbedingte Preisüberhöhung vorhanden war (OLG Stuttgart, Urteil vom 06. April 2023 – 2 U 58/22).

(iv)

Das Absehen von einer Beweisaufnahme lässt sich auch nicht mit der in diesem Zusammenhang vom Landgericht zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 28. Januar 2020 (KZR 24/17 – Schienenkartell II) rechtfertigen.

Der Bundesgerichtshof hat in dieser Entscheidung zwar ausgeführt, dass der Tatrichter im Rahmen des § 287 ZPO von einer weiteren Beweisaufnahme absehen kann, wenn ihm bereits hinreichende Grundlagen für ein Wahrscheinlichkeitsurteil zur Verfügung stehen (a.a.O., Rn. 47). Dass dies ohne die Einholung des beantragten Sachverständigengutachtens der Fall wäre, ist jedoch nicht ersichtlich.

Soweit der Bundesgerichtshof an anderer Stelle in dieser Entscheidung ausführt, dass ein unmittelbarer Beweis für einen kartellbedingt überhöhten Kaufpreis nicht dadurch angetreten wird, dass für die Entstehung eines Schadens Sachverständigenbeweis angeboten wird (a.a.O., Rn. 37), beziehen sich diese Ausführungen lediglich darauf, dass die genannte Beweisfrage regelmäßig nicht unmittelbar, sondern nur aufgrund von Indizien getroffen werden kann (a.a.O., Rn. 34, 37). Nur die unmittelbare Beweisführung hat der Bundesgerichtshof damit als einem Sachverständigenbeweis nicht zugänglich angesehen. Nicht zum Ausdruck gebracht hat der Bundesgerichtshof damit, dass ein Beweisantritt mittels Sachverständigengutachten schon generell gar kein taugliches Beweismittel dafür wäre, vielmehr kommt ein solcher Indizienbeweis nach den Ausführungen des Bundesgerichtshofs grundsätzlich in Betracht. 

 

f)

Keinen Erfolg hat der von der Beklagten erhobene Einwand, die Klägerin habe die durch die kartellbedingte Preiserhöhung bedingte Erhöhung ihrer Kosten ganz oder zum Teil an ihre eigenen Abnehmer weitergegeben. Der erhobene Einwand ist allerdings grundsätzlich beachtlich (BGH, Urteil vom 19. Mai 2020 – KZR 8/18, juris Rn. 46 – Schienenkartell IV; BGH, Urteil vom 28. Juni 2011 – KZR 75/10, juris Rn. 58 – ORWI).

 

aa)

Für Vorteile, die den Schaden mindern, ist grundsätzlich der Schädiger, hier also die Beklagte, darlegungs- und beweispflichtig (BGH, Urteil vom 17. Oktober 2003 – V ZR 84/02, juris Rn. 17). Notwendig ist Vortrag zu den durch die konkrete Verwendung der erworbenen Lastkraftwagen relevanten Absatzmärkten (BGH, Urteil vom 13. April 2021 – KZR 19/20, juris Rn. 102 – LKW-Kartell II), hier Speditionsleistungen. Insbesondere ist Vortrag zur Preisbildung auf dem Speditionsmarkt und zur möglichen Einfluss der Neu- bzw. Leasingpreise für Lastkraftwagen auf die von Transportunternehmen erzielbaren Vergütungen erforderlich (vgl. BGH, Urteil vom 23. September 202020, KZR 35/19, Rn. 98 – LKW-Kartell I).

 

bb)

Die Beklagte hat unter Vorlage einer privatsachverständigen Stellungnahme (Anlage GL 41, Abschnitt 3) vorgetragen, dass bei Transportunternehmen von hohen Abwälzungsraten auszugehen sei und sie, die Beklagte, sowohl im In- als auch im Ausland von Personen in Anspruch genommen werde, die lediglich Transportleistungen bei den Erwerbern von LKW erworben haben. Dass es sich hierbei um Kunden der Klägerin handeln soll, behauptet die Beklagte nicht.

 

cc)

Mit diesem Vortrag der Beklagten ist die Vorteilsausgleichung aus Rechtsgründen ausgeschlossen. Dies ist in den Fällen anzunehmen, in denen die mittelbaren Abnehmer auf nachgelagerten Vertriebs- oder Wertschöpfungsstufen den ihnen aus dem Kartellverstoß entstandenen Schaden nur schwer erfassen können und voraussichtlich gegenüber den Kartellbeteiligten nicht geltend machen, so dass eine mehrfache Inanspruchnahme der Kartellbeteiligten nicht zu besorgen ist. In einer solchen Konstellation, die insbesondere bei Streuschäden erheblich wird, bei denen für den einzelnen mittelbar Geschädigten nur ein relativ geringfügiger Anspruch in Betracht kommt, muss unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls besonders sorgfältig erwogen werden, ob die Anwendung der Grundsätze der Vorteilsausgleichung zu einer unbilligen Entlastung der Kartellbeteiligten führt. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, ob, in welchem Umfang und aus welchen Gründen die Erhebung von Ansprüchen mittelbarer Abnehmer gegen die Kartellbeteiligten zu erwarten ist oder umgekehrt fernliegt. Darüber hinaus kann erheblich sein, ob den Primärgeschädigten aufgrund von Mengeneffekten Gewinne entgangen sind, deren Ersatz sie neben einem etwaigen Preishöhenschaden geltend machen können (BGH, Urteil vom 23. September 2020 – KZR 4/19, juris Rn. 51 – Schienenkartell V). Denn je geringer die Anreize für die mittelbar geschädigten Abnehmer sind, Ansprüche gegenüber den Kartellbeteiligten zu erheben, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Anrechnung von Vorteilen aus den nachgelagerten Geschäften auf den Schaden des Primärgeschädigten zu einer faktischen Haftungsfreistellung für die Kartellanten führt, und desto näher liegt somit aus Wertungsgründen ein Ausschluss der Vorteilsausgleichung (BGH, Urteil vom 13. April 2021 – KZR 19/20, juris Rn. 100 – LKW-Kartell II).

Nach der von der Beklagten vorgelegten typischen Kostenstruktur im Güterverkehr für das Jahr 2013 (Anlage GL 3, Seite 16) fließen die zeitabhängige Abschreibung sowie die Fremdfinanzierungskosten zu 5,76 % in die Gesamtkosten von Speditionsleistungen ein. Unter Zugrundelegung der Schätzung der Klägerin, wonach der Verkaufspreis der LKW regelmäßig um 10 % (in einigen Fällen bis zu 15 %) überhöht war, und in den Preis einer Speditionsleistung auch Steuern und Gewinnanteile einfließen, zeigt sich, dass es sich um geringfügige Beträge handelt und die mittelbaren Abnehmer der Klägerin wenig Anreiz haben, vermeintliche Schäden gegenüber der Beklagten einzufordern. Dies ist bislang nicht geschehen und damit ist nach dem zwischenzeitlichen Zeitablauf auch nicht mehr zu rechnen. Unter solchen Umständen ist von Streuschäden auszugehen und es stellte eine unbillige Entlastung des Kartellbeteiligten dar, eine etwaige Weiterwälzung schadensmindern zu berücksichtigen.

 

g)

Soweit die Beklagte geltend macht, die Klägerin habe eine Schadenskompensation bei der Verwertung der Fahrzeuge erhalten, fehlt es ebenfalls an konkretem Vortrag.

 

h)

Die Ansprüche sind auch nicht verjährt.

Gem. § 33h Absatz 1 und 2 GWB in der aktuell gültigen Fassung vom 01. Juni 2017 verjähren Schadensersatzansprüche wegen Wettbewerbsverstößen kenntnisabhängig in fünf Jahren und gemäß § 33h Absatz 3 GWB kenntnisunabhängig in zehn Jahren. Die Vorschrift gilt gem. § 187 Absatz 3 Satz 2 und 3 GWB in der aktuell gültigen Fassung vom 19. Juli 2022 (davor § 186 GWB) auch für die vor dem 27. Dezember 2016 entstandenen Unterlassungs-, Beseitigungs- und Schadensersatzansprüche wegen eines Kartellrechtsverstoßes, soweit diese am 09. Juni 2017 nach den bis dahin geltenden Verjährungsvorschriften noch nicht verjährt waren. Erfasst sind damit auch Ansprüche, die vor Inkrafttreten der 7. GWB-Novelle im Jahr 2005 entstanden sind (OLG Stuttgart, Urteil vom 06. April 2023 – 2 U 58/22). Diese Bestimmungen sind auf die kenntnisabhängige Verjährung anzuwenden, weil die streitgegenständlichen Schadensersatzansprüche am 09. Juni 2017 noch nicht verjährt waren.

Die kenntnisabhängige dreijährige Verjährungsfrist konnte frühestens mit dem Schluss des Jahres 2011 zu laufen beginnen, weil eine Kenntnis vor 2011 von der Beklagten nicht behauptet wird. Der Ablauf der Verjährungsfrist war aber bereits davor, nämlich seit Januar 2011, gem. § 33 Absatz 5 GWB 2005 aufgrund der Durchsuchungsmaßnahmen der Kommission bei den Beklagten gehemmt (BGH, Urteil vom 23. September 2020, KZR 35/19 – LKW-Kartell I, juris Rn. 85). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs begann die Verjährungsfrist erst ab dem 06. April 2017 mit der Veröffentlichung der Zusammenfassung des Kommissionsbeschlusses vom 19. Juli 2016 im Amtsblatt der Europäischen Union zu laufen (EuGH, Urteil vom 22.06.2022, C-267/20, Rn. 71). Nach der bis dahin anwendbaren regelmäßigen Verjährungsfrist (§ 195 BGB) waren die Ansprüche am Stichtag des 09. Juni 2017 – rund zwei Monate später – ersichtlich nicht verjährt, weshalb für die kenntnisabhängige Verjährung § 33h Absatz 1 GWB in der Neufassung zur Anwendung kommt und eine fünfjährige Verjährung gilt. Innerhalb dieser Frist wurde die Klage am 12. Februar 2019 zugestellt, wodurch seither der Lauf der Verjährung gehemmt wird (§ 204 Absatz 1 Nr. 1 BGB).

Auch die kenntnisunabhängige Verjährungsfrist von zehn Jahren, die sich weiterhin nach § 199 Absatz 3 Nr. 1 BGB i.V.m. Artikel 229 § 6 Absatz 4 Satz 1 EGBGB bestimmt (OLG Stuttgart, Urteil vom 06. April 2023 – 2 U 58/22), wurde durch die Durchsuchungsmaßnahmen und die nachfolgende Rechtsverfolgung rechtzeitig gehemmt (BGH, Urteil vom 23. September 2020 – KZR 35/19, juris Rn. 76 – LKW-Kartell I).

 

II.

Der Streit ist nicht zur Entscheidung reif. Das Verfahren ist an das Landgericht gemäß § 538 Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zurückzuverweisen, da das Absehen von einer Beweisaufnahme mit der vom Landgericht gegebenen Begründung einen Verfahrensfehler darstellt und aufgrund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist.

 

1.

Eine Zurückverweisung nach § 538 Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO kommt als Ausnahme von der in § 538 Absatz 1 ZPO statuierten Verpflichtung des Berufungsgerichts, die notwendigen Beweise zu erheben und in der Sache selbst zu entscheiden, allerdings nur in Betracht, wenn das erstinstanzliche Verfahren an einem so wesentlichen Mangel leidet, dass es keine Grundlage für eine instanzbeendende Entscheidung sein kann. Ob ein solcher Mangel vorliegt, ist vom materiell-rechtlichen Standpunkt des Vorderrichters aus zu beurteilen, auch wenn dieser verfehlt ist und das Berufungsgericht ihn nicht teilt.

Hiernach begründet es zwar keinen Fehler im Verfahren der Vorinstanz, wenn das Berufungsgericht Parteivorbringen materiell-rechtlich anders beurteilt als das Erstgericht, indem es geringere Anforderungen an die Schlüssigkeit und Substantiierungslast stellt und in Folge dessen eine Beweisaufnahme für erforderlich hält (BGH, Urteil vom 14. Juni 2012 – IX ZR 150/11, juris Rn. 14). Im vorliegenden Fall hat das Landgericht den Vortrag der Klägerin zum Schaden aber nicht nur als unsubstantiiert angesehen, sondern zudem auch einen Ausforschungsbeweis angenommen, dessen Unzulässigkeit sich daraus ergibt, dass für die behauptete Tatsache jegliche Anhaltspunkte fehlen (vgl. Zöller/Greger, a.a.O., Rn. 8c vor § 284 ZPO). Jedenfalls diese nicht näher begründete Ansicht des Landgerichts begründet einen Verfahrensfehler und beruht nicht lediglich auf einer anderen materiell-rechtlichen Würdigung des Parteivorbringens.

Die Nichtberücksichtigung eines grundsätzlich als erheblich angesehenen Beweisangebots mit der Begründung, es handele sich um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis, stellt jedenfalls dann einen wesentlichen Verfahrensfehler dar, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (vgl. (BGH, Teilurteil vom 15. Februar 2017 – VIII ZR 284/15, juris Rn. 16). Dies ist hier der Fall.

 

2.

Im Hinblick auf die Notwendigkeit, ein gerichtliches ökonometrisches Gutachten einzuholen, ist auch die weitere Voraussetzung des § 538 Absatz 2 Nr. 1 ZPO erfüllt, nämlich dass aufgrund des Mangels eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist.

 

3.

Auch in Anbetracht des Umstands, dass mit der Zurückverweisung gemäß § 538 Absatz 2 Nr. 1 ZPO an das Landgericht weitere Kosten für die Parteien verbunden sind, hält es der Senat für angemessen, dass die erforderliche Beweisaufnahme durch die erste Instanz durchgeführt wird. Dies steht im Einklang mit dem Antrag der Beklagten. Die Klägerin ist diesem Antrag nicht entgegengetreten und hat auch keine Gesichtspunkte vorgetragen, die es rechtfertigen würden, der Beklagten die erste Tatsacheninstanz zu nehmen. In einer solchen Fallkonstellation ist es ermessensgerecht, den Rechtsstreit an die erste Instanz zurückzuverweisen (BGH, Urteil vom 16. Oktober 2015 – V ZR 120/14, juris Rn. 14). Zudem unterliegt neuer Vortrag nur in der ersten Instanz nicht den Bindungen des § 531 Absatz 2 ZPO, was vorliegend beiden Parteien zugute kommen kann (OLG Stuttgart, Urteil vom 19. November 2020 – 2 U 575/19, juris Rn. 180).

Hinzu kommt, dass das Landgericht in anderen, das LKW-Kartell betreffenden Verfahren bereits einen Sachverständigen mit der Erstattung eines Gutachtens zu dem von der jeweiligen Klägerseite behaupteten Schaden beauftragt hat. Der dortige Sachverständige wird sich im Rahmen dieser Begutachtung mit den auch dort von Beklagtenseite vorgelegten ökonometrischen Gutachten auseinandersetzen müssen. Dabei betrifft ein sehr großer Teil der Begutachtung allgemeine Fragen, die sich in jedem der das LKW-Kartell betreffenden Verfahren in gleicher Weise stellen, wie beispielsweise die Frage, ob die den Regressionsanalysen zugrunde gelegten Daten fachgerecht erhoben und aufbereitet wurden. Angesichts dessen erscheint es insbesondere unter prozessökonomischen Erwägungen sinnvoll, dass das Landgericht die Beweisaufnahme durchführt, da es bei der Begutachtung dann ggf. auf die bereits in den anderen Verfahren gewonnenen Erkenntnisse und Ergebnisse zurückgreifen kann (OLG Stuttgart, Urteil vom 09. Dezember 2021 – 2 U 101/18, juris Rn. 242).

Eine Verzögerung des Verfahrens ist durch die Zurückverweisung nicht zu erwarten. Anlass dafür, die erforderliche Beweisaufnahme selbst durchzuführen und abschließend zu entscheiden besteht nicht. Da die Beweiserhebung noch gar nicht begonnen hat, ist kein Grund dafür ersichtlich, den Parteien durch das Hochziehen des Betragsverfahrens eine Instanz zu nehmen, zumal wenn – wie hier – im Betragsverfahren eine Vielzahl schwieriger, komplexer und in der ober- und höchstrichterlichen Rechtsprechung bislang nicht geklärter Fragen zu klären sind und daher ein gewichtiges Interesse der Parteien an der Wahrung des vollen Instanzenzugs besteht (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 06. April 2023 – 2 U 58/22).

 

C

Die Kostenentscheidung bleibt dem erstinstanzlichen Gericht vorbehalten (OLG Köln, Urteil vom 18. März 1987 - 2 U 99/86, NJW-RR 1987, 1152). Die Erklärung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO. Zwar hat die vorliegende Entscheidung keinen eigenständigen vollstreckungsfähigen Inhalt. Im Hinblick auf die aufgehobene Kostenentscheidung im erstinstanzlichen Urteil ist jedoch wegen der Wirkungen des § 775 Nr. 1 ZPO und § 776 ZPO der Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit geboten. Erst die Vorlage eines für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteils nötigt das Vollstreckungsorgan gem. §§ 775 Nr. 1, 776 ZPO, eine eingeleitete Vollstreckung aus dem aufgehobenen Urteil einzustellen und bereits getroffene Maßnahmen aufzuheben (Zöller/Heßler, aaO., § 538, Rn. 59). Die Anordnung einer Sicherheitsleistung bzw. Abwendungsbefugnis kommt dabei nicht in Betracht (Steinert/Theede/Knop, Zivilprozess, 9. Aufl. 2011, Kap. 11. Rn. 158).

Die Revision ist unbeschränkt zuzulassen, da noch wesentliche Fragen zum Kartellschadensersatzrecht ungeklärt sind wie beispielsweise die Frage, ob der mittelbare Abnehmer zur schlüssigen Darlegung eines Schadensersatzanspruchs den Vertragsinhalt auf der ersten Marktstufe darlegen muss.

 

 

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