OLG Frankfurt: Schadensersatzanspruch bei missbräuchlicher aktienrechtlicher Anfechtungsklage - der Fall Zapf
Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 13.01.2009
Aktenzeichen: 5 U 183/07
Rechtsgebiete: BGB
Vorschriften:
BGB § 242 | |
BGB § 826 |
Zu den Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs bei missbräuchlicher aktienrechtlichen Anfechtungsklage.
Gründe:
I.
Die Beklagte verlangt im Berufungsverfahren jetzt noch die Feststellung der Schadensersatzpflicht des Klägers aus einer unberechtigten aktienrechtlichen Anfechtungsklage.
Der Kläger war und ist Aktionär der Beklagten, die 2006 gegründet worden war. Das Grundkapital von 200.000 ? war eingeteilt in 200.000 nennwertlose Stückaktien, von denen die A AG (künftig nur: A) 180.000 Aktien hielt, der ehemalige Vorstand Z1 1.750, der Kläger 47, und die von ihm in der in der Hauptversammlung vom 29.5.2007 Vertretenen, B GmbH, Z2, Z3 und Z4, je eine oder zwei Aktien. Der aktuelle Kurs der im Freiverkehr der Frankfurter Börse gehandelten Aktie lag bei etwa 12,00 ?, obwohl die Beklagte 2006 keine Geschäftstätigkeit hatte und in 2007 erst unter Umfirmierung Immobiliengeschäfte anstrebte.
Auf der Hauptversammlung der Beklagten vom 29.5.2007 erschienen neben dem Aufsichtsrat, dem Alleinvorstand, dem Notar und einigen Beratern vier Aktionäre bzw. Aktionärsvertreter. Der Kläger widersprach in der vom Versammlungsleiter angeordneten Generaldebatte der vorgesehenen Kapitalerhöhung um 300.000 ?. Streitig ist, ob er bei dieser Gelegenheit für sich und die von ihm vertretenen Aktionäre von der A je 2.000 Aktien bzw. Aktienbezugsrechte unter Androhung von Anfechtungsklagen verlangte. Der Kläger stimmte mit den eigenen und den von ihm vertretenen Anteilen gegen die Beschlüsse, die mit den Stimmen der Mehrheitsaktionärin und des ehemaligen Vorstands angenommen wurden, u.a. auch zur Kapitalerhöhung um 300.000,00 ?. Zu den Einzelheiten des Ablaufs der Hauptversammlung wird auf die Urkunde des Notars N1 verwiesen (Anl. B 5 im Anlagenordner).
Am Tag der Einreichung der Anfechtungsklage, dem 25.6.2007, die inzwischen durch Teilentscheidung rechtskräftig abgewiesen ist, kam es zu einem Telefonat zwischen einem Beauftragten der Beklagten, einem Herrn Z4, und dem Kläger, dessen Inhalt ebenfalls umstritten ist.
Mit der Klage, auf die insoweit zu den Einzelheiten verwiesen wird, hat der Kläger die Nichtigerklärung der Entlastung des Aufsichtsrats und die Nichtigerklärung zur Kapitalerhöhung verlangt. Ob daraufhin am 5.7.2007 nochmals zwischen ihm und Z4 telefoniert wurde, ist streitig. Jedenfalls übermittelte die damalige Prozessbevollmächtigte des Klägers der Beklagten am 12.7.2007 einen mit dem Kläger abgestimmten Vergleichstext (Bezugnahme auf Anl. B 7 im Anlagenordner), indem vorgesehen war, dass die Beklagte unter Garantie der A jedem der Aktionäre, die ablehnend in der Hauptversammlung gestimmt hatten, je 3.500 Bezugrechte hinsichtlich der Aktien aus der Kapitalerhöhung einräume. Die Beklagte lehnte dieses Vergleichsangebot aber ab. In einem Freigabeverfahren hat die Klägerin schließlich die Feststellung erreicht, dass die Klage der Eintragung des Erhöhungsbeschlusses nicht entgegensteht und Mängel des Hauptversammlungsbeschlusses die Eintragungswirkungen unberührt lassen.
Der Kläger hat behauptet, es sei in der Hauptversammlung nur darüber gesprochen worden, die erschienen Aktionäre für ihre Teilnahme mit Bezugsrechten zu belohnen, die von anderen Aktionären nicht ausgenutzt worden seien (Beweis: Zeugnis Z1, eigene Parteivernehmung). Am 25.6.2007 habe er bei Z4 wegen des Protokolls und der Anschriften der Aufsichtsräte angerufen und sei gefragt worden, wieviel er für den Verzicht auf die Klage haben wolle. Er habe sich dahin erklärt, nicht in Anspruch genommene Bezugsrechte zu erhalten. Auch am 5.7.2007 habe es ein Telefonat mit Z4 gegeben, bei dem Z4 nach seiner, des Klägers, Vorstellungen gefragt habe. Im Anschluss daran sei über die Einräumung von Bezugrechten zu Gunsten der Aktionäre gesprochen worden, die ablehnend gestimmt hätten (Beweis jeweils: eigene Parteivernehmung).
Der Kläger hat beantragt,
die in der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten gefassten Beschlüsse zu TOP 4 über die Entlastung des Aufsichtsrats und zu TOP 5 über die Erhöhung des Grundkapitals gegen Bareinlagen und Satzungsänderung für nichtig zu erklären, hilfsweise festzustellen, dass die Beschlüsse nichtig sind.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen,
für den Fall der Klageabweisung widerklagend,
festzustellen, dass der Kläger der Beklagten für alle entstandenen und noch entstehenden Schäden, die auf der durch die streitgegenständige Anfechtungsklage verursachten verzögerten Durchführung der Kapitalerhöhung beruhen, schadensersatzpflichtig ist, sowie festzustellen, dass der vorstehende Schaden auf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung des Klägers beruht.
Die Beklagte hat behauptet, der Kläger sei ein sogenannter Berufsaktionär. Er habe in der Hauptversammlung erklärt, er werde Klage erheben, wenn nicht für ihn und jeden der von ihm vertretenen Aktionäre 2000 Aktien bereits gestellt würden (Beweis: 10 Zeugen wie Bl. 112 d.A.). Nach der Ablehnung habe er erklärt, dass es nun ausgeklagt werden müsse. Auch in dem Anruf vom 25.6.2007 habe er 15.000 Aktien gefordert.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben, weil die Klage missbräuchlich erhoben worden sei, wie schon aus dem Vergleichsvorschlag folge. Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens und der Entscheidungsgründe wird auf das Urteil verwiesen (Bl. 138- 149 d.A.).
Die Berufung des Klägers zur Klage ist vom Senat aus aktienrechtlichen Gründen durch Teilentscheidung gemäß § 522 Abs.2 ZPO zurückgewiesen worden. Auf das Anschreiben des Senats vom 20.3.2008 und die Entscheidung vom 16.5.2008 wird verwiesen (Bl. 328-333 und 346-348 d.A.).
Gegenüber der Widerklage macht der Kläger mit der Berufung geltend, der Verzicht der Großaktionärin auf Bezugsrechte sei nicht unzulässig erstrebt worden, jedenfalls habe er auf seine damalige Prozessbevollmächtigte vertraut. Auf den Vergleichsvorschlag könne sich die Beklagte nicht berufen, weil dieser von Z4 initiiert worden sei. Zu seiner Darstellung des Ablaufs der Hauptversammlung und zum Inhalt der Telefonate beruft sich der Kläger jetzt neben seiner eigenen Vernehmung auch auf Zeugenbeweis (Zeugnis Z6 zur Hauptversammlung, Zeugnis Z4 zu den Telefonaten).
Nach der Teilentscheidung beantragt der Kläger noch,
das angefochtene Urteil im Übrigen abzuändern und die Widerklage abzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das Urteil und hält die neuen Verteidigungsmittel für ausgeschlossen.
II.
Die Berufung des Klägers ist im Übrigen unbegründet, weil das angefochtene Urteil dazu weder auf einem Rechtsfehler beruht, noch nach § 529 ZPO beachtliche andere Tatsachen eine abweichende Entscheidung rechtfertigen.
Die Berufung ist auch zur Widerklage zulässig, insbesondere gemäß § 520 Abs.3 Ziff.2 ZPO begründet worden. Durch den Einwand, allein aus dem Vergleichsentwurf sei nicht ausreichend auf eine Missbräuchlichkeit der Anfechtungsklage zu schließen, hat sich der Kläger mit einem Begründungselement der Entscheidung des Landgerichts auseinandergesetzt, das die Widerklage zu beiden Antragsteilen tragen soll.
Die Widerklage, zu der die innerprozessuale Bedingung eingetreten ist, ist zulässig. Die Beklagte ist nach Beendigung des zur Klage geführten Rechtsstreits durch ihren Vorstand ausreichend vertreten. § 246 Abs.2 Satz 2 AktG, also die Regelung über die Gesamtvertretung von Vorstand und Aufsichtsrat bei der Anfechtungs- bzw. Nichtigkeitsklage, findet zur Schadensersatzklage der Gesellschaft gegenüber einem Aktionär keine Anwendung. Insoweit bleibt es bei § 78 Abs.1 AktG, der Alleinvertretung durch den Vorstand. Der Widerklageantrag bestimmt in seinem erstem ersten Teil das festzustellende Rechtsverhältnis ausreichend, § 253 Abs.2 Ziff.2 ZPO. Die Dauer der sich aus der Klage ergebende Verzögerung betrifft nur den Umfang des Schadens.
Die Voraussetzungen des § 256 Abs.1 ZPO sind gegeben.
Das Feststellungsinteresse der Beklagten besteht angesichts des bei Klageeinreichung noch nicht abgeschlossenen Schadensverlaufs zur Hemmung der Verjährung. Der Eintritt irgendeines Schadens ist nicht nur wahrscheinlich, sondern jedenfalls in den der Klägerin bereits entstandenen Kosten des Freigabeverfahrens gewiss. Das Interesse besteht auch, soweit festgestellt werden soll, dass der Schaden auf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung beruht. Es handelt sich bei der Feststellung der vorsätzlich unerlaubten Handlung als Rechtgrund der Haftung um ein Rechtsverhältnis und nicht nur um eine Vorfrage, wie wiederholt entschieden worden ist (BGH vom 30.11.1989, III ZR 215/88 - BGHZ 109, 275; BGH vom 26.9.2002, IX ZB 180/02 - BGHZ 152, 148; Zöller/Vollkommer, ZPO, 27.Aufl. 2009, § 322 Rz.9). Das rechtliche Interesse an dieser zusätzlichen Feststellung folgt aus der Zweckdienlichkeit der Feststellung für vollstreckungsrechtliche (§ 850 f Abs.2 ZPO), insolvenzrechtliche (§ 175 Abs.2 InsO) oder materiellrechtliche Folgen (etwa § 393 BGB), also aus Vorschriften, die Schadensersatzforderungen aus vorsätzlich unerlaubten Handlungen bei der Durchsetzung privilegieren. Unschädlich ist in diesem Zusammenhang, dass die Beklagte in der Hauptsache nur Feststellung verlangt, wegen der Leistung also ohnehin noch geklagt werden muss. Die schon jetzt erfolgende Klärung der besonderen Anspruchsqualitität als Vorsatztat führt jedenfalls nicht zu einer Verdoppelung der Befassung, also zu prozessunökonomischem Vorgehen.
Die Widerklage ist begründet, weil der Kläger der Beklagten aus vorsätzlich unerlaubter Handlung, nämlich aus § 826 BGB, schadenersatzpflichtig ist. Nach § 826 BGB hat derjenige, der einem anderen vorsätzlich sittenwidrig einen Schaden zufügt, diesem den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.
Der Beklagten ist ein haftungsbegründender Schaden entstanden. Schaden in diesem Sinn ist jede nachteilige Einwirkung auf die Vermögenslage oder Beeinträchtigung eines rechtlich anerkannten Interesses (Palandt/Sprau, BGB, 68. Aufl. 2009, § 826 Rz. 3; MüKo/Wagner, BGB, 4. Aufl. 2004, § 826 Rz.6). Dazu gehört auch die Vereitelung einer Erwerbsaussicht. Die Verzögerung der Eintragung der Erhöhung des Grundkapitals der Beklagten ist in diesem Sinn ein Schaden, denn dadurch wurde nachteilig auf die Vermögenslage des Unternehmens eingewirkt. Ein vorgesehener Kapitalzufluss verzögerte sich. In welchem Umfang sich tatsächlich Zeichner für die Kapitalerhöhung gefunden hätten, kann offen bleiben. Denn es genügt, dass jedenfalls einzelne Zeichner bereitstanden, wofür aber die Durchführung des Freigabeverfahrens überzeugungskräftig spricht.
Dieser Schaden beruhte auf einer Handlung des Klägers, nämlich auf der Erteilung des Klageauftrags an die erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte, Rechtsanwältin RA1. Dieser Klageauftrag wurde nach den Umständen am 25.6.2007 erteilt, denn nach dem Vortrag des Klägers ermittelte er noch an diesem Tag telefonisch die Anschrift des Aufsichtsrats und am gleichen Tag ging die Klageschrift um 21.06 Uhr bei dem Landgericht per FAX ein.
Es liegt Ursächlichkeit vor, denn infolge der Erhebung der Anfechtungsklage wurden die Anmeldung der Kapitalerhöhung und damit ihre Durchführung verzögert. Bei der Anmeldung der Kapitalerhöhung ist zwar keine Negativerklärung erforderlich, wie bei Verschmelzung, Eingliederung oder Squeeze-Out (§ 16 Abs.2 UmWG, § 327e Abs.2 AktG, etc.). Aus der späteren Einleitung des Freigabeverfahrens ergibt sich aber ausreichend, dass die Beklagte eine Anmeldung angesichts der angekündigten und dann eingereichten Klage unterließ. Durch diese Entscheidung des Vorstands der Beklagten wurde der Ursachenzusammenhang zwischen dem Klageauftrag und der Verzögerung der Kapitalerhöhung nicht gestört. Denn das Zuwarten der Anmeldung wurde durch die Anfechtungsklage des Klägers herausgefordert (vgl. Palandt/Heinrichs, wie oben, vor § 249 Rz.77). Infolge der Anfechtungsklage war zu erwarten, dass das Registergericht von der Möglichkeit der Aussetzung der Eintragung nach § 127 FGG Gebrauch machen würde, wie dies regelmäßig bei Anfechtungen der Fall ist und zu einer sogenannten faktischen Registersperre führt (vgl. Hüffer, AktG, 8. Aufl. 2008, § 243 Rz.53).
Das Verhalten des Klägers war sittenwidrig. Sittenwidrig ist in diesem Sinn ein Verhalten, das entweder nach seinem Inhalt, das kommt hier nicht zum Tragen, oder nach seinem Gesamtcharakter mit grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist (vgl. Palandt/Sprau, wie oben, § 826 Rz. 4). Das war der Fall, weil die Klage von dem Kläger missbräuchlich erhoben wurde. Missbräuchlichkeit einer aktienrechtlichen Anfechtungs- bzw. Nichtigkeitsklage ist höchstrichterlich angenommen worden, wenn der Kläger die Klage mit dem Ziel führt, die verklagte Gesellschaft in grob eigennütziger Weise zu einer Leistung zu veranlassen, auf die er keinen Anspruch hat und billigerweise auch nicht erheben kann (BGH vom 22.5.1989, II ZR 206/88 - BGHZ 109, 296, 311; BGH vom 14.10.1991, II ZR 249/90 - ZIP 1991, 1577; Senat vom 6.11.1990, 5 U 191/84 - AG 1991, 206; Hüffer, wie oben, § 245 Rz.22 bis 26). Daran hat sich durch die inzwischen geschaffene gesetzliche Möglichkeit, eine Freigabe in einem Eilverfahren zu erreichen, nichts geändert. Eine missbräuchliche Klage ist nicht deshalb erlaubt, weil der Geschädigte die Möglichkeit erlangt hat, sich einer missbräuchlichen Klage - mit zeitlicher Verzögerung - teilweise zu erwehren.
Die Voraussetzungen für die Annahme missbräuchlichen Verhaltens gelten auch, obwohl das Verlangen des Klägers wirtschaftlich nicht gegen die Gesellschaft, sondern gegen einen Mitaktionär gerichtet war, hier gegen die Hauptaktionärin A, die Bezugsrechte nicht ausüben sollte. Der individuelle Rechtsmissbrauch hat nämlich seine Grundlage in einem Verstoß gegen § 242 BGB (vgl. Palandt/Heinrichs, wie oben, § 242 Rz.30, insbs. Rz.49) und Treuebindungen bestehen auch zwischen den Aktionären (Hüffer, wie oben, § 53a Rz.20). Aus der Sonderrechtsbeziehung der Aktionäre untereinander ergibt sich wegen § 705 BGB (vgl. Marsch/Barner ZHR 157 (193) 172, 173 mit weiteren Nachweisen in Fußnote 2) die Pflicht, auf die gesellschaftsbezogenen Interessen der Mitaktionäre Rücksicht zu nehmen (BGH vom 1.2.1988, II ZR 87 - BGHZ 103, 184, 194 ff.). Dass die Gesellschafterpflichten eines Kleinaktionärs in der Regel nicht von gesellschafterlichen Treuepflichten bestimmt werden (BGH, wie vor, S. 195), befreit den Kleinaktionär nicht von besonderen Rücksichten bei der Erhebung einer aktienrechtlichen Anfechtungs- bzw. Nichtigkeitsklage. Der Kleinaktionär ist zur Treue gegenüber einem Großaktionär regelmäßig nicht angehalten, weil er ohnehin keinen ausreichenden Einfluss nehmen kann. Anders verhält es sich jedoch im Bereich der Hauptversammlungsklagen, denn hierfür spielt der Umfang des Aktienbesitzes keine Rolle. Der Kleinaktionär hat die Möglichkeit, gesellschaftsbezogenen Interessen der anderen Aktionäre, auch der Großaktionäre, zuwider zu handeln und diese trotz seines geringen Anteilsbesitzes wirtschaftlich zu beschädigen.
Es gibt keinen sachlichen Grund, höhere Anforderungen an die Annahme eines Klagemissbrauchs zu stellen, sofern die Leistung nicht von der Gesellschaft, sondern von einem Mitaktionär gefordert wird. Ob - nur - eine erlaubte wirtschaftliche Ausnutzung einer formalen Rechtsstellung vorliegt, richtet sich nämlich in erster Linie nach der Rechtsstellung selbst, hier also der Rechtsbeziehung des Klägers zur Beklagten, nicht aber danach, wer unmittelbar oder nur mittelbar betroffen wird und deshalb zu einer wirtschaftlich selbstschädigenden Maßnahme genötigt sein könnte.
Der Kläger wollte die Hauptaktionärin A in grob eigennütziger Weise zu einer Leistung veranlassen wollte, auf die er keinen Anspruch hatte und billigerweise auch nicht erheben konnte.
Das ergibt sich für die Zeit ab dem 12.7.2007 aus dem Vergleichsangebot der Klägers, wie das Landgericht zutreffend erkannt hat. Der Kläger erstrebte mit dem durch seine damalige Prozessbevollmächtigte vorgeschlagen Vergleich den Verzicht der A auf die Ausnutzung von Bezugsrechten zu den neuen Aktien. Nach § 186 Abs.1 Satz 1 war die Zuteilung der insgesamt jeweils 3.500 Bezugsrechte für die sechs Aktionäre, die zu TOP 5 mit Nein gestimmt hatten, also von 21.000 Aktienbezugsrechten, nur möglich, wenn die A oder die Aktionäre im Streubesitz die ihnen zustehenden Bezugsrechte nicht ausüben würden. Einen Anspruch hierauf hatten die zu begünstigenden Aktionäre um den Kläger nicht, auch nicht als Prämie für ein Erscheinen in der Hauptversammlung.
Sie konnten auch nicht billigerweise beanspruchen, dass die A Bezugsrechte zu ihren Gunsten nicht ausüben würde. Dass ein Verkauf der übernommenen neuen Aktien durch die A dazu führen konnte, dass der Börsenkurs von ca. 12,00 ? ohne Gegenmaßnahmen nachgeben würde, rechtfertigte jedenfalls nicht die Zuteilung von Bezugsrechten in dem konkreten, die eigenen Aktien um ein Vielfaches übersteigenden Umfang.
Der Kläger handelte, bezogen auf die Zeit nach dem 12.7.2007, vorsätzlich. Er wusste und wollte die Klageerhebung und wusste auch von ihrer aufschiebenden Wirkung hinsichtlich der Eintragung. Da er mit seiner Klage die Umsetzung der für rechtswidrig gehaltenen Beschlüsse verhindern wollte, wollte er auch die Verzögerung der Eintragung. Hinsichtlich der Sittenwidrigkeit genügt es, wenn sich der Vorsatz auf die tatsächlichen Umstände bezieht, die dem Sittenwidrigkeitsurteil zugrunde liegen (BGH vom 26.3.1962, II ZR 151/60 - NJW 1962, 1099; BGH vom 13.9.2004, II ZR 276/02 - NJW 2004, 3706). Das ist mit dem von ihm autorisierten Vergleichsvorschlag und der Kenntnis der darin angestrebten Vorteile gegeben. Ein Bewusstsein der Sittenwidrigkeit ist nicht erforderlich, sodass es den Kläger nicht entlastet, wenn er insoweit dem Rat seiner Anwältin gefolgt wäre, wie er behauptet (BGH vom 15.5.1979, VI ZR 230/76 - BGHZ 74, 281; Palandt/Sprau, wie oben, § 826 Rz.11).
Der eingetretene Schaden aus der Verzögerung der Eintragung liegt im Schutzbereich der Verhaltensnorm, nämlich einer Treuepflicht gegenüber der Gesellschaft und den Gesellschafterinteressen. Diese sollen gerade nicht zum Eigennutz eines einzelnen Aktionärs beeinträchtigt werden.
Der Schadensersatzpflicht kann der Kläger mit dem Einwand unzulässiger Rechtsausübung (venire contra factum proprium, § 242 BGB) nicht entgegentreten. Ob solches grundsätzlich anzunehmen ist, wenn eine vorgetäuschte Initiative zum Abkauf der Klage von der Gesellschaft ausgeht und sie einen zunächst gutwilligen Kläger schließlich zum Vergleich geneigt macht (Senat vom 6.11.1990, 5 U 191/84 - AG 1991, 206), muss aus tatsächlichen Gründen nicht neu entschieden werden. Dazu hat der Kläger zwar behauptet, dass die Initiative am 25.6.2007 und am 5.7.2007 jeweils ihm gegenüber als Gutwilligem von einem Beauftragten der Beklagten, einem Herrn Z4, ausgegangen sei. Er hat dies aber nicht zulässig unter Beweis gestellt. Der erstinstanzliche Beweisantritt auf Parteivernehmung des Klägers ist unzulässig, weil die Beklagte ihm nicht zugestimmt hat und eine Anfangswahrscheinlichkeit iSd. § 448 ZPO nicht gegeben ist. Es mag zwar wahrscheinlich sein, dass Z4 mit dem bekannten Aktionärskläger über die Möglichkeit einer Abfindung für die Klage sprach. Dafür dass Z4 die Initiative ergriffen hatte, sind Hilfstatsachen nicht vorgetragen, die jedenfalls ein Wahrscheinlichkeitsurteil erlauben würden. Unabhängig von einer Wahrscheinlichkeit anfänglich guten Willens bei dem Kläger liegt es nämlich mindestens genauso nahe, dass der Kläger das Gespräch auf eine Abgeltung brachte. Der im Berufungsverfahren neue Beweisantritt des Klägers auf Vernehmung des Zeugen Z4 zum Inhalt der Telefonate ist nach § 531 Abs.2 ZPO nicht zuzulassen. Zulassungstatsachen sind nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich. Dass das Landgericht den Inhalt der Telefonate für unerheblich angesehen hat (LGU S.9, Bl. 146 d.A.), trägt eine Zulassung des Beweisangebots nach § 531 Abs.2 Ziff.2 ZPO nicht, denn ein Hinweis auf den fehlenden Beweisantritt wäre nicht geboten gewesen, sodass diese Rechtsansicht des Landgerichts nicht für das Unterlassen des Beweisangebots ursächlich wurde (vgl. Zöller/Heßler, wie oben, § 531 Rz.28 mwN.). Der Inhalt der Telefonate war, auch ohne rechtliche Einordnung, wesentliches Thema zwischen den Parteien. Nachdem die Beklagte eine schriftliche Erklärung des Z4 ("eidestattliche Versicherung", vgl. vor Anl. B 1 im Anlagenordner) zu den Akten gereicht hatte, die der Darstellung des Klägers widersprach, durfte das Landgericht davon ausgehen, dass der Kläger sich bewusst nicht auf dessen Zeugnis beziehen wollte.
Der Feststellungsantrag ist auch begründet, soweit er die Verzögerung zwischen Klageeinreichung und Vergleichsvorschlag betrifft, also die durch die Anfechtungsklage vom 25.6.2007 bis zum 12.7.2007 eingetretene Verzögerung. Nur für die Zulässigkeit einer missbräuchlichen Klage kommt es - ausreichend - auf den Schluss der mündlichen Verhandlung an (BGH vom 14.10.1991, II ZR 249/90 - NJW 1992, 569).
Die verwerfliche innere Gesinnung, also das grob eigennützige Klagemotiv, das sich am 12.7.2007 offenbart hat, lag bereits bei Klageeinreichung am 25.6.2007 vor. Hiervon ist der Senat überzeugt, ohne dass die Erklärungen des Klägers in der Hauptversammlung oder der Inhalt der Telefonate aufgeklärt werden müssten.
Einen Anscheinsbeweis kann man dabei freilich nicht einsetzen. Es gibt keinen Satz der Lebenserfahrung und keinen typischen Verlauf dahin, dass jeder Aktionärsvergleich von einem schon anfänglich böswilligen Aktionär abgeschlossen wird. Der Senat kann auch nicht aus der Häufung von Vergleichen bei einzelnen immer wieder auftretenden Aktionärsklägern einen solchen Erfahrungssatz annehmen.
Die innere Einstellung folgt aus vier individuellen Beweiszeichen, von denen zwar jedes für sich nicht allein tragfähig sein mag, die aber in ihrer Gesamtschau ein überzeugendes Bild ergeben, nämlich aus der Bereitwilligkeit zum Vergleich, aus den geltend gemachten Klagegründen, aus seinem geringem Aktienbesitz und aus den zahlreichen früheren durch Vergleich beendeten aktienrechtlichen Anfechtungsverfahren des Klägers, ohne dass persönliche Beweggründe und die Lebensstellung des Klägers dem entgegenstünden. Im Einzelnen:
Auf der Grundlage des eigenen Vortrags ging der Kläger allzu bereitwillig auf den Vorschlag Z4 vom 5.7.2007 ein, die Klage durch einen Vergleich mit einer Leistung an den Kläger zu beenden, sodass der Eindruck nahe liegt, der Kläger habe - im Bewusstsein um die Problematik der Initiative - nur darauf gewartet, dass Z4 ihm ein Angebot unterbreite. Nach dem vom Kläger behaupteten Inhalt des Telefonats wurde die Grundsatzfrage, ob er nämlich den Rechtsstreit führen oder durch Vergleich beenden wollte, von ihm nicht mehr angesprochen und schon gar nicht in eine Überlegung einbezogen. Entscheidend waren vielmehr der Umfang und die Ausgestaltung der Gegenleistung, also das "Wieviel". Auch soweit der Kläger - auf der Grundlage eigenen Vortrags - am 25.6.2007 bereits mit Z4 telefoniert hatte, hatte er nur eine Gegenleistung in Geld von sich gewiesen.
Die Anfechtungsgründe, die der Kläger mit der Klage geltend gemacht hat, sind zwar nicht unvertretbar, sind aber im Wesentlichen formaler Natur und jedenfalls für die Wahrung seiner Interessen ohne Belang geblieben. Mögliche Verletzungen sind auch für die Gesamtheit der Aktionäre von geringer Relevanz. Der gerügte Versammlungsort berührt die Teilnahmerechte nur am Rande, weil der gewählte Ort mit öffentlichen Verkehrsmitteln leichter zu erreichen war und die Beklagte mangels Betriebsstätte oder Hauptverwaltungssitzes in Freigericht dort keine nennenswerten Anbindungen hat. Die geltend gemachte Unrichtigkeit der Auslegung der Abschlussunterlagen gemäß § 175 Abs.2 AktG hat ebenfalls keine große Bedeutung, nachdem die Beklagte bislang keine geschäftliche Tätigkeit entwickelt hatte und in der Einladung auf den Ort der Auslegung hingewiesen wurde. Ähnliches gilt auch für die vermisste Regelung zu Bezugsrechtsspitzen.
Der Kläger sowie die von ihm vertreten Aktionäre verfügten nur in ganz geringem Umfang über Aktien der Beklagten, nämlich der Kläger über 47 Stück und die von ihm vertretenen vier Aktionäre über zusammen fünf Aktien, jeweils mit einem Kurswert von ca. 12,00 ?. Das deutet jedenfalls darauf hin, dass der Kläger mit der Teilnahme an der Hauptversammlung nicht nur wirtschaftliche Aktionärsinteressen verband, schließt freilich aber nicht aus, dass es ihm um sonstige legitime Belange ging, wie etwa Zeitvertreib, Aktionärsverpflegung oder auch nur Selbstdarstellung.
Der Kläger führte in der Vergangenheit schon eine Vielzahl aktienrechtlicher Verfahren, allein beim Senat in den letzten Jahren sind - gerichtbekannt und mündlich erörtert - sieben Verfahren geführt worden, in denen er als Kläger oder Streithelfer beteiligt war. In der Baums-Studie (Baums/Keinath/Gajek, Fortschritte bei Klagen gegen Hauptversammlungsbeschlüsse, 2007, S. 16) ist der Kläger als Mehrfachkläger für den Zeitraum 1.11.2005 bis Mitte 2007 mit 15 Klagen und drei Nebeninterventionen erfasst. Von den 15 Klagen erfassten 13 Klagen eintragungsbedürftige Beschlussfassungen und in 11 Fällen hiervon kam es zu einem Vergleich (Baums, wie vor, S.38). Die B GmbH, an der der Kläger zu 45% beteiligt ist, hatte im gleichen Zeitraum 17 Klagen und 6 Nebeninterventionen (Baums, S. 18), von denen in 16 Fällen eine sogenannte Hebelwirkung bestand und 15 durch Vergleich beendet wurden. Diese in der Berufungsverhandlung offengelegten Zahlen deuten dahin, dass der Kläger planmäßig Einkünfte aus aktienrechtlichen Anfechtungsverfahren bezieht, selbst wenn, was zu unterstellen ist, seine Klagen in allen diesen Rechtstreitigkeiten begründet gewesen wären.
Dass der Kläger nach seiner unwiderlegten Darstellung mit den zahlreichen früheren Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen, politisch motiviert, zur Verbesserung der Rechte der Kleinaktionäre gegenüber wirtschaftlich mächtigeren Aktiengesellschaften beitragen will, kann als mitschwingendes Motiv unterstellt werden. Das schließt es nicht ausreichend aus, dass der Kläger zugleich in der Absicht der Bereicherung handelte. Es bestehen angesichts der hohen Zahl von Verfahren mit Hebelwirkung erhebliche Zweifel, dass aus dem Allgemeinwohl oder dem Aktionärswohl motivierte Beweggründe im Vordergrund stehen.
Dies gilt auch in Anbetracht der Tatsache, dass es sich bei dem Kläger um einen wohlhabenden Unternehmer - "Z4" - handelt. Einen Grundsatz, wonach einer wohlhabenden Person unredliches Verhalten nicht oder nicht so leicht zuzutrauen ist wie einer bedürftigen, gibt es nicht.
In der Gesamtabwägung lässt der Senat sich leiten von dem raschen Zugriff des Klägers auf den ihm angebotenen Vergleich, der auf der Grundlage der vielfachen Prozesstätigkeit des Klägers einem plangemäßem Vorgehen entspricht, während die in der mündlichen Verhandlung betonten edlen Motive vorgeschoben sind oder nur beiläufig erscheinen. Dass durch solcherlei Aktionärsverhalten beträchtlicher Schaden nicht nur bei den Unternehmen, sondern auch für den Wirtschaftsstandort entsteht, hat das Beweismaß nicht beeinflusst.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs.1 ZPO, die Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgen aus §§ 708 Nr.10 und 711 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs.2 ZPO nicht gegeben sind. Die Voraussetzungen einer missbräuchlichen Anfechtungsklage sind höchstrichterlich geklärt. Im Übrigen geht es um eine einzelfallbezogene Beweiswürdigung.
Sachgebiete: | Zivilrecht/Bank- und Börsenrecht; Zivilrecht/Deliktsrecht und Amtshaftung |
Stichworte: | Aktionär; Berufsaktionär; Anfechtungsklage; Nichtigkeitsklage; Hauptversammlung; Schadenersatz; Schadensersatz; Klagemissbrauch |
Verfahrensgang: | LG Frankfurt am Main, 3-5 O 177/07 |