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Wirtschaftsrecht
19.08.2009
Wirtschaftsrecht
LG Hamburg: Schadensersatz für Käufer von Lehmann-Zertifikaten wegen fehlerhafter Anlageberatung

LG Hamburg, Urteil vom 23.6.2009 - 310 O 4/09

Leitsatz (der Redaktion)

Eine Bank haftet ihrem Kunden wegen schuldhafter Verletzung der anlagegerechten Beratungspflicht, wenn sie ihn nicht über die fehlende Einlagensicherung, die Höhe der Gewinnmarge und ihr eigenes Interesse am Verkauf der der Anleihen (hier: Lehman-Zertifikate)  informiert. Die Pflicht zur Aufklärung über den zu erwartenden Gewinn folgt aus einer entsprechenden Anwendung der sog. „Kick Back"-Rechtsprechung des BGH.

BGB § 280

Sachverhalt

Der Kläger begehrt von der beklagten S. Schadensersatz wegen der Verletzung von Aufklärungspflichten im Rahmen einer Anlageberatung über den Erwerb von Zertifikaten der US-amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers. Nachdem sowohl die Lehman Brothers H. Inc. und in der Folge auch die Emittentin, die Lehman Brothers T. Co. B.V., Insolvenz angemeldet haben, begehrt der Kläger von der Beklagten Ersatz des ihm entstandenen Schadens Zug um Zug gegen Rückübertragung des Zertifikats. Er macht geltend, die Beklagte habe gegen ihre Pflicht zur anleger- und objektgerechten Beratung verstoßen. Des Weiteren ist er der Ansicht, dass die Rechtsprechung des BGH zur Aufklärungspflicht der Bank über verdeckte Innenprovisionen (sog. „Kick Backs") auf den vorliegenden Fall entsprechend anwendbar sei. Die Klage hatte überwiegend Erfolg.

Aus den Gründen

            Schadensersatzanspruch des Klägers wegen Verletzung der Aufklärungspflicht aus einem Beratungsvertrag

I. ... 1. Der Kläger hat vorliegend bereits auf Grund der unstreitigen Umstände einen Schadensersatzanspruch in tenorierter Höhe gegen die Beklagte gemäß § 280 Abs. 1 BGB wegen der Verletzung von Aufklärungspflichten aus einem Beratungsvertrag. Die Beklagte verstieß gegen ihre Verpflichtung, zur Vermeidung von Interessenkonflikten den Kläger im Rahmen ihrer Beratung von sich aus darauf hinzuweisen, dass sie wegen des Vertriebs des streitgegenständlichen Zertifikats im Wege von Festpreisgeschäften eine Gewinnmarge erzielt und insoweit auch ein Absatzrisiko trägt. Damit entstand ein Interessenkonflikt zwischen der Beratung, die nach der schützenswerten Erwartung des Klägers ausschließlich und vollständig seinen Interessen zu dienen hatte, und den eigenen wirtschaftlichen Interessen der Beklagten. Eine Aufklärung des Klägers hierüber ist nicht erfolgt. Des Weiteren hat die Beklagte den Kläger pflichtwidrig nicht darauf hingewiesen, dass das streitgegenständliche Zertifikat als ausländisches Zertifikat nicht durch die Institutsgarantie der deutschen Sparkassen-Finanzgruppe gesichert ist. Diese Unterlassung war schuldhaft und es gilt die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens, wonach davon auszugehen ist, dass der Kläger in Kenntnis dieser Umstände von dem Erwerb des streitgegenständlichen Zertifikats Abstand genommen hätte.

            Konkludent geschlossener Beratungsvertrag

a) Zwischen den Parteien ist ein Beratungsvertrag zustande gekommen. Ein solcher Vertrag kann formlos, auch durch stillschweigende Willenserklärungen geschlossen werden (BGHZ 123, 126, 128 - „Bond I"; vgl. auch Vortmann, Aufklärungs- und Beratungspflichten der Banken, 8. Aufl. 2006, Rn. 20). Vom Abschluss eines stillschweigend abgeschlossenen Beratungsvertrags ist auszugehen, wenn der Rat für den Empfänger erkennbar von erheblicher Bedeutung ist, er ihn zur Grundlage wesentlicher Entschlüsse machen will und der Auskunftsgeber über eine spezielle Sachkunde verfügt oder er ein eigenes wirtschaftliches Interesse verfolgt (Vortmann, a.a.O., Rn. 18; Siol, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 3. Aufl. 2007, § 43 Rn. 6 m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen hier vor ...

            Aufklärungspflichtverletzung der Beklagten

b) Die Beklagte hat ihre Pflicht zur ordnungsgemäßen Aufklärung des Kunden aus dem konkludent geschlossenen Beratungsvertrag verletzt.

Aufgrund des Beratungsvertrags war die Beklagte zu einer anleger- und objektgerechten Beratung verpflichtet. Die Grundsätze der anleger- und objektgerechten Beratung gebieten, dass die Beratung speziell auf die Bedürfnisse, die Interessen, die Vermögensverhältnisse und das Anlageziel des Kunden zugeschnitten sein muss und sich insbesondere auf die Eigenschaften und Risiken der verschiedenen in Betracht kommenden Anlagen zu erstrecken hat (grundlegend: BGHZ 123, 126 - „Bond I"; vgl. auch MünchKomm.BGB-Emmerich, 5. Aufl. 2007, § 311 Rn. 155; Bamberger, in: Derleder/Knops/Bamberger, a.a.O., § 50 Rn. 21).

            Zwar hat die Beklagte ihre Pflicht zur anlegergerechten Beratung nicht verletzt 

aa) Allerdings hat die Beklagte ihre Pflicht zur anlegergerechten Beratung nicht verletzt.

Die anlegergerechte Beratung bezieht sich auf die Person und insbesondere die wirtschaftlichen Verhältnisse dessen, der die Beratung in Anspruch nimmt. Entscheidend für die Pflichten der Bank sind insoweit die Wünsche und Vorstellungen des Kunden und Beratungsempfängers, ferner sein Informationsstand und Erfahrungshorizont sowie seine objektiven wirtschaftlichen Interessen und seine finanzielle Situation. Wichtig hierfür ist die Einordnung des Kunden als in solchen Geschäften entweder unerfahrenen, „unprofessionellen" Privatkunden oder als ausreichend erfahrenen, versierten und informierten professionellen Kunden (Bamberger, in: Derleder/Knops/Bamberger, a.a.O., § 50 Rn. 21 m.w.N.). Eine anlegergerechte Beratung setzt demnach voraus, dass die Bank den Wissensstand des Kunden über Anlagegeschäfte der vorgesehenen Art, seine Risikobereitschaft und sein Anlageziel berücksichtigt. Nicht erforderlich ist es, dass der Anlageberater den Kunden ausdrücklich zu diesen Umständen befragt, wenn ihm die für eine anlegergerechte Beratung relevanten Umstände bereits bekannt sind.

Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beklagte mit ihrer Empfehlung des Erwerbs der ProtectExpress-Anleihe dem Kläger zu etwas geraten hätte, das nicht zu seinem Anlegerprofil passt ... [wird ausgeführt].

            Jedoch ist der Beklagten ein Verstoß gegen die Grundsätze der objektgerechten Beratung vorzuwerfen

bb) Die Beklagte hat jedoch ihre Pflicht zur objektgerechten Beratung verletzt.

Die objektgerechte Beratung bezieht sich auf die konkret gewünschte oder als möglich ins Auge gefasste Anlageform. Hier richten sich die Pflichten der Bank in erster Linie danach, welche Anlageobjekte gewollt und mit welchen Vermögensrisiken sie verbunden sind (Bamberger, in: Derleder/Knops/Bamberger, a.a.O., § 50 Rn. 21 m.w.N.). Eine objektgerechte Beratung erfordert demnach eine Aufklärung des Kunden über die allgemeinen Risiken (z.B. Konjunkturlage, Entwicklung des Kapitalmarkts) sowie die speziellen Risiken, die sich aus den besonderen Umständen des Anlageobjekts ergeben (BGH, NJW 2006, 2041). Während eine Aufklärung über diese Umstände richtig und vollständig zu sein hat, muss die Bewertung und Empfehlung eines Anlageobjekts unter Berücksichtigung der genannten Gegebenheiten ex ante betrachtet lediglich vertretbar sein. Der Kunde trägt damit das Risiko, dass sich eine Anlageentscheidung im Nachhinein als falsch erweist (BGH, a.a.O.).

Gemessen an diesen Anforderungen ist der Beklagten ein Verstoß gegen die Grundsätze der objektgerechten Beratung vorzuwerfen.

            Die Pflichtverletzung ergibt sich allerdings nicht aufgrund versäumter Aufklärung über das Risiko einer Insolvenz der Lehman Brothers

(1) Allerdings hat es die Beklagte auch insoweit nicht versäumt, den Kläger über ein für sie zum Zeitpunkt der Beratung im Dezember 2006 erkennbares spezifisches Risiko einer Insolvenz von Lehman Brothers aufzuklären. Zum Zeitpunkt der hier streitgegenständlichen Anlageberatung im Dezember 2006 verfügte die Beklagte über keine spezifischen Hinweise auf Zahlungsschwierigkeiten oder gar eine bevorstehende Insolvenz von Lehman Brothers, die sie an ihre Kunden hätte weitergeben müssen (so auch Landgericht Frankfurt a.M., Urteil vom 28.11.2008, Az. 2-19 O 62/08, ZIP 2009, S. 184). Dies macht inzwischen auch der Kläger nicht mehr geltend.

Zwischen den Parteien ist allerdings streitig, ob auch eine Aufklärung über das allgemeine Emittentenrisiko erfolgt ist ... Letztlich kann diese Frage aber dahinstehen, denn die Beklagte hat ihre Pflicht zur objektgerechten Beratung bereits aus zwei anderen Gründen verletzt.

            Vielmehr hat die Beklagte den Kläger nicht über den Wechsel von einer „gesicherten" in eine „ungesicherte" Anlage aufgeklärt

(2) Die Beklagte hat ihre Pflicht zur objektgerechten Beratung dadurch verletzt, dass sie den Kläger nicht darüber aufgeklärt hat, dass das streitgegenständliche Zertifikat nicht von einem Einlagensicherungssystem, hier konkret von der Institutssicherung der deutschen Sparkassen-Finanzgruppe, gedeckt ist und er somit von einer „gesicherten" (Kassenobligationen und Inhaberschuldverschreibungen der Beklagten) in eine „ungesicherte" (Lehman-Zertifikat) Anlage wechselt. Hierbei handelt es sich um einen jedenfalls für einen vergleichsweise unerfahrenen Anleger wie den Kläger für die Anlageentscheidung bedeutsamen Umstand. Dies wird im vorliegenden Fall speziell durch die Aussage des Klägers in seiner Anhörung belegt, dass er bei Kapitalanlagen stets nach dem „worst case" frage und versuche, seine Entscheidung danach auszurichten. Die Aufklärung über das Bestehen oder Nichtbestehen einer Sicherungseinrichtung für Einlagen ist auch eine objektiv gebotene Pflicht der Beklagten als Kreditinstitut. Für den Anleger macht es einen erheblichen Unterschied, ob ihm im Fall des finanziellen Zusammenbruchs des Emittenten eine - wie auch immer im Detail ausgestaltete - Sicherungseinrichtung zur Verfügung steht oder nicht. Dabei kann hier dahinstehen, ob - worauf die Beklagte hingewiesen hat - im Falle einer weltweiten Finanzkrise die Einlagensicherungssysteme nur durch massive staatliche Stützungsmaßnahmen erhalten bleiben können. Denn aus Sicht eines vernünftigen Anlegers bietet eine Anlage mit Einlagensicherung gleichwohl mehr Sicherheit als eine Anlage ohne ein derartiges Sicherungssystem (vgl. Bömcke/Weck, VuR 2009, S. 53, 56).

Ein Hinweis auf die fehlende Einlagensicherung wurde dem Kläger weder mündlich noch in dem Produktflyer ... erteilt. Die gebotene Aufklärung erfolgte auch nicht durch Überreichung der „Basisinformationen über die Vermögensanlage in Wertpapieren"...

Eine Aufklärung war auch nicht deshalb entbehrlich, weil dem Kläger klar sein musste, dass seine Anleihe nicht der Institutssicherung der Sparkassen-Finanzgruppe unterfällt ... Ob diese besteht oder nicht, ist ... ein weiterer, für die Anlageentscheidung bedeutender Gesichtspunkt, über den die Bank ihren Kunden ausdrücklich aufzuklären hat. Dies gilt jedenfalls dann, wenn ein Kunde zuvor eine Anlage hatte, die von der Institutssicherung der deutschen Sparkassen-Finanzgruppe gesichert war, und er in eine solche Anlage wechselt, die keine derartige Sicherheit bietet, etwa weil es sich um einen ausländischen Emittenten handelt. In diesem Fall ist der Grund für die Aufklärungsbedürftigkeit der Wegfall einer zuvor bestehenden zusätzlichen Sicherheit für den Erhalt des Kapitals.

Eine Aufklärung über die wegfallende Einlagensicherung war entgegen der Rechtsansicht der Beklagten auch nicht aus wettbewerbsrechtlichen Gründen unzulässig. Es stand hier kein werbliches Hervorheben bestimmter positiver Merkmale des eigenen Sicherungssystems und der hierunter fallenden Anlageprodukte in Rede, sondern es ging um die Aufklärung über relevante Eigenschaften der empfohlenen Anleihe im Rahmen der objektgerechten Beratung.

            Pflicht zur Aufklärung über die zu erwartende Gewinnmarge in entsprechender Anwendung der sog. „Kick Back"-Rechtsprechung des BGH

(3) Die Beklagte hat es zudem pflichtwidrig unterlassen, den Kläger über die zu erwartende Gewinnmarge aus dem Vertrieb des streitgegenständlichen Zertifikats und das mit dem Vertrieb im Wege eines Festpreisgeschäfts (Kaufvertrag) verbundene Platzierungsrisiko aufzuklären. Die Pflicht zur Aufklärung über den zu erwartenden Gewinn folgt aus einer entsprechenden Anwendung der sog. „Kick Back"-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Nach dieser vom XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in drei Entscheidungen entwickelten Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 19.12.2000 - XI ZR 349/99, BGHZ 146, 235 = BB 2001, 541 = NJW 2001, 962 - „Kick Back I"; BGH, Urteil vom 19.12.2006 - XI ZR 56/05, BGHZ 170, 226 = BB 2007, 627 = NJW 2007, 1876 - „Kick Back II"; BGH, Beschluss vom 20.1.2009 - XI ZR 510/07, BB 2009, 459 mit Komm. Lamberti/Stumpf = NJW 2009, 1416 - „Kick Back III") besteht eine Pflicht der Bank zur Offenlegung von verdeckten Rückvergütungen aus den Ausgabeaufschlägen und jährlichen Verwaltungsgebühren (sog. „Kick Backs"). Nach dieser Rechtsprechung ist die Aufklärung über die Rückvergütung notwendig, um dem Kunden einen insofern bestehenden Interessenkonflikt der Bank (§ 31 Abs. 1 Nr. 2 WpHG) offenzulegen. Erst durch die Aufklärung werde der Kunde in die Lage versetzt, das Umsatzinteresse der Bank selbst einzuschätzen und zu beurteilen, ob die Bank ihm einen bestimmten Titel nur deswegen empfiehlt, weil sie selbst daran verdient. Wenn eine Bank einem Kunden ohne Zwischenschaltung eines Vermögensverwalters berät, Anlageempfehlungen abgibt und dabei an den empfohlenen Fonds durch Rückvergütungen verdient, seien die Kundeninteressen durch die von der Bank erhaltenen Rückvergütungen gefährdet. Es bestehe die konkrete Gefahr, dass die Bank Anlageempfehlungen nicht allein im Kundeninteresse nach den Kriterien anleger- und objektgerechter Beratung abgibt, sondern zumindest auch in ihrem eigenen Interesse, möglichst hohe Rückvergütungen zu erhalten (BGH, NJW 2007, 1876, 1878). Bei der Offenlegung von Rückvergütungen gehe es um die Frage, ob eine Gefährdungssituation für den Kunden geschaffen werde. Deshalb sei es geboten, den Kunden über etwaige Rückvergütungen aufzuklären und zwar unabhängig von der Rückvergütungshöhe (BGH, Beschluss vom 20.1.2009 - XI ZR 510/07, BB 2009, 459 mit Komm. Lamberti/Stumpf = NJW 2009, 1416, 1417).

Diese Rechtsprechung ist auf den vorliegenden Fall zu übertragen. Zwar geht es vorliegend nicht um die Zahlung einer bestimmten Provision durch einen Dritten. Sinn und Zweck der BGH-Rechtsprechung gebieten jedoch eine Ausdehnung der „Kick Back"-Rechtsprechung auf die Aufklärungspflicht einer Bank in Bezug auf eine Gewinnmarge beim Eigenvertrieb von Finanzmarktprodukten. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs soll der Anleger über ein mögliches wirtschaftliches Eigeninteresse seines Beraters aufgeklärt werden, um beurteilen zu können, ob die Beratung ausschließlich im Kundeninteresse passierte oder ob eigene Interessen des Beraters oder der Bank ebenfalls eine Rolle gespielt haben. Dieser Gedanke passt auf die Aufklärungspflicht über die Höhe einer Marge in gleicher Weise wie hinsichtlich der Zahlung von Provisionen. Dass es hierbei nicht um eine Zuwendung von Dritten - wie bei der Zahlung verdeckter Innenprovisionen - geht, sondern nur eine Zweierbeziehung Bank-Kunde vorliegt, steht dem nicht entgegen, weil das Schutzbedürfnis des Kunden das gleiche ist und es wirtschaftlich keinen Unterschied macht, ob die Bank ein Papier schon erworben hat und mit Gewinn weiterveräußert, oder ob dieses erst noch bei einem Drittem zu erwerben ist und dann für die Bank eine Provision fällig wird. Würde man dies anders sehen, wäre eine Umgehung der Grundsätze aus der „Kick Back"-Rechtsprechung des BGH ganz einfach dadurch möglich, dass Provisionen als Margen ausgestaltet würden.

Verschärfend kommt vorliegend folgender Gedanke hinzu, der ebenfalls für eine Übertragung der „Kick Back"-Rechtsprechung auf die vorliegende Fallkonstellation spricht: Durch die gewählte Gestaltung der vollständigen Übernahme des Zertifikats durch die Beklagte und der Veräußerung im Festpreisgeschäft auf eigenes wirtschaftliches Risiko besteht in besonderer Weise ein wirtschaftliches Interesse der Beklagten und ihrer Mitarbeiter am Vertrieb gerade des streitgegenständlichen Zertifikats. Zwar durfte die Beklagte nicht verkaufte Zertifikate an die Emittentin zurückgeben und musste sie nicht in den Eigenbestand nehmen. Der hierfür von der Emittentin zu zahlende Preis enthielt jedoch einen Abschlag vom Einstandspreis der Beklagten. Dadurch bestand - unabhängig von der konkreten Größenordnung des möglichen Verlusts - ein Anreiz und ein damit korrespondierender Druck zum Absatz der Lehman-Zertifikate. Daran ändert sich - entgegen der Rechtsansicht der Beklagten - auch nichts dadurch, dass diese bei Eigenemissionen ein gleiches oder möglicherweise sogar noch größeres Platzierungsinteresse hat. Entscheidend ist, dass ein solcher Anreiz im vorliegenden Fall bestand. Hinsichtlich der - wie die Beklagte meint - jederzeitigen Wiederveräußerbarkeit über die Börse war zumindest unsicher, zu welchem Preis dies möglich sein würde. Der damit verbundene Interessenkonflikt der Beklagten begründet im Rahmen eines Beratungsgesprächs in besonderer Weise eine Pflicht zur Aufklärung, um so den Kunden in die Lage zu versetzen, das Umsatzinteresse der Bank einschätzen und beurteilen zu können, insbesondere, ob die Beklagte und ihre Berater das Zertifikat nur deshalb empfahlen, weil sie selbst daran verdienten bzw. im Fall des nicht vollständigen Abverkaufs mit einem Verlust hätten rechnen müssen (so auch der BGH, Beschluss vom 20.1.2009, XI ZR 510/07, BB 2009, 459 mit Komm. Lamberti/Stumpf = NJW 2009, 1416, 1417 - „Kick Back III").

Entgegen der Rechtsansicht der Beklagten steht § 32d WpHG einer Übertragung der „Kick Back"-Rechtsprechung auf die Gewinnmarge nicht entgegen. Zwar ist eine derartige Aufklärungspflicht aufsichtsrechtlich nicht geregelt. Daraus kann jedoch nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass deshalb auch zivilrechtlich eine entsprechende Pflicht nicht besteht. Insoweit gilt nach der Rechtsprechung des BGH unabhängig vom Aufsichtsrecht eine allgemein anerkannte zivilrechtliche Pflicht zur Vermeidung von Interessenkonflikten (BGH, Beschluss vom 20.1.2009 - XI ZR 510/07 = BB 2009, 459 mit Komm. Lamberti/Stumpf; Zweifel an der Vereinbarkeit dieser Rechtsprechung mit der eine Vollharmonisierung anstrebenden Finanzmarktrichtlinie MiFID dagegen bei Mülbert, WM 2007, S. 1149, 1161 f.; Witte/Mehrbrey, ZIP 2009, S. 744, 748).

Auch ein etwaiges Geheimhaltungsinteresse der Bank an ihrer Gewinnmarge steht einer Aufklärungspflicht gegenüber dem Kläger nicht entgegen. Zwar ist der Beklagten durchaus zuzugeben, dass Gewinnmargen grundsätzlich zu den schutzwürdigen Geschäftsgeheimnissen von Wirtschaftsunternehmen gehören. Das kann für Banken jedoch nicht uneingeschränkt gelten. Insoweit ist zu differenzieren. Hat das Kundengespräch eindeutigen Verkaufscharakter, so dürfte keine Aufklärungspflicht bestehen, da die Bank insoweit ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse in Bezug auf ihre Marge wie jedes andere Unternehmen für sich reklamieren kann. Hat das Gespräch dagegen Beratungscharakter, ist die Bank zur Auskunft über ihre Marge und ein etwaiges Absatzrisiko verpflichtet, da der Kunde im Beratungsgespräch - anders als beim Verkaufsgespräch - zu Recht eine an seinen objektiven Interessen orientierte Beratung erwartet und deshalb wissen muss, wenn für bestimmte Empfehlungen ein wirtschaftliches Eigeninteresse der Bank maßgeblich war. Da hier zwischen den Parteien unstreitig ein Beratungsvertrag bestand, stehen die Geheimhaltungsinteressen der Beklagten einer Aufklärungspflicht über ihre Marge nicht entgegen.

            Pflichtverletzungen der Beklagten waren schuldhaft

c) Die Beklagte hat die vorgenannten Pflichtverletzungen im Sinne des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB zu vertreten. Die Beklagte handelte schuldhaft, denn ihr musste die Pflicht zur Vermeidung von Interessenkonflikten und zur Mitteilung von zweckdienlichen Informationen gemäß § 32 WpHG bekannt gewesen sein. Danach konnte und musste ihr einfallen, dass sie den latenten Interessenkonflikt zwischen den eigenen Gewinnerzielungsinteressen auf der einen Seite und den Interessen des Kunden auf der anderen Seite am besten dadurch begegnet, dass sie dem Kläger ihre Gewinnmarge und das bestehende Absatzrisiko mitteilt, so dass dieser in die Lage versetzt wird, selbst zu beurteilen, ob die Beklagte ihm das Zertifikat in seinem Interesse oder aus dem eigenen Interesse an der Gewinnmarge empfiehlt. Gleiches gilt für die Nichtaufklärung über das Nichtbestehen einer Einlagensicherung.

Insoweit kann sich die Beklagte nicht auf einen Rechtsirrtum berufen. Dieser wäre jedenfalls nicht unvermeidlich gewesen. Das wäre jedoch erforderlich gewesen, denn eine Fahrlässigkeit der als Aufklärungspflichtige insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten würde nur dann entfallen, wenn der Rechtsirrtum unvermeidlich war (Ellenberger, in: Ellenberger/Schäfer/Clouth/Lang, Praktikerhandbuch Wertpapier- und Derivategeschäft, 2. Aufl. 2009, Rn. 865 m.w.N.). Zwar ist ihr Einwand grundsätzlich richtig, dass sie zum Zeitpunkt des hier streitgegenständlichen Beratungsgesprächs im Dezember 2006 noch nicht wusste, dass ihr derartige Pflichten von der Rechtsprechung auferlegt werden könnten. Für das Erkennen einer solchen Pflicht war es aber bei Anwendung einer gehörigen Sorgfalt nicht erforderlich, dass diese in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bereits eine Erwähnung fand (vgl. Landgericht Frankfurt a.M., Urteil vom 31.1.2008, Az. 2-04 O 388/06). Bei der im Bankverkehr gebotenen Sorgfalt hätte die Beklagte die mit dem Vertrieb der streitgegenständlichen Fondsbeteiligung befassten Anlageberater daher entsprechend instruieren oder auf andere Weise für eine Unterrichtung der Anleger sorgen müssen (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 3.3.2009, Az. 17 U 149/07). Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 20.1.2009 - XI ZR 510/07, BB 2009, 459 mit Komm. Lamberti/Stumpf = NJW 2009, 1416, 1417 - „Kick Back III" - die Entscheidungserheblichkeit der Pflichtverletzung uneingeschränkt bejaht, obwohl in dem dort zu beurteilenden Fall die Fondsbeteiligung bereits im Mai 2001 und damit jedenfalls lange vor der „Kick Back II"-Entscheidung, in der erstmals die Pflicht zur Offenlegung verdeckter Innenprovisionen postuliert wurde, vermittelt worden war.

            Ersatzfähiger Schaden des Klägers

d) Dem Kläger ist ein ersatzfähiger Schaden entstanden. Nach der Rechtsprechung des BGH ist der Anleger, der auf Grund einer fehlerhaften Empfehlung eine für ihn nachteilige Kapitalanlage erworben hat, bereits durch deren Erwerb geschädigt (BGH, NJW 2005, 1579, 1580). Wer durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrags verleitet wird, kann sogar bei objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung einen Vermögensschaden (§ 249 BGB) dadurch erleiden, dass die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist (BGH, a.a.O.). Der Anleger ist bei der gebotenen wertenden Betrachtung vom Zeitpunkt des Erwerbs eines Wertpapiers an, das mit den von ihm verfolgten Anlagezielen nicht in Einklang steht, nicht nur einem erhöhten Risiko ausgesetzt, sondern bereits geschädigt (BGH, a.a.O.). Aus diesem Grund kommt es noch nicht einmal darauf an, dass es wegen der Insolvenz der Emittentin Lehman Brothers T. Co. B.V. und der Garantiegeberin Lehman Brothers H. Inc. sehr unwahrscheinlich ist, dass der Kläger das investierte Kapital in Höhe von Euro 10 000,00 zuzüglich eines Ausgabeaufschlags von Euro 100,00 bei Fälligkeit zurückerhalten wird, was zwischen den Parteien im Übrigen unstreitig ist. Der Kläger hat damit unabhängig von der Höhe einer etwaigen Insolvenzquote einen Schaden in Höhe von Euro 10 100,00 erlitten.

            Für den Kläger streitet die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens

e) Steht - wie hier - eine Aufklärungspflichtverletzung fest, streitet für den Anleger die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens, das heißt, dass der Aufklärungspflichtige beweisen muss, dass der Anleger die Kapitalanlage auch bei richtiger Aufklärung erworben hätte, er also den unterlassenen Hinweis unbeachtet gelassen hätte. Diese Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens gilt grundsätzlich für alle Aufklärungsfehler eines Anlageberaters, also auch für die unterlassene Aufklärung bezüglich der fehlenden Einlagensicherung und die fehlende Aufklärung über Rückvergütungen (zu Letzterem ausdrücklich BGH, Urteil vom 12.05.2009, Az. XI ZR 586/07, zitiert nach der Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 13.05.2009; zuvor bereits OLG Stuttgart, Urteil vom 3.3.2009, Az. 17 U 149/07; vgl. auch Ellenberger, in: Ellenberger/Schäfer/Clouth/Lang, Praktikerhandbuch Wertpapier- und Derivategeschäft, 2. Aufl. 2009, Rn. 863 unter Berufung u.a. auf die „Kick Back II"-Entscheidung, in der sich jedoch keine expliziten Ausführungen zur Kausalität befinden; Podewils/Reisich, NJW 2009, 116, 121).

Diese neueste Rechtsprechung zur Kausalität beim Verschweigen von Rückvergütungen, der das erkennende Gericht im Ergebnis folgt, ist auch auf den Fall der pflichtwidrigen Nichtaufklärung über eine Gewinnmarge zu übertragen (so bereits Landgericht Frankfurt a.M., Urteil vom 31.1.2008, Az. 2-04 O 388/06, allerdings nur für den Fall, dass eine Gewinnmarge durch die beklagte Bank - anders als im vorliegenden Fall - nicht offen gelegt wurde), denn in Bezug auf das Verhältnis zwischen Bank und Bankkunde liegt insoweit eine identische Interessenlage vor. Gleiches gilt im Ergebnis auch für die Pflicht zur Aufklärung über die fehlende Einlagensicherung. Zum Zweck einer Aufklärungspflicht gehört unter anderem, dem Berechtigten von vornherein die Möglichkeit zu geben, sich aufgrund der Aufklärung entscheiden zu können, und ihm damit eine später auftretende Beweisnot, wie er sich bei gehöriger Aufklärung verhalten hätte, zu ersparen. Dem Ersatzberechtigten wäre wenig damit gedient, wenn er seinen Vertragspartner zwar an sich aus schuldhafter Verletzung einer solchen Hinweispflicht in Anspruch nehmen könnte, er aber regelmäßig daran scheitern würde, dass er den meist schwer zu führenden Beweis nicht erbringen könnte, wie er auf den Hinweis reagiert hätte, wenn er gegeben worden wäre. Der Aufklärungspflichtige dagegen hätte nicht viel zu befürchten, wenn er bei Verletzung seiner Hinweispflicht sich darauf zurückziehen dürfte, dass kaum zu beweisen sei, was der andere Teil auf den Hinweis getan hätte. Damit würde der mit der Aufklärungspflicht verfolgte Schutzzweck verfehlt (vgl. bereits Landgericht Frankfurt a.M., a.a.O.).

Die Rechtsprechung, wonach es bei der Beweislast für den Ersatzberechtigten bleibt, weil eine ordnungsgemäße Aufklärung mangels einer einzigen Möglichkeit aufklärungsrichtigen Verhaltens nur zu einem Entscheidungskonflikt für ihn geführt hätte (in diese Richtung jüngst wieder in einem Fall zur Steuerberaterhaftung BGH, Urteil vom 5.2.2009 - IX ZR 6/06) steht dem nicht entgegen. Denn während es in den typischen Rechtsanwalts- und Steuerberaterhaftungs-Fällen, zu denen die Rechtsprechung die genannte Einschränkung der grundsätzlich auch dort geltenden Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens entwickelt hat, regelmäßig um die Frage geht, ob der Ersatzberechtigte eine bestimmte Maßnahme (z.B. die Vornahme einer Investition mit dem Ziel der Steuerersparnis) überhaupt ergriffen hätte und die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens deshalb nicht greifen kann, wenn es wegen verschiedener sinnvoller Handlungsmöglichkeiten ein aufklärungsrichtiges Verhalten gar nicht gibt, geht es vorliegend um die Frage, ob ein Bankkunde, dem bestimmte, von der Rechtsprechung als für seine Anlageentscheidung als relevant angesehene Informationen nicht erteilt wurden, von dieser Anlage bei gehöriger Aufklärung abgesehen hätte. Auch wenn es insoweit verschiedene vernünftige Anlagealternativen gegeben hätte, so haben diese doch alle gemeinsam, dass es sich hierbei nicht um die tatsächlich gewählte, mit einem Aufklärungsmangel behaftete Anlage handelt. Deshalb ist es richtig, zunächst eine Vermutung zu begründen, wonach der Ersatzberechtigte, dem relevante Informationen verschwiegen wurden, Abstand von der gewählten Anlage genommen hätte und in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob die aufklärungspflichtige Bank Umstände darlegen kann, die es als überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Kunde die Anlage gleichwohl gewählt hätte.

Die Beklagte hat die danach gegen sie sprechende Vermutung nicht widerlegen können ... [wird ausgeführt].



 

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