OLG Hamm: Satzungsbestimmung zur Business Judgment Rule
OLG Hamm, Beschluss vom 29.6.2010 - I-15 Wx 312/09
Leitsatz
Eine Satzungsbestimmung, nach der „eine Pflichtverletzung des Vorstands der Genossenschaft nicht gegeben ist, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Genossenschaft zu handeln," muss in das Genossenschaftsregister eingetragen werden.
GenG § 18; AktG § 93
Aus den Gründen
Die nach §§ 27, 29 FGG, Art. 111 FG-ReformG statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde ist begründet, da die Entscheidung der Kammer für Handelssachen einer rechtlichen Überprüfung nicht standhält.
Die Kammer für Handelssachen hat zu Unrecht die Eintragungsfähigkeit einer Satzungsänderung verneint, wonach eine Pflichtverletzung des Vorstands der Genossenschaft nicht gegeben ist, „wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Genossenschaft zu handeln."
Diese Regelung könnte nur dann nicht Gegenstand einer Satzung sein, wenn sie von zwingenden Vorschriften des GenG abweicht und die Haftung einschränkt (§ 18 S. 2 GenG). Das ist jedoch nicht der Fall. Denn sie bedeutet nicht eine Haftungserleichterung, sondern nimmt die höchstrichterliche Rechtsprechung des BGH zur Haftung von Vorstandsmitgliedern bei unternehmerischen Entscheidungen und die entsprechende Regelung in § 93 Abs. 1 AktG, die der Gesetzgeber dort durch Art. 1 UMAG vom 22.09.2005 (BGBl. I S. 2802) als S. 2 eingefügt hat, in die Satzung auf. Diese Bestimmung, die im angelsächsischen Rechtskreis als „Business Judgment Rule" bezeichnet wird, betrifft nur das unternehmerische Ermessen des Vorstands, das von sonstigen rechtlich gebundenen Entscheidungen des Vorstands zu unterscheiden ist (BT-Drs. 15/5092 S. 11; Mertens/Cahn, Kölner Kommentar zum Aktienrecht, 3. Aufl., § 93 Rn 17). Dabei handelt es sich nach der Begründung des Regierungsentwurfs (a.a.O.) um eine Klarstellung, „dass eine Erfolgshaftung der Organmitglieder gegenüber der Gesellschaft ausscheidet, dass also für Fehler im Rahmen des unternehmerischen Entscheidungsspielraums nicht gehaftet wird". Es geht also nicht darum, den Vorstand zu entschuldigen, sondern ihn schon vom Vorwurf eines pflichtwidrigen Handelns freizustellen (Lutter ZIP 2007, 841/842 f.). Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass dem Vorstand bei der Leitung der Geschäfte des Gesellschaftsunternehmens im Rahmen seiner gesetzlichen und vertraglichen Befugnisse (vgl. Lutter a.a.O, S. 843) ein weiter Handlungsspielraum zugebilligt werden muss, ohne den eine unternehmerische Tätigkeit schlechterdings nicht denkbar ist. Dazu gehört neben dem bewussten Eingehen geschäftlicher Risiken grundsätzlich auch die Gefahr von Fehlbeurteilungen und Fehleinschätzungen, der jeder Unternehmensleiter, mag er auch noch so verantwortungsbewusst handeln, ausgesetzt ist. Die unternehmerische Handlungsfreiheit ist Teil und notwendiges Gegenstück der dem Vorstand obliegenden Führungsaufgabe. Eine Schadenersatzpflicht des Vorstandes kann erst in Betracht kommen, wenn die Grenzen, in denen sich ein von Verantwortungsbewusstsein getragenes, ausschließlich am Unternehmenswohl orientiertes, auf sorgfältiger Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruhendes unternehmerisches Handeln bewegen muss, deutlich überschritten sind, die Bereitschaft, unternehmerische Risiken einzugehen, in unverantwortlicher Weise überspannt worden ist oder das Verhalten des Vorstands aus anderen Gründen als pflichtwidrig gelten muss (vgl. BGHZ 135, 244 = NJW 1997, 1926 - betr. das Aufsichtsratsmitglied einer AG -; BGHZ 152, 280 = NJW 2003, 358 - betr. den Geschäftsführer einer GmbH; MünchKommAktienG/Spindler, 3. Aufl., § 93 Rn 50).
Die Regelung des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung auch auf den Vorstand von Genossenschaften anzuwenden (BGH NJW-RR 2009, 332; NZG 2005, 562 = ZIP 2005, 981; NZG 2002, 195 = ZIP 2002, 213 - sämtliche Entscheidungen betreffen den Vorstand einer Genossenschaftsbank). Dem ist zu folgen, da § 34 GenG nahezu wortgleich dem § 93 AktG nachgebildet ist (Lutter a.a.O, S. 848) und der Grundgedanke des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG, nämlich die Klarstellung, dass es keine Haftung gibt für Entscheidungen, die sich im Rahmen des unternehmerischen Entscheidungsspielraums bewegen, in allen Unternehmensformen Anwendung findet (Pöhlmann/Fandrich/Bloehs, Genossenschaftsgesetz, 3. Aufl., § 34 Rn 2 Beck Gen-HB/Gätsch, § 5 Rn 61, 68; Kust WM 1980 758).