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Wirtschaftsrecht
03.02.2022
Wirtschaftsrecht
LG Stuttgart: Sammelklage-Inkasso – Verstoß gegen das RDG bei Kartellschadensersatzverfahren

LG Stuttgart Urteil vom 20.1.2022 - 30 O 176/19

Volltext: BB-Online BBL2022-258-3

Leitsätze

1. Das sog. „Sammelklage-Inkasso“ verstößt gegen §§ 3, 2 Abs. 1 RDG in Verbindung mit § 10 Abs. 1, § 2 Abs. 2, § 11 Abs. 1 RDG, wenn es kartellrechtliche Schadensersatzansprüche zum Gegenstand hat, weil der klagende registrierte Inkassodienstleister dadurch die ihm erteilte Befugnis zur Erbringung von Inkassodienstleistungen überschreitet (Rn. 75).

2. Als „andere Leistungspflicht“ im Sinne des § 4 RDG kommen auch gesellschaftsrechtliche Treuepflichten des Rechtsdienstleisters in Betracht (Rn. 144).

3. Ein Verstoß gegen § 4 RDG kann sich auch aus einem Vergütungsmodell des Rechtsdienstleisters ergeben (Rn. 156 ff).

Sachverhalt

(1) Die Klägerin begehrt vom Land Baden-Württemberg die Zahlung von Schadensersatz aus abgetretenem Recht für Schäden in Höhe von rund 450 Millionen Euro, die 36 Sägewerken im Zusammenhang mit dem sog. „Rundholzkartell“ im Zeitraum vom 9. März 1978 bis 31. August 2016 entstanden sein sollen.

Die Parteien

(2) Die Klägerin ist als Tochtergesellschaft der B. (im Weiteren: „B.“) eine Konzerngesellschaft des US-amerikanischen Prozessfinanzierers B. C.. Sie verfügt über ein Stammkapital von 25.000 EUR und ist eine von mehreren Gesellschaften im Konzern, die allein zum Zwecke der gebündelten Geltendmachung von – mutmaßlichen – Schadensersatzansprüchen im Zusammenhang mit dem sog. „Rundholzkartell“ eingerichtet wurde (sog. „Klagevehikel“). Neben der Klägerin sind die A. 2 Nordrhein-Westfalen GmbH, die A. 3 Rheinland-Pfalz, A. 4 Hessen GmbH und die A. 5 Thüringen GmbH Tochterunternehmen von „B.“.

(3) Die Zedentinnen sind 36 Sägewerke aus Baden-Württemberg, anderen Bundesländern und dem Ausland in unterschiedlicher Rechtsform, die nach ihrem Vortrag zwischen 1978 und 2016 Rundholz (Nadelstammholz) aus Baden-Württemberg bezogen haben.

(4) Der Beklagte, das Land Baden-Württemberg, ist als Gebietskörperschaft des öffentlichen Rechts teilsouveräner Gliedstaat der Bundesrepublik Deutschland. Der Beklagte wird vorliegend durch das Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz vertreten.

Das beanstandete Verhalten

(5) Rund 24 Prozent der Waldfläche in Baden-Württemberg gehören dem Beklagten (sog. „Staatswald“). 38 Prozent der Waldfläche verteilen sich auf mehr als eintausend kommunale Eigentümer (sog. „Körperschaftswald“). Weitere 37 Prozent der Waldfläche stehen im Eigentum von weit mehr als 200.000 privaten Eignern („Privatwald“). Diese Aufteilung war seit 1978 sehr stabil.

(6) In der durch Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 12. Juni 2018 (KVR 38/17 – Rundholzvermarktung, WuW 2018, 468) aufgehobenen Entscheidung vom 9. Juli 2015 (B1 – 72/12, Anl. K 56) hatte das Bundeskartellamt auszugsweise folgende Feststellungen getroffen:

„Das Land Baden-Württemberg vereinbart mit nachfragenden Sägewerken die Lieferung von Rundholz aus allen Waldbesitzarten (Staatswald, Körperschaftswald, Privatwald). Hierzu schließt das Land Baden-Württemberg sowohl über Forst BW in Tübingen zentrale Verträge als auch über die jeweiligen unteren Forstbehörden (UFB) dezentrale Verträge mit den Sägewerken, in denen sowohl die Mengen und Sortimente als auch Preise und Konditionen festgelegt werden. Grundlage für diese gemeinsame Rundholzvermarktung sind die Vereinbarungen zwischen dem Land Baden-Württemberg sowie Privat- und Körperschaftswaldbesitzern zur Übernahme von forstwirtschaftlichen Dienstleistungen. Zu diesen Dienstleistungen gehören neben dem Holzverkauf (im engeren Sinne) und der Fakturierung die unmittelbar vorgelagerten, von der Vermarktung untrennbaren Dienstleistungen der Holzauszeichnung, der Betreuung von Holzerntemaßnahmen, der Holzaufnahme sowie des Holzlistendrucks, die im Rahmen des forstlichen Revierdienstes sowie der forsttechnischen Betriebsleitung übernommen werden. Darüber hinaus stellt die Aufstellung des jährlichen Betriebsplans, die im Rahmen der forsttechnischen Betriebsleitung erfolgt, die Basis für jegliche Holzvermarktung dar, denn mit dem jährlichen Betriebsplan werden bereits die Mengen, Sortimente und Zeitpunkte der möglichen Holzlieferungen bestimmt. Durch die Übernahme des Revierdienstes sowie der forsttechnischen Betriebsleitung für Privat- und Körperschaftswaldbesitzer erhält das Land Baden-Württemberg einen erheblichen direkten Einfluss auf die Wettbewerbsposition seiner unmittelbaren, von ihm betreuten Konkurrenten aus dem Privat- und Körperschaftswald bei der Vermarktung ihres Holzes.

Diese Vereinbarungen zwischen dem Land Baden-Württemberg und den Sägewerken über den Verkauf von Rundholz sowie die diesen zugrundeliegenden Vereinbarungen zwischen dem Land Baden-Württemberg und privaten und körperschaftlichen Waldbesitzern über die Erbringung der o.g. forstwirtschaftlichen Dienstleistungen bezwecken und bewirken eine Wettbewerbsbeschränkung auf dem sachlich relevanten Markt für die Herstellung und den Vertrieb (Produktion und Vermarktung) von Rundholz im räumlich relevanten Markt Baden-Württemberg gemäß Art. 101 Abs. 1 AEUV bzw. § 1 GWB. Selbst wenn man die Dienstleistungen des Holzauszeichnens, der Betreuung von Holzerntemaßnahmen, der Holzaufnahme, des Holzlistendrucks sowie der Aufstellung des jährlichen Betriebsplans, die im Rahmen des Revierdienstes sowie der forsttechnischen Betriebsleitung erfolgen, nicht unmittelbar der Vermarktung zurechnen würde, so bezweckt und bewirkt deren Übernahme durch das Land Baden-Württemberg jedenfalls einen wettbewerbsbeschränkenden Austausch über zukünftige und aktuelle marktrelevante Informationen zwischen dem Land Baden-Württemberg und den betreuten Waldbesitzern als Wettbewerber bei der Rundholzvermarktung hinsichtlich der Angebotsmenge, des Angebotspreises, des Angebotssortiments sowie des Angebotszeitraums, der zum einen die Wettbewerbsbeschränkung des gemeinsamen Rundholzverkaufs an Sägewerke noch verstärkt und zum anderen selbst für sich allein eine Wettbewerbsbeschränkung gemäß Art. 101 Abs. 1 AEUV bzw. § 1 GWB darstellt.

Aufgrund der schwerwiegenden Wettbewerbsverstöße, untersagt die Beschlussabteilung dem Land Baden-Württemberg als Unternehmen die Durchführung des Holzverkaufs im engeren Sinne und die unmittelbar vermarktungsnahen Dienstleistungen (Holzauszeichnen, Betreuung von Holzerntemaßnahmen, Holzaufnahme, Holzlistendruck) für ihre Wettbewerber.“

(7) Bei dem vom Bundeskartellamt beanstandeten Verkauf von Rundholz handelte der Beklagte in Bezug auf das Holz aus dem Staatswald im eigenen Namen, während er beim Verkauf von Rundholz aus Körperschafts- und Privatwald im fremden Namen als rechtsgeschäftlicher Vertreter auftrat.

(8) Mit der aufgehobenen Entscheidung wurde dem Beklagten untersagt, nach einer gestaffelten Übergangsfrist bis 1. Juli 2017 künftig Rundholz für dritte Waldbesitzer zu verkaufen, wenn diese eine Waldfläche von mehr als 100 Hektar besitzen.

(9) Der Beklagte praktizierte die in der vorgenannten Untersagungsverfügung beanstandete Art der Rundholzbündelung im Grundsatz seit 1978, wobei die Forstorganisation im Rahmen von Verwaltungsreformen mehrfach verändert wurde. Das Bundeskartellamt nahm im Zusammengang mit diesem Verhalten im Jahr 2001 Ermittlungen auf und führte spätestens seit 2003 ein auf die Untersagung des Verhaltens gerichtetes Kartellverfahren. Der Beklagte gab Verpflichtungszusagen ab, wonach er unter anderem den Verkauf von Rundholz für dritte Waldbesitzer ab einer Betriebsgröße von jedenfalls 3.000 Hektar bei Einzelbetrieben und 8.000 Hektar bei nichtstaatlichen Kooperationen einstellen würde. Mit Beschluss vom 9. Dezember 2008 (B 2-90/01-4; Anl. K76) erklärte das Bundeskartellamt Verpflichtungszusagen des Beklagten für verbindlich. Die Verpflichtungszusagen lauten:

„1. … Der [Beklagte] verpflichtet sich mit Wirkung auch für die seiner Aufsicht unterstehenden Forstbehörden und anderen an der Holzvermarktung beteiligten Dienststellen,

sich mit Zustellung dieser Verfügung nur an Holzvermarktungskooperationen mit privaten oder kommunalen Forstunternehmen und/oder mit Kooperationen solcher Forstunternehmen zu beteiligen bzw. beteiligt zu bleiben, wenn die Forstbetriebsfläche keines der beteiligten einzelnen nichtstaatlichen Forstunternehmen bzw. keiner der beteiligten nichtstaatlichen Kooperationen die nachfolgend genannten Schwellenwerte übersteigt: Für Forstbetriebsflächen einzelner Forstunternehmen wird der Schwellenwert auf 3.000 ha festgelegt, für Kooperationen auf 8.000 ha. Bei einer Kooperation sind beide Schwellenwerte zu beachten, …

2. Vermarktungskooperationen im Einzelfall

Darüber hinaus verpflichtet sich der [Beklagte] über die vorstehend genannten Fallgestaltungen … hinaus im Einzelfall eines bestimmten Lieferauftrags eine Vermarktungskooperation nur dann einzugehen, wenn

a) die jeweilige Forstbetriebsfläche des einzelnen Forstunternehmens bzw. der Kooperation von Forstunternehmen nicht ausreicht, um die konkrete Nachfrage des betreffenden Abnehmers zum vorgesehenen Liefertermin bzw. innerhalb des vorgesehenen Lieferzeitraums zu befriedigen, oder wenn die Befriedigung der konkreten Nachfrage für das einzelne Forstunternehmen aus tatsächlichen Gründen wirtschaftlich nicht zweckmäßig und kaufmännisch nicht vernünftig wäre

und

b) der Abnehmer ausweislich einer entsprechenden ausdrücklichen Klausel im Liefervertrag die Bündelung des Angebots und die Lieferung von Holz aus mehreren Waldeigentumsarten, einschließlich der Beteiligung der/des staatlichen Forstverwaltung/-betriebs, verlangt oder ihnen zustimmt.

3. Grundsatz der Nichtbehinderung

Ferner verpflichtet sich der [Beklagte] durch geeignete Maßnahmen, insbesondere durch entsprechende Information und Anweisung seiner Dienststellen und Bediensteten auf dem Erlasswege, sicherzustellen, dass

a) bestehende und neue Kooperationsinitiativen außerhalb des Holzvermarktungssystems der staatlichen Forstverwaltungen in keiner Weise behindert werden,

b) diese Initiativen stattdessen im Sinne einer „Hilfe zur Selbsthilfe“ zu unterstützen sind

4. … Der [Beklagte] verpflichtet sich, die Professionalisierung privater und kommunaler forstwirtschaftlicher Kooperationen (Zusammenschlüsse) mit dem Ziel zu fördern, diese zum selbständigem Marktauftritt beim Holzverkauf zu befähigen. …

5. Pilotprojekte

Im Rahmen der Unterstützung und Förderung initiiert und begleitet der [Beklagte] konkrete Projekte eigenständiger privater und/oder kommunaler Vermarktungskooperationen außerhalb des Systems der waldbesitzartübergreifenden Holzvermarktung durch die [Beklagte] (staatliches Vermarktungssystem). …

6. Monitoring

a) Der [Beklagte] wird dem Bundeskartellamt bestehende und (z.B. im Zusammenhang mit einem Sukzessivliefervertrag) noch nicht vollständig abgewickelte Vermarktungskooperationen im Einzelfall nach Abschnitt II. 2., an denen er bzw. die seiner Aufsicht unterstehenden Forstbehörden und sonstigen Dienststellen jeweils beteiligt sind, spätestens bis zum Ablauf von drei Monaten nach Zustellung dieser Verfügung anzeigen. Künftige Vermarktungskooperationen im Einzelfall nach Abschnitt II. 2. unter Beteiligung des Beteiligten zu 1. oder der ihm unterstellten Forstbehörden und sonstigen Dienststellen wird der [Beklagte] dem Bundeskartellamt unverzüglich nach Abschluss des Vertrages mit dem jeweiligen Abnehmer anzeigen. …

b) Der [Beklagte] verpflichtet sich, dem Bundeskartellamt für das Kalenderjahr 2008 spätestens bis zum Ablauf von drei Monaten nach Zustellung dieser Verfügung und für die folgenden Kalenderjahre jeweils zum 31. Januar des Folgejahres alle Lieferverträge mit einem Liefervolumen von mehr als 1.000 Efm, die im Rahmen von Vermarktungskooperationen unter Beteiligung der betroffenen Forstbehörden oder sonstigen Dienststellen bedient wurden, im Wege von Jahresübersichten anzuzeigen.

…“

(10) Im Jahr 2012 nahm das Bundeskartellamt die Ermittlungen wieder auf, die zu der Untersagungsverfügung vom 9. Juli 2015 (B 1 – 72/12; Anl. K56) führten. Mit Beschluss vom 12. Juni 2018 (KVR 38/17 – Rundholzvermarktung, WuW 2018, 468) hob der Bundesgerichtshof die Entscheidung des Bundeskartellamts vom 9. Juli 2015 auf, weil die Voraussetzungen der Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 32b Abs. 2 GWB nicht vorgelegen hätten.

(11) Der Beklagte beendete sämtliche Lieferverträge über Rundholz von dritten Waldbesitzern zum 1. September 2015. Vor diesem Zeitpunkt vereinbarte Holzlieferungen wurden auch nach diesem Zeitpunkt erfüllt. Im Jahr 2020 hat der Beklagte seinen Rundholzverkauf grundlegend neu strukturiert.

Der Einfluss des beanstandeten Verhaltens auf die Zedentinnen

(12) Die Klägerin stützt ihre Klage im Wesentlichen auf die Untersagungsverfügung des Bundeskartellamts. Streitgegenständlich sind sämtliche Bezugsvorgänge der Zedentinnen im Zeitraum vom 9. März 1978 bis 31. August 2016, die Rundholz aus Baden-Württemberg zum Gegenstand haben. Zur Bezeichnung der jeweiligen Erwerbsvorgänge stützt sie sich einerseits im Rahmen des Antrags I. auf Auszüge aus den Computerprogrammen der Sägewerke (ERP-Daten), auf elektronisch erfasste Rechnungen und auf händisch erfasste Einzelbelege. Daneben beziffert sie ihre Klage im Rahmen des Antrags II. anhand von Schätzungen der Zedentinnen, die unter anderem anhand „Rundholzbüchern“ oder Jahresabschlüssen getroffen worden sein sollen. Für die weiteren Einzelheiten wird auf die als Anlage K84b vorgelegten Microsoft-Excel-Dateien sowie die dort als PDF-Dokument beigefügten Erläuterungen zum jeweiligen Schätzvorgang verwiesen.

(13) Die Klägerin beziffert den ihr angeblich entstandenen Schaden anhand von Privatgutachten. Bei einer Untersuchung von (behaupteten) Teilmärkten in Baden-Württemberg kommen die Privatgutachter unter anderem zu dem Ergebnis, dass ein Zusammenhang zwischen dem Marktanteil des Beklagten (einschließlich der gebündelten Holzmengen) und dem Holzpreis bestehe und so im klägerseits behaupteten Kartellzeitraum (9. März 1978 bis 31. August 2015, „relevanter Kartellzeitraum“) eine kartellbedingte Preissteigerung von durchschnittlich 6,95 % verursacht wurde. Dabei gehen die Gutachter sowohl von Preisschirmeffekten als auch von einer mindestens einjährigen Nachlaufperiode (1. September 2015 bis 31. August 2016, „Nachlaufzeitraum“) aus. In der Nachlaufperiode habe der kartellbedingte Preisaufschlag 7,27 % betragen. Die Privatgutachter des Beklagten halten dagegen einerseits das klägerische Gutachten für untauglich. Sie kommen andererseits zu dem Schluss, dass das – aus Sicht des Beklagten legale – Verhalten keinen Schaden verursacht habe.

Die Klägerin als Anspruchsinhaberin

(14) Nachdem die Klägerin aus einer Vorratsgesellschaft hervorging, wurde sie am 24. Mai 2018 im Rechtsdienstleistungsregister registriert. Als qualifizierte Person im Sinne des § 12 Abs. 4 RDG ist der Volljurist und Rechtsanwalt W. im Rechtsdienstleistungsregister benannt. Er ist zugleich Leiter des Regionalbüros Bayern des D. e.V..

(15) Schon zuvor, am 30. Januar 2018 in Siegen, am 18. April 2018 in Ostfildern, am 12. Juli 2018 in Wetzlar und am 19. Juli 2018 in Zeulenroda-Triebe fanden Informationsveranstaltungen über (mutmaßliche) kartellrechtliche Schadens¬ersatz-ansprüche der Sägewerke statt. Jedenfalls bei der Veranstaltung am 18. April 2018 in Ostfildern waren Vortragende Prof. Dr. L. und Dr. H., die Prozessbevollmächtigten der Klägerin. Formal wurde die Veranstaltung vom D. e.V. abgehalten. Laut Pressemitteilung hierzu vom 15. Mai 2018 (B4) hatte die „A.“ bereits zu diesem Zeitpunkt „kartellbefangene Umsätze in dreistelliger Millionenhöhe“ gebündelt.

(16) Tatsächlich hatte die Klägerin bereits vor Registrierung im Rechts-dienstleistungs¬register mit (einigen) Zedentinnen „vorläufige Kaufverträge“ (künftig: Vorverträge) über den Forderungskauf geschlossen, die mit den durch die A.-Schwestergesellschaften verwendeten Verträgen im Wesentlichen inhaltsgleich waren (B2, B44) und in der Pressemitteilung zur Informationsveranstaltung am 18. April 2018 (B4) als „bindende Vereinbarung“ bezeichnet wurden.

(17) In den Vorverträgen heißt es:

… Die A. ist bereits weit fortgeschritten, alle Unterlagen für die Registrierung im Rechtsdienstleistungsregister zusammenzutragen … Der Verkäufer verpflichtet sich hiermit nach erfolgter Eintragung der A. im Rechtsdienstleistungsregister sämtliche vertraglichen und gesetzlichen Ansprüche und Rechte, die ihm seit 1. Januar 2002 gegen das Land … aufgrund des Bezugs oder Erwerbs von Rundholz aus Wäldern in … aus oder im Zusammenhang mit Kartellverstößen entstanden sind („abzutretende Ansprüche“) vollständig an die A. zu verkaufen und abzutreten. Die A. nimmt dies hiermit an. Die Parteien verpflichten sich, nach erfolgter Eintragung der A. im Rechtsdienstleistungsregister einen Kaufvertrag und einen Abtretungsvertrag zu schließen…“

(18) Als Vergütung soll die Klägerin eine Beteiligung am durch die Rechtsverfolgung erzielten Betrag erhalten. Von diesem erhält zunächst die Klägerin eine Vergütung in Höhe des Kostenrisikos, bestehend aus tatsächlichen eigenen Anwaltskosten, den Kosten für ökonomische Gutachter und Berater sowie etwaigen Gerichtskosten und etwaigen gesetzlichen Rechtsanwaltskosten der Gegenseite. Sodann erhält die Klägerin zusätzlich das doppelte dieses Kostenrisikos als weitere Vergütung. Vom verbleibenden Restbetrag erhält die Klägerin 5 %.

(19) Erst nach Eintragung im Rechtsdienstleistungsregister hat die Klägerin mit sämtlichen Zedentinnen Forderungskaufverträge (künftig: ursprüngliche Forderungskaufverträge) und Abtretungsverträge (künftig: ursprüngliche Abtretungsverträge) geschlossen. Die Abtretungsverträge datieren teilweise wenige Tage vor oder gar auf den Tag, an dem die Klageschrift bei Gericht eingereicht wurde, dem 20. Juni 2019.

Die Finanzausstattung der Klägerin

(20) Die Klägerin hat ein Stammkapital von 25.000 EUR. Die Klägerin veranlasste im April 2018 die Verwahrung eines Betrags von EUR 2.724.813,48 zugunsten des Beklagten und der zuständigen Gerichtskassen auf notariellen Anderkonten des Hamburger Notars Dr. P. (Bl. 15). In der Verwahrungsanweisung heißt es:

„3. Die A. will ihre Fähigkeit und ihren Willen zur Erfüllung etwaiger Kostenerstattungs- und Kostenausgleichsansprüche ... belegen.

4. ... Ihr ist bekannt, dass deshalb ein einseitiger Widerruf der Verwahrungsanweisung ausgeschlossen ist.“

(21) Zudem schloss die Klägerin mit „B.“ im April 2018 einen Garantievertrag (K12). Darin heißt es unter anderem:

§ 1 …

Die Klägerin hat sich verpflichtet, den Geschädigten deren Anteil an den erstrittenen Beträgen gemäß den vertraglichen Abreden auszuzahlen, abzüglich einer Beteiligung, die sie an den Prozessfinanzierer auszahlen wird…

§ 3

(1) … Der Prozessfinanzierer verpflichtet sich hiermit unwiderruflich, auf erstes schriftliches Anfordern der Klägerin diese zweckgebunden auszustatten, um die Klägerin in die Lage zu versetzen, in dem Gerichtsverfahren sämtliche Kosten der Rechtsverfolgung einschließlich sämtlicher Gerichtskosten und sämtlicher gerichtlich festgesetzter und angeforderter Kostenerstattungs- und Kostenausgleichungsansprüche der Beklagten und etwaiger Streithelfer (im Folgenden „Begünstigte“), jeweils für alle drei Instanzen, zu tragen. …

(2) Das Forderungsrecht gemäß vorstehendem Absatz (1) steht auch den Begünstigten zu (echter Vertrag zugunsten Dritter). Die Parteien schließen das Recht aus, diesen Garantievertrag ohne Mitwirkung der Begünstigten aufzuheben oder zu widerrufen.“

Vorgerichtliche Tätigkeit

(22) Die Prozessbevollmächtigen der Klägerin forderten den Beklagten mit Schreiben vom 6. Mai 2019 (Anl. K 4) auf, mitzuteilen, ob der Beklagte gerichtlich und außergerichtlich durch das damalige Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz vertreten werde. Mit E-Mail vom 7. Juni 2019 (Anl. K 79) teilten die Prozessbevollmächtigten mit, dass die Klage fertiggestellt sei und in Kürze erhoben werde. Zu vorgerichtlichen Vergleichsgesprächen sei man bereit, falls der Beklagte dies wünsche.

(23) Die Klägerin trägt vor:

(24) Der Beklagte habe durch sein Verhalten schuldhaft gegen Kartellrecht verstoßen und dadurch die Zedentinnen geschädigt. Die Klägerin sei aktivlegitimiert, die Abtretungen wirksam. Die Ansprüche seien auch nicht verjährt.

(25) Den Zedentinnen sei aufgrund des kartellrechtswidrigen Verhaltens des Beklagten ein Preisüberhöhungsschaden von insgesamt rund 270 Millionen Euro sowie ein Zinsschaden von derzeit mehr als 177 Millionen Euro entstanden.

(26) Aus den für den Antrag Ziffer I. zugrundeliegenden Belegen ergebe sich, dass die Zedentinnen Rundholz für 2.570.304.418 EUR, davon für 1.476.982.749 EUR von Kartellanten und für 1.093.321.669 EUR von Kartellaußenseitern, bezogen hätten. Den Zedentinnen sei deshalb ein Schaden von 194.202.644 EUR entstanden, wobei aus Bezügen von Kartellanten ein Schaden von 111.767.076 EUR und von Kartellaußenseitern von 82.435.568 EUR entstanden sei. Hinzu komme bis 31. März 2021 ein Zinsschaden von 96.424.411 EUR.

(27) Aus den für den Antrag Ziffer II. zugrundeliegenden Schätzungen ergebe sich, dass die Zedentinnen Rundholz für 1.093.599.123 EUR, davon für 666.958.522 EUR von Kartellanten und für 426.640.602 EUR von Kartellaußenseitern, bezogen hätten. Den Zedentinnen sei deshalb ein Schaden von 75.500.266 EUR entstanden, wobei aus Bezügen von Kartellanten ein Schaden von 46.145.220 EUR und von Kartellaußenseitern von 29.355.046 EUR entstanden sei. Hinzu komme bis 31. März 2021 ein Zinsschaden von 81.124.934 EUR.

(28) Für das vorliegende Verfahren sei – ungeachtet dessen, dass dies nicht der Realität entspreche – zugunsten des Beklagten zu unterstellen, dass die Waldflächen sämtlicher Privatwaldbesitzer kleiner als 100 Hektar seien und dass deshalb der gebündelte Rundholzverkauf des Beklagten für sämtliche Privatwaldbesitzer nicht gegen Kartellrecht verstoße. Gleichwohl hafte der Beklagte auch für einen durch diese Bezüge entstandenen Schaden, jedenfalls infolge von Preisschirmeffekten.

(29) Aufgrund der – wenn auch zwischenzeitlich aufgehobenen – Untersagungsverfügung des Bundeskartellamts, der jedenfalls faktische Bindungswirkung zukomme, stehe der Verstoß fest. Ohnehin habe der Beklagte den Verstoß durch sein Agieren eingestanden. Seine umfangreichen Ausführungen dienten nur dazu, den Blick auf das Wesentliche zu verschleiern. Der Rundholzverkauf sowie die weiteren forstlichen Dienstleistungen des Beklagten seien unternehmerische Tätigkeiten. Sie seien auch ohne weiteres voneinander trennbar. Das zeige sich schon daran, dass der Beklagte den gebündelten Rundholzverkauf zwischenzeitlich eingestellt habe, die weiteren forstlichen Dienstleistungen aber noch anbiete. Das Verhalten habe auch eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt und bewirkt. Es sei auch nicht erforderlich, um Waldbesitzern mit Waldflächen von „nur“ 100 bis 3.000 Hektar den Zugang zum Markt zu ermöglichen.

(30) Die streitgegenständlichen Abtretungen seien wirksam und verstießen nicht gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und Bundesgerichtshofs sei insoweit eine großzügige Betrachtung geboten. Ein etwaiger Verstoß führe entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs nicht zur Nichtigkeit der zugrundeliegenden Verträge. Schon aufgrund des Trennungs- und Abstraktionsprinzips komme es schlechthin nicht in Betracht, dass die Abtretungen selbst nichtig seien.

(31) Die Klägerin habe vor ihrer Eintragung ins Rechtsdienstleistungsregister keine Rechtsdienstleistungen erbracht – weder gegenüber den Zedentinnen noch im Rahmen der Informationsveranstaltungen. Der Abschluss der Vorverträge sei keine Rechtsdienstleistung.

(32) Die Tätigkeit der Klägerin sei von ihrer Inkassoerlaubnis nach § 10 RDG gedeckt. Das Kartellrecht sei auch nicht von den Inkassodienstleistungen ausgeschlossen. Es komme nicht darauf an, ob das Kartellrecht in § 11 Abs. 1 RDG genannt sei. § 11 RDG sei dem Wortlaut nach nicht abschließend; ihre Inkassoerlaubnis sei nicht auf bestimmte Rechtsgebiete beschränkt. Zudem sei das Kartellrecht Teil des in § 11 Abs. 1 RDG genannten „Bürgerlichen Rechts“. Auch habe sich der Gesetzgeber im Zuge der jüngsten Reform des Rechtsdienstleistungsgesetzes trotz der Einflussnahmeversuche des Beklagten in der Gesetzesbegründung zugunsten der Inkassodienstleister dafür ausgesprochen, dass diese kartellrechtliche Forderungen durchsetzen dürften. Gleiches ergebe sich aus der „Airdeal“-Entscheidung des Bundesgerichtshofs und aus Verfügungen und Hinweisbeschlüssen von Oberlandesgerichten. Ihre „qualifizierte Person“ sei als zugelassener Rechtsanwalt auch hinreichend qualifiziert.

(33) Auch Interessenkonflikte im Sinne des § 4 RDG bestünden nicht. Ohnehin sei § 4 RDG schon kein Verbotsgesetz. Eine Nichtigkeit der Abtretungsverträge wegen Interessenkonflikten sei jedenfalls nicht verhältnismäßig.

(34) Gegenüber „B.“ habe die Klägerin keinerlei Leistungspflichten, insbesondere keine Pflicht zur Vergütung oder Erlösbeteiligung. Die Klausel in § 1 Abs. 4 des Garantievertrages laufe leer, weil man tatsächlich nie eine entsprechende Vereinbarung getroffen habe. „B.“ habe auch keinen besonderen Einfluss auf die Klägerin. Diese sei auch wirtschaftlich von „B.“ unabhängig. Durch die erfolgsabhängige Vergütungsstruktur bestehe ein grundsätzlicher Gleichlauf der Interessen, auch und gerade im Falle eines Vergleichs.

(35) Auch unter den Zedentinnen gebe es keine widerstreitenden Interessen: Nach den Verträgen mit der Klägerin bestehe die Möglichkeit zur Bündelung der Ansprüche, die Klägerin sei hierzu nicht verpflichtet. Der Kreis der Zedentinnen sei homogen: Die Erfolgsaussichten der Einzelansprüche seinen gleich hoch zu bewerten. Über die Verteilung des Erlöses unter den Zedentinnen entscheide im Falle einer Gesamtzahlung ein Schiedsgutachter. Die individuelle Durchsetzung der Ansprüche sei für die Zedentinnen schon wegen der fehlenden Datenbasis nicht möglich gewesen. Viele Zedentinnen wären – auch im Wege der subjektiven Klagehäufung – aus Angst vor Repressalien nicht gegen den Beklagten vorgegangen. Zudem wäre die Prozesstrennung zu befürchten gewesen, was die Kosten unverhältnismäßig gesteigert hätte. Die Bündelung diene der Überwindung der institutionellen Benachteiligung kleinerer Geschädigter. Ohnehin hätten die Zedentinnen in eine etwaige Interessenkollision eingewilligt.

(36) Die Abtretungen verstießen auch nicht gegen § 138 BGB. Die Klägerin sei finanziell imstande, alle etwaigen Kostenerstattungsansprüche des Beklagten und der Gerichtskassen zu befriedigen. Sowohl der von ihr selbst bei einem deutschen Notar unter Verzicht auf die Widerruflichkeit hinterlegte Betrag als auch die Garantie von „B.“ seien hierfür jeweils ausreichend. Bislang sei vom hinterlegten Betrag auch lediglich der Gerichtskostenvorschuss ausbezahlt worden. Die Einwendungen des Beklagten beträfen allesamt die B. C., nicht die B. („B.“). Die Garantie von „B.“ sei werthaltig. Die Klägerin verfolge mit der vorliegenden Anspruchsbündelung durch Abtretungen nicht das Ziel, den Staat und den Beklagten um Kostenerstattungsansprüche zu bringen; vielmehr sei von Anfang an größter Wert daraufgelegt worden, diese überschießend abzusichern. Während die Klägerin sämtliche Kostenerstattungsansprüche ohne weiteres befriedigen könne, sei die Behauptung des Beklagten, alle Geschädigten könnten die Prozesskosten zur Durchsetzung ihrer Ansprüche tragen, nicht richtig. Der Beklagte stelle selbst ausführlich dar, wie schlecht es um die Unternehmen der Sägeindustrie bestellt sei.

(37) Auch den Zedentinnen sei nichts vorzuwerfen. Eine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der Zedentinnen von den beklagtenseits behaupteten und als sittenwidrig angesehenen objektiven Umständen der Abtretungen sei fernliegend, insbesondere, weil die Klägerin die Prozesskostenrisiken doppelt abgesichert habe.

(38) Der Beklagte hafte verschuldensunabhängig für die streitgegenständlichen Ansprüche. Dies ergebe sich aus dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 24. Januar 2017 – KZR 2/15, Rn. 15 – Kabelkanalanlagen. Der Beklagte habe den Verstoß zu beseitigen, was nur durch Rückzahlung der überhöhten Entgelte möglich sei. Der Beklagte habe den Verstoß jedoch ohnehin vorsätzlich begangen und auch nicht auf die Richtigkeit der Verpflichtungszusagen vertraut.

(39) Die Ansprüche seien auch nicht verjährt. Eine Verjährung von Schadensersatzansprüchen komme nicht in Betracht, solange das Kartell noch bestehe. Die Zedentinnen hätten jedenfalls bis zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Juni 2018 auch keine Kenntnis der Ansprüche gehabt. Zudem sei die Verjährung durch die beiden Verfahren vor dem Bundeskartellamt nach § 33 Abs. 5 GWB gehemmt gewesen, unabhängig davon, ob diese rechtmäßig gewesen seien. Jedenfalls bestünden Ansprüche aus § 852 BGB. Den Zedentinnen sei auch kein treuwidriges Verhalten vorzuwerfen.

(40) In dem nachgelassenen Schriftsatz vom 17. November 2021 ergänzt die Klägerin ihr Vorbringen dahin, zahlreiche Zedentinnen hätten keinen Vorvertrag abgeschlossen, diesen erst nach Eintragung der Klägerin im Rechtsdienstleistungsregister abgeschlossen oder nur für einen Teil der streitgegenständlichen Zeiträume abgeschlossen (zum Einzelnen: Bd. X, Bl. 1576 ff). Als Sicherheitszuschlag habe die Klägerin darüber hinaus eine weitere Million Euro auf die Anderkonten des Notars überwiesen und auf den Widerruf der Verwahrungsanweisung verzichtet. Ferner hätten die Klägerin und die Zedentinnen nach alledem nochmals Erklärungen abgegeben und den „Nochmalige[n] Bestätigungsvertrag und nochmalige[n] Abtretungsvertrag“ (künftig: „Bestätigungsvertrag“, vorgelegt als Anlagenkonvolut K 130) geschlossen.

(41) Die Klägerin benennt in dem nachgelassenen Schriftsatz darüber hinaus die aus ihrer Sicht schuldhaft für den Beklagten handelnden Personen. Sie stellt im Hinblick auf die Vereinbarungen des Beklagten betreffend die Rundholzvermarktung prozessuale Auskunftsanträge.

(42) Der Antrag Ziffer I. lautete ursprünglich auf Zahlung von 185.139.271,00 EUR sowie der Antrag Ziffer II. auf Zahlung von 76.095.439,00 EUR (Klageschrift vom 19. Juni 2020, Bd. I, Bl. 1). Sowohl mit Replik vom 29. Juli 2020 (Bd. IV, Bl. 596) und Triplik vom 31. März 2021 (Bd. V, Bl. 1093) hat die Klägerin die Anträge Ziffer I. und II. betragsmäßig angepasst. Mit der Replik vom 29. Juli 2020 hat die Klägerin darüber hinaus den Antrag Ziffer IV. erstmals angekündigt.

(43) Die Klägerin beantragt zuletzt:

I. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 194.202.644,00 zuzüglich Zinsen in Höhe von EUR 96.424.411,00 sowie zuzüglich weiterer Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1. April 2021 zu zahlen.

II. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen in das Ermessen des Gerichts gestellten Betrag, mindestens jedoch EUR 75.500.266,00, zuzüglich Zinsen in Höhe von mindestens EUR 81.124.934,00 sowie zuzüglich weiterer Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1. April 2021 zu zahlen.

III. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus EUR 329.208,00 nach Maßgabe der ausgeurteilten Kostenquote seit Zahlung des Gerichtskostenvorschusses bis zum Tag des Eingangs des Kostenfestsetzungsantrags bei Gericht zu zahlen.

IV. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von EUR 272.869,98 zu erstatten.

Der Beklagte beantragt:

die Klage abzuweisen.

(44) Der Beklagte trägt vor:

(45) Weder habe er durch sein Verhalten gegen Kartellrecht verstoßen noch sei den Zedentinnen ein Schaden entstanden. Der Klägerin fehle ohnehin mangels wirksamer Abtretungen die Aktivlegitimation. Die Abtretungen seien insbesondere wegen Verstoßes gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz nichtig. Aus diesem Grund sei die Klägerin schon nicht parteifähig. Schließlich seien die Ansprüche jedenfalls weit überwiegend verjährt.

(46) Es gehe im vorliegenden Verfahren vorrangig um den Profit eines Prozessfinanzierers. Hinter der Klage stünden nicht vermeintlich Geschädigte, sondern ein US-amerikanischer Prozessfinanzierer, der um des bloßen Profits willen handele.

(47) Die Klägerin lege einen Verstoß nicht hinreichend dar. Es sei schon unklar, mit wem er Vereinbarungen geschlossen haben solle. Sein Verhalten sei nicht illegal gewesen. Zum einen sei der Holzverkauf untrennbar mit staatlichen Waldpflegearbeiten verbunden und das Kartellverbot schon deshalb nicht anwendbar. Auch die – hier nach dem Klägervortrag allein maßgeblichen – kommunalen Waldbesitzer seien keine Unternehmen. Sein Verhalten habe auch keine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt oder bewirkt, sondern im Gegenteil kleineren Waldbesitzern den Marktzutritt erlaubt. Diese seien nämlich selbst aufgrund ihrer Betriebsgröße nicht in der Lage, ein wirtschaftliches Angebot zu machen. Jedenfalls sei das Verhalten deshalb freistellungsfähig. Die Zedentinnen hätten einen eventuellen Preisaufschlag ohnehin an ihre Abnehmer weitergereicht.

(48) Da der Bundesgerichtshof die Untersagungsverfügung des Bundeskartellamts vom 9. Juli 2015 (B1 – 72/12, Anl. K 56) aufgehoben habe, fehle ihr jede Art von Bindungswirkung, das erkennende Gericht dürfe sie überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen.

(49) Die fehlende Aktivlegitimation ergebe sich im Hinblick auf zahlreiche Zedentinnen schon daraus, dass diese selbst nicht Inhaber der behaupteten Forderungen gewesen seien: In zahlreichen Fällen sei die benannte Zedentin jeweils nicht oder nicht für den gesamten Zeitraum der richtige Rechtsträger.

(50) Dass die Klägerin vor ihrer Registrierung im Rechtsdienstleistungsregister Vorverträge abgeschlossen habe, führe zur Nichtigkeit des klägerischen Gesellschaftsvertrages. Die Klägerin habe noch vor dem Beschluss des Bundesgerichtshofs die Zedentinnen unter unsicheren Umständen zu einer weitreichenden Entscheidung bewegen wollen.

(51) Die Tätigkeit der Klägerin sei auch nicht als Inkassodienstleistung zulässig. Das Kartellrecht sei in § 11 RDG nicht genannt und deshalb dürften Rechtsdienstleister schlechthin keine kartellrechtsbezogenen Rechtsdienstleistungen anbieten. Die Klägerin verfüge nicht über die notwendige Sachkunde, die sie wegen der fehlenden Nennung in § 11 RDG ohnehin nicht nachweisen könne.

(52) Die Abtretungen seien auch wegen der Interessenkonflikte nach § 4 RDG nichtig. Die Klägerin habe gegenüber mehreren Zedentinnen und gegenüber Prozessfinanzierern Leistungspflichten übernommen, die die Durchsetzung der angeblichen Forderungen einer jeden Zedentin konkret gefährdeten. Die Klägerin habe sich zur gebündelten Anspruchsdurchsetzung verpflichtet. Da die unterschiedlichen Ansprüche der unterschiedlichen Zedentinnen unterschiedliche Erfolgsaussichten hätten und die Möglichkeit eines Gesamtvergleichs nicht ausgeschlossen sei, bestehe die Gefahr, dass die jeweiligen Interessen nicht bestmöglich wahrgenommen würden. Die unterschiedlichen Erfolgsaussichten spielten bei der Vergütung der Zedentinnen zudem keine Rolle. Wegen der Vielzahl der Erwerbsvorgänge ziehe das Abtretungsmodell den Rechtsstreit in die Länge. Schwierigkeiten einzelner Ansprüche gingen so zulasten aller Zedentinnen.

(53) Auch aus dem Prozessfinanzierungsvertrag ergäben sich Interessenkonflikte: Jedenfalls im Rahmen einer Nebenpflicht im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB seien die Interessen des Prozessfinanzierers zu berücksichtigen. Ein Vergleich sei für den Prozessfinanzierer bereits in einem frühen Stadium rentabel. Dagegen habe die Klägerin den Zedentinnen die bestmögliche Durchsetzung ihrer Ansprüche versprochen. Es sei lebensfremd, davon auszugehen, dass die Garantiegeberin „B.“ keinerlei Einflussrechte habe. Sie erhalte nach § 1 Abs. 4 des Garantievertrags (K12) eine Beteiligung. Es könne mangels klägerischen Vortrags auch nicht ausgeschlossen werden, dass die Klägerin gegenüber weiteren „Beteiligten“, zum Beispiel der C. LLC, vertragliche Leistungspflichten übernommen habe. Das Vergütungsmodell von „B.“ begünstige besonders langwierige Prozesse, dies sei ein Kostentreiber.

(54) Die Abtretungen seien auch sittenwidrig. Die solventen Zedentinnen hätten sich des Kostenrisikos entledigt, indem sie die vermögenslose Klägerin vorgeschoben hätten. Das subjektive Element ergebe sich schon aus den objektiven Umständen. Dass die Klägerin imstande sei, die Prozesskosten aufzubringen, sei nicht glaubhaft, da sie mit mehreren Prozessfinanzierern zusammenarbeite. Die angebliche unwiderrufliche Verwahrungsanweisung sei bereits deshalb wertlos, weil sie jederzeit widerruflich sei, denn der Beklagte sei nicht Vertragspartei und habe auch keine Dispositionen im Hinblick auf ihr Vertrauen in diese Verwahrungsanweisung getroffen, die ihm erst im Mai 2019 bekannt geworden sei. Nicht die Klägerin habe das Geld auf das Notaranderkonto einbezahlt, sondern die Prozessfinanzierungsgesellschaften G. LP und die C. LLC, wie sich aus den vorgelegten Kontoauszügen ergebe (K9). Das Garantieversprechen sei wertlos, da „B.“ nicht finanzstark und auch nicht „ohne weiteres“ in der Lage sei, die Prozesskosten zu tragen. „B.“ habe schwankende Börsenkurse. „B.“ habe jedenfalls im Jahr 2018 kein Vermögen im dreistelligen Millionenbereich gehabt, wie es die Klägerin vortrage; vielmehr habe „B.“ Verbindlichkeiten aus weiteren Prozessfinanzierungen im Umfang von drei Milliarden US-Dollar.

(55) Ohnehin sei das Abtretungsmodell sittenwidrig, weil es eine in der ZPO nicht vorgesehene Sammelklagemöglichkeit schaffe.

(56) Darüber hinaus seien die unzähligen Warenbezugsvorgänge der Klägerin völlig unsubstantiiert dargelegt. Die Klägerin dürfe die Warenbezüge nicht einfach schätzen. Die vorgelegten Daten enthielten weder Angaben zur Menge noch zu den Konditionen der jeweiligen Rundholzbezüge. Die Klage sei völlig unbestimmt und deshalb unzulässig, jedenfalls unbegründet und daher abzuweisen. Auch sei eine Kartellbetroffenheit der Warenbezüge nicht dargetan.

(57) Es habe weder einen Nachlaufzeitraum noch Preisschirmeffekte gegeben. Diese würden von der Klägerin jeweils auch völlig unzureichend und widersprüchlich begründet.

(58) Der Beklagte habe weder vorsätzlich noch fahrlässig gehandelt. Ein Verschulden des Beklagten sei schon deshalb ausgeschlossen, weil seit Ende 2008 eine bestandskräftige Entscheidung des Bundeskartellamts existiert habe, an die sich der Beklagte gehalten habe.

(59) Das Gutachten der Klägerin sei unbrauchbar. Es sei konzeptionell widersprüchlich und leide an empirischen Fehlern.

(60) Der Beklagte sei nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) berechtigt, die Zahlung wegen des angeblichen Schadensersatzes zu verweigern, weil den Zedentinnen der gebündelte Rundholzverkauf über Jahrzehnte bekannt gewesen sei und sie diesen vom Beklagten verlangt hätten.

(61) Der Beklagte erhebt schließlich die Einrede des § 410 Abs. 1 BGB.

(62) Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 1. Juli 2021 (Bd. X, Bl.1547) verwiesen.

Aus den Gründen

(63) Die zulässige Klage ist unbegründet.

I.

(64) Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist eröffnet und die Klage ist zulässig.

1.

(65) Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist eröffnet.

(66) Zwischen den Parteien steht in Streit, ob der Beklagte als Träger staatlicher Hoheitsrechte an das europäische und deutsche Kartellverbot gebunden ist. Im Rahmen der Klage ist allein das Verhalten des Beklagten als – mutmaßliches – Unternehmen und als Anbieter von Leistungen auf dem Markt zu beurteilen. Streitigkeiten um kartellrechtliche Schadensersatzansprüche sind jedoch auch dann den ordentlichen Gerichten zugewiesen, wenn der verklagte – mutmaßliche – Kartellant Hoheitsträger ist. Für diesen Bereich hat der Gesetzgeber in den §§ 87 bis 96 GWB eine umfassende Sonderregelung geschaffen und ist dabei in Einzelfragen von sonst bestehenden Vorschriften abgewichen, um die vorrangige Zuständigkeit der Kartellgerichte zu gewährleisten. Ziel dieser Regelungen ist es, Widersprüche zwischen Entscheidungen von Gerichten verschiedener Rechtswege auszuschließen und dadurch zu verhindern, dass sich über Rechtsbegriffe, die für die Anwendung des Gesetzes maßgebend sind, unterschiedliche Auffassungen herausbilden (vgl. schon BGH, Urteil vom 12. März 1991 – KZR 26/89, Rn. 23 f; KG Berlin, Urteil vom 6. Oktober 2014 – 2 W 4/14 Kart, Rn. 9, juris).

2.

(67) Das angerufene Gericht ist örtlich und sachlich zuständig, §§ 12, 18, 32 ZPO, §§ 87, 89 GWB, § 13 Abs. 1 Nr. 2 ZuVOJu.

3.

(68) Die Klageanträge und der Streitgegenstand sind hinreichend bestimmt.

a)

(69) Gegen die Bestimmtheit der Zahlungsanträge bestehen keine Bedenken, auch soweit die Klägerin mit dem Antrag Ziffer II. einen sog. unbezifferten Zahlungsantrag stellt. Dass in Fällen, in denen die Schadenshöhe von einer richterlichen Schätzung nach § 287 ZPO abhängt, ein unbezifferter Zahlungsantrag nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zulässig sein kann, entspricht gefestigter Rechtsprechung (vgl. nur BGH, Beschluss vom 07. April 2009 – KZR 42/08 m.w.N.). Die Klägerin hat auch einen Mindestbetrag und Schätzgrundlagen benannt (Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 253 ZPO, Rn. 14).

b)

(70) Auch die Klagebegründung genügt den Anforderungen der Vorschrift des § 253 Abs. 2 Ziffer 2 ZPO: Der Streitgegenstand ist hinreichend bestimmt. Streitgegenständlich sind nach der Klarstellung durch die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung sämtliche Beschaffungsvorgänge der Zedentinnen im Zeitraum zwischen 9. März 1978 und 31. August 2015 („relevanter Kartellzeitraum“) sowie vom 1. September 2015 bis 31. August 2016 („Nachlaufzeitraum“), die Rundholz (Nadelstammholz) aus Wäldern in Baden-Württemberg zum Gegenstand haben.

(71) Das Erfordernis, Gegenstand und Grund des mit der Klage geltend gemachten Anspruchs anzugeben, dient auf der Ebene der Zulässigkeit allein dazu, den Streitgegenstand festzulegen. Dafür kommt es nicht darauf an, ob der maßgebende Lebenssachverhalt vollständig beschrieben oder der Klageanspruch schlüssig oder substantiiert dargelegt ist (BGH, Beschluss vom 7. April 2009 – KZR 42/08, BGH, Urteil vom 18.7.2000 – X ZR 62/98, Rn. 17, NJW 2000, 3492; Urteil vom 17.7.2003 – I ZR 295/00, Rn. 16, NJW-RR 2004, 639, 640; Urteil vom 11. Februar 2004 – VIII ZR 127/03, Rn. 6, NJW-RR 2005, 216). Es ist vielmehr – entsprechend dem Zweck der Klageerhebung, dem Schuldner den Willen des Gläubigers zur Durchsetzung seiner Forderungen zu verdeutlichen – im Allgemeinen ausreichend, wenn der Anspruch als solcher identifizierbar ist. Vorzutragen sind danach diejenigen Tatsachen, die den Streit unverwechselbar festlegen (st. Rspr., vgl. BGH a.a.O.; Greger in Zöller, ZPO, 35. Aufl., § 253, Rn. 11; Foerste in Musielak/Voit, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 18. Aufl., § 253, Rn. 25 ff). Für die Beklagten des Rechtsstreits muss sich aus Klagegrund (und -antrag) ergeben, welchen Anspruch die Klägerin mit ihrer Klage geltend macht (BGH, Urteil vom 18. Juli 2000 – X ZR 62/98, Rn. 17). Dabei müssen sich die gerichtliche Entscheidungsbefugnis gemäß § 308 ZPO sowie Inhalt und Umfang der materiellen Rechtskraft gemäß § 322 ZPO hinreichend bestimmen lassen. Es muss unzweideutig zu erkennen sein, welche Ansprüche geltend gemacht und dementsprechend auch von der Rechtskraft eines ergehenden Urteils erfasst werden. Ob der Kläger auch alles vorgetragen hat, was zur Rechtfertigung seines Klagebegehrens erforderlich ist, betrifft demgegenüber die Schlüssigkeit seines Sachvortrags und mithin die Begründetheit der Klage (vgl. zum Ganzen OLG Düsseldorf, Urteil vom 14. Mai 2008 – VI-U (Kart) 14/07, Rn. 46).

(72) Nach diesen Grundsätzen hat die Klägerin die streitgegenständlichen Ansprüche hinreichend individualisiert. Sie begehrt aufgrund des vorgehaltenen Kartellverstoßes Schadensersatz für sämtliche Bezüge der Zedentinnen in den genannten Zeiträumen von Rundholz aus Staats-, Kommunal- und Privatwald aus Baden-Württemberg. Soweit der jeweilige Lieferant kein Kartellant, sondern Kartellaußenseiter sei, beruft sich die Klägerin auf Preisschirmeffekte. Soweit die von der Klägerin geltend gemachten Bezüge der Zedentinnen in einzelnen Fällen über Einkaufsgesellschaften erfolgt sind, begehrt die Klägerin Schadensersatz aus dem Beschaffungsvorgang zwischen Einkaufsgesellschaft und Zedentin und lediglich hilfsweise aus dem Beschaffungsvorgang der Einkaufsgesellschaft selbst, wobei sie sich hierzu auf behauptete Abtretungen der Einkaufsgesellschaften beruft. Damit verbleiben über die gerichtliche Entscheidungsbefugnis und den Umfang der materiellen Rechtskraft keine Zweifel mehr.

4.

(73) Die Klägerin ist auch parteifähig. Es kann dahinstehen, ob der Gesellschaftszweck der Klägerin auf eine unzulässige Rechtsdienstleistung gerichtet und der Gesellschaftsvertrag – in seiner derzeitigen Fassung – daher nichtig ist (vgl. die Kammer im Urteil vom 18. Februar 2019 – 30 O 72/18, Rn. 37 ff – juris; BGH, Beschluss vom 19. Juli 2011 - II ZR 86/10; BGH, Urteil vom 25. März 1974 - II ZR 63/72; a.A. LG München I, Urteil vom 7. Februar 2020 – 37 O 18934/17, Rn. 117). Unstreitig ging die Klägerin aus einer sogenannten Vorratsgesellschaft hervor. Die Gründung einer Vorratsgesellschaft ist grundsätzlich zulässig (BGH, Beschluss vom 16. März 1992 – II ZB 17/91, NJW 1992, 1824). Anhaltspunkte, dass der ursprüngliche Gesellschaftsvertrag nichtig gewesen wäre, gibt es nicht. Sofern eine spätere Änderung des Gesellschaftsvertrags nichtig ist, führt dies nicht zur Beendigung der Gesellschaft, sondern dazu, dass der ursprüngliche, wirksame Gesellschaftsvertrag bestehen bleibt. So liegen die Dinge auch hier.

II.

(74) Die Klage ist unbegründet. Der Klägerin fehlt für die Geltendmachung der streitgegenständlichen Schadensersatzforderungen die Aktivlegitimation.

(75) Zum einen verstößt das sog. „Sammelklage-Inkasso“ gegen §§ 3, 2 Abs. 1 RDG in Verbindung mit § 10 Abs. 1, § 2 Abs. 2, § 11 Abs. 1 RDG, wenn es – wie hier der Fall – kartellrechtliche Schadensersatzansprüche zum Gegenstand hat, weil die Klägerin dadurch die ihr erteilte Befugnis zur Erbringung von Inkassodienstleistungen überschreitet.

(76) Zum anderen stehen der hier vorliegenden gebündelten Anspruchsdurchsetzung nach dem Abtretungsmodell gegen Vergütung und unter Einbeziehung eines Prozessfinanzierers Interessenkonflikte im Sinne von § 4 Satz 1 RDG entgegen.

(77) Beides führt jeweils für sich genommen dazu, dass die streitgegenständlichen Abtretungen schon wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot gemäß § 134 BGB nichtig sind. Darauf, ob die jeweiligen Rechtsdienstleistungsverträge überdies gegen die guten Sitten verstoßen oder an sonstigen Mängeln leiden und deshalb (ebenso wie die mit denselben einhergehenden Abtretungen) unwirksam sind, kommt es nicht (mehr) an.

1.

(78) Die Tätigkeit der Klägerin ist unzulässig. Sie ist als Rechtsdienstleistung grundsätzlich untersagt (§§ 3, 2 Abs. 1 RDG). Die Klägerin überschreitet die ihr als registriertem Inkassounternehmen (§ 10 Abs. 1, § 2 Abs. 2, § 11 Abs. 1, § 12 RDG) verliehene Befugnis zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen im Bereich von Inkassodienstleistungen. Die Folge des Gesetzesverstoßes der Klägerin ist die Nichtigkeit der Forderungsabtretungen, die der vorliegenden Klage zugrunde liegen (zum Ganzen: BGH, Urteil vom 27. November 2019 – VIII ZR 285/18, Rn. 89; zu einem Verstoß gegen § 3 RDG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 RDG: OLG Braunschweig, Urteil vom 7. Oktober 2021 – 8 U 40/21 – juris; zu einem Verstoß gegen § 3 RDG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 11 Abs. 1 RDG: Kammergericht, Urteil vom 12. Mai 2021 – 5 U 1091/20 – juris, LG Hannover, Urteil vom 4. Mai 2020 – 18 O 50/16, Rn. 171 – Zuckerkartell; LG Hannover, Urteil vom 1. Februar 2021 – 18 O 34/17, Rn. 296 – Zuckerkartell (CDC)). Damit fehlt der Klägerin die Aktivlegitimation.

a)

(79) Das klägerseits betriebene sog. „Sammelklage-Inkasso“ verstößt gegen § 3 RDG und ist damit grundsätzlich untersagt.

aa)

(80) Der Anwendungsbereich des Rechtsdienstleistungsgesetzes ist eröffnet. Die Tätigkeit der Klägerin stellt eine außergerichtliche Rechtsdienstleistung dar.

(81) Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 RDG regelt das Rechtsdienstleistungsgesetz die Befugnis, außergerichtliche Rechtsdienstleistungen zu erbringen. Diese Beschränkung des Anwendungsbereichs des Rechtsdienstleistungsgesetzes auf außergerichtliche Rechtsdienstleistungen dient lediglich der Abgrenzung gegenüber der Vertretung von Rechtssuchenden in einem Gerichtsverfahren, deren Zulässigkeit anders als früher unter Geltung des Rechtsberatungsgesetzes nun in den einzelnen Verfahrensordnungen besonders geregelt worden ist (BGH, Beschluss vom 11. Juni 2013 – II ZR 246/11, Rn. 6 – juris; vgl. Kammerurteil vom 18. Februar 2018 – 30 O 72/18).

bb)

(82) Die Tätigkeit der Klägerin ist ohne weiteres eine Rechtsdienstleistung im Sinne des § 2 Abs. 1 RDG. Sie setzt eine konkrete rechtliche Prüfung des Einzelfalls voraus. Die Angelegenheit ist für die Klägerin auch „fremd“, weil das Risiko der Einziehung bei wirtschaftlicher Betrachtung bei den Zedentinnen liegt (vgl. hierzu ausführlich Kammerurteil vom 18. Februar 2018 – 30 O 72/18 m.w.N.).

b)

(83) Die Leistung der Klägerin war ihr nicht nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG erlaubt, denn die Leistungen der Klägerin überschreiten die ihr durch die Registrierung verliehene Inkassobefugnis.

aa)

(84) Natürliche und juristische Personen sowie Personengesellschaften dürfen nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG Inkassodienstleistungen im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG erbringen, wenn sie bei der zuständigen Behörde registriert sind und über eine besondere Sachkunde verfügen. Inkassodienstleistung ist nach der gesetzlichen Definition in § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG die Einziehung fremder und zum Zwecke der Einziehung auf fremde Rechnung abgetretener Forderungen, wenn die Forderungseinziehung als eigenständiges Geschäft betrieben wird. Die gesetzliche Definition umfasst seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt vom 10. August 2021 (BGBl. I S. 3415) auch ausdrücklich die hierauf bezogene rechtliche Prüfung und Beratung.

(85) Auch Personen, die gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG für den Bereich der Inkassodienstleistungen registriert sind, fallen unter den Anwendungsbereich des § 3 RDG (BGH, Urteil vom 27. November 2019 – VIII ZR 285/18, Rn. 89). Eine Überschreitung der diesen Personen mit der Registrierung im Rechtsdienstleistungsregister verliehenen Befugnis zur Erbringung von Inkassodienstleistungen bedeutet einen Verstoß gegen § 3 RDG, wenn der Verstoß nicht nur geringfügig ist (BGH a.a.O., Rn. 90). Insbesondere kommt der Registrierung keine „Tatbestandswirkung“ zu, sondern die Zulässigkeit des Verhaltens des Rechtsdienstleisters ist durch die Zivilgerichte nachzuprüfen (BGH a.a.O. Rn. 82).

(86) Für die Beurteilung, ob die Tätigkeit eines registrierten Inkassodienstleisters sich innerhalb des durch § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG bestimmten Rahmens bewegt oder ob sie diesen überschreitet und deshalb nach § 3 RDG unzulässig ist und die mit ihr zusammenhängenden Rechtsgeschäfte – einschließlich der Verfügungsverträge, wie hier die Forderungsabtretung (§ 398 BGB) – deshalb grundsätzlich nach § 134 BGB nichtig sind, lassen sich keine allgemeingültigen Maßstäbe aufstellen (BGH, Urteil vom 27. November 2019 – VIII ZR 285/18, Rn. 109, BGHZ 224, 89). Erforderlich ist vielmehr stets eine am Schutzzweck des Rechtsdienstleistungsgesetzes, die Rechtsuchenden, den Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen zu schützen (§ 1 Abs. 1 Satz 2 RDG), orientierte (BT-Drucks. 16/3655, S. 37 f.) Würdigung der Umstände des Einzelfalls einschließlich einer Auslegung der hinsichtlich der Forderungseinziehung getroffenen Vereinbarungen. Dabei sind auch die Wertentscheidungen des Grundgesetzes zu berücksichtigen. Folglich sind die Grundrechte der Beteiligten - namentlich zum einen die Berufsausübungsfreiheit des Inkassodienstleisters (Art. 12 Abs. 1 GG) und zum anderen die zugunsten des Kunden zu berücksichtigende Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG), die – bereits entstandene – schuldrechtliche Forderungen umfasst – sowie der Grundsatz des Vertrauensschutzes in den Blick zu nehmen und ist hierbei auch den Veränderungen der Lebenswirklichkeit Rechnung zu tragen (zum Ganzen: BGH, Urteil vom 27. November 2019 – VIII ZR 285/18, Rn. 110, BGHZ 224, 89, m.w.N.).

bb)

(87) Die Klägerin überschreitet mit ihrer für die Sägewerke als Zedentinnen erbrachten Tätigkeit die Grenzen der ihr durch die Registrierung verliehenen Inkassobefugnis. Die hier in Rede stehende Tätigkeit der Klägerin weicht bei umfassender Würdigung der Umstände unter Berücksichtigung des gesetzlichen Schutzzwecks, grundrechtlich geschützter Rechtspositionen und des Vertrauensschutzes schwerwiegend von einem Forderungseinzug im herkömmlichen, stärker von Mahn- und Beitreibungsmaßnahmen geprägten Tätigkeiten ab (vgl. zu Letzterem BGH, Urteil vom 27. November 2019 – VIII ZR 285/18, Rn. 97 m.w.N.).

(1)

(88) Kartellrechtliche Schadensersatzansprüche können nicht Gegenstand einer erlaubten Inkassodienstleistung sein (so i.E. auch LG Hannover, Urteil vom 4. Mai 2020 – 18 O 50/16, Rn. 171 – Zuckerkartell; LG Hannover, Urteil vom 1. Februar 2021 – 18 O 34/17, Rn. 296 – Zuckerkartell (CDC)). Schon deshalb überschreitet eine auf Einziehung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche gerichtete Rechtsdienstleistung die einer Klägerin durch eine Registrierung im Rechtsdienstleistungsregister verliehene Inkassobefugnis.

(89) Die kartellschadensersatzrechtlichen Fragestellungen überschreiten bereits das für Inkassodienstleistungen typische Maß an rechtlicher Schwierigkeit. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass der Aspekt der Schwierigkeit der zu behandelnden Rechtsfragen für sich genommen kein Anlass ist, die Überschreitung einer Inkassobefugnis zu bejahen, weil auch Inkassodienstleister aufgrund ihrer besonderen im Grundsatz auch zu schwierigen Rechtsfragen beraten dürfen, wenn die Sachkunde für die Tätigkeit ausreicht und nachgewiesen ist (BGH, Urteil vom 27. November 2019 – VIII ZR 285/18, Rn. 214 ff., 221; BGH, Urteil vom 08. April 2020 – VIII ZR 130/19, Rn. 56). Aber auch die einem Kartellschadensersatzanspruch zugrundeliegenden tatsächlichen Fragestellungen sind – anders als beim typischen Inkasso – regelmäßig überaus komplex und umfangreich. Anders als beim typischen Inkasso bestehen zwischen den mutmaßlich Kartellgeschädigten regelmäßig Interessenkonflikte, da sich etwa die Ansprüche auf den unterschiedlichen Marktstufen regelmäßig wechselseitig ausschließen. Schließlich gehört das Kartellrecht auch nicht zu den Rechtsgebieten, deren Kenntnis der Gesetzgeber für eine Inkassotätigkeit voraussetzt.

(a)

(90) Das Kartellschadensersatzrecht ist – anders als typische Inkassodienstleistungen – geprägt von schwierigen rechtlichen Fragestellungen (vgl. LG Hannover, Urteil vom 1. Februar 2021 – 18 O 34/17, Rn. 293 – Zuckerkartell (CDC); Urteil vom 4. Mai 2020 – 18 O 50/16, Rn. 169 – Zuckerkartell). Die ständige Fortentwicklung der europäischen und deutschen Kartellrechtssetzung mit den damit verbundenen Novellen der maßgeblichen Vorschriften allem voran zum Kartellschadensersatzrecht hat trotz der im Vergleich jedenfalls bis 2015 in Deutschland noch überschaubaren Anzahl an Verfahren bis dato bereits zahlreiche höchstrichterlich noch ungeklärte, gleichwohl streitentscheidende Rechtsfragen aufgeworfen. In kartellrechtlichen Vorschriften werden im deutschen Recht etablierte Rechtsbegriffe oftmals in einem völlig anderen Sinne verwendet (Art. 101 AEUV und § 1 GWB: „bezweckt“; § 89b GWB 2017: „ohne Darlegung und Glaubhaftmachung“; wohl auch § 33g GWB 2017 „glaubhaft macht“). Hinzu kommt, dass der deutsche Gesetzgeber Vorschriften unklar fasst oder redaktionelle Fehler in das GWB aufnimmt (etwa zu § 186 Abs. 4 GWB 2017, BT-Drs. 19/23492, Seite 141; § 33 Abs. 5 GWB 2005, BR-Drs. 278/07, Seite 14), was zu zusätzlichem Klärungsbedarf durch Gerichte führte und führt. Der Gesetzgeber hat deshalb vorgesehen, dass sowohl über Rechtsmittel gegen Entscheidungen der Kartellbehörden als auch über Rechtsmittel gegen Entscheidungen in Zivilverfahren besondere Kartellsenate bei den Oberlandesgerichten und dem Bundesgerichtshof eingerichtet sind (§§ 91, 94 GWB). Die Zuständigkeit für kartellrechtliche Streitigkeiten ist darüber hinaus den Landgerichten ohne Rücksicht auf den Streitwert zugewiesen (§ 87 Satz 1 GWB) und von der Möglichkeit, die Zuständigkeit bei einem Landgericht für mehrere Landgerichtsbezirke zu konzentrieren (§ 89 Abs. 1 GWB), haben bis auf Thüringen alle Länder Gebrauch gemacht, die über mehr als ein Landgericht verfügen (Immenga/Mestmäcker/Karsten Schmidt, 6. Aufl. 2020, GWB § 89 Rn. 2). Weil der Gesetzgeber der Ansicht war, dass selbst die mit wirtschaftsrechtlichen Fragestellungen erfahrenen Vorsitzenden der Kammern für Handelssachen die „komplexen sachlichen, ökonomischen und rechtlichen Fragen“ nicht so gut bewältigen könnten wie die mit drei Berufsrichtern besetzten Zivilkammern, übertrug er die Zuständigkeit für diese Ansprüche mit der 8. GWB-Novelle (Achtes Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 26. Juni 2013, BGBl. I 1738) auf diese (RegE, BT-Drs. 17/9852, Seite 38; Immenga/Mestmäcker/Karsten Schmidt, 6. Aufl. 2020, GWB § 87 Rn. 42). Um die vorrangige Zuständigkeit der Kartellgerichte zu gewährleisten hat der Gesetzgeber in den §§ 87 ff. GWB auch darüber hinaus Sonderregelungen getroffen (vgl. oben zum Rechtsweg, Rn. (66)). Gleichwohl werden selbst die Entscheidungen der hoch spezialisierten Spezialsenate der Oberlandesgerichte in der Revision regelmäßig aufgehoben. Soweit der Bundesgerichtshof zu kartellschadensersatzrechtlichen Fragestellungen in Verfahren etwa zum sog. „Schienenkartell“ oder zum sog. „Lkw-Kartell“ zu entscheiden hatte, hat er die Urteile der verschiedenen Berufungsgerichte ausnahmslos aufgehoben (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2018 – KZR 26/17 – Schienenkartell I; BGH, Urteil vom 28. Januar 2020 – KZR 24/17 – Schienenkartell II, BGHZ 224, 281-302; BGH, Urteil vom 19. Mai 2020 – KZR 70/17 – Schienenkartell III; BGH, Urteil vom 19. Mai 2020 - KZR 8/18 – Schienenkartell IV; BGH, Urteil vom 23. September 2020 – KZR 4/19 – Schienenkartell V; BGH, Urteil vom 10. Februar 2021 – KZR 63/18 – Schienenkartell VI; BGH, Urteil vom 23. September 2020 – KZR 35/19 – Lkw-Kartell [I], BGHZ 227, 84; BGH, Urteil vom 13. April 2021 – KZR 19/20 – Lkw-Kartell II). Auch daran zeigt sich die große Komplexität des Rechtsgebiets.

(91) Wenn die Klägerin im hiesigen Verfahren trotz ihrer Rechtsausführungen in Klage, Replik und Triplik von „nur“ 180 Seiten meint, sich „kurz“ gehalten zu haben, gibt sie letztlich die Komplexität der behandelten Rechtsfragen auch zu.

(b)

(92) Auch die im Kartellschadensersatzrecht zu behandelnden tatsächlichen Fragen sind – anders als bei typischen Inkassodienstleistungen – regelmäßig überaus umfangreich. Während beim typischen Inkasso aufgrund klarer Sachlage für ohne weiteres auszumachende Gläubiger und Berechtigte Forderungen vom unbekannten, unerreichbaren, vergesslichen oder zahlungsunwilligen Schuldner mit im Vergleich zur Höhe der Forderung oftmals hohem Aufwand unter Berücksichtigung der oftmals eingeschränkten Leistungsfähigkeit des Schuldners einzuziehen sind (vgl. etwa Kleine-Cosack, AnwBl 2016, 802, Neumann, CR 2012, 235), steht im Falle kartellschadensersatzrechtlicher Forderungen in der Regel ohne weiteres allenfalls der Schuldner fest. Nachdem entsprechend der höchstrichterlichen Rechtsprechung „jedermann“ Kartellschadensersatz geltend machen kann (vgl. etwa: EuGH, Urteil vom 13. Juli 2006 – C-295/04 bis C-298/04; BGH, Urteil vom 28. Juni 2011 – KZR 75/10 – ORWI), sofern er ein kartelliertes Produkt – gleich auf welcher Markstufe, also direkt oder indirekt, von einem Kartellanten oder einem Dritten (gegebenenfalls in einer Erwerbskette) – bezogen hat, birgt bereits die Beurteilung der Frage nach dem Berechtigten wie auch die der Berechtigung der geltend gemachten Forderungen aufgrund des regelmäßig außerordentlich umfang- und detailreichen Sachverhaltes große Schwierigkeiten. Dementsprechend ist in kartellschadensersatzrechtlichen Streitigkeiten oftmals schon die Frage, ob der mutmaßlich kartellgeschädigte überhaupt vom jeweiligen Kartell betroffen ist, mit einer Vielzahl von tatsächlichen Feststellungen verbunden. Da aufgrund der oftmals langen Dauer von kartellbehördlichen Verfahren bei Aufdeckung eines Kartells (mutmaßlich) Geschädigte häufig schon Unterlagen vernichtet haben, ist schon die Frage, ob der (mutmaßlich) Kartellgeschädigte überhaupt kartellbefangene Waren bezogen hat, regelmäßig mit umfangreichen Sachverhaltsermittlungen durch die Parteien und auch mit einer umfangreichen Beweisaufnahme durch die Tatgerichte verbunden. Oftmals ist es für die Kartellverfahren zudem von Bedeutung, von wem und durch welche Lieferkette der (mutmaßlich) Kartellgeschädigte die Waren bezogen hat.

(93) Dass schon zur Bewertung des (mutmaßlichen) Verstoßes regelmäßig nicht nur Feststellungen zur Unternehmensstruktur der Kartellanten, zur Abgrenzung des sachlich, räumlich und zeitlich relevanten Marktes und zu den bewirkten oder bezweckten wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen auf dem relevanten Markt notwendig sind, ist zwar aufgrund der Bindungswirkung von Entscheidungen der Kartellbehörden nach § 33b GWB 2017 regelmäßig von untergeordneter Bedeutung, aber – wie hier – gleichwohl nicht in allen Fällen.

(94) In der überwiegenden Mehrheit der kartellrechtlichen Streitigkeiten sind darüber hinaus umfangreiche ökonomische Feststellungen erforderlich. Da nach der mittlerweile gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs lediglich eine „tatsächliche Vermutung“ (vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 13. April 2021 – KZR 19/20, Rn. 25 ff – Lkw-Kartell II) und nach § 33a Abs. 2 Satz 1 GWB 2017 lediglich eine widerlegliche Vermutung dafür besteht, dass ein „Kartell“ einen Schaden verursacht, sind regelmäßig die Wirkungen der Zuwiderhandlungen auf den betroffenen Markt unter Einbeziehung ökonomischer Sachverständiger festzustellen. Da der Einwand der Schadenswälzung grundsätzlich zulässig ist (grundlegend: BGH, Urteil vom 28. Juni 2011 – KZR 75/10 – ORWI; BGH, Urteil vom 19. Mai 2020 – KZR 8/18, Rn. 46 – Schienenkartell IV) sind regelmäßig auch Feststellungen dazu notwendig, an wen und zu welchem Preis die Waren veräußert wurden sowie welche Faktoren auf den jeweiligen Marktstufen für die jeweilige Preisbildung relevant waren und ob und in welchem Umfang auf den jeweiligen Marktstufen eine Schadenswälzung möglich oder wahrscheinlich war.

(95) Entsprechend hängen beim – typischen – Inkasso die Erfolgsaussichten regelmäßig hauptsächlich von der Bonität des Schuldners ab, während im Kartellschadensersatzrecht die Erfolgsaussichten oftmals einerseits von den erwerbsbezogenen Tatsachen abhängen, die der (mutmaßlich) Geschädigte noch darlegen kann und ggf. beweisen muss, und andererseits von der ökonomischen Schadensermittlung.

(c)

(96) Das Kartellschadensersatzrecht hat auch eine besondere Neigung zu Interessenkonflikten, die für eine Inkassotätigkeit untypisch sind. Der Gesetzgeber missbilligt Interessenkonflikte des Inkassodienstleisters in § 4 RDG allerdings ausdrücklich.

(97) Während beim typischen Inkasso die einzelnen verfolgten Ansprüche häufig keinen Zusammenhang haben, sind beim (noch) zulässigen (Sammelklage-)Inkasso die Interessen der Kunden des Inkassodienstleisters zwar oft nicht deckungsgleich, aber im Grundsatz gleichgerichtet (so BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 – II ZR 84/20, Rn. 55; BGH, Urteil vom 6. Mai 2020 – VIII ZR 120/19, Rn. 68; BGH, Urteil vom 27. November 2019 – VIII ZR 285/18, Rn. 205, BGHZ 224, 89). Die Kunden des Inkassodienstleisters begehren dann in der Regel zu einem großen Teil dieselben tatsächlichen Feststellungen (zum Beispiel zur Höhe eines Mietspiegels) und rechtlichen Beurteilungen (zum Beispiel, dass ein Gesetz verfassungsgemäß sei). Dahingegen schließen sich die Ansprüche (mutmaßlich) Geschädigter im Kartellschadensersatzrecht häufig gegenseitig aus. Kartellierte Produkte werden in der Regel über mehrere Marktstufen hinweg vertrieben und bezogen. Folge ist, dass die Primärgeschädigten, zum Beispiel Einkaufsgesellschaften, ihren Schaden auf ihre eigenen Kunden (teilweise) abwälzen, so dass diese ebenfalls („indirekt“ oder „mittelbar“) vom Kartell geschädigt werden. Eine solche Schadenswälzung kann der Schädiger dem Geschädigten regelmäßig auch entgegenhalten (grundlegend: BGH, Urteil vom 28. Juni 2011 – KZR 75/10 – ORWI; BGH, Urteil vom 19. Mai 2020 – KZR 8/18, Rn. 46 – Schienenkartell IV). Während also der Primärgeschädigte sich gegen den Einwand der verklagten Kartellanten verteidigen muss, er habe den Schaden auf seine Abnehmer weitergewälzt, muss der indirekt Geschädigte nachweisen, dass der Schaden auf ihn selbst abgewälzt wurde: Die Ansprüche der direkten und indirekten Abnehmer des kartellbetroffenen Guts schließen sich gegenseitig aus. Ein Inkassodienstleister verhält sich im Prozess widersprüchlich, wenn er in solchen Konstellationen zu Gunsten des indirekten Abnehmers vorträgt, der Schaden sei weitergewälzt worden, und zu Gunsten des direkten Erwerbers (Primärgeschädigten) vorträgt, der Schaden sei nicht weitergewälzt worden. Dem kann der Inkassodienstleister zwar dadurch begegnen, dass er die Ansprüche in ein Eventualverhältnis stellt. Damit stellt er aber die Interessen des einen Kunden hinter die Interessen des anderen Kunden zurück. Nichts Anderes gilt, wenn der Inkassodienstleister die Ansprüche etwa nach Marktstufen gruppiert und getrennt einklagt: Ein Tatgericht wird im Rahmen der freien Beweiswürdigung auch dann regelmäßig zu berücksichtigten haben, wenn eine Partei in verschiedenen Prozessen sich selbst widersprechend vorträgt.

(98) Die gemeinsamen Interessen der Geschädigten im Kartellschadensersatzprozess im Hinblick auf die Feststellung des Verstoßes und von dessen Wirkungen auf den Markt können – auch in Verfahren ohne bindende kartellbehördliche Entscheidung (§ 33b GWB 2017) – diesen Konflikt nicht aufwiegen, weil sich die Ansprüche nicht bloß (nachteilig) beeinflussen, sondern gegenseitig ausschließen können.

(d)

(99) Im Rechtsdienstleistungsgesetz hat der Gesetzgeber das Kartellrecht und andere spezielle Rechtsgebiete auch nicht zu den vom Inkassodienstleister zu beherrschenden Rechtsgebieten in § 11 Abs. 1 RDG (ausdrücklich) aufgenommen. Das Kartellrecht lässt sich nicht ohne Weiteres unter die dort genannten Gebiete des Rechts (Bürgerliches Recht, Handels-, Wertpapier- und Gesellschaftsrecht, Zivilprozessrecht samt Zwangsvollstreckungs-, Insolvenz- und Kostenrecht) subsumieren, auch wenn das „Bürgerliche Recht“ zweifelsohne § 823 Abs. 2 BGB umfasst. Die Vorschrift kommt für Kartellschadensersatzansprüche regelmäßig als Anspruchsgrundlage in Betracht (vgl. etwa BGH, Urteil vom 23. September 2020 – KZR 35/19, Rn. 16 – Lkw-Kartell [I], BGHZ 227, 84). Die zugrundeliegenden Schutzgesetze sind jedoch nicht allein aufgrund ihrer Eigenschaft als Schutzgesetz Gegenstand des Bürgerlichen Rechts. Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber Art. 101 AEUV, § 1 GWB und sämtliche anderen Schutzgesetze – etwa § 2 Abs. 1 der Bienenschutzverordnung (Grüneberg/Sprau, BGB, 81. Aufl., § 823 Rn. 65) oder § 1 MilchFettG (BGH DB 56, 547) – als für die Inkassodienstleistungen bedeutsam einordnen wollte, gibt es nicht. Jedenfalls muss der Inkassodienstleister über die besondere Sachkunde in den für die beantragte Inkassotätigkeit bedeutsamen Gebieten des Rechts verfügen. Insbesondere hat sich der Gesetzgeber im Rahmen der Beratungen in den Jahren 2020 und 2021 über das „Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt“, mit dem das Rechtsdienstleistungsgesetz reformiert werden sollte, nicht dazu entschieden, das Kartellrecht (klarstellend) in § 11 Abs. 1 RDG aufzunehmen, obgleich es ausdrückliche Forderungen dieser Art gab. Allerdings hat der Gesetzgeber im reformierten Rechtsdienstleistungsgesetz – entgegen anderer Forderungen – bestimmte Rechtsgebiete vom Anwendungsbereich der §§ 10 ff. RDG auch nicht ausdrücklich ausgeschlossen. Dies dürfte dem Zweck des Reformvorhabens geschuldet gewesen sein. Mit der Reform hat der Gesetzgeber das Ziel verfolgt, Benachteiligungen von Rechtsanwälten gegenüber den Rechtsdienstleistern zu beseitigen, verbraucherschützende Vorschriften in das Rechtsdienstleistungsgesetz aufzunehmen und die durch das Abweichen der Legal-Tech-Unternehmen vom klassischen Berufsbild eines Inkassodienstleisters bei der Anwendung von § 2 Abs. 2 Satz 1 und § 4 RDG in der Praxis gezeigten rechtlichen Unsicherheiten abzubauen (BT-Drs. 19/27673, Seite 1). Um diese Ziele zu erreichen, ist Rechtsanwälten künftig gestattet, in größerem Umfang Erfolgshonorare zu vereinbaren und für den Bereich der außergerichtlichen Forderungseinziehung werden sie den Inkassodienstleistern gleichgestellt, um ein kohärentes Regelungsgefüge zu erreichen. Um der gesteigerten Bedeutung von Inkassodienstleistungen im Verbraucherbereich Rechnung zu tragen, treffen Inkassodienstleister künftig spezielle Informationspflichten. Zur Stärkung der Rechtssicherheit wurde zudem das Verfahren zur Registrierung als Inkassodienstleister ausgebaut, indem Antragsteller bereits dort Angaben dazu machen sollen, welche Tätigkeit sie erbringen wollen (BT-Drs. 19/27673, Seite 1 f.). Änderungen bei §§ 10 und 11 RDG sind nicht erfolgt. Hieran ändert nichts, dass es in der Gesetzesbegründung an anderer Stelle heißt, im Kartellrecht gebe es „etablierte Angebote am Markt, ohne dass hier Probleme bekannt geworden wären“ (BT-Drs. 19/27673, Seite 62, vgl. auch Seite 34). Dies widerspricht offenkundig der Realität und kann nicht nachvollzogen werden. Die publizierten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, der Kartellsenate der Oberlandesgerichte und der (spezialisierten Kartell-) Zivilkammern zum sog. „Sammelklage-Inkasso“ im Kartellschadensersatzrecht (OLG Düsseldorf, Urteil vom 18. Februar 2015 – VI-U (Kart) 3/14, Rn. 61 – CDC (Zementkartell); LG Hannover, Urteil vom 4. Mai 2020 – 18 O 50/16, Rn. 171 – Zuckerkartell; LG Hannover, Urteil vom 1. Februar 2021 – 18 O 34/17, Rn. 296 – Zuckerkartell (CDC); LG München I, Urteil vom 7. Februar 2020 – 37 O 18934/17; LG München I, Urteil vom 28. Juni 2019 – 37 O 18505/17; LG Stuttgart, Urteil vom 18. Februar 2019 – 45 O 12/17; LG Stuttgart, Urteil vom 10. Januar 2022 – 53 O 260/21; die Kammer, Urteil vom 18. Februar 2019 – 30 O 72/18) belegen vielmehr, dass schon in rechtlicher Hinsicht eine Vielzahl von Problemen besteht. Jedenfalls ist der Kammer keine Entscheidung bekannt, in der auf eine Sammelklage nach dem klägerseits praktizierten Abtretungsmodell ein Kartellant rechtskräftig zum Schadensersatz verurteilt worden wäre – und sei es nur dem Grunde nach.

(100) Das Kartellschadensersatzrecht ist (folgerichtig) auch nicht Gegenstand von Sachkundelehrgängen für Rechtsdienstleister. Es ist darüber hinaus auch von Kandidaten der juristischen Staatsexamina regelmäßig nicht als Pflichtfachstoff zu beherrschen (vgl. exemplarisch §§ 8, 56 JAPrO-BW, §§ 18, 58 JAPO-BY, §§ 11, 52 JAG-NRW) und wird auch in der Anwaltschaft nur von vergleichsweise wenigen, oftmals hochspezialisierten Rechtsanwaltskanzleien bearbeitet.

(101) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 2 Abs. 1 der Verordnung zum Rechtsdienstleistungsgesetz (Rechtsdienstleistungsverordnung - RDV). Die Vorschrift sieht vor, dass die zuständige Behörde besondere Sachkundenachweise fordern kann, wenn die Inkassotätigkeit auf einem in § 11 Abs. 1 RDG nicht benannten Gebiet erfolgen soll. Dass die Inkassotätigkeit im Grundsatz auch in anderen, in § 11 Abs. 1 RDG nicht benannten Rechtsgebieten erfolgen kann, ergibt sich ohne weiteres schon aus dem eindeutigen Wortlaut des § 11 Abs. 1 RDG („insbesondere“). Für die Frage, ob im Bereich des Kartell(schadensersatz)rechts überhaupt eine Inkassotätigkeit in Frage kommt, kann § 2 Abs. 1 RDV aber nichts entnommen werden (so auch Tolksdorf, ZIP 2021, 2049, 2057, Anl. K134).

(102) Das Erfordernis der eigenen besonderen Sachkunde auf Seiten des Inkassodienstleisters entfällt auch nicht dadurch, dass er einen Rechtsanwalt mit der weiteren Durchsetzung der abgetretenen Forderung beauftragt (OLG Braunschweig, Urteil vom 7. Oktober 2021 – 8 U 40/21, Rn. 28 ff. mit Bezug auf BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 – II ZR 84/20, Rn. 25, juris).

(2)

(103) Lediglich ergänzend sei erwähnt, dass die Tätigkeit der Klägerin auch im Übrigen nicht inkassotypisch ist.

(104) Zum einen war die Tätigkeit der Klägerin – angesichts des vorgerichtlichen Schriftverkehrs und der Zeitpunkte der geschlossenen Abtretungsvereinbarungen – ganz offensichtlich jedenfalls im Kern auf die gerichtliche Durchsetzung der Ansprüche gerichtet, was zwar nicht per se unzulässig ist (vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 – II ZR 84/20, Rn. 12 ff), aber eben nicht dem typischen Inkasso entspricht, sondern davon abweicht. So musste im streitgegenständlichen Fall auch weit mehr als eine für das Inkasso typische bloße Schlüssigkeitsprüfung (vgl. Hartmann, NZM 2019, 353, 358; LG Hannover, Urteil vom 1. Februar 2021 – 18 O 34/17, Rn. 290 – Zuckerkartell (CDC)) erfolgen, sondern eine umfangreiche Sachverhaltsaufarbeitung, die zwar beklagtenseits als noch immer unzureichend kritisiert wird, aber sogar ein ökonomisches Sachverständigengutachten umfasst. Auch, dass sich die Klägerin als Inkassodienstleister auf den Beklagten als einzigen Schuldner beschränkt, ist äußerst untypisch. Inkassodienstleister setzen in der Regel für ihre Kunden eine Vielzahl von Forderungen gegenüber verschiedenen Schuldner durch.

(3)

(105) Dieser Auslegung des Rechtsdienstleistungsgesetzes widerspricht auch nicht der unionsrechtliche Effektivitätsgrundsatz.

(106) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union müssen die nationalen Gerichte, die im Rahmen ihrer Zuständigkeit das Unionskartellrecht anzuwenden haben, die volle Wirkung von dessen Bestimmungen gewährleisten und die Rechte schützen, die das Unionsrecht dem Einzelnen verleiht. Die volle Wirksamkeit von Art. 101 AEUV setzt danach voraus, dass jedermann Ersatz des Schadens verlangen kann, der ihm durch gegen diese Bestimmung verstoßende Absprachen entsteht. Bei der Anwendung der einzelstaatlichen Regelungen über Voraussetzungen und Durchsetzung des Anspruchs auf Schadensersatz haben die nationalen Gerichte den Effektivitätsgrundsatz zu beachten, also dafür Sorge zu tragen, dass die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert wird (EuGH, Slg. 2001, I-6297 Rn. 25 ff. – Courage und Crehan; Slg. 2006 I-6619 Rn. 89 ff. – Manfredi; BGH, Urteil vom 11. Dezember 2018 – KZR 26/17, Rn. 56 – Schienenkartell I).

(107) Das Unionsrecht fordert hingegen nicht, dass das nationale Recht das sog. „Sammelklagen-Inkasso“ zulässt. Vielmehr bestehen auch im deutschen, nationalen Recht eine Vielzahl von Rechtsschutzmöglichkeiten, die Kartellgeschädigten den Zugang zum Recht erleichtern und damit eine effektive Kartellrechtsdurchsetzung auch im Bereich des Zivilrechts ermöglichen. Neben den althergebrachten Möglichkeiten zur Bündelung mehrerer Ansprüche mehrerer Kartellgeschädigter in Form einer Sammelklage durch subjektive und objektive Klagehäufung (§§ 59 ff, 260 ZPO) lässt das deutsche Recht auch ohne weiteres Sammelklagen mit Abtretungsmodell zu, soweit das wirtschaftliche Risiko der Forderungseinziehung beim Dienstleister liegt (sog. echtes Factoring: BGH, Urteil vom 21. März 2018 – VIII ZR 17/17). Auch die Prozessfinanzierung durch Dritte kommt in Betracht und ist zulässig, soweit sie keine Rechtsdienstleistung (§ 2 RDG) darstellt, sei es durch Rechtsschutzversicherungen oder Finanzdienstleister, die sich von einem (mutmaßlich) kartellgeschädigten Kläger eine Gewinnbeteiligung versprechen lassen. Die Bündelung gleichgelagerter Ansprüche zwecks gemeinsamer Rechtsdurchsetzung zu Gunsten des „massenhaft“ betroffenen Verbrauchers erlaubt und fokussiert gerade die (wenn auch nur für Verbraucherschutzverbände zugängliche) Musterfeststellungsklage in §§ 606 ff. ZPO (vgl. Mengden, NZKart 2018, 398, 400; kritisch Mallmann/Erne, NZKart 2019, 77). Angesichts des weit auszulegenden Verbraucherbegriffs des Art. 101 Abs. 3 AEUV, der sämtliche Abnehmer auf allen Handelsstufen bis zum Endverbraucher erfasst (vgl. nur Immenga/Mestmäcker/Ellger, 6. Aufl. 2019, AEUV Art. 101 Abs. 3 Rn. 231), scheint nicht von vornherein ausgeschlossen, dass diese bei unionsrechtskonformer Auslegung der ZPO auch (mutmaßlich) kartellgeschädigten Unternehmen als „Verbrauchern“ offensteht.

cc)

(108) Bei Berücksichtigung des Schutzzwecks des Rechtsdienstleistungsgesetzes, die Rechtsuchenden, den Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen zu schützen (§ 1 Abs. 1 Satz 2 RDG), der grundrechtlich verbürgten Berufsausübungsfreiheit der Klägerin – soweit sich die Klägerin als inländische Tochtergesellschaft eines ausländischen Konzerns im Rahmen des Art. 2 Abs. 1 GG auf das Deutschengrundrecht des Art. 12 Abs. 1 GG überhaupt berufen kann (vgl. Dürig/Herzog/Scholz/Remmert, 95. EL Juli 2021, GG Art. 19 Abs. 3 Rn. 85; a. A. Sachs/Sachs, 9. Aufl. 2021, GG Art. 19 Rn. 56) –, der Eigentumsgarantie der Zedentinnen (Art. 14 Abs. 1 GG) sowie dem Grundsatz des Vertrauensschutzes überschreitet die Tätigkeit der Klägerin den von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG gesetzten Rahmen eindeutig und weit.

dd)

(109) Nichts anderes ergibt sich aus den klägerseits zitierten Verfügungen und Beschlüssen der Oberlandesgerichte Stuttgart (Verfügung vom 23. August 2021 – 5 U 173/21; Beschluss vom 19. Oktober 2021 – 12 U 147/21), München (Verfügung vom 15. September 2021, Az.: 20 U 5311/21) und Celle (Beschluss vom 30. September 2021 – 16 U 421/21) die offensichtlich keine kartellrechtlichen Ansprüche zum Gegenstand hatten (und auch nicht vom jeweiligen Kartellsenat getroffen wurden).

(110) Damit verstößt die Klägerin mit ihrer Tätigkeit im vorliegenden Fall gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz, da sie die ihr verliehene Befugnis zum Inkasso überschreitet.

c)

(111) Da die Klägerin das „Sammelklage-Inkasso“ als eigenständiges Geschäft betreibt, handelt es sich auch nicht um eine nach § 5 Abs. 1 RDG zulässige Rechtsdienstleistung im Zusammenhang mit einer anderen Tätigkeit (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2013 – IV ZR 46/13, NJW 2014, 847 Rn. 30; die Kammer im Urteil vom 18. Februar 2018 – 30 O 72/18). Ein eigenständiges Geschäft im Sinne dieser Vorschrift liegt vor, wenn die Forderungseinziehung innerhalb einer ständigen hauptberuflichen oder nebenberuflichen Inkassotätigkeit oder außerhalb einer solchen nicht lediglich als Nebenleistung im Zusammenhang mit einer anderen beruflichen Tätigkeit erfolgt (BT-Drucks. 16/3655, S. 49; Senatsurteil vom 21. März 2018 - VIII ZR 17/17, aaO Rn. 30 m.w.N.; BGH, Urteil vom 27. November 2019 – VIII ZR 285/18 –, BGHZ 224, 89-177, Rn. 106). So liegen die Dinge hier.

d)

(112) Der Verstoß führt auch zur Nichtigkeit der Abtretungsverträge.

aa)

(113) Der Verstoß des registrierten Inkassodienstleisters gegen § 3 RDG hat grundsätzlich auch die Nichtigkeit der zugrundeliegenden Rechtsgeschäfte gemäß § 134 RDG zur Folge.

(114) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind gegen § 3 RDG verstoßende schuldrechtliche Vereinbarungen, aber auch Verfügungsverträge wie die - hier in Rede stehende - Abtretung einer Forderung im Regelfall gemäß § 134 BGB nichtig, wenn diese auf die Erbringung einer nicht erlaubten Rechtsdienstleistung zielen (BGH, Urteil vom 27. November 2019 – VIII ZR 285/18 –, BGHZ 224, 89-177, Rn. 58; BGH, Urteil vom 11.12.2013 – IV ZR 46/13, Rn. 31; BGH, Urt. v. 30. 10. 2012 – XI ZR 324/11, Rn. 34; BGH, Urteil vom 27. November 2019 – VIII ZR 285/18, Rn. 56 ff.).

bb)

(115) Es liegt auch kein Ausnahmefall vor, bei dem ein Verstoß des Inkassodienstleisters gegen nicht die Nichtigkeit der damit zusammenhängenden Verfügungsgeschäfte zur Folge hätte. Zwar ist § 134 BGB dahin verfassungskonform auszulegen, dass die Nichtigkeitsfolge nicht eintritt, wenn sie unverhältnismäßig wäre (BGH, Urteil vom 27. November 2019 – VIII ZR 285/18, Rn. 90). In der Regel kommt damit die Annahme einer Nichtigkeit nur in Betracht, wenn bei umfassender Würdigung der Gesamtumstände aus der objektivierten Sicht eines verständigen Auftraggebers die Inkassobefugnis eindeutig überschritten wird und unter Berücksichtigung der Zielsetzung des Rechtsdienstleistungsgesetzes, den Rechtssuchtenden vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen zu schützen, nicht nur geringfügig ist (BGH a.a.O.). So liegen die Dinge hier.

(116) Die Annahme der Nichtigkeitsfolge für die Vorverträge, die ursprünglichen Forderungskaufverträge, die ursprünglichen Abtretungen und die Bestätigungsverträge ist vielmehr bei Würdigung der gesamten Umstände unter Berücksichtigung der genannten Grundsätze nicht unverhältnismäßig. Der grobe Verstoß (s.o.) war aus der objektivierten Sicht eines verständigen Auftraggebers angesichts Vorstehendem und insbesondere auch der in den Medien diskutierten Schwierigkeiten bei der (Rechts-)durchsetzung von komplexen Kartellschadensersatzansprüchen wegen der damit verbundenen Rechts- und Tatfragen eindeutig und nicht nur geringfügig. Für den Kunden des registrierten Inkassodienstleisters ist im Falle einer nicht nur geringfügigen Überschreitung der Inkassodienstleistungsbefugnis (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG) die Nichtigkeit nach § 134 BGB hinsichtlich der mit der Inkassodienstleistung verbundenen Rechtsgeschäfte auch deshalb nicht unzumutbar, weil für ihn die Möglichkeit besteht, bei dem Inkassodienstleister, der nach § 12 Abs. 1 Nr. 3 RDG über eine Berufshaftpflichtversicherung mit einer Mindestversicherungssumme von 250.000 EUR für jeden Versicherungsfall verfügen muss, Regress zu nehmen (BGH, Urteil vom 27. November 2019 – VIII ZR 285/18, BGHZ 224, 89-177, Rn. 93). Soweit die Rechtsdienstleistung – wie hier – höhere Mindestversicherungssummen erfordert, ist diese ohnehin durch die zuständige Behörde im Wege der Auflage anzuordnen (BT-Drs. 16/3655, Seite 68). Dadurch ist sichergestellt, dass der Rechtsdienstleister in jedem Fall über eine die Höhe der abgetretenen Forderung deckende Haftpflichtversicherung verfügt. Es ist nicht dargetan, dass die Klägerin nicht über eine ausreichende Haftpflichtversicherung verfüge. Darüber hinaus trägt die Klägerin selbst vor, über beachtliches Vermögen zu verfügen.

2.

(117) Der Klägerin fehlt auch deshalb die Aktivlegitimation, weil die Vorverträge, die ursprünglichen Forderungskaufverträge sowie der schuldrechtliche Teil der Bestätigungsverträge wegen eines Verstoßes gegen § 4 RDG nichtig sind und die Nichtigkeit auf die ursprünglichen und die in den Bestätigungsverträgen enthaltenen Abtretungen durchschlägt.

a)

(118) § 4 RDG verbrieft den Grundsatz, dass Rechtsdienstleistungen nicht erbracht werden dürfen, wenn sie mit einer anderen Leistungspflicht unvereinbar sind (RegE RDG, BT-Drucks. 16/3655, S. 39, 51). Der Sinn und Zweck des § 4 RDG besteht darin, Interessenkollisionen zu vermeiden (BGH, Urteil vom 14. Januar 2016 - I ZR 107/14, ZIP 2016, 2169 Rn. 31; Urteil vom 27. November 2019 - VIII ZR 285/18, BGHZ 224, 89 Rn. 189 m.w.N.).

(119) Ein (auch einseitiger) Verstoß gegen § 4 RDG hat die Nichtigkeit der betroffenen Regelung zur Folge, entweder, weil man § 4 RDG selbst als Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB qualifiziert oder einen Verstoß gegen § 4 RDG „lediglich“ dahingehend wertet, dass ein solcher immer auch einen Verstoß gegen § 3 RDG als Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB bedingt (so i.E. wohl BGH, Urteil vom 27. November 2019 – 285/18, Rn. 186; bejahend: LG München I, Urteil vom 7. Februar 2020 – 37 O 18934/17, Rn. 203; LG Ingolstadt, Urteil vom 7. August 2020 – 41 O 1745/18, Rn. 3028; LG Stuttgart, Urteil vom 10. Januar 2022 – 53 O 260/21; offengelassen: BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 – II ZR 84/20; bejahend: BeckOK RDG/Grunewald, 19. Ed. 1.10.2021, RDG § 4 Rn. 38; Deckenbrock/Henssler/Deckenbrock, 5. Aufl. 2021, RDG § 4 Rn. 33; Krenzler, Rechtsdienstleistungsgesetz, RDG § 4 Rn. 18, beck-online; Johnigk in: Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Aufl. 2020, § 4 RDG Rn. 1; offen: Tolksdorf, ZIP 2019, 1401, 1410).

(120) Eine Unvereinbarkeit, die der rechtsdienstleistenden Tätigkeit entgegensteht, liegt allerdings nicht bei jeder Form einer möglicherweise bestehenden Interessenkollision vor, sondern nur dann, wenn die Rechtsdienstleistung unmittelbar gestaltenden Einfluss auf den Inhalt der bereits begründeten Hauptleistungspflicht des Leistenden haben kann. Zudem muss gerade hierdurch die ordnungsgemäße, d.h. objektive, frei von eigenen Interessen erfolgende Erfüllung der Rechtsdienstleistungspflicht gefährdet sein (RegE RDG, BT-Drucks. 16/3655, S. 51; BGH, Urteile vom 5. März 2013 - VI ZR 245/11, NJW 2013, 1870 Rn. 12 und vom 13. Juli 2021 – II ZR 84/20 –, Rn. 46, juris).

b)

(121) Eine solche Gefährdung der ordnungsgemäßen Erfüllung einer anderen Leistungspflicht liegt hier sowohl im Verhältnis der Klägerin zu den einzelnen Zedentinnen untereinander vor (nachfolgend aa) als auch im Verhältnis der Klägerin zu den Zedentinnen einerseits und dem Prozessfinanzierer bzw. der Muttergesellschaft des Prozessfinanzierers der Klägerin andererseits (nachfolgend bb) sowie angesichts der zwischen der Klägerin und den Zedentinnen vereinbarten Vergütungsregelung (nachfolgend cc).

aa)

(122) Eine andere Leistungspflicht im Sinne des § 4 RDG wird zum einen dadurch begründet, dass die Klägerin als Inkassodienstleister – selbst wenn sie sich hierzu in den Vorverträgen und sonstigen Absprachen nicht ausdrücklich verpflichtet haben sollte – jeweils zur bestmöglichen Durchsetzung der abgetretenen Forderungen verpflichtet ist (BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 – II ZR 84/20, Rn. 49, juris). Eine wechselseitige Beeinflussung und Interessengefährdung ergibt sich im Verhältnis der Klägerin zu den jeweils einzelnen Zedentinnen untereinander. Denn die Klägerin hat eine Vielzahl einzelner Rechtsverfolgungsverträge und Abtretungsverträge geschlossen, aus denen sie gebündelt vorgeht. Die Pflichten aus den bereits abgeschlossenen Verträgen sind aufgrund der besonderen Umstände von kartellschadensersatzrechtlichen Ansprüchen generell und aufgrund der vorliegend gebündelt eingeklagten Ansprüche im Speziellen konkret geeignet, die Erfüllung der Leistungspflichten aus den jeweils weiteren Rechtsverfolgungsverträgen erheblich zu gefährden.

(1)

(123) Die gebündelte Geltendmachung einer Vielzahl an – wie hier der Fall – stark heterogener Ansprüche in einem gerichtlichen Verfahren ist geeignet, die Pflicht der Klägerin zur bestmöglichen Rechtsdurchsetzung gegenüber jeder einzelnen Zedentin zu beeinträchtigen. Vorliegend sind bereits sowohl der Kreis der Zedentinnen als auch die Art der Erwerbsvorgänge in vielerlei Hinsicht heterogen:

(124) Die Klägerin hat eine große Zahl von Zedentinnen eingeworben; in Frage stehen mit rund 336.000 zigtausende von Beschaffungsvorgängen über nahezu 40 Jahre hinweg. Privatwaldbesitzer, von denen Bezüge vorliegend ebenfalls in Frage stehen, gab es bzw. gibt es in Baden-Württemberg weit mehr als 200.000.

(125) Zwar haben alle Zedentinnen noch dasselbe Produkt (Rundholz aus Wäldern in Baden-Württemberg) auf – vermeintlich – demselben Markt (aus Staats-, Kommunal- und/oder Privatwald) erworben, hingegen nach eigenem klägerischen Vortrag definitiv schon nicht auf derselben Marktstufe. Die Klägerin räumt selbst ein, das Rundholz teils nicht direkt vom vermeintlichen Kartelltäter erworben wurde, sondern über Einkaufsgesellschaften.

(126) Zwar begehren alle Zedentinnen – nicht zuletzt wegen Fehlens einer nach § 33 Abs. 4 GWB 2005 bzw. § 33b GWB 2017 verbindlichen Entscheidung der Kartellbehörden – dieselbe rechtliche Beurteilung des mutmaßlichen Verstoßes im Rahmen der vorliegenden „stand-alone“-(Sammel-)Klage und können damit grundsätzlich von einem einheitlichen Verfahren zur Frage des Verstoßes in rechtlicher Hinsicht und – wohl – auch mit nur einer Beweisaufnahme profitieren, jedenfalls wenn es um die Schadenswahrscheinlichkeit und ökonometrisch bezifferten Schadenshöhe geht, sowie von der Gebührendegression. Ersteres bringt jedoch kaum einen Effizienzvorteil, da bereits in einem Parallelfall entschiedene oder geklärte Punkte in rechtlicher wie tatsächlicher Hinsicht – Letzteres etwa wegen der Verwertungsmöglichkeit von Inhalten aus beigezogenen Verfahrensakten bzw. anderweitig eingeholter gerichtlicher Sachverständigengutachten nach § 411a ZPO – regelmäßig ebenso wenig zusätzlichen Aufwand in weiteren Verfahren bereiten. Selbst wenn man einen Effizienzvorteil unterstellt, wird dieser jedenfalls durch den Aufwand, der aufgrund der Bündelung im Zessionsmodell erforderlichen Prüfung der Abtretungen in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht sowie der Feststellung des individuellen Schadens für jeden konkreten Erwerbsvorgang entsteht, nicht nur aufgezehrt, sondern letztlich in sein Gegenteil verkehrt.

(127) So ist insbesondere zu den Abtretungen vieles bestritten worden und sind hierzu zunächst jeweils gesonderte Feststellungen zu treffen. Das Zessionsmodell erweitert den Rechtsstreit mithin um eine erhebliche Anzahl weiterer komplexer Tatsachen- und Rechtsfragen und zieht ihn im Vergleich zur Geltendmachung der Ansprüche durch die einzelnen Zedentinnen erheblich in die Länge. Diese Schwierigkeiten tatsächlicher und rechtlicher Art, die sich im Rahmen der Abtretung bei einzelnen Zedentinnen stellen, gehen zulasten aller Zedentinnen und kollidieren daher mit der Pflicht der Klägerin zur bestmöglichen Rechtsdurchsetzung eines jeden einzelnen Zedentinnen (vgl. LG München I, Urteil vom 07. Februar 2020 – 37 O 18934/17, Rn. 179, juris).

(128) Ungeachtet Vorstehendem sind auch die Unterschiede unter den Zedentinnen enorm, was allein deshalb eine bestmögliche Rechtsdurchsetzung eines jeden einzelnen Zedentinnen verhindert.

(129) So sind im Rahmen des Antrags Ziffer I. etwa von der Zedentin D. KG lediglich 5 Erwerbsvorgänge mit einem Volumen von 62.793,81 EUR streitgegenständlich, während etwa von der „Zedentin“ K. (K. GmbH, H. GmbH) zuletzt 59.633 Erwerbsvorgänge mit einem Volumen von 182.274.596,00 EUR anhängig sind. Die Heterogenität der Zedentinnen wird auch daran deutlich, dass mehr als die Hälfte der rund 336.000 Bezugsvorgänge im Antrag Ziffer I. auf die fünf größten Zedentinnen K., Do. GmbH, Ke., S. und R. entfallen. Allein dieses Übergewicht bedingt, dass zuletzt beispielsweise wegen unzureichender Beweisunterlagen einer dieser dominierenden Zedentinnen ein größerer Abschlag bei einem etwaigen Vergleich hingenommen wird bzw. in einer Entscheidung hinzunehmen ist o.dgl., wie ansonsten der Fall, wenn es allein auf die Interessen zahlenmäßig weniger bedeutsamer, jedoch über hervorragende Nachweise zum streitigen Beschaffungsvorgang verfügender Zedentinnen o.dgl. der Fall wäre.

(130) Dass sich eine unterschiedlich gute Dokumentenlage auf die Beweislage und damit die Erfolgsaussichten auswirkt, ist offensichtlich.

(131) Dementsprechend kann nicht ausgeschlossen werden, dass der einzelne Kunde der Klägerin durch einen Vergleichsschluss, der mehrere an die Klägerin abgetretene Forderungen umfasst, das Risiko übernimmt, dass der auf ihn entfallende Anteil der Vergleichssumme deshalb geringer ausfällt, weil die Klägerin Forderungen mit geringerer Durchsetzungsaussicht gebündelt mit solchen mit besseren Erfolgsaussichten geltend gemacht hat. Auch werden für Ansprüche aus dem Nachkartellzeitraum Abschläge vorgenommen. Es wird also keine Rücksicht auf die individuellen Erfolgsaussichten der einzelnen Ansprüche genommen, insbesondere was „Erwerbsweg bzw. -art“ und vor allem Dokumentation angeht. Dies läuft den Interessen der einzelnen Zedentin zuwider (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 – II ZR 84/20 –, Rn. 55, juris).

(132) Gleiches gilt mit Blick auf den Erwerbszeitpunkt: Zedentinnen, die überwiegend zu einem frühen Zeitpunkt erworben haben, unterliegen einem höheren Risiko, dass ihre Ansprüche verjährt sind, als andere. Für besonders späte Erwerbsvorgänge ist dagegen das Risiko, dass sich das Kartell nicht mehr ausgewirkt hat, höher.

(133) Hinzukommt, dass sich die Klägerin zur Begründung der geltend gemachten Schadensersatzforderung bei tausenden von Beschaffungsvorgängen (auch) auf einen sogenannten Preisschirmeffekt für Erwerbe von potentiell nicht am Kartell Beteiligter beruft; die Darlegungs- und Beweislast für derartige Ansprüche ist generell allerdings noch höher als diejenige beim unmittelbaren oder mittelbaren Erwerb (vgl. zu Letzterem (BGH, Urteil vom 19. Mai 2020 – KZR 8/18, Rn. 38 ff. – Schienenkartell IV).

(134) Das Zessionsmodell erweitert den Rechtsstreit mithin auch insofern um eine erhebliche Anzahl weiterer komplexer Tatsachen- und Rechtsfragen und zieht ihn im Vergleich zur Geltendmachung der Ansprüche durch die einzelnen Zedentinnen erheblich in die Länge. Auch hier gehen Schwierigkeiten tatsächlicher und rechtlicher Art, die sich im Rahmen der Abtretung bei einzelnen Zedentinnen stellen, zulasten aller Zedentinnen und kollidieren daher mit der Pflicht der Klägerin zur bestmöglichen Rechtsdurchsetzung eines jeden einzelnen Zedentinnen (vgl. LG München I, Urteil vom 7. Februar 2020 – 37 O 18934/17, Rn. 179, juris).

(135) Dementsprechend differieren auch die Vorstellungen der Zedentinnen über einen „erfolgreichen“ Prozess erheblich. Tatsächlich partizipieren durch die Bündelung dieser stark heterogenen Ansprüche die einzelnen Zedentinnen – insbesondere diejenigen, deren Erfolgsaussichten grundsätzlich positiv erscheinen – überproportional am Risiko, das mit der Erhebung der weniger aussichtsreichen Klagen verbunden ist (vgl. dazu BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 – II ZR 84/20, Rn. 55, juris; LG München I, Urteil vom 7. Februar 2020 – 37 O 18934/17, Rn. 177, juris).

(2)

(136) Soweit im Vergleich zu einer jeweils individuellen Anspruchsdurchsetzung einer gebündelten Geltendmachung einzelne Vorteile gegenüberstehen (s.o.), vermögen diese das vorbezeichnete Risiko nicht aufzuwiegen.

(137) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist zu beachten, dass das beschriebene Risiko des einzelnen Kunden umso weniger ins Gewicht fällt, je mehr die Durchsetzungsaussichten der jeweiligen Forderungen in rechtlicher bzw. tatsächlicher Hinsicht übereinstimmen (BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 – II ZR 84/20 –, Rn. 55, juris). Umgekehrt ist dieses Risiko umso gewichtiger, je unterschiedlicher die Erfolgsaussichten der einzelnen Ansprüche sind.

(138) Aus diesem Grund mag das Risiko, einer Unterkompensation der einzelnen Zedentin durch die aufgezeigten Vorteile aufgewogen werden, wenn es sich – wie im Fall des Bundesgerichtshofs – um die gebündelte Geltendmachung von Ansprüchen mit im Wesentlichen gleichen Lebenssachverhalten und mit einem überschaubaren Streitwert handelt, deren Höhe im Wesentlichen unstreitig ist und nur von wenigen, gemeinsamen Tatbestandsmerkmalen abhängten.

(139) Hieran fehlt es vorliegend. So sind vielleicht noch die Tatbestandsmerkmale eines schuldhaften Verstoßes der Beklagten gegen europäisches oder nationales Kartellrecht – trotz aller rechtlicher Komplexität insofern (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juni 2018 – KVR 38/17 – Rundholzvermarktung; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15. März 2017 – VI-Kart 10/15 (V)) – einheitlich und gemeinsam zu beantworten, hingegen bereits die Kartellbetroffenheit der Erwerbsvorgänge in sachlicher wie zeitlicher Hinsicht nicht ohne Weiteres (vgl. etwa allein die in der Spanne zwischen 100 Hektar und 3.000 Hektar Flächen oder der Holzherkunft liegende mögliche Differenzierung beim Kartellverstoß). Kern der Auseinandersetzung bildet darüber hinaus die Aktivlegitimation hinsichtlich der einzelnen Erwerbsvorgänge, der konkrete und individuelle kartellbedingte Schaden und die auf jeden Erwerbsvorgang bezogene Verjährung. Hinsichtlich dieser Einzelfragen, von deren Beantwortung die Durchsetzung des jeweiligen individuellen Anspruchs abhängt, besteht nahezu keiner der zuvor genannten Vorteile der gebündelten Geltendmachung, so dass das Risiko des für die einzelnen Zedentinnen nachteiligen Vergleichsschlusses nicht aufgewogen wird. Es liegt ein struktureller Interessenkonflikt vor, der auch nicht durch die Bildung von Anspruchsgruppen aufgefangen werden kann. Aufgrund der aufgezeigten Besonderheiten der ebenso zahlreichen wie diversen Erwerbsvorgänge ist nicht ersichtlich, wie sich eine sinnvolle Gruppenbildung darstellen könnte. Die Klägerin hat solche Gruppen auch nicht gebildet, allenfalls mit Blick auf eine Differenzierung zwischen Ansprüchen aus Erwerbsvorgängen vom Kartellanten und solchen vom Kartellaußenseiter (vgl. Anlage K 84b) sowie im Hinblick auf aus ihrer Sicht belegte Erwerbsvorgänge (Antrag Ziffer I.) und geschätzte Erwerbsmengen (Antrag Ziffer II.).

(140) Dieses Ergebnis führt auch nicht zu einem Wertungswiderspruch mit der zivilprozessualen Möglichkeit, der gemeinsamen Klageerhebung der einzelnen Zedentinnen als jeweils eigenständige Parteien im Wege der subjektiven und bezogen auf die vielen Beschaffungsvorgänge objektiven Klagehäufung. Zum einen steht einem solchen Vorgehen gerade keine gesetzliche Regelung in Form des § 4 RDG entgegen. Zum anderen behalten die Zedentinnen aufgrund ihrer Parteirolle die Kontrolle über den Rechtsstreit; sie sind nicht in eine passive Rolle gedrängt, sondern können aktiv den Prozess mitgestalten.

bb)

(141) Unmittelbarer Einfluss auf die Leistungserbringung der Klägerin gegenüber den Zedentinnen und eine damit einhergehende relevante Gefährdung gemäß § 4 RDG folgen auch aus dem der Prozessfinanzierung im vorliegenden Fall zugrundeliegenden rechtlichen Konstruktion.

(1)

(142) Zwischen den Parteien ist streitig, ob die Klägerin, die im Garantievertrag (Anlage K 12) unter § 1 Abs. 4 angeführte Beteiligungsvereinbarung mit der im Garantievertrag „Prozessfinanzierer“ bezeichneten „B.“, also der Muttergesellschaft der Klägerin, zuletzt tatsächlich und wenn ja, mit welchem Inhalt abgeschlossen hat. Hierauf, also auf die Frage, ob und welche Pflichten die Klägerin aufgrund von konkreten Abreden, Patronatserklärungen o.ä. gegenüber „B.“ oder den weiteren, an der Prozessfinanzierung beteiligten Unternehmen hat, wie etwa derjenigen der G. LC und/oder C. LLC (Schwestergesellschaft Klägerin), die nach eigenem klägerischen oder unwidersprochen gebliebenem Vortrag jedenfalls Überweisungen zur Sicherung der Prozesskosten auf das klägerseits eingerichtete Notaranderkonto erbracht haben. Gleichwohl liegen „andere Leistungspflichten“ im Sinne von § 4 RDG allein deshalb vor, weil die Klägerin gegenüber dem Prozessfinanzierer / der Muttergesellschaft „B.“ als alleinige Gesellschafterin einer gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht unterliegt (vgl. hierzu ausführlich m.w.N.: LG Stuttgart, Urteil vom 10. Januar 2022 – 53 O 260/21). Dem stehen die Ausführungen des Bundesgerichtshofs in seinem Urteil vom 27. November 2019 (VIII ZR 285/18, juris) nicht entgegen, da sich der Bundesgerichtshof dort nur zur Prozessfinanzierung- und einer insofern bestehenden „anderen Leistungspflicht“ im Zweipersonenverhältnis äußert, nicht jedoch zu Pflichten des Rechtsdienstleisters zu einem Prozessfinanzierer als einer dritten Person (ebenso LG Stuttgart, 53 O 260/21) geäußert hat.

(143) Dass es sich insoweit um eine zu berücksichtigende „andere Leistungspflicht“ der Klägerin handelt, folgt auch aus dem in § 4 RDG 2021 neu eingefügten Satz 2 und eben gerade nicht Gegenteiliges (vgl. zu Letzterem ausführlich LG Stuttgart, 53 O 260/21).

(2)

(144) Die der Klägerin gemäß Vorstehendem obliegenden Pflichten gegenüber ihrer Muttergesellschaft, dem Prozessfinanzierer „B.“ sind geeignet, die Leistungserbringung gegenüber den Zedentinnen aus den Rechtsdienstleistungsverträge konkret zu gefährden.

(145) Aus den soeben dargestellten Pflichten der Klägerin gegenüber „B.“ folgt, dass die Klägerin bei der Beurteilung der Zweckmäßigkeit der Klageerhebung / der Einlegung von Rechtsmitteln und sonstiger kostenauslösender Maßnahmen, wie der Finanzierung von Sachverständigengutachten oder der aufwendigen Beweisaufnahme zu einem einzelnen Erwerbs- oder Abtretungsvorgang, unter kaufmännischen Gesichtspunkten auch zu berücksichtigen haben wird, ob und in welchem Umfang die Muttergesellschaft als Prozessfinanzierer bereit und in der Lage ist, Mittel hierfür zur Verfügung zu stellen. Dabei wird sie das Interesse der Muttergesellschaft, mit der Sammelklage möglichst schnell und unkompliziert ein wirtschaftlich angemessenes Ergebnis zu erzielen, also die verauslagten Kosten mit einer angemessenen Marge zu erzielen, besonders im Blick haben müssen. Dass die Muttergesellschaft mit ihrem Engagement altruistische Motive verfolgt, ist angesichts des Gegenstandes der Klagen und der potentiell Geschädigten nicht anzunehmen. Dies umso mehr, als die Klägerin als 100%ige Tochter des Prozessfinanzierers „B.“ (und nur mit dem gesetzlichen Stammkapital ausgestattet) über keinerlei „eigene“ Mittel verfügt, sondern der Prozessfinanzierer nach eigenem Vortrag der Klägerin sämtliche Kosten trägt. Dass eine solche Rücksichtnahmepflicht auf die wirtschaftlichen Interessen der Muttergesellschaft mit den Interessen eines einzelnen Zedentinnen, der ein Interesse an der möglichst effektiven Durchsetzung seines Anspruches hat, kollidieren kann, liegt auf der Hand. Dem stehen auch nicht die im Garantievertrag gemäß Anlage K 12 verbrieften Garantien, insbesondere das dort eingeschränkte Widerrufs- und Kündigungsrecht von „B.“ entgegen. Letzteres besteht ohnehin zum einen bereits dann, wenn die Klägerin eine Ausstattungsgarantie eines Dritten oder eine sonstige Sicherheit für sämtliche unter § 3 Abs. 1 der Garantieerklärung genannten Kosten erlangt, was nicht heißt, dass sie diese zu den gleichen Konditionen erlangt, wie die hiesige Prozessfinanzierung. Zum anderen kann „B.“ von seinem Engagement Abstand nehmen, wenn die Klägerin erklärt, dass sie ein Gerichtsverfahren noch nicht eingeleitet hat und nicht einzuleiten beabsichtigt, wobei dieses Recht zur Beendigung der Ausstattungsgarantie dem Prozessfinanzierer einseitig zusteht (vgl. Anlage K 12).

(146) Ein Gleichlauf der Interessen ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass sowohl die Muttergesellschaft der Klägerin als Prozessfinanzierer als auch die einzelnen Zedentinnen einen möglichst hohen Ertrag aus der Klage erzielen wollen. Der Ertrag für beide Parteien stellt sich nämlich völlig unterschiedlich dar. Für den Prozessfinanzierer ist es dann das wirtschaftlich beste Ergebnis, wenn die Marge, also das Verhältnis von eingesetztem Kapital und erzieltem Ertrag, maximal positiv zugunsten des Ertrages ist. Dass sich in diesem Fall auch der höchste Anspruch für die einzelne Zedentin ergibt, ist aber bei Weitem nicht zwingend. Sollte die Klägerin in erster Instanz wegen der oben aufgeführten Einzelprobleme im Rahmen der heterogenen Ansprüche teilweise obsiegen und teilweise unterliegen, ist es aufgrund der möglichen Kosten weiterer Instanzen naheliegend, dass die Klägerin in Abstimmung mit dem Prozessfinanzierer diese Kosten in den Fällen scheut, in denen diese nicht geeignet sind, auch im Erfolgsfall die Marge zu erhöhen und gleichzeitig das Risiko bergen, im Misserfolgsfall den Gewinn zu drücken. Dass dies den Interessen der einzelnen, in erster Instanz unterlegenen Zedentin widerspricht, ist offensichtlich.

(147) Zudem hat die Klägerin ihre Alleingesellschafterin aus der aufgezeigten Treuepflicht unverzüglich über ein Vergleichsangebot zu informieren und mit ihr nach Treu und Glauben über die Annahme eines solchen Vergleichsangebots oder die Unterbreitung eines Gegenangebots zu beraten. Da die „B.“ Alleingesellschafterin der Klägerin ist, mithin von einem Gewinn profitiert, steht (auch aufgrund der vorgenannten wirtschaftlichen Erwägungen) sowohl die faktische Einflussnahmemöglichkeit als auch das tatsächliche Einflussinteresse außer Frage. Insbesondere aufgrund der degressiven Gebührenordnung und der damit verbundenen, im Verhältnis zum Streitwert niedrigeren Prozesskosten dürfte für den Prozessfinanzierer die Rentabilität eines Vergleichsschlusses sehr viel früher eintreten als für die einzelne Zedentin (vgl. zu Letzterem LG München I, Urteil vom 7. Februar 2020 – 37 O 18934/17, Rn. 184, juris).

(148) Aus der Abhängigkeit der Klägerin von der Prozessfinanzierung folgt die konkrete Gefahr des Einflusses sachfremder Entscheidungskriterien für die Art und Weise der Rechtsdurchsetzung, die den Interessen der Zedentinnen zuwiderlaufen kann. Dies auch deshalb, weil die Muttergesellschaft, sollte die Klägerin sich deren Wünschen nicht beugen, ihr Weisungsrecht als Alleingesellschafterin gegenüber der Geschäftsführung der Klägerin ausüben und sie so zur Annahme des Vergleichs zwingen könnte (vgl. dazu: Altmeppen, GmbHG, 10. Aufl. 2021, § 37 Rn. 3). In der GmbH besteht darüber hinaus der Grundsatz der Weisungsabhängigkeit des Geschäftsführers. Der Geschäftsführer ist verpflichtet, Weisungen der Gesellschafter zu befolgen. Weisungen können die Gesellschafter den Geschäftsführern auch ohne satzungsgemäße Grundlage in jeder beliebigen Angelegenheit der (auch der laufenden) Geschäftsführung und mit jedem beliebigen Inhalt erteilen; dabei ist es gleichgültig, ob es sich um allgemeine Richtlinien oder um Einzelfallentscheidungen handelt (vgl. BGH, Urteil vom 14. Dezember 1959 – II ZR 187/57, BGHZ 31, 258, 278; OLG Düsseldorf, Urteil vom 15. November 1984 – 8 U 22/84, ZIP 1984, 1476, 1477 m.w.N.). Für Rechtsanwaltsgesellschaften hat sich der Gesetzgeber aufgrund der externen Einflussmöglichkeiten deshalb sogar entschieden, zum Schutze der Integrität und Unabhängigkeit der dort tätigen Rechtsanwälte vor einer solchen Einflussnahme durch Dritte, nur Angehörige bestimmter, freier Berufe, nicht aber Personen- oder Kapitalgesellschaften als Gesellschafter zuzulassen (Bormann/Strauß in: Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Aufl. 2020, § 59e BRAO, Rn. 1). Ein eigener Entscheidungsspielraum der Klägerin unabhängig von der Muttergesellschaft als Prozessfinanzierer ist demnach nicht ersichtlich und nach allgemeiner Lebenserfahrung real auch nicht gegeben.

(3)

(149) Dieser Interessengegensatz besteht auch dann, wenn man unterstellt, die Klägerin ermögliche es mit ihrem Vorgehen vielen Zedentinnen überhaupt erst, Zugang zum Recht zu erhalten, dass - mit anderen Worten - die Zedentinnen also alleine gar nicht geklagt hätten, wenn sie sich nicht dem bzw. einem Klagemodell wie demjenigen der Klägerin angeschlossen hätten.

(150) Dem widerspricht zum einen bereits die Realität, da bei der Kammer auch eine Einzelklage sowie eine solche in subjektiver Klagehäufung im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Handeln des Beklagten und einem darauf beruhenden vermeintlichen Schadensersatzanspruch anhängig sind. Aufgrund der pro Erwerbsvorgang behaupteten kartellbedingten Schäden sind auch schnell Streitwerte erreicht, die eine Rechtsverfolgung – ggf. unter Einbeziehung eines Prozessfinanzierers im Einzelfall – sinnvoll erscheinen lassen.

(151) Zum anderen greift diese Argumentation vor dem Hintergrund von Sinn und Zweck des RDG zu kurz: Das RDG will demjenigen, der sich - wie die Zedentinnen - zur Durchsetzung seiner Rechte entscheidet, bestmögliche Realisierung dieser Ansprüche ermöglichen. Eben dieses Ziel wird durch den Interessengegensatz zum Prozessfinanzierer gefährdet. Ein Vergleich mit denjenigen potentiell Geschädigten, die sich von vorneherein nicht zur Geltendmachung ihrer Rechte entscheiden, verbietet sich daher.

cc)

(152) Einen unmittelbaren Einfluss auf die für die Zedentinnen zu erbringende Rechtsdienstleistung hat auch das hier zwischen der Klägerin und den Zedentinnen für die in Frage stehende (im „B.“-Konzern zu erbringende) Rechtsdienstleistung nach RDG vereinbarte Vergütungsmodell, das Anreize für Kostensteigerungen setzt, da die Klägerin – wie auch aus oben dargestellten Gründen der Prozessfinanzierer „B.“ – von solchen (offenkundig) profitiert.

(1)

(153) Auch wenn insofern eine unmittelbare Anwendung des § 4 RDG ausscheidet, weil die Regelungen über die Vergütung der Klägerin, also die Verteilung der Erlöse zwischen der Klägerin und den Zedentinnen, keine „andere Leistung“ im Sinne des § 4 RDG ist (vgl. etwa BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 – II ZR 84/20, Rn. 59 am Ende), so ist die zwischen der Klägerin und den Zedentinnen getroffene, streitgegenständliche Vergütungsregelung unabhängig davon jedenfalls in entsprechender Anwendung des § 4 RDG verboten.

(154) Der Sinn und Zweck des § 4 RDG besteht, wie bereits dargelegt, darin, Interessenkollisionen zu vermeiden (vgl. BGH, Urteil vom 14. Januar 2016 - I ZR 107/14, NJW-RR 2016, 1056 Rn. 31 m.w.N.; BT-Drucks. 16/3655, S. 51, 67). Die Vorschrift geht nach den Ausführungen in der Gesetzesbegründung des Rechtsdienstleistungsgesetzes auf die zu Art. 1 § 1 Abs. 1, § 5 Nr. 1 RBerG im Bereich der Rechtsschutzversicherung ergangene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 20. Februar 1961 - II ZR 139/59, NJW 1961, 1113 unter II 3) zurück, die die Tätigkeit von Rechtsschutzversicherern betraf. Auch sollen nach dem Willen des Gesetzgebers Rentenberater nicht Versicherungen verkaufen oder Versicherungsmakler nicht Schadensregulierungen vornehmen (zum Ganzen: BGH, Urteil vom 27. November 2019 – VIII ZR 285/18, BGHZ 224, 89-177, Rn. 189 ff). Der Bundesgerichtshof hat in mehreren Entscheidungen betont, er habe die entsprechende Anwendung des § 4 RDG auf Fälle von Interessenkollisionen, die die Tatbestandsvoraussetzungen nicht erfüllen, nicht ausgeschlossen (BGH, Urteil vom 27. November 2019 – VIII ZR 285/18, BGHZ 224, 89-177, Rn. 213; BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 – II ZR 84/20, Rn. 61). Auch in der Kommentarliteratur wird teils die erweiternde oder entsprechende Anwendung des § 4 RDG auch auf die Fälle befürwortet, in denen Interessenkonflikte mit dem Rechtsdienstleister selbst bestehen (Deckenbrock/Henssler/Deckenbrock, 5. Aufl. 2021, RDG § 4 Rn. 18; a.A. Krenzler, Rechtsdienstleistungsgesetz, RDG § 4 Rn. 15; BeckOK RDG/Grunewald, 19. Ed. 1.10.2021, RDG § 4 Rn. 16). Denn Sinn und Zweck des Rechtsdienstleistungsgesetzes ist es, die Rechtsuchenden, den Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen zu schützen (§ 1 Abs. 1 Satz 2 RDG).

(155) Dementsprechend setzt ein Verstoß gegen § 4 RDG voraus, dass die ordnungsgemäße, d.h. objektive, frei von eigenen Interessen erfolgende Erfüllung der Rechtsdienstleistungspflicht gefährdet ist (RegE, BT-Drs. 16/3655, Seite 51, BGH, Urteil vom 5. März 2013 – VI ZR 245/11, NJW 2013, 1870, Rn. 12; BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 – II ZR 84/20, Rn. 46). Besteht ein grundsätzlicher Gleichlauf der maßgeblichen Interessen, führen allein geringfügige Abweichungen der Interessen nicht zu einer Gefährdung der ordnungsgemäßen Erbringung der Rechtdienstleistung (vgl. etwa BGH, Urteil vom 27. November 2019 – VIII ZR 285/18, Rn. 208).

(2)

(156) Ausgehend von den zitierten Maßstäben folgt – einen grundsätzlichen Gleichlauf der maßgeblichen Interessen unterstellt – aus der Vergütungsregelung der Klägerin eine Gefährdung für die ordnungsgemäße Erbringung der Rechtsdienstleistung der Klägerin.

(157) Dabei folgt zwar nicht bereits oder allein aus dem Umstand, dass die Klägerin mit den Zedentinnen eine Gewinnbeteiligung, also ein Erfolgshonorar, vereinbart hat, dass zwischen der Klägerin und den Zedentinnen Interessenkonflikte bestünden. Ebenso wenig ergibt sich ein solcher Interessenkonflikt in diesem Verhältnis daraus, dass die Klägerin zum Abschluss eines Vergleichs berechtigt ist. Im Grundsatz verfolgen die Klägerin und die jeweiligen Zedentinnen nämlich damit das gleiche Ziel, die jeweiligen Forderungen im möglichst großem Umfang zu realisieren. Daran ändert im Grundsatz auch nichts, dass die Klägerin die gesamten Kosten des erwarteten Rechtsstreits zu tragen hat. Eine prozentuale, erfolgsabhängige Vergütung kann im Gegenteil dazu beitragen, dass der den Prozess finanzierende Rechtsdienstleister einerseits nicht auf kostenintensive, aber aussichtsreiche Angriffsmittel verzichtet und andererseits nicht die Rechtsverfolgungskosten durch aussichtslose Angriffsmittel unnötig erhöht.

(158) Das konkrete streitgegenständliche Vergütungsmodell gefährdet jedoch durch seine Anreize zur kostenintensiven Prozessführung die ordnungsgemäße Erbringung der Rechtsdienstleistung. Die Klägerin hat mit den Zedentinnen vereinbart, dass von etwaigen Zahlungen des Beklagten zunächst die Klägerin eine Zahlung in Höhe des von ihr eingegangenen Kostenrisikos erhält. Zu diesem Kostenrisiko zählen zunächst die tatsächlichen eigenen Anwaltskosten, die Kosten für ökonomische Gutachter und Berater sowie etwaige Gerichtskosten und etwaige gesetzliche (nach RVG berechnete) gegnerische Rechtsanwaltskosten. Sodann erhält die Klägerin vom verbleibenden Betrag (etwaiger Zahlungen) das doppelte des vorgenannten Kostenrisikos. Insgesamt erhält die Klägerin damit das Dreifache des eingegangenen Kostenrisikos als Vergütung. Vom danach verbleibenden Restbetrag erhält die Klägerin (nochmals) 5 %, bevor die Zedentinnen von einem etwaig noch verbleibenden Restbetrag etwas erhalten.

(159) Anders als eine prozentuale Gewinnbeteiligung führt das Vergütungsmodell der Klägerin zu einem entscheidenden Fehlanreiz: Die Klägerin profitiert von hohen Rechtsverfolgungskosten und zwar auch dann, wenn die Rechtverfolgung nur in geringem Umfang erfolgreich ist. Sobald sich eine Klage zumindest in geringem Umfang erfolgversprechend darstellt und erst recht, wenn sie sich lediglich in geringem Umfang erfolgversprechend zeigt, bestehen für die Klägerin hohe Anreize zu kostenauslösenden Maßnahmen, wie dem Vereinbaren einer Vergütungsvereinbarung mit ihren Rechtsanwälten (§ 3a RVG), dem Beauftragen eines oder mehrerer Privatsachverständiger, dem Verzicht auf kostengünstigere Beweismittel (zum Beispiel Gutachter und Zeugen statt Vertragsurkunden) oder dem (ggf. mehrfachen) Beschreiten des vollständigen Instanzenzuges. Bestehen nur für einen kleinen Teil der Forderungen im Umfang von beispielsweise 25 Millionen Euro schon Erfolgsaussichten, könnte die Klägerin gleichwohl zu kostenauslösenden Maßnahmen verleitet sein. Bei dem allein durch Anwalts- und Gerichtskosten über drei Instanzen bestehenden Kostenrisiko von rund 3,5 Millionen Euro, erhielte die Klägerin hier am Ende eine Vergütung von rund 11,23 Millionen Euro. Abzüglich der Kosten von 3,5 Millionen verblieben ihr rund 7,2 Millionen Euro. Bei einem Kostenrisiko von beispielsweise 8 Millionen Euro würde die Klägerin im gleichen Szenario nach Abzug der höheren Kosten rund 16 Millionen verbleiben. Sie hätte ihren Gewinn verdoppelt. Der verhältnismäßig geringe prozentuale, kostenunabhängige Anteil der Klägerin wirkt sich zudem besonders dann aus, wenn die Ansprüche in hohem Umfang begründet sind. Die Klägerin hat dadurch den Anreiz, bei geringen, aber vorhandenen Erfolgsaussichten der Klage, besondere, auch unvernünftige Kostenrisiken einzugehen und auf Kosten ihrer Kunden unnötige Kosten zu produzieren. Gleiches gilt, wenn die Klägerin in (voller) Höhe von 450 Millionen obsiegen sollte. Bei einem Kostenrisiko von 8 Millionen Euro erhielte sie dann rund 45 Millionen Euro, bei einem Kostenrisiko von „nur“ 3,5 Millionen Euro erhielte sie lediglich rund 32,5 Millionen Euro. Zwar dürfte die Klägerin den Zedentinnen nach § 280 Abs. 1 BGB zum Schadensersatz verpflichtet sein, wenn sie bewusst unnötig hohe Kostenrisiken eingeht; Letzteres ist insbesondere in einem auf Kartellschadensersatz gerichteten Verfahren wegen seiner überaus hohen Komplexität im rechtlichen wie tatsächlichen relativ; darlegungs- und beweisbelastet für einen solchen Schadensersatzanspruch wären die Zedentinnen. Ohne einen solchen Nachweis, tritt keine Berufshaftpflicht ein.

(160) Vergegenwärtigt man sich zuletzt die oben dargestellte Abhängigkeit der Klägerin von der Muttergesellschaft, dem Prozessfinanzierer „B.“, potenziert sich die zuvor beschriebene Gefährdung (weiter).

(161) „B.“ hat als Wirtschaftsunternehmen naturgemäß auf den ersten Blick ein großes Interesse Zahlungen aus der erteilten „Garantie“ zu vermeiden, gleichwohl für das eigene „Investment“ eine möglichst hohe Rendite zu erzielen. Gegenüber etwaigen Schadensersatzansprüchen der Zedentinnen ist „B.“ schon deshalb weitgehend geschützt, weil zwischen „B.“ und den Zedentinnen kein Schuldverhältnis im Sinne des § 280 Abs. 1 BGB bestehen dürfte. Aufgrund des niedrigen Stammkapitals der Klägerin muss „B.“ auch im Falle einer Insolvenz der Klägerin keinen größeren Kapitalverlust über die von weiteren Konzerngesellschaften gezahlten Vorschüsse hinaus befürchten. Umfangreiche Haftungsansprüche der Zedentinnen gegenüber der Klägerin oder Regressforderungen des Berufshaftpflichtversicherers muss „B.“ daher nicht fürchten. Gleichwohl steht der Jahresüberschuss oder Bilanzgewinn der Klägerin den Gesellschaftern der Klägerin – hier allein „B.“ – zu; auch ist im Falle der Liquidation das Vermögen der Klägerin an sie auszuzahlen (§§ 29, 72 GmbHG).

(162) Nach alledem ist festzuhalten, dass die Vorverträge, ursprünglichen Forderungskaufverträge und der schuldrechtliche Teil der Bestätigungsverträge (auch) wegen Verstoßes gegen § 4 RDG gemäß § 134 BGB nichtig sind. Die Vergütungsregelung der Klägerin führt zu nicht hinnehmbaren Interessenskonflikten, die unmittelbaren Einfluss auf die streitgegenständliche Rechtsdienstleistung haben und deren ordnungsgemäße Erfüllung konkret gefährden. Die Nichtigkeit der Kausalgeschäfte schlägt auch auf die jeweiligen Abtretungen durch.

c)

(163) Eine Gefährdung der ordnungsgemäßen Erbringung der Rechtsdienstleistung und damit ein Verstoß gegen § 4 RDG scheidet schlussendlich auch nicht deshalb aus, weil die Zedentinnen bzw. der Prozessfinanzierer in den Verstoß eingewilligt hätten, indem sich aus den Abtretungsvereinbarungen ergab, dass die Ansprüche zur gebündelten Geltendmachung im Rahmen einer Sammelklage abgetreten werden.

(164) Das Verbot des § 4 RDG ist auch nicht disponibel, auf eine etwaige Einwilligung der Zedentinnen kommt es daher nicht an (so auch LG München I, Urteil vom 7. Februar 2020 – 37 O 18934/17; Rn. 190; LG Stuttgart, Urteil vom 10. Januar 2022 – 53 O 260/17; allg. Meinung: BeckOK RDG/Grunewald, 19. Ed. 1.10.2021, RDG § 4 Rn. 35; Krenzler, RDG § 4 Rn. 17, beck-online; Deckenbrock/Henssler/Deckenbrock, 5. Aufl. 2021, RDG § 4 Rn. 29; Johnigk in: Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Aufl. 2020, § 4 RDG, Rn. 17). Dies folgt bereits aus dem im öffentlichen Interesse verfolgten Zweck des RDG, den Rechtsuchenden vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen zu schützen (Remmertz, in: Krenzler, RDG, 2. Aufl. 2017, § 4 Rn. 17). Hierüber können die Parteien nicht verfügen.

d)

(165) Die Nichtigkeitsfolge ist bei Berücksichtigung der verfassungsmäßig garantierten Rechtspositionen der Beteiligten und den Interessen der Allgemeinheit (s.o.) auch nicht unverhältnismäßig. Ihr steht aus oben bereits dargelegten Gründen auch der unionsrechtliche Effektivitätsgrundsatz nicht entgegen.

e)

(166) Die Nichtigkeit der Vergütungsregelung führt auch zur Nichtigkeit der Vorverträge, der ursprünglichen Forderungskaufverträge und des schuldrechtlichen Teils der Bestätigungsverträge insgesamt als auch zur Nichtigkeit der ursprünglichen und der in den Bestätigungsverträgen enthaltenen Abtretungen.

aa)

(167) Dass die Vergütungsregelung nichtig ist, führt mangels eines Normativ feststehenden Werts der klägerischen Leistung auch zur Gesamtnichtigkeit (§ 139 BGB) der Verträge, weil die zwischen den Parteien vereinbarte Vergütung nicht in einen rechtmäßigen und einen unrechtmäßigen Teil aufgespalten werden kann (Ellenberger/Ellenberger, BGB, 81. Aufl., § 139 Rn. 10).

bb)

(168) Die Nichtigkeit erfasst auch die Abtretungen als Verfügungsgeschäft. Im Hinblick auf die Bestätigungsverträge ergibt sich das schon daraus, dass die Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäfte in einer einheitlichen Urkunde zusammengefasst sind (BAG Urteil vom 14. 12. 1966 - 5 AZR 168/66; BGH, Urteil vom 23-09-1981 - VIII ZR 242/80). Für die ursprünglichen Abtretungsverträge ergibt sich dies ohne weiteres aus dem Schutzzweck der Norm (s. o.). Die Nichtigkeit ist auch insoweit aus oben dargestellten Gründen nicht unverhältnismäßig.

3.

(169) Da die streitgegenständlichen Abtretungen ohnehin unwirksam sind, braucht die Kammer nicht mehr zu entscheiden, ob die ursprünglichen Forderungskaufverträge und Abtretungsverträge schon deshalb nichtig sind, weil die Klägerin mit den Zedentinnen – nach ihrem nach Schluss der mündlichen Verhandlung gehaltenen Vorbringen jedenfalls teilweise – bereits vor ihrer Registrierung Vorverträge abgeschlossen hat.

4.

(170) Nachdem der Klägerin ohnehin die Aktivlegitimation fehlt, kann offenbleiben, ob die Abtretungen auch gegen die guten Sitten verstoßen (§ 138 BGB).

5.

(171) Nachdem es der Klägerin schon an der Aktivlegitimation fehlt, bedarf es keiner Entscheidung der Kammer, ob die rund 336.000 Erwerbsvorgänge im Rahmen des Antrags Ziffer I., die in 36 gesonderten Excel-Tabellen vorgelegt sind (Anl. K 84b), und die in weiteren Excel-Tabellen bezeichneten, den Antrag Ziffer II. betreffenden Erwerbsvorgänge hinreichend substantiiert dargetan sind. Zweifel ergeben sich insoweit nicht nur im Hinblick auf die unübersichtliche, auf zahlreiche Dateien in verschiedenen Dateiordnern verteilte Form (anstatt einer übersichtlichen und eindeutig nummerierten Excel-Tabelle), sondern auch im Hinblick darauf, dass beispielsweise unklar ist, ob die genannten Landratsämter jeweils für den Beklagten oder für den Landkreis tätig waren, wer der jeweils betroffene Waldbesitzer ist und welches Datum dem jeweiligen Erwerbsvorgang zugeordnet wurde (Vertragsdatum, Liefertag, Rechnungsdatum oder Zahlungsdatum?). Teils wird als „Lieferant“ auch lediglich eine Postleitzahl und ein Ort (K84b, Zedentin F. KG) genannt.

6.

(172) Es kann folglich auch offenbleiben, ob das Verhalten des Beklagten die Voraussetzungen des Kartellverbots nach § 1 GWB oder Art. 101 AEUV (sowie der entsprechenden Vorgängervorschriften) überhaupt erfüllt und es sich insbesondere bei den streitgegenständlichen Vereinbarungen auch um Vereinbarungen zwischen (verschiedenen) Unternehmen handelt.

a)

(173) Das gilt einerseits schon im Hinblick auf die – unter den Parteien in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht streitige – Frage, ob der Beklagte überhaupt Adressat des Kartellverbots ist oder ob die streitgegenständliche Tätigkeit als nicht-wirtschaftlich anzusehen ist. Ob dabei – wie die Parteien meinen – im Vordergrund die Frage steht, ob die Tätigkeit des Beklagten hoheitlich ist bzw. untrennbar mit einer solchen hoheitlichen Tätigkeit verbunden ist, oder die Frage, ob die Tätigkeit des Beklagten auch unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Auftrags zum Schutze der natürlichen Lebensgrundlagen (Art. 20a GG) sowie der Ziele der Union zum Umweltschutz (Art. 3 EUV, Art. 198 ff AEUV) als Tätigkeit der Daseinsvorsorge (EuGH, Urteil vom 16. März 2004 – C264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/01) vom Kartellverbot erfasst oder ausgenommen ist, braucht nicht entschieden zu werden.

b)

(174) Es kann auch offenbleiben, ob die – mutmaßlichen – Mitkartellanten überhaupt andere Unternehmen sind oder ob für Vereinbarungen zwischen dem beklagten Land Baden-Württemberg und den baden-württembergischen Gemeinden und Landkreisen das sog. „Konzernprivileg“ zur Anwendung kommt. Wäre Letzteres der Fall, würde es an einem Verstoß fehlen: Die Rundholzbündelung mit den Kommunen würde vom Kartellverbot dann nicht erfasst, während die Rundholzbündelung mit den Privatwaldbesitzern legal wäre, da diese nach dem übereinstimmenden Parteivortrag so zu behandeln sind, als seien sie aufgrund ihrer Betriebsgröße von weniger als 100 Hektar nicht in der Lage, ohne den Beklagten ein wirtschaftliches Angebot am Markt abzugeben.

(175) Das Kartellverbot schützt die wettbewerbliche Handlungsfreiheit. Deshalb verstößt eine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung nicht gegen Art. 101 AEUV und § 1 GWB, wenn die beteiligten Rechtsträger miteinander verbunden sind und eine wirtschaftliche Einheit bilden, also nur ein einziges Unternehmen darstellen – sog. „Konzernprivileg“ (vgl. z.B. EuGH, Urteil vom 12. Juli 1984 – Rs. 170/83, Rn. 11; Kling/Thomas, Kartellrecht, 2007, § 4/130, § 17/77). Demnach sind die Wettbewerbsregeln unanwendbar, wenn den einzelnen Rechtsträgern die wettbewerblich geschützte Entscheidungsautonomie fehlt. Das ist insbesondere der Fall, wenn Rechtsträger gegenüber der Muttergesellschaft weisungsgebunden sind. Es fehlt dann an einem beschränkbaren (Binnen-) Wettbewerb sowohl zwischen den abhängigen Rechtsträgern – also den „Tochterunternehmen“ – untereinander als auch zum beherrschenden Rechtsträger – also der „Konzernmutter“.

(176) Bei privatrechtlichen Rechtsträgern ist für die Frage, ob mehrere Rechtsträger demselben kartellrechtlichen Unternehmen angehören oder gesonderte Unternehmen darstellen, zunächst der Umfang der wechselseitigen Beteiligung relevant. In dem speziellen Fall, dass ein Mutterunternehmen 100 % des Kapitals seines Tochterunternehmens hält, das eine Zuwiderhandlung begangen hat, besteht eine einfache Vermutung, dass dieses Mutterunternehmen einen bestimmenden Einfluss auf das Verhalten seines Tochterunternehmens ausübt (EuGH, Urteil vom 10. September 2009 – C-97/08 P – Akzo, Rn. 60). Aber auch Minderheitsbeteiligungen können für die Annahme eines „Konzerns“ ausreichen, wenn beherrschungsrelevante Faktoren hinzutreten. Auch Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträge sprechen gegen eine Autonomie der Tochtergesellschaft. Auf die rechtliche Unabhängigkeit eines Vorstands (§ 76 AktG) kommt es hingegen regelmäßig nicht an (zu alledem etwa Kling/Thomas, Kartellrecht, 2007, § 4/132, § 17/78). Selbst eine nur wirtschaftliche Abhängigkeit kann mehrere Rechtsträger zu einem Konzern verbinden (Bundeskartellamt, Tätigkeitsbericht 1973, BT-Drs. 7/2250, S. 82).

(177) Es fragt sich daher, an welchen Maßstäben die kartellrechtliche Autonomie von Gebietskörperschaften zu messen ist.

(178) Die Gemeinden sind nach der verfassungsmäßigen Ordnung des Grundgesetzes Teil der Staatsgewalt des jeweiligen Landes. Die Gemeinde ist Grundlage und Glied des demokratischen Staates (§ 1 Abs. 1 GemO). Gemeinden sind rechtsfähige Körperschaften des öffentlichen Rechts (BeckOK GG/Hellermann, 49. Ed. 15.11.2021, GG Art. 28 Rn. 23) und als solche rechtlich selbstständige Rechtsträger. Sie sind als Teil der Exekutive Träger der staatlichen Verwaltung mit der Besonderheit, dass ihnen Selbstverwaltungsrechte zustehen (Art. 28 Abs. 2 GG, Artt. 71 ff LV; vgl. nur BeckOK-GG/Hellermann, Stand: 15.05.2021, Art. 28 Rn. 20 ff.). Ihnen steht das Recht zur eigenverantwortlichen Regelung aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft zu. Dazu gehört auch die Gewährleistung der Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung (Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG).

(179) Die baden-württembergischen Gemeinden sind dabei zur Wahrnehmung von Aufgaben verpflichtet, bei deren Erfüllung sie teils den Weisungen des Beklagten unterworfen sind („Weisungsaufgaben“, § 2 Abs. 3 GemO) und teils nicht („Pflichtaufgaben“, § 2 Abs. 2 GemO). Darüber hinaus bestimmen die Gemeinden selbst, ob sie weitere Aufgaben übernehmen, welche Aufgaben sie übernehmen und wie sie diese ausüben (§ 2 Abs. 1 GemO). Im Rahmen der Weisungsaufgaben unterliegen die Gemeinden der Rechts- und Fachaufsicht durch das beklagte Land. Im Hinblick auf die weisungsfreien Angelegenheiten unterliegen die Gemeinden einer bloßen Rechtsaufsicht (§ 118 GemO), die nur eine begrenzte Einflussnahme des Staates ermöglicht.

(180) Für die Landkreise gilt Entsprechendes (§§ 1, 2, 51 LKrO). Dabei ist das Landratsamt einerseits Behörde des Landkreises als kommunaler Selbstverwaltungskörperschaft und andererseits zugleich als untere Verwaltungsbehörde staatliche Behörde (§ 1 Abs. 3 Satz 2 LKrO). Der Landrat, der Erste Landesbeamte und die weiteren Beamten des Landkreises und des Landes können dabei sowohl staatliche als auch kommunale Aufgaben wahrnehmen, ohne dass es einer personellen Trennung bedarf (§ 37 Abs. 2, §§ 42, 53 Abs. 1, § 56 Abs. 1 LKrO).

(181) Den Gemeinden und Landkreisen könnte aufgrund ihrer Selbstverwaltungsrechte bei kartellrechtlich-funktionaler Betrachtungsweise eine kartellrechtlich geschützte wettbewerbliche Autonomie zukommen. Soweit das beklagte Land, seine Kommunen und Landkreise am Markt als Wettbewerber auftreten, besteht auch ein Bedürfnis diesen (Binnen-) Wettbewerb vor Wettbewerbsbeschränkungen zu schützen. Insbesondere im Hinblick darauf, dass die Gemeinden und Landkreise jedoch zugleich für einen Teilbereich ihrer Aufgaben weisungsgebunden sind, stellt sich die Frage, ob die Kommunen dem „Konzern“ des Beklagten angehören und ob deshalb ungeachtet der kommunalen Selbstverwaltungsrechte die Anwendung des Kartellverbots ausgeschlossen ist. Das gilt insbesondere, soweit die Landratsämter als handelnde Behörden zugleich Behörde des Landkreises und staatliche Verwaltungsbehörden sind und Bedienstete sowohl für den Landkreis als auch für den Staat zugleich tätig sind.

7.

(182) Schließlich braucht auch nicht entschieden zu werden, ob dem auf Grundlage des § 32b GWB ergangenen Beschluss des Bundeskartellamts vom 9. Dezember 2008 (K76) eine auch gegenüber Dritten bindende, legalisierende Wirkung zukommt.

(183) Ebenso wenig braucht entschieden werden, ob ein Verschulden des Beklagten wegen eines „Tatbestandsirrtums“ (Quadruplik, Seite 272, Bd. VII, Bl. 1508) ausgeschlossen ist.

8.

(184) Es kann damit auch offenbleiben, ob und inwieweit die streitgegenständlichen Ansprüche verjährt sind. Das gilt insbesondere für die Frage, zu welchem Zeitpunkt die Verjährung von Schadenersatzansprüchen bei einem „seit jeher“ offen praktizierten Kartell beginnt (§ 199 Abs. 1 BGB, § 33h GWB 2017), ob das zweite – aus Sicht des Beklagten rechtswidrige – Verfahren des Bundeskartellamts eine etwaige Verjährung wirksam hemmen konnte (§ 33 Abs. 5 GWB a.F., § 33h Abs. 6 GWB 2017) und ob die fünfjährige Verjährungsfrist des § 33h Abs. 1 GWB 2017 auch für Ansprüche zur Anwendung kommt, die vor Inkrafttreten der die Kartellschadensersatzrichtlinie (2014/104/EU) umsetzenden 9. GWB-Novelle am 27. Dezember 2016 entstanden sind (§ 186 Abs. 3 Satz 2 GWB 2017, Art. 22 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104/EU, vgl. Schlussanträge des Generalanwalts vom 28. Oktober 2021 – C-260/20 [nicht in deutscher Sprache verfügbar]).

III.

(185) Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

(186) Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.

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