BGH: Rückzahlung des vom Schuldner angezahlten Kaufpreises bei Ablehnung der Vertragserfüllung seitens des Verwalters
BGH, Urteil vom 7.2.2013 - IX ZR 218/11
Leitsatz
Lehnt der Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Grundstückskäufers die Erfüllung des Kaufvertrages ab und sondert der Verkäufer das Grundstück aus, hat der Verwalter Anspruch auf Rückzahlung der vom Schuldner vor der Eröffnung geleisteten Anzahlung auf den Kaufpreis abzüglich des Nichterfüllungsschadens des Verkäufers.
InsO §§ 47, 95 Abs. 1 Satz 3, § 103
Sachverhalt
Der Kläger ist Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der G. mbH (fortan: Schuldnerin). Die Schuldnerin kaufte mit notariellem Vertrag vom 17. Januar 2006 von der Beklagten ein Grundstück zu einem Preis von 103.360 €. Zu ihren Gunsten wurde eine Auflassungsvormerkung in das Grundbuch eingetragen. Am 7. August 2006 zahlte die Schuldnerin einen Betrag von 83.360 € an die Beklagte. Sie bebaute das Grundstück.
Am 17. März 2008 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestimmt. Am 20. August 2008 erklärte der Kläger die Ablehnung der Erfüllung des Kaufvertrages. Die Beklagte verkaufte das zwischenzeitlich geteilte Grundstück anderweitig. Gegen Zahlung von insgesamt 24.650 € bewilligte der Kläger die Löschung der Auflassungsvormerkungen.
Der Kläger verlangt Rückzahlung der von der Schuldnerin angezahlten 83.360 € sowie Ersatz der durch die Bebauung bewirkten Werterhöhung des Grundstücks abzüglich bereits erhaltener Zahlungen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Beklagte, die sich auf Schadensersatzansprüche beruft, antragsgemäß verurteilt. Wegen des Betrages von 83.360 € nebst Zinsen hat der Senat die Revision der Beklagten zugelassen. Die Beklagte will insoweit die Zurückweisung der Berufung des Klägers erreichen.
Aus den Gründen
4 Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
5 I. Das Berufungsgericht hat - soweit nach der Teilzulassung noch von Interesse - ausgeführt: Nach Ablehnung der Erfüllung des beiderseits nicht vollständig erfüllten Grundstückskaufvertrages könne der klagende Insolvenzverwalter den von der Schuldnerin teilweise gezahlten Kaufpreis zurückverlangen, weil sein Interesse an der noch ausstehenden Leistung der Beklagten entfallen sei. Soweit der Beklagten ein Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung zustehe, stelle dieser kein Gegenrecht dar, sondern sei zur Tabelle anzumelden.
6 II. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
7 1. Im Ergebnis zutreffend hat das Berufungsgericht einen Anspruch des Klägers auf Rückzahlung des vor der Eröffnung teilweise entrichteten Kaufpreises dem Grunde nach bejaht.
8 a) Die Abwicklung des Kaufvertrages richtet sich nach § 103 InsO. Im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens war der Grundstückskaufvertrag von keiner Vertragspartei vollständig erfüllt worden. Weder hatte die Schuldnerin den Kaufpreis vollständig gezahlt (§ 433 Abs. 2 BGB), noch hatte die Beklagte der Schuldnerin das Eigentum an dem verkauften Grundstück verschafft (§ 433 Abs. 1 Satz 1 BGB). In einem solchen Fall steht dem Insolvenzverwalter das in § 103 InsO geregelte Wahlrecht zu. Er kann anstelle des Schuldners den Vertrag erfüllen und die Erfüllung vom anderen Teil verlangen (§ 103 Abs. 1 InsO), oder er kann die Erfüllung des Vertrages ablehnen (§ 103 Abs. 2 Satz 1 InsO). Lehnt der Verwalter - wie hier - die Erfüllung ab, bleibt der Vertrag in der Lage bestehen, in welcher er sich bei der Eröffnung des Insolvenzverfahrens befand (BGH, Urteil vom 25. April 2002 - IX ZR 313/99, BGHZ 150, 353, 359; MünchKommInsO/Kreft, 2. Aufl., § 103 Rn. 15). Der Vertragspartner des Schuldners kann einen Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung als Insolvenzforderung zur Tabelle anmelden (§ 103 Abs. 2 Satz 1 InsO). Sieht er hiervon ab, bleibt ihm der - während der Dauer des Insolvenzverfahrens nicht durchsetzbare - Erfüllungsanspruch erhalten; er kann ihn nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens als solchen gegen den Schuldner geltend machen.
9 b) Weder die Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch die Erfüllungsablehnung des Verwalters lösen danach in aller Regel einen Anspruch auf Rückzahlung der vom Schuldner vor der Eröffnung erbrachten Teilleistungen aus (BGH, Urteil vom 27. Mai 2003 - IX ZR 51/02, BGHZ 155, 87, 96). Ein Rückzahlungsanspruch unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil der Vertrag mit der Ablehnung der Erfüllung in der Lage vom Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung bestehen bleibt (BGH, Urteil vom 19. April 2007 - IX ZR 199/03, NZI 2007, 404 Rn. 15). Ob der Kläger, wie das Berufungsgericht gemeint hat, die Anzahlung wegen fehlenden Interesses an der noch ausstehenden Leistung der Beklagten zurückverlangen kann, ist ebenfalls zweifelhaft. Einen Rückzahlungsanspruch wegen Wegfalls des Interesses des Verwalters an der Durchführung des beiderseits nicht vollständig erfüllten Vertrages hat der Senat lediglich im Sonderfall der beiderseits teilbaren Leistungen der Vertragsparteien erwogen, um dem Verwalter die Erfüllungsablehnung auch des insolvenzrechtlich grundsätzlich selbständig zu behandelnden vollständig erfüllten Vertragsteils zu ermöglichen (vgl. BGH, Urteil vom 27. Mai 2003, aaO S. 96 f; vom 26. Oktober 2000 - IX ZR 227/99, NZI 2001, 85 ff zur Rechtslage nach der KO; MünchKommInsO/Brandes, 2. Aufl., § 95 Rn. 14; MünchKommInsO/Kreft, aaO, § 103 Rn. 34 mit Fn. 105; Jaeger/ Henckel, KO, 9. Aufl., § 17 Rn. 82; zweifelnd Uhlenbruck/ Wegener, InsO, 13. Aufl., § 103 Rn. 186). Der Grundstückskaufvertrag vom 17. Januar 2006 hatte jedoch keine teilbaren Leistungen in diesem Sinne zum Gegenstand. Das verkaufte Grundstück ist zwar später geteilt und die Teilgrundstücke sind einzeln weiterverkauft worden. Die Anzahlung von 83.360 € lässt sich jedoch nicht einem der später entstandenen Teilgrundstücke zuordnen; sie bezog sich auf das Grundstück insgesamt, für das ein einheitlicher Kaufpreis vereinbart worden war.
10 c) Der Kläger kann jedoch deshalb dem Grunde nach die Rückzahlung des angezahlten Kaufpreises verlangen, weil die Beklagte ihrerseits den Kaufgegenstand nach § 47 InsO ausgesondert hat. Im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens war die Beklagte Eigentümerin der durch die Teilung des verkauften Grundstücks entstandenen Teilgrundstücke (fortan nur: Grundstück). Bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens stand dem Herausgabeanspruch der Beklagten aus § 985 BGB der Anspruch auf Übereignung gemäß § 433 Abs. 1 BGB entgegen (§ 986 Abs. 1 Satz 1 BGB; vgl. BGH, Urteil vom 2. März 1984 - V ZR 102/83, BGHZ 90, 269, 270). Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens änderte daran zunächst nichts. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs führt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht zu einem Erlöschen der beiderseitigen Ansprüche aus einem beiderseits nicht vollständig erfüllten gegenseitigen Vertrag. Die Ansprüche beider Vertragsparteien auf Leistung und Gegenleistung bleiben vielmehr bestehen. Sie verlieren lediglich vorläufig, nämlich bis zu einem Erfüllungsverlangen des Verwalters, ihre Durchsetzbarkeit (BGH, Urteil vom 25. April 2002 - IX ZR 313/99, BGHZ 150, 353, 359; vom 27. Mai 2003 - IX ZR 51/02, BGHZ 155, 87, 96; vom 17. November 2005 - IX ZR 162/04, NJW 2006, 915 Rn. 22; vom 1. März 2007 - IX ZR 81/05, NZI 2007, 335 Rn. 11). Lehnt der Verwalter die Erfüllung des Vertrages ab, kann der Eigentümer aussondern (BGH, Urteil vom 19. Dezember 2007 - XII ZR 61/05, NJWRR 2008, 818 Rn. 43; Jaeger/Henckel, InsO, § 47 Rn. 46; MünchKommInsO/Ganter, aaO, § 47 Rn. 72; MünchKommInsO/Kreft, aaO, § 103 Rn. 33; MünchKommInsO/Huber, aaO, § 103 Rn. 177; Uhlenbruck/Wegener, aaO, § 103 Rn. 183 f; Häsemeyer, Insolvenzrecht, 4. Aufl., Rn. 20.31; vgl. auch BGH, Urteil vom 1. März 2007 - IX ZR 81/05, NZI 2007, 335 Rn. 12). Von diesem Recht hat die Beklagte Gebrauch gemacht. Sie hat die Löschung der zugunsten der Schuldnerin eingetragenen Vormerkung verlangt und das Grundstück anderweitig veräußert.
11 d) Sondert der Verkäufer in der Insolvenz des Käufers die Kaufsache aufgrund des bei ihm verbliebenen Eigentums aus, kann der Verwalter seinerseits die Rückgewähr der bereits erbrachten Teilleistungen des Schuldners verlangen (MünchKommInsO/Ganter, aaO, § 47 Rn. 72; Huber, NZI 2004, 57, 62).
12 2. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist der Anspruch des Verwalters auf Rückzahlung der Kaufpreisanzahlung jedoch mit dem Anspruch des Verkäufers wegen Nichterfüllung des Kaufvertrages aus § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO zu verrechnen (vgl. BGH, Urteil vom 5. Mai 1977 - VII ZR 85/76, BGHZ 68, 379, 382; vom 26. Oktober 2000 - IX ZR 227/99, NZI 2001, 85, 86; MünchKommInsO/Kreft, aaO, § 103 Rn. 35; Jaeger/Henckel, KO, 9. Aufl., § 17 Rn. 81; Gottwald/Huber, Insolvenzrechts-Handbuch, 4. Aufl., § 36 Rn. 21; Häsemeyer, aaO, Rn. 20.25; G. Fischer, NZI 2001, 281, 283; Huber, NZI 2004, 57, 62; Tintelnot, KTS 2004, 339, 344; Piegsa, RNotZ 2010, 433, 439; aA MünchKommInsO/Ganter, aaO, § 47 Rn. 72). Ob die Voraussetzungen des § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO erfüllt sind oder nicht, ist nicht von Belang (MünchKommInsO/Kreft, aaO, § 103 Rn. 35). Gegenseitige Ansprüche aus dem nämlichen Vertragsverhältnis bedürfen keiner Aufrechnung; sie sind Rechnungsposten bei der Ermittlung des Ersatzanspruchs (so im Ergebnis - mit unterschiedlicher rechtlicher Begründung - BGH, Urteil vom 5. Mai 1977 - VII ZR 85/76, BGHZ 68, 379, 380; MünchKommInsO/Brandes, aaO, § 95 Rn. 17; Lüke in Kübler/Prütting/Bork, InsO 2002, § 95 Rn. 29; vgl. auch Jaeger/Windel, InsO, § 95 Rn. 28, 26). Dieser aus der synallagmatischen Verbundenheit der Ansprüche (§§ 320 ff BGB) folgende Grundsatz gilt - vom hier nicht einschlägigen Sonderfall der Teilbarkeit der beiderseitigen Leistungen mit der möglichen Folge einer Vertragsspaltung einmal abgesehen - auch nach der Erfüllungsablehnung fort (vgl. BGH, Urteil vom 19. April 2007 - IX ZR 199/03, NZI 2007, 404 Rn. 15; aA wohl HmbKommInsO/Jacoby, 4. Aufl., § 95 Rn. 17). Der Kläger kann den Kaufpreis daher nur insoweit zurückverlangen, als dieser den Nichterfüllungsschaden der Beklagten übersteigt.
13 III. Das angefochtene Urteil kann folglich keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dieses wird zu prüfen haben, ob und in welcher Höhe dem Kläger unter Berücksichtigung der synallagmatischen Gegenansprüche der Beklagten ein Anspruch auf Rückzahlung der Kaufpreisanzahlung zusteht. Darlegungs- und -beweispflichtig für die Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO ist die Beklagte.