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Wirtschaftsrecht
07.10.2008
Wirtschaftsrecht
BGH: Rückgabe von Gesellschaftsunterlagen durch ausscheidende Organmitglieder

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 07.07.2008
Aktenzeichen: II ZR 71/07
Rechtsgebiete: AktG, BGB
Vorschriften:

      AktG § 107
      BGB §§ 666 f.

Eine Regelung in der Geschäftsordnung des Aufsichtsrats einer AG, nach der ausscheidende Organmitglieder die ihnen im Rahmen ihrer Amtstätigkeit überlassenen Gesellschaftsunterlagen zurückzugeben haben, begegnet keinen Bedenken. Eine entsprechende Verpflichtung ergibt sich schon aus dem Grundgedanken der §§ 666 f. BGB.


BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

II ZR 71/07

vom 7. Juli 2008

in dem Rechtsstreit

Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 7. Juli 2008 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Goette und die Richter Dr. Kurzwelly, Kraemer, Dr. Reichart und Dr. Drescher einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, die Revision des Klägers durch Beschluss gemäß § 552 a ZPO zurückzuweisen.

Streitwert: 2.500,00 €

Gründe:

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Das Rechtsmittel hat im Ergebnis auch keine Aussicht auf Erfolg.

I. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts (ZIP 2007, 1608 = AG 2007, 747) besteht kein Klärungsbedarf hinsichtlich der Rechtsfrage, ob in der Geschäftsordnung des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft (hier § 10 Abs. 3 GO) wirksam bestimmt werden kann, dass jedes ausgeschiedene Aufsichtsratsmitglied alle ihm im Rahmen seiner Amtstätigkeit übermittelten Unterlagen der Gesellschaft einschließlich etwaiger Duplikate und Ablichtungen herauszugeben hat.

1. Es entspricht allgemeiner Auffassung und ist durch das Senatsurteil vom 3. Dezember 1962 (II ZR 63/60, WM 1963, 161 f.) bereits geklärt, dass der Geschäftsführer einer GmbH - und dementsprechend der Vorstand einer AG - nach Beendigung ihrer Amtszeit gemäß §§ 675, 666, 667 BGB verpflichtet sind, über die in ihren Besitz gelangten Unterlagen der Gesellschaft Auskunft zu erteilen und sie herauszugeben (vgl. MünchKommAktG/Spindler 3. Aufl. § 84 Rdn. 98; Kölner Komm.z.AktG/Mertens § 84 Rdn. 84; Fleischer in Spindler/Stilz, AktG § 84 Rdn. 81 f.). Für ein ausgeschiedenes Aufsichtsratsmitglied (wie den Kläger) kann nichts anderes gelten, ohne dass es insoweit darauf ankommt, ob zwischen der Gesellschaft und einem Aufsichtsratsmitglied (auch) ein Anstellungsverhältnis im Sinne eines Geschäftsbesorgungsvertrages gemäß § 675 BGB (so RGZ 146, 145, 152; 152, 273) oder ein rein korporationsrechtliches Verhältnis besteht (so MünchKommAktG/Habersack 3. Aufl. § 101 Rdn. 67; Großkomm.z.AktG/Hopt/M. Roth 4. Aufl. § 101 Rdn. 92; Spindler in Spindler/ Stilz aaO § 101 Rdn. 8; für korporations- und schuldrechtliche Doppelnatur Hüffer, AktG 8. Aufl. § 101 Rdn. 2). Die Heranziehung der Grundgedanken der §§ 666 f. rechtfertigt sich jedenfalls aus der einer Geschäftsbesorgung ähnlichen Funktion des Aufsichtsratsamtes (vgl. Hopt/M. Roth aaO Rdn. 92 a.E.) sowie daraus, dass die Interessenlage in Bezug auf die Herausgabe von Gesellschaftsunterlagen bei Ausscheiden eines Aufsichtsratsmitglieds die gleiche ist wie bei Ausscheiden eines Vorstandsmitglieds. Die Gesellschaft hat ein berechtigtes Interesse daran, dass ihre Dokumente bzw. deren Mehrfertigungen nicht bei ausgeschiedenen Organmitgliedern verstreut bleiben und in unbefugte Hände geraten können. Dabei geht es nicht nur um geheimhaltungsbedürftige, sondern auch um sonstige Unterlagen, die aus gegebenem Anlass einzeln oder in ihrer Zusammenstellung eine im vorhinein nicht abzuschätzende Bedeutung erlangen können. Überdies würde eine Beschränkung der Herausgabepflicht auf aktuell geheimhaltungsbedürftige Dokumente häufig - und erst recht im vorliegenden Fall mit insgesamt 257 herausverlangten Dokumenten - einen erheblichen Verwaltungsaufwand erfordern (vgl. auch Henze, Der Aufsichtsrat 2007, 81).

a) Soweit die Revision auf die - auch nach Amtsbeendigung fortbestehende und gemäß § 23 Abs. 5 AktG einer Verschärfung nicht zugängliche (vgl. BGHZ 64, 325) - Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder gemäß §§ 116 i.V.m. § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG hinweist, wird übersehen, dass das Schweigegebot gemäß § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG für Vorstandsmitglieder in gleicher Weise gilt, ohne dass dies ihrer Verpflichtung zur Herausgabe von Geschäftsunterlagen nach Amtsbeendigung entgegensteht. Diese Verpflichtung berührt nicht die Verschwiegenheitspflicht der Organmitglieder und deren eigenverantwortlichen Umgang mit ihr (vgl. dazu BGHZ 64, 325, 327), sondern folgt daraus, dass die Organmitglieder den Besitz an den Unterlagen zum Zweck ihrer Amtsführung erlangt haben und dieser Zweck mit deren Beendigung entfällt (vgl. § 667 BGB).

b) Anders als die Revision meint, spricht gegen die Verpflichtung eines ausscheidenden Aufsichtsratsmitglieds zur Rückgabe der ihm ausgehändigten Unterlagen auch nicht die bloß abstrakte Möglichkeit, von der Gesellschaft noch wegen etwaiger Fehler der Amtsführung auf Schadensersatz gemäß §§ 116, 93 Abs. 2, 3 AktG in Anspruch genommen zu werden und dann zu seiner Verteidigung auf die Unterlagen angewiesen zu sein. Diese Möglichkeit besteht bei einem ausscheidenden Vorstandsmitglied in gleicher Weise, ändert aber an seiner Rückgabepflicht gemäß § 667 BGB nichts (vgl. den Sachverhalt im Sen.Urt. v. 3. Dezember 1962 aaO) und führt auch nicht dazu, dass ein ausgeschiedenes Organmitglied die Rückgabe "prophylaktisch" bis zum Ablauf der Verjährungsfrist des § 93 Abs. 6 AktG verweigern kann (in diesem Sinne aber Henze, Der Aufsichtsrat 2007, 81 f.). Seine Interessen sind dadurch geschützt, dass die Gesellschaft die ihm ggf. vorzuwerfende Pflichtverletzung zu bezeichnen und ihm Einsicht in die dafür maßgeblichen Unterlagen zu gewähren hat (vgl. Senat, BGHZ 152, 280, 285). Für eine davon abweichende Behandlung eines ausgeschiedenen Aufsichtsratsmitglieds fehlt jeder Sachgrund.

c) Etwas anderes ergibt sich - entgegen der Ansicht der Revision - auch nicht daraus, dass gemäß § 107 Abs. 2 Satz 4 AktG jedes Aufsichtsratsmitglied einen Anspruch auf "Aushändigung" der in seine Amtszeit fallenden Sitzungsniederschriften hat. Denn das soll dem Aufsichtsratsmitglied nur die ungestörte Wahrnehmung seiner Aufgaben ermöglichen und besagt, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, nicht, dass die - vertraulich zu behandelnden (vgl. Hopt/M. Roth aaO § 107 Rdn. 196) - Aufsichtsratsprotokolle im Besitz eines ausscheidenden Mitglieds zu verbleiben haben. Dies zeigt sich auch an der Parallelvorschrift des § 170 Abs. 3 AktG. Dieser schreibt zwar eine "Übermittlung" der dort genannten Vorlagen und Prüfberichte an jedes Aufsichtsratsmitglied vor und meint damit ebenfalls eine "Aushändigung"; nach der Begründung des Regierungsentwurfs zu dieser Vorschrift (KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, 22) ist damit aber keine Übereignung zum endgültigen Verbleib verbunden. Satzungs- oder Geschäftsordnungsregelungen über die Rückgabe sind zulässig (ebenso Hüffer, AktG 8. Aufl. § 170 Rdn. 14; MünchKommAktG/Kropff 2. Aufl. § 170 Rdn. 80 f.), obwohl die in § 170 AktG genannten Unterlagen sogar publizitätspflichtig sind.

2. Da nach alledem ausscheidende Mitglieder des Aufsichtsrats ebenso wie solche des Vorstands die im Rahmen ihrer Amtsführung erlangten Unterlagen schon entsprechend § 667 BGB herauszugeben haben, bestehen gegen entsprechende Geschäftsordnungsregelungen, die weit verbreitet sind (vgl. Hüffer aaO § 103 Rdn. 6), erst recht keine grundsätzlichen Bedenken.

a) Dahinstehen kann im vorliegenden Fall, ob § 10 Abs. 3 der vorliegenden Geschäftsordnung auch insoweit wirksam ist, als dessen Satz 2 die Herausgabepflicht auf Duplikate und Kopien erstreckt, was im Schrifttum zum Teil für "unzumutbar" erachtet wird (vgl. Fonk in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder 2. Aufl. § 9 Rdn. 107; ihm folgend MünchKommAktG/Spindler 3. Aufl. § 84 Rdn. 98; vgl. dagegen Happ in Happ, Aktienrecht 3. Aufl. S. 952). Denn zum einen kann sich jedenfalls der Kläger auf Unzumutbarkeit nicht berufen, weil er der unter seiner Mitwirkung beschlossenen Geschäftsordnungsregelung zugestimmt hat. Zum anderen ist die genannte Rechtsfrage hier nicht entscheidungserheblich, weil zumindest die Verpflichtung zur Herausgabe der Originalunterlagen wirksam ist und die Beklagte hierauf ihr Zurückbehaltungsrecht (§ 273 BGB) gegenüber dem Tantiemeanspruch des Klägers stützen konnte. Soweit in dem erstinstanzlichen Urteil noch eine Verpflichtung des Klägers zur Herausgabe von etwaigen Duplikaten und Fotokopien tenoriert wurde, ist dies durch die zweitinstanzliche Erledigterklärung (§ 91 a ZPO) wirkungslos geworden (vgl. Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO 28. Aufl. § 91 a Rdn. 21, 30).

b) Im Übrigen besteht Anlass, darauf hinzuweisen, dass für die Verpflichtung zur Herausgabe von Duplikaten oder Fotokopien die gleichen bereits erwähnten Gründe sprechen wie für die Herausgabe der Originale (vgl. oben I 1 vor a), und nicht einzusehen ist, weshalb dies für ein ausgeschiedenes Organmitglied "unzumutbar" sein soll.

II. Da sonach das Berufungsgericht zu Recht davon ausgegangen ist, dass der Beklagten ein Zurückbehaltungsrecht (§ 273 BGB) wegen ihres Herausgabeanspruchs gegenüber der von dem Kläger eingeklagten Tantiemeforderung zustand und diese deshalb erst mit Erfüllung der Gegenforderung der Beklagten i.S. von § 291 Satz 1 Halbs. 2 BGB fällig wurde (vgl. BGHZ 55, 198, 200), kann der Kläger mit seinen in der Revisionsinstanz (nach vorinstanzlicher Erledigung der Hauptsache im Übrigen) weiter verfolgten Anspruch auf Prozesszinsen ab Klageerhebung (30. September 2005) keinen Erfolg haben. Soweit sich die Revision auch gegen die (zutreffende) Kostenentscheidung des Berufungsgerichts gemäß § 91 a ZPO richtet, ist sie schon nicht statthaft (vgl. BGH, Urt. v. 21. Dezember 2006 - IX ZR 66/05, ZIP 2007, 340, 342 Tz. 21 ff.).

Ohne Erfolg rügt die Revision hilfsweise, das Berufungsgericht habe dem Kläger zu Unrecht Zinsen nur für die Zeit vom 18. bis 20. Juli 2006 zuerkannt, obwohl er bereits am 12. Juli 2006 alle in seinem Besitz befindlichen Unterlagen herausgegeben habe und der Beklagten kein (für den Fortbestand ihres Zurückbehaltungsrechts erforderlicher) Anspruch auf die am 17. Juli 2006 bei der Beklagten eingegangene Erklärung des Klägers, keine weiteren Unterlagen zu besitzen, zugestanden habe.

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Kläger die von der Beklagten im Einzelnen aufgelisteten Unterlagen jedenfalls nicht vollständig herausgegeben; die Revision stellt auch nicht in Abrede, dass die noch fehlenden Unterlagen ihm einmal übermittelt worden waren. Zwar erstreckt sich die Herausgabepflicht der Aufsichtsratsmitglieder gemäß § 10 Abs. 3 GO auf Unterlagen, "die sich in ihrem Besitz befinden". Das schließt aber im Wege ergänzender Auslegung der Klausel die Verpflichtung ein, über den Verbleib fehlender Unterlagen Auskunft zu geben, was sich auch aus § 666 BGB ergibt (vgl. oben I 1; Sen.Urt. v. 3. Dezember 1962 aaO WM 1963, 161). Erst mit Abgabe der entsprechenden Erklärung hatte der Kläger seine Verpflichtung vollständig erfüllt.

III. Die Anschlussrevision der Beklagten, die sich gegen den ausgeurteilten Zinsanspruch für die Zeit vom 18. bis 20. Juli 2006 richtet, verliert unter den - hier gegebenen - Voraussetzungen des § 554 Abs. 4 ZPO ihre Wirkung. Sie ist allerdings auch offensichtlich unbegründet, weil das von ihr in Bezug genommene Vorbringen der Beklagten in ihrem vorinstanzlichen "Antrag auf Tatbestands- und Urteilsberichtigung/Ergänzung", der Kläger habe in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht der unvermeidlichen Zahlungsverzögerung nach Herausgabe der Unterlagen zugestimmt und den ausgeurteilten Zinsanspruch überhaupt nicht mehr geltend gemacht, in Widerspruch zu dem gemäß § 314 Satz 2 ZPO maßgebenden Sitzungsprotokoll (vom 14. Dezember 2006) steht. Danach hat der Kläger, worauf das Berufungsgericht in seinem Beschluss vom 25. Juni 2007 zutreffend hinweist, unter Bezugnahme auf seinen Schriftsatz vom 27. November 2006 die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Prozesszinsen "bis zum 20. Juli 2006" beantragt. Unter diesen Umständen kann in der etwaigen Zustimmung des Klägers zu der "unweigerlich eintretenden Zahlungsverzögerung" keine den geltend gemachten Anspruch auf Prozesszinsen bis 20. Juni 2006 ausschließende Stundungsvereinbarung, sondern allenfalls eine Erklärung des Inhalts gesehen werden, dass der Kläger der Beklagten die Zahlungsverzögerung nach Herausgabe der Unterlagen nicht als ein Verschulden anlasten wolle und auf weitergehende Ansprüche wegen Verzuges (§ 288 Abs. 4 BGB) verzichte.


BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Verfahrensgang: LG Düsseldorf, 9 O 369/05 vom 08.05.2006
OLG Düsseldorf, I-6 U 119/06 vom 22.03.2007

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