EuGH: Rückforderung einer staatlichen Beihilfe
EuGH, Urteil vom 16.1.2025 – C-588/23, Scai Srl gegen Regione Campania
ECLI:EU:C:2025:23
Volltext: BB-Online BBL2025-258-1
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Tenor
Art. 108 und Art. 288 Abs. 4 AEUV, die Art. 16 und 31 der Verordnung (EU) 2015/1589 des Rates vom 13. Juli 2015 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 108 [AEUV] sowie die Art. 41 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind dahin auszulegen, dass sie, wenn in einem Beschluss der Europäischen Kommission die Rückforderung einer staatlichen Beihilfe von einem darin genannten Empfänger angeordnet wird, einer nationalen Regelung, nach der die zuständigen nationalen Stellen im Rahmen ihrer Aufgabe der Durchführung dieses Beschlusses die Rückforderung dieser Beihilfe von einem anderen Unternehmen auf der Grundlage dessen anordnen können, dass zwischen diesem Unternehmen und dem im Kommissionsbeschluss genannten Beihilfeempfänger eine wirtschaftliche Kontinuität gegeben ist, nicht entgegenstehen.
Aus den Gründen
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 108, 263 und 288 AEUV, der Art. 41 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) sowie der Art. 16 und 31 der Verordnung (EU) 2015/1589 des Rates vom 13. Juli 2015 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 108 [AEUV] (ABl. 2015, L 248, S. 9).
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Scai Srl und der Regione Campania (Region Kampanien, Italien) über die Scai auferlegte Pflicht zur Rückzahlung des Betrags einer rechtswidrigen und mit dem Binnenmarkt unvereinbaren Beihilfe, die ursprünglich einer anderen Gesellschaft gewährt worden war.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Verordnung 2015/1589
3 Im 25. Erwägungsgrund der Verordnung 2015/1589 wird ausgeführt:
„Bei rechtswidrigen Beihilfen, die mit dem Binnenmarkt nicht vereinbar sind, sollte wirksamer Wettbewerb wiederhergestellt werden. Dazu ist es notwendig, die betreffende Beihilfe einschließlich Zinsen unverzüglich zurückzufordern. Die Rückforderung hat nach den Verfahrensvorschriften des nationalen Rechts zu erfolgen. Die Anwendung dieser Verfahren sollte jedoch die Wiederherstellung eines wirksamen Wettbewerbs durch Verhinderung der sofortigen und tatsächlichen Vollstreckung des Beschlusses der [Europäischen] Kommission nicht erschweren. Um zu diesem Ergebnis zu gelangen, sollten die Mitgliedstaaten alle erforderlichen Maßnahmen zur Gewährleistung der Wirksamkeit des Beschlusses der Kommission treffen.“
4 Art. 9 („Beschlüsse der Kommission über den Abschluss des förmlichen Prüfverfahrens“) Abs. 5 in Kapitel II („Verfahren bei angemeldeten Beihilfen“) dieser Verordnung lautet:
„Gelangt die Kommission zu dem Schluss, dass die angemeldete Beihilfe mit dem Binnenmarkt unvereinbar ist, so beschließt sie, dass diese Beihilfe nicht eingeführt werden darf (im Folgenden ‚Negativbeschluss‘).“
5 In Kapitel III der Verordnung 2015/1589, welches das Verfahren bei rechtswidrigen Beihilfen betrifft, finden sich u. a. deren Art. 16 und 17.
6 Art. 16 („Rückforderung von Beihilfen“) sieht vor:
„(1) In Negativbeschlüssen hinsichtlich rechtswidriger Beihilfen entscheidet die Kommission, dass der betreffende Mitgliedstaat alle notwendigen Maßnahmen ergreift, um die Beihilfe vom Empfänger zurückzufordern (im Folgenden ‚Rückforderungsbeschluss‘). Die Kommission verlangt nicht die Rückforderung der Beihilfe, wenn dies gegen einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts verstoßen würde.
…
(3) Unbeschadet einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union nach Artikel 278 AEUV erfolgt die Rückforderung unverzüglich und nach den Verfahren des betreffenden Mitgliedstaats, sofern hierdurch die sofortige und tatsächliche Vollstreckung des Beschlusses der Kommission ermöglicht wird. Zu diesem Zweck unternehmen die betreffenden Mitgliedstaaten im Fall eines Verfahrens vor nationalen Gerichten unbeschadet des Unionsrechts alle in ihren jeweiligen Rechtsordnungen verfügbaren erforderlichen Schritte einschließlich vorläufiger Maßnahmen.“
7 In Art. 31 („Adressaten der Beschlüsse“) der Verordnung 2015/1589 heißt es:
„(1) Beschlüsse nach Artikel 7 Absatz 7, Artikel 8 Absätze 1 und 2 sowie Artikel 9 Absatz 9 werden an das betreffende Unternehmen oder die betreffende Unternehmensvereinigung gerichtet. Die Kommission gibt den Adressaten den Beschluss unverzüglich bekannt und bietet ihnen Gelegenheit, der Kommission mitzuteilen, welche Angaben ihrer Ansicht nach unter das Berufsgeheimnis fallen.
(2) Alle anderen Beschlüsse der Kommission, die auf der Grundlage der Kapitel II, III, V, VI und IX erlassen werden, sind an den betreffenden Mitgliedstaat zu richten. …“
8 Die oben in den Rn. 4 bis 7 angeführten Bestimmungen der Verordnung 2015/1589 wurden aus der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über Besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 108 [AEUV] (ABl. 1999, L 83, S. 1) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 734/2013 des Rates vom 22. Juli 2013 (ABl. 2013, L 204, S. 15) geänderten Fassung übernommen, die durch die Verordnung 2015/1589 aufgehoben wurde.
Rückforderungsbekanntmachung
9 Abschnitt 4.3 („Ermittlung der Empfänger, von denen eine Beihilfe zurückzufordern ist“) der Bekanntmachung der Kommission vom 23. Juli 2019 über die Rückforderung rechtswidriger und mit dem Binnenmarkt unvereinbarer staatlicher Beihilfen (ABl. 2019, C 247, S. 1, im Folgenden: Rückforderungsbekanntmachung) enthält folgende Rn. 83:
„Rechtswidrige Beihilfen, die für mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt wurden, müssen von den Empfängern, die den tatsächlichen Nutzen davon hatten, zurückgefordert werden. … Wenn die Beihilfeempfänger im Rückforderungsbeschluss nicht genannt sind, muss der Mitgliedstaat die konkrete Situation jedes einzelnen betroffenen Unternehmens untersuchen.“
10 In Abschnitt 4.3.2 („Ausweitung der Rückzahlungsanordnung; wirtschaftliche Kontinuität“) der Rückforderungsbekanntmachung wird ausgeführt:
„89. Wenn die Beihilfe im Verlauf der Umsetzung des Rückforderungsbeschlusses nicht vom ursprünglichen Empfänger zurückgefordert werden kann und auf ein anderes Unternehmen übertragen wurde, so sollte der Mitgliedstaat die Rückforderung auf das Unternehmen ausdehnen, das nach der Übertragung der Tätigkeiten tatsächlich den Vorteil genießt, und sicherstellen, dass die Pflicht zur Rückzahlung der Beihilfe nicht umgangen wird. …
90. Der Gerichtshof hat zwischen zwei Möglichkeiten zur Übertragung der Tätigkeiten eines Unternehmens unterschieden: i) dem Verkauf aller oder eines Teils seiner Vermögenswerte, wonach die Tätigkeit nicht mehr von derselben juristischen Person ausgeübt wird (‚Asset deal‘), und ii) dem Verkauf seiner Anteile, wonach das Unternehmen, das die Beihilfe erhalten hat, seine Rechtspersönlichkeit behält und seine Tätigkeiten weiter ausübt (‚Share deal‘) …
4.3.2.1. Asset deal
91. Wenn der Empfänger einer mit dem Binnenmarkt unvereinbaren Beihilfe ein neues Unternehmen gründet oder seine Vermögenswerte auf ein anderes Unternehmen überträgt, um alle oder einen Teil seiner Tätigkeiten weiterzuführen, so kann die durch die Beihilfe verursachte Wettbewerbsverfälschung dadurch fortbestehen. Somit können das neugegründete Unternehmen oder der Käufer der Vermögenswerte, wenn dieser Vorteil zu ihren Gunsten fortbesteht, zur Rückzahlung der betreffenden Beihilfe verpflichtet sein.
92. Im Falle eines Asset deals bewertet die Kommission je nach den Umständen im Einzelfall, ob wirtschaftliche Kontinuität zwischen den jeweiligen Unternehmen gegeben ist, und stützt sich dabei auf eine offene Reihe nicht kumulativer Kriterien. Insbesondere kann die Kommission dabei folgende Kriterien … berücksichtigen: i) den Umfang der Übertragung (Aktiva … und Passiva, Fortbestand der Belegschaft und/oder Geschäftsleitung); ii) den Übertragungspreis …; iii) die Identität der Aktionäre oder Eigentümer des Verkäufers und Käufers; iv) den Zeitpunkt der Übertragung (während der vorläufigen Prüfung nach Artikel 4 der [Verordnung 2015/1589] oder während des förmlichen Prüfverfahrens nach Artikel 6 derselben Verordnung oder nach de[m] Erlass des Rückforderungsbeschlusses); v) die ökonomische Folgerichtigkeit der Transaktion …“
Italienisches Recht
11 Art. 48 („Rückforderungsverfahren“) Abs. 1 bis 3 der Legge n. 234 – Norme generali sulla partecipazione dell’Italia alla formazione e all’attuazione della normativa e delle politiche dell’Unione europea (Gesetz Nr. 234 – Allgemeine Vorschriften zur Teilnahme der Italienischen Republik an der Schaffung und Umsetzung der Regelungen und der Politiken der Europäischen Union) vom 24. Dezember 2012 (GURI Nr. 3 vom 4. Januar 2013) in ihrer auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung (im Folgenden: Gesetz Nr. 234/2012) bestimmt:
„1. Die Gesellschaft Equitalia SpA erhebt die Beträge, die aufgrund von Rückforderungsbeschlüssen nach Art. 16 der Verordnung [2015/1589] geschuldet werden, unabhängig von der Form der Beihilfe und der Stelle, die sie gewährt hat.
2. Nach Zustellung eines Rückforderungsbeschlusses im Sinne des Abs. 1 bestimmt der fachlich zuständige Minister durch Dekret, das innerhalb von 45 Tagen nach der Zustellung zu erlassen ist, erforderlichenfalls die zur Rückzahlung der Beihilfe verpflichteten Personen, legt die geschuldeten Beträge fest und setzt die Zahlungsmodalitäten und ‑fristen fest. Im Fall mehrerer zuständiger Behörden ernennt der Präsident des Ministerrats durch Dekret innerhalb von 15 Tagen nach Zustellung des Rückforderungsbeschlusses einen Sonderbeauftragten, der aus der Mitte der Behörden, welche die Beihilfen, die Gegenstand des Rückforderungsbeschlusses sind, gewährt haben, oder aus der Mitte der von den Beihilfemaßnahmen örtlich betroffenen Behörden zu bestimmen ist, und legt die Modalitäten für die Umsetzung des Rückforderungsbeschlusses im Sinne des Abs. 1 fest. Der Sonderbeauftragte bestimmt durch Bescheid innerhalb von 45 Tagen nach Ergehen des Ernennungsdekrets die zur Rückzahlung der Beihilfe verpflichteten Personen, legt die geschuldeten Beträge fest und setzt die Zahlungsmodalitäten und ‑fristen fest. Die Behörden, die die Beihilfe gewährt haben, die Gegenstand des Rückforderungsverfahrens ist, übermitteln dem Sonderbeauftragten auf Anfrage unverzüglich die Daten und alle sonstigen Angaben, die für die ordnungsgemäße Durchführung des Rückforderungsbeschlusses im Sinne von Abs. 1 erforderlich sind. Dem Sonderbeauftragten steht kein Vergütungsanspruch zu. Der Sonderbeauftragte bedient sich für die Tätigkeiten, die mit der ihm übertragenen Aufgabe zusammenhängen, der personellen, finanziellen und sachlichen Mittel der zuständigen Behörden, die nach geltendem Recht vorgesehen sind. Das Dekret des zuständigen Ministers, der Bescheid des Sonderbeauftragten und der Bescheid im Sinne von Abs. 3 stellen gegenüber den damit verpflichteten Personen Vollstreckungstitel dar.
3. Ist nicht der Staat die zuständige Stelle, wird der Bescheid zur Bestimmung der Personen, die zur Rückzahlung der Beihilfe verpflichtet sind, zur Festlegung der geschuldeten Beträge und zur Festsetzung der Zahlungsmodalitäten und ‑fristen von der Region, der autonomen Provinz oder der zuständigen Gebietskörperschaft erlassen. Die Tätigkeiten im Sinne von Abs. 1 werden von der Stelle wahrgenommen, der die Erhebung der Einnahmen der betreffenden Gebietskörperschaft überlassen wurde.“
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
12 Die Buonotourist Srl war ein Privatunternehmen, das Dienstleistungen des öffentlichen Personennahverkehrs auf der Grundlage regionaler und kommunaler Konzessionen erbrachte.
13 Mit Entscheidung vom 7. November 2012 erkannte der Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) das Recht von Buonotourist an, für die Erbringung von Personenverkehrsdiensten mit Bussen, die auf der Grundlage von Konzessionen stattfand, die von der Region Kampanien für die Jahre 1996 bis 2002 erteilt worden waren, eine zusätzliche Ausgleichsleistung für Gemeinwohldienstleistungen in Höhe von 1 111 572,00 Euro zuzüglich Zinsen zu erhalten.
14 Am 5. Dezember 2012 meldeten die italienischen Behörden bei der Kommission gemäß Art. 108 Abs. 3 AEUV eine staatliche Beihilfe an, die darin bestand, Buonotourist in Durchführung der Entscheidung des Consiglio di Stato (Staatsrat) vom 7. November 2012 die in der vorstehenden Randnummer genannte zusätzliche Ausgleichsleistung zu gewähren. Die Beihilfe wurde Buonotourist von der Region Kampanien am 21. Dezember 2012 ausgezahlt.
15 Mit Schreiben vom 20. Februar 2014 gab die Kommission der Italienischen Republik ihre Entscheidung bekannt, das förmliche Prüfverfahren nach Art. 108 Abs. 2 AEUV einzuleiten.
16 Am 19. Januar 2015 erließ die Kommission den Beschluss (EU) 2015/1075 zu der von Italien durchgeführten staatlichen Beihilfe SA.35843 (2014/C) (ex 2012/NN) – Zusätzliche Ausgleichsleistungen zugunsten von Buonotourist für die Erbringung von Gemeinwohldienstleistungen (ABl. 2015, L 179, S. 128). Mit diesem Beschluss stellte sie fest, dass die Buonotourist in Durchführung der Entscheidung des Consiglio di Stato (Staatsrat) vom 7. November 2012 gewährte zusätzliche Ausgleichsleistung eine mit dem Binnenmarkt unvereinbare staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstelle, die Buonotourist unter Verstoß gegen Art. 108 Abs. 3 AEUV gewährt worden sei, und gab den italienischen Behörden auf, die Beihilfe von Buonotourist zurückzufordern (im Folgenden: Beschluss der Kommission vom 19. Januar 2015).
17 Gegen diesen Beschluss erhob Buonotourist Nichtigkeitsklage beim Gericht der Europäischen Union. Die Klage wurde mit Urteil vom 11. Juli 2018, Buonotourist/Kommission (T‑185/15, EU:T:2018:430), abgewiesen. Das von Buonotourist eingelegte Rechtsmittel wurde mit Urteil des Gerichtshofs vom 4. März 2020, Buonotourist/Kommission (C‑586/18 P, EU:C:2020:152), zurückgewiesen.
18 Kraft einer am 21. Juli 2011 erfolgten teilweisen Unternehmensabspaltung trat Buonotourist TPL im Rahmen eines Vertrags über die vorläufige Vergabe betreffend eine regionale Buslinie an die Stelle von Buonotourist. Kraft einer weiteren Unternehmensabspaltung am 21. Oktober 2013 trat die Autolinee Buonotourist TPL Srl im Rahmen desselben Vertrags an die Stelle von Buonotourist TPL. Auf der Grundlage eines am 10. Mai 2019 geschlossenen Unternehmenspachtvertrags verpachtete Autolinee Buonotourist TPL den Geschäftsbereich, der u. a. die Dienstleistungsverträge, das Personal und die Busse für den Betrieb der Mindestdienste im öffentlichen Personennahverkehr umfasste, an Scai. Dieser Vertrag endete am 1. Juli 2021. Zur Fortführung des öffentlichen Personennahverkehrsdiensts beauftragte die Region Kampanien die AIR Campania, an der sie Anteile hält, mit der Erbringung des Dienstes. Diese Gesellschaft erwarb von Scai die für die Erbringung des Dienstes erforderlichen Mittel.
19 Buonotourist, Buonotourist TPL und Autolinee Buonotourist TPL wurden im Laufe des Zeitraums 2018 bis 2020 für insolvent erklärt.
20 Nachdem die Region Kampanien vergeblich versucht hatte, die von dem Beschluss der Kommission vom 19. Januar 2015 betroffene staatliche Beihilfe von Buonotourist, Buonotourist TPL und Autolinee Buonotourist TPL zurückzuerlangen, gab sie Scai mit Dekret vom 7. Februar 2023 auf, diese Beihilfe zurückzuzahlen, wobei sie sich auf das Bestehen einer wirtschaftlichen Kontinuität zwischen Buonotourist und Scai stützte (im Folgenden: Rückerstattungsanordnung).
21 Scai erhob gegen die Rückerstattungsanordnung Klage beim Tribunale amministrativo regionale della Campania (Regionales Verwaltungsgericht Kampanien, Italien), dem vorlegenden Gericht, und machte u. a. einen Verstoß gegen die Art. 108, 109 und 288 AEUV, einen Verstoß gegen Art. 48 des Gesetzes Nr. 234/2012, eine Befugnisüberschreitung und einen Verstoß gegen die Rückforderungsbekanntmachung geltend.
22 Für ihre Klage brachte Scai zunächst vor, dass die Region Kampanien mit dem Erlass der Rückerstattungsanordnung rechtswidrig die der Kommission übertragenen Befugnisse ausgeübt habe. Während nämlich der Beschluss der Kommission vom 19. Januar 2015 an bestimmte Adressaten, nämlich die Italienische Republik und Buonotourist, gerichtet gewesen sei, habe die Region Kampanien seinen Anwendungsbereich erweitert und so gegen Art. 288 AEUV und die Rückforderungsbekanntmachung verstoßen.
23 Damit sei die Rückerstattungsanordnung unter Bezugnahme auf ein Verfahren erlassen worden, das vor der Kommission geführt worden sei und an dem sie nicht beteiligt gewesen sei. Außerdem sei ihr das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz vorenthalten worden, weil eine Klage ihrerseits beim Gericht gegen den Beschluss der Kommission vom 19. Januar 2015, der nicht an sie gerichtet gewesen sei, nicht zulässig gewesen sei. Sie habe sich weder zum Vorliegen der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Beihilfe noch zu deren Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt und auch nicht zur Rechtmäßigkeit der auf sie ausgeweiteten Rückerstattungsanordnung äußern können.
24 Sodann stellte Scai das Bestehen einer wirtschaftlichen Kontinuität zwischen ihr und Autolinee Buonotourist TPL in Abrede. Eine solche Kontinuität könne nicht daraus abgeleitet werden, dass Autolinee Buonotourist TPL ihr einen Geschäftsbereich verpachtet habe.
25 Auch habe sie durch den Unternehmenspachtvertrag keinen wettbewerbswidrigen Vorteil erlangt, da kein Erwerb von Gegenständen oder Dienstleistungen zu günstigeren Bedingungen als den Marktbedingungen feststellbar sei. Insbesondere sei die Pacht des Geschäftsbereichs von Autolinee Buonotourist TPL, die bereits 2021 geendet habe, unter Berücksichtigung des begrenzten Gegenstands des Pachtvertrags zu einem angemessenen Pachtzins vereinbart worden, und bei Vertragsende seien keinerlei materielle oder immaterielle Güter des Verpächters bei ihr verblieben.
26 Die Region Kampanien entgegnet vor dem vorlegenden Gericht, dass sie zum Erlass der Rückerstattungsanordnung gegenüber der Klägerin des Ausgangsverfahrens befugt gewesen sei, da es objektive und subjektive Anhaltspunkte für das Bestehen einer wirtschaftlichen Kontinuität zwischen den zuvor betroffenen Gesellschaften und Scai gegeben habe, wie sich aus ihrem Austausch mit der Kommission ergebe. Scai habe nämlich aufgrund des Unternehmenspachtvertrags das Recht zur Nutzung aller materiellen und immateriellen Vermögenswerte erhalten, die für die Ausübung der Tätigkeit der ursprünglich von der Beihilfe profitierenden Gesellschaft erforderlich seien, sowie ein Options- und Vorkaufsrecht, das ihr unter bestimmten Bedingungen eine Vorzugsstellung im Fall des Verkaufs von Autolinee Buonotourist TPL sichere.
27 Die Region Kampanien sei durchaus berechtigt, die subjektive Reichweite des Beschlusses der Kommission vom 19. Januar 2015 auszudehnen, da nach Art. 48 Abs. 2 und 3 des Gesetzes Nr. 234/2012 der fachlich zuständige Minister oder die zuständige Gebietskörperschaft auf einen Rückforderungsbeschluss der Kommission hin erforderlichenfalls die zur Rückzahlung der Beihilfe verpflichteten Personen bestimme.
28 Das vorlegende Gericht sieht sich als Erstes vor die Frage gestellt, ob mit den Art. 108 und 288 AEUV sowie mit der Verordnung 2015/1589 eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende vereinbar ist, nach der die zuständigen nationalen Stellen, wenn die Kommission in ihrem Rückforderungsbeschluss das Unternehmen genannt hat, das die fragliche Beihilfe zurückzuzahlen hat, die Beihilfeempfängereigenschaft mit der Begründung ausdehnen können, dass zwischen dem im Rückforderungsbeschluss genannten Unternehmen und dem Unternehmen, hinsichtlich dessen diese Ausdehnung erfolgt, eine wirtschaftliche Kontinuität bestehe. Eine solche nationale Regelung greife nämlich in die Befugnisse der Kommission, wie sie im Unionsrecht vorgesehen seien, ein, da nur die Kommission, wenn sie einen Rückforderungsbeschluss an einen bestimmten Adressaten gerichtet habe, über eine etwaige Ausdehnung entscheiden könne, die sich durch wirtschaftliche Kontinuität rechtfertige.
29 Würde außerdem der Erlass der Ausdehnungsentscheidung der Zuständigkeit der nationalen Stellen überlassen, ginge diese Möglichkeit, wenn der Adressat des Rückforderungsbeschlusses von der Kommission genau genannt worden sei, über die bloße Durchführung der Beschlüsse der Kommission hinaus, so dass es dem mit der Kontrolle der Rechtmäßigkeit des nationalen Rückforderungsakts betrauten nationalen Gericht mittelbar zufallen würde, Fragen zu prüfen, die in die ausschließliche Zuständigkeit der Kommission fielen.
30 Das vorlegende Gericht führt aus, die Urteile des Gerichtshofs hätten sich bislang mit dem Grundsatz der wirtschaftlichen Kontinuität befasst, nicht aber mit der Frage, welche Stelle für die Beurteilung des Bestehens einer solchen wirtschaftlichen Kontinuität zuständig sei. Es verweist jedoch auf Entscheidungen der Kommission, mit denen aufgrund einer Übertragung von Vermögenswerten der Kreis der Empfänger ausgedehnt worden sei. Diese Entscheidungen zeigten, dass, wenn die wirtschaftliche Kontinuität, wie im vorliegenden Fall, aus einer Vereinbarung über die Überlassung von Vermögenswerten abgeleitet werde, die entsprechende Ausdehnungsentscheidung stets von der Kommission erlassen worden sei. Im Übrigen stellt das vorlegende Gericht klar, dass sich ihm nicht die Frage stelle, ob die Voraussetzung der wirtschaftlichen Kontinuität im vorliegenden Fall erfüllt sei.
31 Es weist darauf hin, dass im vorliegenden Fall der Umstand, dass es zwischen der zuständigen nationalen Stelle und der Kommission einen Austausch gegeben habe, nicht bedeute, dass die Kommission von ihrem Entscheidungsspielraum Gebrauch gemacht habe, da dieser Austausch nicht in Form verbindlicher Rechtsakte erfolgt sei, sondern in Form schlichter Mitteilungen, die in ihrer Formulierung überdies Zweifel erkennen ließen und auf die Notwendigkeit einer weiter gehenden tatsächlichen Untersuchung verwiesen.
32 Als Zweites wirft das vorlegende Gericht die Frage nach der Vereinbarkeit einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden mit den unionsrechtlich vorgesehenen Verfahrensgarantien auf, insbesondere mit dem Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens und mit der Wahrung der Verteidigungsrechte, die beide in Art. 41 der Charta verankert seien, sowie mit dem in Art. 47 der Charta niedergelegten Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz. Scai habe vor ihm geltend gemacht, dass ihr wegen der Nichtbeachtung der Befugnisse der Kommission Verfahrensgarantien sowohl, was den ursprünglichen Beschluss der Kommission anbelange, als auch, als sie selbst Adressatin der Pflicht zur Rückzahlung der Beihilfe geworden sei, vorenthalten worden seien, da die nationale Stelle ihr einziger Ansprechpartner gewesen sei. Dass eine Partei in der Lage von Scai die Handlungen der nationalen Stelle vor dem nationalen Gericht anfechten könne, reiche nicht aus, um dem Betroffenen die Einhaltung der im Unionsrecht verankerten Verfahrensgarantien sowie einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu gewährleisten, da damit eine Entscheidung über das Bestehen einer wirtschaftlichen Kontinuität verbunden sei, hinsichtlich deren die Beurteilungsbefugnis allein bei der Kommission liege.
33 Vor diesem Hintergrund hat das Tribunale amministrativo regionale della Campania (Regionales Verwaltungsgericht Kampanien) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Stehen die Art. 108 und 288 AEUV sowie die Art. 16 und 31 der Verordnung 2015/1589 einer nationalen Regelung wie Art. 48 des Gesetzes Nr. 234/2012 entgegen, die es der nationalen Behörde erlaubt, in der Phase der Durchsetzung der Rückforderung den Kreis der zur Rückzahlung rechtswidriger Beihilfen verpflichteten Personen anhand einer Beurteilung der wirtschaftlichen Kontinuität zwischen Unternehmen zu erweitern, ohne diese Befugnis auszuschließen, wenn die Kommission die unmittelbaren Adressaten bereits bestimmt hat, und die damit die Zuständigkeit der Kommission im Bereich der staatlichen Beihilfen ausschließt?
2. Stehen die Art. 263 und 288 AEUV, die Art. 41 und 47 der Charta sowie die Art. 16 und 31 der Verordnung 2015/1589 einer nationalen Regelung wie Art. 48 des Gesetzes Nr. 234/2012 auf dem Gebiet der staatlichen Beihilfen entgegen, soweit sie – indem sie vorsieht, dass der Staat bei der Durchführung eines Rückforderungsbeschlusses erforderlichenfalls die zur Rückzahlung verpflichteten Personen bestimmt – die Durchführung des Beschlusses auch gegenüber einer eigenständigen anderen Person als den Adressaten des Beschlusses ermöglicht, die nicht am Verfahren vor der Kommission beteiligt war, der nicht die Garantien des kontradiktorischen Verfahrens eingeräumt wurden und die folglich nicht befugt ist, diesen Beschluss vor dem Gericht der Europäischen Union anzufechten?
Zu den Vorlagefragen
34 Mit seinen beiden Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 108 und Art. 288 Abs. 4 AEUV, die Art. 16 und 31 der Verordnung 2015/1589 sowie die Art. 41 und 47 der Charta dahin auszulegen sind, dass sie, wenn in einem Beschluss der Kommission die Rückforderung einer staatlichen Beihilfe von einem darin genannten Empfänger angeordnet wird, einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der die zuständigen nationalen Stellen im Rahmen ihrer Aufgabe der Durchführung dieses Beschlusses die Rückforderung dieser Beihilfe von einem anderen Unternehmen auf der Grundlage dessen anordnen können, dass zwischen diesem Unternehmen und dem im Kommissionsbeschluss genannten Beihilfeempfänger eine wirtschaftliche Kontinuität gegeben ist.
35 Als Erstes ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 288 Abs. 4 AEUV Beschlüsse „in allen ihren Teilen verbindlich [sind]“ und dass sie, wenn „sie an bestimmte Adressaten gerichtet [sind]“, nur für diese verbindlich sind.
36 Darüber hinaus ergibt sich aus Art. 31 der Verordnung 2015/1589, dass die nach Art. 9 Abs. 5 dieser Verordnung erlassenen Beschlüsse, mit denen die Unvereinbarkeit der angemeldeten Beihilfe mit dem Binnenmarkt festgestellt wird („Negativbeschlüsse“), sowie die nach Art. 16 dieser Verordnung erlassenen Beschlüsse, mit denen die Rückforderung der Beihilfe angeordnet wird, an den betreffenden Mitgliedstaat gerichtet sind, was auch aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervorgeht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. September 2002, Falck und Acciaierie di Bolzano/Kommission, C‑74/00 P und C‑75/00 P, EU:C:2002:524, Rn. 81 bis 83).
37 Demnach ist im vorliegenden Fall allein die Italienische Republik Adressatin des Beschlusses der Kommission vom 19. Januar 2015, während Buonotourist, die darin als Empfängerin der betreffenden staatlichen Beihilfe bezeichnet ist, keine Adressatin dieses Beschlusses ist.
38 Als Zweites ist daran zu erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung der Mitgliedstaat, an den ein Beschluss gerichtet ist, der ihn zur Rückforderung rechtswidriger Beihilfen verpflichtet, nach Art. 288 AEUV alle geeigneten Maßnahmen zu ergreifen hat, um die Durchführung dieses Beschlusses sicherzustellen (Urteil vom 15. September 2022, Fossil [Gibraltar], C‑705/20, EU:C:2022:680, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).
39 Hierzu geht aus dem 25. Erwägungsgrund und Art. 16 Abs. 3 Satz 1 der Verordnung 2015/1589 hervor, dass die Rückforderung unverzüglich und nach den Verfahren des betreffenden Mitgliedstaats zu erfolgen hat, sofern hierdurch die sofortige und tatsächliche Vollstreckung des Beschlusses der Kommission ermöglicht wird. Zu diesem Zweck haben die betreffenden Mitgliedstaaten nach Art. 16 Abs. 3 letzter Satz dieser Verordnung unbeschadet des Unionsrechts „alle“ in ihren jeweiligen Rechtsordnungen verfügbaren „erforderlichen Schritte“ einschließlich vorläufiger Maßnahmen zu unternehmen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 20. Mai 2010, Scott und Kimberly Clark, C‑210/09, EU:C:2010:294, Rn. 28, und vom 11. September 2014, Kommission/Deutschland, C‑527/12, EU:C:2014:2193, Rn. 38). Der Mitgliedstaat muss erreichen, dass er die geschuldeten Beträge tatsächlich wiedererlangt (Urteil vom 5. Mai 2011, Kommission/Italien, C‑305/09, EU:C:2011:274, Rn. 27).
40 Außerdem ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs eine zu Unrecht gezahlte staatliche Beihilfe, da das Hauptziel ihrer Rückzahlung in der Beseitigung der Wettbewerbsverzerrung besteht, die durch den aufgrund der rechtswidrigen Beihilfe entstandenen Wettbewerbsvorteil verursacht wurde, von der Gesellschaft zurückzufordern, die die Geschäftstätigkeit des Unternehmens fortführt, das von dieser Beihilfe profitiert hat, wenn erwiesen ist, dass dieser Gesellschaft der tatsächliche Nutzen des mit dem Erhalt der Beihilfe verbundenen Wettbewerbsvorteils verbleibt (Urteil vom 7. März 2018, SNCF Mobilités/Kommission, C‑127/16 P, EU:C:2018:165, Rn. 104 und 106 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). Darauf wird im Übrigen auch in Rn. 83 Satz 1 der Rückforderungsbekanntmachung hingewiesen.
41 Die Erwägungen in den Rn. 38 bis 40 des vorliegenden Urteils stehen somit einer Auslegung von Art. 288 AEUV entgegen, wonach die Mitgliedstaaten gehalten wären, eine staatliche Beihilfe, die durch einen Beschluss der Kommission für rechtswidrig und mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt wurde, nur von dem im Kommissionsbeschluss genannten Beihilfeempfänger zurückzufordern.
42 Was nämlich einen Rückforderungsbeschluss betrifft, in dem wie im vorliegenden Fall der Empfänger einer Einzelbeihilfe genau genannt wird, so entspricht diese Nennung, wie von der Kommission in ihren Erklärungen betont, lediglich einer situativen Beurteilung, die anlässlich des Erlasses dieses Beschlusses anhand der Informationen vorgenommen wird, über die die Kommission zu diesem konkreten Zeitpunkt verfügt.
43 Diese Nennung ist somit Teil der Bezeichnung der Beihilfe, auf die sich der Beschluss der Kommission bezieht. Der Kommissionsbeschluss kann daher nicht dahin ausgelegt werden, dass er den betreffenden Mitgliedstaat daran hindert, die fragliche Beihilfe von einem anderen Unternehmen zurückzufordern, wenn dieses andere Unternehmen im Sinne der oben in Rn. 40 angeführten Rechtsprechung die Geschäftstätigkeit des Beihilfeempfängers fortführt und ihm der tatsächliche Nutzen des mit dem Erhalt der Beihilfe verbundenen Wettbewerbsvorteils verbleibt.
44 Es kann nämlich vorkommen, dass der mit dem Erhalt einer Einzelbeihilfe verbundene Wettbewerbsvorteil an ein anderes Unternehmen weitergegeben wird, nachdem die Kommission den Rückforderungsbeschluss erlassen hat, z. B. anlässlich einer Übertragung von Vermögenswerten, wie in den Rn. 89 bis 92 der Rückforderungsbekanntmachung ausgeführt wird.
45 Werden Vermögenswerte übertragen, beurteilt sich eine wirtschaftliche Kontinuität zwischen den an der Übertragung beteiligten Gesellschaften nach dem Gegenstand der Übertragung – d. h. den Aktiva und Passiva, dem Fortbestand der Belegschaft, den gebündelten Aktiva –, dem Übertragungspreis, der Identität der Aktionäre oder Eigentümer des erwerbenden und des ursprünglichen Unternehmens, dem Zeitpunkt der Übertragung – d. h. nach Beginn der Untersuchung, der Verfahrenseinleitung oder des abschließenden Beschlusses – oder auch der ökonomischen Folgerichtigkeit der Transaktion (Urteil vom 7. März 2018, SNCF Mobilités/Kommission, C‑127/16 P, EU:C:2018:165, Rn. 108 und die dort angeführte Rechtsprechung).
46 Folglich müssen die nationalen Behörden und Gerichte im Rahmen ihrer Aufgabe der Rückforderung der Beihilfe und zur Gewährleistung der vollen Wirksamkeit eines Rückforderungsbeschlusses der Kommission, in dem der Beihilfeempfänger genau genannt wird, sowie zur tatsächlichen Beseitigung der Wettbewerbsverzerrung, die durch den mit dem Erhalt der Beihilfe verbundenen Wettbewerbsvorteil verursacht wurde, ein anderes Unternehmen als das im Rückforderungsbeschluss genannte bestimmen, wenn der mit der fraglichen Beihilfe verbundene Vorteil nach Erlass des Rückforderungsbeschlusses tatsächlich an dieses andere Unternehmen weitergegeben wurde.
47 Das Bestehen einer solchen Verpflichtung der nationalen Stellen wird durch die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs bestätigt, nach der den nationalen Gerichten und der Kommission einander ergänzende und unterschiedliche Rollen zufallen (Urteil vom 7. Dezember 2023, RegioJet und STUDENT AGENCY, C‑700/22, EU:C:2023:960, Rn. 13) und die nationalen Gerichte im Bereich staatlicher Beihilfen mit Rechtsstreitigkeiten befasst werden können, in denen sie den Beihilfebegriff von Art. 107 Abs. 1 AEUV auslegen und anwenden müssen, aber nicht dafür zuständig sind, über die Vereinbarkeit einer staatlichen Beihilfe mit dem Binnenmarkt zu befinden, wofür ausschließlich die Kommission zuständig ist, die dabei der Kontrolle durch die Unionsgerichte unterliegt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. März 2020, Buonotourist/Kommission, C‑586/18 P, EU:C:2020:152, Rn. 90 und die dort angeführte Rechtsprechung).
48 Was die Vorbehalte des vorlegenden Gerichts hinsichtlich des Entscheidungscharakters der Mitteilungen und informellen Hinweise betrifft, die seitens der Dienststellen der Kommission im Hinblick auf die Prüfung der wirtschaftlichen Kontinuität an die nationalen Stellen ergingen, so hat der Gerichtshof entschieden, dass solche Stellungnahmen nicht zu den Handlungen zählen, die auf der Grundlage der Verordnung 2015/1589 erlassen werden können, und das nationale Gericht nicht binden können. Er hat jedoch klargestellt, dass das nationale Gericht die Anhaltspunkte, die in so gearteten Stellungnahmen sowie in den Stellungnahmen der Kommission, um die das nationale Gericht ersucht haben mag, enthalten sind, aufgrund dessen, dass sie die Erfüllung der Aufgabe der nationalen Stellen bei der sofortigen und tatsächlichen Durchführung des Rückforderungsbeschlusses erleichtern sollen, und angesichts des in Art. 4 Abs. 3 EUV niedergelegten Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit bei der Würdigung im Rahmen des bei ihm anhängigen Rechtsstreits berücksichtigen und seine Entscheidung in Ansehung des gesamten ihm unterbreiteten Akteninhalts begründen muss (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Februar 2014, Mediaset, C‑69/13, EU:C:2014:71, Rn. 26, 28 und 31).
49 Als Drittes ist in Anbetracht der oben in Rn. 32 zusammengefassten Ausführungen des vorlegenden Gerichts in Bezug auf die Art. 41 und 47 der Charta eine Unterscheidung vorzunehmen zwischen einerseits der Möglichkeit für ein Unternehmen in der Lage der Klägerin des Ausgangsverfahrens, sich am Verfahren zur Prüfung einer staatlichen Beihilfe durch die Kommission zu beteiligen und gegebenenfalls den Beschluss der Kommission, mit der diese Beihilfe für rechtswidrig und mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt wird, anzufechten, und andererseits der Möglichkeit für dieses Unternehmen, sich an dem Verfahren vor einer nationalen Stelle zu beteiligen, das zu einer Entscheidung führen kann, mit der das Bestehen einer wirtschaftlichen Kontinuität zwischen ihm und dem im Kommissionsbeschluss genannten Beihilfeempfänger festgestellt und es zur Rückzahlung der fraglichen Beihilfe verpflichtet wird, sowie gegebenenfalls der Möglichkeit, diese nationale Entscheidung anzufechten.
50 Was erstens das Verfahren vor der Kommission betrifft, ist das Verfahren zur Kontrolle staatlicher Beihilfen nach seinem allgemeinen Aufbau ein Verfahren, das gegenüber dem Mitgliedstaat eröffnet wird, der die Gewährung der Beihilfe im Hinblick auf seine unionsrechtlichen Verpflichtungen zu verantworten hat. Andere Beteiligte als der betroffene Mitgliedstaat haben in diesem Verfahren selbst keinen Anspruch auf eine streitige Erörterung mit der Kommission, wie sie zugunsten dieses Mitgliedstaats eingeleitet wird. Es handelt sich nicht um ein Verfahren gegen den oder die Beihilfeempfänger, das es mit sich brächte, dass dieser oder diese so umfassende Rechte wie die Verteidigungsrechte als solche beanspruchen könnten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. März 2020, Kommission/Gmina Miasto Gdynia und Port Lotniczy Gdynia Kosakowo, C‑56/18 P, EU:C:2020:192, Rn. 73 bis 75).
51 Zu dem Fall, dass der tatsächliche Empfänger einer Beihilfe, der in einem nationalen Rückforderungsrechtsakt wegen des Bestehens einer wirtschaftlichen Kontinuität mit dem früheren Empfänger als solcher bezeichnet wird, nicht befugt gewesen sein sollte, eine Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV gegen den Beschluss der Kommission zu erheben, mit dem diese Beihilfe für rechtswidrig und mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt und ihre Rückforderung angeordnet wurde, ist darauf hinzuweisen, dass einem solchen tatsächlichen Empfänger gleichwohl gerichtlicher Rechtsschutz durch das Unionsrecht gewährt wird.
52 Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich nämlich, dass die Kontrolle eines nationalen Rechtsakts, der auf die Rückforderung einer rechtswidrigen und mit dem Binnenmarkt unvereinbaren staatlichen Beihilfe gerichtet ist, durch das nationale Gericht bloß Ausfluss des in Art. 47 der Charta verankerten Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Mai 2010, Scott und Kimberly Clark, C‑210/09, EU:C:2010:294, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).
53 In diesem Zusammenhang kann der tatsächliche Empfänger die Gültigkeit des Beschlusses der Kommission, mit dem die Beihilfe für rechtswidrig und mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt wurde, auch vor dem nationalen Gericht anfechten, wenn eine Klage nach Art. 263 AEUV von ihm gegen diesen Beschluss nicht ohne jeden Zweifel zulässig gewesen wäre (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 17. Februar 2011, Bolton Alimentari, C‑494/09, EU:C:2011:87, Rn. 22 und 23 sowie die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 25. Juli 2018, Georgsmarienhütte u. a., C‑135/16, EU:C:2018:582, Rn. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung). Zwar ist das nationale Gericht nicht befugt, selbst die Ungültigkeit eines solchen Beschlusses festzustellen, da die Feststellung der Ungültigkeit von Unionshandlungen allein dem Gerichtshof zukommt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Juli 2007, Lucchini, C‑119/05, EU:C:2007:434, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung). Ist ein nationales Gericht jedoch der Auffassung, dass einer oder mehrere der von den Parteien für die Ungültigkeit einer Handlung der Union vorgebrachten oder gegebenenfalls von Amts wegen geprüften Gründe durchgreifen, muss es das Verfahren aussetzen und dem Gerichtshof ein Ersuchen um Vorabentscheidung über die Gültigkeit vorlegen, da allein der Gerichtshof befugt ist, die Ungültigkeit einer Handlung der Union festzustellen (Urteil vom 3. Oktober 2013, Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat, C‑583/11 P, EU:C:2013:625, Rn. 96 und die dort angeführte Rechtsprechung).
54 Was zweitens die Wahrung der Rechte des tatsächlichen Empfängers einer Beihilfe im Rahmen eines Verfahrens vor einer nationalen Stelle betrifft, das zu einer Entscheidung führen kann, mit der das Bestehen einer wirtschaftlichen Kontinuität festgestellt und die Rückzahlung der Beihilfe gegenüber diesem tatsächlichen Empfänger angeordnet wird, ist vorab darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht, wie aus Rn. 32 des vorliegenden Urteils hervorgeht, von der Prämisse ausgeht, dass die Feststellung des Bestehens einer wirtschaftlichen Kontinuität allein der Beurteilungsbefugnis der Kommission unterliege. Aus den Rn. 41 und 43 des vorliegenden Urteils ergibt sich jedoch, dass diese Prämisse falsch ist.
55 Jedenfalls ergibt sich zwar aus dem Wortlaut von Art. 41 der Charta, dass dieser nicht an die Mitgliedstaaten gerichtet ist (Urteil vom 17. Juli 2014, YS u. a., C‑141/12 und C‑372/12, EU:C:2014:2081, Rn. 67), doch trifft nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs die Pflicht zur Wahrung der Verteidigungsrechte der Adressaten von Entscheidungen, die ihre Interessen spürbar beeinträchtigen, auch grundsätzlich die Verwaltungen der Mitgliedstaaten, wenn sie Maßnahmen treffen, die in den Geltungsbereich des Unionsrechts fallen (Urteil vom 10. September 2013, G. und R., C‑383/13 PPU, EU:C:2013:533, Rn. 35). Daher hat die nationale Stelle, die den Erlass einer Entscheidung über die Rückforderung einer für rechtswidrig erklärten Beihilfe von dem tatsächlichen Empfänger der Beihilfe beabsichtigt, sicherzustellen, dass dessen Verteidigungsrechte gewahrt sind.
56 Außerdem ergibt sich aus Rn. 52 des vorliegenden Urteils, dass der tatsächliche Empfänger der Beihilfe die Möglichkeit haben muss, eine solche Entscheidung von einem nationalen Gericht überprüfen zu lassen, das, wenn es Zweifel hinsichtlich der Auslegung des Unionsrechts hat, den Gerichtshof gemäß Art. 267 AEUV mit einem Vorabentscheidungsverfahren befassen kann oder – je nach Fall – muss.
57 Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 108 und Art. 288 Abs. 4 AEUV, die Art. 16 und 31 der Verordnung 2015/1589 sowie die Art. 41 und 47 der Charta dahin auszulegen sind, dass sie, wenn in einem Beschluss der Kommission die Rückforderung einer staatlichen Beihilfe von einem darin genannten Empfänger angeordnet wird, einer nationalen Regelung, nach der die zuständigen nationalen Stellen im Rahmen ihrer Aufgabe der Durchführung dieses Beschlusses die Rückforderung dieser Beihilfe von einem anderen Unternehmen auf der Grundlage dessen anordnen können, dass zwischen diesem Unternehmen und dem im Kommissionsbeschluss genannten Beihilfeempfänger eine wirtschaftliche Kontinuität gegeben ist, nicht entgegenstehen.