BGH: Rechtsbeschwerde gegen Aussetzungsbeschluss
BGH, Beschluss vom 6.11.2024 – III ZB 107/22
Volltext: BB-Online BBL2025-2-3
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Amtlicher Leitsatz
Gegen die Aussetzung eines Verfahrens gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG in der bis zum 19. Juli 2024 geltenden Fassung durch ein Berufungsgericht ist die Rechtsbeschwerde nur unter den Voraussetzungen des § 574 Abs. 1 ZPO statthaft (Weiterführung von Senat, Beschluss vom 25. Oktober 2018 - III ZB 71/18, NJW 2019, 376).
KapMuG § 8 Abs. 1 Satz 1 aF; ZPO § 574 Abs. 1
Aus den Gründen
1 I. Der Kläger verlangt von der beklagten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Erwerb von Aktien der W. AG insbesondere unter dem Vorwurf, die Beklagte habe behauptete Vermögenswerte der W. AG "ins Blaue hinein" testiert. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht, vor dem der Kläger seine Ansprüche weiterverfolgt, hat das Verfahren durch Beschluss vom 4. Juli 2022 gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG aF im Hinblick auf den am 16. März 2022 im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlichten Vorlagebeschluss des Landgerichts München I - 3. Zivilkammer - vom 14. März 2022 - 3 OH 2767/22 KapMuG - ausgesetzt. Die Rechtsbeschwerde gegen diesen Beschluss hat das Berufungsgericht nicht zugelassen. Gegen diesen Beschluss hat der Kläger "Beschwerde" eingelegt, "nochmals die Zulassung der Rechtsbeschwerde" beantragt und darum gebeten, seine Ausführungen - sollte das Berufungsgericht diesen Anträgen nicht stattgeben - als Anhörungsrüge gemäß § 321a ZPO zu verstehen.
2 Das Berufungsgericht hat mit Beschluss vom 21. Juli 2022 die Beschwerde sowie die Anhörungsrüge als unzulässig verworfen und eine Fortsetzung des Verfahrens abgelehnt. Die Rechtsbeschwerde hat das Berufungsgericht wiederum nicht zugelassen. Mit seiner Rechtsbeschwerde möchte der Kläger, der die Voraussetzungen für eine Aussetzung gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG aF nicht für gegeben erachtet, sein Begehren weiterverfolgen.
3 II. Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig. Das Rechtsmittel ist nur statthaft, wenn dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug es in dem angefochtenen Beschluss zugelassen hat (§ 574 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Daran fehlt es. Die Rechtsbeschwerde ist auch nicht als außerordentlicher Rechtsbehelf statthaft.
4 1. Auf den angefochtenen Beschluss ist § 574 ZPO anwendbar. Aussetzungsbeschlüsse gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG in der hier maßgeblichen bis zum 19. Juli 2024 geltenden Fassung sind nach Maßgabe des § 252 ZPO anfechtbar, nachdem durch das Gesetz zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes vom 19. Oktober 2012 (BGBl. I S. 2182) der Ausschluss der Anfechtbarkeit gemäß § 7 Abs. 1 Satz 4 des KapMuG in der bis zum 31. Oktober 2012 gültigen Fassung ersatzlos aufgehoben worden war (vgl. BT-Drucks. 17/8799 S. 21). § 252 ZPO wiederum steht im Zusammenhang mit der Regelung des § 567 Abs. 1 ZPO, woraus sich ergibt, dass die sofortige Beschwerde nur gegen im ersten Rechtszug ergangene Entscheidungen der Amts- und Landgerichte statthaft ist. Bei allen Entscheidungen der Oberlandesgerichte kommt das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde nicht in Betracht, sondern ist die Rechtsbeschwerde eröffnet, die entweder die ausdrückliche Zulassung in einem Gesetz (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) oder die Zulassung durch das Oberlandesgericht im Einzelfall (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) erfordert (vgl. Senat, Beschluss vom 25. Oktober 2018 - III ZB 71/18, NJW 2019, 376 Rn. 5 m.w.N. zu einer Aussetzung nach § 201 Abs. 3 Satz 1 GVG). Diese Rechtsprechung entspricht ganz überwiegender Ansicht (MüKoZPO/Stackmann, 6. Aufl., § 252 Rn. 15 f; MüKoZPO/Hamdorf, aaO, § 567 Rn. 1 und 5; Anders/Gehle/Becker, ZPO, 82. Aufl., § 252 Rn. 7; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 23. Aufl., § 252 Rn. 7; Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO, 5. Aufl., § 252 Rn. 7; Zöller/Feskorn, ZPO, 35. Aufl., § 567 ZPO Rn. 2; vgl. auch Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 21. Aufl., § 252 Rn. 1). Ein Rechtsmittel gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde ist im Gesetz nicht vorgesehen und auch verfassungsrechtlich nicht geboten (vgl. BGH, Beschluss vom 8. November 2004 - II ZB 24/03, NJW-RR 2005, 294 f mwN).
5 2. Etwas anderes kann - entgegen der von der Rechtsbeschwerde und Knops (ZZP 2022, 461 ff) vertretenen Auffassung - auch nicht für eine Aussetzung gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG aF gelten.
6 a) Ein Instanzenzug ist von Verfassungs wegen nicht garantiert (BVerfGE 107, 395, 401 f; BGH aaO). Soweit aus dem allgemeinen Justizgewährleistungsanspruch das Gebot einer zumindest einmaligen Kontrolle der Einhaltung von Verfahrensgrundrechten, insbesondere demjenigen gemäß Art. 103 Abs. 1 GG folgt (vgl. BVerfGE aaO S. 408 ff), hat dem der Gesetzgeber durch die Einführung der Anhörungsrüge gemäß § 321a ZPO Rechnung getragen. Die Zulassung eines Rechtsbehelfs neben denjenigen, die in den Verfahrensgesetzen normiert sind, verstieße gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende verfassungsrechtliche Gebot der Rechtsmittelklarheit (BVerfG aaO S. 416 f; BGH, Beschlüsse vom 18. Oktober 2018 - IX ZB 31/18, BGHZ 220, 90 Rn. 18 und vom 8. November 2004 aaO jew. mwN).
7 b) Soweit die Rechtsbeschwerde die Garantie effektiven Rechtsschutzes dadurch verletzt sieht, dass eine Verzögerung des Musterverfahrens zu einer wirtschaftlichen Entwertung der Ansprüche des Klägers führen könne, rechtfertigt dies keine Abweichung von den dargestellten Grundsätzen. Der Gesetzgeber hat das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz im Jahr 2005 zur effektiven gerichtlichen Handhabung von Massenklagen mit kapitalmarktrechtlichem Bezug beschlossen (vgl. BT-Drucks. 17/8799 S. 1). Er hat dieses Gesetz als insoweit taugliches Instrument bewertet und dem erkannten Überarbeitungsbedarf durch das bereits erwähnte Gesetz zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes vom 19. Oktober 2012 (aaO) Rechnung getragen und dabei die Anfechtbarkeit des Aussetzungsbeschlusses im oben dargestellten Rahmen des § 252 ZPO eröffnet. Die Gerichte sind aus Gründen der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 3 GG) nicht befugt, diese innerhalb der weiten gesetzgeberischen Einschätzungs- und Beurteilungsprärogative liegenden Wertungen und Entscheidungen zu korrigieren.
8 Zudem ist eine Anfechtbarkeit des Aussetzungsbeschlusses nicht die einzige Möglichkeit, dem Kläger Rechtsschutz gegen nicht mehr hinnehmbare Verzögerungen zu gewähren. Vielmehr kann das Oberlandesgericht, sollte dies verfassungsrechtlich geboten sein, das ausgesetzte Verfahrens gemäß § 150 ZPO fortsetzen (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 16. Juni 2020 - II ZB 30/19, WM 2020, 1422 Rn. 26). Deshalb kann der Aussetzungsbeschluss als solcher noch nicht zu einer irreversiblen Verletzung von Grundrechten und der Folge führen, dass gegebenenfalls geprüft werden müsste, ob ausnahmsweise das an sich nicht vorgesehene Rechtsmittel als statthaft zu behandeln wäre (vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom 4. Mai 2022 - VII ZB 46/21, BGHZ 233, 258 Rn. 14 ff; vom 18. Dezember 2008 - I ZB 118/07, NJW-RR 2009, 995 Rn. 12 ff und vom 14. März 2007 - XII ZB 201/06, BGHZ 171, 326 Rn. 16 f).
9 Auch eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG durch den Ausschluss des Rechtsmittels ist nicht erkennbar. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist Entscheidungen von Berufungsgerichten eine höhere Richtigkeitsgewähr beizumessen als erstinstanzlichen Entscheidungen. Nur aufgrund dieser Annahme ergibt ein Rechtsmittelsystem überhaupt Sinn, und diese liegt auch den Regelungen des § 717 Abs. 2 ZPO einerseits und § 717 Abs. 3 ZPO andererseits zugrunde, die die Folgen einer Vollstreckung aus einem erst- beziehungsweise zweitinstanzlichen vorläufig vollstreckbaren Urteil unterschiedlichen Haftungsregimes unterstellen (vgl. BGH, Urteil vom 25. Oktober 1977 - VI ZR 166/75, BGHZ 69, 373). Ob eine Entscheidung durch den Bundesgerichtshof "durchaus von Vorteil" wäre - wie die Rechtsbeschwerdebegründung (S. 11) meint -, kann für die Beurteilung der abstrakt-generellen Regelung, die auch der Funktion und Funktionsfähigkeit des Bundesgerichtshofs Rechnung tragen muss (vgl. BT-Drucks 14/4722 S. 116), im Hinblick auf die dargestellten Anforderungen an die Rechtsmittelklarheit nicht maßgeblich sein.