BGH: Recht des geschädigten Dritten auf abgesonderte Befriedigung aus dem Freitstellungsanspruch des Versicherungsnehmers gegen den Versicherer
BGH, Urteil vom 18.7.2013 - IX ZR 311/12
Leitsätze
a) Ein geschädigter Dritter kann wegen des ihm gegen den Versicherungsnehmer zustehenden Anspruchs abgesonderte Befriedigung aus dessen Freistellungsanspruch gegen den Versicherer verlangen, wenn über das Vermögen des Versicherungsnehmers das Insolvenzverfahren eröffnet ist; er kann den Anspruch im Fall der Verfahrensunterbrechung durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Wege der Aufnahme des gegen den Schuldner geführten Rechtsstreits verfolgen (Fortführung von BGH, ZIP 1989, 857).
b) Die Aufnahme des durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Versicherungsnehmers unterbrochenen Kostenfestsetzungsverfahrens stellt den gegenüber der Zahlungsklage gegen den Insolvenzverwalter des Versicherungsnehmers einfacheren und billigeren Weg zur Geltendmachung der von dem Absonderungsrecht gedeckten Kosten des Rechtsstreits dar.
Sachverhalt
Der Kläger ist Verwalter in dem am 23. Dezember 2004 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der B. GmbH (fortan: B.), die von der Steuerberaterin -Sch. (fortan: Schuldnerin) beraten wurde. Der Beklagte ist Insolvenzverwalter im Verfahren über das Vermögen der Steuerberaterin, das am 3. Juni 2009 eröffnet worden ist. In einem Vorprozess zwischen dem Kläger und der Schuldnerin erließ das Landgericht Limburg an der Lahn am 29. März 2009 ein Versäumnisurteil gegen die Schuldnerin, in dem unter anderem festgestellt wird, dass diese dem Kläger als Insolvenzverwalter den materiellen Schaden zu ersetzen hat, welcher der Masse dadurch entstanden ist, dass sie die Ansprüche in mehreren für die B. geführten Einspruchsverfahren vor dem Finanzamt Essen-Ost nicht begründet, in einem finanzgerichtlichen Verfahren vor dem Finanzgericht Düsseldorf die Klagefrist versäumt und mehrere mit einer Verfügung des Gerichts angeforderte Rechnungen nicht vorgelegt hat. Gegen dieses Versäumnisurteil ist bislang kein Einspruch eingelegt worden. Das dazugehörige Kostenfestsetzungsverfahren ist aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin unterbrochen.
Im vorliegenden Rechtsstreit begehrt der Kläger - soweit hier noch von Bedeutung - die Verurteilung des Beklagten zur Begleichung der Kosten des Vorprozesses vor dem Landgericht Limburg in Höhe von 2.908,66 € sowie Schadensersatz in Höhe von 34 €. Den letztgenannten Betrag hat das Finanzamt als Verspätungszuschlag wegen der nicht rechtzeitigen Abgabe der Körperschaftsteuererklärung für das Jahr 2003 durch die Schuldnerin festgesetzt. Der Kläger hat seine Zahlungsansprüche jeweils auf den Deckungsanspruch der Schuldnerin gegen ihren Vermögensschadenshaftpflichtversicherer beschränkt.
Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger weiterhin Zahlung von 2.942,66 € beschränkt auf den Deckungsanspruch der Schuldnerin gegen ihren Haftpflichtversicherer.
Aus den Gründen
4 Die Revision ist unbegründet.
5 I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Klage sei unzulässig, soweit es um die Kosten des vor dem Landgericht Limburg geführten Vorprozesses gehe. Insoweit habe der Kläger die Möglichkeit, durch Aufnahme des Kostenfestsetzungsverfahrens innerhalb des unterbrochenen Prozesses gemäß § 86 Abs. 1 Nr. 2 InsO auf einfacherem und kostengünstigerem Weg die Titulierung seines Anspruchs zu erreichen. Im Hinblick auf § 110 VVG, der im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Versicherungsnehmers dem geschädigten Dritten wegen des ihm gegen den Versicherungsnehmer zustehenden Anspruchs ein Recht auf abgesonderte Befriedigung aus dem Freistellungsanspruch des Versicherungsnehmers gebe, sei anerkannt, dass insoweit unmittelbar Zahlungsklage gegen den Insolvenzverwalter erhoben werden könne. Nach § 86 Abs. 1 Nr. 2 InsO könne im Fall einer bei Verfahrenseröffnung anhängigen Haftungsklage der Rechtsstreit beschränkt auf den Anspruch auf abgesonderte Befriedigung aus dem Freistellungsanspruch gegen den Versicherer sowohl vom Insolvenzverwalter als auch vom Gegner aufgenommen werden. Einer vorherigen Anmeldung und Feststellung der Forderung zur Insolvenztabelle bedürfe es nicht. Die Möglichkeit der Aufnahme des Verfahrens müsse aus prozessökonomischen Gründen auch hinsichtlich eines durch die Verfahrenseröffnung über das Vermögen des Versicherungsnehmers gemäß § 240 ZPO unterbrochenen Kostenfestsetzungsverfahrens bestehen. Der Versicherer hafte im Rahmen seiner Freistellungspflicht auch für die Kosten des gegen den Versicherungsnehmer geführten Prozesses auf abgesonderte Befriedigung. Die Aufnahme des Kostenfestsetzungsverfahrens stelle deshalb den einfacheren und billigeren Weg dar, den Anspruch zu titulieren.
6 Soweit das Amtsgericht einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 34 € abgewiesen habe, sei nicht dargelegt, dass die Schuldnerin sich schadensersatzpflichtig gemacht habe, weil schon die Darlegung des Klägers fehle, zu welchem Zeitpunkt sich die Beklagte im Besitz der für die Anfertigung der Körperschaftsteuererklärung für das Jahr 2003 notwendigen Unterlagen befunden habe. Aus dem Versäumnisurteil des Landgerichts Limburg vom 29. März 2009 könne eine entsprechende Haftung nicht entnommen werden, weil sich dieses Urteil nicht mit dem Säumniszuschlag wegen verspäteter Abgabe der Körperschaftsteuererklärung für 2003 befasse.
7 II. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung stand.
8 1. Die Klage ist mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, soweit der Kläger den Anspruch auf Bezahlung der Kosten des Vorprozesses im Wege der Absonderungsklage verfolgt.
9 Das Berufungsgericht ist zutreffend von einem fehlenden Rechtsschutzbedürfnis des Klägers für die gegen den Beklagten erhobene Zahlungsklage unter Beschränkung auf den Freistellungsanspruch gegen den Haftpflichtversicherer der Schuldnerin ausgegangen. Die Aufnahme des durch die Verfahrenseröffnung unterbrochenen Kostenfestsetzungsverfahrens stellt einen einfacheren und billigeren Weg dar, um zu einer Festsetzung der Kosten des durch die Insolvenzeröffnung unterbrochenen Rechtsstreits unter Beschränkung auf den Freistellungsanspruch der Schuldnerin zu gelangen.
10 a) Gemäß § 110 VVG, der inhaltlich der früheren Regelung des § 157 VVG aF entspricht, kann der Dritte wegen des ihm gegen den Versicherungsnehmer zustehenden Anspruchs abgesonderte Befriedigung aus dem Freistellungsanspruch des Versicherungsnehmers verlangen, wenn über das Vermögen des Versicherungsnehmers das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Diesen Freistellungsanspruch kann der Dritte durch unmittelbare Klage auf Zahlung gegen den Insolvenzverwalter, beschränkt auf die Leistung aus der Versicherungsforderung, geltend machen, ohne dass es des Umwegs über das insolvenzrechtliche Anmeldungs- und Prüfungsverfahren bedarf (BGH, Urteil vom 13. Juli 1956 - VI ZR 223/54, VersR 1956, 625, 626; vom 25. April 1989 - VI ZR 146/88, ZIP 1989, 857; OLG Hamm, Urteil vom 23. April 2012 - 18 U 236/10, Rn. 47 f; Prölss/Martin/Lücke, VVG, 28. Aufl., § 110 Rn. 6; MünchKomm-VVG/ Littbarski, § 110 Rn. 23 f, 28; MünchKomm-InsO/Ganter, 3. Aufl., § 51 Rn. 238). Ist hinsichtlich der Schadensersatzforderung des Dritten gegen den Schuldner zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung bereits ein Rechtsstreit anhängig, der durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 240 ZPO unterbrochen wird, kann der Dritte diesen Rechtsstreit gemäß § 86 Abs. 1 Nr. 2 InsO insoweit aufnehmen, als er abgesonderte Befriedigung aus dem Freistellungsanspruch des Versicherungsnehmers gegen die Versicherung geltend macht. Dies folgt aus der Aufwertung des Zahlungsanspruchs durch § 110 VVG.
11 § 86 Abs. 1 Nr. 2 InsO sieht vor, dass Rechtsstreitigkeiten, die zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner anhängig sind, sowohl vom Insolvenzverwalter als auch vom Gegner aufgenommen werden können, wenn sie die abgesonderte Befriedigung betreffen. Es gibt durchgreifende Gründe, die Regelung des § 86 Abs. 1 Nr. 2 InsO auf das Absonderungsrecht des § 110 VVG anzuwenden.
12 aa) Allerdings betrifft die Vorschrift zuvörderst anhängige Rechtsstreitigkeiten gegen den Schuldner, die unmittelbar die abgesonderte Befriedigung betreffen, wie etwa Klagen auf Duldung der Zwangsvollstreckung aus einem Grundstück wegen eines Grundpfandrechts, Vorzugsklagen nach § 805 ZPO und Teilungsklagen (vgl. HK-InsO/Kayser, 6. Aufl., § 86 Rn. 11). Demgegenüber ist Gegenstand des unterbrochenen Haftungsprozesses allein der Zahlungsanspruch des Anspruchstellers gegen den Versicherungsnehmer und nicht das Recht, sich aus der Deckungsforderung gegen den Versicherer zu befriedigen. Der Deckungsanspruch ist nicht gegenständlich beschränkt, sondern auf die Haftung des Schuldners mit seinem gesamten Vermögen ausgerichtet. Es geht in Fällen der vorliegenden Art auch nicht um die Herausgabe oder Freigabe des Deckungsanspruchs, der im Haftungsprozess anders als in den genannten typischen Fällen des § 86 Abs. 1 Nr. 2 InsO keine Rolle spielt (vgl. Thole, NZI 2011, 41, 42 f).
13 bb) Trotz dieser konstruktiven Unterschiede spricht gleichwohl mehr dafür, auch die Zahlungsklage des Anspruchstellers unter § 86 Abs. 1 Nr. 2 InsO zu fassen. Da dem Gläubiger nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Sonderfall des § 110 VVG das Recht eingeräumt ist, gegen den Insolvenzverwalter auf Zahlung, beschränkt auf Leistung aus der Versicherungsforderung, zu klagen und auf diese Weise indirekt das Absonderungsrecht geltend zu machen, liefe es auf eine überflüssige Förmelei hinaus, den Gläubiger auf einen neuen Prozess nach Insolvenzeröffnung zu verweisen (vgl. Thole, aaO S. 42). Durch die Notwendigkeit der Beschränkung des Klageantrags ist prozessual auf andere Weise sichergestellt, dass nicht ein als reine Insolvenzforderung zu qualifizierender Haftungsanspruch entgegen § 87 InsO von § 86 InsO erfasst wird. Mit der Zulassung der Absonderungsklage gegen den Insolvenzverwalter ist deshalb folgerichtig auch die Zulassung einer Verfahrensaufnahme nach § 86 Abs. 1 Nr. 2 InsO verbunden.
14 b) Das Recht zur Aufnahme des Passivprozesses schließt die Aufnahme wegen entstandener Kosten ein, soweit diese durch das Recht gesichert sind, das dem Gläubiger im Sinne des § 86 InsO abgesonderte Befriedigung gewährt (vgl. Lüke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2010, § 86 Rn. 12; MünchKomm-InsO/ Schumacher, 2. Aufl., § 86 Rn. 25; Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 86 Rn. 12; HmbKomm-InsO/Kuleisa, 4. Aufl., § 86 Rn. 10, 21). Dies folgt aus der Reichweite des Freistellungsanspruchs des Versicherungsnehmers aus § 100 VVG. Der Versicherer ist bei einer Haftpflichtversicherung auch verpflichtet, den Versicherungsnehmer von Ansprüchen freizustellen, die von einem Dritten aufgrund der Verantwortlichkeit des Versicherungsnehmers für eine während der Versicherungszeit eintretende Tatsache geltend gemacht werden. Der Versicherer muss deshalb in gleicher Weise wie für die Hauptforderung auch für den Kostenerstattungsanspruch des Dritten einstehen.
15 Aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin ist auch das Kostenfestsetzungsverfahren vor dem Landgericht Limburg unterbrochen (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Juni 2005 - XII ZB 195/04, NZI 2006, 128; vom 15. Mai 2012 - VIII ZB 79/11, ZInsO 2012, 2216). Liegt dem Kostenfestsetzungsverfahren - wie vorliegend - ein Anspruch des Kostengläubigers auf abgesonderte Befriedigung zugrunde, kann der Kostengläubiger das Verfahren gemäß § 86 Abs. 1 Nr. 2 InsO wieder aufnehmen. Dies kann im Fall des § 110 VVG mit der Maßgabe geschehen, dass der Anspruch auf Befriedigung aus dem Freistellungsanspruch des Versicherungsnehmers gegen die Haftpflichtversicherung beschränkt wird. Dieser Weg ist im Hinblick darauf, dass bereits eine Kostengrundentscheidung ergangen ist, einfacher und prozessökonomischer als die Erhebung einer selbständigen Klage auf Ausgleich der Kosten des Vorprozesses aus dem Freistellungsanspruch gegen den Versicherer. Ein Rechtsschutzbedürfnis für eine derartige Klage besteht deshalb nicht.
16 2. Die Revision ist unbegründet, soweit sie geltend macht, das Berufungsgericht hätte den Anspruch auf Zahlung von 34 € nicht zurückweisen dürfen. Die Abweisung der Klage beruht insoweit - dies folgt aus der zulässigen Bezugnahme des Berufungsgerichts auf die Entscheidung des Amtsgerichts - auf der fehlenden Darlegung einer Schadensersatzforderung des Klägers gegen die Schuldnerin im Hinblick auf die verspätete Abgabe der Körperschaftsteuererklärung für das Jahr 2003. Hiermit setzt sich die Revisionsbegründung nicht auseinander. Aus dem Versäumnisurteil des Landgerichts Limburg ist eine Verurteilung der Schuldnerin zum Schadensersatz wegen verspäteter Abgabe der Körperschaftsteuererklärung für das Jahr 2003 nicht zu entnehmen. Rechtskraftfragen stellen sich danach nicht.