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Wirtschaftsrecht
17.03.2022
Wirtschaftsrecht
EuGH: Pressefreiheit kann Offenlegung einer Insiderinformation durch Journalisten rechtfertigen

EuGH, Urteil vom 15.3.2022 – C-302/20, Herr A gegen Autorité des marchés financiers (AMF)

ECLI:EU:C:2022:190

Volltext: BB-Online BBL2022-641-1

unter www.betriebs-berater.de

Tenor

1. Art. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch) ist dahin auszulegen, dass es sich für die Einstufung als Insiderinformation bei einer Information, die die bevorstehende Veröffentlichung eines Presseartikels betrifft, in dem ein Marktgerücht über einen Emittenten von Finanzinstrumenten aufgegriffen wird, um eine „präzise“ Information im Sinne dieser Vorschrift und im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124/EG der Kommission vom 22. Dezember 2003 zur Durchführung der Richtlinie 2003/6 betreffend die Begriffsbestimmung und die Veröffentlichung von Insider‑Informationen und die Begriffsbestimmung der Marktmanipulation handeln kann und dass für die Beurteilung, ob die Information präzise ist, der Umstand, dass in diesem Presseartikel der für die Wertpapiere dieses Emittenten im Rahmen eines möglichen öffentlichen Erwerbsangebots gebotene Preis genannt werden wird, sowie die Identität des Journalisten, der diesen Artikel unterzeichnet hat, und des Presseorgans, das ihn veröffentlicht hat, erheblich sind, sofern sie vor der Veröffentlichung des Artikels mitgeteilt wurden. Der tatsächliche Einfluss dieser Veröffentlichung auf den Kurs der Wertpapiere, auf die sie sich bezieht, kann zwar einen nachträglichen Beweis dafür darstellen, dass die Information über diese Veröffentlichung präzise war, kann aber für sich genommen, ohne dass weitere, vor dieser Veröffentlichung bekannte oder offengelegte Angaben geprüft werden, nicht für den Nachweis der Präzision der Information genügen.

2. Art. 21 der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6 und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission ist dahin auszulegen, dass die Offenlegung einer Information über die bevorstehende Veröffentlichung eines Artikels, in dem ein Marktgerücht aufgegriffen wird, durch den Journalisten, der diesen Artikel verfasst hat, an eine seiner üblichen Informationsquellen „für journalistische Zwecke“ im Sinne dieser Vorschrift geschieht, wenn sie erforderlich ist, um einer journalistischen Tätigkeit nachzukommen, die auch Untersuchungstätigkeiten im Vorfeld dieser Veröffentlichung umfasst.

3. Die Art. 10 und 21 der Verordnung Nr. 596/2014 sind dahin auszulegen, dass eine Offenlegung einer Insiderinformation durch einen Journalisten rechtmäßig ist, wenn sie für die Ausübung seines Berufs erforderlich ist und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt.

Aus den Gründen

1          Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch) (ABl. 2003, L 96, S. 16) und von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124/EG der Kommission vom 22. Dezember 2003 zur Durchführung der Richtlinie 2003/6 betreffend die Begriffsbestimmung und die Veröffentlichung von Insider‑Informationen und die Begriffsbestimmung der Marktmanipulation (ABl. 2003, L 339, S. 70) sowie der Art. 10 und 21 der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission (ABl. 2014, L 173, S. 1).

2          Das Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn A und der Autorité des marchés financiers (AMF) (Finanzmarktaufsichtsbehörde, Frankreich) über deren Entscheidung, gegen Herrn A wegen der Weitergabe von Informationen über die bevorstehende Veröffentlichung von Presseartikeln, in denen Marktgerüchte über öffentliche Kaufangebote für börsennotierte Unternehmen aufgegriffen wurden, eine Geldbuße zu verhängen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 2003/6

3          In den Erwägungsgründen 1, 2 und 12 der Richtlinie 2003/6 hieß es:

„(1)      Ein echter Binnenmarkt für Finanzdienstleistungen ist für das Wirtschaftswachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen in der [Europäischen Union] von entscheidender Bedeutung.

(2)      Ein integrierter und effizienter Finanzmarkt setzt Marktintegrität voraus. Das reibungslose Funktionieren der Wertpapiermärkte und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Märkte sind Voraussetzungen für Wirtschaftswachstum und Wohlstand. Marktmissbrauch verletzt die Integrität der Finanzmärkte und untergräbt das Vertrauen der Öffentlichkeit in Wertpapiere und Derivate.

(12)      Marktmissbrauch beinhaltet Insider-Geschäfte und Marktmanipulation. Vorschriften zur Bekämpfung von Insider-Geschäften haben dasselbe Ziel wie Vorschriften zur Bekämpfung von Marktmanipulation, nämlich die Integrität der Finanzmärkte der [Union] sicherzustellen und das Vertrauen der Anleger in diese Märkte zu stärken. …“

4          In Art. 1 Nr. 1 Abs. 1 dieser Richtlinie hieß es:

„Für die Zwecke dieser Richtlinie gelten folgende Definitionen:

1.      ‚Insider‑Information‘ ist eine nicht öffentlich bekannte präzise Information, die direkt oder indirekt einen oder mehrere Emittenten von Finanzinstrumenten oder ein oder mehrere Finanzinstrumente betrifft und die, wenn sie öffentlich bekannt würde, geeignet wäre, den Kurs dieser Finanzinstrumente oder den Kurs sich darauf beziehender derivativer Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen.“

5          Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2003/6 bestimmte:

„Die Mitgliedstaaten untersagen Personen im Sinne von Unterabsatz 2, die über eine Insider‑Information verfügen, unter Nutzung derselben für eigene oder fremde Rechnung direkt oder indirekt Finanzinstrumente, auf die sich die Information bezieht, zu erwerben oder zu veräußern oder dies zu versuchen.

Unterabsatz 1 gilt für Personen, die

c)      dadurch, dass sie aufgrund ihrer Arbeit, ihres Berufs oder ihrer Aufgaben Zugang zu der betreffenden Information haben, …

über diese Information verfügen.“

6          Art. 3 der Richtlinie 2003/6 sah vor:

„Die Mitgliedstaaten untersagen den Personen, die dem Verbot nach Artikel 2 unterliegen,

a)      Insider‑Informationen an Dritte weiterzugeben, soweit dies nicht im normalen Rahmen der Ausübung ihrer Arbeit oder ihres Berufes oder der Erfüllung ihrer Aufgaben geschieht;

…“

Richtlinie 2003/124

7          Die Erwägungsgründe 1 bis 3 der Richtlinie 2003/124 lauteten:

„(1)      Verständige Investoren stützen ihre Anlageentscheidungen auf Informationen, die ihnen vorab zur Verfügung stehen (verfügbare Ex-ante‑Informationen). Die Prüfung der Frage, ob ein verständiger Investor einen bestimmten Sachverhalt oder ein bestimmtes Ereignis im Rahmen seiner Investitionsentscheidung berücksichtigt hätte, sollte folglich anhand der ex ante vorliegenden Informationen erfolgen. Eine solche Prüfung sollte auch die möglichen Auswirkungen der Information in Betracht ziehen, insbesondere unter Berücksichtigung der Gesamttätigkeit des Emittenten, der Verlässlichkeit der Informationsquelle und sonstiger Marktvariablen, die das entsprechende Finanzinstrument oder unter den gegebenen Umständen damit verbundene derivative Finanzinstrument beeinflussen dürften.

(2)      Im Nachhinein vorliegende Informationen (Ex-post‑Informationen) können zur Überprüfung der Annahme genutzt werden, dass die Ex-ante‑Information kurserheblich war. Allerdings sollten diese Ex-post‑Informationen nicht dazu verwendet werden, Maßnahmen gegen eine Person zu ergreifen, die vernünftige Schlussfolgerungen aus der ihr vorliegenden Ex-ante‑Information gezogen hat.

(3)      Die Rechtssicherheit für die Marktteilnehmer soll durch eine genauere Bestimmung von zwei wesentlichen Tatbestandsmerkmalen der Insider‑Information erhöht werden, nämlich die präzise Natur dieser Information und die Frage, ob diese Information möglicherweise den Kurs der Finanzinstrumente oder den Kurs damit verbundener derivativer Finanzinstrumente erheblich beeinflussen wird.“

8          Art. 1 („Insider‑Informationen“) dieser Richtlinie sah vor:

„(1)      Für die Anwendung von Artikel 1 [Nummer] 1 der Richtlinie [2003/6] ist eine Information dann als präzise anzusehen, wenn damit eine Reihe von Umständen gemeint ist, die bereits existieren oder bei denen man mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass sie in Zukunft existieren werden, oder ein Ereignis, das bereits eingetreten ist oder mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in Zukunft eintreten wird, und diese Information darüber hinaus spezifisch genug ist, dass sie einen Schluss auf die mögliche Auswirkung dieser Reihe von Umständen oder dieses Ereignisses auf die Kurse von Finanzinstrumenten oder damit verbundenen derivativen Finanzinstrumenten zulässt.

(2)      Für die Anwendung von Artikel 1 [Nummer] 1 der Richtlinie [2003/6] ist unter einer ‚Insider‑Information, die, wenn sie öffentlich bekannt würde, geeignet wäre, den Kurs dieser Finanzinstrumente oder den Kurs damit verbundener derivativer Finanzinstrumente spürbar zu beeinflussen‘ eine Information gemeint, die ein verständiger Anleger wahrscheinlich als Teil der Grundlage seiner Anlageentscheidungen nutzen würde.“

Verordnung Nr. 596/2014

9          Die Richtlinien 2003/6 und 2003/124 wurden mit Wirkung vom 3. Juli 2016 durch die Verordnung Nr. 596/2014 aufgehoben.

10        In den Erwägungsgründen 2, 7 und 77 der Verordnung Nr. 596/2014 heißt es:

„(2)      Ein integrierter, effizienter und transparenter Finanzmarkt setzt Marktintegrität voraus. Das reibungslose Funktionieren der Wertpapiermärkte und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Märkte sind Voraussetzungen für Wirtschaftswachstum und Wohlstand. Marktmissbrauch verletzt die Integrität der Finanzmärkte und untergräbt das Vertrauen der Öffentlichkeit in Wertpapiere und Derivate.

(7)      Marktmissbrauch ist ein Oberbegriff für unrechtmäßige Handlungen an den Finanzmärkten und sollte für die Zwecke dieser Verordnung Insidergeschäfte oder die unrechtmäßige Offenlegung von Insiderinformationen und Marktmanipulation umfassen. Solche Handlungen verhindern vollständige und ordnungsgemäße Markttransparenz, die eine Voraussetzung dafür ist, dass alle Wirtschaftsakteure an integrierten Finanzmärkten teilnehmen können.

(77)      Diese Verordnung steht im Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen, die mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union … anerkannt wurden. Diese Verordnung sollte daher im Einklang mit diesen Rechten und Grundsätzen ausgelegt und angewandt werden. Insbesondere, wenn sich diese Verordnung auf Vorschriften, durch die die Pressefreiheit und die freie Meinungsäußerung in anderen Medien geregelt werden, und auf die Vorschriften oder Regeln bezieht, die für den Journalistenberuf gelten, sollten diese Freiheiten so berücksichtigt werden, wie sie in der Union und in den Mitgliedstaaten garantiert sind und wie sie in Artikel 11 der Charta [der Grundrechte der Europäischen Union] und in anderen einschlägigen Bestimmungen anerkannt werden.“

11        Art. 8 („Insidergeschäfte“) Abs. 4 dieser Verordnung bestimmt:

„Dieser Artikel gilt für jede Person, die über Insiderinformationen verfügt, weil sie

c)      aufgrund der Ausübung einer Arbeit oder eines Berufs oder der Erfüllung von Aufgaben Zugang zu den betreffenden Informationen hat …

…“

12        Art. 10 („Unrechtmäßige Offenlegung von Insiderinformationen“) Abs. 1 dieser Verordnung bestimmt:

„Für die Zwecke dieser Verordnung liegt eine unrechtmäßige Offenlegung von Insiderinformationen vor, wenn eine Person, die über Insiderinformationen verfügt[,] … diese Informationen gegenüber einer anderen Person offenlegt, es sei denn, die Offenlegung geschieht im Zuge der normalen Ausübung einer Beschäftigung oder eines Berufs oder der normalen Erfüllung von Aufgaben.

Dieser Absatz gilt für alle natürlichen oder juristischen Personen in den Situationen oder unter den Umständen gemäß Artikel 8 Absatz 4.“

13        Nach Art. 14 Buchst. c dieser Verordnung stellt die unrechtmäßige Offenlegung von Insiderinformationen eine verbotene Handlung dar.

14        Art. 21 („Weitergabe oder Verbreitung von Informationen in den Medien“) der Verordnung Nr. 596/2014 lautet:

„Werden für journalistische Zwecke oder andere Ausdrucksformen in den Medien Informationen offengelegt oder verbreitet oder Empfehlungen gegeben oder verbreitet, sind bei der Beurteilung dieser Offenlegung und Verbreitung von Informationen für den Zweck von Artikel 10, Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe c und Artikel 20 die Regeln der Pressefreiheit und der Freiheit der Meinungsäußerung in anderen Medien sowie der journalistischen Berufs- und Standesregeln zu berücksichtigen, es sei denn,

a)      den betreffenden Personen oder mit diesen Personen in enger Beziehung stehenden Personen erwächst unmittelbar oder mittelbar ein Vorteil oder Gewinn aus der Offenlegung oder Verbreitung der betreffenden Information, oder

b)      die Weitergabe oder Verbreitung erfolgt in der Absicht, den Markt in Bezug auf das Angebot von Finanzinstrumenten, die Nachfrage danach oder ihren Kurs irrezuführen.“

Französisches Recht

15        Art. 621-1 des Règlement général de l’Autorité des marchés financiers (Allgemeine Verordnung der Finanzmarktaufsichtsbehörde) (im Folgenden: RGAMF) in der für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Fassung sieht vor:

„Eine Insiderinformation ist eine nicht öffentlich bekannte präzise Information, die direkt oder indirekt einen oder mehrere Emittenten von Finanzinstrumenten oder ein oder mehrere Finanzinstrumente betrifft und die, wenn sie öffentlich bekannt würde, geeignet wäre, den Kurs dieser Finanzinstrumente oder den Kurs sich darauf beziehender Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen.

Eine Information wird als präzise angesehen, wenn sie eine Reihe von Umständen, die eingetreten sind oder eintreten können, oder ein Ereignis, das eingetreten ist oder eintreten kann, nennt und einen Schluss auf die mögliche Auswirkung dieser Umstände oder dieses Ereignisses auf den Kurs der betreffenden Finanzinstrumente oder sich darauf beziehender Finanzinstrumente zulässt.

Eine Information, die, wenn sie öffentlich bekannt würde, geeignet wäre, den Kurs dieser Finanzinstrumente oder den Kurs damit verbundener derivativer Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen, ist eine Information, die ein verständiger Anleger als Teil der Grundlage seiner Anlageentscheidungen nutzen könnte.“

16        In Art. 622-1 RGAMF heißt es:

„Die in Art. 622-2 genannten Personen dürfen die Insiderinformationen, über die sie verfügen, nicht verwenden …

Sie dürfen diese Informationen auch nicht

1. an eine andere Person außerhalb des normalen Rahmens ihrer Beschäftigung, ihres Berufs oder ihrer Aufgaben oder zu anderen Zwecken als denen, aufgrund deren sie ihr übermittelt worden sind, weitergeben …

…“

17        Art. 622-2 RGAMF bestimmt:

„Die Unterlassungspflichten nach Art. 622-1 gelten für alle Personen, die aus einem der folgenden Gründe über eine Insiderinformation verfügen:

3. Zugang zu den Informationen aufgrund ihrer Beschäftigung, ihres Berufs oder ihrer Aufgaben sowie ihrer Beteiligung an der Vorbereitung oder Durchführung einer Finanzoperation,

Diese Unterlassungspflichten gelten auch für alle anderen Personen, die über Insiderinformationen verfügen und die wissen oder hätten wissen müssen, dass es sich um eine Insiderinformation handelt.

…“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

18        Herr A war viele Jahre lang als Journalist bei verschiedenen britischen Tageszeitungen tätig, zuletzt bei der Daily Mail. Im Rahmen seiner Tätigkeit bei dieser Zeitung schrieb er Artikel unter der Überschrift „Marktbericht“, in denen Marktgerüchte aufgegriffen werden. Herr A verfasste u. a. zwei Artikel, die zum Handel auf Euronext zugelassene Wertpapiere betrafen. Die beiden Artikel wurden auf Mail Online, der Website der Daily Mail, veröffentlicht.

19        Im ersten dieser Artikel, der am 8. Juni 2011 veröffentlicht wurde, wurde ein mögliches öffentliches Erwerbsangebot des Unternehmens LVMH für die Wertpapiere von Hermès zum Preis von 350 Euro pro Aktie erwähnt, was einem Aufgeld von 86 % gegenüber dem Kurs zum Börsenschluss am Tag der Veröffentlichung dieses Artikels entsprach. Am Tag nach dieser Veröffentlichung stieg dieser Kurs bei Eröffnung der Börsensitzung um 0,64 % und sodann im Lauf der Börsensitzung um 4,55 %.

20        Im zweiten Artikel, der am 12. Juni 2012 veröffentlicht wurde, hieß es, die Wertpapiere von Maurel & Prom könnten bald Gegenstand eines öffentlichen Erwerbsangebots sein, zum Preis von etwa 19 Euro pro Aktie, was einem Aufgeld von 80 % gegenüber dem letzten Kurs entsprach. Am Tag nach der Veröffentlichung dieses Artikels wurde bei Börsenschluss ein Anstieg des Kurses dieser Aktien um 17,69 % verzeichnet. Am 14. Juni 2012 dementierte Maurel & Prom das Gerücht.

21        Eine Untersuchung durch die AMF ergab, dass kurz vor der Veröffentlichung dieser beiden Artikel Kaufaufträge für Wertpapiere von Hermès und von Maurel & Prom von im Vereinigten Königreich ansässigen Personen erteilt worden waren und diese ihre Positionen aufgelöst hatten, sobald die Veröffentlichung erfolgt war.

22        Am 23. Februar 2016 unterrichtete die Untersuchungs- und Kontrolldirektion der AMF alle betroffenen Personen, u. a. Herrn A, über den Sachverhalt, der ihnen angesichts der Feststellungen der Ermittler dieser Direktion möglicherweise zur Last gelegt werden könnte. In Anbetracht des von dieser Direktion erstellten Untersuchungsberichts wurde am 19. Juli 2016 beschlossen, ihnen die Beschwerdepunkte mitzuteilen.

23        Mit Schreiben vom 7. Dezember 2016 richtete die AMF eine Mitteilung der Beschwerdepunkte an Herrn A, in der diesem vorgeworfen wurde, unter Verstoß gegen die Art. 622-1 und 622-2 RGAMF an zwei Personen, Herrn B und Herrn C, eine Insiderinformation über die bevorstehende Veröffentlichung zweier Artikel weitergegeben zu haben, in denen Gerüchte über die Abgabe öffentlicher Angebote für die Wertpapiere von Hermès und Maurel & Prom aufgegriffen wurden.

24        Mit Entscheidung vom 24. Oktober 2018 sah der Sanktionsausschuss der AMF einige der gegen Herrn A erhobenen Vorwürfe als erwiesen an und verhängte gegen ihn eine Geldbuße von 40 000 Euro. Er befand u. a., dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Informationen über die bevorstehende Veröffentlichung von Presseartikeln, in denen Gerüchte über Geschäfte bezüglich an der Börse notierter Wertpapiere wiedergegeben würden, die Voraussetzungen für die Einstufung als „Insiderinformationen“ erfüllten. Er stellte sodann fest, dass Herr A diese Insiderinformationen über die Wertpapiere von Hermès an Herrn B und Herrn C und die Insiderinformationen über die Wertpapiere von Maurel & Prom an Herrn C übermittelt habe.

25        Das vorlegende Gericht, das mit der Klage gegen diese Entscheidung befasst ist, fragt sich zum einen, ob eine Information über die bevorstehende Veröffentlichung eines Presseartikels, in dem ein Marktgerücht über einen Emittenten von Finanzinstrumenten aufgegriffen wird, eine „Insiderinformation“ im Sinne von Art. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2003/6 darstellt, insbesondere ob im vorliegenden Fall die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Information „präzise“ im Sinne der Definition einer „Insiderinformation“ ist.

26        Unter Bezugnahme auf die Definition einer „präzisen“ Information in Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124 fragt sich das vorlegende Gericht, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Information spezifisch genug ist, um im Sinne dieser Vorschrift einen Schluss auf die mögliche Auswirkung dieser Information auf die Kurse der betreffenden Finanzinstrumente zuzulassen.

27        Insoweit stellt sich das vorlegende Gericht die Frage, ob, damit eine Information über die bevorstehende Veröffentlichung eines Presseartikels als „spezifisch genug“ anzusehen ist, der Inhalt des Artikels selbst spezifisch genug sein muss und, wenn ja, ob, wie Herr A vorträgt, bereits das Wesen eines Marktgerüchts ausschließt, dass diese Information der Präzisionsanforderung genügt.

28        In Anbetracht der besonderen Umstände des Ausgangsverfahrens fragt sich das vorlegende Gericht auch, welche Auswirkungen auf die Beurteilung, ob die fragliche Information präzise ist, erstens der Umstand hat, dass der im Rahmen eines möglichen öffentlichen Kaufangebots für Wertpapiere der betreffenden Emittenten von Finanzinstrumenten gebotene Preis genannt wird, zweitens die Bekanntheit des Journalisten, der die Presseartikel, in denen die Gerüchte aufgegriffen werden, unterzeichnet hat, und das Ansehen des Presseorgans, das diese Artikel veröffentlicht hat, sowie drittens der Umstand, dass diese Artikel ex post tatsächlich erheblichen Einfluss auf den Kurs der Wertpapiere hatten, auf die sich diese Gerüchte bezogen.

29        Zum anderen fragt das vorlegende Gericht für den Fall, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Information als Insiderinformation eingestuft wird, ob die Weitergabe einer solchen Information durch einen Journalisten an eine seiner üblichen Quellen als „für journalistische Zwecke“ im Sinne von Art. 21 der Verordnung Nr. 596/2014 erfolgt angesehen werden kann. Da diese Vorschrift keine Entsprechung in der Richtlinie 2003/6 hat, kann sie nach Auffassung des vorlegenden Gerichts als weniger strenge Vorschrift als die Vorschriften dieser Richtlinie auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens rückwirkend angewandt werden.

30        Außerdem fragt sich das vorlegende Gericht nach dem Verhältnis zwischen Art. 21 der Verordnung Nr. 596/2014 und deren Art. 10, auf den Art. 21 verweist und nach dem die Offenlegung einer Insiderinformation unrechtmäßig ist, es sei denn, sie geschieht im Zuge der normalen Ausübung einer Beschäftigung oder eines Berufs oder der normalen Erfüllung von Aufgaben. Für den Fall, dass Art. 10 dieser Verordnung auf die Offenlegung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Information anwendbar ist, fragt das vorlegende Gericht, ob diese Offenlegung gemäß dem Urteil vom 22. November 2005, Grøngaard und Bang (C‑384/02, EU:C:2005:708), nur gerechtfertigt ist, wenn sie für die Ausübung des Journalistenberufs unerlässlich ist und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet.

31        Unter diesen Umständen hat die Cour d’appel de Paris (Berufungsgericht Paris, Frankreich) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      a)      Ist Art. 1 Nr. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2003/6 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124 dahin auszulegen, dass eine Information über die bevorstehende Veröffentlichung eines Presseartikels, in dem ein Marktgerücht über einen Emittenten von Finanzinstrumenten aufgegriffen wird, geeignet ist, der nach diesen Vorschriften für die Einstufung als Insiderinformation vorgesehenen Präzisionsanforderung zu genügen?

b)      Hat der Umstand, dass der Presseartikel, dessen bevorstehende Veröffentlichung die in Rede stehende Information darstellt – als Marktgerücht –, den Preis eines öffentlichen Erwerbsangebots nennt, einen Einfluss auf die Beurteilung, ob die in Rede stehende Information präzise ist?

c)      Sind die Bekanntheit des Journalisten, der den Artikel unterzeichnet hat, das Ansehen des Presseorgans, das ihn veröffentlicht hat, und der (ex post) tatsächlich spürbare Einfluss dieser Veröffentlichung auf den Kurs der Wertpapiere, auf die sich diese bezieht, maßgebliche Kriterien für die Beurteilung, ob die in Rede stehende Information präzise ist?

2.      Falls die fragliche Information der vorgesehenen Präzisionsanforderung genügt:

a)      Ist Art. 21 der Verordnung Nr. 596/2014 dahin auszulegen, dass die Weitergabe einer Information über die bevorstehende Veröffentlichung eines von einem Journalisten unterzeichneten Artikels, in dem ein Marktgerücht aufgegriffen wird, durch diesen Journalisten an eine seiner üblichen Informationsquellen „für journalistische Zwecke“ erfolgt?

b)      Hängt die Antwort auf diese Frage u. a. davon ab, ob der Journalist von dieser Quelle über das Marktgerücht informiert worden ist oder ob die Offenlegung der Information über die bevorstehende Veröffentlichung des Artikels dienlich war, um von dieser Quelle Aufschluss über die Glaubwürdigkeit des Gerüchts zu erlangen?

3.      Sind die Art. 10 und 21 der Verordnung Nr. 596/2014 dahin auszulegen, dass auch dann, wenn eine Insiderinformation von einem Journalisten „für journalistische Zwecke“ im Sinne von Art. 21 offengelegt wird, die Rechtmäßigkeit oder Unrechtmäßigkeit der Offenlegung der Beurteilung unterliegt, ob sie „im Zuge der normalen Ausübung [des] Berufs [des Journalisten]“ im Sinne von Art. 10 vorgenommen wurde?

4.      Ist Art. 10 der Verordnung Nr. 596/2014 dahin auszulegen, dass die Offenlegung einer Insiderinformation, um im Zuge der normalen Ausübung des Berufs des Journalisten zu geschehen, für die Ausübung dieses Berufs unerlässlich sein und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten muss?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

32        Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2003/6 dahin auszulegen ist, dass zum Zweck der Einstufung als Insiderinformation eine Information, die die bevorstehende Veröffentlichung eines Presseartikels betrifft, in dem ein Marktgerücht über einen Emittenten von Finanzinstrumenten aufgegriffen wird, als „präzise“ im Sinne dieser Vorschrift und im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124 angesehen werden kann, und ob der Umstand, dass in diesem Presseartikel der Preis genannt wird, zu dem die Wertpapiere dieses Emittenten im Rahmen eines möglichen öffentlichen Kaufangebots gekauft werden sollen, die Identität des Journalisten, der diesen Artikel unterzeichnet hat, und des Presseorgans, das ihn veröffentlicht hat, sowie der tatsächliche Einfluss dieser Veröffentlichung auf den Kurs dieser Wertpapiere für die Beurteilung erheblich sind, ob die Information präzise ist.

33        Es ist darauf hinzuweisen, dass die Definition des Begriffs „Insiderinformation“ in Art. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2003/6 aus vier wesentlichen Tatbestandsmerkmalen besteht. Erstens handelt es sich um eine präzise Information. Zweitens ist diese Information nicht öffentlich bekannt. Drittens betrifft sie direkt oder indirekt ein oder mehrere Finanzinstrumente oder deren Emittenten. Viertens wäre sie, wenn sie öffentlich bekannt würde, geeignet, den Kurs dieser Finanzinstrumente oder den Kurs sich darauf beziehender derivativer Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen (Urteil vom 11. März 2015, Lafonta, C‑628/13, EU:C:2015:162, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34        Hier wurde die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Information, die die bevorstehende Veröffentlichung von Presseartikeln, in denen Marktgerüchte über öffentliche Kaufangebote für Wertpapiere börsennotierter Unternehmen aufgegriffen werden, vom Verfasser dieser Artikel an zwei seiner üblichen Informationsquellen weitergegeben. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts erfüllt diese Information die in der vorstehenden Randnummer genannten Tatbestandsmerkmale 2 bis 4 der Definition des Begriffs „Insiderinformation“. Hinsichtlich des vierten Tatbestandsmerkmals stützt es diese Feststellung zum einen auf die Erwägung, dass diese Information, da sie bereits vorhandene Spekulationen zu den betreffenden Wertpapieren nähre, von einem verständigen Anleger wahrscheinlich als Teil der Grundlage seiner Anlageentscheidungen genutzt würde, und zum anderen auf die Schwankungen der Kurse dieser Wertpapiere, die nach der Veröffentlichung der fraglichen Artikel auftraten. Es äußert hingegen Zweifel daran, ob das erste Tatbestandsmerkmal dieser Definition, das die Präzision dieser Information betrifft, im vorliegenden Fall erfüllt ist.

35        Es ist festzustellen, dass durch die Richtlinie 2003/124, wie aus ihrem dritten Erwägungsgrund hervorgeht, u. a. dieses erste Tatbestandsmerkmal genauer gefasst werden sollte, um die Rechtssicherheit für die Finanzmarktteilnehmer zu erhöhen.

36        Nach Art. 1 Abs. 1 dieser Richtlinie ist eine Information dann als „präzise“ anzusehen, wenn sie zwei Voraussetzungen erfüllt. Zum einen muss damit eine Reihe von Umständen gemeint sein, die bereits existieren oder bei denen man mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass sie in Zukunft existieren werden, oder ein Ereignis, das bereits eingetreten ist oder mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in Zukunft eintreten wird. Zum anderen muss diese Information darüber hinaus spezifisch genug sein, um einen Schluss auf die mögliche Auswirkung dieser Reihe von Umständen oder dieses Ereignisses auf die Kurse von Finanzinstrumenten oder damit verbundenen derivativen Finanzinstrumenten zuzulassen.

37        Im vorliegenden Fall ist das vorlegende Gericht der Auffassung, dass die erste der in der vorstehenden Randnummer genannten Voraussetzungen erfüllt ist, da sich die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Information auf ein Ereignis bezieht, bei dem man mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass es eintreten wird, nämlich die bevorstehende Veröffentlichung von Presseartikeln. Es hegt jedoch Zweifel daran, ob die zweite in der vorstehenden Randnummer genannte Voraussetzung erfüllt ist. Insbesondere fragt es sich, ob, damit die Information über die bevorstehende Veröffentlichung eines Presseartikels, die deren wesentlichen Elemente wiedergibt, als „spezifisch genug“ im Sinne dieser zweiten Voraussetzung anzusehen ist, der Inhalt dieses Artikels ebenfalls spezifisch genug sein muss.

38        Zu der zweiten Voraussetzung ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass es nach dem Sinn, der den in Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124 verwendeten Begriffen allgemein beigemessen wird, ausreicht, dass die Information hinreichend konkret oder spezifisch ist, um als Grundlage für die Beurteilung dienen zu können, ob die Reihe von Umständen oder das Ereignis, das in dieser Information genannt wird, wie in Rn. 36 des vorliegenden Urteils beschrieben, eine Auswirkung auf die Kurse der Finanzinstrumente haben kann, auf die sich diese Information bezieht. Daher schließt diese Bestimmung nur „vage oder allgemeine Informationen, die keine Schlussfolgerung hinsichtlich ihrer möglichen Auswirkung auf den Kurs der betreffenden Finanzinstrumente zulassen“, vom Begriff „Insiderinformation“ aus (Urteil vom 11. März 2015, Lafonta, C‑628/13, EU:C:2015:162, Rn. 31).

39        Insoweit fragt sich das vorlegende Gericht, ob ein Gerücht seinem Wesen nach in die Kategorie der „vagen oder allgemeinen Informationen“ im Sinne dieser Rechtsprechung fällt und eine Information über die bevorstehende Veröffentlichung eines Presseartikels, der ein Gerücht aufgreift, daher nicht als „Insiderinformation“ eingestuft werden kann.

40        Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Information, die die Veröffentlichung von Artikeln über Marktgerüchte zu angeblich geplanten öffentlichen Kaufangeboten betrifft, zwei verschiedene Arten von zukünftigen Ereignissen zum Gegenstand hat, nämlich erstens die Veröffentlichung der Artikel und zweitens die Abgabe der Angebote, von denen in diesen Artikeln die Rede ist. Wie sich aus Rn. 37 des vorliegenden Urteils ergibt, stützt das vorlegende Gericht seine Auffassung, die erste in Rn. 36 des vorliegenden Urteils genannte Voraussetzung, dass eine Information präzise im Sinne von Art. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2003/6 und Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124 sein muss, sei erfüllt, auf die hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Ereignisse der erstgenannten Art eintreten werden. Hingegen hat das vorlegende Gericht in Bezug auf die zweite in Rn. 36 des vorliegenden Urteils genannte Voraussetzung Zweifel, ob die im Rahmen der ersten Voraussetzung in Bezug auf die bevorstehende Veröffentlichung von Presseartikeln anerkannte hinreichende Präzision für sich genommen die Feststellung zulässt, dass dieser Umstand Einfluss auf die Kurse der von dieser Information betroffenen Finanzinstrumente haben kann, und diese zweite Voraussetzung daher ebenfalls erfüllt ist, oder ob auch der Inhalt der fraglichen Artikel – hier in Bezug auf Marktgerüchte über den möglichen Eintritt von Ereignissen der letztgenannten Art, d. h. die Abgabe der geplanten Angebote – der Präzisionsanforderung genügen muss.

41        Es ist davon auszugehen, dass die präzise Natur im Sinne der genannten Vorschriften einer Information über die bevorstehende Veröffentlichung eines Presseartikels eng mit der präzisen Natur der Information, um die es in diesem Artikel geht, zusammenhängt. Fehlt der Information, die veröffentlicht werden soll, jede Präzision, lässt die Information über diese Veröffentlichung nämlich keine Schlüsse zu deren möglichem Einfluss auf die Kurse der betreffenden Finanzinstrumente im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124 zu.

42        Allerdings ergibt sich zum einen bereits aus dem Wortlaut von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124, wonach eine Information u. a. dann als „präzise“ anzusehen ist, wenn damit ein Ereignis gemeint ist, das mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in Zukunft eintreten wird, und sie spezifisch genug ist, um einen Schluss auf die mögliche Auswirkung dieses Ereignisses auf die Kurse von Finanzinstrumenten zuzulassen, dass eine Einzelfallprüfung erforderlich ist. Dass eine Information präzise ist, kann somit nicht von vorneherein deswegen ausgeschlossen werden, weil sie in eine Kategorie bestimmter Informationen fällt wie etwa Informationen über die bevorstehende Veröffentlichung von Artikeln, die Marktgerüchte zu einer möglichen Abgabe eines öffentlichen Kaufangebots aufgreifen.

43        Ein solcher Ausschluss liefe im Übrigen auch dem Ziel der Richtlinie 2003/6 zuwider, das, wie sich aus ihren Erwägungsgründen 2 und 12 ergibt, darin besteht, die Integrität der Finanzmärkte der Union sicherzustellen und das Vertrauen der Anleger in diese Märkte zu stärken, ein Vertrauen, das insbesondere darauf beruht, dass die Anleger einander gleichgestellt sind und vor der unrechtmäßigen Verwendung von Insiderinformationen geschützt werden (Urteil vom 11. März 2015, Lafonta, C‑628/13, EU:C:2015:162, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung). Das in Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie normierte Verbot von Insidergeschäften soll somit die Gleichheit der Vertragspartner bei einem Börsengeschäft gewährleisten, indem es verhindert, dass einer von ihnen, der über eine Insiderinformation verfügt und deshalb einen Vorteil gegenüber den anderen Anlegern hat, daraus zum Nachteil der anderen, die diese Information nicht kennen, einen Nutzen zieht (Urteil vom 23. Dezember 2009, Spector Photo Group und Van Raemdonck, C‑45/08, EU:C:2009:806, Rn. 48 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

44        Wie die Generalanwältin in Nr. 49 ihrer Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, kann aber die Kenntnis von der bevorstehenden Veröffentlichung eines Gerüchts unter bestimmten Umständen genügen, um einem Anleger einen Vorteil gegenüber anderen Anlegern zu verschaffen.

45        Würde angenommen, dass eine Information bereits deshalb nicht als „Insiderinformation“ im Sinne von Art. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2003/6 anzusehen ist, weil sie die Veröffentlichung eines Gerüchts betrifft, fielen eine Reihe von Informationen, die sich auf den Kurs der betreffenden Finanzinstrumente auswirken können, aus dem Anwendungsbereich dieser Richtlinie und könnten daher von Finanzmarktteilnehmern, die sie besitzen, zum Nachteil derjenigen genutzt werden, die diese Informationen nicht kennen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Juni 2012, Geltl, C‑19/11, EU:C:2012:397, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

46        Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass nicht bereits deshalb auszuschließen ist, dass eine Information als präzise im Sinne von Art. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2003/6 und Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124 angesehen werden kann, weil sie die bevorstehende Veröffentlichung eines Artikels über ein Marktgerücht betrifft.

47        Zum anderen ist der Grad an Präzision des Gerüchts über eine mögliche Abgabe eines öffentlichen Kaufangebots zu prüfen, um zu beurteilen, ob die Information über die Veröffentlichung eines Artikels, der ein solches Gerücht aufgreift, tatsächlich die zweite in Art. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2003/6 genannte Voraussetzung erfüllt, die die mögliche Auswirkung der fraglichen Veröffentlichung auf den Kurs der betreffenden Finanzinstrumente oder damit verbundener derivativer Finanzinstrumente betrifft. Bei dieser Beurteilung ist jedoch zu beachten, dass die Präzision der Gerüchte nicht berücksichtigt wird, um festzustellen, ob die Gerüchte als solche hinreichend präzise sind, um einen Schluss auf die Auswirkung auf den Kurs der fraglichen Instrumente zuzulassen, sondern um festzustellen, ob eine Information über die bevorstehende Veröffentlichung eines Artikels über diese Gerüchte hinreichend präzise ist, um einen Schluss auf die Kursauswirkungen zuzulassen, die diese Veröffentlichung haben könnte.

48        Zwar zeichnet sich ein Gerücht, wie Herr A vorträgt, durch eine gewisse Unsicherheit aus. Die Verlässlichkeit ist jedoch ein Faktor, der jeweils im Einzelfall zu bestimmen ist. Da die Glaubhaftigkeit eines Gerüchts für die Feststellung erheblich ist, ob eine Information über die bevorstehende Veröffentlichung eines Artikels zu diesem Gerücht spezifisch genug ist, um einen Schluss auf die Kursauswirkungen zuzulassen, die diese Veröffentlichung haben könnte, sind hierfür u. a. der Grad an Präzision des Inhalts dieses Gerüchts und die Zuverlässigkeit der Quelle, die es aufgreift, zu berücksichtigen.

49        Insoweit kann eine Information, die Elemente wie diejenigen aufgreift, die in den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Presseartikeln genannten Gerüchten dargestellt werden, die den Namen des betreffenden Emittenten von Finanzinstrumenten und die Bedingungen des erwarteten öffentlichen Kaufangebots angeben, nicht als „vage oder allgemeine Informationen, die keine Schlussfolgerung hinsichtlich ihrer möglichen Auswirkung auf den Kurs der betreffenden Finanzinstrumente zulassen“, im Sinne der in Rn. 38 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung eingestuft werden.

50        In diesem Zusammenhang kann der Umstand, dass im Rahmen eines Gerüchts über ein öffentliches Kaufangebot für Wertpapiere eines Emittenten von Finanzinstrumenten der für diese Wertpapiere gebotene Preis genannt wird, Auswirkungen auf die Beurteilung haben, ob die betreffende Information als präzise einzustufen ist. Dass der Preis genannt wird, ist allerdings nicht notwendig, damit eine Information über dieses Gerücht als „präzise“ eingestuft werden kann, wenn diese Information andere Angaben umfasst, die dieses öffentliche Erwerbsangebot betreffen. Wie die Generalanwältin in Nr. 51 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, geht ein solches Angebot nämlich regelmäßig mit der Zahlung von Übernahmeprämien auf den Aktienkurs einher, so dass der Markt die möglichen Auswirkungen auf diesen Kurs abschätzen kann.

51        Neben dem Inhalt des fraglichen Presseartikels können im Hinblick auf die Beurteilung der möglichen Auswirkungen auf die Kurse der betreffenden Finanzinstrumente oder damit verbundener derivativer Finanzinstrumente weitere Elemente zur Präzision einer Information über die bevorstehende Veröffentlichung dieses Presseartikels beitragen. Insoweit können die Bekanntheit des Journalisten, der die Presseartikel unterzeichnet hat, und des Presseorgans, das diese Artikel veröffentlicht hat, nach den Umständen des Einzelfalls als entscheidend angesehen werden, weil sie eine Beurteilung der Glaubhaftigkeit der fraglichen Gerüchte ermöglichen, da die Anleger gegebenenfalls zu der Annahme veranlasst sind, dass diese Gerüchte aus Quellen stammen, die von diesem Journalisten und diesem Presseorgan als zuverlässig angesehen werden.

52        Werden bestimmte Personen darüber unterrichtet, dass ein Presseartikel, dessen Veröffentlichung bevorsteht, die in Rn. 50 des vorliegenden Urteils genannte Information enthalten wird, sowie gegebenenfalls über die Identität des Verfassers dieses Artikels und des Presseorgans, das den Artikel veröffentlichen wird, sind diese Angaben, da sie die Glaubhaftigkeit des Gerüchts, das in dem Presseartikel aufgegriffen werden soll, tendenziell erhöhen, daher für die Beurteilung erheblich, ob die Information zu der bevorstehenden Veröffentlichung dieses Artikels hinreichend präzise ist, um eine Schlussfolgerung zu den Kursauswirkungen zuzulassen, die sich aus dieser Veröffentlichung ergeben können.

53        Außerdem möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die (ex post) tatsächlich spürbaren Auswirkungen einer Veröffentlichung auf den Kurs der Wertpapiere, auf die sie sich bezieht, einen für die Beurteilung, ob die Information über diese Veröffentlichung präzise ist, erheblichen Aspekt darstellt.

54        Insoweit ist in Bezug auf das vierte Element der Definition von „Insiderinformation“ in Art. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2003/6, nämlich dass die Information, wenn sie öffentlich bekannt würde, geeignet wäre, den Kurs der betreffenden Finanzinstrumente oder den Kurs damit verbundener derivativer Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen, darauf hinzuweisen, dass nach dem zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/124 im Nachhinein vorliegende Informationen (Ex-post‑Informationen) zur Überprüfung der Annahme genutzt werden können, dass die Ex-ante‑Information kurserheblich war, diese Ex-post‑Informationen allerdings nicht dazu verwendet werden sollten, Maßnahmen gegen eine Person zu ergreifen, die vernünftige Schlussfolgerungen aus der ihr vorliegenden Ex-ante‑Information gezogen hat.

55        Bei einer Information, die, wenn sie öffentlich bekannt würde, geeignet wäre, den Kurs der betreffenden Wertpapiere erheblich zu beeinflussen, ist aber in der Regel davon auszugehen, dass sie das erste Element dieser Definition erfüllt, d. h. präzise ist, da die Veröffentlichung einer Information einen solchen Einfluss grundsätzlich nicht haben kann, wenn die Information selbst nicht präzise ist.

56        Folglich kann der tatsächliche Einfluss einer Veröffentlichung auf den Kurs der in dieser Veröffentlichung genannten Wertpapiere ein nachträglicher Beweis dafür sein, dass die Information über diese Veröffentlichung präzise war. Hingegen kann er für sich genommen, ohne dass weitere, vor dieser Veröffentlichung bekannte oder offengelegte Angaben geprüft werden, nicht für den Nachweis der Präzision der Information genügen.

57        Nach diesen Erwägungen ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2003/6 dahin auszulegen ist, dass es sich für die Einstufung als Insiderinformation bei einer Information, die die bevorstehende Veröffentlichung eines Presseartikels betrifft, in dem ein Marktgerücht über einen Emittenten von Finanzinstrumenten aufgegriffen wird, um eine „präzise“ Information im Sinne dieser Vorschrift und im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124 handeln kann und dass für die Beurteilung, ob die Information präzise ist, der Umstand, dass in diesem Presseartikel der für die Wertpapiere dieses Emittenten im Rahmen eines möglichen öffentlichen Erwerbsangebots gebotene Preis genannt werden wird, sowie die Identität des Journalisten, der diesen Artikel unterzeichnet hat, und des Presseorgans, das ihn veröffentlicht hat, erheblich sind, sofern sie vor der Veröffentlichung des Artikels mitgeteilt wurden. Der tatsächliche Einfluss dieser Veröffentlichung auf den Kurs der Wertpapiere, auf die sie sich bezieht, kann zwar einen nachträglichen Beweis dafür darstellen, dass die Information über diese Veröffentlichung präzise war, kann aber für sich genommen, ohne dass weitere, vor dieser Veröffentlichung bekannte oder offengelegte Angaben geprüft werden, nicht für den Nachweis der Präzision der Information genügen.

Zur zweiten bis vierten Vorlagefrage

Vorbemerkungen

58        Die Fragen 2 bis 4 betreffen die Auslegung der Art. 10 und 21 der Verordnung Nr. 596/2014. Diese wurde nach den Ereignissen erlassen, um die es im Ausgangsverfahren geht. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts enthält Art. 21 der Verordnung Nr. 596/2014 jedoch Bestimmungen, die weniger streng als die Vorschriften der zur Zeit dieser Ereignisse geltenden Richtlinie 2003/6 seien. Er müsse daher rückwirkend auf diese Ereignisse Anwendung finden. Durch diesen Artikel sei eine besondere, in der Richtlinie 2003/6 nicht vorgesehene Regelung eingeführt worden, mit der u. a. erreicht werden solle, dass ein Verstoß in Form der unrechtmäßigen Offenlegung von Insiderinformationen tendenziell seltener bejaht werde, wenn die fragliche Offenlegung für journalistische Zwecke geschehe.

59        Wie die Generalanwältin in Nr. 68 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, hängt die Frage, ob die Bestimmungen von Art. 21 der Verordnung Nr. 596/2014 in dem genannten Bereich weniger streng als die der Richtlinie 2003/6 und daher tatsächlich auf das Ausgangsverfahren anwendbar sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Oktober 2015, Delvigne, C‑650/13, EU:C:2015:648, Rn. 53), davon ab, wie dieser Artikel auszulegen ist. Zwar entspricht Art. 10 der Verordnung Nr. 596/2014 Art. 3 Buchst. a der Richtlinie 2003/6 und kann daher nicht dahin aufgefasst werden, dass er selbst eine weniger strenge als die in Art. 3 Buchst. a der Richtlinie 2003/6 vorgesehene Regel vorsieht, doch ergibt sich aus dem Verweis in Art. 21 der Verordnung Nr. 596/2014 auf deren Art. 10, dass die Bestimmungen dieser Artikel eng zusammenhängen und nicht getrennt angewandt werden können. Somit kann nicht von vorneherein festgestellt werden, dass Art. 10 der Verordnung Nr. 596/2014 und Art. 3 der Richtlinie 2003/6 in Bezug auf die Offenlegung von Insiderinformationen durch einen Journalisten genau den gleichen Sinn und die gleiche Tragweite haben.

60        Daher fällt die Frage der Anwendbarkeit der Art. 10 und 21 der Verordnung Nr. 596/2014 auf das Ausgangsverfahren unter die inhaltliche Prüfung der Fragen 2 bis 4 (vgl. entsprechend Urteil vom 28. Oktober 2021, Komisia za protivodeystvie na koruptsiyata i za otnemane na nezakonno pridobitoto imushtestvo, C‑319/19, EU:C:2021:883, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Zum Inhalt

–       Zur zweiten Frage

61        Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 21 der Verordnung Nr. 596/2014 dahin auszulegen ist, dass die Offenlegung einer Information über die bevorstehende Veröffentlichung eines Artikels, in dem ein Marktgerücht aufgegriffen wird, durch den Journalisten, der diesen Artikel verfasst hat, an eine seiner üblichen Informationsquellen „für journalistische Zwecke“ im Sinne dieser Vorschrift erfolgt.

62        Nach Art. 21 der Verordnung Nr. 596/2014 sind, wenn für journalistische Zwecke oder andere Ausdrucksformen in den Medien Informationen offengelegt werden, bei der Beurteilung dieser Offenlegung für den Zweck von u. a. Art. 10, der die unrechtmäßige Offenlegung von Insiderinformationen betrifft, die Regeln der Pressefreiheit und der Freiheit der Meinungsäußerung in anderen Medien sowie der journalistischen Berufs- und Standesregeln zu berücksichtigen, es sei denn der offenlegenden Person oder mit dieser Person in enger Beziehung stehenden Personen erwächst unmittelbar oder mittelbar ein Vorteil aus der Offenlegung oder die offenlegende Person verfolgt mit dieser Offenlegung die Absicht, den Markt irrezuführen.

63        Zu der Frage, ob eine Offenlegung „für journalistische Zwecke“ im Sinne dieses Art. 21 den Fall erfasst, dass ein Journalist eine Information an eine seiner üblichen Informationsquellen weitergibt, oder darunter nur eine Mitteilung an die Öffentlichkeit in der Presse oder in anderen Medien fällt, ist darauf hinzuweisen, dass bei der Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts nicht nur deren Wortlaut, sondern auch der Zusammenhang, in dem sie steht, sowie die Zwecke und Ziele, die mit dem Rechtsakt, zu dem sie gehört, verfolgt werden, zu berücksichtigen sind.

64        Was den Wortlaut von Art. 21 der Verordnung Nr. 596/2014 betrifft, ist festzustellen, dass sich die Wendung „für journalistische Zwecke“ auf Offenlegungen von Informationen bezieht, die der journalistischen Tätigkeit dienen, und damit nicht unbedingt nur auf Offenlegungen von Informationen, die in der Veröffentlichung von Informationen als solchen bestehen, sondern auch auf solche, die Teil des Prozesses sind, der zu einer solchen Veröffentlichung führt.

65        Zu dem Zusammenhang, in dem die Verordnung Nr. 596/2014 steht, und den Zwecken, die mit ihr verfolgt werden, ergibt sich aus ihrem zweiten Erwägungsgrund, dass sie bezweckt, die Integrität der Finanzmärkte sicherzustellen, indem sie Marktmissbrauch wie Insidergeschäfte und die unrechtmäßige Offenlegung von Insiderinformationen verbietet. Zudem ergibt sich aus dem 77. Erwägungsgrund dieser Verordnung, dass dieser Zweck im Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen zu verfolgen ist, die mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) anerkannt wurden, insbesondere der Pressefreiheit und der freien Meinungsäußerung, die in der Union und den Mitgliedstaaten gewährleistet werden sowie in Art. 11 der Charta niedergelegt und außerdem in Art. 21 der Verordnung Nr. 596/2014 genannt sind.

66        In Anbetracht der Bedeutung, die diesen Grundfreiheiten in jeder demokratischen Gesellschaft zukommt, müssen die damit zusammenhängenden Begriffe, zu denen die Wendung „für journalistische Zwecke“ gehört, weit ausgelegt werden (vgl. entsprechend Urteil vom 14. Februar 2019, Buivids, C‑345/17, EU:C:2019:122, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).

67        Außerdem ist bei der Auslegung von Art. 11 der Charta gemäß deren Art. 52 Abs. 3 die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 10 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) zu beachten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Februar 2019, Buivids, C‑345/17, EU:C:2019:122, Rn. 65 und die dort angeführte Rechtsprechung).

68        Aus dieser Rechtsprechung geht hervor, dass nicht nur Veröffentlichungen, sondern auch Handlungen zur Vorbereitung einer Veröffentlichung, wie das Sammeln von Informationen sowie journalistische Recherche- und Untersuchungstätigkeiten von der in Art. 10 der EMRK verankerten Pressefreiheit umfasst und durch diese geschützt sind (vgl. in diesem Sinne EGMR, 25. April 2006, Dammann/Schweiz, CE:ECHR:2006:0425JUD007755101, § 52, und EGMR, 27. Juni 2017, Satakunnan Markkinapörssi Oy und Satamedia Oy/Finnland, CE:ECHR:2017:0627JUD000093113, § 128).

69        Auch wenn das oberste Ziel journalistischer Tätigkeit darin besteht, der Öffentlichkeit Informationen mitzuteilen, kann daher eine Offenlegung als Offenlegung von Informationen für journalistische Zwecke im Sinne von Art. 21 der Verordnung Nr. 596/2014 angesehen werden, wenn sie auf die Verwirklichung dieser Tätigkeit gerichtet ist, wozu auch die Tätigkeit im Rahmen von journalistischer Untersuchungsarbeit im Vorfeld der Veröffentlichung gehört.

70        In Bezug auf das Ausgangsverfahren könnte dies u. a. auf den vom vorlegenden Gericht genannten Fall zutreffen, in dem die Offenlegung der Information über die bevorstehende Veröffentlichung eines Artikels dazu diene, das Gerücht, das Gegenstand dieses Artikels ist, zu überprüfen oder Aufklärungen hierzu zu erhalten, gleich ob die Person, gegenüber der diese Information offengelegt wird, die Quelle dieses Gerüchts ist oder nicht. Es ist Aufgabe des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob dies hier tatsächlich der Fall war.

71        Nach diesen Erwägungen ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 21 der Verordnung Nr. 596/2014 dahin auszulegen ist, dass die Offenlegung einer Information über die bevorstehende Veröffentlichung eines Artikels, in dem ein Marktgerücht aufgegriffen wird, durch den Journalisten, der diesen Artikel verfasst hat, an eine seiner üblichen Informationsquellen „für journalistische Zwecke“ im Sinne dieser Vorschrift geschieht, wenn sie erforderlich ist, um einer journalistischen Tätigkeit nachzukommen, die auch Untersuchungstätigkeiten im Vorfeld dieser Veröffentlichung umfasst.

–       Zur dritten und zur vierten Frage

72        Es bietet sich an, die dritte und die vierte Frage zusammen zu prüfen. Das vorlegende Gericht möchte im Wesentlichen wissen, ob die Art. 10 und 21 der Verordnung Nr. 596/2014 dahin auszulegen sind, dass es für die Frage, ob die Offenlegung einer Insiderinformation durch einen Journalisten für journalistische Zwecke rechtmäßig oder unrechtmäßig ist, darauf ankommt, ob die Offenlegung im Zuge der normalen Ausübung des Journalistenberufs geschieht.

73        Nach Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 596/2014 liegt für die Zwecke dieser Verordnung eine nach Art. 14 Buchst. c dieser Verordnung verbotene, unrechtmäßige Offenlegung von Insiderinformationen vor, wenn eine Person, die über Insiderinformationen verfügt, diese Informationen gegenüber einer anderen Person offenlegt, es sei denn, die Offenlegung geschieht im Zuge der normalen Ausübung einer Beschäftigung oder eines Berufs oder der normalen Erfüllung von Aufgaben.

74        Da die Definition der unrechtmäßigen Offenlegung von Insiderinformationen in Art. 10 der Verordnung Nr. 596/2014 „[f]ür die Zwecke dieser Verordnung“ festgelegt wird, ist sie als auf die von Art. 21 dieser Verordnung erfassten Situationen anwendbar anzusehen. Dies wird durch den Wortlaut von Art. 21 der Verordnung Nr. 596/2014 bestätigt, der sich auf die Beurteilung der Offenlegung einer Insiderinformation für journalistische Zwecke u. a. für den Zweck von Art. 10 dieser Verordnung bezieht.

75        Daraus folgt, dass Art. 21 der Verordnung Nr. 596/2014 keine eigenständige, von Art. 10 dieser Verordnung abweichende Basis für die Feststellung darstellt, ob eine Offenlegung von Insiderinformationen für journalistische Zwecke rechtmäßig oder unrechtmäßig ist. Grundlage dieser Feststellung muss Art. 10 sein, wobei die in Art. 21 enthaltenen näheren Bestimmungen zu berücksichtigen sind.

76        Hierzu ist festzustellen, dass Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 596/2014 in Verbindung mit deren Art. 14 Buchst. c im Wesentlichen Art. 3 Buchst. a der Richtlinie 89/592/EWG des Rates vom 13. November 1989 zur Koordinierung der Vorschriften betreffend Insider-Geschäfte (ABl. 1989, L 334, S. 30) und Art. 3 Buchst. a der Richtlinie 2003/6 entspricht, die die Mitgliedstaaten verpflichteten, die Weitergabe von Insiderinformationen zu verbieten. Insbesondere enthält Art. 10 der Verordnung Nr. 596/2014, der vorsieht, dass die Offenlegung einer Insiderinformation nicht unrechtmäßig ist, wenn sie im Zuge der normalen Ausübung einer Beschäftigung oder eines Berufs oder der normalen Erfüllung von Aufgaben geschieht, die gleiche Ausnahme vom Verbot der Weitergabe von Insiderinformationen wie die genannten Vorschriften der Richtlinien 89/592 und 2003/6.

77        Wie sich insbesondere aus dem zweiten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 596/2014 ergibt, zielt diese wie die genannten Richtlinien, die ihr vorausgingen, u. a. darauf, die Integrität der Finanzmärkte zu schützen und das Vertrauen der Anleger zu stärken, das insbesondere darauf beruht, dass sie einander gleichgestellt und gegen die unrechtmäßige Verwendung einer Insiderinformation geschützt sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. Dezember 2009, Spector Photo Group und Van Raemdonck, C‑45/08, EU:C:2009:806, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

78        Somit setzt die Ausnahme in Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 596/2014 wie die in Art. 3 Buchst. a der Richtlinie 89/592 voraus, dass zwischen der Offenlegung einer Insiderinformation und der Ausübung einer Arbeit, eines Berufs oder der Erfüllung einer Aufgabe ein enger Zusammenhang besteht, damit eine solche Offenlegung gerechtfertigt sein kann. Sie ist grundsätzlich eng auszulegen, so dass die Offenlegung einer Insiderinformation nur dann gerechtfertigt ist, wenn sie für diese Ausübung unerlässlich ist und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet, wie der Gerichtshof im Urteil vom 22. November 2005, Grøngaard und Bang (C‑384/02, EU:C:2005:708, Rn. 31 und 34), ausgeführt hat.

79        Allerdings handelte es sich in der Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen ist, bei den Personen, die die Insiderinformationen offenlegten, um einen Arbeitnehmervertreter im Verwaltungsrat eines Unternehmens, der auch Mitglied des Verbindungsausschusses eines Konzerns war, und um den Vorsitzenden einer Gewerkschaft.

80        Legt ein Journalist Insiderinformationen „für journalistische Zwecke“ im Sinne von Art. 21 der Verordnung Nr. 596/2014 offen, ist diese Ausnahme, wie in den Rn. 65 und 66 des vorliegenden Urteils im Wesentlichen ausgeführt, so auszulegen, dass die praktische Wirksamkeit dieser Vorschrift in Anbetracht ihrer Zielsetzung gewahrt wird. Diese ist auch im 77. Erwägungsgrund dieser Verordnung genannt, nämlich die Beachtung der Pressefreiheit und der freien Meinungsäußerung in anderen Medien, die insbesondere durch Art. 11 der Charta gewährleistet werden (vgl. entsprechend Urteil vom 29. Juli 2019, Spiegel Online, C‑516/17, EU:C:2019:625, Rn. 55).

81        Somit sind die sich aus Art. 10 der Verordnung Nr. 596/2014 ergebende Anforderung, dass eine solche Offenlegung für die Ausübung des Journalistenberufs erforderlich sein muss, und die Verhältnismäßigkeit dieser Offenlegung unter Berücksichtigung dessen zu beurteilen, dass Art. 10 dieser Verordnung, da er eine Einschränkung des in Art. 11 der Charta garantierten Grundrechts darstellt, im Einklang mit den Anforderungen von Art. 52 Abs. 1 der Charta auszulegen ist.

82        Was zum einen die Anforderung angeht, dass eine solche Offenlegung für die Ausübung einer journalistischen Tätigkeit erforderlich sein muss, zu der wie in Rn. 71 des vorliegenden Urteils ausgeführt auch Untersuchungstätigkeiten im Vorfeld von Veröffentlichungen gehören, ist daher u. a. zu berücksichtigen, dass der Journalist die Informationen, von denen er Kenntnis erlangt hat, verifizieren muss.

83        Folglich ist, wie die Generalanwältin in Nr. 97 ihrer Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, wenn eine Offenlegung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende zu dem Zweck der Veröffentlichung eines Presseartikels geschehen ist, zu prüfen, ob diese Offenlegung über das hinausgeht, was erforderlich ist, um die in diesem Artikel enthaltenen Informationen zu verifizieren. Insbesondere in Bezug auf die Verifizierung einer Information über ein Marktgerücht ist gegebenenfalls zu prüfen, ob es erforderlich war, dass der Journalist gegenüber einem Dritten neben dem Inhalt des fraglichen Gerüchts als solchem die spezifische Information über die bevorstehende Veröffentlichung eines Artikels, in dem dieses Gerücht aufgegriffen wird, offenlegt.

84        Zum anderen ist, um zu ermitteln, ob eine solche Offenlegung verhältnismäßig im Sinne von Art. 10 der Verordnung Nr. 596/2014 ist, zu prüfen, ob die Einschränkung der Pressefreiheit, zu der das Verbot einer solchen Offenlegung führen würde, außer Verhältnis zu dem Schaden stünde, der durch die Offenlegung für die Integrität der Finanzmärkte entstehen könnte.

85        Zu den Gesichtspunkten, die bei dieser Beurteilung zu berücksichtigen sind, gehört erstens die potenzielle Abschreckungswirkung eines solchen Verbots für die Ausübung journalistischer Tätigkeit einschließlich vorbereitender Untersuchungstätigkeiten.

86        Zweitens ist auch zu prüfen, ob der Journalist bei der fraglichen Offenlegung die in Art. 21 der Verordnung Nr. 596/2014 erwähnten journalistischen Berufs- und Standesregeln beachtet hat. Wie die Generalanwältin in Nr. 103 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, lässt die Einhaltung journalistischer Berufsregeln allerdings nicht ohne Weiteres den Schluss zu, dass die Offenlegung einer Insiderinformation verhältnismäßig im Sinne von Art. 10 der Verordnung Nr. 596/2014 war.

87        Drittens sind, wie die Generalanwältin in Nr. 100 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, auch die negativen Auswirkungen der fraglichen Offenlegung von Insiderinformationen auf die Integrität der Finanzmärkte zu berücksichtigen. Insbesondere soweit nach dieser Offenlegung Insidergeschäfte getätigt wurden, können diese zu finanziellen Verlusten bei anderen Anlegern und mittelfristig zu einem Verlust des Vertrauens in die Finanzmärkte führen.

88        Daraus folgt, dass die Offenlegung von Insiderinformationen nicht nur private Interessen einiger Anleger beeinträchtigt, sondern allgemeiner das öffentliche Interesse, eine vollständige und angemessene Transparenz des Marktes zu garantieren, um dessen Integrität zu wahren und das Vertrauen sämtlicher Anleger zu gewährleisten, wie in Rn. 77 des vorliegenden Urteils ausgeführt. Somit hat das vorlegende Gericht auch zu berücksichtigen, dass das öffentliche Interesse, das mit einer solchen Offenlegung verfolgt worden sein mag, nicht nur privaten Interessen, sondern auch einem ebenfalls öffentlichen Interesse gegenübersteht (vgl. entsprechend EGMR, 10. Dezember 2007, Stoll/Schweiz, CE:ECHR:2007:1210JUD006969801, § 116).

89        Nach alledem ist auf die dritte und die vierte Frage zu antworten, dass die Art. 10 und 21 der Verordnung Nr. 596/2014 dahin auszulegen sind, dass eine Offenlegung einer Insiderinformation durch einen Journalisten rechtmäßig ist, wenn sie für die Ausübung seines Berufs erforderlich ist und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt.

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