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Wirtschaftsrecht
16.11.2023
Wirtschaftsrecht
BGH: Prämiensparvertrag – Zum Ausschluss der ordentlichen Kündigung

BGH, Urteil vom 17.10.2023 – XI ZR 72/22

ECLI:DE:BGH:2023:171023UXIZR72.22.0

Volltext: BB-Online BBL2023-2690-6

unter www.betriebs-berater.de

Amtlicher Leitsatz

Bei einem Prämiensparvertrag, bei dem die Prämien auf die Sparbeiträge stufenweise bis zu einem bestimmten Sparjahr steigen, ist das Recht der Sparkasse zur ordentlichen Kündigung nach Nr. 26 Abs. 1 AGB-Sparkassen auch dann (nur) bis zum Erreichen der höchsten Prämienstufe ausgeschlossen, wenn in der Vertragsurkunde die Sparprämie auch für Folgejahre ausdrücklich aufgeführt ist (Fortführung Senatsurteil vom 14. Mai 2019 – XI ZR 345/18, BGHZ 222, 74).

BGB § 700 Abs. 1

Sachverhalt

Der Kläger begehrt die Feststellung des Fortbestandes eines mit der Beklagten geschlossenen Sparvertrags.

Die Parteien schlossen am 31. Oktober 2001 einen Sparvertrag mit variabler Verzinsung. In dem Vertragsformular "S PRÄMIENSPAREN flexibel" heißt es auszugsweise wie folgt:

"1. Sparbeiträge

Der Sparer wird bis zum 1./15. jeden Monats/Kalendervierteljahres, beginnend am 01.11.2001, Sparbeiträge von 400,00 EUR auf das oben genannte Sparkonto einzahlen.

[…]

3. Zinsen und Prämien

Die Sparkasse zahlt neben dem jeweils gültigen Zinssatz, zzt. 2,500 %, am Ende eines Kalender-/Sparjahres eine verzinsliche S-Prämie gemäß der nachfolgenden Prämienstaffel auf die geleisteten Sparbeiträge des jeweils abgelaufenen Sparjahres, […]

Die S-Prämie beträgt nach

3 J     3,000%

4 J     4,000%

5 J     6,000%

6 J     8,000%   

7 J     10,000%

8 J     15,000%

9 J     20,000%

10 J   25,000%  

11 J   30,000%

12 J   35,000%

13 J   40,000%

14 J   45,000%  

15 J   50,000%

16 J   50,000%

17 J   50,000%

18 J   50,000%

19 J   50,000%

20 J   50,000%

FJ    50,000%

4. Beendigung des Sparvertrages

4.1 Verfügung nach Kündigung: Es gilt eine dreimonatige Kündigungsfrist. Die Kündigung bewirkt, dass der Sparer innerhalb eines Monats nach Ablauf der Kündigungsfrist über den gekündigten Betrag verfügen kann. Macht der Sparer von diesem Recht ganz oder teilweise Gebrauch, wird der Vertrag damit insgesamt beendet.

[…]

4.3 Werden die vereinbarten Sparbeiträge nicht rechtzeitig erbracht, können sie innerhalb von drei Monaten nach ihrer Fälligkeit nachgeholt werden. Wenn der Sparer die vereinbarten laufenden Sparbeiträge auch dann nicht erbringt, wird der Sparvertrag beendet; weitere Einzahlungen sind dann nicht mehr möglich.

[…]

5. Ergänzende Vereinbarungen

[…]

5.2 Die Sparkasse weist ausdrücklich darauf hin, dass ergänzend ihre derzeit geltenden Bedingungen für den Sparverkehr und ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) Vertragsbestandteil sind. Die Bedingungen hängen/liegen in den Kassenräumen zur Einsichtnahme aus. Der Kontoinhaber erhält ein Exemplar dieser Bedingungen, sofern er es wünscht."

Nr. 26 Abs. 1 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten enthält folgende Regelung:

"Soweit weder eine Laufzeit noch eine abweichende Kündigungsregelung vereinbart sind, können der Kunde und bei Vorliegen eines sachgerechten Grundes auch die Sparkasse die gesamte Geschäftsbeziehung oder einzelne Geschäftszweige jederzeit ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen."

Mit Schreiben vom 24. Juni 2019 kündigte die Beklagte den Sparvertrag unter Hinweis auf die Niedrigzinsphase mit Wirkung zum 1. Oktober 2019.

Der Kläger hat unter anderem begehrt festzustellen, dass der Sparvertrag nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 24. Juni 2019 beendet worden sei. Das Landgericht hat die Klage insoweit mit Teilurteil abgewiesen. Auf die dagegen gerichtete Berufung hat das Berufungsgericht die Entscheidung abgeändert und die beantragte Feststellung getroffen. Mit der - vom Berufungsgericht zugelassenen - Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Aus den Gründen

6          Die Revision hat Erfolg. Sie führt unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

I.

7          Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner unter anderem in WM 2022, 768 veröffentlichten Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

8          Der Beklagten stehe zwar grundsätzlich ein ordentliches Kündigungsrecht zu. In dem veränderten Zinsumfeld sei ein sachgerechter Grund zur ordentlichen Kündigung im Sinne von Nr. 26 Abs. 1 AGB-Sparkassen zu sehen. Doch hätten die Parteien dieses Kündigungsrecht durch die in dem Prämiensparvertrag enthaltene Prämienstaffel konkludent bis zum Ablauf des zwanzigsten Sparjahres abbedungen.

 

9          Welche Bedeutung der Vereinbarung einer Prämienstaffel zukomme, die wie im vorliegenden Fall auch für den Zeitraum nach Erreichen der höchsten Prämienstufe explizit weitere Sparjahre und die für diese geltenden Prämien ausweise, sei höchstrichterlich noch nicht entschieden. Insbesondere das Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 14. Mai 2019 - XI ZR 345/18, BGHZ 222, 74) befasse sich nicht mit einer der streitgegenständlichen vergleichbaren Prämienstaffel. Nach dem Wortlaut des Vertragsmusters der Beklagten erscheine zwar eine Auslegung dahingehend denkbar, dass die Beklagte durch Abdruck der Prämienstaffel allein eine Vertragsbindung für mindestens 15 Vertragsjahre habe eingehen wollen. Hierfür spreche, dass die Verträge über das Modell "S-Prämiensparen" keine feste Vertragslaufzeit vorsähen und folglich auf unbefristete Zeit abgeschlossen worden seien. Selbst der nicht rechtlich vorgebildete durchschnittliche Verbraucher müsse grundsätzlich damit rechnen, dass solche Verträge auch von der Gegenseite im Wege der ordentlichen Kündigung beendet werden könnten.

 

10        Demgegenüber sei aber die Ansicht vorzuziehen, dass durch die konkrete Ausgestaltung der Prämienstaffel das ordentliche Kündigungsrecht der Beklagten für die Dauer sämtlicher im Vertrag explizit genannter Sparjahre habe ausgeschlossen sein sollen. Der Vertrag sei nicht befristet und enthalte auch keinen expliziten Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts der Sparkasse. Allerdings sei die Gestaltung des Vertragsformulars gerade im Hinblick auf die Beendigungsrechte der Parteien verwirrend gestaltet. Es erwecke für den durchschnittlichen, rechtlich nicht vorgebildeten Verbraucher eher den Eindruck, dass überhaupt nur die Kunden den Vertrag ordentlich kündigen könnten. So normiere das Vertragsformular explizit nur ein ordentliches Kündigungsrecht des Kunden. Ein solches der Sparkasse werde weder explizit geregelt noch zumindest im systematischen Kontext darauf verwiesen, dass Nr. 26 Abs. 1 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten unberührt bleibe. Dass die Beklagte zur ordentlichen Kündigung berechtigt sein solle, ergebe sich daher nur aus dem pauschalen Verweis der Ziffer 5.2 des Vertragsformulars auf die ergänzende Geltung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten, die vom typischen Verbraucher indes nicht gelesen würden. In Anbetracht der großen Bedeutung des Kündigungsrechts für die Renditeerwartung der Verbraucher komme der Erwähnung bestimmter Sparjahre in der Prämienstaffel eine besonders herausgehobene Bedeutung zu.

 

11        Für den durchschnittlichen Verbraucher lege ferner die sprachliche Unterscheidung des Vertragsformulars zwischen den auf das fünfzehnte Sparjahr folgenden Sparjahren 16 bis 20 einerseits und dem als "Folgejahre" bezeichneten anschließenden Zeitraum andererseits eine unterschiedliche vertragliche Behandlung dieser Zeiträume nahe. Zudem dürfte die Prämienstaffel der Beklagten durch Nennung der nominal extrem hohen Prämien für den Zeitraum bis zum Ablauf des zwanzigsten Sparjahres gerade einen besonderen subjektiven Sparanreiz bei solchen Verbrauchern geweckt haben, die die langfristig abnehmende wirtschaftliche Relevanz der Prämien im Verhältnis zur Basisverzinsung nicht verstanden hätten. Für einen längerfristigen Ausschluss des Kündigungsrechts spreche ferner, dass der vom Bundesgerichtshof für relevant erachtete besondere wirtschaftliche Sparanreiz der Prämienstaffel auch über das Jahr des erstmaligen Erreichens der höchsten Prämienstufe hinaus bestehen könne.

 

12        Im Ergebnis könne letztlich dahinstehen, welcher der Auslegungsvarianten der Vorzug zu geben sei. Denn gemäß § 305c Abs. 2 BGB trage die Beklagte als Verwenderin des Vertragsformulars das Risiko der für sie unschwer vermeidbaren Unklarheit der von ihr gestellten Vertragsbedingungen.

 

II.

13        Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Kündigung ist wirksam und die Klage damit unbegründet.

 

14        1. Zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings den Klageantrag dahin verstanden, dass er auf die Feststellung des Fortbestandes des Sparvertrags über den 1. Oktober 2019 hinaus gerichtet ist und dass er so verstanden auch zulässig ist.

 

15        Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann das Revisionsgericht die Würdigung prozessualer Erklärungen einer Partei uneingeschränkt nachprüfen und Erklärungen selbst auslegen (Senatsurteile vom 16. Mai 2017 - XI ZR 586/15, WM 2017, 1258 Rn. 11 und vom 25. Juli 2023 - XI ZR 221/22, WM 2023, 1603 Rn. 18, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt, jeweils mwN). Die Auslegung darf auch im Prozessrecht nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften, sondern hat den wirklichen Willen der Partei zu erforschen. Bei der Auslegung von Prozesserklärungen ist der Grundsatz zu beachten, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht (Senatsurteile vom 16. Mai 2017, aaO und vom 25. Juli 2023, aaO, jeweils mwN).

 

16        Hiernach ist das Begehren des Klägers allein auf die Feststellung des zwischen den Parteien streitigen Fortbestandes des Sparvertrags über den 1. Oktober 2019 hinaus gerichtet. Denn während der (Fort-)Bestand eines Vertrags der Feststellung nach § 256 Abs. 1 ZPO zugänglich ist, kann die Wirksamkeit einer Kündigungserklärung nicht Gegenstand einer allgemeinen Feststellungsklage gemäß § 256 Abs. 1 ZPO sein, weil es sich hierbei lediglich um eine Vorfrage über den Bestand eines feststellungsfähigen Rechtsverhältnisses handelt (Senatsurteil vom 25. Juli 2023 - XI ZR 221/22, WM 2023, 1603 Rn. 19 mwN). Trotz der Bezugnahme auf die Kündigung der Beklagten vom 24. Juni 2019 ist das Klagebegehren bei verständiger Auslegung daher nicht auf die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigungserklärung gerichtet, sondern dahin zu verstehen, dass Streitgegenstand der Feststellungsklage allein der Fortbestand des mit der Beklagten geschlossenen Sparvertrags über den 1. Oktober 2019 hinaus ist (vgl. Senatsurteil vom 1. August 2017 - XI ZR 469/16, NJW-RR 2017, 1260 Rn. 14).

 

17        2. Das Berufungsgericht hat den Feststellungsantrag jedoch zu Unrecht als begründet erachtet. Die Beklagte hat den Sparvertrag wirksam zum 1. Oktober 2019 gekündigt.

 

18        a) In zeitlicher Hinsicht ist auf den im Oktober 2001 abgeschlossenen Sparvertrag gemäß Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB im Grundsatz das Bürgerliche Gesetzbuch in der am 1. Januar 2003 geltenden Fassung anzuwenden (vgl. Senatsurteil vom 14. Mai 2019 - XI ZR 345/18, BGHZ 222, 74 Rn. 22).

 

19        b) Der Sparvertrag unterliegt dem Recht der unregelmäßigen Verwahrung und damit § 700 BGB in der seit dem 1. Januar 2002 geltenden Fassung.

 

20        aa) Die Abgrenzung zu einem Darlehensvertrag (§§ 488 ff. BGB) hat anhand des vertraglichen Pflichtenprogramms zu erfolgen. Voraussetzung für einen unregelmäßigen Verwahrungsvertrag gemäß § 700 Abs. 1 Satz 1 BGB ist, dass vertretbare Sachen in der Art hinterlegt werden, dass das Eigentum auf den Verwahrer übergehen und dieser verpflichtet sein soll, Sachen von gleicher Art, Güte und Menge zurückzugewähren. Insoweit ist der unregelmäßige Verwahrungsvertrag im Grundsatz einseitig verpflichtend. Der Hinterleger geht keine Verpflichtung zur Hinterlegung ein; ihm kommt es in der Regel in erster Linie auf eine sichere Aufbewahrung der überlassenen Sache und daneben auf die jederzeitige Verfügbarkeit darüber an. Eine unregelmäßige Verwahrung scheidet daher aus, wenn der Sparer zur Erbringung der Spareinlage verpflichtet sein soll; denn die Verpflichtung, einen Geldbetrag in der vereinbarten Höhe zur Verfügung zu stellen, ist gemäß § 488 Abs. 1 Satz 1 BGB die vertragstypische Pflicht des Darlehensgebers bei einem Darlehensvertrag (Senatsurteile vom 14. Mai 2019 - XI ZR 345/18, BGHZ 222, 74 Rn. 26 mwN und vom 25. Juli 2023 - XI ZR 221/22, WM 2023, 1603 Rn. 24).

 

21        bb) Nach diesen Maßgaben ist der Sparvertrag als unregelmäßiger Verwahrungsvertrag zu qualifizieren, weil sich der Kläger gegenüber der Beklagten nicht zur Zahlung der monatlichen Sparbeiträge verpflichtet hat, wohingegen die Beklagte unter den Voraussetzungen von Ziffer 4 des Vertragsformulars zur Rückzahlung der Spareinlage verpflichtet ist.

 

22        Bei dem Vertragsformular handelt es sich um einen Vordruck der Beklagten und damit bereits dem ersten Anschein nach um Allgemeine Geschäftsbedingungen, die der Senat selbst auslegen kann (vgl. Senatsurteile vom 14. Mai 2019 - XI ZR 345/18, BGHZ 222, 74 Rn. 28 mwN und vom 25. Juli 2023 - XI ZR 221/22, WM 2023, 1603 Rn. 26). Allgemeine Geschäftsbedingungen sind ausgehend von den Verständnismöglichkeiten eines rechtlich nicht gebildeten Durchschnittskunden so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der regelmäßig beteiligten Kreise verstanden werden (Senatsurteil vom 25. Juli 2023, aaO mwN).

 

23        Wie der Senat bereits für insofern vergleichbare Sparverträge entschieden hat, lässt sich dem Wortlaut des Vertragsformulars keine Pflicht zur Zahlung des monatlichen Sparbeitrags entnehmen. Die Formulierung "Der Sparer wird bis zum 1./15. jeden Monats … einzahlen." enthält eine solche Verpflichtung nicht. Dies zeigt sich auch an der Regelung in Ziffer 4.3 des Vertragsformulars, die an die Nichterbringung der Sparraten eine abweichende Rechtsfolge knüpft. Eine Verpflichtung des Sparers zur Erbringung der Sparbeiträge wäre auch nicht interessengerecht (vgl. Senatsurteil vom 14. Mai 2019 - XI ZR 345/18, BGHZ 222, 74 Rn. 30).

 

24        c) Der Beklagten stand nach Erreichen der höchsten Prämienstufe ein Recht zur ordentlichen Kündigung aus Nr. 26 Abs. 1 AGB-Sparkassen zu.

 

25        aa) Die nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts in den Vertrag einbezogene Klausel begegnet keinen Wirksamkeitsbedenken nach § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB. Sie macht nach Maßgabe des Senatsurteils vom 5. Mai 2015 (XI ZR 214/14, BGHZ 205, 220 Rn. 10 ff.) die Wirksamkeit einer Kündigung der Beklagten, einer Anstalt des öffentlichen Rechts, vom Vorliegen eines sachlichen Grundes abhängig (Senatsurteil vom 14. Mai 2019 - XI ZR 345/18, BGHZ 222, 74 Rn. 34).

 

26        bb) Das Recht zur ordentlichen Kündigung aus Nr. 26 Abs. 1 AGB-Sparkassen war (lediglich) bis zum Erreichen der höchsten Prämienstufe ausgeschlossen, jedoch nicht darüber hinaus.

 

27        (1) Der Sparvertrag ist auf der Grundlage der vereinbarten Prämienstaffel und der weiteren vertraglichen Bestimmungen, die der Senat als Allgemeine Geschäftsbedingungen selbst auslegen kann, dahin zu verstehen, dass dem Sparer das Recht zukommt, einseitig zu bestimmen, ob er bis zum Erreichen der höchsten Prämienstufe spart. Bis zu diesem Zeitpunkt ist für die Beklagte das ordentliche Kündigungsrecht nach Nr. 26 Abs. 1 AGB-Sparkassen ausgeschlossen.

 

28        Für Prämiensparverträge mit einer vertraglich vereinbarten Prämienstaffel bis zum 15. Sparjahr hat der Senat bereits entschieden, dass diesen ein konkludenter zeitlich befristeter Ausschluss des Kündigungsrechts aus Nr. 26 Abs. 1 AGB-Sparkassen zu entnehmen ist (Senatsurteil vom 14. Mai 2019 - XI ZR 345/18, BGHZ 222, 74 Rn. 38 ff.). Dies hat er mit dem besonderen Bonusanreiz begründet, den die beklagte Sparkasse mit der vereinbarten Prämienstaffel gesetzt hat. Die Sparkasse soll dem Sparer den Anspruch auf Gewährung der Sparprämien nicht jederzeit durch eine ordentliche Kündigung entziehen können (Senatsurteil, aaO Rn. 39). Demgegenüber kann ein Sparer trotz der unbefristeten Laufzeit des Vertrags redlicherweise nicht erwarten, dass ihm mit dem Abschluss des Sparvertrags eine zeitlich unbegrenzte Sparmöglichkeit eröffnet werden soll (Senatsurteil, aaO Rn. 41 f.).

 

29        Diese Erwägungen gelten für die streitgegenständliche Prämienstaffel gleichermaßen. Die auf die Jahressparleistung von der Beklagten gewährte jährliche Prämie steigt nach dem dritten bis zum Ablauf des 15. Sparjahres fortlaufend bis auf 50% an. Den dadurch gesetzten besonderen Sparanreiz darf die Beklagte nicht enttäuschen, indem sie dem Kläger den Anspruch auf Gewährung der Sparprämien vor Erreichen der Höchststufe durch eine ordentliche Kündigung entzieht.

 

30        (2) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts haben die Parteien dagegen einen über das Ende des 15. Sparjahres hinauswirkenden Ausschluss des Kündigungsrechts nicht vereinbart.

 

31        (a) Allerdings gehen Teile der Instanzrechtsprechung und der Literatur davon aus, dass bei einer im Vertrag über die höchste Prämienstufe hinaus fortgeschriebenen Prämienstaffel der Sparanreiz nicht mit Erreichen der Höchststufe erfüllt ist, sondern für die explizit genannten Folgejahre fortbesteht und das ordentliche Kündigungsrecht der Sparkasse für diese Zeit ausschließt (vgl. LG Mühlhausen, Urteil vom 8. März 2023 - 1 S 37/21, juris Rn. 16; AG Heilbad Heiligenstadt, VuR 2021, 224; Bernhardt, VuR 2020, 300, 305; Hofauer, VuR 2023, 260, 261; Maier, VuR 2021, 464, 466; ders., VuR 2022, 163, 171; ders., VuR 2023, 163, 169 f.).

 

32        (b) Die überwiegende Ansicht nimmt demgegenüber an, dass das Kündigungsrecht nur bis zum Erreichen der höchsten Prämienstufe ausgeschlossen ist, auch wenn die anschließend konstante Prämienstaffel im Vertrag fortgeschrieben wird (vgl. BayObLG, Beschluss vom 27. Januar 2021 - 101 MK 1/20, unter II.1., veröffentlicht im Klageregister des Bundesamts für Justiz; OLG Celle, ZIP 2022, 736, 737; OLG München, Beschluss vom 11. November 2021 - 5 U 4934/21, unter 2.2., n.v.; OLG München, Urteil vom 15. Februar 2023 - 37 U 4167/22, unter II. B. 1. a. (2), n.v.; LG Deggendorf, Urteil vom 24. September 2020 - 31 O 232/20, juris Rn. 43 f.; LG Krefeld, Urteil vom 20. Mai 2021 - 3 O 241/20, juris Rn. 64 f.; AG Nürnberg, Urteil vom 25. Juni 2021 - 18 C 814/20, juris Rn. 37; Langner in Ellenberger/Bunte, Bankrechts-Handbuch, 6. Aufl., § 45 Rn. 101; Edelmann, BB 2021, 2451, 2452; Furche, WM 2022, 1041, 1049; Herresthal, WuB 2022, 233, 237; Kalisz, WM 2022, 1957, 1962; Schultheiß/Widany, WM 2023, 601 Rn. 22 ff.; Toussaint, EWiR 2022, 321, 322 f.).

 

33        (c) Zutreffend ist die letztgenannte Ansicht.

 

34        Hierfür spricht maßgeblich, dass es in erster Linie die bis zum 15. Sparjahr kontinuierlich steigende Prämienhöhe ist, in welcher der von der Beklagten gesetzte besondere Sparanreiz zu sehen ist (vgl. Senatsurteil vom 14. Mai 2019 - XI ZR 345/18, BGHZ 222, 74 Rn. 42). Bei gleichbleibender Prämienhöhe besteht hingegen kein solcher Sparanreiz (Herresthal, WuB 2022, 233, 237; Schultheiß/Widany, WM 2023, 601 Rn. 24) und die bloße Nennung der auf die Höchststufe folgenden stagnierenden Prämien vermag entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts (ebenso Hofauer, VuR 2023, 260, 261) keinen solchen zu begründen, mögen die Prämien auch nominal hoch erscheinen. Ob der Sparvertrag infolge einer für den Sparer günstigen Entwicklung der variablen Verzinsung diesem über die Höchststufe hinaus wirtschaftlich attraktive Erträge bietet, beeinflusst die Dauer des Kündigungsausschlusses nicht. Eine solche bei Vertragsschluss nicht absehbare Änderung der Umstände begründet keine geschützte Erwartung des Sparers.

 

35        Der Erwähnung bestimmter Sparjahre kommt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch keine herausgehobene Bedeutung deshalb zu, weil das Vertragsformular im Hinblick auf die Beendigungsrechte der Parteien verwirrend gestaltet wäre und für den durchschnittlichen, rechtlich nicht vorgebildeten Verbraucher den Eindruck erweckte, dass nur der Kunde den Vertrag ordentlich kündigen könnte. Das trifft bereits im Ausgangspunkt nicht zu. Das ordentliche Kündigungsrecht der Beklagten ist von dem Hinweis auf ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen in Ziffer 5.2 umfasst. Ob der Sparer diese im Einzelfall tatsächlich gelesen hat, ist für die Auslegung des Vertrags unmaßgeblich.

 

36        Die ausdrückliche Fortschreibung der Prämien über das Erreichen der höchsten Prämienstufe hinaus dient aus der Sicht eines Durchschnittskunden lediglich der Verdeutlichung der Ausgestaltung der Prämienzahlungen für die Folgejahre (vgl. Herresthal, WuB 2022, 233, 237; Schultheiß/Widany, WM 2023, 601 Rn. 22; aA LG Mühlhausen, Urteil vom 8. März 2023 - 1 S 37/21, juris Rn. 16). Bei dem vorliegenden Prämiensparvertrag handelt es sich um einen unbefristeten Vertrag (vgl. Senatsurteil vom 14. Mai 2019 - XI ZR 345/18, BGHZ 222, 74 Rn. 41), der dem Sparer auch für die Zeit nach Erreichen der Höchststufe einen Anspruch auf entsprechende Prämienzahlungen gewährt, unabhängig davon, ob die Prämien für die Folgejahre ausdrücklich aufgeführt sind (vgl. Schultheiß/Widany, WM 2023, 601 Rn. 23; siehe auch BGH, Verfügung vom 18. Januar 2022 - XI ZR 104/21, juris Rn. 3). Die Annahme des Berufungsgerichts, an der Bezeichnung der Sparjahre 16 bis 20 einerseits und der Folgejahre ("FJ") anderseits lasse sich eine sprachliche Differenzierung ablesen, die eine unterschiedliche Behandlung dieser Zeiträume nahelege, überspannt den Wortlaut und ist im Übrigen auch inkonsequent (vgl. Herresthal, WuB 2022, 233, 237). Wollte man aus der Nennung weiterer Sparjahre im Vertrag nach Erreichen der höchsten Prämienstufe eine geschützte Erwartung des Sparers ableiten, läge es vielmehr nahe, mit der Revisionserwiderung den Kündigungsausschluss auch auf die (weiteren) Folgejahre zu erstrecken (vgl. Toussaint, EWiR 2022, 321, 322 f.). Ein solches Verständnis liefe indes auf eine zeitlich unbegrenzte Sparmöglichkeit hinaus, die der Sparer aber redlicherweise nicht erwarten kann (vgl. Senatsurteil vom 14. Mai 2019 - XI ZR 345/18, BGHZ 222, 74 Rn. 42).

 

37        (d) Schließlich geht auch die Annahme des Berufungsgerichts fehl, es könne dahinstehen, welcher Auslegungsvariante der Vorzug zu geben sei, da § 305c Abs. 2 BGB greife. Dies ist nicht der Fall.

 

38        Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen gehen zwar gemäß § 305c Abs. 2 BGB zu Lasten des Verwenders. Unklar im Sinne der Vorschrift sind Klauseln, bei denen nach Ausschöpfung der in Betracht kommenden Auslegungsmethoden Zweifel verbleiben und zumindest zwei Auslegungsergebnisse rechtlich vertretbar sind. Hieran fehlt es aber. Nach der oben vorgenommenen Auslegung des Sparvertrags verbleiben keine Zweifel.

 

39        cc) Die tatbestandliche Kündigungsvoraussetzung eines sachgerechten Grundes i.S.d. Nr. 26 Abs. 1 AGB-Sparkassen liegt vor.

 

40        Ein solcher ist gegeben, wenn die Umstände, die die Sparkasse zur Kündigung veranlassen, derart beschaffen und zu bewerten sind, dass ein unvoreingenommener, vernünftiger Beobachter das Verhalten der Sparkasse für eine nachvollziehbare und der Sachlage nach angemessene Reaktion halten muss (Senatsurteil vom 14. Mai 2019 - XI ZR 345/18, BGHZ 222, 74 Rn. 45). Ein solcher Umstand ist in dem veränderten Zinsumfeld zu sehen, das sich zwar nicht wegen des variablen Zinssatzes negativ auf das Vertragsverhältnis auswirkt, es aber der Beklagten erschwert, die Erträge zu erwirtschaften, die sie benötigt, um die jährlichen Prämienzahlungen aufzubringen (vgl. Senatsurteil, aaO Rn. 46).

 

41        Der von der Revisionserwiderung in diesem Zusammenhang gerügte Gehörsverstoß liegt nicht vor. Sie stellt die Veränderung des Zinsumfeldes nicht in Frage, sondern beanstandet lediglich, dass das Berufungsgericht nicht ausgeführt habe, ob dies auch eine Kündigung des streitgegenständlichen Sparvertrags rechtfertige. Dies trifft indes nicht zu. Ganz im Gegenteil hat das Berufungsgericht in dem veränderten Zinsumfeld einen sachgerechten Grund zur ordentlichen Kündigung i.S.d. Nr. 26 Abs. 1 AGB-Sparkassen gesehen und die Kündigung aus anderen Gründen für unwirksam gehalten. Übergangenes Vorbringen oder übergangene Beweisangebote zeigt die Revisionserwiderung nicht auf.

 

42        dd) Die ordentliche Kündigung der Beklagten hat auch die übrigen Voraussetzungen gewahrt. Sie ist erst für die Zeit nach dem Ablauf des 15. Sparjahres und unter Beachtung der Auslauffrist von drei Monaten erklärt worden.

 

43        d) Ohne Erfolg macht die Revisionserwiderung geltend, die Kündigung sei nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) wegen widersprüchlichen Verhaltens der Beklagten unwirksam.

 

44        Eine Rechtsausübung kann zwar unzulässig sein, wenn sich objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt, weil das frühere Verhalten mit dem späteren sachlich unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick hierauf vorrangig schutzwürdig erscheinen (Senatsurteil vom 12. Juli 2016 - XI ZR 501/15, BGHZ 211, 105 Rn. 20 mwN). Solche Umstände hat die Revisionserwiderung aber nicht aufgezeigt. Der von ihr insofern allein angeführte Zeitablauf zwischen dem Ende des fünfzehnjährigen Kündigungsausschlusses im Jahr 2016 und der Erklärung der Kündigung im Jahr 2019 lässt die Interessen des Klägers nicht vorrangig schutzwürdig erscheinen. Die Beklagte war nicht gehalten, den Sparvertrag bei der ersten sich bietenden Gelegenheit zu kündigen.

 

45        Aufgrund dessen kann sich der Kläger - was er in erster Instanz noch geltend gemacht hat - auch nicht auf den Einwand der Verwirkung berufen. Neben dem - hier nicht erfüllten - Zeitmoment hat der Kläger auch keine besonderen, auf dem Verhalten der Beklagten beruhenden Umstände vorgetragen, die sein Vertrauen rechtfertigen, die Beklagte werde ihr Kündigungsrecht nicht mehr geltend machen (vgl. Senatsurteil vom 12. Juli 2016 - XI ZR 501/15, BGHZ 211, 105 Rn. 40 mwN).

 

III.

46        Das Berufungsurteil ist mithin auf die Revision aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig erweist (§ 561 ZPO). Da die Aufhebung des Urteils nur wegen einer Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und keine weiteren Feststellungen erforderlich sind, sondern die Sache nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat eine ersetzende Sachentscheidung getroffen (§ 563 Abs. 3 ZPO). Dies führt zur Zurückweisung der Berufung des Klägers.

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