EuGH: Pflicht zur Veröffentlichung eines Prospekts für ein öffentliches Angebot von Wertpapieren gilt nicht für Zwangsversteigerungen
EuGH, Urteil vom 17.9.2014 – C‑441/12, Almer Beheer BV, Daedalus Holding BV gegen Van den Dungen Vastgoed BV, Oosterhout II BVBA
Tenor
Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG in der durch die Richtlinie 2008/11/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2008 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass die Pflicht zur Veröffentlichung eines Prospekts vor jedwedem öffentlichen Angebot von Wertpapieren nicht für eine Zwangsversteigerung von Wertpapieren wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende gilt.
RL 2003/71/EG Art. 3 Abs. 1
Aus den Gründen
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 2 Buchst. h und Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG (ABl. L 345, S. 64) in der durch die Richtlinie 2008/11/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2008 (ABl. L 76, S. 37) (im Folgenden: Prospektrichtlinie) geänderten Fassung.
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Almer Beheer BV und der Daedalus Holding BV (im Folgenden: Almer Beheer u. a.) einerseits und der Van den Dungen Vastgoed BV und der Oosterhout II BVBA (im Folgenden: Van den Dungen u. a.) andererseits wegen des Antrags von Almer Beheer u. a., die Zwangsversteigerung von Wertpapieren, deren Inhaberin sie sind, der Pflicht der Veröffentlichung eines Prospekts zu unterwerfen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 Die Erwägungsgründe 10, 18 und 19 der Prospektrichtlinie lauten wie folgt:
„(10) Ziel dieser Richtlinie und der in ihr vorgesehenen Durchführungsmaßnahmen ist es, in Übereinstimmung mit den strengen Aufsichtsbestimmungen, die in den einschlägigen internationalen Foren festgelegt wurden, den Anlegerschutz und die Markteffizienz sicherzustellen.
…
(18) Vollständige Informationen über Wertpapiere und deren Emittenten kommen – zusammen mit den Wohlverhaltensregeln – dem Anlegerschutz zugute. Darüber hinaus stellen diese Informationen ein wirksames Mittel dar, um das Vertrauen in die Wertpapiere zu erhöhen und so zur reibungslosen Funktionsweise und zur Entwicklung der Wertpapiermärkte beizutragen. Die geeignete Form zur Bereitstellung dieser Informationen ist die Veröffentlichung eines Prospekts.
(19) Anlagen in Wertpapieren sind – wie alle anderen Anlageformen – mit Risiken behaftet. Deshalb sind in allen Mitgliedstaaten Schutzmaßnahmen zur Absicherung der Interessen der derzeitigen und potenziellen Anleger erforderlich, um sie in die Lage zu versetzen, eine fundierte Bewertung der Anlagerisiken vornehmen und somit Anlageentscheidungen in voller Kenntnis der Sachlage treffen zu können.“
4 Art. 1 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie bestimmt:
„(1) Ziel dieser Richtlinie ist die Harmonisierung der Bedingungen für die Erstellung, die Billigung und die Verbreitung des Prospekts, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren bzw. bei der Zulassung von Wertpapieren zum Handel an einem geregelten Markt, der in einem Mitgliedstaat gelegen ist oder dort funktioniert, zu veröffentlichen ist.
(2) Diese Richtlinie findet keine Anwendung auf
…
h) Wertpapiere eines Angebots mit einem Gesamtgegenwert von weniger als 2 500 000 EUR, wobei diese Obergrenze über einen Zeitraum von zwölf Monaten zu berechnen ist;
…“
5 In Art. 2 Abs. 1 Buchst. d der genannten Richtlinie heißt es:
„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
…
d) ‚öffentliches Angebot von Wertpapieren‘ eine Mitteilung an das Publikum in jedweder Form und auf jedwede Art und Weise, die ausreichende Informationen über die Angebotsbedingungen und die anzubietenden Wertpapiere enthält, um einen Anleger in die Lage zu versetzen, sich für den Kauf oder die Zeichnung dieser Wertpapiere zu entscheiden. Diese Definition gilt auch für die Platzierung von Wertpapieren durch Finanzintermediäre;“
6 Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten gestatten in ihrem Hoheitsgebiet kein öffentliches Angebot von Wertpapieren ohne vorherige Veröffentlichung eines Prospekts.“
7 Art. 5 Abs. 1 der Prospektrichtlinie sieht vor:
„Der Prospekt enthält unbeschadet der Bestimmungen des Artikels 8 Absatz 2 sämtliche Angaben, die entsprechend den Merkmalen des Emittenten und der öffentlich angebotenen bzw. zum Handel an dem geregelten Markt zugelassenen Wertpapiere erforderlich sind, damit die Anleger sich ein fundiertes Urteil über die Vermögenswerte und Verbindlichkeiten, die Finanzlage, die Gewinne und Verluste, die Zukunftsaussichten des Emittenten und jedes Garantiegebers sowie über die mit diesen Wertpapieren verbundenen Rechte bilden können. Diese Informationen sind in leicht zu analysierender und verständlicher Form darzulegen.“
8 Art. 13 Abs. 1 dieser Richtlinie lautet:
„Ein Prospekt darf vor der Billigung durch die zuständige Behörde des Herkunftsmitgliedstaats nicht veröffentlicht werden.“
9 Die Prospektrichtlinie ist durch die Richtlinie 2010/73/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 (ABl. L 327, S. 1), die am 31. Dezember 2010 in Kraft getreten ist, geändert worden. Unter Berücksichtigung des im Ausgangsverfahren relevanten Zeitraums ist festzustellen, dass die Prospektrichtlinie auf diesen Sachverhalt zeitlich weiterhin anwendbar ist.
Niederländisches Recht
10 Die Prospektrichtlinie wurde durch das Gesetz über die Finanzaufsicht (Wet of het financieel toezicht) vom 28. September 2006 (im Folgenden: Wft) in niederländisches Recht umgesetzt.
11 Art. 5:2 Wft bestimmt:
„Es ist verboten, in den Niederlanden Wertpapiere öffentlich anzubieten oder diese Wertpapiere zum Handel an einem geregelten Markt, der in den Niederlanden gelegen ist oder dort funktioniert, zuzulassen, es sei denn, für das Angebot oder die Zulassung gibt es einen allgemein erhältlichen Prospekt, der von der Finanzmarktaufsichtsbehörde oder der Aufsichtsbehörde eines anderen Mitgliedstaats gebilligt worden ist.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
12 Almer Beheer u. a. und Van den Dungen u. a. schlossen am 16. Juli 2003 eine Vereinbarung, wonach sie gegen Zahlung eines Kaufpreises die von ihnen an anderen Gesellschaften gehaltenen Aktien an die Global Hail Group BV (im Folgenden: Hail-Gruppe) zu übertragen hatten.
13 Zur Durchführung dieser Vereinbarung wurde die Gesellschaft Stichting Administratiekantoor Global Hail (im Folgenden: STAK) errichtet, in die alle Aktien der Hail-Gruppe eingebracht wurden.
14 Almer Beheer u. a. sind Inhaber der von der STAK ausgegebenen Zertifikate der Aktien (im Folgenden: Aktienzertifikate) der Hail-Gruppe.
15 Infolge von Meinungsverschiedenheiten zwischen den Parteien bei der Durchführung der genannten Vereinbarung verurteilte der Gerechtshof ʼs-Hertogenbosch (Berufungsgericht ʼs-Hertogenbosch) Almer Beheer u. a. zur Zahlung eines Betrags von 500 000 Euro an Van den Dungen u. a. Diese Zahlung stellte eine Anzahlung auf den Kaufpreis für die an die Hail-Gruppe überlassenen Aktien von vier Gesellschaften dar.
16 Zur Sicherung dieser Zahlung erwirkten Van den Dungen u. a. am 11. Dezember 2009 eine Pfändung und Beschlagnahme der von Almer Beheer u. a. gehaltenen Aktienzertifikate. In der Folge beantragten sie bei der Rechtbank Breda (Gericht Breda), den Verkauf und die Übertragung der beschlagnahmten Aktienzertifikate anzuordnen sowie die Frist, die Art und Weise und die Voraussetzungen, unter denen dieser Verkauf zu erfolgen habe, festzulegen.
17 Am 27. Dezember 2010 entschied dieses Gericht, dass der Verkauf und die Übertragung der Aktienzertifikate innerhalb einer Frist von sechs Monaten durch einen von Van den Dungen u. a. zu bestellenden Gerichtsvollzieher im Rahmen einer in zwei überregionalen Zeitungen angezeigten öffentlichen Versteigerung erfolgen solle. Die Aktienzertifikate seien an den Meistbietenden zu veräußern, und bei der Zwangsversteigerung sei es Sache des Gerichtsvollziehers, dafür zu sorgen, dass nur so viele Aktienzertifikate veräußert würden, wie erforderlich seien, um den Betrag von 500 000 Euro zu erzielen, zuzüglich der Verfahrens-, Beschlagnahme- und Vollstreckungskosten.
18 Die Rechtbank Breda entschied auch, dass die Pflicht zur Veröffentlichung eines Prospekts nach Art. 5:2 Wft für den Verkauf solcher Aktienzertifikate nicht gelte, da es nicht Ziel der Wft sei, Personen zu schützen, die bei einer Zwangsversteigerung in der Absicht, einen Gewinn zu erzielen, bewusst Risiken eingingen, sondern dass dieses Gesetz nur Anleger und Sparer vor betrügerischen Angeboten sowie unzureichenden Informationen schützen und sie vor der Inkompetenz der Marktteilnehmer bewahren solle.
19 Auf Rechtsmittel von Almer Beheer u. a. gegen diese Entscheidung bestätigte der Gerechtshof ’s‑Hertogenbosch sie mit Urteil vom 5. April 2011.
20 Gegen dieses Urteil richtet sich die von Almer Beheer u. a. beim Hoge Raad der Nederlanden (Oberster Gerichtshof) erhobene Kassationsbeschwerde.
21 Das vorlegende Gericht weist zu allererst darauf hin, dass die zentrale Frage darin bestehe, festzustellen, ob die Pflicht zur Veröffentlichung eines Prospekts auch für die Zwangsversteigerung der Zertifikate von Aktien gelte, um die es in der Rechtssache gehe, die bei ihm anhängig sei.
22 Hierzu führt das vorlegende Gericht aus, dass bei Erlass der Prospektrichtlinie die besondere Situation der Zwangsversteigerung von Wertpapieren nicht berücksichtigt worden sei. Eine solche Versteigerung sei jedoch dadurch gekennzeichnet, dass keine normale Marktsituation vorliege. Die versteigerten Güter würden nicht von dem Eigentümer oder Rechtsinhaber veräußert, sondern von einem Vollstreckungsgläubiger, und zwar häufig über einen Gerichtsvollzieher. In einer solchen Situation hafte der Verkäufer im Allgemeinen nicht für Risiken und Mängel der verkauften Sache, die ihm nicht bekannt seien, und der Käufer akzeptiere, dass die Waren mit solchen Mängeln behaftet sein könnten, was in der Regel zu erheblich geringeren Erlösen als denen aus einem normalen Verkauf führe. Ferner könne die Annahme einer Prospektpflicht in dem Fall einer Zwangsversteigerung von Wertpapieren zu erheblichen praktischen Komplikationen führen, so etwa in Bezug auf die Vorbereitung und die Kosten des Prospekts.
23 Unter diesen Umständen hat der Hoge Raad der Nederlanden beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist Art. 3 Abs. 1 der Prospektrichtlinie dahin auszulegen, dass die darin vorgesehene Prospektpflicht grundsätzlich (d. h. abgesehen von den in der Richtlinie vorgesehenen Befreiungen und Ausnahmen für bestimmte Fälle) auch für Zwangsversteigerungen von Wertpapieren gilt?
2. a) Sofern Frage 1 bejaht wird: Ist der Begriff „Gesamtgegenwert des Angebots“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. h der Prospektrichtlinie in diesem Fall dahin auszulegen, dass bei Zwangsversteigerungen von Wertpapieren von dem unter Berücksichtigung des besonderen Charakters einer Zwangsversteigerung vernünftigerweise zu erwartenden Erlös auszugehen ist, auch wenn der vernünftigerweise zu erwartende Erlös erheblich unter dem Wert im Wirtschaftsverkehr liegt?
b) Sofern Frage 1 bejaht, aber Frage 2 a) verneint wird: Wie ist in diesem Fall, insbesondere bei Zwangsversteigerungen von Wertpapieren, der „Gesamtgegenwert des Angebots“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. h der Prospektrichtlinie auszulegen?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
24 Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 3 Abs. 1 der Prospektrichtlinie dahin auszulegen ist, dass die Pflicht zur Veröffentlichung eines Prospekts vor jedwedem öffentlichen Angebot von Wertpapieren auch für eine Zwangsversteigerung von Wertpapieren gilt.
25 Nach Art. 3 Abs. 1 der Prospektrichtlinie gestatten die Mitgliedstaaten in ihrem Hoheitsgebiet kein öffentliches Angebot von Wertpapieren ohne vorherige Veröffentlichung eines Prospekts.
26 Das öffentliche Angebot von Wertpapieren besteht nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. d dieser Richtlinie in einer Mitteilung an das Publikum in jedweder Form und auf jedwede Art und Weise, die ausreichende Informationen über die Angebotsbedingungen und die anzubietenden Wertpapiere enthält, um einen Anleger in die Lage zu versetzen, sich für den Kauf dieser Wertpapiere zu entscheiden.
27 Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der Vorlageentscheidung, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Zwangsversteigerung zu den von der Rechtbank Breda festgelegten Bedingungen ein öffentlicher Verkauf über einen Gerichtsvollzieher nach der Veröffentlichung einer Anzeige in zwei überregionalen Zeitungen ist, bei dem die Teilnehmer ihr Angebot schriftlich abgeben und die Wertpapiere an den Meistbietenden verkauft werden.
28 Angesichts der weiten Definition des Begriffs „öffentliches Angebot von Wertpapieren“ in Art. 2 Abs. 1 Buchst. d der Prospektrichtlinie kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass eine Zwangsversteigerung wie die im Ausgangsverfahren fragliche unter diesen Begriff fallen kann.
29 Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass in der Prospektrichtlinie an keiner Stelle auf Zwangsversteigerungen von Wertpapieren Bezug genommen wird, insbesondere nicht in den Bestimmungen, die den Ausschluss bestimmter Fallgestaltungen von ihrem Anwendungsbereich vorsehen, wie Art. 1 Abs. 2 dieser Richtlinie, oder auch Ausnahmen von der Pflicht zur Veröffentlichung eines Prospekts, wie Art. 3 Abs. 2 und Art. 4 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie.
30 Daher ist zu prüfen, ob die von der Prospektrichtlinie verfolgten Ziele es erfordern, dass Zwangsversteigerungen von Wertpapieren ebenfalls den in dieser Richtlinie enthaltenen Regeln unterworfen werden.
31 Aus den Erwägungsgründen 10, 18 und 19 der Richtlinie geht hervor, dass es ihr „Ziel … ist …, den Anlegerschutz und die Markteffizienz sicherzustellen“, dass vollständige Informationen über Wertpapiere „ein wirksames Mittel dar[stellen], um das Vertrauen in die Wertpapiere zu erhöhen und so zur reibungslosen Funktionsweise und zur Entwicklung der Wertpapiermärkte beizutragen“, und dass „Schutzmaßnahmen zur Absicherung der Interessen der derzeitigen und potenziellen Anleger [in allen Mitgliedstaaten] erforderlich [sind], um [die Anleger] in die Lage zu versetzen, eine fundierte Bewertung der Anlagerisiken vornehmen und somit Anlageentscheidungen in voller Kenntnis der Sachlage treffen zu können“.
32 Im Übrigen ist nach ihrem Art. 1 Abs. 1 Ziel der genannten Richtlinie die Harmonisierung der Bedingungen für die Erstellung, die Billigung und die Verbreitung des Prospekts, der bei einem öffentlichen Angebot von Wertpapieren bzw. bei der Zulassung von Wertpapieren zum Handel an einem geregelten Markt, der in einem Mitgliedstaat gelegen ist oder dort funktioniert, zu veröffentlichen ist.
33 Daraus folgt, dass der Schutz der Anleger und die reibungslose Funktionsweise sowie die Entwicklung der Märkte den Wesenskern der von der Prospektrichtlinie verfolgten Ziele darstellen. Denn unter Berücksichtigung dieser Ziele soll die Veröffentlichung eines Prospekts zum einen die Anleger in die Lage versetzen, die mit dem öffentlichen Angebot von Wertpapieren und der Zulassung von Wertpapieren zum Handel verbundenen Risiken zu bewerten, so dass sie eine Entscheidung in Kenntnis der Sachlage treffen können, und zum anderen erreichen, dass das reibungslose Funktionieren der betroffenen Märkte nicht durch Unregelmäßigkeiten behindert wird.
34 Es ist allerdings festzustellen, dass die geschäftlichen Handlungen, die der Entscheidung, eine Veräußerung von Wertpapieren im Rahmen eines Zwangsvollstreckungsverfahrens vorzunehmen, zugrunde liegen, sich ihrer Art nach eindeutig von denen unterscheiden, die die Prospektrichtlinie erfasst.
35 Wie die Generalanwältin in Nr. 61 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, sind Zwangsversteigerungen von Wertpapieren nämlich sehr weit von jeglicher normalen Situation eines Handels mit solchen Papieren entfernt, sei es auf einem geregelten Markt oder unter anderen Bedingungen. Diese Wertpapiere werden im Rahmen von Zwangsversteigerungen nicht vom Emittenten oder Inhaber veräußert, sondern sie werden, nachdem sie beschlagnahmt worden sind, auf Betreiben eines Dritten oder auf Anordnung einer Justizbehörde eines Mitgliedstaats allein zum Zweck der Erfüllung einer Forderung verkauft.
36 Zwangsversteigerungen dienen also nicht dazu, an einer wirtschaftlichen Tätigkeit auf dem Wertpapiermarkt teilzunehmen, sondern beschränken sich darauf, die Rechte eines Vollstreckungsgläubigers zu befriedigen.
37 Im Übrigen spiegeln sich die besonderen Merkmale einer Zwangsversteigerung im Vergleich zu denen einer klassischen Veräußerung von Wertpapieren, deren Zweck in der Sammlung von Kapital besteht, um künftige Investitionen des diese Wertpapiere ausgebenden Unternehmens zu ermöglichen, auch auf der Ebene des Anlegerschutzes wider.
38 Die Veröffentlichung eines Prospekts vor dem öffentlichen Angebot von Wertpapieren spielt nämlich eine entscheidende Rolle beim Anlegerschutz, da dieses Dokument den Anlegern genaue und vollständige Informationen über den Emittenten gibt und ihnen so grundsätzlich die Bewertung der Risiken des Geschäfts erlaubt.
39 Dagegen sind im Fall einer Zwangsversteigerung die potenziellen Käufer darüber unterrichtet, dass es sich um einen Verkauf handelt, dessen einziges Ziel die Begleichung einer Schuld des Inhabers der fraglichen Wertpapiere ist und der im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens erfolgt. Das bedeutet, dass die Person, die die Handlungen zum Verkauf dieser Wertpapiere vornimmt, nicht deren Inhaber ist.
40 Darüber hinaus könnte die Pflicht zur Veröffentlichung eines Prospekts vor einer Zwangsversteigerung von Wertpapieren die Ziele des Zwangsvollstreckungsverfahrens beeinträchtigen, zu denen eine rasche und wirksame Befriedigung des Gläubigers gehört.
41 Die Erfüllung einer solchen Verpflichtung würde nämlich nicht nur die Zwangsversteigerung und mithin die Befriedigung des Gläubigers verzögern, sondern sie würde auch Kosten der Prospekterstellung generieren, die vom Erlös dieses Verkaufs abzuziehen wären, was die Aussichten des Gläubigers auf Rückzahlung einschränken könnte.
42 Schließlich könnte die Pflicht zur Veröffentlichung eines Prospekts zu erheblichen praktischen Schwierigkeiten führen.
43 Da derjenige, der im Rahmen einer Zwangsversteigerung Wertpapiere verkauft, nicht deren Inhaber ist, würde sich nämlich im Fall einer obligatorisch vorgeschriebenen Prospektveröffentlichung zum einen die Frage stellen, wem die Vorbereitung des Prospekts obläge, und zum anderen die Frage, wer die nach Art. 6 Abs. 1 der Prospektrichtlinie für die im Prospekt erteilten Informationen verantwortliche Person ist.
44 Jedenfalls ist angesichts der Art der Informationen, die in einem Prospekt enthalten sein müssen und es den Anlegern nach Art. 5 Abs. 1 der Prospektrichtlinie ermöglichen sollen, in Kenntnis der Sachlage insbesondere die Vermögenswerte und Verbindlichkeiten, die Finanzlage und die Gewinne und Verluste der emittierenden Gesellschaft zu bewerten, für die Vorbereitung eines solchen Dokuments in jedem Fall die Mitarbeit der leitenden Organe dieser Gesellschaft erforderlich. Aber es lässt sich nicht ausschließen, dass im Kontext einer Zwangsversteigerung von Wertpapieren, die diese Gesellschaft ausgegeben hat, ein etwaiger Mangel ihrer konstruktiven Mitwirkung Schwierigkeiten bei der Verwirklichung dieses Verkaufs aufwerfen kann.
45 Daraus folgt, dass eine Veräußerung von Wertpapieren im Wege eines Zwangsvollstreckungsverfahrens nicht in den Rahmen der mit der Prospektrichtlinie verfolgten Zielen fällt und damit nicht in deren Geltungsbereich.
46 Diese Schlussfolgerung wird nicht durch das Vorbringen der Europäischen Kommission in Frage gestellt, wonach der systematische Ausschluss von Wertpapierzwangsversteigerungen aus dem Geltungsbereich der Prospektrichtlinie zu einer Diskriminierung im Hinblick auf freiwillige Verkäufe solcher Papiere führe, da die jeweiligen Anleger nicht den gleichen Schutz genössen.
47 Es ist nämlich daran zu erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Gleichbehandlungsgrundsatz verlangt, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden, es sei denn, dass eine solche Behandlung objektiv gerechtfertigt ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Glatzel, C‑356/12, EU:C:2014:350, Rn. 43).
48 Wie sich jedoch aus den Rn. 33 bis 36 des vorliegenden Urteils ergibt, hat das durch Veräußerungen von Wertpapieren im Rahmen eines Zwangsvollstreckungsverfahrens verfolgte Ziel nichts mit den Zielen zu tun, die mit der Prospektrichtlinie verfolgt werden.
49 Da die Situation der Anleger, die Wertpapiere im Kontext einer Zwangsversteigerung erwerben, nicht mit der von Anlegern vergleichbar ist, die solche Papiere im normalen Rahmen eines öffentlichen Angebots im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. d der Prospektrichtlinie erwerben, kann folglich keine diskriminierende Behandlung der einen gegenüber den anderen vorliegen.
50 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 3 Abs. 1 der Prospektrichtlinie dahin auszulegen ist, dass die Pflicht zur Veröffentlichung eines Prospekts vor jedwedem öffentlichen Angebot von Wertpapieren nicht für eine Zwangsversteigerung von Wertpapieren wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende gilt.
Zur zweiten Frage
51 Die zweite Vorlagefrage hat das vorlegende Gericht nur für den Fall einer Bejahung der ersten Frage gestellt.
52 In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage braucht die zweite Frage nicht beantwortet zu werden.
Kosten
53 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.