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Wirtschaftsrecht
24.07.2014
Wirtschaftsrecht
BGH: Pflicht des Insolvenzverwalters zur zinsgünstigen Anlage von zur Insolvenzmasse gehörenden Geldern

BGH, Urteil vom 26.6.2014 – IX ZR 162/13

Amtlicher Leitsatz

Der Insolvenzverwalter kann aus der ihn gegenüber den Insolvenzgläubigern und dem Schuldner treffenden Vermögenserhaltungspflicht gehalten sein, bis zur endgültigen Verteilung der Masse nicht benötigte Gelder nicht nur sicher, sondern auch zinsgünstig anzulegen.

§ 60 Abs 1 S 1 InsO

Sachverhalt

Der Kläger war Inhaber eines Vermessungsbüros. Er beantragte, das Insolvenzverfahren über sein Vermögen zu eröffnen. Hierauf wurde der Beklagte am 29. Januar 2008 zum Sachverständigen und am 6. Februar 2008 zum vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt bestellt. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 1. März 2008 wurde er zum Insolvenzverwalter berufen. Während des Verfahrens legte der Beklagte das zur Insolvenzmasse gehörende Geld - Beträge zwischen 18.745,04 € und 99.925,30 € - auf ein Giro-Anderkonto bei einem Kreditinstitut an und erzielte dort einen Zinssatz von 0,25 v.H. jährlich. Am 26. März 2011 wurde das Insolvenzverfahren mit Zustimmung der Gläubiger eingestellt. Zu diesem Zeitpunkt wies die Insolvenzmasse einen Betrag von 96.731,92 € auf. Hiervon zahlte der Beklagte an den Kläger 34.088,88 € aus. Nachdem mit Beschluss des Landgerichts vom 18. Oktober 2011 die Verwaltervergütung auf 40.823,90 € festgesetzt worden war, überwies der Beklagte an den Kläger am 21. Dezember 2011 restliche 21.951,88 €.

Der Kläger meint, der Beklagte sei ihm zum Schadensersatz verpflichtet, weil dieser die in der Masse befindlichen Gelder nicht zinsgünstiger angelegt habe. In den Tatsacheninstanzen hat er ferner geltend gemacht, der Beklagte schulde ihm hinsichtlich der restlichen 21.951,88 € Verzugszinsen beginnend mit dem auf die Einstellung des Insolvenzverfahrens folgenden Tag.

Das Landgericht hat dem Kläger Verzugszinsen für die letzten zwei Monate vor Auszahlung des Restbetrages von 21.951,88 € zuerkannt und die Klage wegen des entgangenen Zinsgewinns abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht einen (weitergehenden) Zahlungsverzug des Beklagten abgelehnt, aber einen Schadensersatzanspruch wegen einer zinsungünstigen Anlage der in der Masse befindlichen Gelder angenommen, und zwar sowohl für die Dauer des Insolvenzverfahrens als auch für die sich anschließende Zeit bis zum Eintritt des vom Landgericht angenommenen Zahlungsverzugs. Der Höhe nach hat es den Schadensersatzanspruch beschränkt, weil von einem Zinsertrag Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag abzuführen gewesen seien.

Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Die Anschlussrevision wendet sich gegen den vom Berufungsgericht vorgenommenen Abzug von Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag.

Aus den Gründen

5

Die Revision und die Anschlussrevision haben Erfolg. Sie führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

 

 

I.

 

6

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Beklagte habe schuldhaft seine Pflicht verletzt, das Schuldnervermögen zinsgünstiger als auf einem mit 0,25 v.H. verzinslichen Girokonto anzulegen. Der Insolvenzverwalter sei sowohl gegenüber den Gläubigern als auch dem Schuldner verpflichtet, die Haftungsmasse zu erhalten und einer Verminderung entgegenzuwirken. Stehe fest, dass ein nennenswerter Betrag für die weitere Verwaltung bis zur endgültigen Verteilung der Masse nicht benötigt werde, sei der Verwalter gehalten, das Vermögen zwar sicher, aber möglichst zinsgünstig anzulegen. Zwischen den Parteien sei unstreitig, dass der über die Summe von 15.000 € hinausgehende Teil des Schuldnervermögens von Anfang an für die laufende Verwaltung nicht benötigt worden sei. Zu Beginn des Verfahrens habe daher ein Betrag von über 38.000 € für eine gewinnbringende Geldanlage zur Verfügung gestanden. Durch Belassen des frei verfügbaren Vermögens auf einem lediglich mit 0,25 v.H. verzinslichen Girokonto habe der Beklagte pflichtwidrig gehandelt, zumal zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung der durchschnittliche Zinssatz für Tagesgelder mehr als das Zehnfache - nämlich 3,82 v.H. - betragen habe. Bei ordnungsgemäßer Geldanlage hätte während des laufenden Insolvenzverfahrens ein Zinsgewinn von 3.063,20 € erzielt werden können. Hiervon müsse der vom Beklagten tatsächlich gezogene Zinsertrag von 566,73 € sowie 629,24 € Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag in Abzug gebracht werden. Damit stehe dem Kläger ein entgangener Zinsgewinn von 1.867,23 € zu.

 

7

Hinsichtlich der im Dezember 2011 an den Kläger ausgekehrten 21.951,88 € fehle es an einem Zahlungsverzug des Beklagten, weil zwischen den Beteiligten des Insolvenzverfahrens Einvernehmen bestanden habe, dass der Betrag bis zur endgültigen Klärung der Höhe der Verwaltervergütung zurückgehalten werden könne. Dem Kläger stehe allerdings entgangener Zinsgewinn auch für die Zeit nach Einstellung des Insolvenzverfahrens bis zu dem vom Landgericht angenommenen Verzugsbeginn in Höhe von weiteren 171,51 € zu.

 

 

II.

 

8

Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand. Die bislang getroffenen Feststellungen rechtfertigen nicht die Annahme des Berufungsgerichts, der Beklagte hätte die in Rede stehenden Gelder zinsgünstiger anlegen müssen.

 

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1. Für den Zeitraum des laufenden Insolvenzverfahrens hat es allerdings zutreffend einen Anspruch aus § 60 Abs. 1 InsO in Erwägung gezogen.

 

10

a) Der Insolvenzverwalter ist einem Beteiligten nach § 60 Abs. 1 InsO zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er diesem gegenüber wahrzunehmende insolvenzspezifische Pflichten schuldhaft verletzt (vgl. BGH, Urteil vom 10. Dezember 2009 - IX ZR 220/08, WM 2010, 364 Rn. 9; vom 16. September 2010 - IX ZR 121/09, ZIP 2010, 2164 Rn. 18; vom 5. Mai 2011 - IX ZR 144/10, BGHZ 189, 299 Rn. 29). Auch der Schuldner ist Beteiligter im Sinne dieser Bestimmung (BGH, Urteil vom 22. Januar 1985 - VI ZR 131/83, ZIP 1985, 423, 425 zur KO; vom 10. Juli 2008 - IX ZR 118/07, ZIP 2008, 1685 Rn. 11; MünchKomm-InsO/Brandes/Schoppmeyer, 3. Aufl., § 60 Rn. 65; Uhlenbruck/Sinz, InsO, 13. Aufl., § 60 Rn. 47).

 

11

Insolvenzspezifisch ist der Verwalter unter anderem dazu verpflichtet, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu bewahren und ordnungsgemäß zu verwalten (vgl. BGH, Urteil vom 22. Januar 1985, aaO; MünchKomm-InsO/Brandes/Schoppmeyer, aaO Rn. 15, 65). Vom Schutzbereich dieser Pflicht sind nicht nur die Gläubiger erfasst, sie ist auch gegenüber dem Schuldner zu beachten. Dieser hat ein rechtlich geschütztes Interesse daran, den Umfang seiner Nachhaftung gemäß § 201 Abs. 1 InsO gering zu halten oder einen Überschuss zu erzielen (vgl. HK-InsO/Lohmann, 7. Aufl., § 60 Rn. 17; Uhlenbruck/Sinz, aaO; Schmidt/Thole, InsO, 18. Aufl., § 60 Rn. 34).

 

12

b) Zur Beantwortung der Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen der Insolvenzverwalter aufgrund seiner Masseverwaltungspflicht zur zinsgünstigen Anlage von zur Insolvenzmasse gehörenden Geldern gehalten ist, hatte der Senat bisher keine Gelegenheit. Die Pflicht besteht nach Maßgabe der nachfolgenden Ausführungen.

 

13

aa) Zur Anlage fähige Gelder können entweder ursprünglich in der Masse vorhanden sein oder durch den Erwerb von Neuvermögen zu dieser gelangen. Durch Verwertungshandlungen im Sinne des § 159 InsO kann sonstiges Vermögen des Schuldners in Geld umgewandelt werden. Ausdrücklich geregelt ist eine (originäre) Pflicht des Insolvenzverwalters zur zinsgünstigen Anlage solcher Gelder in der Insolvenzordnung nicht. Rechtliche Vorgaben finden sich weder in den Vorschriften über die Sicherung der Insolvenzmasse (§§ 148 ff InsO) noch in denjenigen über deren Verwertung (§§ 156 ff InsO). § 149 Abs. 1 Satz 1 InsO ordnet lediglich an, der Gläubigerausschuss könne für den Insolvenzverwalter bindend (vgl. Schmidt/Jungmann, aaO § 149 Rn. 4; HK-InsO/Depré, aaO § 149 Rn. 1; Lind in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, 2. Aufl., § 149 Rn. 1) bestimmen, bei welcher Stelle und zu welchen Bedingungen Geld angelegt werden soll. Ist kein Gläubigerausschuss bestellt oder hat dieser noch keinen Beschluss gefasst, so kann das Insolvenzgericht Entsprechendes anordnen (§ 149 Abs. 1 Satz 2 InsO). Die Gläubigerversammlung kann abweichende Regelungen beschließen (§ 149 Abs. 2 InsO).

 

14

Mit der Regelung des § 149 InsO hat sich der Gesetzgeber nicht gegen eine eigene Pflicht des Insolvenzverwalters zur zinsgünstigen Anlage ausgesprochen. Dies zeigt die Gesetzgebungsgeschichte. § 168 Abs. 1 Satz 1 des Regierungsentwurfs sah vor, dass der Insolvenzverwalter Geld, Wertpapiere und Kostbarkeiten zu hinterlegen oder anzulegen habe, wenn der Gläubigerausschuss dies beschließe. Nach Absatz 1 Satz 2 der Vorschrift sollte der Gläubigerausschuss zusätzlich bestimmen können, bei welcher Stelle und zu welchen Bedingungen hinterlegt oder angelegt werde (BT-Drucks. 12/2443 S. 36). Der Entwurf wollte die verschiedenen Vorschriften der Konkursordnung über die Hinterlegung und die Anlage von Geld, Wertpapieren und Kostbarkeiten (§ 129 Abs. 2, § 132 Abs. 1, § 137 KO) ohne wesentliche inhaltliche Änderungen zu einer Vorschrift zusammenfassen (BT-Drucks. 12/2443 S. 171). Die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses lautete, Absatz 1 Satz 1 zu streichen und es bei der - redaktionell angepassten - Kann-Bestimmung von Absatz 1 Satz 2 zu belassen (BT-Drucks. 12/7302 S. 63). Durch die Änderung sollte klargestellt werden, dass die Anlage und Verwahrung von Geld und Wertsachen grundsätzlich dem Insolvenzverwalter oblägen und er dafür die Verantwortung trage. Dem Gläubigerausschuss sollte lediglich die Befugnis zukommen, auf den Handlungs- und Verantwortungsbereich des Verwalters Einfluss zu nehmen (BT-Drucks. 12/7302 S. 174). § 149 Abs. 1 InsO entspricht der Fassung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses.

 

15

Ohne eine Beschlussfassung nach § 149 InsO ist der Insolvenzverwalter demnach selbst für die Anlage von zur Insolvenzmasse gehörenden Geldern verantwortlich; die Anlage hat zinsgünstig zu erfolgen (vgl. Desch/Nachtmann, EWiR 2013, 209, 210; Uhlenbruck, aaO § 149 Rn. 3; Lind in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, aaO Rn. 3; Beck/Depré/Zuleger/Wegmann, Praxis der Insolvenz, 2. Aufl., § 26 Rn. 52; ferner KG, NZI 2002, 497 f zu § 8 Abs. 2 GesO). Dies ergibt sich aus der in § 148 Abs. 1 InsO geregelten Pflicht, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten, und gilt gleichermaßen für ursprünglich vorhandene, neuerworbene und durch Verwertungshandlungen gemäß § 159 InsO zur Masse gelangende Gelder.

 

16

bb) Die Pflicht zur zinsgünstigen Anlage hat sich am gesetzlichen Leitbild des ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters auszurichten. Dieses Leitbild ist angelehnt an die handels- und gesellschaftsrechtlichen Sorgfaltsanforderungen (§ 347 Abs. 1 HGB, § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG, § 34 Abs. 1 Satz 1 GenG, § 43 Abs. 1 GmbHG). Diese Anforderungen können allerdings nicht unverändert auf den Insolvenzverwalter übertragen werden. Vielmehr sind die Besonderheiten zu beachten, die sich aus den Aufgaben des Insolvenzverwalters und aus den Umständen ergeben, unter denen er seine Tätigkeit ausübt. In aller Regel wird der Insolvenzverwalter unter erheblich ungünstigeren Bedingungen tätig als die Normadressaten der genannten handels- und gesellschaftsrechtlichen Vorschriften (vgl. BT-Drucks 12/2443 S. 129).

 

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(1) Danach ist der Verwalter nicht schon mit der Amtsübernahme zur zinsgünstigen Anlage vorhandener Gelder verpflichtet. Ihm ist eine Einarbeitungszeit zuzugestehen, deren Dauer sich nach der Art und dem Umfang des jeweiligen Insolvenzverfahrens richtet, regelmäßig aber nicht länger als sechs Wochen beträgt. Nach dieser Zeit wird der Insolvenzverwalter einen Überblick über die zur Masse gehörenden Gelder gewonnen haben und beurteilen können, ob und in welchem Umfang sie für eine zinsgünstige Anlage zur Verfügung stehen.

 

18

Im Regelfall beginnt die Einarbeitungszeit schon mit der Bestellung zum vorläufigen Insolvenzverwalter. Unerheblich ist, welche Entscheidungsbefugnisse diesem zukommen. Kernaufgabe eines jeden, auch des mitbestimmenden oder mit keiner Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis ausgestatteten vorläufigen Insolvenzverwalters ist die Überwachung des Schuldners. Aus dem Zweck der Überwachungspflicht folgt ohne weiteres, dass jedem vorläufigen Insolvenzverwalter ungeachtet einer spezifischen gerichtlichen Pflichtenzuweisung bereits kraft seiner Funktion als originäre Pflicht die Sicherung und Erhaltung des Schuldnervermögens obliegt (BGH, Urteil vom 5. Mai 2011 - IX ZR 144/10, BGHZ 189, 299 Rn. 49 mwN). Die Erfüllung dieser Pflicht setzt zwingend voraus, dass sich der vorläufige Verwalter einen Überblick über das Vermögen des Schuldners verschafft. Dabei werden zur Masse gehörende Gelder und deren Verfügbarkeit für eine zinsgünstige Anlage ebenso offenbar wie im Falle der endgültigen Verwaltung.

 

19

In Betracht zu ziehen ist, dass dem (späteren) Insolvenzverwalter die zur zinsgünstigen Anlage zur Verfügung stehenden Gelder bereits früher zur Kenntnis gelangen und sich eine Anlagepflicht deshalb schon vor Ablauf von sechs Wochen, gerechnet ab der Bestellung zum (vorläufigen) Insolvenzverwalter ergibt. Dies wird - abgesehen von Sachverhalten leicht feststellbarer überschüssiger Mittel - etwa dann anzunehmen sein, wenn der Insolvenzverwalter bereits als Sachverständiger im Insolvenzeröffnungsverfahren tätig war. Da dem Sachverständigen nicht die Sicherung und Erhaltung des Schuldnervermögens obliegt und ihm auch nicht die in § 22 Abs. 3 InsO geregelten Befugnisse zukommen, bedarf es dann aber näheren Vortrags des insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Anspruchstellers, wann und wodurch die Kenntnis erlangt worden sein soll. Andererseits kann der Insolvenzverwalter den durch Bestellung zum (vorläufigen) Insolvenzverwalter und Zeitablauf vermittelten Anschein durch die Darlegung und erforderlichenfalls den Beweis außergewöhnlicher Umstände entkräften.

 

20

(2) Zur Masse gehörende Gelder stehen für eine zinsgünstige Anlage zur Verfügung, wenn sie voraussichtlich über einen längeren Zeitraum für das laufende Insolvenzverfahren nicht benötigt werden. Es muss sich gemessen an der Größe des Insolvenzverfahrens um erhebliche Mittel handeln. Bei der Beurteilung, ob Gelder für das laufende Insolvenzverfahren benötigt werden, kommt dem Verwalter ein mit der Vielschichtigkeit des Verfahrens zunehmender Spielraum zu.

 

21

Für die nähere Bestimmung des Zeitraums ist die Wechselbeziehung zwischen der Menge des vorhandenen Geldes und der Anlagedauer in den Blick zu nehmen. Der gleiche Zinsertrag kann mit einer größeren Geldmenge in kürzerer Zeit erwirtschaftet werden. Maßstab ist, ob eine - auch kurzfristige - Anlage aus kaufmännischer Sicht angezeigt erscheint. Dies kann bei einem ganz erheblichen Geldbetrag schon für einen kurzen Anlagezeitraum von Tagen oder Wochen der Fall sein. Regelmäßig werden die Gelder jedoch für einige Monate zur Verfügung stehen müssen. Auch dann besteht allerdings keine Anlagepflicht, wenn der im voraussehbaren Anlagezeitraum zu erzielende Ertrag bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise den mit der Anlage verbundenen Aufwand nicht zu rechtfertigen vermag.

 

22

(3) Für die vorzunehmende Wirtschaftlichkeitsbetrachtung ist im Regelfall auf die Zinserträge abzustellen, die bei einem im Inland zum Geschäftsbetrieb befugten Kreditinstitut auf einem sogenannten Tagesgeldkonto zu erzielen sind. Es muss sich mithin um ein Konto mit täglich fälligen Geldern handeln, das mit keiner girovertraglichen Abrede verknüpft ist, und deshalb nicht dem Zahlungsverkehr, sondern Anlagezwecken dient (vgl. Schürmann in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl., § 70 Rn. 2). Das Kontoguthaben muss durch ein Einlagensicherungssystem gedeckt und mindestens telefonisch verfügbar sein. Grundsätzlich kann dem Insolvenzverwalter nicht angesonnen werden, darüber hinaus - etwa durch Nutzung des Internets - besonders günstige Angebote zu ermitteln und wahrzunehmen. Regelmäßig darf er bestehende eigene Geschäftsbeziehungen zu entsprechenden Kreditinstituten nutzen oder solche des Schuldners. Nur wenn dort im Vergleich zu anderen, die vorstehenden Anforderungen erfüllenden Kreditinstituten ungewöhnlich schlechte Bedingungen angeboten werden, ist der Insolvenzverwalter gehalten, sich an ein anderes Unternehmen zu wenden. Der hierbei zu erzielende Mehrertrag muss jedoch den mit der Begründung einer neuen Geschäftsbeziehung verbundenen Mehraufwand aus kaufmännischer Sicht vertretbar erscheinen lassen.

 

23

(4) Eine einmal begründete Anlagepflicht kann auch wieder entfallen. Dies kommt in Betracht, wenn ihre Voraussetzungen nicht mehr vorliegen und voraussichtlich während der nächsten Monate auch nicht mehr eintreten. Maßgeblich ist mithin auch für den Fortbestand der Anlagepflicht, ob der mit der gesonderten Anlage verbundene Aufwand unter Berücksichtigung des zu erzielenden Mehrertrags wirtschaftlich sinnvoll ist.

 

24

c) Da schon die Frage der Pflichtwidrigkeit nach dem Leitbild des ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters zu beantworten und dessen Sorgfalt zugleich Maßstab für das nach § 60 Abs. 1 InsO erforderliche Verschulden ist (vgl. Schmidt/Thole, InsO, 18. Aufl., § 60 Rn. 36), folgt aus einer objektiven Pflichtverletzung der Fahrlässigkeitsvorwurf. Weder in der Rechtsprechung noch im Schrifttum wird die Auffassung vertreten, der Insolvenzverwalter müsse ihm zumutbare Anstrengungen nicht unternehmen, um für die Masse einen Zinsgewinn zu erwirtschaften. Entgegen der Ansicht der Revision ist deshalb die Frage der Pflicht zur zinsgünstigen Anlage nicht derart zweifelhaft, dass ein Verschulden ausscheiden könnte (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juni 1994 - IX ZR 191/93, NJW 1994, 2286, 2287; HK-InsO/Lohmann, 7. Aufl., § 60 Rn. 31; MünchKomm-InsO/Brandes/Schoppmeyer, 3. Aufl., § 60 Rn. 92; Uhlenbruck/Sinz, InsO, 13. Aufl., § 60 Rn. 96).

 

25

d) Nach diesen Grundsätzen tragen die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen die Verurteilung des Beklagten mit Blick auf das laufende Insolvenzverfahren nicht.

 

26

aa) Die Vorinstanz hat die Schadensersatzpflicht mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens einsetzen lassen. Zu diesem Zeitpunkt waren seit der Bestellung des Beklagten zum vorläufigen Insolvenzverwalter etwas mehr als drei Wochen vergangen. Tatsachen, die einen derart frühen Beginn der Schadensersatzpflicht rechtfertigen könnten, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt.

 

27

bb) Hinsichtlich der die Pflicht zur zinsgünstigen Anlage begründenden freien Mittel hat das Berufungsgericht mit Recht erkannt, dass es sich um einen erheblichen Geldbetrag handeln und dem zu erwartenden Zinsertrag eine maßgebliche Bedeutung zukommen muss. Für den Zinsertrag hat es allerdings auf einen Durchschnittszinssatz abgestellt, dessen Berechnung es nicht hinreichend dargelegt hat und der einer revisionsrechtlichen Überprüfung deshalb nicht zugänglich ist. Es kann insbesondere nicht geprüft werden, ob in den Durchschnittszinssatz Angebote eingeflossen sind, auf die der Insolvenzverwalter nach den vorstehend dargelegten Grundsätzen nicht zurückgreifen muss und die deshalb nicht herangezogen werden können.

 

28

cc) Bezüglich der Höhe der zur Anlage zur Verfügung stehenden Gelder hat das Berufungsgericht festgestellt, der über den Betrag von 15.000 € hinausgehende Teil des Schuldnervermögens sei von Beginn an für die laufende Verwaltung nicht benötigt worden. Es ist deshalb davon ausgegangen, dass bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Betrag in Höhe von über 38.000 € für eine gewinnbringende Anlage zur Verfügung gestanden habe. Unter Berücksichtigung der maßgeblichen Sicht ex ante hält dies rechtlicher Prüfung stand. Zwar haben sich rückblickend die anfänglich überschießend vorhandenen 38.460,61 € schon ab Mai 2008 verringert und wurden bis einschließlich September 2009 wiederholt angetastet. Dies muss jedoch nicht vorhersehbar gewesen sein. Auch aus der Sicht ex post standen im Übrigen für einen Zeitraum von sechs Monaten jeweils mehr als 30.000 € für eine zinsgünstige Anlage zur Verfügung. Vorbehaltlich der vom Berufungsgericht erneut vorzunehmenden Wirtschaftlichkeitsprüfung dürfte es sich auch dabei um einen erheblichen Betrag handeln, der deutlich länger als nur einige Monate zur Verfügung gestanden hat. In diesen Zeitraum dürfte auch der unter Berücksichtigung der Einarbeitungszeit neu zu bestimmende Beginn einer möglichen Anlagepflicht fallen.

 

29

dd) Mit Blick auf den Fortbestand der Anlagepflicht während der Dauer des laufenden Insolvenzverfahrens hat das Berufungsgericht für einen Zeitraum von neun Monaten Zinserträge von jeweils unter 15 € festgestellt. Für sich genommen rechtfertigt dies die Annahme einer fortbestehenden Anlagepflicht nicht. Gesonderte Feststellungen zur weiterhin anzunehmenden Wirtschaftlichkeit hat das Berufungsgericht nicht getroffen. Dass die Anlage absehbar während der nächsten Monate erneut ertragreich geworden wäre, hat es ebenfalls nicht festgestellt.

 

30

2. Für die Zeit nach Einstellung des Insolvenzverfahrens hat das angefochtene Urteil gleichfalls keinen Bestand. Zutreffend ist allerdings das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass auch insoweit ein Schadensersatzanspruch aus § 60 Abs. 1 InsO in Betracht kommen kann.

 

31

Vergütungsansprüche des Insolvenzverwalters zählen zu den streitigen Masseansprüchen, für die nach § 214 Abs. 3 InsO Sicherheit zu leisten ist, wenn das Verfahren, wie hier, nach § 213 InsO eingestellt wird (vgl. HK-InsO/Landfermann, 7. Aufl., § 214 Rn. 5; Uhlenbruck/Ries, InsO, 13. Aufl., § 214 Rn. 10; MünchKomm-InsO/Hefermehl, 3. Aufl., § 214 Rn. 12). Im Streitfall ist wegen des streitigen Vergütungsanspruchs des Beklagten eine Sicherheitsleistung nach §§ 232 ff BGB nicht erfolgt. Stattdessen hat der Beklagte im Einverständnis mit dem Kläger die für die Befriedigung des behaupteten Vergütungsanspruchs erforderlichen Geldmittel weiterhin selbst verwahrt. In einem solchen Fall trifft den Insolvenzverwalter die aus seinem Amt nachwirkende Pflicht, die zinsgünstige Anlage der Gelder über den Zeitpunkt der Beendigung seines Amtes hinaus bis zur Klärung der Berechtigung des Vergütungsanspruchs fortzuführen. Auch für diesen Zeitraum hat das Berufungsgericht deshalb die erforderlichen Feststellungen unter Berücksichtigung der ausgeführten Maßstäbe zu treffen.

 

 

III.

 

32

Die Anschlussrevision hat ebenfalls Erfolg. Mit der Kürzung des Schadensersatzanspruchs um Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag hat das Berufungsgericht eine Überraschungsentscheidung getroffen und dabei die Steuerpflichtigkeit der zuerkannten Schadensersatzleistung nicht berücksichtigt.

 

33

1. Nach Art. 103 Abs. 1 GG darf ein Gericht ohne vorherigen Hinweis nicht auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellen, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte. Es hat in einem solchen Fall auf seine Rechtsauffassung hinzuweisen und den Prozessbeteiligten eine Möglichkeit zur Stellungnahme zu eröffnen. Gerichtliche Hinweispflichten dienen der Vermeidung von Überraschungsentscheidungen und konkretisieren den Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 2012 - II ZR 212/10, WM 2012, 1771 Rn. 6; vom 16. Mai 2013 - VII ZR 63/11, NJW-RR 2013, 969 Rn. 7 ff; vom 23. Oktober 2013 - IV ZR 122/13, VersR 2014, 398 Rn. 5; BVerfGE 84, 188, 189 f).

 

34

Die Kürzung des Schadensersatzanspruchs um Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag ist ein rechtlicher Gesichtspunkt, der vor Erlass des Berufungsurteils im Verfahren nicht erörtert wurde. Insbesondere ist ein entsprechender Hinweis des Berufungsgerichts nicht aktenkundig. Wäre ein Hinweis erfolgt, hätte der Kläger seinen Vortrag im Revisionsverfahren zur fehlenden Berücksichtigung des Sparer-Pauschbetrags schon in der Berufungsinstanz halten können, notfalls im Wege eines gemäß § 139 Abs. 5 ZPO nachgebrachten Schriftsatzes. Von seinem Rechtsstandpunkt aus hätte das Berufungsgericht unter Beachtung des Sparer-Pauschbetrags anders entscheiden müssen. Gleiches gilt für die Berechnung des Solidaritätszuschlags, dessen Bemessungsgrundlage die zu erhebende Steuer ist, nicht die steuerpflichtigen Einkünfte (§ 3 SolzG).

 

35

2. Der Rechtsstandpunkt des Berufungsgerichts lässt unberücksichtigt, dass auch die dem Kläger zuerkannte Schadensersatzleistung steuerpflichtig ist (§ 24 Nr. 1 Buchst. a EStG). Der entgangene Zinsgewinn kann deshalb grundsätzlich ohne Steuerabzug berechnet werden, weil der auf den Schaden anrechenbare Steuervorteil durch die Steuerpflicht der Schadensersatzleistung ausgeglichen wird (vgl. BGH, Urteil vom 18. Dezember 1969 - VII ZR 121/67, BGHZ 53, 132, 138; vom 22. März 1979 - VII ZR 259/77, BGHZ 74, 103, 116; vom 10. Februar 1987 - VI ZR 17/86, NJW 1987, 1814, 1815). Eine nähere Betrachtung ist nur dann erforderlich, wenn Anhaltspunkte für außergewöhnliche Steuervorteile bestehen, die dem Geschädigten unter Berücksichtigung der Steuerbarkeit der Ersatzleistung verbleiben (vgl. BGH, Urteil vom 31. Mai 2010 - II ZR 30/09, WM 2010, 1310 Rn. 25; vom 15. Juli 2010 - III ZR 336/08, WM 2010, 1641 Rn. 45; vom 1. März 2011 - XI ZR 96/09, WM 2011, 740 Rn. 9).

 

 

IV.

 

36

Das Berufungsurteil ist deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

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