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Wirtschaftsrecht
06.06.2024
Wirtschaftsrecht
BGH: Organ einer juristischen Person als Titelschuldner und Festsetzung von Ordnungsmitteln

BGH, Beschluss vom 18.4.2024 – I ZB 55/23

ECLI:DE:BGH:2024:180424BIZB55.23.0

Volltext: BB-Online BBL2024-1345-4

unter www.betriebs-berater.de

Amtlicher Leitsatz

Ist allein das Organ einer juristischen Person Titelschuldner, sind Ordnungsmittel im Falle einer schuldhaften Zuwiderhandlung des Organs gegen den Vollstreckungstitel (allein) gegen das Organ festzusetzen.

§ 542 Abs 2 S 1 ZPO, § 574 Abs 1 S 1 Nr 2 Alt 1 ZPO, § 574 Abs 1 S 2 ZPO, § 890 Abs 1 S 1 ZPO, § 31 BGB

 

Aus den Gründen

1          I. Auf Antrag der Gläubigerin verbot das Landgericht Hamburg der B.               GmbH (nachfolgend: Gesellschaft) und dem Schuldner, ihrem Geschäftsführer, mit Urteil vom 11. Februar 2022 im Wege der einstweiligen Verfügung aus lauterkeitsrechtlichen Gründen, das Bewegungsspielzeug "M.              " anzubieten. Gegen das Urteil legte nur die Gesellschaft Berufung ein. Mit Urteil vom 9. Juni 2022 hob das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg die gegen die Gesellschaft ergangene einstweilige Verfügung auf und wies den auf ihren Erlass gerichteten Antrag zurück. Kurz darauf fanden sich im Internet Mitteilungen darüber, dass die einstweilige Verfügung gegen die Gesellschaft aufgehoben worden sei und das Produkt in Kürze wieder erhältlich sein werde. Das Spielzeug wurde sodann auf der Internetseite der Gesellschaft und anderer Händler wieder zum Kauf angeboten.

 

2          Die Gläubigerin erblickt in den Ankündigungen und Kaufangeboten einen Verstoß des Schuldners gegen das ihm gegenüber nach wie vor wirksame Unterlassungsgebot. Sie hat am 5. Juli 2022 die Festsetzung eines Ordnungsgelds beantragt. Das Landgericht Hamburg hat den Antrag zurückgewiesen (LG Hamburg, Beschluss vom 8. Mai 2023 - 416 HKO 114/21, juris). Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben (OLG Hamburg, WRP 2023, 1125). Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Gläubigerin ihren Antrag auf Festsetzung eines Ordnungsgelds gegen den Schuldner weiter.

 

3          II. Das Beschwerdegericht hat den Ordnungsmittelantrag als unbegründet angesehen, weil eine Verhängung von Ordnungsmitteln gegen den Schuldner als Organ einer juristischen Person in der im Streitfall gegebenen Konstellation nicht in Betracht komme.

 

4          Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei wegen Verstoßes gegen einen Unterlassungstitel, der sowohl gegenüber der juristischen Person als auch ihrem Organ ergangen sei, ein Ordnungsgeld nur gegen die juristische Person festzusetzen, wenn das Organ im Rahmen der geschäftlichen Tätigkeit für die juristische Person gehandelt habe. Mit dem Sanktionscharakter der Ordnungsmittel sei es, so der Bundesgerichtshof weiter, nicht vereinbar, dass das Handeln einer natürlichen Person die Festsetzung ein und desselben Ordnungsmittels gegen mehrere Personen zur Folge habe. Dies gelte im Streitfall erst recht, weil es nicht gerechtfertigt erscheine, das Organ nach Aufhebung des Unterlassungstitels gegenüber der juristischen Person schlechter zu stellen als für den Fall, dass der Unterlassungstitel gegenüber beiden Parteien Bestand habe.

 

5          Gegen die Verhängung eines Ordnungsmittels spreche weiter, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Festsetzung eines Ordnungsmittels gegen eine juristische Person und ihr Organ nur in Betracht komme, wenn das Handeln des Organs der juristischen Person nicht nach § 31 BGB zurechenbar sei. Gegen das Organ könne daher ein Ordnungsmittel nur festgesetzt werden, wenn sein Fehlverhalten nicht deckungsgleich mit dem Fehlverhalten der juristischen Person sei, weil das Organ eine über sein Handeln für die juristische Person hinausgehende persönliche Schuld treffe. Im Streitfall sei das Verhalten des Schuldners jedoch deckungsgleich mit dem Verhalten der Gesellschaft. Die Gläubigerin habe nicht dargelegt, dass das Verhalten des Schuldners aufgrund einer Überschreitung der ihm als Organ übertragenen Angelegenheiten der Gesellschaft nicht nach § 31 BGB zugerechnet werden könne.

 

6          III. Die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Fall 1, Abs. 3 Satz 2 ZPO), weil der Ausschluss der Rechtsbeschwerde im Verfahren der einstweiligen Verfügung (§ 574 Abs. 1 Satz 2, § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO) für das Ordnungsmittelverfahren nach Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht gilt (BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2023 - I ZB 42/23, GRUR 2024, 486 [juris Rn. 12] = WRP 2024, 490, mwN). Die Rechtsbeschwerde ist auch ansonsten zulässig (§ 575 ZPO). In der Sache hat sie Erfolg. Mit der vom Beschwerdegericht gegebenen Begründung kann die Festsetzung eines Ordnungsmittels gegen den Schuldner nicht abgelehnt werden.

 

7          1. Ist eine juristische Person Vollstreckungsschuldnerin, so ist, weil sie nicht selbst handlungsfähig ist, für die Prüfung einer Zuwiderhandlung gemäß § 890 ZPO auf das Handeln ihrer Organe abzustellen, deren schuldhafte Zuwiderhandlung sie sich nach § 31 BGB zurechnen lassen muss (BVerfG, GRUR 2007, 618 [juris Rn. 11]).

 

8          a) Ist die juristische Person ausschließliche Titelschuldnerin, ist bei einer schuldhaften Zuwiderhandlung das Ordnungsgeld gegen die juristische Person und die ersatzweise bestimmte Ordnungshaft gegen das Organmitglied festzusetzen, das schuldhaft gegen das Verbot verstoßen hat (BGH, Beschluss vom 12. Januar 2012 - I ZB 43/11, GRUR 2012, 541 [juris Rn. 7]; MünchKomm.ZPO/Gruber, 6. Aufl., § 890 Rn. 24; Lackmann in Musielak/Voit, ZPO, 21. Aufl., § 890 Rn. 12; Rensen in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 890 Rn. 49; Zöller/Seibel, ZPO, 35. Aufl., § 890 Rn. 7).

 

9          b) Sind sowohl eine juristische Person als auch ihr Organ aus einem Vollstreckungstitel zur Unterlassung verpflichtet und handelt das Organ im Rahmen der geschäftlichen Tätigkeit für die juristische Person dem Verbot zuwider, so ist nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur gegen die juristische Person ein Ordnungsgeld nach § 890 ZPO festzusetzen (BGH, GRUR 2012, 541 [juris Rn. 6]; Zöller/Seibel aaO § 890 Rn. 7; Teplitzky/Schilling, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 13. Aufl., Kap. 57 Rn. 34; Sturhahn in Schuschke/Walker/Kessen/Thole, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 8. Aufl., § 890 ZPO Rn. 46; aA Lackmann in Musielak/Voit aaO § 890 Rn. 12; Rensen in Wieczorek/Schütze aaO § 890 Rn. 49; MünchKomm.ZPO/Gruber aaO § 890 Rn. 24; zur Vertragsstrafe vgl. BGH, Urteil vom 8. Mai 2014 - I ZR 210/12, GRUR 2014, 797 [juris Rn. 56 f.] = WRP 2014, 948 - fishtailparka).

 

10        Zur Begründung hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, es bestehe kein Anlass, aufgrund einer der juristischen Person nach § 31 BGB zurechenbaren schuldhaften Zuwiderhandlung ihres Organs daneben zusätzlich Ordnungsmittel gegen das Organ festzusetzen oder dessen gesamtschuldnerische Haftung zu begründen (BGH, GRUR 2012, 541 [juris Rn. 7]). Mit dem Sinn und Zweck der Ordnungsmittel nach § 890 ZPO, die neben der Funktion als zivilrechtliche Beugemaßnahme zur Verhinderung künftiger Zuwiderhandlungen auch einen repressiven strafähnlichen Sanktionscharakter haben, sei es schwerlich vereinbar, dass aufgrund der von einer natürlichen Person begangenen Zuwiderhandlung ein und dasselbe Ordnungsmittel gegen mehrere Personen festgesetzt wird (BGH, GRUR 2012, 541 [juris Rn. 8]; zum Verbot der Doppelahndung gegenüber ein und demselben Schuldner vgl. BGH, Beschluss vom 21. April 2022 - I ZB 56/21, GRUR 2022, 1379 [juris Rn. 16] = WRP 2022, 1263). Ob an dieser Rechtsprechung im Hinblick auf die mittlerweile geltenden Grundsätze der eigenständigen Haftung des Geschäftsführers einer Gesellschaft (dazu BGH, Urteil vom 18. Juni 2014 - I ZR 242/12, BGHZ 201, 344 [juris Rn. 17] - Geschäftsführerhaftung) festzuhalten ist, kann im Streitfall offenbleiben.

 

11        c) Ist allein das Organ einer juristischen Person Titelschuldner, sind Ordnungsmittel im Falle einer schuldhaften Zuwiderhandlung des Organs gegen den Vollstreckungstitel (allein) gegen das Organ festzusetzen. In einem solchen Fall droht die Gefahr der unangemessenen Festsetzung von Ordnungsmitteln wegen einer von einer natürlichen Person begangenen Handlung gegenüber mehreren Personen nicht. Es besteht deshalb kein Anlass, von dem Grundsatz abzuweichen, dass es für die Prüfung einer Zuwiderhandlung gegen den Vollstreckungstitel gemäß § 890 ZPO nicht darauf ankommt, in welcher Eigenschaft und für wen der Vollstreckungsschuldner tätig geworden ist (hierzu vgl. Ahrens/Büttner, Der Wettbewerbsprozess, 9. Aufl., Kap. 69 Rn. 29; Bendtsen in Kindl/Meller-Hannich, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 4. Aufl., § 890 ZPO Rn. 41).

 

12        Der Umstand, dass das Organ die Zuwiderhandlung im Rahmen seiner Geschäftstätigkeit für die juristische Person vorgenommen hat, ändert nichts daran, dass das Organ gegen eine (ausschließlich) ihm persönlich auferlegte Unterlassungspflicht verstoßen hat. Ist etwa eine Einzelperson zur Unterlassung verurteilt, so ist gegen sie auch dann ein Ordnungsmittel nach § 890 ZPO zu verhängen, wenn sie den schuldhaften Verstoß als Organ einer nachfolgend gegründeten juristischen Person begangen hat (OLG Koblenz, WRP 1978, 833; vgl. auch OLG Hamm, GRUR 1979, 807 [juris Rn. 6], dessen Auffassung, ein Ordnungsmittel sei gegen den nunmehrigen Geschäftsführer zu verhängen, auch wenn die juristische Person als Rechtsnachfolgerin ebenfalls Titelschuldnerin sei, allerdings mit der unter vorstehend Rn. 9 dargestellten Senatsentscheidung nicht vereinbar sein dürfte).

 

13        2. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts steht danach im Streitfall der Verhängung eines Ordnungsmittels gemäß § 890 ZPO gegen den Schuldner nicht entgegen, dass dieser die Zuwiderhandlung als Geschäftsführer einer juristischen Person begangen hat. Das Beschwerdegericht hat zu Unrecht angenommen, dass im Bereich der von § 31 BGB erfassten organschaftlichen Geschäftstätigkeit eine persönliche Haftung des Organs für eine Zuwiderhandlung gegen den allein ihm gegenüber bestehenden Vollstreckungstitel nicht in Betracht komme.

 

14        Abgesehen davon, dass der gegen die juristische Person ergangene Vollstreckungstitel aufgehoben worden ist und sich deshalb die Frage der Zurechnung von Handlungen ihres Organs gemäß § 31 BGB im vorliegenden Vollstreckungsverfahren nicht stellt, bewirkt die Zurechnung von Handlungen des Organs gemäß § 31 BGB grundsätzlich keine Haftungsfreistellung des Organs, sondern lässt dessen etwaige Eigenhaftung unberührt (vgl. BGH, Urteil vom 12. März 1996 - VI ZR 90/95, NJW 1996, 1535 [juris Rn. 9]; Urteil vom 24. Januar 2006 - XI ZR 384/03, BGHZ 166, 84 [juris Rn. 125 f.]; Grüneberg/Ellenberger, BGB, 83. Aufl., § 31 Rn. 13; MünchKomm.BGB/Leuschner, 9. Aufl., § 31 Rn. 35).

 

15        Droht nicht die Gefahr der unangemessenen Festsetzung von Ordnungsmitteln wegen einer von einer natürlichen Person begangenen Handlung gegenüber mehreren Personen (dazu vorstehend Rn. 9), so steht der Umstand, dass der Geschäftsführer im Rahmen seiner organschaftlichen Tätigkeit gehandelt hat, der Verhängung eines Ordnungsmittels ihm gegenüber wegen Zuwiderhandlung gegen die ihm auferlegte Unterlassungspflicht nicht entgegen. Dies ist der Fall, wenn ein Vollstreckungstitel gegenüber der juristischen Person nicht oder - wie vorliegend - nicht mehr besteht.

 

16        IV. Danach ist der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO).

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