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Wirtschaftsrecht
19.01.2012
Wirtschaftsrecht
: OLG München Ansprüche des Handelsvertreters auf Karenzentschädigung

OLG München, Urteil vom 28.09.2011 - 7 U 2019/11

Orientierungssatz

1. Auch wenn ein Handelsvertreter für seinen Geschäftsherrn nur 11 Wochen tätig, sodann bis zum Jahresende freigestellt war und solange die vereinbarte monatliche Mindestprovision erhielt, und der Geschäftsherr nachträglich auf die Einhaltung eines im Handelsvertretervertrag geregelten Wettbewerbsverbots verzichtet hat, steht dem Handelsvertreter ein Anspruch auf Karenzentschädigung (§ 90a HGB) zu (Rn.19)(Rn.22).


2. Einen Handelsvertreterausgleich (§ 89b HGB) kann er nicht verlangen, wenn ihm der Nachweis nicht gelingt, dass der Geschäftsherr auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses aus der Geschäftsverbindung mit von dem Handelsvertreter geworbenen neuen Kunden erhebliche Vorteile erzielt hat (Rn.20)(Rn.32).

sachverhalt

I. Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche auf Karenzentschädigung (§ 90 a HGB) und auf Handelsvertreterausgleich (§ 89 b HGB) geltend.

Zwischen den Parteien bestand vom 10.3.2009 bis zum 31.12.2009 - beendet durch die Kündigung der Beklagten vom 16.6.2009 (Anlage K1 a) - ein Handelsvertretervertrag aufgrund des Vertrages vom 10.3.2009 (Anlage K1). In § 9 des Vertrages ist ein Wettbewerbsverbot geregelt, auf dessen Einhaltung die Beklagte mit Schreiben vom 14.8.2009 (Anlage B1), zugegangen am selben Tag, verzichtet hat.

Tatsächlich war der Kläger für die Beklagte lediglich vom 2.5.2009 bis 20.7.2009 (11 Wochen) tätig, danach wurde er von der Beklagten von der Tätigkeit freigestellt und erhielt bis zum Jahresende 2009 eine monatliche Mindestprovision von 5.950,-- € (brutto).

Das Erstgericht sprach dem Kläger eine Karenzentschädigung in Höhe von 10.397,55 € (brutto) und einen Handelsvertreterausgleichsanspruch in Höhe von 53.356,64 €(brutto) zu.

Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird auf die Gründe des Landgerichts Bezug genommen.

Hiergegen wendet sich die Berufung der Beklagten.

Sie hält die Karenzentschädigung für nicht angemessen. Insbesondere seien dem Kläger durch die Wettbewerbsabrede weder Nachteile entstanden noch resultierten aus der Tätigkeit des Klägers Vorteile zugunsten der Beklagten.

Beim Handelsvertreterausgleich sei der vom Erstgericht angenommene Anknüpfungspunkt 2008 für Bestandskunden der Beklagten falsch; es sei auf Neukundengeschäfte abzustellen.

Soweit der Kläger vier Neukundengeschäfte aufführt, sei dies von der Beklagten bestritten worden, substantiierter Sachvortrag seitens des Klägers fehle hierzu.

Bei einem derart kurzen Bestand des Mitarbeiterverhältnisses von 11 Wochen sei die noch zugesprochene 1 1/2-fache Monatsprovision als Karenzentschädigung, berechnet nach dem Durchschnittseinkommen, nicht angemessen.

Die Beklagte beantragt daher,

das Urteil des Landgerichts München I vom 3.5.2011 teilweise abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Die Klägerin beantragt

die Zurückweisung der Berufung.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Die Karenzentschädigung sei nicht Schadensersatz, sondern Entgelt für die Abrede der Wettbewerbsenthaltung.

Zum Vorwurf mangelnder Substantiierung hinsichtlich des Handelsvertreterausgleichs führt sie aus, die Beklagte habe bereits einen Tag nach der Besprechung vom 20.7.2009 dem Kläger beide Online-Zugänge gesperrt. Die Beklagte möge daher zunächst die Inhalte des Online-Büros des Klägers in schriftlicher Form zur Verfügung stellen, § 142 Abs. 1 ZPO.

Ergänzend wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien, die Berufungsbegründung der Beklagten vom 11.7.2011, die Berufungserwiderung der Klägerin vom 19.8.2011 und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 28.9.2011 Bezug genommen.

aus den gründen

II. Auf die zulässige Berufung der Beklagten war das Ersturteil dahingehend abzuändern, dass dem Kläger nach § 90 a Abs. 1 Satz 3 HGB, Abs. 2 HGB statt des erstinstanzlich zugesprochenen Betrages von 10.397,55 € eine Karenzentschädigung von 8.925,-- € zuzusprechen war.

Einen Ausgleichsanspruch nach § 89 b HGB, vom Erstgericht auf 53.356,64 € festgesetzt, kann er nicht verlangen.

1. Karenzentschädigung aus der Wettbewerbsabrede § 90 a HGB:

Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 14.8.2009, zugegangen am selben Tage (Anlage B 5) auf das vertraglich vereinbarte Wettbewerbsverbot (§ 9 des Handelsvertretervertrags vom 10.3.2009, Anlage K1) verzichtet. Gemäß § 90 a Abs. 2 HGB ist die Zahlung von Karenzentschädigung vom Zeitpunkt der Vertragsbeendigung zum 31.12.2009 bis 14.2.2010 begrenzt.

Der Senat hat bei der Bemessung der Karenzentschädigung berücksichtigt, dass es sich, wenngleich das Gesetz von einer "Entschädigung" spricht, in Wahrheit um ein den Umständen nach angemessenes Entgelt für die vereinbarte Wettbewerbsenthaltung handelt. Die Karenzentschädigung soll den Lebensbedarf des Handelsvertreters für die Dauer der ihm auferlegten Wettbewerbsbeschränkung sichern. Sie beruht nicht unmittelbar auf dem Verlust von Einkünften, sondern ist die vertragliche Gegenleistung für das im Vertrag versprochene Unterlassen des Wettbewerbs. Bei der Bemessung der Entschädigung des Handelsvertreters sind die ihm durch den Wettbewerbsverzicht erwachsenden Nachteile, etwa im Verhältnis zu einer anderen Berufstätigkeit, und die dem Unternehmer dadurch zukommenden Vorteile zu berücksichtigen. Dabei kann auch der anderweitige Verdienst des Handelsvertreters angemessen berücksichtigt werden. Einkommensvor- oder -nachteile, Ersparnisse oder Kosten des Handelsvertreters aber, die in seinen persönlichen Umständen oder Entschließungen nach Vertragsende ihren Grund haben, sind zur Bemessung der Entschädigung in der Regel nicht heranzuziehen. Denn die Entschädigung stellt die Gegenleistung des Unternehmers für die Wettbewerbsabrede, nicht für den erst später sich daraus konkret ergebenden Einkommensverlust des Handelsvertreters dar. Dieser Einkommensverlust kann nur als einer der für den Wert des Wettbewerbsverzichts maßgeblichen Umstände bei der Höhe der Karenzentschädigung eine gewisse Rolle spielen (vgl. BGH VII ZR 2/74 = NJW 1975, 388).

Diesen Grundsätzen folgend hält der Senat einen Betrag von 1 1/2 Monatsprovisionen für den noch offenen Zeitraum von Ende des Jahres 2009 bis zum 14.2.2010 für Karenzentschädigung angemessen.

Entgegen der Auffassung des Erstgerichts geht der Senat nicht von dem im Jahr 2009 letztlich erzielten Bruttodurchschnittseinkommen von monatlich 6.931,70 € (vgl. Anlage K8) aus, sondern hält die bis Jahresende 2009 von der Beklagten gezahlte Mindestprovision von monatlich 5.950,-- € brutto als Berechnungsgrundlage für angemessen. Dies ergibt für 1 1/2 Monate einen Betrag von 8.925,-- € brutto.

Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass der Kläger tatsächlich nur für 11 Wochen, d. h. vom 2.5.2009 bis 20.7.2009 für die Beklagte tätig war, in dieser Zeit zusätzlich ein Anteil für Schulungen des Klägers verbraucht worden ist und die Beklagte anschließend dem Kläger unter Freistellung von seiner Tätigkeit die monatliche Mindestprovision von 5.950,-- € brutto bis zum Vertragsende Dezember 2009 auch tatsächlich bezahlt hat.

Unter dem Blickwinkel, dass die Karenzentschädigung den Lebensbedarf des Handelsvertreters sichern soll, sah es der Senat unter Berücksichtigung der oben genannten Umstände als angemessen an, für die Berechnung den tatsächlich gezahlten Mindestbruttolohn in Ansatz zu bringen. Der Kläger hat insoweit keine weiteren Umstände dargelegt, wieso für die Sicherung des Lebensbedarfs der Anspruch auf den (erst nachträglich im Rahmen der Provisionsabrechnung sich ergebenden) durchschnittlichen Monatsbruttolohn für notwendig erachtet.

Auch können grundsätzlich Ersparnisse von Berufsaufwendungen ins Gewicht fallen und zur Kürzung der Karenzentschädigung führen.

Hierzu fehlen allerdings seitens der Beklagten, die insoweit darlegungs- und beweispflichtig ist, entsprechende Angaben, sodass eine weitere Kürzung nicht in Betracht kam.

Der Senat hält daher letztlich die Zahlung von 1 1/2 Monatsmindestprovisionen (brutto) für angemessen, aber auch ausreichend.

2. Handelsvertreterausgleich (§ 89 a HGB):

Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung eines Handelsvertreterausgleichs.

Voraussetzung für einen Ausgleichsanspruch ist, dass die Beklagte auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses aus der Geschäftsverbindung mit vom Kläger als Handelsvertreter geworbenen neuen Kunden erhebliche Vorteile erzielt hat (vgl. Baumbach/Hopt, HGB 34. Aufl. § 89 b Rz. 11).

Der Kläger ist darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass es sich bei den hier behaupteten vier Neukunden tatsächlich um Neukunden handelt, was die Beklagte von Anfang an bestritten hat.

Dieser Nachweis ist dem Kläger nicht gelungen:

a) Klinikum P.:

Der Kläger gibt hierzu lediglich an, die Beklagte selbst weise diese Klinik als tatsächliche Neukundin aus; der Kläger verweist hierzu auf die Jahresabrechnung (Anlage K8).

Aus der genannten Anlage kann dies aber nicht festgestellt werden. Die Anlage enthält insbesondere keine Aufschlüsselung hinsichtlich Stamm- und Neukunden. Sonstiger Vortrag seitens der Klagepartei fehlt.

b) Marienhospital A.:

Die Beklagte rügt zu Recht, dass hierzu jeglicher substantiierte Vortrag der Klagepartei fehlt (vgl. Schriftsatz der Klagepartei vom 5.1.2010, Seite 3 = Bl. 16 d. A.). Es findet sich lediglich die Behauptung der Neukundeneigenschaft ohne sonstige Ausführungen.

c) Marienhospital S.:

Der Kläger hat hierzu vorgetragen, er habe eine Aufstufung der Klassik-Mitgliedschaft zur Plus-Mitgliedschaft erreicht.

Zwar kann grundsätzlich Provision aus Geschäften mit Altkunden insoweit berücksichtigt werden, als der Handelsvertreter die Geschäftsbeziehungen mit den Altkunden so wesentlich erweitert hat, dass dies wirtschaftlich der Werbung eines neuen Kunden entspricht (vgl. Baumbach/Hopt a.a.O.  § 89 b Rz. 13; Küstner/Thume, Handbuch des gesamten Außendienstrechts Band 2 8. Aufl. IXX Rz. 28). Ob allein durch die behauptete Höherstufung die Voraussetzungen hierfür schon erfüllt sind, ist fraglich. Dies kann letztlich dahingestellt bleiben, da die Beklagte substantiiert vorgetragen hat, dass die genannte Klinik mit Schreiben vom 24.11.2009 (vgl. Kündigungsschreiben Anlage B 2) die Mitgliedschaft gekündigt hat. Dies wurde vom Kläger nicht bestritten. Eine wesentliche Erweiterung der Geschäftsbeziehungen mit dem Altkunden ist damit jedenfalls nicht mehr gegeben; diese kam vielmehr in Wegfall.

d) Klinik M.:

Der Kläger hat hierzu vorgetragen, durch sein Zutun sei die Kündigung des Krankenhauses abgewendet worden, welche bereits mit Schreiben vom 24.6.2009 ausgesprochen worden sei (Anlage K3).

Dies hat die Beklagte substantiiert bestritten. Sie wendet vielmehr ein, die Kündigung sei einvernehmlich beseitigt worden, dies sei nicht durch Zutun des Klägers, sondern durch Aktivitäten seines Vaters, Herr Detlev F. erfolgt.

Aus den hierzu vorgelegten Anlagen B 5 und B 6 ergibt sich auch der Schriftverkehr mit Herrn Detlev F.

Dies wurde vom Kläger ebenfalls nicht bestritten.

Es hätte zudem einer weiteren Erläuterung seitens des Klägers bedurft, wieso die Rückgängigmachung der Kündigung auf seine Veranlassung hin überhaupt möglich gewesen sein soll, zumal sich aus dem vorgelegten Mailverkehr ein Zeitraum ergibt, der tatsächlich nach der Einstellung der Tätigkeit des Klägers zum 20.7.09 erfolgt ist.

Für einen Anspruch auf Handelsregisterausgleich fehlt es damit bereits an Nachweis von Neukunden.

Soweit der Kläger einwendet, wenn er seine Handelsvertretertätigkeit bis zum Vertragsende Dezember 2009 hätte ausüben können, hätte er hochgerechnet weitere sechs Neukunden für die Zukunft zugunsten der Beklagten vermittelt und soweit der Kläger hierdurch anhand einer Prognoseberechnung einen Provisionsverlust geltend macht, verkennt er die Berechnungsmethoden des Handelsvertreterausgleichs.

Für den Handelsausgleich sind nach § 89 b Abs. 1 Nr. 2 HGB insbesondere die vom Handelsvertreter aus Geschäften mit den geworbenen Neukunden eingehenden Provisionen zu berücksichtigen (vgl. Baumbach/Hopt a.a.O.  § 89 b Rz. 26, 29). Die rein spekulative Aussicht, weitere Neukunden zu werben, ist dabei unbeachtlich (vgl. BGHZ 34, 310 (314), Baumbach/Hopt a.a.O. § 89 b Rz. 30).

Soweit sich der Kläger im Hinblick auf die fehlende Substantiierung darauf beruft, ihm seien bereits einen Tag nach der Besprechung vom 20.7.2011 die Zugänge zu seinen Online-Büros gesperrt worden, entlastet ihn dies nicht von seiner Substantiierungspflicht.

Es ist grundsätzlich Sache der Klagepartei, welche Rechtsverfolgung beschritten wird.

Es stand dem Kläger durchaus offen, gegebenenfalls im Wege der Stufenklage zunächst Auskunft zu begehren bzw. entsprechenden Buchauszug zu verlangen, soweit dies nicht erfolgt sein sollte.

Unterlässt er dies, liegt es in seinem Risikobereich, die behaupteten Ansprüche substantiiert darlegen zu können.

Der Anordnung von Urkunden nach § 142 ZPO, wie vom Kläger beantragt, bedurfte es nicht. Dies ist kein geeignetes Mittel zur Ersetzung von mangelndem substantiiertem Sachvortrag.

§ 142 ZPO gibt dem Gericht nicht die Befugnis, unabhängig von einem schlüssigen Vortrag zum Zwecke der Informationsgewinnung Urkunden anzufordern (so wörtlich der Bericht des Bundestags-Rechtsausschusses, BT-DRS 14/6036 Seite 121). Die Anordnung ist daher nur zulässig, wenn sie dazu dient, für die vom Gericht begehrte Entscheidung relevante Umstände zu erhellen. Die von der Vorlage der Urkunde zu erwartenden Erkenntnisse müssen sich auf den Streitgegenstand beziehen; dies muss die auf die Urkunde (die zudem identifizierbar sein muss) Bezug nehmende Partei gegebenenfalls darlegen (vgl. Greger in Zöller ZPO 27. Aufl. § 142 Rz. 7).

Eine Anordnung nach § 142 ZPO kam daher hier nicht in Betracht.

Die Kostenfolge ergibt sich aus §§ 97, 92 Abs. 1 ZPO, berechnet nach den unterschiedlichen Streitwerten erster und zweiter Instanz.

Die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine

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